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Editorial 95 Journal compilation © Blackwell Verlag GmbH, Berlin • JDDG • 1610-0379/2009/0702 JDDG | 2 ˙ 2009 (Band 7) Pro-aktive Therapie des atopischen Ekzems: ein Paradigmenwechsel? Thomas Werfel Das atopische Ekzem wird in der Praxis in der Regel solange mit antiinflammatori- schen Substanzen behandelt, bis es abgeheilt ist. Es erfolgt üblicherweise die Weiter- behandlung mit Basistherapeutika und die Wiederaufnahme der antiinflammatori- schen Therapie bei einem erneuten Schub der Hauterkrankung. Die Effektivität dieses „re aktiven“ Vorgehens wurde in kontrollierten klinischen Studien der letzten Jahre überprüft und mit „pro aktiven“ Protokollen verglichen. „Proaktive Therapie“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine intermittierende Nachbehandlung mit antiinflammatorischen Substanzen (topische Glukokortikosteroide oder topische Calcineurininhibitoren) an den Hautarealen über einen längeren Zeitraum standar- disiert (in der Regel zweimal pro Woche) durchgeführt wird, an denen die Ekzeme bis zur Abheilung bestanden hatten. Das „proaktive“ Konzept wurde erstmals in pro- spektiven, randomisierten Studien mit dem topischen Glukokortikosteroid Flutica- sonopropionat in den Jahren 2002 und 2003 von amerikanischen und britischen Dermatologen erprobt. Bereits in diesen ersten Untersuchungen zeigte sich überzeu- gend, dass im Vergleich zum üblichen „reaktiven“ Vorgehen die Zeit bis zum nächsten Rezidiv des atopischen Ekzems verlängert sowie die Zahl der Schübe und der Verbrauch von topischen Glucocorticosteroiden mit einer intermittierenden Nachbehandlung über einen Zeitraum von 4 Monaten reduziert werden konnte. Diese Ergebnisse führten dazu, eine Intervalltherapie über einen Zeitraum von bis zu 4 Monaten in der aktuellen S2 Leitlinie zur Neurodermitis (JDDG 2009; 7:S1) zu empfehlen. Zwischenzeitlich wurden die Ergebnisse mit anderen Glukocorticosteroiden und mit dem topischen Calcineurininhibitor Tacrolimus reproduziert und erweitert. Mit Tacrolimus wurden auch Kinder untersucht und es wurde – anders als in den zuvor publizierten Studien mit topischen Glukokorticosteroiden – ein Zeitraum über ein Jahr dokumentiert. Auch über diesen langen Zeitraum bestätigte sich die Effektivität des proaktiven Vorgehens bei atopischem Ekzem. Insgesamt sind somit gute Eviden- zen vorhanden, um eine intermittierende Nachbehandlung mit antiinflammatori- schen, topisch aufgebrachten Substanzen bei schubweise verlaufendem atopischen Ekzem grundsätzlich zu empfehlen. Das Autorenteam aus der LMU in München, das federführend an der Studie betei- ligt war, die mit Tacrolimus durchgeführt wurde, legt in diesem Heft des JDDG eine Arbeit vor, in der die erwähnten Studien zunächst im Detail dargestellt werden. Dar- über hinaus berichten sie von ihren persönlichen Erfahrungen mit der proaktiven Therapie in ihrer Spezialsprechstunde für Neurodermitis – hier hat sich aus ihrer Sicht dieses Konzept auch außerhalb der speziellen Situation einer kontrollierten kli- nischen Studie ebenfalls überzeugend bewährt. Sie weisen darauf hin, dass nicht nur

Pro-aktive Therapie des atopischen Ekzems: ein Paradigmenwechsel?

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Editorial 95

Journal compilation © Blackwell Verlag GmbH, Berlin • JDDG • 1610-0379/2009/0702 JDDG | 2˙2009 (Band 7)

Pro-aktive Therapie des atopischenEkzems: ein Paradigmenwechsel?Thomas Werfel

Das atopische Ekzem wird in der Praxis in der Regel solange mit antiinflammatori-schen Substanzen behandelt, bis es abgeheilt ist. Es erfolgt üblicherweise die Weiter-behandlung mit Basistherapeutika und die Wiederaufnahme der antiinflammatori-schen Therapie bei einem erneuten Schub der Hauterkrankung. Die Effektivitätdieses „reaktiven“ Vorgehens wurde in kontrollierten klinischen Studien der letztenJahre überprüft und mit „proaktiven“ Protokollen verglichen. „Proaktive Therapie“bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine intermittierende Nachbehandlung mitantiinflammatorischen Substanzen (topische Glukokortikosteroide oder topischeCalcineurininhibitoren) an den Hautarealen über einen längeren Zeitraum standar-disiert (in der Regel zweimal pro Woche) durchgeführt wird, an denen die Ekzeme biszur Abheilung bestanden hatten. Das „proaktive“ Konzept wurde erstmals in pro-spektiven, randomisierten Studien mit dem topischen Glukokortikosteroid Flutica-sonopropionat in den Jahren 2002 und 2003 von amerikanischen und britischenDermatologen erprobt. Bereits in diesen ersten Untersuchungen zeigte sich überzeu-gend, dass im Vergleich zum üblichen „reaktiven“ Vorgehen die Zeit bis zum nächsten Rezidiv des atopischen Ekzems verlängert sowie die Zahl der Schübe undder Verbrauch von topischen Glucocorticosteroiden mit einer intermittierendenNachbehandlung über einen Zeitraum von 4 Monaten reduziert werden konnte.Diese Ergebnisse führten dazu, eine Intervalltherapie über einen Zeitraum von bis zu4 Monaten in der aktuellen S2 Leitlinie zur Neurodermitis (JDDG 2009; 7:S1) zuempfehlen.

Zwischenzeitlich wurden die Ergebnisse mit anderen Glukocorticosteroiden und mitdem topischen Calcineurininhibitor Tacrolimus reproduziert und erweitert. MitTacrolimus wurden auch Kinder untersucht und es wurde – anders als in den zuvorpublizierten Studien mit topischen Glukokorticosteroiden – ein Zeitraum über einJahr dokumentiert. Auch über diesen langen Zeitraum bestätigte sich die Effektivitätdes proaktiven Vorgehens bei atopischem Ekzem. Insgesamt sind somit gute Eviden-zen vorhanden, um eine intermittierende Nachbehandlung mit antiinflammatori-schen, topisch aufgebrachten Substanzen bei schubweise verlaufendem atopischenEkzem grundsätzlich zu empfehlen.

Das Autorenteam aus der LMU in München, das federführend an der Studie betei-ligt war, die mit Tacrolimus durchgeführt wurde, legt in diesem Heft des JDDG eineArbeit vor, in der die erwähnten Studien zunächst im Detail dargestellt werden. Dar-über hinaus berichten sie von ihren persönlichen Erfahrungen mit der proaktivenTherapie in ihrer Spezialsprechstunde für Neurodermitis – hier hat sich aus ihrerSicht dieses Konzept auch außerhalb der speziellen Situation einer kontrollierten kli-nischen Studie ebenfalls überzeugend bewährt. Sie weisen darauf hin, dass nicht nur

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eine Verbesserung des Hautzustandes bzw. das spätere Auftreten von erneuten Schü-ben unter der proaktiven Therapie zu beobachten ist, sondern dass die Lebensqualitätinsgesamt steigt. Auch legen sie den verhaltenstherapeutischen Hintergrund, mit demder Erfolg dieses Therapiekonzepts zum Teil erklärbar ist, dar.

Die Lektüre dieses Artikels ist allen praktisch tätigen Dermatologen zu empfehlen.Das Konzept der intermittierenden Nachbehandlung ist in der täglichen Praxis leichtumsetzbar und kann den nicht immer einfachen Umgang mit Patienten mit atopi-schem Ekzem im Versorgungsalltag deutlich verbessern.

Professor Dr. med. Thomas Werfel

KorrespondenzanschriftProf. Dr. med. Thomas WerfelKlinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie der Medizinischen Hochschule HannoverRicklinger Str. 5D-30449 HannoverTel.: +49 (0)511-9246-276Fax: +49 (0)511-9246-440E-Mail: [email protected]