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Predigt am Sonntag Jubilate (28. April 2015) – Wahlsonntag KV Predigttext: Sprüche 8,2236 Predigtbild: Himmelsscheibe von Nebra Liebe Gemeinde! Heute ist also der Wahltag für den neuen Kirchenvorstand, und im Ge- meindehaus ist schon seit 9:00 Uhr Betrieb mit Wahlmöglichkeit, im Moment jedoch für den Gottesdienst unterbrochen. Ich könnte jetzt viel zu diesem Thema ausführen. Aber offen gesagt, es wird uns heute und in den nächsten Monaten noch beschäftigen, insbeson- dere zur Einführung des neuen Kirchenvorstands am 13. September. Jetzt haben erstmal die Wählerinnen und Wähler das Wort bzw. machen ihre Kreuzchen. Und tatsächlich gibt es noch Grundlegenderes und Wichtigeres als eine Kirchenvorstandswahl, so bedeutend sie für uns wie in jeder anderen Ge- meinde auch ist. Doch auch ein Kirchenvorstand oder dessen Wahl ist ja kein Selbstzweck, sondern dient einer größeren Sache. Und wo findet man diese? Nun, mit dem großen Philosophen Immanuel Kant gesprochen, der sich von zwei Dingen wirklich beeindruckt zeigte: „der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir“, wie er sagte 1 . Das moralische Gesetz in uns ist für Christen zwar eher durch die Gebote Gottes definiert, aber für Kant war das kein Widerspruch, sondern im bes- ten Fall eine Entsprechung. Doch darauf will ich heute gar nicht weiter eingehen. 1 „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir“, in: Kritik der prakti- schen Vernunft (1788).

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Predigt  am  Sonntag  Jubilate  (28.  April  2015)  –  Wahlsonntag  KV  Predigttext:  Spruche  8,22-­‐‑36  Predigtbild:  Himmelsscheibe  von  Nebra    

Liebe Gemeinde! Heute ist also der Wahltag für den neuen Kirchenvorstand, und im Ge-meindehaus ist schon seit 9:00 Uhr Betrieb mit Wahlmöglichkeit, im Moment jedoch für den Gottesdienst unterbrochen. Ich könnte jetzt viel zu diesem Thema ausführen. Aber offen gesagt, es wird uns heute und in den nächsten Monaten noch beschäftigen, insbeson-dere zur Einführung des neuen Kirchenvorstands am 13. September. Jetzt haben erstmal die Wählerinnen und Wähler das Wort bzw. machen ihre Kreuzchen. Und tatsächlich gibt es noch Grundlegenderes und Wichtigeres als eine Kirchenvorstandswahl, so bedeutend sie für uns wie in jeder anderen Ge-meinde auch ist. Doch auch ein Kirchenvorstand oder dessen Wahl ist ja kein Selbstzweck, sondern dient einer größeren Sache. Und wo findet man diese? Nun, mit dem großen Philosophen Immanuel Kant gesprochen, der sich von zwei Dingen wirklich beeindruckt zeigte: „der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir“, wie er sagte1. Das moralische Gesetz in uns ist für Christen zwar eher durch die Gebote Gottes definiert, aber für Kant war das kein Widerspruch, sondern im bes-ten Fall eine Entsprechung. Doch darauf will ich heute gar nicht weiter eingehen.

1 „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir“, in: Kritik der prakti-schen Vernunft (1788).

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Mich interessiert jetzt, passend zum Predigtbild mehr der Blick nach oben, zum Himmel. Und diesen haben Menschen ebenso wie die Vorgänge auf der Erde schon lange beobachtet, auch in biblischen Zeiten. Dies zeigen etwa Worte wie aus Psalm 104: Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. Schon früh haben die Menschen entdeckt, dass alles nach Plan, nach ge-heimen Ordnungen verläuft. Tag und Nacht wechseln sich ab, es gibt verschiedene Zeiten im Jahr, warme und kalte Tage. Die Sonne bestimmt den Tag, nachts erscheint der Mond in verschiedenen Phasen und die Sterne wandern über den Himmel. In der Natur gibt es Werden und Vergehen. Pflanzen blühen und wachsen zu bestimmten Zeiten, Früchte reifen. Usw. Schon der Schöpfungsbericht aus dem ersten Buch der Bibel (Genesis) beschreibt eine Ordnung aller Dinge und Tage, die Gott geschaffen haben soll. Aber auch alle anderen Kulturen, oft schon lange vor den biblischen Auto-ren, haben sich mit den Geheimnissen der Natur beschäftigt und sind da-bei zu oft beeindruckenden Er-kenntnissen gekommen. So auch die Abbildung, die wir von der Himmelsscheibe von Nebra in Sachsen-Anhalt vor Augen haben2. Es war eine archäologische Sensa-tion, als diese Bronzescheibe von zwei Männern im Jahr 1999 ent-deckt wurde – sie gilt als mindes-tens 3600 Jahre alt und soll die äl-teste konkrete Darstellung des Nachthimmels sein. Ursprünglich

2 Näheres dazu u.a. hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Himmelsscheibe_von_Nebra

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waren auf ihr nur die Sterne sowie der große Kreis und die Mondsichel zu sehen. Während die meisten Sterne gleichmäßig über die Scheibe verteilt sind, stehen sieben auffällig eng zusammen, oben rechts auf unserer Abbildung: Dies soll wohl das Siebengestirn im Sternbild Stier darstellen, was damals wichtige Termine für die Bauern waren, wenn man im Frühling und Herbst das Siebengestirn in der Nähe von Mondsichel und Vollmond sehen konn-te. Später erst wurden am linken und rechten Rand goldene Bögen hinzuge-fügt, nur noch der rechte ist zu sehen. Diese hängen wohl mit der Sommer- und Wintersonnenwende zusammen. Noch später erst wurde der goldene Bogen im unteren Bereich der Scheibe hinzugefügt. Doch was waren das für Menschen damals vor 3600 Jahren, die schon so viel genaue Naturkenntnis und Beobachtung bewiesen? Sie waren jedenfalls deutlich intelligenter und fortgeschrittener, als wir uns das oft vorstellen. Natürlich ging es ihnen nicht nur um die ästhetische Be-obachtung der Natur und den praktischen Nutzen, sondern auch um die Frage, welche geheimnisvollen und wohl göttlichen Ordnungen dahinter stehen. Und selbstverständlich wurden damals die Gestirne des Himmels mit ihren Mächten auch kultisch und religiös verehrt. Das hatte zweifelsohne etwas Faszinierendes und keimt auch heute noch auf, wenn etwa Sonnenwendfeste öffentlich gefeiert werden. Dagegen ist nichts zu sagen, man muss sich nur klar sein, dass diese letzt-lich einen heidnischen, also nicht-christlichen Ursprung haben. So wie auch die Himmelsscheibe von Nebra, welche die Sonnenwende eben-falls dokumentiert und vielleicht zu deren Bestimmung benutzt wurde. In Israel dagegen sah man die Kulte um Sonnen, Sterne, Mond und andere Himmelskörper sehr kritisch. Gott allein ist der Schöpfer, das ist die klare Botschaft der Schöpfungsge-schichte, er hat demnach auch Sonne und Mond selbst geschaffen. Sie sind also Geschöpfe, und keine göttlichen Wesen, das ist deutlich.

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Und auf Gottes Weisheit soll alles zurückgehen, die ganze kosmische Ord-nung: Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter – darin steckt die Überzeugung, dass Gottes Weisheit alles andere übertrifft. Schließlich wurde die Weisheit sogar fast zu einer Art eigener Wesenheit, die Gott als erstes erschaffen hat. Davon spricht der heutige Predigttext aus dem Buch der Sprüche in Kapi-tel 8:

22 Der Herr schuf mich vor langer Zeit, ich war sein erstes Werk, noch vor allen anderen. 23 In grauer Vorzeit hat er mich geschaffen; und so war ich schon da, als es die Erde noch nicht gab. 24 Lange bevor das Meer entstand, wurde ich geboren. Zu dieser Zeit gab es noch keine Quellen, 25 und es standen weder Berge noch Hü-gel. 26 Ich war schon da, bevor Gott die Erde mit ihren Feldern erschuf. 27 Ich war dabei, als Gott den Himmel formte, als er den Horizont aufspannte über dem Ozean, 28 als die Wolken entstanden und die Quellen aus der Tiefe hervorsprudelten, 29 als er das Meer in die Schranken wies, die das Wasser nicht über-schreiten durfte, als er das Fundament der Erde legte - 30 da war ich als Kind an seiner Seite. Ich erfreute mich an Gott und seinen Wer-ken, 31 ich spielte auf seiner Erde und war glücklich über die Menschen.

Das Faszinierende an diesem Text ist, dass hier die Schöpfung fast einen spielerischen Charakter bekommt. Und dass diese Weisheit, die auf Grie-chisch übrigens Sophia heißt, wie eine eigene Persönlichkeit erscheint. Man hat später versucht, sie als den Heiligen Geist zu deuten. Oder in Be-ziehung gesetzt zum Sohn Gottes, von dem es ja im Johannesevangelium heißt, dass er als Logos schon ursprünglich bei Gott war und alles durch ihn geschaffen wurde. Jedenfalls hat diese Weisheit etwas ausdrücklich Kind-haftes an sich, die gewissermaßen zu Füßen des großen Schöpfervaters vor unvordenklichen Zeiten spielte – die Erde war dieser Spielplatz. Uns selbst heute stellen diese Worte und Bilder auf einen weiten Raum inmitten ei-ner unglaublich langen Zeitphase.

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Eine wichtige Aussage ist etwa, dass wir uns nicht dem Zufall verdanken, son-dern als Menschen von Gott gewollt sind. Dass Gott tatsächlich Spaß dabei hatte, und äußerst kreativ war, als er die Erde mit den Lebewesen erschaffen hat. Letzteres muss man übrigens nicht wörtlich nehmen und etwa als Konkur-renz zur Kosmologie und Evolutionstheorie auffassen. Sondern es ist eine Aussage über Gott, der uns nicht nur mit tiefem Ernst und völlig humorlos betrachtet. Vielmehr erscheinen wir hier ähnlich der Weisheit wie Kinder in seinem riesigen Garten, der uns zum Leben und, wenn man so will, zum Spielen oder spielerischen Umgang vorgegeben ist. An dem wir uns erfreuen dürfen, in ihm kreativ sein und fleißig. Den wir aber auch nicht zerstören sollen, denn, wie immer man es betrachtet, die Erde sollte für uns heilig sein. Bebauen und bewahren sollen wir sie, so heißt es ebenfalls in einem der ersten Kapitel der Bibel. Also nicht ausbeuten und schon gar nicht zerstören! Das Gleichgewicht zu halten zwischen Fortschritt und Erneuerung auf der einen und Bewahrung der Schöpfung auf der anderen Seite, das ist in der Tat nicht einfach. Aber zu dieser Aufgabe gibt es keine Alternative. Zu viele Menschen hun-gern noch in diesem wunderbaren Garten, viel zu viele sterben, sei es durch Krieg oder Krankheit, Terror oder schlimme Vorfälle wie in der letzten Woche erneut die Ertrunkenen der Flüchtlingsschiffe. Wir können nicht immer etwas tun und nicht allen helfen, mit unseren be-scheidenen Möglichkeiten. Aber einiges vermögen wir eben doch, und das sollten wir denn auch tun mit vereinten Kräften, sowohl der Politik wie auch persönlich. Wie das konkret aussieht, muss jeder für sich selbst ent-scheiden, oder eben gemeinsam in Gremien wie Parteien, Vereinen oder auch Kirchenvorständen und Synoden. Die Schönheit der Natur zu bestaunen, die Großartigkeit vergangener Kul-turen zu bewundern, wie etwa in der Himmelsscheibe von Nebra, das ist

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ganz wichtig, um uns immer wieder zu versichern: Wir gehören zu dieser Welt. Wir sind Teil von ihr. Wir haben nur diese Erde, künftige Kolonialisierungen ferner Planeten et-wa sind noch lange kein ernsthaftes Thema. Und selbst dann hätten wir auch für diese die entsprechende Verantwortung, pfleglich mit ihnen um-zugehen. Bebauen und bewahren wären auch dann die passenden Stichwörter. Und letztlich verweist uns dies alles auf unseren gemeinsamen Ursprung, hin auf Gott, hin auf den Schöpfer, den Vater des Himmels und der Erde. Wenn wir uns mit ihm verbunden wissen, durch die Natur als Schöpfung, durch Taufe und Glauben, durch Gottesdienst und gerechtes Handeln, letztlich durch das moralische Gesetz in uns und den bestirnten Himmel über uns, um noch einmal Immanuel Kant zu bemühen – dann wissen wir, wo wir auf ewig hin gehören. Und das ist nicht wenig, sondern unendlich viel. Machen wir etwas daraus für unser Leben, auch ganz persönlich vor Ort und für uns. Ausgespannt zwischen Himmel und Erde – mit Jesus Christus im Herzen und der Kraft des Heiligen Geistes von oben. Wer weiß – vielleicht freut sich und lacht sogar die Weisheit, die Sophia in uns und macht uns immer wieder von neuem fröhlich – das wäre schön. Amen.