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Predigt Christvesper 2014 Stille Nacht, heilige Nacht, geheiligte Nacht, geweihte Nacht, Weihnacht.... Endlich! Die heilige Nacht ist für uns die Nacht, in der Jesus geboren wurde. Es ist – zumindest in unseren Breitengraden - eine der längsten, tiefsten Nächte, Wintersonnenwende, ab jetzt werden die Tage wieder länger und die Nächte kürzer... Die Christen haben ganz bewusst die Feier der Geburt Jesu in diese dunklen Nächte gelegt. Gott kommt in der schwärzesten Nacht zur Welt. ER schaut nicht kurz bei Tageslicht vorbei. Gott setzt an der dunkelsten Stelle an. ER sucht uns in der Nacht auf. In der Nacht wird er Mensch. Wäre er wirklich einer von uns, wenn er diesen Tiefpunkt gescheut hätte? Ich denke nicht. Denn neben der heiligen Nacht kennen wir doch viele ganz unheiligen Nächte, im ersten Lied haben wir gesungen: Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Darum: die Nacht ist nicht Kulisse für Kerzenscheinromantik und Krippenidylle. Die Nacht ist zutiefst menschliche Erfahrung. Umgekehrt sagen wir ja: Wir machen die Nacht zum Tage, und meinen, wir feiern sie durch, sind fröhlich, ausgelassen bis in den Morgen hinein. da ist dann nichts dunkel. Wunderbar... Wenn wir schlafen und erholt aufwachen...wunderbar! Aber wenn die Nacht Nacht bleibt, dann ist sie schier endlos. Wie lange kann eine Nacht dauern, wenn ich von Schmerzen geplagt im Bett liege? Wenn mir vor dem Morgen graut und ich nicht schlafen kann? Wenn die Einsamkeit mich nicht schlafen lässt. Ganz oft höre ich auch, die Nächte sind kaum auszuhalten kurz nach dem Tod eines Partners...eines geliebten Menschen. Und die Dunkelheit der Nacht kann lange andauern. ...da kann es draußen schon wieder hell werden, aber tief drinnen ist noch tiefe Finsternis. Wir können auch fragen, wo wir im Dunkeln tappen, nicht wirklich vorwärtskommen? Weil wir die anderen, uns selbst, die Welt nicht verstehen.

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Predigt Christvesper 2014 Stille Nacht, heilige Nacht, geheiligte Nacht, geweihte Nacht, Weihnacht.... Endlich! Die heilige Nacht ist für uns die Nacht, in der Jesus geboren wurde. Es ist – zumindest in unseren Breitengraden - eine der längsten, tiefsten Nächte, Wintersonnenwende, ab jetzt werden die Tage wieder länger und die Nächte kürzer... Die Christen haben ganz bewusst die Feier der Geburt Jesu in diese dunklen Nächte gelegt. Gott kommt in der schwärzesten Nacht zur Welt. ER schaut nicht kurz bei Tageslicht vorbei. Gott setzt an der dunkelsten Stelle an. ER sucht uns in der Nacht auf. In der Nacht wird er Mensch. Wäre er wirklich einer von uns, wenn er diesen Tiefpunkt gescheut hätte? Ich denke nicht. Denn neben der heiligen Nacht kennen wir doch viele ganz unheiligen Nächte, im ersten Lied haben wir gesungen: Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Darum: die Nacht ist nicht Kulisse für Kerzenscheinromantik und Krippenidylle. Die Nacht ist zutiefst menschliche Erfahrung. Umgekehrt sagen wir ja: Wir machen die Nacht zum Tage, und meinen, wir feiern sie durch, sind fröhlich, ausgelassen bis in den Morgen hinein. da ist dann nichts dunkel. Wunderbar... Wenn wir schlafen und erholt aufwachen...wunderbar! Aber wenn die Nacht Nacht bleibt, dann ist sie schier endlos. Wie lange kann eine Nacht dauern, wenn ich von Schmerzen geplagt im Bett liege? Wenn mir vor dem Morgen graut und ich nicht schlafen kann? Wenn die Einsamkeit mich nicht schlafen lässt. Ganz oft höre ich auch, die Nächte sind kaum auszuhalten kurz nach dem Tod eines Partners...eines geliebten Menschen. Und die Dunkelheit der Nacht kann lange andauern. ...da kann es draußen schon wieder hell werden, aber tief drinnen ist noch tiefe Finsternis. Wir können auch fragen, wo wir im Dunkeln tappen, nicht wirklich vorwärtskommen? Weil wir die anderen, uns selbst, die Welt nicht verstehen.

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Keine Lösung sehen im Konflikt. Keine Idee haben, um vorwärtszukommen. Immer wieder dieselben Fehler machen... Manchmal leben wir doch so vor uns hin, ohne Lichtblick, grau in grau.... Und da sind auch die Schattenseiten des Lebens. Die Konflikte, die Sorgen in der Familie, im Beruf, so strahlend auch oft alles wirkt. Und da ist die bunte Glitzerwelt, da sind all die Millionen und Milliarden, die in der Weihnachtszeit umgesetzt werden, und auf der anderen Seite ist da bittere Armut und Not. Manchmal gleich neben meiner Türe. Und oft genug ist unsere helle Glitzerwelt Teil des Systems, das es woanders deswegen dunkel macht. Wie gehen wir damit um? Nehme ich diese Dunkelheiten überhaupt wahr, verdränge ich sie oder mache ich die Nacht zum Tage und decke alles zu mit Geschäftigkeit oder oberflächlichem Getue? In tiefster Nacht ist Gott erschienen. Er ist in die tiefste Dunkelheit hineingeboren. In allen Finsternissen und Abgründen, er ist da. In dieser Nacht hat es begonnen. Mitten in der Nacht ist Gott selbst aus seinem Glanz und Licht herausgetreten und zu uns gekommen. Er hat angefangen, wie wir auch anfangen: gefährdet, wehrlos, arm und klein! Gott – ein kleines Kind, ein Neugeborenes in tiefster Nacht – der Welt, den Menschen der Welt ausgeliefert. ER, der Schöpfer des Alls, ER der Herr der Welt, ER die unendliche Zukunft – er wird einer von uns in tiefster Nacht. Es gibt keine Nacht, die er nicht kennt, kein Abgrund, der ihm verborgen wäre – am Anfang ist die Nacht und der Stall, und am Ende das Kreuz – mitten am Tag übrigens. Aber da wird sich dann die Welt verdunkeln – und so auch an die Nacht der Geburt erinnern. Gott wird Mensch – in tiefster Nacht, in der Fremde, wo kein Platz in der Herberge war, sondern nur im Stall – wenigstens hatte Maria es da warm und trocken. Paulus wird später im Titusbrief über das Wunder der heiligen Nacht schreiben, dass da die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes erschienen sind. Deshalb sind wir heute hier: Weil Gott nicht bloß von außen oder oben auf unser Leben schaut, er liebt uns Menschen, also dich und mich so sehr, dass er so wird

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wie wir, er nimmt unser Schicksal auf sich. Kann Gott mehr an unsere Seite treten und den Menschen annehmen, kann er ein deutlicheres Ja sagen zu jedem, zu jeder von uns als er es in dieser Nacht, der heiligen, der Weihnacht, getan hat in dem Kind von Bethlehem? In diesem Kind spricht er zu jedem einzelnen von uns zu: Ich liebe dich, Mensch! Die Liebe Gottes, ist das Geheimnis, das Wunder dieser Nacht, sie ist die Zeitenwende. Die Liebe Gottes erschien in tiefster Nacht. Die Nacht, sie ist seither schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden. Erinnern sie sich? Wir haben es zu Beginn gesungen. Die Zeitenwende ist da! Wenn wir heute hier sind, uns aufgemacht haben, dann trotzen wir der dunkelsten Nacht in uns und um uns herum. Nichts ist schlimmer als Bewegungslosigkeit! Diese Nacht will uns in Bewegung bringen. Und wir haben uns ja aufgemacht, und so sagt Gott nicht nur der ganzen Welt, sondern jedem von uns: Ich bin da, bei dir, ich gehe nicht weg von dir. Was immer du erlebst und durchlebst, durch welches Dunkel dein Weg dich führt, welche Nächte du durchleidest: Ich bin da. und meine Liebe ist unbesiegbar. Nicht groß und mächtig komme ich, sondern so klein und zart, dass auch du mich fassen kannst. Wenn wir das glauben, uns nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich aufmachen, dann ist diese Nacht wirklich heilige Nacht, Weihnacht für uns. Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Die Botschaft der Engel fasst es zusammen. Und wir nennen uns Christen nach dem, der heute geboren ist in tiefster Nacht. Lasst uns das ernst nehmen! Es kann nicht sein, dass wir in unseren Krippenspielen die Herbergssuche Jahr für Jahr nachspielen – und wenn es ernst wird, die zurückweisen, die bei uns anklopfen! Die oft genug aus so tiefer Nacht kommen, dass wir uns das nicht vorstellen können! Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien fliehen,

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Menschen, die traumatisiert sind, verwundet an Leib und Seele. Und Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie sich und ihre Familien ernähren sollen. Es kann auch nicht sein, dass wir Jahr für Jahr die Hirten an unsere Krippen stellen, vielleicht gar Lagerfeuerromantik im Kopf haben, aber arme Menschen heute verächtlich anblicken! Wissen wir, welche Geschichten da dahinterstecken? Und ob wir in der selben Situation nicht auch tief fallen würden? Es kann nicht sein, dass wir die heiligen Drei Könige, die Weisen aus dem Morgenland von Haus zu Haus ziehen lassen, oft genug wird dabei einer schwarz angemalt, aber wenn wir Menschen mit anderer Hautfarbe hier begegnen, dann wechseln wir am liebsten die Straßenseite....oder stempeln sie vorschnell als Schmarotzer ab. Es kann vor allem nicht sein, dass wir freudig in das Gloria der Engel einstimmen, das durch die Nacht schallt – Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, aber immer wieder in die alten Muster von Unfrieden, Hass oder Gleichgültigkeit verfallen. Es kann nicht sein, dass Ausgrenzung und Hass irgendwas retten können! Wir nennen uns Christen nach dem Heiland der Welt, nach dem, der in tiefster Nacht erschienen ist, der die Zeit gewendet hat. Wir Christen machen uns auf, setzen uns in Bewegung, wir feiern, dass die Nacht nicht endlos ist: alle Welt darf es hören, am Ende gibt es volles Geläut wenn wir singen: o du Fröhliche... Und: Wir gehen dahin, wo es noch immer tiefste Nacht ist, und erzählen von der Freundlichkeit und der Menschenliebe Gottes. Und packen mit an und bringen Licht ins Dunkel und Gottes Frieden in die Zeit. Amen.