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516 atw 57. Jg. (2012) Heft 8/9 | August/September Praktische Thermohydraulik Verstehen durch Sehen Thermohydraulik am Glasmodell eines Druckwasserreaktors Michael Seewald, Essen Das Simulatorzentrum betreibt ein Glas- modell eines 2-Loop-Druckwasserreaktors (KWU-Design) im Maßstab 1:10. Die im Glasmodell beobachtbaren Phänomene sind nachweislich in einem Kernkraftwerk aufge- treten. 2-phasenströmungen können realis- tisch gezeigt werden. Der Reaktorkühlkreislauf des Glasmo- dells einschließlich Druckhalter und Druck- halterabblasetank sowie der Dampferzeuger ist nahezu vollständig aus sehr chemikalien- und temperaturbeständigen Borsilikatglas gefertigt. Am Glasmodell können Übungen aus dem Bereich der betrieblichen Fahrweisen, Stö- rungen und Störfällen sowie thermohydrau- lische Effekte in einem Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor gezeigt werden. Am Glasmodell wird lizenziertes Schicht- personal aus in- und ausländischen Kern- kraftwerken ebenso geschult wie Mitarbeiter aus Fachabteilungen, nicht lizenziertes Schichtpersonal, Mitarbeiter von Behörden und Gutachterorganisationen sowie alle technisch Interessierten, für die thermohyd- raulische Effekte sehenswert sind. Der offizielle Bericht der von Präsident Carter eingesetzten Kommission über den Re- aktorunfall auf Three Mile Island kommt zu der Feststellung, dass der Unfall im Kernkraft- werk Three Mile Island hätte vermieden wer- den können, wenn das Personal das offene Ventil am Druckhalter bemerkt und geschlos- sen hätte; der Unfall in Three Mile Island wä- re ein unbedeutendes Ereignis geblieben. Durch unsere Schulung am Glasmodell leisten wir einen Beitrag, die komplexen Phä- nomene der Thermohydraulik anschaulich darzustellen, damit die Schichtmannschaft gerüstet ist für den Fall, der hoffentlich nie- mals eintritt. Anschrift des Verfassers: Michael Seewald Dozent für Thermohydraulik, Abteilungsleiter Glasmodell KSG Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft mbH GfS Gesellschaft für Simulatorschulung mbH Deilbachtal 173 45257 Essen Das Simulatorzentrum Zum einleitend besseren Verständnis der Aufgaben und Angebote des Simulatorzen- trums der KSG Kraftwerks-Simulator-Ge- sellschaft mbH/GfS Gesellschaft für Simula- torschulung mbH mit Sitz in Essen (Abbil- dung 1) sind folgend einige Daten und Fak- ten aus dem Unternehmensprofil zusam- mengefasst: Aufgabe: Simulatorschulung für 10 Kernkraftwerks- blöcke Erste Kurse: 1977 Gesellschafter: E.ON (D), RWE (D), EnBW (D), Vattenfall (D), EPZ (NL) Personal: 145 Mitarbeiter (50 geprüfte Ausbilder) Ausstattung: 8 Simulatoren in Betrieb 1 Glasmodell Kurse: ca. 400 pro Jahr (4- bis 5-tägig) Teilnehmer: ca. 2.000 pro Jahr Investition: > 350 Mio. € Budget: ca. 26 Mio. € pro Jahr Zertifikat: DIN EN ISO 9001:2008 Die Geschichte des Glasmodells Im Kernkraftwerk Three Mile Island (TMI, USA) ereignete sich am 28. März 1979 ein ernster Unfall (INES-Stufe 5; INES: In- ternational Nuclear Event Scale der Inter- national Atomic Energy Agency – IAEA). Das Kernkraftwerk Three Mile Island liegt auf der gleichnamigen Insel im Susque- hanna River bei Harrisburg in Pennsylva- nia, USA. Im Reaktorblock 2 kam es im Verlauf des Unfalls zu einer partiellen Kernschmel- ze, wobei ca. 1/3 des Reaktorkerns frag- mentiert wurde oder schmolz. Der Schicht- mannschaft war lange nicht bewusst, dass, obwohl der Druckhalterfüllstand sehr hoch war, mehr als die Hälfte des Kerns nicht Abb. 1: Das Simulatorzentrum

Praktische Thermohydraulik Verstehen durch Sehen ......reale Verhalten gemacht werden. Die PKL-Versuchsanlage (Thermohydraulik im Pri-märkreislauf) in Erlangen ist eine Ver-suchsanlage,

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Praktische Thermohydraulik

Verstehen durch Sehen Thermohydraulik am Glasmodell eines DruckwasserreaktorsMichael Seewald, Essen

Das Simulatorzentrum betreibt ein Glas-modell eines 2-Loop-Druckwasserreaktors (KWU-Design) im Maßstab 1:10. Die im Glasmodell beobachtbaren Phänomene sind nachweislich in einem Kernkraftwerk aufge-treten. 2-phasenströmungen können realis-tisch gezeigt werden.

Der Reaktorkühlkreislauf des Glasmo-dells einschließlich Druckhalter und Druck-halterabblasetank sowie der Dampferzeuger ist nahezu vollständig aus sehr chemikalien- und temperaturbeständigen Borsilikatglas gefertigt.

Am Glasmodell können Übungen aus dem Bereich der betrieblichen Fahrweisen, Stö-rungen und Störfällen sowie thermohydrau-lische Effekte in einem Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor gezeigt werden.

Am Glasmodell wird lizenziertes Schicht-personal aus in- und ausländischen Kern-kraftwerken ebenso geschult wie Mitarbeiter aus Fachabteilungen, nicht lizenziertes Schichtpersonal, Mitarbeiter von Behörden und Gutachterorganisationen sowie alle technisch Interessierten, für die thermohyd-raulische Effekte sehenswert sind.

Der offizielle Bericht der von Präsident Carter eingesetzten Kommission über den Re-aktorunfall auf Three Mile Island kommt zu der Feststellung, dass der Unfall im Kernkraft-werk Three Mile Island hätte vermieden wer-den können, wenn das Personal das offene Ventil am Druckhalter bemerkt und geschlos-sen hätte; der Unfall in Three Mile Island wä-re ein unbedeutendes Ereignis geblieben.

Durch unsere Schulung am Glasmodell leisten wir einen Beitrag, die komplexen Phä-nomene der Thermohydraulik anschaulich darzustellen, damit die Schichtmannschaft gerüstet ist für den Fall, der hoffentlich nie-mals eintritt.

Anschrift des Verfassers: Michael Seewald

Dozent für Thermohydraulik, Abteilungsleiter Glasmodell

KSG Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft mbH GfS Gesellschaft für Simulatorschulung mbH

Deilbachtal 173 45257 Essen

Das Simulatorzentrum

Zum einleitend besseren Verständnis der Aufgaben und Angebote des Simulatorzen-trums der KSG Kraftwerks-Simulator-Ge-sellschaft mbH/GfS Gesellschaft für Simula-torschulung mbH mit Sitz in Essen (Abbil-dung 1) sind folgend einige Daten und Fak-ten aus dem Unternehmensprofil zusam-mengefasst:

Aufgabe: Simulatorschulung für • 10 Kernkraftwerks- blöckeErste Kurse: 1977• Gesellschafter:• E.ON (D), RWE (D), EnBW (D), Vattenfall (D), EPZ (NL)Personal: 145 Mitarbeiter • (50 geprüfte Ausbilder)Ausstattung: 8 Simulatoren in Betrieb • 1 GlasmodellKurse: ca. 400 pro Jahr • (4- bis 5-tägig)

Teilnehmer: ca. 2.000 pro Jahr• Investition: > 350 Mio. €• Budget: ca. 26 Mio. € pro Jahr• Zertifikat: DIN EN ISO 9001:2008•

Die Geschichte des Glasmodells

Im Kernkraftwerk Three Mile Island (TMI, USA) ereignete sich am 28. März 1979 ein ernster Unfall (INES-Stufe 5; INES: In-ternational Nuclear Event Scale der Inter-national Atomic Energy Agency – IAEA). Das Kernkraftwerk Three Mile Island liegt auf der gleichnamigen Insel im Susque-hanna River bei Harrisburg in Pennsylva-nia, USA.

Im Reaktorblock 2 kam es im Verlauf des Unfalls zu einer partiellen Kernschmel-ze, wobei ca. 1/3 des Reaktorkerns frag-mentiert wurde oder schmolz. Der Schicht-mannschaft war lange nicht bewusst, dass, obwohl der Druckhalterfüllstand sehr hoch war, mehr als die Hälfte des Kerns nicht

Abb. 1: Das Simulatorzentrum

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Praktische Thermohydraulik

mehr mit dem Kühlmittel Wasser bedeckt war.

Der Grund des Unfalls wird u.a. mit der schlechten Ausstattung des Kontrollraums sowie einer unzureichenden Ausbildung der Mitarbeiter angegeben. [1]

Das ist ein weiser Mann, der sich an eines andern Unfall bessern kann.Martin Luther (1483 bis 1546) deut-scher Theologe und Reformator

Im Kernkraftwerk Biblis Block A kam es am 12. Oktober 1981 (03:52 Uhr) zu einem Notstromfall. Die Anlage wurde gemäß Be-triebshandbuch abgefahren. Beim Absen-ken des Kühlmitteldruckes kam es zu ei-nem plötzlichen starken Anstieg des Druck-halterniveaus. Die Schichtmannschaft wurde Zeuge eines bis dato nicht beobach-teten thermohydraulischen Phänomens – der Deckelblase.

Mitte der 1980er-Jahre haben die Ver-antwortlichen im Kernkraftwerk Biblis fol-gerichtig ein „Glasmodell“ bauen lassen, das in der Lage war, thermohydraulische Phänomene zu zeigen.

Ab 1985 wurde das Glasmodell durch-schnittlich an 40 Tagen im Jahr zur De-monstration von thermohydraulischen Ef-fekten in der Schulung von in- und auslän-dischem Kraftwerkspersonal eingesetzt.

Das Glasmodell

Das Glasmodell (Abbildung 2) ist das Mo-dell eines 2-Loop-Druckwasserreaktors (KWU-Baureihe; Kraftwerk Union: KWU) mit deionisiertem Wasser (Deionat) als Kühlmittel. Es ist weitgehend maßstabsge-treu in einem Maßstab 1:10 gefertigt.

Die Ähnlichkeitstheorie gestattet es, für ein verkleinertes Modell des Reaktorkühl-kreislaufs die Strömungsgeschwindigkei-

ten und die Viskosität der Modellflüs- sigkeit so zu wählen, dass die entstehen-de Strömung der Strömung des Reaktor-kühlkreislaufs im Kernkraftwerk ent-spricht.

Damit können durch Experimente am verkleinerten Modell mit geeignet verän-derten Parametern Vorhersagen über das reale Verhalten gemacht werden. Die PKL-Versuchsanlage (Thermohydraulik im Pri-märkreislauf) in Erlangen ist eine Ver-suchsanlage, die bezogen auf die wichti-gen Größen im Sinne der Ähnlichkeitsthe-orie skaliert ist.

Der Reaktorkühlkreislauf des Glasmo-dells einschließlich Druckhalter und Druckhalterabblasetank sowie der Dampf-erzeuger ist nahezu vollständig aus sehr chemikalien- und temperaturbeständigen Borsilikatglas gefertigt. Wir verwenden, der offensichtlichen Vorteile wegen, demi-neralisiertes Wasser als Kühlmittel. Die Re-geln der Ähnlichkeitstheorie verlangen bei der Verwendung von Wasser für die Zu-standsgrößen Druck und Temperatur Wer-te, die mit dem Werkstoff Glas nicht reali-sierbar sind.Das Glasmodell ist nicht nach der Regel der Ähnlichkeitstheorie konstruiert!

Die maximale Heizleistung des Reaktors beträgt 60 kW. Die maximale Temperatur im Reaktorkühlkreislauf beträgt 130 °C, entsprechend einem Sättigungsdruck von 3 bar.

Die am Glasmodell beobachtbaren Phä-nomene sind nachweislich in einem Kern-kraftwerk oder in einer Versuchsanlage aufgetreten und können durch überlegte Wahl der Randbedingungen gezeigt und stabil gehalten werden.

Ein physikalischer Vorgang am Original wird also auf einen Modellvorgang am Glasmodell übertragen, nicht umgekehrt!

“Wat isse ‘ne Dampfmaschin’?”

„Da stelle mer uns janz dumm, und da sage mer so: En Dampfmaschin, dat is ene jroße schwachze Raum. Der hat hinten un vorn e Loch. Dat eine Loch, dat is de Feuerung. Und dat andere Loch, dat krieje mer später.”

Oberlehrer Bömmel schickt im Filmklas-siker „Die Feuerzangenbowle“ seine Schü-ler auf eine geistige Entdeckungsreise, in-dem er auf kreative Art die Dampfmaschi-ne beschreibt.

Versachlicht würden wir sagen, im Phy-sikunterricht wird eine Wärmekraftma-schine besprochen – wie unromantisch!

Die Filmszene ist gut bekannt. Wir schmunzeln über die Art, wie Bömmel un-terrichtet. Nach Vera Birkenbihl [2] ist der Schluss: Er macht es richtig!

Wenn beim Lernen die „schlummern-den“ Assoziationen „geweckt“ werden, muss weniger Neues gelernt werden und somit ist der „Aufwand“ für das Gehirn ge-ringer.

Die Assoziationen in uns sind also quasi • Ressourcen, die wir beim Lernen einbe-ziehen/aktivieren sollten!Um neue Informationen ins Wissens-• netz einzuknüpfen, können hilfsweise Fäden geknüpft werden, also Eselsbrü-cken, die später wieder verschwinden können [2].

Damit bleibt noch zu klären, wer die Ver-antwortung dafür trägt, dass das Wis-sen ankommt, dass das Wissen eingeknüpft wird, um später abgerufen zu werden.Der Sender trägt die Verantwortung da-für, eine Sprache zu wählen, die der Emp-fänger versteht.Die Kommunikationstheorie geht seit Jahr-zehnten davon aus, dass der Sender ver-antwortlich dafür ist, dass die Botschaft empfangen und verstanden wird.

Mit Sprache ist natürlich nicht nur das Wort gemeint. Sprache schließt die Metho-de, also eine Vorgehensweise, um systema-tisch neue Erkenntnisse beim Empfänger, dem Lernenden, einzuknüpfen, ausdrück-lich mit ein.

Die Natur bietet mit der Physik, speziell mit der Strömungsmechanik, aber auch mit der Thermodynamik, Zusammenhänge an, die Zustandsänderungen in einem Kraft-werk beschreiben. Dies ist durch die ma-thematische Formulierung eindeutig mög-lich. Die Navier-Stokes-Gleichungen sind ein System von nichtlinearen partiellen Dif-ferentialgleichungen 2. Ordnung und kön-nen unter Nutzung des Nabla-Operators für die thermodynamischen Größen Dichte, Druck und Geschwindigkeit in ihrer allge-meinsten Fassung dies sicher leisten. Dem geneigten Leser wird sicher sofort klar, dass es lohnenswert erscheint, eine Methode zu finden, die leichter verständlich und viel-leicht auch anschaulicher ist.Abb. 2: Das Glasmodell

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Praktische Thermohydraulik

Das Glasmodellteam präsentiert ther-mohydraulische Effekte am Glasmodell! Die Teilnehmer an unseren Kursen sind zum einen das lizenzierte Schichtpersonal aus in- und ausländischen Kernkraftwer-ken, zum anderen jedoch auch eine Reihe von Interessierten aus allen Bereichen der Technik:

Mitarbeiter aus Fachabteilungen• Nicht lizenziertes Schichtpersonal (Fach-• handwerker, Schichtschlosser und Schichtelektriker)Behörden und Gutachterorganisationen • (Bundes- und Länderbehörden, GRS, TÜV)Studenten verschiedener Fachrichtun-• genTeilnehmer an Fachtagungen (z.B. • „Druckstöße in Rohrleitungen“ Haus der Technik – HdT)Sonstige interessierte Leute (• Lions-Club, Vereine, Feuerwehr, …).

„Präsentieren“ meint nicht vorführen, nicht mit großen staunenden Augen zuzusehen, sondern wir erklären systematisch, was man sehen kann. Wir beziehen die Vor-kenntnisse der Teilnehmer stets mit ein. Das bedeutet, wir nutzen anschauliche Beispie-le aus der heimischen Küche, dazu werden besonders gerne Kaffeebereiter verwendet, wann immer nötig mit physikalisch mathe-matischem Hintergrundwissen.

Sie fragen sich zu Recht „Kaffeeberei-ter?“ Na klar, in der heimischen Küche sind nahezu alle thermohydraulischen Phäno-mene zu finden, die im Kernkraftwerk auf-treten. Angefangen mit dem Dampfkoch-topf über den Milchwächter bis zur Kaffee-maschine. Wenn Sie neugierig geworden sind, besuchen Sie uns doch mal!

Angeboten werden die Kurse zudem in Deutsch oder Englisch.

Der Umzug

Im Jahre 2002 standen Investitionen für das Glasmodell im Kernkraftwerk Biblis an. Die Leittechnik „Siemens S5“ musste aus-getauscht werden. Am bisherigen Standort des Kernkraftwerkes Biblis wurde beschlos-sen, die nötigen Investitionen von mehre-ren 100.000 € nicht mehr zu tätigen.

Was sollte nun aus dem Glasmodell wer-den? Durch Beschluss des Verwaltungsra-tes der KSG/GfS wurde das Glasmodell in das Simulatorzentrum eingegliedert. Be-tondecken wurden entfernt, neue Decken gegossen, Brandschutzbereiche definiert, die Klimaanlage umgebaut und – last but not least – Nachrüstungen am Glasmodell umgesetzt, um die Sicherheit und das ther-modynamische Spektrum zu erweitern.

Ein neuer Schaltschrank einschließlich der auf Siemens PCS7 umgestellten Leit-technik wurde eingebaut. Die Sicherheit und Verfügbarkeit des Glasmodells konnte

durch den Einbau zusätzlicher Leittechnik, es wurden neben den Regelungen und me-chanischen Sicherheitsventilen Begrenzun-gen eingebaut, um das Modell vor unzuläs-sigen Zustandsgrößen zu schützen, verbes-sert werden. Weitere motorbetriebene Ven-tile sowie eine Kondensatorkühlung mit 9 °C kaltem Wasser haben die Bedienbarkeit erleichtert und die Abkühlgeschwindigkeit signifikant auf 50 K/h erhöht.

Der Seminarraum ist durch eine 50 mbar überdruckfeste Splitterschutzschei-be vom Glasmodell getrennt und bietet mit 3 Großbildprojektoren die Möglichkeit, zu jeder Zeit den Anlagenzustand und den Trend ausgewählter Zustandsgrößen zu beobachten.

Die Gesamtinvestition für den Umzug in das Simulatorzentrum und die Nachrüstung des Glasmodells betrug bisher 1 Mio. €. Weitere Nachrüstungen, um die Beobacht-barkeit von Phänomenen zu verbessern, sind für das Jahr 2012 und 2013 geplant.

Die Sprache, die das Glasmodell spricht war und ist den Kernkraftwerkbetreibern in Deutschland, den Niederlanden, Belgi-en und der Schweiz der Preis wert.

Das Team

Der Begriff „das Glasmodellteam“ wurde im letzten Kapitel bereits verwendet. Wäh-rend der Schulung bilden ein Ausbilder und ein Techniker dieses Team. Der Ausbil-der ist ein in der Simulatorschulung erfah-rener Ingenieur. Neben umfangreichen Kenntnissen der Kraftwerkstechnik, durch-aus mit denen eines Schichtleiters im Kern-kraftwerk vergleichbar, haben die Ausbil-der die methodischen und didaktischen

Voraussetzungen, die Thermohydraulik mit Leben zu füllen.

Der Techniker ist ein ausgebildeter Kes-selwärter und bedient das Modell.

Der Techniker repräsentiert die gesam-te Bedienmannschaft unseres kleinen Kraftwerks „Glasmodell“ (Abbildung 3). Er heizt den Reaktorkühlkreislauf morgens auf, entgast das Kühlmittel (nichtkonden-sierbare Gase sind bei einem Druckbereich < 1 bar besonders störend) und unter-stützt den Ausbilder bei den verschiedenen Übungen.

Die Übungen sind kraftwerksspezifisch in Übungssteuerungen beschrieben. Die gesamte Glasmodell-Gruppe besteht aus 2 Ausbildern und 2 Technikern und erfährt bei Bedarf weitere Unterstützung durch Personal des Simulatorzentrums.

Die Schulungsmöglichkeiten

Am Glasmodell können Übungen aus dem Bereich der betrieblichen Fahrweisen, Stö-rungen und Störfälle sowie thermohydrau-lische Effekte in einem Kernkraftwerk mit Druckwasserreaktor gezeigt werden (Ab-bildung 4).

Phänomene, die spezielle Fahrweisen erforderlich machen, wurden für Kern-kraftwerke in den Niederlanden, in der Schweiz, in Belgien und in Finnland entwi-ckelt und erfolgreich in der Schulung an-gewendet.

Folgende Phänomene (Bsp. Abbildung 5) können in Kernkraftwerken mit einem Druckwasserreaktor auftreten:

Einphasiger Naturumlauf• 2-phasiger Naturumlauf• 2-phasiger Energietransport (Reflux • condenser)

Abb. 3: Der Systemschaltplan des Glasmodells

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Praktische Thermohydraulik

Wasserschläge (Wasserhämmer) in den • LoopleitungenSeparation von Wasser unterschiedli-• cher DichteKonvektiver Wärmeübergang• Unterkühltes Sieden• Blasensieden•

Spezielle Phänomene, die in Kernkraftwer-ken mit Druck- aber auch mit Siedewasser-reaktoren auftreten, sind:

Kavitation• Probleme mit der Deckelkühlung (De-• ckelblase)Ausdampfen heißer Rohrleitungen• Kaltwassersack• Abblasen in Kaltwasservorlagen bei un-• terschiedlichen Temperaturen bis hin zum SiedenKondensationsschläge • kalte Schleichströmungen in heißen • Leitungen Saugwirbel•

Die Phänomene sind nicht auf einen Reak-tortyp festgelegt und keinesfalls vollstän-dig.

Auch Kernkraftwerke mit Siedewasser-reaktoren wissen die Visualisierungsmög-lichkeiten unseres Glasmodells zu schät-zen und nutzen sie. Am Glasmodell wer-den für Kernkraftwerke mit Siedewasser-reaktor spezielle Kurse veranstaltet, wobei die Phänomene anhand von beispielhaften Fahrsituationen auf den Betrieb des Siede-wasserreaktors übertragen werden.

Die Kurse

Kurse am Glasmodell sind mehr denn je ge-fragt. Waren am Standort Biblis nur Son-derkurse, ein- oder mehrtägige Kurse mit An- und Abreise möglich, finden im Simu-latorzentrum auch zum Simulatorkurs be-gleitende Schulungen statt. Dies sind Schu-lungen am Glasmodell, die in den Seminar-

Abb. 4: Schulungsmöglichkeiten am Glasmodell

raumzeiten der Simulatorausbildung (eine Simulatorschulung besteht in der Regel aus 4 h Simulator plus 4 h Seminarraum) statt-finden. Mit anderen Worten:Morgens kann am kraftwerksspezifi-schen Simulator ein Dampferzeuger-heizrohrbruch gemäß Betriebshand-buch gefahren werden, am Nachmittag kann die Schichtmannschaft die gleiche Übung am Glasmodell „sehen“.Das Simulatorzentrum bietet am Glasmo-dell Sonderkurse (1 bis 4 Tage) an. Außer-dem können „Simulator begleitende Kur-se“ jederzeit im Rahmen der Erstschulung, Wiederholungs- oder Sonderkursen ge-plant werden.

Im Mittel wurden in den letzten Jahren mehr als 130 Kurstage (90 Tage Sonder-kurse plus 40 Tage aufsummierte Simula-torkurs begleitende Schulung) an 180 Ka-lendertagen durchgeführt.

Schlussbetrachtung

Es ist eine deutliche Tendenz spürbar, dass nicht nur lizenziertes Schichtpersonal am Glasmodell geschult wird. Mehr und mehr ist es den Kernkraftwerksbetreibern wich-tig; das gesamte technische Personal zu schulen. Die physikalischen Zusammen-hänge sollen verstanden werden, selbst dann, wenn der eigene Anteil am sicheren Kraftwerksbetrieb noch so klein ist.

Der offizielle Bericht der von U.S.-Präsi- dent Carter eingesetzten Kommission über den Reaktorunfall in Three Mile Island kommt zu der Feststellung, dass der Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island hätte vermieden werden können, wenn das Per-sonal das offene Ventil am Druckhalter be-merkt und geschlossen hätte. Der Unfall in Three Mile Island wäre ein unbedeutendes Ereignis geblieben.

Durch die Schulung der KSG/GfS am Glasmodell wird ein wertvoller Beitrag ge-leistet, die komplexen Phänomene der Thermohydraulik anschaulich darzustel-len, damit das Schichtpersonal für die Fälle der Praxis gerüstet ist.

[1] Der Unfall von Harrisburg – Der offizielle Bericht der von Präsident Carter eingesetz-ten Kommission über den Reaktorunfall auf Three Mile Island. Erb Verlag, Düsseldorf 1979, ISBN 3-88458-011-6

[2] Wer agiert als LEHRKRAFT? Jeder Mensch, der Dinge erklärt ... von Vera F. Birkenbihl

Abb. 5: Ein Dampferzeuger während der sekundärseitigen Druckentlastung (SDE)

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