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1 Terminübersicht 5.7. Zusammenfassung 9.7. (Freitag!) Tutorium zur Klausurvorbereitung ab 14 Uhr, Geb. 26.21, Raum 01.33 12.7. Klausur (11-13 Uhr, Hörsaal 3 C) 19.7. Klausur-Ergebnisse u. Besprechung 1.9.: Klausur / Erste Wiederholungsklausur (Anmeldung bis spätestens 10.8.!) 29.9.: Zweite Wiederholungsklausur (Anmeldung bis 13.9.)

Prof. Dr. Simone Dietz Vorlesung: Einführung in die Ethik ... · (Kant, Anthropologie in pragmatischer Absicht, 1798, Vorrede) 6 Anthropologie Empirisch Beobachterperspektive Mensch

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Terminübersicht

5.7. Zusammenfassung9.7. (Freitag!) Tutorium zur Klausurvorbereitung

ab 14 Uhr, Geb. 26.21, Raum 01.3312.7. Klausur (11-13 Uhr, Hörsaal 3 C)19.7. Klausur-Ergebnisse u. Besprechung

1.9.: Klausur / Erste Wiederholungsklausur (Anmeldung bis spätestens 10.8.!)

29.9.: Zweite Wiederholungsklausur(Anmeldung bis 13.9.)

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Begleittexte zur Vorlesung

Lektüre zur Vorbereitung der Klausur:

• Arnold Gehlen: Ein Bild des Menschen• John Locke: Über Identität und Verschiedenheit• Jürgen Habermas: Das Gewachsene und das Gemachte• Jean-Paul Sartre: Der Existentialismus ist ein

Humanismus

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Beteiligungsnachweis:

Schriftliche Beantwortung von Fragen zur Vorlesung unter Downloads ab 12.7., Abgabe bis 30.9.

(oder regelmäßige Beteiligung am Tutorium)

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Philosophische Anthropologie

Themenschwerpunkte:

I. Die Bestimmung des Menschen

II. Mensch und Person: Natur vs. Kultur?

III. Normative Aspekte der Anthropologie

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Immanuel Kant:Anthropologie

physiologisch

• „Was die Natur aus dem Menschen macht“

• Natur-/Sinnenwesen

pragmatisch

• „Was der Mensch als freihandelndes Wesen aus sich selbst macht“

• Vernunftwesen

(Kant, Anthropologie in pragmatischer Absicht, 1798, Vorrede)

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AnthropologieEmpirisch

Beobachterperspektive

Mensch als Gegenstandder Beschreibung

HumanbiologieVerhaltensforschung

Interpretierend

Teilnehmerperspektive

Mensch als Thema der Selbstverständigung

Philosophische, hist.politische Anthropologie

Kulturanthropologie

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Der Mythos vom Mängelwesen

• Platon: Kompensation der Mängel durch Technik, Staatskunst

• Pico della Mirandola: Kompensation durch Freiheit und Fähigkeit zur Selbstvervollkommnung

• Herder: Kompensation durch Sprache und Verstand, Fähigkeit zur Symbolisierung und Besonnenheit

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Arnold Gehlen: Der Mensch und seine Mängel

• Instinktreduktion: keine fest montierten Zuordnungen von Auslösern und Bewegungsweisen

• Reizüberflutung: unzweckmäßige Fülle von Eindrücken, die verarbeitet werden müssen

• Antriebsüberschuß: dauernde akute Antriebe, die über die augenblickliche Erfüllungssituation hinausgehen

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Arnold Gehlen: Mängelkompensation des Menschen

• Entlastung: Bewältigung der Eindrucksfülle durch eigentätig aufgebaute Wahrnehmungswelt, Verdichtung in Symbolen

• Habitualisierung stabilisiert Verhalten als nicht-mehr bewußte, einwandsimmune Basis für höhere Handlungsführung

• Formierung durch auf Dauer gestellte Antriebsstrukturen wie Sozialordnungen und Charakter; Prägung durch Erziehung, Selbstzucht, Institutionen

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Arnold Gehlen: Entlastungsprinzip

„Alle höheren Funktionen des Menschen auf jedem Gebiete des intellektuellen und moralischen Lebens (…) werden dadurch entwickelt, dass die Ausbildung fundierender stabiler Basisgewohnheiten die ursprünglich dort verwendete Motivations-, Versuchs- und Kontrollenergie entlastet und ‚nach oben abgibt’“.

(Arnold Gehlen: Der Mensch, Kap. 8, S. 66)

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Gehlen: Der Mensch als Kulturwesen

„Der Inbegriff der vom Menschen ins Lebens-dienliche umgearbeiteten Natur heißt Kultur,und die Kulturwelt ist die menschliche Welt.“

Die von Menschen entwickelte Technik fungiertals Organ-Ersatz, - Entlastung, -Überbietung.

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Max Scheler: Vier Stufen des Psychischen (d.h. des Beseelten, der Lebensenergie)

1. GefühlsdrangDrang zu Wachstum und Fortpflanzung: Pflanze

2. Instinkt

3. Assoziatives Gedächtnis gewohnheitsmäßiges Verhalten

4. praktische IntelligenzWahlfähigkeit

( Menschen u. höhere Tiere sind allen vier Stufen zuzuordnen!)

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Max Scheler: Vier Wesensstufen des Seienden

1. Anorganische Gebilde:kein Zentrum, keine Umwelt

2. Lebewesen / Pflanze:ontisches Zentrum, aus sich selbst begrenzt

3. Tier:Empfindung und Bewusstsein als zentrale Rückmeldestelle

4. Mensch: GeistSelbstbewußtssein und Selbstobjektivierung

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Gehlens Kritik an Schelers Stufenschema:

• Kein Steigerungsverhältnis von instinktivem und intelligenten Verhalten beide schließen sich nahezu aus.

• Keine Parallelität zwischenLeistungs-Systematik und Zoologischer Systematikdie Entwicklung von Intelligenz folgt nicht der zoologischen Systematik höherer und niederer Tiere

Statt Stufen des Seienden und des Psychischen: Einheit des Strukturgesetzes, das alle menschlichen Funktionen beherrscht: Nicht Geist sondern HandlungDer Mensch als handelndes Wesen

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Plessner: Stufen des Organischen • Pflanze:offene Form, unselbständig, ohne Zentrum.

• Tier:geschlossene Form, selbstständig, zentrische Position(lebt aus seiner Mitte aber nicht als Mitte)

• Mensch:exzentrische Position; „der Mensch lebt und erlebt nicht nur,

sondern erlebt sein Erleben“

( Orientiert sich jeweils am Verhältnis von Organismus und Umwelt)

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Plessner: Dreifache Positionalität der Person

1. das Lebendige ist Körper

2. es ist im Körper als Innenleben/Seele

3. es ist außer dem Körper als Blickpunkt,von dem aus es beides ist: Körper und Seele(„exzentrische Positionalität“)

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Grundbegriffe der Philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts

Scheler: Weltoffenheit, Geist

Plessner: Exzentrische Positionalität

Gehlen: Handlung, Entlastung

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Elemente einer Evolutionstheorie

als Theorie biologischer oder kultureller Evolution:

• Reproduktion / Tradition• Variation / Innovation• Selektion / Steuerung

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Michael Tomasello:Die kulturelle Entwicklung des menschlichen

Denkens (2002)

Typen sozialen / kulturellen Lernens:

• Prozesse der Reizsteigerung(Verschiebung der Aufmerksamkeit)

• Emulationslernen (auf Ereignisse in der Umgebung konzentriert)

• Imitationslernen (Imitation intentionalen Verhaltens anderer)

• Kooperationslernen (durch Zusammenarbeit / Rollenübernahme)

• Lernen durch Unterricht (aktive Weitergabe durch Symbole / Medien)

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Michael Tomasello

„Kultur ist verbreitet, kulturelle Evolution ist selten“

Kultur: Erfindung und Weitergabe von technischen Verfahren und Verhaltensweisen.( Innovation und Tradition)

Kulturelle Evolution: Gezielte Weitergabe, Verbesserung und Weitergabe dieser Verbesserungen kultureller Erfindungen durch entsprechende Formen sozialen Lernens („Wagenheber-Effekt“).( Innovation, Tradition, Steuerung)

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Seele, Geist, Körper• Aristoteles:

Seele: Telos (innere Zielbestimmtheit) des organischen KörpersGeist: logos als exklusive Eigenschaft des Menschen

• Descartes: Seele und Geist als spezifisch menschliche Eigenschaftals ‚denkende Substanz‘ im Unterschied zum Körper als ‚ausgedehnte Substanz‘nicht-menschliche Lebewesen als Mechanismen, seelenlose Maschinen

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John Locke: Mensch und Person

• Mensch: körperliche Gestalt

• Person: denkendes Wesen, das sich als sich selbst erfassen kann( Identität des Bewusstseins)

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Moralische Relevanz der Unterscheidung zwischen Mensch und Person

• Inklusionstheorie: Mensch = PersonAlle menschlichen Wesen haben einen absoluten moralischen Status u. damit absolute moralische Schutzrechte

• Exklusionstheorie: Mensch ≠ PersonNur Personen haben einen moralischen Status

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SKIP - Argumente zur Begründung der Inklusionstheorie:

Spezies: Jeder Mensch ist aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Spezies Mensch schutzwürdig.

Kontinuum: Die Entwicklung jedes Menschen verläuft kontinuierlich und ermöglicht keine begründete Zäsur für den Beginn von Schutzwürdigkeit.

Identität: Diachrone Identität lässt sich nicht in personale und nicht-personale Abschnitte unterteilen.

Potentialität: Bereits die Möglichkeit zur Ausbildung personaler Eigenschaften begründet Schutzwürdigkeit.

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Wie verhält sich der Geist zur materiellen Welt?Körper-Geist-Problem

1. Der Körper ist physisch-materiell, der Geist psychisch-immateriell. (Differenzthese)

2. Der Bereich des Physisch-materiellen ist kausal geschlossen. (Geschlossenheitsthese)

3. Der Geist hat auf den Körper kausale Wirksamkeit.(Verursachungsthese)

monistische und dualistische Lösungsansätze

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Geist-Körper-Problem

Monismus: es gibt nur eine Substanz, es gibt nur eine Kausalität.

• Materialismus • Idealismus• Eliminativer Reduktionismus• Identitätstheorie

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Geist-Körper-ProblemDualismus: Geist und Körper sind wesentlich verschieden, nicht aufeinander reduzierbar

• Ontologischer Substanzendualismusparallelistisch (Leibniz) interaktionistisch (Descartes)

• Nicht-ontologischer Parallelismus:EigenschaftsdualismusAspekt- / Sprachendualismus

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Freiheit:▪ Willensfreiheit:

Vermögen, meinen Willen frei zu bestimmenVermögen, meinen Willen durch Gründe zu bestimmen

▪ (innere) Handlungsfreiheit: subjektives Vermögen, meine (dem Willen gemäßen) Handlungen frei zu bestimmen

▪ (äußere) Handlungsfreiheit: Abwesenheit von äußerem Zwang bei der Ausführung meiner Handlung

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Vier Positionen zu Freiheit und Determinismus

▪ Determinismus (psychologisch, physiologisch)

▪ Epistemischer Indeterminismus▪ Freiheit▪ Vereinbarkeit

(U. Pothast (Hg.): Seminar: Freies Handeln u. Determinismus, 1978)

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Grundannahmen des Determinismus:

1. Jede Handlung folgt aus Gesetzen.

2. Es gibt keine (moralische) Verantwortung der Person für ihre Handlungen (das Strafsystem ist unangemes-sen).

3. Die Regelhaftigkeit des Verhaltens ist eine allgemeine Grundüberzeugung im Umgang mit anderen. Das subjektive Erleben von Freiheit ist eine Täuschung, die durch die zunehmende empirische Kenntnis von Ursachen widerlegt wird.

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Verteidigung der Freiheit:

1. Jede Person hat das Vermögen, ihren Willen frei zu bestimmen.

2. Jede Person ist (moralisch) verantwortlich für ihre Handlungen.

3. Soziale Beziehungen beruhen auf der gegenseitigen Zuschreibung freien Handelns. Freies Entscheiden und Handeln sind subjektive Grunderfahrungen.

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Anthropologie und Ethik

Anthropologie: Lehre vom Menschen, seiner Ausstattung und besonderen Fähigkeiten, seiner Stellung in der Welt

Ethik: Begründung von Normen des richtigen und guten Handelns, allgemeinverbindlichen Werten, Tugenden des guten Lebens

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Drei Dimensionen des normativen Selbstverständnisses von Menschen

• Ethik: Fragen des guten Lebens des Individuums(Wie will ich leben? Welches ist ein gutes Leben?)

• Moral: Verbindliche wechselseitige Pflichten u. Rechte in der Gemeinschaft(Was liegt im gleichmäßigen Interesse eines jeden? Was ist gleichermaßen gut für alle?)

• Gattungsethik: Fragen des guten und richtigen Lebens der menschlichen Gattung(Wie wollen wir leben?)

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Zwei Aspekte derSelbstperfektionierung des Menschen

I. Kulturell-geistiges Bildungs-IdealAusbildung menschlicher Würde / Humanität(Renaissance: Pico della Mirandola;Klassischer Humanismus: Herder, Humboldt)

II. Biologisch-technische Optimierungorganischer Ausstattung und Befähigung (Biomedizin, Gentechnik) Biopolitik: Regulierung von Lebensprozessen und Lebensgrundlagen des Menschen(Foucault: Biomacht)

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Natürlichkeit als Norm

Natürlichkeit als normatives Kriterium biomedizinischer Maßnahmen ?

• starker Sinn: positive Orientierungsnorm

• schwacher Sinn: Verzicht auf Eingriffe

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Argumente gegen Natürlichkeit als Norm:

• naturalistischer Fehlschluss

• Natur als Ganzes bietet keine klare Orientierung (Projektion menschl. Zwecke auf Natur)

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Argumente für Natürlichkeit als Norm: (gegen künstliche Gestaltung des Menschen)

• Authentizität als ästhetisches Ideal

• Risiko unbeabsichtigter, langfristiger Folgen

• Würde a) Zwecksetzendes Herstellen als unzulässige Instrumentalisierungb) Vermeidung von Abhängigkeit; Autonomieverlust durch künstliche Mittel

• Gerechtigkeit: ungleicher Zugang zu künstlichen Mitteln führt zu Benachteiligung

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Konzeptionen der Anthropologie zum Verhältnis von Natur und Geist:

• Dualistische Konzeptionen der Anthropologie (z.B. Kant)

• Monistische Konzeptionen:- naturalistische Anthropologie (z.B. Evolutionsbiologie)- kulturalistische, historische Anthropologie

• Synthetisierende, integrative Konzeptionen (z.B. Herder, Scheler, Plessner, Gehlen)

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Anthropologie als Theorie menschlicher Entwicklung

• Geschichtsphilosophie: Sinn und Ziel der Menschheitsentwicklung als metaphysisches Prinzip

• Evolutionstheorie: Selektion als gesetzmäßiges Prinzip

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Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930)

Das Lustprinzip „beherrscht die Leistung des seelischen Apparats von Anfang an; an seiner Zweckdienlichkeit kann kein Zweifel sein, und doch ist sein Programm im Hader mit der ganzen Welt (…). Es ist überhaupt nicht durchführbar (…), die Absicht, dass der Mensch ‚glücklich‘ sei, ist im Plan der ‚Schöpfung‘ nicht enthalten.“

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Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930)

Wir haben „uns gehütet, dem Vorurteil beizustimmen, Kultur sei gleichbedeutend mit Vervollkommnung, sei der Weg zur Vollkommenheit, die dem Menschen vorgezeichnet ist. (…) Die Kulturentwicklung erscheint uns als ein eigenartiger Prozess, der über die Menschheit abläuft, an dem uns manches wie vertraut anmutet. Diesen Prozess können wir durch die Veränderungen charakterisieren, die er mit den bekannten menschlichen Triebanlagen vornimmt, deren Befriedigung doch die ökonomische Aufgabe unseres Lebens ist.“

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Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation (1939)

Zivilisationsprozess als Figurationswandel(nicht intendierte, aber gerichtete Entwicklung)

▪ zunehmende Nähe u. Abhängigkeit der Menschen, funktionale Differenzierung u. Integration

▪ Monopolisierung von GewaltSchaffung regulierter, befriedeter Räume

▪ Überführung von Fremd- in Selbstzwang durch Internalisierung von Zwängen,

Verlegung körperl. Prozesse hinter die Kulissen

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Norbert Elias: Sozio- u. psychogenetisches Grundgesetz

Der geschichtlich-gesellschaftliche Prozess von Jahrhunderten vollzieht sich im einzelnen Menschen in abgekürzter Form von neuem: Fremdzwang wird zum Selbstzwang, die Scham- und Peinlichkeitsschwellen rücken vor.

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Negative Anthropologie

Ontologisches Argument : Die Frage nach dem Wesen des Menschen ist sinnlos, weil es ein solches Wesen nicht gibt.

Epistemisches Argument:Die anthropologische Definition des Menschen setzt eine außermenschliche Perspektive voraus – die den Menschen grundsätzlich nicht zugänglich ist.(Berücksichtigt nicht die Auffassung der Anthropologie als Selbstverständigung des Menschen über sich selbst.)

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Karls Marx: Drei Motive im Blick auf den Menschen

1. Prinzipielle Offenheit des Menschen( Sartre)

2. Gesellschaftliche Strukturen als prägende Bedingungen ( Foucault)

3. Entfremdung des Menschen von sich selbst ( Adorno)

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Jean-Paul Sartre (1905 – 1980)

„Die Existenz geht der Essenz voran.“

„Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht.“