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Praxis und Wirkung von inkrementellen sozialen Innovationen Was macht lokale soziale Innovationen erfolgreich – und woran kann das gemessen werden? Josef Hochgerner Zentrum für Soziale Innovation

Praxis und Wirkung von inkrementellen sozialen Innovationen · Gesellschaft (kleinräumig oder umfassend, bis global, definiert) etwas im normativ positiven Sinn wirksam werden. 4

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Praxis und Wirkung von inkrementellen sozialen InnovationenWas macht lokale soziale Innovationen erfolgreich – und woran kann das gemessen werden?

Josef HochgernerZentrum für Soziale Innovation

Analytische Definition von sozialen Innovationen:

Soziale Innovationen sind

neue Formen praktischen Handelns von Individuen, Gruppen oder Organisationen zur Veränderung von Lebens- und Arbeitsbedingungen in Teilen oder der

Gesamtheit einer Gesellschaft.

Zum Vergleich:Es gibt viele deskriptive, zumeist normative Definitionen, z.B.:

„Soziale Innovationen sind Innovationen, die einem sozialenZweck dienen und gut für die Gesellschaft sind“ (EK u.a.)

SOZIALE INNOVATIONEN IN DER PRAXIS

Kriterien: Was qualifiziert eine soziale Praxis als Innovation?

– Neuheit der Idee: selten absolut meist relativ (nach Ort, Zeit, Schicht etc.)

– Methode und Qualität der Intervention: Zielgruppe(n)rolle, Partizipation?

– Erfolg der Implementierung: Akzeptanz und Effektivität der neuen Praktiken

– Erkennbarer Impact: messbare, bleibende Veränderungen, Außenwirkung

Vgl. „SozialMarie“, International ausgeschriebener österreichischer Preis für Soziale Innovation: www.sozialmarie.org

Erst wenn Wirkungen (‚impact‘) erkennbar sind, ist aus der Idee eine Innovation geworden.

Erfolgskriterien: Neuheit oder Überlegenheit der neuen Praxis gegenüber alten Praktiken (bzw.

Nichtstun); Nutzen für die Zielgruppe (am besten: mit Beteiligung); anhaltende Wirkung;

öffentliche Resonanz und Replizierbarkeit und ‚Skalierbarkeit‘ (nicht immer möglich).

(1) Idee >> Analyse: Was ist das Problem, was die mögliche Lösung?

(2) Intervention >> Ziele definieren, Methoden entwickeln, Unterstützung suchen

(3) Implementierung >> Widerstände überwinden, Praxis ändern, Lebenszyklus prüfen

(4) Impact >> Nicht normativ ‚gut‘ (für alle), relativ für Zielgruppen, Zeit …

UNTERSCHEIDUNG VON IDEE & INNOVATION

Der „4-i Prozess“ der Entwicklung sozialer Innovationen:

Idee Intervention Implementierung AuswirkungenIdee Intervention Implementierung Auswirkungen

Idee

Idee

IdeeIdee

Intervention

Implementierung

Wirkung

Neue od. modifizierte idee

Neue intervention

Implementierung ok

Intervention, 3. Versuch

Lange schwebende idee (n)

Aber: selten ein einfacher, linearer Prozess …

… oft unterbrochen, „zurück auf Feld 1“, iterative Prozesse ...

MÜSSEN INNOVATIONEN SPEKTAKULÄR SEIN ?

Wenige Innovationen haben grundlegend verändernde Auswirkungen (“Radikale Innovationen” oder sog. “Basisinnovationen”),

die meisten sind “inkrementelle” Innovationen, die Bestehendes graduell verbessern und geringere Reichweite haben.

Art derInnovation

Technische Innovation

Soziale Innovation

RadikaleInnovation

InkrementelleInnovation

Wenige mit großem Impact z.B. Telefon

Wenige mit großem Impact z.B. Demokratie

Viele → kumulativer Impactz.B. Unterrichtsdidaktik

Viele → kumulativer Impactz.B. neue Handyfeatures

“SOZIALMARIE” ── österreichischer Preis für soziale Innovaton seit 2005

Teilnahmeberechtigt:Implementierte Projekte sozialerInnovation aus allen Sektoren derGesellschaft (beliebige Rechtsform) inÖ, CR, H, SK und Regionen andererNachbarländer, aber nur bis zu einerEntfernung von 300 km von Wien.

Jährliches Preisgeld :54.000 € (15.000, 10.000, 5.000 und12 mal 2.000) für 15 Preise.Bisher ausgeschüttet: ∑ 582.000 €

Prozess: Ausschreibung Nov.–Feb. länderweise Vorbegutachtung 1. Jurysitzung – Auswahl der 15 Kandidaten für die 3 Hauptpreise

werden besucht (6 bis 8) 2. Jurysitzung – Reihung Hauptpr. Preisverleihung 1. Mai im ORFwww.sozialmarie.org ♦ Gestiftet von der UNRUHE PRIVATSTIFTUNG

Beispiele sozialer Innovationen im Themenfeld Migration-Inklusion:

NameWebseite

Aktion – was geschieht?

Hauptakteur(e)Sektor

Zielgruppe(n) Ziel/Wirkung

Ankommen

www.spielbetrieb.atOberösterreich (Kleinstadt)

Gemischte Schüler-

gruppen entwickeln

Bewegungstheater

Kulturverein Spielbetrieb;

Zivilgesellschaft [ZG]

Neue Mittelschule,

schulisches Umfeld (aus

‚bildungsfernen‘ Familien)

Empowerment, Kultur-

partizipation, öffentlicher

Diskurs

Interkulturelles

Mentoring in Schulen

www.univie.ac.at/alumni.k

sa/ Wien und Nö.

Studierende unterstützen

Kinder und Jugendliche

von 7-18 in Schulen

Plattform für Kulturen,

Integration und

Gesellschaft; ZG + ÖS

(Schulen)

Kinder und Jugendliche

von 7-18 J.

Lösen schulischer Auf-

gaben, Bewusstsein

Gemeinsam leben lernen

www.sozialmarie.org/de/pr

ojects/7114Vorarlberg (Kleinstadt)

„DeutschkursePLUS“ von

Gleichaltrigen für

unbegleitete junge

Flüchtlinge

SchülerInnen (Bun-

desgymnasium) und

Lehrer mit Migranten;

Öffentlicher Sektor [ÖS]

Unbegleitete junge

Flüchtlinge im Alter von

12-18 Jahren

Akzeptanz, Empower-

ment, weite institutionelle

Vernetzung, interkul-

tureller Dialog

PROSA – Projekt Schule

für Alle

www.prosa-schule.orgWien

Basisbildung und Pflicht-

schulabschluss, Demo-

kratie, Interkulturalität

Verein Bildungsinitiative

(von und für

MigrantInnen); ZG + ÖS

(Schulen)

Jugendlich und junge

erwachsene MigrantInnen

ohne Schulabschluss , Be-

darf: Bildung & Sozialkom.

Berufsvorbereitung

(Lehre), Kontakte u.a.

durch Fußball, Café und

Nachbarschaftsinitiativen

Kontaktepool

Sprachencafé - Wien

www.stationwien.com

„Sprachentische“ werden

angemeldet und besucht

Verein für Bildung,

Beratung und kulturellen

Austausch; ZG

Wiener und zugewanderte

Bevölkerung, offen für alle

Schichten & Altersgruppen

Sprachliche u. kulturelle

Vielfalt erleben, Begeg-

nung, gr. Medieninteresse

Beispiele sozialer Innovationen im Themenfeld Migration-Inklusion:

NameWebseite

Aktion – was geschieht?

Hauptakteur(e)Sektor

Zielgruppe(n) Ziel/Wirkung

magdas Hotel

www.magdas-hotel.atWien

MigrantInnen arbeiten im

Hotel; Begegnung/„Social

Dinner“; WG unbegleittete

Ankick durch Caritas, selb

ständiger Betrieb, ‚Space &

place‘, Sozialarbeit.; ZG

Anerkannte AsylantInnen

auf dem Weg zu Beschäf-

tigung, jugendl. Asylsuch.

Arbeits(markt)integration,

Sozialkompetenzen und

empowerment d. migr. Jug.

Displaced

www.displaced.atWien

Schafft mit Flüchtlingen

räumliche Qualität im

größten Aufnahmequartier

Wiens (≈1.200 Personen)

Zwei Professorinnen der

TU Wien, Studierende (LV)

und MigrantInnen;

Sozialdienste; ÖS

Asylsuchende in Warte-

situation (Beschäftigung!),

Frauen auf der Suche nach

Privatheit

Katalysator für Solidarität

und informelles Lernen,

Studierende lernen Praxis

und Sozialkompetenz

NACHBARINNEN in Wien Muttersprachliche Begleitung

für migrantische Familien

www.nachbarinnen.at

Hilfe zur Selbsthilfe durch

vernetzen, begleiten,

‚Gleiche‘ beraten Gleiche,

Schneeballsystem

Verein Nachbarinnen, priv.

Partner und Sponsoren,

öffentl. Fördergeber (MA7/

bm:ask); ZG+ÖS+PS

‚Unsichtbare‘ Mütter migr.

Familien, div. Sprach- und

Kulturgruppen in privaten

und öffentlichen Räumen

Selbstsicherheit, Anerken-

nung, Offenheit, Beschäf-

tigung und bezahlte Arbeit,

Fdg. ihrer Schulkinder

Conclusio

www.sozialmarie.org/de/pr

ojects/5035Salzburg

Inklusion durch Gemein-

wohlarbeit, Maßeinheit ist

Zeit - nicht Geld, ländliche

Region, Nachbarschaftshi.

Verein, von Öst. und Migr.

(Mehrheit) gebildet; ZG

AsylwerberInnen im

laufenden Asylverfahren,

die privat. oder in kirchl./

öff. Heimern wohnen

Sichtbarkeit, Wertschät-

zung, wechselseit. Lernen,

Aufbau von Sozialkapital,

‚praktische Werteschulung‘

Videowegweiser durch d.

Asylverfahrenwww.sozialmarie.org/de/projects

/3550 ♦ Tirol

Niederschwellige Rechts-

information in 8 Sprachen

via Medium Video

Plattform Rechtsberatung:

Sozialarb., Studis, Migrant-

en m. Fluchterfahrung; ZG

MigrantInnen und öst. Ein-

richtungen, die (indirekt)

mit Migr. Zu tun haben

Soziallandesrätin & Öffent-

lichkeit erreicht, UNHCR &

FH nutzen V., Folgeprojekt

„video-guide goes europe“

0

10

20

30

40

50

60

70

Ist schongeschehen

Realistisch zuerwarten

Hoffnungbesteht

Keine, nichtzutreffend

k.A.

Erwartungen für die Zukunft

Übernahme für od. durch neueZielgruppen

Dass die Projektidee verbreitetwird

Dass die Politik das Themaaufgreift

ErwartungenIst

schon geschehenIst realistisch zu

erwarten

Hoffnung besteht:(„Bescheidener Optimismus“)

Keine, nicht zutreffend

k.A.

Übernahme für oder

durch neue Zielgruppen

16

22%

18

25%

22

31%13 3

Dass die Projektidee

verbreitet wird

16

22%

20

28%

21

29%12 3

Dass die Politik das

Thema aufgreift4

6%

19

26%

22

31%25 2

aus: Befragung von Preisträgern 2015

IMPACT VON SOZIALEN INNOVATIONEN

Eine Annäherung zur Charakterisierung von sozialen Innovationen nach Ziel und Reichweite der Wirkung:

Typ A: Erfüllung sozialer Bedürfnisse

Typ B: Veränderung struktureller Herausforderungen

Typ C: Gestaltung von systemischen Entwicklungen

Vgl. Agnès Hubert et al. (BEPA – Bureau of European Policy Advisors) , Brüssel 2010„Empowering people – driving change. Social Innovation in the European Union.“

http://ec.europa.eu/bepa/pdf/publications_pdf/social_innovation.pdf

Weitere grundlegende Fragen zur Analyse und Bewertung der Wirkung von SI:

Normativ „gut“ ? Kontextgebunden?

… für die „ganze Gesellschaft“ (generell)? … für (welche) Teile der Gesellschaft?

… über die Zeit (Generationen) konstant? … von historischem Wandel bestimmt?

Systemisch betrachtet: kompensatorisch? Systemisch betrachtet: komplementär?

Folgerungen:

1. Alle Beispiele bewegen sich zwar im Rahmen großer Herausforderungen und systemischer Probleme, aber Ansatzpunkte sind immer konkrete soziale Bedürfnisse, d.h. es geht um Lebens- und Arbeitsbedingungen in bestimmten Situationen, variierend noch nach Lebensphasen, persönlichen Einstellungen, Kompetenzen und Erfahrungen etc.

2. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts www.SI-DRIVE.eu bestätigen das: Die Vielzahl an sozialen Innovationen zeigt ein Bild von „kleinen“ Projekten und Lösungsansätzen im Meer „großer“ Probleme, die durch die entwickelten Innovationen vielleicht kumulativ, oder – quasi durch „Mutation“ – systemisch bearbeitet werden können. D.h. wir finden unglaublich viele soziale Innovationen des Typs A, aber nur „Projekte“, „Ideen“ und allenfalls „Vorschläge“ zur Lösung von Grand Challenges und Systemfragen der Gesellschaft.

3. Bei der Bestimmung Wirksamkeit geht es gar nicht so sehr darum, welche genauen Eigenschaften eine neue soziale Praxis aufweist, sondern inwiefern sie (a) in Bezug auf soziale (lokale) Bedürfnisse konkrete Arbeits- und Lebensbedingungen verändert, und ob (b) diese Veränderungen an objektiven Indikatoren des Zustands einer Gesellschaft (kleinräumig oder umfassend, bis global, definiert) etwas im normativ positiven Sinn wirksam werden.

4. Einen Ansatz dafür bietet der HDI (Human Development Index) der UN: Daran orientiert kann untersucht werden, ob die durch neue soziale Praktiken veränderten Lebens- und/oder Arbeitsbedingungen Beiträge leisten zu …- Lebenserwartung (bei der Geburt, Veränderung im Lauf der Lebensspanne)- Bildung und Ausbildung (Schuljahre etc.)- Anteil am BIP (Relationen von Einkommen und Vermögen)- Relationen bzw. Positionen der Beteiligten in Bezug auf andere (Un-)Gleichheitsindikatoren wie Gesundheit,

Gesundheit im Alter, politische und kulturelle Teilhabe etc.

Prof. Dr. Josef Hochgerner

Zentrum für Soziale InnovationLinke Wienzeile 246

A - 1150 Wien

Tel. ++43.1.4950442Fax. ++43.1.4950442-40

email: [email protected]

BEISPIELE VON SOZIALEN INNOVATIONEN

… in Teilbereichen gesellschaftlicher Entwicklung

Soziale Innovationen in der Praxis

Alt / historisch früher Neu / aktuell / künftig

Wisenschaft und (Weiter-) Bildung

Wirtschaft, Arbeit / Beschäftigung

Technologien, Maschinen, sozio-technische Systeme

Demokratie und Politik

Sozialsysteme, Gesundheit

Universitäten; Schulpflicht; diverse pädagogische Konzepte (R. Steiner, M. Montessori ...)

Gewerkschaften; Kammern(Wirtschaft, Arbeit); Taylorismus; Fordismus; Selbstbedienung …

Normen und Standardisierung; Technisierung im Haushalt; Verkehrsregeln; Führerschein …

Attische Demokratie; Staat alsjuristische Person; Wahlmodi …

Sozialversicherung; Renten-versicherung; Wohlfahrtsstaat …

TEL (Technology enhanced learning); Web 2.0; social media; Wikipedia; ‘science mode 2’ …

Arbeitszeitkonten; Gruppenarbeit; open innovation; CSR; social entrepreneurship; diversity mgmt.

Open source Bewegung; Selbst-baugruppen Sonnenkollektoren; dezentralisierte Energieproduktion

BürgerInnenbeteiligung; ‘DritterSektor’; multi-level governance

Mindestsicherung, bedingungs-loses Grundeinkommen (→Test FI)

Gesellschaftliche Entwicklung,Veränderungen und Krisen:

Welche Lösungen für soziale Fragen?Evolution

des Gehirns

InnovativeTechnologien

Warum SOZIALE Innovation - jetzt ?

Soziale Innovationen

Kooperative Intelligenz & intelligente Kooperation >> Kulturelle Evolution

29%

45%

4%

19%

3%

Neues Projekt begonnen

ja, eines

ja, mehrere

anders

nein

k.A.

ALLE INNOVATIONEN SIND SOZIAL RELEVANT

Analoge, aber unterschiedliche Kriterien der Innovationscharakteristik:

Technisch-wirtschaftliche Innovationen sind neue Produkte und Verfahren, Organisations- oder Marketingmethoden, die kommerziell erfolgreich werden.

Soziale Innovationen sind neue Formen des Handelns von Menschen (alleine, in Gruppen oder Organisationen), die von den Betroffenen akzeptiert und praktiziert werden.

SOZIALE INNOVATIONEN IN DER PRAXIS, TYP A

Öffentlicher Sektor: Stadt Kapfenberg (AT) – „Zukunft für alle“– Idea >> Problem: Armut – Idee: Unterstützung ohne Stigmatisierung

– Intervention >> „Activity Card“

– Implementation >> Transport, Caritas, Supermarkt, Cafe, Sport, Kultur ...

– Impact >> Partizipation, höhere Lebensqualität und mehr Zusammenhalt

‚3. Sektor‘: Nagykaniza (HU) – „Social housing reconstruction camp“– Idea >> Idee: Mit Arbeit gegen soziale Ausgrenzung, Delogierungsdrohung

– Intervention >> Verhandlungen mit der Stadt: Mietrückstände kompensieren?

– Implementation >> Arbeitscamp, Verträge mit Professionisten, Förderungen, ….camp

– Impact >> Bessere Siedlung, weniger Energiekosten, empowerment, Replikation

Private Wirtschaft: Bank (AT) – „2. Sparkasse“– Idea >> Idee: Privatpersonen in das Finanzsystem re-integrieren

– Intervention >> Kooperation mit Schuldnerberatung, Caritas, Sozialämtern

– Implementation >> Bankkonto mit limitierten Rechten, Beratung/Begleitung durch

– Impact >> Lernen, Inklusion, Selbst-Sicherheit, wird nun allgemeiner Standard