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Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Theologische Fakultät
HS: Homiletik II
Sommersemester 2009
Predigtarbeit zu Exodus 32,7-14
Antje Micheel-Sprenger
Lokfeld 22a 23858 Barnitz
Ev. Theologie 7. Semester
04533/5008
2
Inhaltsverzeichnis
1. Erstbegegnung mit dem Predigttext………………………………. 3
2. Exegetische Reflexionen………………………………………….. 5
3. Systematisch-theologische Reflexionen………………………….. 7
4. Impulse aus Alltag und Kultur……………………………………. 9
5. Homiletische Überlegungen………………………………………. 12
6. Predigt zu Exodus 32, 7-14……………………………………….. 15
Literaturverzeichnis………………………………………………. 21
3
1. Erstbegegnung mit dem Predigttext
Meine Erstbegegnung mit dem Predigttext stand unter dem unmittelbaren
Eindruck der Entscheidung für die Einführung einer „Offenen
Ganztagsschule“ an meiner Schule. Als befürwortendes Mitglied der
Arbeitsgruppe und der Schulkonferenz war ich selbst Teil eines engagiert und
kontrovers geführten Dialogs um diese neue Konzeption. Der Dialog zwischen
Gott und Mose in Exodus 32, 7-14 hat mich in seiner Dynamik und
emotionalen Aussagekraft an diese vorangegangene Entscheidungssituation,
insbesondere an den kommunikativen Prozess, erinnert. Im Predigttext
„fechten“ Gott und Mose verbal um die Zukunft des israelitischen Volkes
bzw. um die Erfüllung der Verheißung. Dem zürnenden Gott stellt sich Mose
entgegen und bittet Gott stellvertretend für sein Volk darum, die angekündigte
Vernichtung zurückzunehmen. Dabei stellte sich mir immer wieder die Frage:
Wie kann Kommunikation gelingen - auf zwischenmenschlicher Ebene, aber
auch zwischen Mensch und Gott?
Die Dynamik des Textes wurde mir noch einmal in besonderer Weise bei
einem Spaziergang in die nähere Umgebung bewusst. Ich las den Bibeltext auf
einer Bank, von der ich - wie auf einem Plateau - in die Ebene heruntersah.
Die Ruhe auf der Anhöhe genießend, schaute ich auf die Geschäftigkeit
verschiedener landwirtschaftlicher Fahrzeuge auf zwei Feldern hinab. Meine
Aufmerksamkeit wurde durch dieses Erlebnis besonders auf die Intimität und
Intensität des Dialogs auf dem Horeb gelenkt. Unabhängig von den
gottesfernen Aktivitäten des Volkes am Fuße des Berges, die zwar Thema des
Dialogs sind, ringen auf dem Berg Gott und Mose leidenschaftlich um eine
tragfähige Fortsetzung der Beziehung miteinander.
Zugleich verdeutlichte mir der Ort meiner Lektüre auch den dramaturgischen
Aufbau der Perikope. Die beiden Imperative in V.7 „geh, steig hinab“
verstärken die Zerstörungsabsicht Gottes in lokaler Hinsicht: Mit dem Abstieg
Moses soll der Niedergang des israelitischen Volkes besiegelt werden. In V.11
stellt sich Mose durch sein Flehen dieser verhängnisvollen Ankündigung
entgegen, der freie Fall ins Bodenlose wird unterbrochen. Doch erst in V.14
wird durch den sehr kurzen, unscheinbaren Satz die Spannung aufgelöst und
die Rettung angekündigt. An diesem Nachmittag entschied ich, den
4
kommunikativen Prozess zwischen Gott und Mose in den Mittelpunkt meiner
Betrachtungen zu stellen.
Besonderes Interesse erweckte bei mir die Fürbitte Moses. Wie redet Mose
hier mit Gott, was lässt sich für die Gebetspraxis daraus lernen? In V.11 heißt
es: „Mose aber flehte vor dem Herrn“. Einerseits beeindruckte mich der Mut
Moses, sich Gott trotz des gewaltigen Zorns vertrauensvoll im Gebet
zuzuwenden. Mose resigniert und schweigt nicht angesichts der furchtbaren
Vernichtungsandrohung, sondern redet mit Gott.
Gleichzeitig erinnerte mich die Intensität seines Gebetes, in das Mose alles
hineinlegt, an eigene Gebetserfahrungen. Im Mai 2009 nahm ich auf dem
Kirchentag in Bremen an einer Anleitung zum Herzensgebet durch Rüdiger
Maschwitz teil, die mich sehr berührte und mir das Gebet als Kraftquelle auf
eine andere Art erschloss. Darüber hinaus hatte ich bereits mehrfach die
Verbindung von körpersprachlichen Elementen und Gebetsworten im
Ansverushaus in Aumühle als spirituelle Bereicherung erfahren. So entstanden
erste Überlegungen, inwiefern die Ansprechbarkeit Gottes durch das Gebet
vielleicht auch im Rahmen einer Predigt über Exodus 32, 7-14
körpersprachlich zu vermitteln wäre1.
Während mich Moses Gottvertrauen bereits bei der ersten Begegnung mit dem
Predigttext beeindruckt hatte, verunsicherte mich die anthropomorphe
Darstellung Gottes zunächst. Gott zeigt sich trotz seiner Größe menschlichen
Argumenten gegenüber zugänglich und lässt sich offensichtlich von Mose
überzeugen. Die nachträgliche Reue Gottes wirkt wie eine schuldbewusstes
Eingeständnis. So stellten sich mir Fragen wie: Warum muss Gott sich als
allmächtiger Gott an seine Verheißungen erinnern lassen? Kann Gott treu sein,
wenn er seine Meinung ändert und umkehrt? Diese Fragen veranlassten mich,
mein eigenes Gottesbild zu reflektieren und gleichzeitig zu überlegen, ob
dieses anthropomorphe Gottesbild in die heutige Zeit passt.
1 In Verbindung mit Moses Fürbitte hatte ich zunächst auch die Idee über die Rolle von Bildern (Vorbild und Abbild) zu predigen, doch die oben genannten Aspekte beschäf- tigten mich sehr viel intensiver.
5
2. Exegetische Reflexionen
In Bezug auf den vorliegenden Predigttext interessiert zunächst, in welchem
größeren literarischen Zusammenhang der Dialog zwischen JHWH und Mose
steht. Bei der literarkritischen Analyse von Exodus 32 fällt auf, dass die V.1-
6 wie auch die folgenden V.15-29 ausschließlich das israelitische Volk und
sein Handeln am Fuße des Berges betrachten und narrativ von der dortigen
Situation berichten. Die V.7-14 beschreiben hingegen das kontroverse
Zwiegespräch zwischen JHWH und Mose auf dem Horeb, das thematisch auf
das abtrünnige Verhalten des Volkes bezogen ist und dieses bewertet. Der
Wechsel des Ortes, der Personenkonstellation und des Erzählstils zur direkten
Rede verdeutlichen, dass diese acht Verse unabhängig gestaltet wurden und
ein in sich geschlossenes Textkorpus bilden. Die Kohärenz des Textes wird
nur durch eine zweite Redeeinleitung in V.9 in Frage gestellt, die nach der
bereits in V.7 erfolgten Einleitung redundant ist.
Die diachrone Analyse führte zu der Feststellung, dass dieser Dialog zwischen
Mose und JHWH im Pentateuch zweifach überliefert wird. Neben der
Darstellung in Ex 32,7-14 berichtet Dtn 9,12-14, 18+19, 25-29 ebenfalls über
dieses Gespräch auf dem Horeb, allerdings ausführlicher und aus der
Perspektive des Mose. Dort schildert Mose als Ich-Erzähler dem Volk, was
JHWH ihm in diesem Gespräch mitteilte. In V. 19 verbalisiert er dabei auch
seine Emotionen angesichts der angedrohten Vernichtung: „Denn ich fürchtete
mich vor dem Zorn und Grimm, mit dem JHWH über euch erzürnt war, dass
er euch vertilgen wollte“. Dieser Satz veranschaulicht explizit die seelische
Verfassung Moses, die in Ex 32,11 nur implizit durch das Verb „flehte“ (hebr.
) angedeutet wird. Der auktoriale Erzähler des Predigttextes hingegen
beobachtet das Gespräch zwischen JHWH und Mose eher in der Rolle eines
Protokollanten. Offensichtlich war es dem Verfasser von Exodus 32,7-14
wichtiger zu zeigen, dass JHWH und Mose als gleichwertige Dialogpartner
miteinander kommunizieren. Dieses macht der rhetorisch und kompositorisch
eindrucksvoll gestaltete Aufbau der Perikope deutlich. Der
Argumentationskette von JHWH, der das Volk vernichten will, weil es seine
Autorität ablehnt und einen anderen Gott in Form des Goldenen Kalbes
6
anbetet und ihm opfert, wird eine entsprechende Gegenrede des Mose
gegenübergestellt. Hierin gelingt es Mose mithilfe von drei Argumenten
erfolgreich, JHWH zu überzeugen, seinem Volk treu zu bleiben und die
Verheißungen zu erfüllen2.
Die sprachliche Analyse dieser Argumentation wurde durch die beiden
folgenden Aspekte für meine Predigt relevant:
a) Zum einen wird durch die unterschiedliche Verwendung desselben
Begriffes mit identischem Suffix ( 2.m.Sg. „dein Volk“) die
Zuständigkeit für das israelitische Volk zwischen JHWH und Mose hin- und
hergeschoben. JHWH zürnt in V.7b gegenüber Mose, „dein Volk…hat
schändlich gehandelt“. Ebenso verwendet Mose in seinen Worten gegenüber
JHWH zweimal „dein Volk“ (V. 11b+12b) und weist damit eindeutig JHWH
die Führungsgewalt über das israelitische Volk zu. Während JHWH so seine
Enttäuschung und Distanz gegenüber den Israeliten, die einen anderen Gott
verehren, zum Ausdruck bringt, intendiert Mose JHWH zu erinnern, dass er
durch den Exodus und die Verheißungen historisch und teleologisch an sein
Volk gebunden ist.
b) Zum anderen wird auf der semantischen Ebene sichtbar, dass die
Kommunikation zwischen JHWH und Mose von anthropomorphen Begriffen
geprägt ist, die die Emotionalität dieses Gesprächs unterstreichen. Hierzu
zählen Begriffe wie „Zorn“ (V.10a,11b,12b) und „Reue empfinden“
(V.12b+14). Zorn ist einer der stärksten Affekte, und das in dieser Perikope
verwandte hebräische Nomen bezeichnet synonymisch den Begriff
„Nase“. Beide Wortbedeutungen sind auf das Verb zurückzuführen, das
das Schnauben der Nase bezeichnet3. Hieran wird deutlich, dass Affekte auch
körperlich widergespiegelt werden und die Kommunikation der Dialogpartner
nicht nur auf kognitiver Ebene verläuft.
2 Eine gute und ausführliche Darstellung in: Dohmen, Christoph, Exodus 19-40,HThK AT,
Freiburg 2004, S. 303 -305. 3 Miggelbrink, Ralf, Der Zorn Gottes. Eine systematisch-theologische Untersuchung in praktischer Absicht, Freiburg 2000, S.63.
7
Die V.11-13 sind nicht nur inhaltlich und durch die Redeeinleitung „Mose
flehte vor JHWH“, sondern auch formgeschichtlich als Gebet zu erkennen.
Die Gottesanrufung, die beiden klagenden Fragesätze mit dem Pronomen
wie auch die als Bitten formulierten Imperative und bilden
gattungstypische Elemente der Klagelieder4. Wie ein Psalmbeter wendet sich
Mose im festen Vertrauen an JHWH. Allerdings bittet er nicht um eigene
Belange, sondern stellvertretend als Anwalt für sein Volk. Sein Gebet, das den
größten Teil der Perikope ausmacht, bewirkt, dass JHWH das angedrohte
Unheil bereut. Somit übernimmt JHWH in V. 14 auch wieder die
Verantwortung für sein Volk (hebr. ). Die sorgfältig gestaltete Fürbitte
macht deutlich, dass der Verfasser der Perikope zeigen wollte, wie „Gottes
Zorn durch Klagen und Beten abgewendet und seine `Reue´ hervorgelockt
werden“ konnte 5.
Meine eigene Übersetzung der Perikope hat in semantischer und syntaktischer
Hinsicht keine elementaren Abweichungen vom Luthertext und andere
relevante Erkenntnisse ergeben, sodass ich die Lutherübersetzung für meine
Predigt verwandte.
3. Systematisch-theologische Reflexionen
Bei meinen Überlegungen habe ich mich auf die Frage konzentriert, wie die
personalen Eigenschaften Zorn und Reue auf Gott zu beziehen sind.
Grundlegend ist dafür die im christlichen Verständnis unbestrittene
Erkenntnis, dass nach 1.Joh.4,16 Gottes Wesen Liebe ist und göttliches
Handeln insofern immer unter dem Aspekt dieser Liebe zu begreifen ist. In
Exodus 32 resultiert der Zorn Gottes aus der Sündhaftigkeit des Volkes Israel,
das ein Goldenes Kalb als Kultbild verehrt und sich somit von Gott abkehrt.
Anders als menschlicher Zorn, der oft auch aus gekränkter Eitelkeit entsteht,
4 Gunkel, Hermann, Einleitung in die Psalmen. Die Gattungen der religiösen Lyrik Israels, Göttingen 41985, S. 212 ff. 5 Aurelius, Erik, Der Fürbitter Israels, Stockholm 1988, S. 97.
8
tritt hier Gottes Zorn als Ausdruck seiner verletzten Liebe zutage6. Gott ist
zornig, weil sich sein Volk, das er liebt, selbst schadet, wenn es sich von ihm
abwendet. Sein Zürnen ist deshalb leidenschaftlicher Ausdruck dafür, dass
Gott die Beziehung zu seinem Volk und im weiteren Verständnis zu allen
Menschen geradezu am Herzen liegt: „ `Liebe´ ohne solchen heiligen Zorn
wäre keine echte Liebe. Sie wäre im besten Fall Freundlichkeit, im
schlimmsten Fall Gleichgültigkeit“7. Insofern ist Gottes Zorn nicht als Affekt
oder Eigenschaft, sondern immer als Ausdruck seiner Liebe zu den Menschen
zu verstehen.
Menschliche Reue versteht man im Allgemeinen so, dass ein Mensch sich
seiner Schuld bewusst wird und anschließend Verantwortung für sein
unangemessenes Tun oder Denken übernimmt. Die Reue Gottes hingegen
impliziert kein Fehlverhalten Gottes, sondern ist als Reaktion auf
menschliches Verschulden zu begreifen, das die Menschen selbst in ihrer von
Gott gewährten Freiheit verursacht haben8. Durch Moses Fürbitte in Ex.32,11-
13 bereut Gott im Bewusstsein seiner Liebe die angedrohte Vernichtung
seines Volkes und nimmt die Strafe zurück. Er lässt sich durch Mose
ansprechen und an seine Verheißungen erinnern. Dieser Aspekt verdeutlicht,
dass Gott den Menschen als sein Gegenüber ernst nimmt und eine
Gemeinschaftsbeziehung will9.
Ausdruck der engen Beziehung zwischen Gott und Mensch ist das Gebet.
Indem Mose seine Fürbitte vor Gott bringt, äußert er Vertrauen und Hoffnung,
dass sie erhört wird. Es ist eine anthropologische Grundannahme, dass man
sich in der Not nur an jemanden wendet, von dem man sich nicht
grundsätzlich verlassen fühlt und auch Hilfe erwarten kann. „So ist das Gebet
nicht nur Ausdruck und Aussprache dessen, was einen Menschen bewegt,
sondern auch Akt des Sich-Öffnens und des Empfangens dessen, was Gott
gibt.“10
Das bedeutet zugleich, dass der Mensch im Gebetsvollzug nichts von
6 Vgl. Volkmann, Stefan, Der Zorn Gottes. Studien zur Rede vom Zorn Gottes in der evangelischen Theologie, Marburg 2004, S. 254 7 Härle, Wilfried, Dogmatik, Berlin/New York 32007, S. 269. 8 Huxel, Kirsten, Art. Reue, in: RGG
4 7(2004) Sp.468.
9 Vgl. Härle, Wilfried, Spurensuche nach Gott. Studien zur Fundamentaltheologie und Gottes- lehre, Berlin/New York 2008, S. 353. 10Härle, Dogmatik, S.302.
9
Gott erwirken kann, aber die Bereitschaft mitbringt, sich von Gott beschenken
zu lassen.
Diese systematisch-theologischen Reflexionen veränderten auch meine
Haltung gegenüber dem im Predigttext dargestellten Gottesbild. So hatte die
sehr anthropomorphe Darstellung Gottes in Exodus 32,7-14 bei der
anfänglichen Lektüre dazu geführt, dass ich die oben näher betrachteten
Reaktionen wie Zorn und Reue im Sinne personaler Eigenschaften Gottes,
nicht aber als Eigenschaften der göttlichen Liebe aufgefasst hatte. Durch diese
Irritation wurde mir allerdings auch bewusst, dass die Gottesdienstbesucher
und -besucherinnen beim Hören des Predigttextes durch das anthropomorphe
Gottesbild ähnlich verunsichert sein könnten. Diesen Aspekt galt es bei der
Erarbeitung der Predigt zu bedenken.
4. Impulse aus Alltag und Kultur
Assoziativ hat mich die Lektüre des Predigttextes sofort an die Rede von
Astrid Lindgren erinnert, die sie bei der Entgegennahme des Friedenspreises
des Deutschen Buchhandels 1978 in Frankfurt hielt11
. In ihrem Beitrag
„Niemals Gewalt“ plädierte die bekannte Kinderbuchautorin für eine freie
Erziehung, die von Respekt und Achtung, nicht aber von Gewalt
gekennzeichnet sein sollte. Sie erzählte in diesem Zusammenhang die
fesselnde Geschichte einer Mutter, die ihr Kind auf autoritäre Weise bestrafen
will. Als der Junge aber einen Stein als Prügelinstrument beibringt, erkennt
die Mutter durch die Perspektive ihres Sohnes, dass ihre Erziehungsnormen
nicht der Liebe, sondern der Gewaltbereitschaft untergeordnet sind. Weinend
bereut sie ihr Vorhaben.
Nachdem ich diese Geschichte vor einigen Jahren das erste Mal gehört hatte,
legte ich selbst einen Stein als „Mahnmal“ für die achtsame Erziehung der
eigenen Kinder auf mein Küchenregal. Die mit Zorn angedrohte Strafe wie
auch die durch das Vertrauen des Kindes bewirkte reuevolle Umkehr der
11 Lindgren, Astrid, Niemals Gewalt (PDF-Dokument, http://www.boersenverein.de/sixcms/ media.php/806/1978_lindgren.pdf) , abgerufen am 30.04.2009.
10
Mutter spiegeln geradezu beispielhaft das in Exodus 32,7-14 dargestellte
Geschehen. Die Parallelität beider Texte auf kognitiver und emotionaler
Ebene ermöglicht eine Übertragung der biblischen Perspektive in die
Lebenswirklichkeit von Eltern und Kindern. In der Gegenüberstellung von
Erzählung und Predigttext können außerdem Zorn und Liebe als geschlechts-
unspezifische Eigenschaften erfasst werden, weil die Autoritätsperson in
Lindgrens Erzählung weiblich ist, während Zorn und Strenge in der biblischen
Gottesrede vorrangig durch männliche Metaphern dargestellt werden12
.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Dialog zwischen Gott und Mose kamen
mir immer wieder umgangssprachliche Redewendungen in den Sinn, die
alltäglich in Gesprächen zu hören sind. Dieses sind Sätze wie „Der lässt nicht
mit sich reden!“, wenn sich jemand aus Sturheit oder anderen Motiven einer
Kommunikation verweigert, oder „Ich habe einen guten Draht zu ihr.“ als
Zeichen für die Ansprechbarkeit und Berührbarkeit von Menschen. Solche
„Sprüche“ verdeutlichen, dass Kommunikation eine elementare Bedeutung für
das Gelingen von Beziehungen bzw. für die Interaktionsfähigkeit von
Menschen besitzt. Nur wer sich mitteilt, kann eine zwischenmenschliche Basis
aufbauen und hoffen, dass das Gegenüber die dargestellte Perspektive versteht
oder, wenn erwünscht, auch Hilfe leistet. Das gilt im übertragenden Sinne
ebenso für das Gespräch mit Gott. Dort, wo Menschen kommunizieren, auch
im Gebet mit Gott, schwingt diese Hoffnung immanent mit.
In diesem Zusammenhang interessierte mich auch, wie die Gesprächspartner
im vorliegenden Predigttext miteinander kommunizieren. Das
anthropomorphe Gottesbild verdeutlicht, dass Gott aus Liebe zu den
Menschen bereit ist zuzuhören, sich erinnern zu lassen und seine Perspektive
zu verändern. Das Kommunikationsverhalten vieler Führungspersonen in
Wirtschaft und Politik spiegelt diese Haltung nicht wider, wie die Medien
immer wieder berichten. Autorität und Professionalität sollen offensichtlich
eher durch den Anspruch der Unfehlbarkeit und Machtdemonstrationen als
durch ethische Überlegungen und reflektiertes Handeln erreicht werden.
Durch einen Hinweis aus der Seminargruppe wurde ich auf einen Artikel in
der Süddeutschen Zeitung über Kommunikationsprobleme führender
12 Vgl. Härle, Dogmatik, S. 254 f.
11
Manager13
aufmerksam, der diese falsch verstandene Führungskultur deutlich
kritisiert. Gerade Kommunikationsbereitschaft, Reflexion und Korrektur
zeichnen eine verantwortungsbewusste Führungskraft aus, wie das in Exodus
32,7-14 gezeigte Gottesbild überzeugend darstellt. Diese Aspekte lassen sich
auf alle Bereiche unserer Gesellschaft übertragen, wenn es um die Maxime
verantwortlichen Handelns geht.
Durch eine aktuelle Begegnung mit Vera Lengsfeld erschien mir Mose in der
Rolle des Fürsprechers für sein Volk (oder „Fürbitters“ wie E. Aurelius ihn
treffend bezeichnet14
) als ein Vorläufer des modernen Bürgerrechtlers. Im Mai
dieses Jahres erlebte ich die Referentin bei einem Vortrag über ihr
Engagement in der Bürgerrechtsbewegung der DDR während der 80er Jahre.
Sehr beeindruckt hat mich dabei der couragierte, aber friedliche Einsatz der
Referentin gegen ein übermächtiges Regime. Auch sie übernahm, ähnlich wie
Mose in der Exodusperikope, uneigennützig Verantwortung und Stimme für
Mitmenschen in einer äußerst schwierigen Situation. Anlässlich des 20.
Jahrestages des Mauerfalls wäre es durchaus angemessen, einen solchen
Vergleich einzubeziehen.
Eine von Jugendlichen oft als Unmutsbekundung verwandte Geste war
impulsgebend für meine Idee, den Kommunikationsprozess zwischen Gott
und Mose durch unterschiedliche Gebärden anschaulich zu machen. Um das
Missfallen gegenüber einer Darstellung oder Handlung zu verdeutlichen, wird
die Hand zu einer Faust geballt und der Daumen anschließend senkrecht nach
unten gehalten. Diese Geste wurde ursprünglich bei römischen
Gladiatorenkämpfen eingesetzt, um das Todesurteil für den Besiegten
anzuzeigen. Darüber hinaus spielt die Hand auch in der Körpersymbolik der
Bibel eine bedeutende Rolle15
.
Es erschien mir sinnvoll, gegensätzliche Gesten auszuwählen, die dem Duktus
des Dialogs zwischen Gott und Mose entsprechen und zugleich die Intention
des jeweiligen Sprechers veranschaulichen. Ich übernahm dafür aus dem
13 Meyer, P., Führungskultur. Die verstockte Elite, in: Süddeutsche Zeitung vom 21.06.2009 (WWW-Dokument, http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/35/472558/text/print.html), abgerufen am 22.06.2009. 14 So der Titel des genannten Buches: Aurelius, Erik, Der Fürbitter Israels, Stockholm 1988. 15 Vgl. Schroer, Silvia, Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 1998, S. 175 ff.
12
Predigttext die Begriffe „Zorn“ (V. 10, 11 u. 12) und „flehte“ (V. 11), weil sie
zum einen die Kernbegriffe der beschriebenen Kommunikation bilden und
andererseits signifikant in Gebärden umgesetzt werden können. Die geballte
Faust ist ein allgemein verständliches Symbol für Zorn und Gewaltandrohung,
das Flehen kann durch betende Hände unmissverständlich veranschaulicht
werden. Zunächst dachte ich an bekannte Darstellungen bittender Hände wie
z.B. „Betende Hände“ von Albrecht Dürer. Flehen hat aber zusätzlich eine
emotionale Konnotation, die die Hingabe des ganzen Menschen betont. Dieses
wird meines Erachtens eher durch nach oben gerichtete, geöffnete Hände
vermittelt. Mose steht mit geöffneten Händen vor Gott und streckt sie ihm in
der Hoffnung entgegen, dass dieser Moses Fürbitte für das Volk anhört und
Barmherzigkeit walten lässt.
5. Homiletische Überlegungen
Bei meiner Predigtvorbereitung habe ich mir als fiktive Hörerschaft die
Gottesdienstbesucher und –besucherinnen meiner Heimatgemeinde
vorgestellt. Neben Konfirmandinnen und Konfirmanden ist bei einem
Sonntagsgottesdienst vorrangig das Alter über 50 vertreten. Zum Kirchspiel
gehören die traditionsbewusste Kleinstadt Reinfeld/Holstein und einige Dörfer
in einem wirtschaftlich starken Landkreis (Stormarn). Die Kirchengemeinde
bietet deshalb in Bezug auf das soziale Milieu ein relativ homogenes Bild.
Ziel meiner Predigt musste es daher unter anderem sein, diese Bedingungen in
der sprachlichen und situativen Gestaltung angemessen zu berücksichtigen.
Der Einstieg mit der kurzen Geschichte von Astrid Lindgren bot mir die
Möglichkeit, die gesamte Hörerschaft einzubeziehen und gleichzeitig
Identifikationsangebote zu schaffen, da sich jede/jeder in der Rolle eines
Elternteils oder Kindes befindet. Dabei erhielt die Erzählung gewissermaßen
die Rolle eines Prologs, um die Aufnahme des Predigttextes in seiner
inhaltlichen Spannung zwischen Zorn und Reue vorzubereiten. Ich lenkte
vorab den „inneren“ Blick der Hörerinnen und Hörer auf den Stein auf
meinem Küchenregal, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen und Interesse für
13
den nachfolgenden Text zu wecken. Meine erste Überlegung, den Stein
mitzubringen und zu zeigen, verwarf ich, um freie Assoziationen und eigene
Bilder der Hörerschaft nicht durch einen vorgegebenen Gegenstand
einzuengen.
Ein weiteres Ziel meiner Predigt sollte sein, die Gemeinde am dialogischen
Charakter des Predigttextes und an der Dynamik des Gesprächs zwischen Gott
und Mose über das Wort hinaus glaubensstärkend teilhaben zu lassen. Ich bin
mir im reformatorischen Sinne durchaus bewusst, dass ich als Predigerin
keinen Glauben bewirken kann, folge aber Grözingers Ansicht, dass eine
Predigt gerade im Vertrauen auf diese Wirkung gemacht werden muss16
. Um
der Hörerschaft die in Exodus 32,7-14 geschilderte Kommunikation näher zu
bringen, erwog ich alternativ eine Einbeziehung des Kirchenraumes oder den
Einsatz von Gesten. So wäre es möglich gewesen, die V. 7-10 als Gottesrede
auf der Kanzel zu lesen, um anschließend Moses Fürbitte vor dem Altar in
betender Haltung vorzutragen. Dieser Wechsel würde zum einen die
unterschiedliche Größe und Stärke von Gott und Mensch und zum anderen die
jeweiligen Intentionen der Dialogpartner veranschaulichen.
Es erschien mir aber im oben genannten Sinne intensiver zu sein, die
Gottesdienstgemeinde in den Kommunikationsprozess hineinzuziehen bzw.
sie daran zu beteiligen, indem sie mittels unterschiedlicher Gesten17
versucht
nachzuspüren, was den einzelnen Gesprächspartner bewegt. Meyer-Blanck hat
dafür den Begriff `Neues Sehen´ geprägt als „eine sinnlich, konkrete
Kategorie, welche Interaktionen und Handlungsabläufe der Texte ins Spiel
bringt und die Zuhörenden in sie zu verwickeln sucht“18
. Deshalb wollte ich
diese beiden Gesten nicht nur im Sinne von Symbolen zur Untermalung der
Predigt nutzen, sondern sie auch von den Gottesdienstbesucherinnen und
-besuchern selbst leiblich darstellen lassen. Hierfür war es notwendig, die
16 Grözinger, Albrecht, Homiletik (Lehrbuch Praktische Theologie), Gütersloh 2008, S. 173. Grözinger spricht in diesem Zusammenhang von dem „Unverfügbaren der Predigt“. 17 Möglich wäre auch eine Vertiefung solcher Gesten nach bibliodramatischem Vorbild, wenn eine Gemeinde und der Prediger/die Predigerin darin bereits Übung besitzen, wie es u.a. Gerhard Marcel Martin vorschlägt. Vgl. Keßler, Hildrun, Bibliodrama und Leiblichkeit. Leibhafte Textauslegung im theologischen und therapeutischen Diskurs, Stuttgart/Berlin/Köln 1996, S. 56. 18 Meyer-Blanck, Michael, Reden, hören, neu sehen lernen. Didaktische Aspekte der Predigt, in: Pohl-Patalong, Uta, Muchlinsky, Frank, Predigen im Plural. Homiletische Perspektiven, Hamburg 2001, S. 142.
14
Gesten frei und mit einladendem Charakter anzuleiten, allerdings mit dem
Hinweis auf Freiwilligkeit, und dabei auch deskriptiv auf die unmittelbaren
körperlichen Auswirkungen hinzuweisen. Die funktionalen Aspekte wie der
Erhalt des Spannungsbogens und die methodische Abwechslung waren dabei
für meine Entscheidung sekundär. Vor allem hoffte ich, dass es im
gemeinsamen Vollzug dieser Gesten gelingen könnte, während einer Predigt
Menschen generationsübergreifend auf einer tieferen Ebene zu erreichen.
Dazu ermutigten mich u.a. Maschwitz/Maschwitz: „Es lohnt sich, auch der
kleinen Gebärde nachzugehen, sie trägt das Wesentliche schon in sich... das
Einfache ist oft schon sehr intensiv“19
. Einen zentralen Aspekt der Predigt
bildete dabei die zweite Geste, weil sie beispielhaft zeigen sollte, dass Gott
auch heute jederzeit von uns mit diesen geöffneten Händen ansprechbar ist. So
würde ich dann im weiteren Verlauf des Gottesdienstes die Gemeinde auch
bitten, diese Geste beim Vaterunser und beim Segen zu wiederholen.
Um der Hörerschaft noch stärker die Dynamik der biblischen Rede bewusst zu
machen, entschied ich mich in Anlehnung an die Gliederung des Predigttextes,
die Predigt nach dramaturgischen Gesichtspunkten aufzubauen. Zugunsten des
Spannungsbogens entstand dabei eine relativ enge Führung der Hörerinnen
und Hörer. Aus dieser Überlegung heraus verzichtete ich, anders als bei der
Vorstellung meines ersten Predigtentwurfs im homiletischen Seminar, auf den
Vergleich von Mose mit Bürgerrechtlern der früheren DDR20
. Ich entschied
mich den Predigttext wie folgt aufzuteilen und entsprechend abschnittsweise
vorzulesen21
: Nach dem Prolog mit Lindgrens Erzählung steht im 1. Akt
Gottes zürnende Rede im Mittelpunkt (V. 7-10), der 2. Akt wird von der
Fürbitte des Mose (V. 11-13) dominiert, und den Klimax bildet V. 14 mit der
Beschreibung von Gottes Reue als letztem Akt. Der abschließende Blick auf
das dargestellte Gottesbild beendet die Predigt im Sinne eines Epilogs.
19 Maschwitz, Gerda und Rüdiger, Von Phantasiereise bis Körperarbeit. Existenzielle Methoden - gekonnt eingesetzt, München 2004, S. 118. 20 Darüber hinaus war dieses Beispiel für das Verständnis der Predigt nicht erforderlich, weil thematisch der Vollzug des flehentlichen Betens, nicht aber die Fürbitte als solche im Vordergrund stehen sollte. 21 Dabei verzichtete ich bei der Predigt auf die Nennung der dramaturgischen Fachbegriffe, die z.T. der Erklärung bedurft hätten und für das Predigtziel ebenfalls unerheblich waren.
15
Dieser stringente Aufbau in Verbindung mit den Gesten begünstigte meinen
Ansatz im Sinne Nicols, nicht allein über etwas zu reden, sondern durch
„Preaching from Within“ das Thema „Wie gelingt Kommunikation mit Gott?“
selbst zum Ereignis werden zu lassen22
. Allerdings sollte diese Predigt nur als
Versuch verstanden werden, erste Schritte einer Dramaturgischen Homiletik
umzusetzen.
6. Predigt zu Exodus 32, 7-14
Liebe Gemeinde!
Klein und unscheinbar ist er – der Stein auf meinem Küchenregal. Dort liegt
er vor den Kochbüchern und ringt um Aufmerksamkeit. Er erinnert mich
immer wieder neu an eine Geschichte, die Astrid Lindgren erzählte, als sie in
Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Die berühmte
schwedische Kinderbuchautorin traf einmal eine alte Dame, die ihr folgendes
Erlebnis berichtete:
Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an den Bibelspruch aus
dem Alten Testament glaubte: „Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben“.
Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran. Aber eines Tages
hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht
Prügel verdient hatte - die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf: „ Geh in
den Garten und suche nach einem Stock. Dann bring ihn mir.“ Der kleine
Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte:
„Ich habe keinen Stock finden können. Aber hier hast du einen Stein, den
kannst du ja nach mir werfen“. Da aber fing auch die Mutter an zu weinen,
denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind muss gedacht
haben: „Meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit
einem Stein“. Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und beide weinten
eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche,
und dort blieb er liegen als ständige Mahnung: Als Mahnung an das
22 Vgl. Nicol, Martin, Einander ins Bild setzen. Dramaturgische Homiletik, Göttingen 22005, S. 47-55.
16
Versprechen, das sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: „Niemals
Gewalt!“
Eine berührende Geschichte – voll von Gefühlen! Die Mutter ist zornig und
enttäuscht über die Fehler des Kindes. Zugleich hat sie ihre Ängste und
Sorgen: Was wird aus meinem Kind, wenn es nicht lernt, sich an Regeln und
Vereinbarungen zu halten? Kann es im Leben bestehen? Sie meint: Lernen
durch Strafe ist dafür nötig. Ebenso erfahren wir vom Vertrauen und der Liebe
des Kindes zu seiner Mutter. Als der Sohn mit dem Stein zurückkehrt, reagiert
die Mutter bestürzt und entsetzt über ihre eigene Gewaltbereitschaft. Weinend
liegen sie sich in den Armen, demütig und reuevoll legt die Mutter diesen
Stein auf das Küchenregal. Eine kurze Erzählung, in der Menschen
leidenschaftlich um eine tragfähige Beziehung miteinander ringen! Solche
Gefühle und Reaktionen sind mir auch im heutigen Predigttext begegnet.
In Exodus 32, dem 2. Buch Mose, wird ein sehr emotionaler Dialog zwischen
Gott und Mose geschildert. Im ersten Abschnitt heißt es:
„Der Herr aber sprach zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus
Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem
Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes
Kalb gemacht und haben es angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist
dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat. Und der Herr sprach
weiterhin: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass
mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen
Volk machen.“
Wortgewaltig lässt Gott seinen Zorn deutlich werden. Der falsche Weg und
die Sturheit des Volkes Israel müssen gnadenlos bestraft werden. Gott zürnt
über das „schändliche Handeln“ und das „halsstarrige Volk“. Dieser Zorn
resultiert aus der Enttäuschung darüber, dass sich das Volk Israel nicht
dankbar an seinen Befreier erinnert. Es war doch allein Gott, der es aus der
langen Gefangenschaft und Unterdrückung in Ägypten erlöste. Auch die von
Gott aufgestellten Richtlinien für den gemeinsamen Bund hat das Volk
missachtet. Trotz des Bilderverbotes formten die Israeliten in Abwesenheit
von Mose ein Goldenes Kalb und verehrten es als Gott. Mit diesem Volk will
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Gott nichts mehr zu tun haben. So nennt er es nicht mehr „mein Volk“,
sondern schiebt die Verantwortung Mose zu: „Geh steig hinab, denn dein
Volk hat schändlich gehandelt“.
Wie oft sind wir aus Enttäuschung zornig geworden? Gerade dann, wenn sich
unsere Erwartungen nicht erfüllt haben oder wir Undankbarkeit erleben. Eine
zutiefst menschliche Reaktion! Schließlich erwarten wir voneinander etwas in
der Beziehung: Gott von seinem Volk, die Mutter von ihrem Kind, der Partner
von seiner Partnerin und umgekehrt. Wenn mir jemand gleichgültig ist, zeige
ich höchstens ein Achselzucken. Zorn entsteht aber oft gerade dort, wo mir
etwas wichtig ist, am Herzen liegt. Das Volk Israel, das Gott am Herzen liegt,
mit dem Gott in Beziehung sein will, wendet sich von ihm ab, aus Liebe
entfacht sein Zorn. In der Geste eines römischen Imperators ballt er die Faust
und zeigt den Daumen nach unten, das Todesurteil wurde gesprochen, sie
sollen vertilgt werden, sagt Gott. In dieser Faust findet die gesammelte Wut
ihren Ausdruck.
1.Geste: Ich möchte Sie und euch einladen, dieses Gefühl in einer Geste
nachzuvollziehen. Wer kann, ballt jetzt einmal seine Hände ganz fest zu
Fäusten. Ich spüre, dass der gesamte Körper angespannt ist, automatisch wird
der Atem angehalten, der Brustbereich wird eng und die Kiefer drücken
aufeinander. Fäuste und Körper signalisieren: Mit mir und hier ist keine
Kommunikation möglich, ich lasse nicht mehr mit mir reden, mein Entschluss
steht fest. Diese aggressive Geste verleiht dem stärksten aller negativen
Gefühle, dem Zorn, Ausdruck, sie ist unerbittlich. Nun entspannen Sie Ihre
Hände und den Körper wieder.
Dieser Konfrontation muss Mose sich stellen. Wie reagiert er nun auf Gottes
Zorn, auf die Absicht, sein Volk zerstören zu wollen? Der Predigttext erzählt
weiter:
„Mose aber flehte vor dem Herrn, seinem Gott, und sprach: Ach Herr, warum
will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker
Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat
sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und
vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn
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und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.
Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst
geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die
Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich
euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.“
Vielleicht hätten einige Menschen in dieser Situation aus Angst vor Gottes
Zorn resigniert. Andere hätten sich an Moses Stelle für Gottes Angebot
entschieden: „Ich will dich zu einem großen Volk machen!“ und sich bequem
zurückgelehnt. Mose hingegen stellt sich Gott mutig gegenüber - trotz seiner
Ängste, die er hat. Dieses erfahren wir aus dem 5. Buch Mose im 9. Kapitel.
Mose beschreibt dort dieselbe Begegnung mit Gott auf dem Berg Horeb ein
weiteres Mal aus seiner Perspektive. In V. 19 heißt es: „Ich fürchtete mich vor
dem Zorn und Grimm, mit dem der Herr über euch erzürnt war, dass er euch
vertilgen wollte“. Aber Mose lässt sich nicht von dieser Furcht und Angst
bestimmen. Der harten Ansage zum Trotz wendet er sich mutig Gott zu, im
Vertrauen darauf, dass er ihm zuhören wird.
Er fleht Gott an. Dabei legt er alles auf die Waagschale. Er appelliert an den
Stolz Gottes und an dessen Erinnerungsvermögen: Willst du den Spott der
Ägypter ertragen, wenn du dein Volk jetzt – nach der Befreiung - tötest? Hast
du, Gott, dein Versprechen vergessen? Willst du nicht deine Verheißung, wie
du sie Abraham, Isaak und Jakob zugesagt hast, zu Ende bringen? Wie das
Kind seiner Mutter bringt Mose Gott Vertrauen entgegen. In Liebe und
Hoffnung wendet er sich- wie das vertrauensvolle Kind - an den zürnenden
Gott. Man wendet sich nur an Menschen, von denen man auch etwas erwartet.
Ich werde in der Not nicht an jemanden appellieren, von dem ich mir keine
Hilfe verspreche. Mose vertraut darauf, dass Gott anders ist: Ein liebender
Gott, der sein Urteil überdenkt und zurücknimmt. Er glaubt an die Gnade
Gottes.
Dabei bittet Mose Gott nicht um eigene Belange, sondern stellvertretend als
Anwalt für sein Volk. Er setzt sich uneigennützig für andere ein und weiß sich
darin von seinen Vorfahren getragen. Die Fürbitte Moses wird auch von einer
Geste begleitet. Es heißt: „Mose flehte vor dem Herrn, seinem Gott“ und
dieses Flehen zeigt sich in bittenden Händen.
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2. Geste: Wenn Sie mögen, machen Sie und macht ihr eine weitere Geste mit
mir. Halten Sie nun einmal für einen Moment die geöffneten Hände vor den
Körper und konzentrieren Ihren Blick darauf. Meine nach oben gerichteten
Finger und Hände zeigen Offenheit, ich verschließe mich nicht. Körper und
Atem sind entspannt. Ich warte auf etwas, das in meine Hände gelegt wird,
dass sie im wahrsten Sinne des Wortes „von oben her“ gefüllt werden.
Hoffnung und Vertrauen liegen in diesen Händen. Ich kann sie nicht selber
füllen, es ist ein Zustand der Hingabe. Wenn Sie die Hände jetzt wieder
ablegen, ist vielleicht ein Gefühl dafür entstanden, wie Gott ansprechbar ist.
Mose macht es in dieser angespannten und schwierigen Situation vor. Er
streckt seine bittenden Hände dem zürnenden Gott entgegen. Und Gott? Wie
reagiert er auf Moses Flehen?
Der Dialog des Predigttextes endet mit einem kurzen, aber aussagekräftigen
Satz:
„Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte“.
Moses Vertrauen und Flehen wird belohnt. Gott hört Mose zu, lässt sich an
seine Verheißungen erinnern und ändert dann sein Urteil. Obwohl sein Volk
ihn enttäuscht hat, erhört Gott Moses Gebet. Aus Liebe nimmt er die
angedrohte Strafe zurück und zeigt Reue – wie die Mutter in Astrid Lindgrens
Erzählung. Diese menschlichen Züge scheinen aber auch Gottes Souveränität
in Frage zu stellen und machen ihn angreifbar. Gott, der sein Tun bereut -
passt dieses Gottesbild in die heutige Zeit?
Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft und Wirtschaft eher von
Menschen bestimmt wird, die Autorität und Stärke anders verstehen. Zuhören,
sich an seine Versprechen erinnern zu lassen oder sogar Fehler einzugestehen,
wird als Schwäche ausgelegt. Wer ist bereit, den eigenen Blickwinkel zu
verändern oder einen eingeschlagenen Weg zu überdenken? Verantwortliches
Handeln setzt aber gerade diese Eigenschaften voraus. Es bedeutet, sich
immer wieder im Gespräch auszutauschen, um gemeinsam nach Lösungen zu
suchen. Unser Predigttext erzählt von einem Gott, der aus Liebe zu den
Menschen zuhört und dialogbereit ist. Er zeigt, dass Gott, anders als
halsstarrige und machtbesessene Menschen, die Perspektive wechselt, um mit
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den Augen des Mose zu sehen. Gott lässt sich trotz unserer Fehler immer
wieder ansprechen, weil wir ihm am Herzen liegen.
Egal, in welcher Situation ich mich befinde, mit bittenden Händen kann ich
Gott entgegenkommen. Im Gegenüber zu ihm kann ich mich öffnen. Die Faust
bleibt in der Tasche, daran erinnert mich der Stein auf meinem Küchenregal.
Denn im Gespräch mit Gott entsteht die Gewissheit, dass es eine Änderung
geben kann. Im Vertrauen auf Gottes Gnade kann ich fest damit rechnen, dass
das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Gott ist ansprechbar, wagen wir es immer wieder neu!
Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere
Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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Literaturverzeichnis
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