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arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009 IV arbeitsmarkt P raktika sind besser als ihr Ruf. Nach der medienwirksam hochgepusch- ten Aufregung über die „Genera- tion Praktikum“ haben sich die Wogen inzwischen etwas geglättet, wenngleich sich an der Situation für junge Akademi- ker kaum etwas geändert hat. Allerdings ist der Generalvorwurf des Ausnutzens billiger akademischer Praktikanten einer differenzierteren Betrachtung gewichen. Inzwischen gibt es mehr Orientierung bei den Praktikantinnen und Praktikanten, mehr Vernetzung und Lobbyarbeit sowie eine klarere rechtliche Bewertung. Geblieben ist die Situation, dass Absolventinnen und Absolventen von Universitäten und Fachhochschulen so früh wie möglich praktische Berufser- fahrungen sammeln müssen, um den Einstieg in die Arbeitswelt zu schaffen. Trotz aller Bestrebungen der Gestalter von Studienordnungen, die so genann- te „Employability“ der Studierenden zu erhöhen, bleiben nicht wenige Lehrende auf Distanz zu den Anforderungen des realen Arbeitsmarktes. Auch die keines- wegs überall willkommene Umsetzung des Bologna-Prozesses mit seinen einen- genden Vorgaben bei der Gestaltung von Studiengängen und Studienzeiten hat dazu beigetragen, dass die Aneignung praktischer Berufserfahrung während des Studiums zwar Pflicht, in der Umset- zung aber schon aus zeitlichen Gründen schwieriger ist denn je. Dennoch ist gera- de über die kritische Auseinandersetzung mit den neuen Studienanforderungen und –realitäten nochmals deutlich geworden, dass Studierende fast aller Professionen allein per Studium nicht hinreichend auf den Arbeitsmarkt vorbe- reitet werden. Vom Stellenwert der Berufserfahrung Fragt man Arbeitgeber, welche Kriterien bei der Auswahl von jungen akademi- schen Arbeitskräften angelegt werden, so ergibt sich eine immer wieder überra- schende Reihenfolge bei den Nennun- gen. Weit vor der Frage, welchen Ab- schluss (Bachelor, Master, Diplom oder Magister) jemand mitbringt und mit wel- cher Note der Abschluss erreicht wurde, steht die Frage nach den Berufserfahrun- gen (Fachhochschule Düsseldorf, Befra- gung zum Arbeitsmarkt für Masterabsol- venten 2009 und arbeitsmarkt 23/09). Und es zeigt sich zudem, dass gerade in der Wirtschaft Studieninhalte, formale Qualifikation und die Bewertung des Ab- schlusses nachrangig sind gegenüber der Persönlichkeit des Kandidaten und sei- nen bisherigen Erfahrungen in der Be- rufswelt. Auch die von uns ausgewerte- ten Stellenausschreibungen für die Berei- che Umweltschutz und Naturwissen- schaften sprechen eine deutliche Spra- che. In fast 70 % der Offerten werden (Berufs-)Erfahrungen explizit vorausge- setzt (eigene Erhebung). Daraus allerdings den Schluss zu zie- hen, dass das Studium eher belanglos und geradezu hinderlich ist und gege- benenfalls sogar besser abgebrochen werden sollte zugunsten eines schnellen Einstiegs, wäre ein Trugschluss. Der Ab- schluss des Studiums wird für adäquate Beschäftigungen zwingend vorausge- setzt. Was, wo und wie studiert wurde, ist zwar nicht gänzlich unwichtig, aber nachrangig. Das Examen, egal welches, ist und bleibt die Eintrittskarte in die akademische Berufswelt. Wie lange man – um im Bild zu bleiben – auf Einlass warten muss und auf welchem Rang man dann Platz nimmt, entscheidet der persönliche Einsatz beim Sammeln prak- Ohne einschlägige Berufserfahrungen fällt es schwer, den beruflichen Einstieg zu finden. Praktika gehören – sofern klug gewählt – nach wie vor zu den besten Eintrittskarten in den Arbeitsmarkt. | Andreas Pallenberg Praktikum n EINSTIEG © Stephanie Hofschlaeger/Pixelio

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arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009IV Varbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009

arbeitsmarkt

Praktika sind besser als ihr Ruf. Nach der medienwirksam hochgepusch-ten Aufregung über die „Genera-

tion Praktikum“ haben sich die Wogen inzwischen etwas geglättet, wenngleich sich an der Situation für junge Akademi-ker kaum etwas geändert hat. Allerdings ist der Generalvorwurf des Ausnutzens billiger akademischer Praktikanten einer differenzierteren Betrachtung gewichen. Inzwischen gibt es mehr Orientierung bei den Praktikantinnen und Praktikanten, mehr Vernetzung und Lobbyarbeit sowie eine klarere rechtliche Bewertung.

Geblieben ist die Situation, dass Absolventinnen und Absolventen von Universitäten und Fachhochschulen so früh wie möglich praktische Berufser-fahrungen sammeln müssen, um den

Einstieg in die Arbeitswelt zu schaffen. Trotz aller Bestrebungen der Gestalter von Studienordnungen, die so genann-te „Employability“ der Studierenden zu erhöhen, bleiben nicht wenige Lehrende auf Distanz zu den Anforderungen des realen Arbeitsmarktes. Auch die keines-wegs überall willkommene Umsetzung des Bologna-Prozesses mit seinen einen-genden Vorgaben bei der Gestaltung von Studiengängen und Studienzeiten hat dazu beigetragen, dass die Aneignung praktischer Berufserfahrung während des Studiums zwar Pflicht, in der Umset-zung aber schon aus zeitlichen Gründen schwieriger ist denn je. Dennoch ist gera-de über die kritische Auseinandersetzung mit den neuen Studienanforderungen und –realitäten nochmals deutlich

geworden, dass Studierende fast aller Professionen allein per Studium nicht hinreichend auf den Arbeitsmarkt vorbe-reitet werden.

Vom Stellenwert der Berufs erfahrung

Fragt man Arbeitgeber, welche Kriterien bei der Auswahl von jungen akademi-schen Arbeitskräften angelegt werden, so ergibt sich eine immer wieder überra-schende Reihenfolge bei den Nennun-gen. Weit vor der Frage, welchen Ab-schluss (Bachelor, Master, Diplom oder Magister) jemand mitbringt und mit wel-cher Note der Abschluss erreicht wurde, steht die Frage nach den Berufserfahrun-gen (Fachhochschule Düsseldorf, Befra-gung zum Arbeitsmarkt für Masterabsol-venten 2009 und arbeitsmarkt 23/09). Und es zeigt sich zudem, dass gerade in der Wirtschaft Studieninhalte, formale Qualifikation und die Bewertung des Ab-schlusses nachrangig sind gegenüber der Persönlichkeit des Kandidaten und sei-nen bisherigen Erfahrungen in der Be-rufswelt. Auch die von uns ausgewerte-ten Stellenausschreibungen für die Berei-che Umweltschutz und Naturwissen-schaften sprechen eine deutliche Spra-che. In fast 70 % der Offerten werden (Berufs-)Erfahrungen explizit vorausge-setzt (eigene Erhebung).

Daraus allerdings den Schluss zu zie-hen, dass das Studium eher belanglos und geradezu hinderlich ist und gege-benenfalls sogar besser abgebrochen werden sollte zugunsten eines schnellen Einstiegs, wäre ein Trugschluss. Der Ab-schluss des Studiums wird für adäquate Beschäftigungen zwingend vorausge-setzt. Was, wo und wie studiert wurde, ist zwar nicht gänzlich unwichtig, aber nachrangig. Das Examen, egal welches, ist und bleibt die Eintrittskarte in die akademische Berufswelt. Wie lange man – um im Bild zu bleiben – auf Einlass warten muss und auf welchem Rang man dann Platz nimmt, entscheidet der persönliche Einsatz beim Sammeln prak-

Ohne einschlägige Berufserfahrungen fällt es schwer, den beruflichen Einstieg zu finden. Praktika gehören – sofern klug gewählt – nach wie vor zu den besten Eintrittskarten in den Arbeitsmarkt. | Andreas Pallenberg

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arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009IV Varbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009

arbeitsmarkt

tischer Erfahrungen während und nach dem Studium.

Praktikumsdauer

Mindestens drei Monate sollte ein Prakti-kum schon dauern, um nennenswerte Einblicke in die konkrete Arbeitswelt zu bieten. Bei kürzeren Einsätzen dürfte es schwer fallen, sich in ein Arbeitsteam zu integrieren, sich ernsthaft und verantwort-lich mit Inhalten zu beschäftigen und die Zeit zu nutzen, sich mit seinen Fähigkeiten zu empfehlen bzw. Kontakte zu knüpfen und neue Perspektiven für die Zeit danach zu entwickeln. Bei einer Dauer von mehr als sechs Monaten drängt sich der Ver-dacht auf, dass es sich nicht um ein Prakti-kum handelt, sondern um den möglichst langen Einsatz einer billigen Arbeitskraft. Der angestrebte Lerneffekt über die prakti-sche Erprobung sollte nach einhelliger Meinung aktueller Praktikumsratgeber (siehe Literaturauswahl S. X) spätestens nach einem halben Jahr erzielt sein. Somit hat sich bei üblichen und ernst zu neh-menden Praktika eine Dauer von drei bis sechs Monaten eingependelt.

Praktikumsinhalte

So konkret wie möglich sollte über ein Praktikumszeugnis dargelegt werden können, was der Praktikant in der Prakti-kumszeit geleistet hat. Wenig hilfreich für den späteren Leser einer Praktikumsbe-stätigung sind dann Hinweise, wo der Praktikant überall reingerochen hat. Es geht eben nicht mehr um Schnupper-praktika, die bei Schülern obligatorisch sind, sondern um Belege der Einsatzfä-higkeit für möglichst verantwortungsvolle Aufgaben. Formt sich über spärliche An-gaben im Zeugnis ein Bild, dass der Prak-tikant als „Mitläufer“ überall dabei war, ist das wenig bis gar nichts wert.

Vielmehr muss die bescheinigte Ar-beitsleistung während des Praktikums deutlich machen, auf welchem Gebiet der Bewerber bereits verwertbare Erfah-rungen gesammelt hat. Kleinere Projekte,

z.B. die Durchführung einer Untersu-chungsreihe, die Bearbeitung einer Web-site, die Organisation einer Veranstaltung, das Verfassen bzw. Veröffentlichen von Fachartikeln oder die Durchführung eines Planungsverfahrens entwerfen beim Rezipienten sofort konkrete Bilder vom möglichen Einsatzspektrum der Kandidaten, die mit solchen handfesten Praktikumsinhalten aufwarten können.

Deshalb ist es absolut empfehlenswert, sich Praktika auszusuchen, bei denen möglichst viel eigenverantwortlich gestal-tet werden kann. Wer sogar „Produkte“ seiner Tätigkeit, sei es eine Publikation oder ein Gutachten, eine Veranstaltungs-dokumentation oder ein Planungskon-zept, liefern kann, hat handfeste Beweise

seiner Einsatzfähigkeit. Somit geht es bei der Praktikumssuche nicht nur um den Zuschlag bei einem möglichst namhaften Unternehmen, sondern auch um die Fra-ge: Bietet mir dieses Praktikum die Mög-lichkeit, nachweisbare konkrete und rele-vante Arbeitserfahrungen zu sammeln? Und diese Frage muss vor Praktikumsan-tritt beantwortet werden können.

„Praktikanten stellen in Vorstellungs-gesprächen zu wenig Fragen“, beklagt die Personalexpertin Katja Ruf (Jobguide

Praktikum, siehe Literatur S. X). Dabei lassen sich gerade in dieser Situation die inhaltlichen Schwerpunkte erfragen bzw. besteht die Möglichkeit, eigene Ideen für die Praktikumsgestaltung zu präsentie-ren. Insofern reicht es nicht, einen Prak-tikumsplatz nur zu bekommen, sondern ein Praktikum muss im Sinne der eigenen Qualifikation weitestgehend mitgestaltet werden können. Und das kommt bei den Arbeitgebern in der Regel gut an, es sei denn, sie suchen tatsächlich billige Ar-beitskräfte. Wer gute Ideen hat, wird viel seltener in Routinetätigkeiten gesteckt als jemand, der auf die Ideen anderer wartet.

Empfehlenswert ist es, diese Inhalte auch in Form einer Praktikumsvereinbarung

schriftlich festzuhalten, schon um Missver-ständnisse zu vermeiden und um spätere Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen (Vorlagen dazu bei fairwork-verein.de).

Bezahlung

Die Zahlungsmoral bei der Vergütung von Praktika hat in den letzten Jahren – sicher auch aufgrund der öffentlichen Diskussi-on – zugenommen. Es gibt zwar immer noch Praktika ohne jede Vergütung, aber

Das Studium allein bereitet meist nicht hinreichend auf den Arbeitsmarkt vor, praktische Erfahrungen während und nach dem Studium sind wichtig für den Einstieg ins Berufsleben. © Sebastian Bernhard/Pixelio

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arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009VI VIIarbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009

arbeitsmarkt

sie sind keinesfalls die Regel. Klar ist aber auch, dass Taschengelder in Höhe von 200 bis 500 € bei einem Vollzeitprakti-kum immer ein Zuschussgeschäft blei-ben, und zwar für die Praktikanten. Denn davon kann keiner leben. Das bedeutet, dass man auf zusätzliche Unterstützung angewiesen ist, Gespartes aufbrauchen oder nebenher (am Wochenende oder abends) noch Geld verdienen muss. Die Finanzierung des Lebensunterhalts durch den Bezug (bzw. Aufstockung) von Ar-beitslosengeld II (Hartz IV) ist bei Einzel-fallprüfung unter bestimmten Vorausset-zungen zwar möglich, aber auch eine umstrittene Finanzierungslösung. Der Vorwurf: Da werden „billige Arbeitskräfte“ mit staatlicher Unterstützung zur Verfü-gung gestellt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert für Studierende eine Min-destvergütung von 300,- € pro Monat, für Absolventen 600,- €. Der Verein Fairwork e.V., die erste Interessenvertretung von Hochschulabsolventen (www.fairwork-verein.de) fordert für Akademiker mit Ab-schluss einen Mindestlohn in Höhe von 750,- €. In der Wirtschaft sind derartige Entlohnungen insbesondere bei großen Betrieben durchaus Realität und werden mitunter sogar übertroffen. Namhafte Unternehmen betreuen sogar mit hohem Aufwand Praktikantenpools, über die sie ihren Nachwuchs rekrutieren. Das rechnet sich durchaus, wenn man berücksichtigt, wie aufwändig sich die Personalauswahl ohne diese Probekandidaten gestalten würde. Kleinere und mittlere Betriebe können sich solche Bewährungscamps nicht leisten und bieten meistens auch weniger Praktikumssalär.

Bei einer Erhebung der Zeitschrift job-guide Praktika wurden für Praktika in der Wirtschaft durchschnittlich 510 bis 560 € für Studierende ermittelt. Dürftiger sieht es aus bei karitativen Einrichtungen, bei kulturellen Institutionen, bei politischen Vereinen und – wer hätte das gedacht – im öffentlichen Dienst. Hier gibt es von Nulltarif aufwärts alle Vergütungen mit nach oben rasch abnehmender Tendenz.

Deshalb sind Praktika bei solchen Institu-tionen nicht per se weniger wert. Wer beruflich genau in diese Bereiche will, muss sich – wie auch immer – mit den Gepflogenheiten der Branche hinsicht-lich Praktikumsvergütung anfreunden und noch kritischer die inhaltlichen Chan-cen und Möglichkeiten bewerten. Dann kann und sollte man im Extremfall auch ein Praktikum antreten, bei dem keine Vergütung möglich ist.

Solche Zeiten sind dann als vorher wohl zu kalkulierende Investition zu betrachten, die Aussicht auf zeitnahe Amortisation haben sollte. Bei Praktika zum Nulltarif lässt sich jedoch nicht sel-ten die für den Praktikanten wirtschaftlich angespannte Lage oft über „sonstige Leistungen“ wie Jobticket, Unterkunft, Verpflegung, Nutzung der Infrastruktur für private Zwecke etc. etwas entlasten. Fa-zit: Praktikumsvergütung ist geboten und eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dennoch ist die Vergütung nicht alles. Selbst ein unbezahltes Praktikum kann – sofern es den Praktikanten wesentlich in seiner Berufsstrategie weiterbringt – mehr wert sein als ein bezahltes.

Wieviel Praxis soll’s denn sein?

Diese Frage wird gelegentlich bei Infor-mationsveranstaltungen in Universitäten gestellt. Erwartet werden dann Zahlen, zumindest Orientierungsgrößen. Man kann dann übliche Werte (z.B. zwei Prak-tika während des Studiums, zwei bis drei danach) angeben, wird der Problematik aber nicht gerecht, es kommt eben dar-auf an ...

Wer schon während des Studiums mehrere Einsätze in der angestrebten Branche absolviert hat, benötigt vielleicht gar kein weiteres Praktikum mehr und kann bereits mit einer examensnahen Bewerbung nahtlos in die Arbeitswelt einsteigen. Das ist zwar selten geworden, kommt aber vor. Und dafür haben wir beste Belege. Nicht wenige Kündigun-gen erreichen uns mit genau solchem Hintergrund. Aber die Feedbacks über

die Leserbriefe machen auch deutlich, dass es in den meisten Fällen mühsamer ist, einen Job zu finden. Besonders für solche, die erst nach den Examina ihren Einstieg angehen und sich um praktische Erfahrungen bemühen.

Aber es geht wirklich nicht um Zahlen. Natürlich hat es seine Wirkung, wenn jemand im Lebenslauf nur ein einziges Praktikum und sonst keinerlei berufliche Erfahrungen aufweisen kann. Ebenfalls fällt es auf, wenn jemand zehn oder mehr Praktika auflisten kann. Allerdings wirft solch eine „Strecke“ von Arbeitsein-sätzen auch Fragen auf. Weiß da jemand nicht, was er will, oder klappt es aus an-deren Gründen nicht mit dem Übergang in die reale Arbeitswelt? Weniger ist auch in diesem Zusammenhang manchmal mehr, besonders dann, wenn sich ein Zusammenhang zwischen Studieninhal-ten, Praktikumseinsätzen und Branchen erkennen lässt. Wer dann bereits seine Studienpraktika mit passenden Inhalten gewählt hat und anschließend zwei bis drei Praktika mit zunehmender Verant-wortungsübernahme und Selbstständig-keit absolviert hat, der dürfte überzeugen können. Wer dagegen über verschiedens-te Praktika erkennbar noch auf der Suche ist nach dem roten Faden in der eigenen Berufsbiografie, macht eher einen zau-derlichen und unfertigen Eindruck, der sich mit der Zahl der bunt aneinander-gereihten Sondierungspraktika verstärkt. Da beispielsweise Naturwissenschaftler nicht selten erst sehr spät über praktische Arbeitsgelegenheiten herausfinden, wo und wie es beruflich weitergehen soll, muss hier eindeutig gewarnt werden vor der beliebigen Anhäufung von Praktika und Jobs. Wer nach fünf oder mehr Prak-tika noch keine konkreten beruflichen Zielvorstellungen hat und keine entspre-chende Bewerbungsstrategie erkennen lässt, muss sich mit den oft sehr persön-lichen Hemmnissen und Stolpersteinen systematisch und schonungslos ausein-andersetzen, gegebenenfalls unter Zuhil-fenahme eines Berufsfindungscoaches. Ist es aber einmal so, dass man sich über

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arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009VI VIIarbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009

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viele Praktika Zeit gelassen hat mit der Orientierung, empfiehlt es sich, bei ge-zielten Bewerbungen nur eine passende und entsprechend ausgewählte Zahl von Praktika anzuführen.

Vor dem Praktikum

Vor dem Praktikum steht die Suche nach geeigneten Praktikumsstellen. Da gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Man bedient sich bei einschlägigen aktuellen Veröffentlichungen wie z. B. dem Jobgui-de Praktikum und sucht unter den dort aufgeführten Firmen und Adressen die geeigneten heraus. Dort finden sich auch großformatige Anzeigen, in denen Prakti-kanten zur Bewerbung aufgefordert wer-den. So groß wie die Anzeigen sind dann auch die Unternehmen, und man findet auf diese Weise zu potenziellen Prakti-kumsträgern von Rang und Namen.Ebenfalls kann man bei den zahlreichen Praktikumsportalen fündig werden, die inzwischen so unübersichtlich geworden sind, dass man sich sehr individuelle Suchroutinen aneignen muss, um nicht den Überblick zu verlieren.

Wer dagegen eher im Mittelstand, bei kleineren Unternehmen oder bei ausge-wählten Institutionen seinen praktischen Einsatz optimieren möchte, muss weit mehr Initiative zeigen. So lassen sich über unsere aktuellen Stellenauswer-tungen eben jene Wunscharbeitgeber herausfiltern, bei denen man sich über ein Praktikum den Einstieg wünscht bzw. entsprechende Erfahrungen für die Zielbranche sammeln möchte. Somit sind unsere Auswertungen auch immer eine wertvoller Adresssammlung für die Initiativbewerbung, teilweise sogar mit Nennung zuständiger Ansprechpartner in den Personalabteilungen.

Bei der Bewerbung, egal ob schrift-lich oder online, sollte man auch als zukünftiger Praktikant alle Ratschläge beachten, die es bei Bewerbungen um richtige Stellen zu beachten gibt. Beson-ders bei Initiativbewerbungen sollte die Recherche über den Wunscharbeitgeber

vor der Bewerbung stehen. Nur mit ent-sprechendem Hintergrundwissen über den Zielbetrieb lässt sich eine Bewebung schneidern, in der man überzeugend kundtun kann, weshalb man gerade bei diesem Adressaten seine Erfahrungen machen möchte, und – noch besser – in wieweit der Arbeitgeber von dem Prak-tikum profitieren kann. Gute Ideen, mit denen man sich als Praktikant einbringen möchte, sind dann der Schlüssel zum Erfolg. Die Kernfragen lauten: Was kann ich für das Unternehmen tun? In welchen Aufgaben und Projekten will ich gerne ar-beiten, und weshalb traue ich mir das zu? Schon im Anschreiben muss klar werden, was man inhaltlich für das Unternehmen zu bieten hat.

Einen Schritt näher am Betrieb ist man bei passenden Recruitingmessen, auf denen sich die Firmen auf der Suche nach Arbeitskräften präsentieren. Da geht es ohne Umschweife um Personal, und es bedarf keiner langen Erklärungen und Rituale. Der Reiz dieser Form von Be-schäftigungsanbahnung liegt in der Nähe zu den Entscheidungsträgern bei gleich-zeitiger Unverbindlichkeit. Wer dagegen weniger bei den großen Unternehmen anheuern möchte, statt dessen lieber im Mittelstand und bei kleineren Einrichtun-gen oder Unternehmen seine berufliche Perspektive sucht, der wird auf solchen Veranstaltungen kaum fündig. Hier bleibt die Recherche nach geeigneten Adres-sen der eigenen Initiative überlassen und bedarf der besonderen Vorbereitung, um nicht als „Blind“-bewerbung unmittelbar entsorgt zu werden.

Während des Praktikums

Einmal dabei, muss das Praktikum gestal-tet, zumindest inhaltlich aktiv mitentwi-ckelt werden, damit man nachher einen wesentlichen Schritt weiter ist als vorher. Dabei sollte man sich auch die Mühe machen, den Verantwortlichen vor Ort zu erläutern, wohin die eigene berufliche Reise gehen soll. Nur dann kann man passende und hilfreiche Unterstützung

erfahren. Besonders wichtig ist, dass es eine bestimmte Ansprechperson gibt, die über die Arbeitseinsatze informiert ist und diese gegebenenfalls koordiniert. In-halte sollten in regelmäßigen Bespre-chungen festgelegt werden. Zielorientier-te Vorgaben mit angemessenen Zeitpla-nungen sollten möglichst schnell eine funktionierende Struktur schaffen. Dazu ist anfangs immer mehr Gesprächs- und Abstimmungsbedarf nötig, denn beide Seiten müssen eine Gratwanderung zwi-schen Weisungsgebundenheit und Selbstständigkeit vollziehen. Wer sich als Praktikant vor Verantwortung wegduckt, vergeudet schnell die wertvolle Zeit in Routinen. Und wer alles schon kann und alleine machen will, der wird schnell zu-rückgepfiffen und lernt nichts von ande-ren.

Sehr hilfreich für die spätere Aus-wertung des Praktikums, für das zu erstellende Zeugnis und zur eigenen Re-flexion ist dabei ein Praktikumstagebuch. Man sollte sich die Mühe machen, die tatsächlichen Arbeitsinhalte zumindest stichwortartig in einen Kalender einzu-tragen, um nicht anschließend wichtige Etappen, Begegnungen oder Arbeitsein-sätze zu vergessen. Auch für den worst case, den tatsächlichen Missbrauch als billige Arbeitskraft, ist eine Dokumenta-tion der tatsächlich verrichteten Arbeiten ein wertvoller Beleg.

Aber es geht schon während des Praktikums um die Gestaltung der Zeit danach. Wo und wie gibt es über den Praktikumsgeber hinaus hilfreiche Kon-takte, die bei der späteren Arbeitsplatz-suche von Nutzen sein können. Solange man als Praktikant tätig ist, kann man sich schließlich noch völlig unverdächtig über die Arbeitsinhalte ins Gespräch bringen und nach dem Praktikum auf den Kontakt zurückgreifen und sich für eventuelle Va-kanzen empfehlen. Das bedeutet auch, herauszufinden, über welche konkreten Tätigkeiten man während des Praktikums am besten mit potenziellen Arbeitgebern in Kontakt treten kann. Nicht schlecht, wenn es gelingt, dass Projektpartner,

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arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009VIII

leserbriefe

sind jederzeit willkommen. Die Redaktion behält sich

Kürzungen vor.

LESERBRIEFE

arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN_38|2009 IX

Geschäftsfreunde, Kunden und Konkur-renten des Praktikumsgebers auf einen aufmerksam werden. Entsprechende Adressen und Kontaktdaten sollte man sich rechtzeitig sichern.

Recht schwer fällt es in der Regel, sich zwischendurch beim Arbeitgeber ein Feedback einzuholen. Gerade bei zielori-entierter Aufgabenübertragung ohne kurz-schrittige Vorgaben sind solche Feedbacks erforderlich, um Fehlentwicklungen bzw. Missverständnisse rechtzeitig zu erken-nen und zu berichtigen. Eine Mischung aus Transparenz und Selbstständigkeit kann beide Seiten schnell zufrieden stel-len. Ebenso sind klärende Worte immer dann angebracht, wenn Überfrachtung, Unterbewertung, zuviel Routine, zuviel Verantwortung (oder zu wenig davon) zu Missstimmungen führen.

Nach dem Praktikum

Wer schon während des Praktikums seine Arbeitseinsätze sinnvoll dokumentiert hat, dürfte bei der anschließenden per-sönlichen Auswertung gut gerüstet sein. Dabei geht es um eine Bewertung der erlebten Praktikumsrealität bezogen auf die ursprünglichen Erwartungen. Was war anders, was war schlechter, was war bes-ser? Und entscheidend: Welche Konse-quenzen ziehe ich daraus? Was muss ich ändern? Stimmt die Branche, und wie geht es weiter?

Wenn man nicht weiß, ob das Prak-tikum etwas gebracht hat, darf es auf keinen Fall weiter gehen wie bisher, vielmehr müssen dann eher grundsätz-liche strategische Weichen gestellt wer-den. Auch das ist dann eine wertvolle, wenngleich eine mühsam erarbeitete Erkenntnis.

Als Praktikant hat man Anspruch auf ein Praktikumszeugnis. Das macht Arbeit und wird nicht selten aufgeschoben. Aber je länger man raus ist aus dem Betrieb, umso lückenhafter ist der Eindruck, den man hinterlassen hat. Solche Zeugnisse fallen dann schnell sehr oberflächlich und wenig aussagefähig aus. Dann wird

einem schon mal augenzwinkernd die Möglichkeit eingeräumt, doch selbst einen Zeugnisentwurf zu schreiben. Das hört sich verlockend an, ist aber eigentlich kaum zu leisten. Man sollte es bei einem Gerüst belassen und die Arbeitsinhalte detailliert aufführen. Das spart dem Praktikumsgeber schon viel Ar-beit. Die Bewertung der Arbeit sollte der Arbeitgeber aber schon selbst verfassen. Das ist immer authentischer. Sollte die Bewertung dann nicht angemessen und förderlich sein, sollte man auf Nachbes-serung drängen.

Was ist fair?

Auf Initiative des Absolventenmagazins Junge Karriere haben sich schon 2004 namhafte Unternehmen zu der Kampag-ne „Fair-Company“ zusammengeschlos-sen. Dazu gehören absolute Marktgrößen

und Dax-Unternehmen wie BASF, Bayer, Coca Cola etc. Diese haben sich mit ih-rem Beitritt einem Kodex zur fairen Ge-staltung von Praktika verschrieben. Dort heißt es: Faire Companies

substituieren keine Vollzeitstellen durch Praktikanten, vermeintliche Vo-lontäre, Hospitanten o. ä.,

... vertrösten keinen Hochschulabsolven-ten mit einem Praktikum, der sich auf eine feste Stelle beworben hat,

... ködern keinen Praktikanten mit der va-gen Aussicht auf eine anschließende Vollzeitstelle,

... bieten Praktika vornehmlich zur berufli-chen Orientierung während der Ausbil-dungsphase,

... zahlen Praktikanten eine adäquate Auf-wandsentschädigung.

Diese Kriterien sind eine passable Richt-schnur zur Beurteilung, ob ein Praktikum grundsätzlich als fair einzuordnen ist. Dennoch muss gerade bei einer so va-gen Begrifflichkeit wie Fairness jeder selbst bewerten, ob er sich subjektiv tat-sächlich fair behandelt fühlt. Gerade bei kleinen und mittleren Betrieben, die in-haltlich für Praktikanten sehr viel zu bie-ten haben (Verantwortungsübernahme!), könnte es z.B. mit der Bezahlung dürftig werden.

Absolut schwierig ist es allerdings, wenn deutlich wird, dass während eines Praktikums nicht der Lernaspekt im Vor-dergrund steht, sondern die Arbeitskraft. Dann ist das nicht nur unfair, sondern schlichtweg illegal. Es handelt sich dann um ein reguläres Arbeitsverhältnis, das entsprechend bezahlt werden muss, so das Arbeitsgericht Kiel AZ 4 Ca 1187d/08 im vergangenen Jahr.

Wer sich für die Frage der Fairness und den rechtlichen Hintergrund im Zusammenhang mit Praktika mehr inte-ressiert, findet umfassende und kritische Informationen bei Fairwork-Verein.de, und in dem empfehlenswerten Band der Mitbegründer von Fairwork: Vom Prak-tikum zum Job, sowie unter students-at-work.de, der Praktikanten-Lobby der DGB-Jugend.

Literaturempfehlungen finden Sie auf Seite X in diesem Heft.

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