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1 Prof. Dr. Wolfgang Meyer, VRiBSG aD Prof. Dr. Wolfgang Meyer Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht aD [email protected] Einführung in das Sozialrecht Teil 1 SS 2015 Nacharbeitshilfe 3 Fürsorge für Hilfebedürftige (Sozialhilfe; Grundsicherung für Arbeitsuchende u.a.) Teil I. Gemeinsame Grundlagen der Fürsorgesysteme A. Zur Entwicklung des Fürsorgerechts: 1. Nach dem 2. Weltkrieg galt zunächst die Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02.1924 (RGBl I 100). Sie war die erste, „polizeirechtlich“ ausgerichtete, reichseinheitliche Ordnung des Kernbereichs der Fürsorge. Ferner galten die zu ihrer Konkretisierung ergangenen "Reichsgrundsätze über Voraussetzungen, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge" vom 04.12.1924 (RGBl I 765). 2. Am 1. Juni 1962 trat das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 30.06.1961 in Kraft, das eine Kodifikation des allgemeinen Fürsorgerechts für die Armen mit neuem Regelungskonzept ausgestaltete. Das BSHG wurde am 01.01.2005 in das SGB XII eingegliedert. Dabei wurde das Recht auf Hilfe zur Arbeit aufgehoben. 3. Auch die früher in einem besonderen Gesetz geregelte bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter voller Erwerbsminderung, die es seit 2003 gibt, wurde mit ihrer besonders „großzügigen“ Regelung der „Hilfebedürftigkeit“ in das SGB XII (§§ 19 Abs 2, 41 bis 46) überführt. 4. Daneben gab und gibt es das sog "gehobene" Fürsorgerecht der Kriegsopferfürsorge (§§ 25 bis 27j BVG), ferner das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG - Aichberger Nr 962). 5. Die einschneidenste Änderung des Fürsorgerechts erfolgte zum 1.1.2005 durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe (früher im SGB III geregelt). Es gab, entgegen unzutreffenden Behauptungen in Politik und Recht, nie eine „Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und Sozialhilfe“. Diese Rechtsinstitution war eine Entgeltersatzleistung, hing also in ihrer Höhe ua von dem letzten maßgeblichen Arbeitsverdienst des Arbeitslosen ab. Die Voraussetzungen der Alhi- Bedürftigkeit waren typisiert. Sie trug dem Rechnung, dass der Bund eine wirtschaftliche und rechtliche Gesamtverantwortung für Umfang und Dauer von Arbeitslosigkeit auf dem gesamten Arbeitsmarkt hat. Sie war vom Bund aus Steuermitteln zu finanzieren und betrug 57 vH oder 50 vH des maßgeblichen letzten Leistungsentgelts. Dies wurde ersatzlos gestrichen. Dadurch fielen die bisher davon begünstigten Personenkreise in die allgemeine, von individuell-konkreter Bedürftigkeit abhängige Fürsorge. Bis dahin war in den §§ 18 bis 20 BSHG das Recht auf "Hilfe zur Arbeit" ausgestaltet. Die Gemeinden und Kreise als Sozialhilfeträger benötigten dafür die Hilfe der BA. Die Zusammenarbeit war gesetzlich vorgeschrieben, scheiterte aber zu häufig an Kompetenz-

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Prof. Dr. Wolfgang Meyer Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht aD [email protected] Einführung in das Sozialrecht Teil 1 SS 2015 Nacharbeitshilfe 3 Fürsorge für Hilfebedürftige (Sozialhilfe; Grundsicherung für Arbeitsuchende u.a.) Teil I. Gemeinsame Grundlagen der Fürsorgesysteme A. Zur Entwicklung des Fürsorgerechts: 1. Nach dem 2. Weltkrieg galt zunächst die Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02.1924 (RGBl I 100). Sie war die erste, „polizeirechtlich“ ausgerichtete, reichseinheitliche Ordnung des Kernbereichs der Fürsorge. Ferner galten die zu ihrer Konkretisierung ergangenen "Reichsgrundsätze über Voraussetzungen, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge" vom 04.12.1924 (RGBl I 765). 2. Am 1. Juni 1962 trat das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 30.06.1961 in Kraft, das eine Kodifikation des allgemeinen Fürsorgerechts für die Armen mit neuem Regelungskonzept ausgestaltete. Das BSHG wurde am 01.01.2005 in das SGB XII eingegliedert. Dabei wurde das Recht auf Hilfe zur Arbeit aufgehoben. 3. Auch die früher in einem besonderen Gesetz geregelte bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter voller Erwerbsminderung, die es seit 2003 gibt, wurde mit ihrer besonders „großzügigen“ Regelung der „Hilfebedürftigkeit“ in das SGB XII (§§ 19 Abs 2, 41 bis 46) überführt. 4. Daneben gab und gibt es das sog "gehobene" Fürsorgerecht der Kriegsopferfürsorge (§§ 25 bis 27j BVG), ferner das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG - Aichberger Nr 962). 5. Die einschneidenste Änderung des Fürsorgerechts erfolgte zum 1.1.2005 durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe (früher im SGB III geregelt). Es gab, entgegen unzutreffenden Behauptungen in Politik und Recht, nie eine „Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und Sozialhilfe“. Diese Rechtsinstitution war eine Entgeltersatzleistung, hing also in ihrer Höhe ua von dem letzten maßgeblichen Arbeitsverdienst des Arbeitslosen ab. Die Voraussetzungen der Alhi-Bedürftigkeit waren typisiert. Sie trug dem Rechnung, dass der Bund eine wirtschaftliche und rechtliche Gesamtverantwortung für Umfang und Dauer von Arbeitslosigkeit auf dem gesamten Arbeitsmarkt hat. Sie war vom Bund aus Steuermitteln zu finanzieren und betrug 57 vH oder 50 vH des maßgeblichen letzten Leistungsentgelts. Dies wurde ersatzlos gestrichen. Dadurch fielen die bisher davon begünstigten Personenkreise in die allgemeine, von individuell-konkreter Bedürftigkeit abhängige Fürsorge. Bis dahin war in den §§ 18 bis 20 BSHG das Recht auf "Hilfe zur Arbeit" ausgestaltet. Die Gemeinden und Kreise als Sozialhilfeträger benötigten dafür die Hilfe der BA. Die Zusammenarbeit war gesetzlich vorgeschrieben, scheiterte aber zu häufig an Kompetenz-

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und Finanzierungsproblemen. Mehrere kleinere Reformen brachten keine durchgreifende Besserung. Hier, und nur hier, bestand ein Bedarf nach einer gesetzlichen Neuordnung. Der Bund wollte aber vor allem die Kosten für die Alhi sparen und nur das Unvermeidbare zu einer neuen Regelung finanziell beitragen. Nicht zuletzt sollte die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte für die Unternehmer erhöht werden. Zu den Hintergründen kritisch, wenn leider auch sehr wirklichkeitsnah: Christoph Butterwegge, Hartz IV und die Folgen, 2015 6. Durch die Einführung der sog Grundsicherung für erwerbsfähige hilfebedürftige Arbeitsuchende als SGB II wurde 2005 a) das Recht auf „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ (§§ 14 bis 16q SGB II) und das Rechts auf „Arbeitslosengeld II“ (Alg II) mit deutlich gesteigerten Mitwirkungspflichten und mit scharfen Sanktionen bei deren Verletzung durch Kürzung des Alg II (§§ 31, 32 SGB II) eingeführt. Hinweis: Das SGB II enthält keine Entgeltersatzleistungen. Darunter sind nur solche Geldleistungsrechte zu verstehen, deren Wert (Höhe) sich aus konkreter Anknüpfung an das zuletzt vor dem Entstehen des Rechts erzielte Arbeitsentgelt ergibt. Alg II knüpft aber nur an das jeweilige konkrete Ausmaß der Bedürftigkeit an. B. Verfassungsrechtliche Grundlagen (Wiederholung) 1. Wer seine menschenwürdige Existenz (ganz oder teilweise) konkret im Bedarfszeitraum weder aus dem Verzehr der Früchte oder der Substanz seines Vermögens noch aus den Einkünften aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus zivilrechtlichen Ansprüchen (Unterhaltsansprüchen, Privatversicherungsansprüchen etc) noch aus seinen sozialrechtlichen Leistungsansprüchen gegen vorrangig zuständige Leistungsträger (aus der Sozial- oder der Arbeitslosenversicherung, aus der sozialen Entschädigung oder aus „Fördersystemen“ <z.B. BAföG, WoGG etc>) noch aus tatsächlich erbrachten Leistungen Dritter sichern kann, hat (insoweit) ein durch Art. 1 Abs 1 iVm Art. 20 Abs 1 GG garantiertes Recht auf die "Fürsorge" des Staates nach näherer Maßgabe des einschlägigen Fürsorgegesetzes (SGB II; SGB XII; Asylbewerberleistungsgesetz; §§ 25 ff BVG). 2. Verfassungsrechtliche Schutzpflicht: Die Schutzpflicht des Staates für die Menschenwürde jeder Person, die unter seiner Macht steht (Art 1 Abs 1 GG), und die Verpflichtung, ein sozialer Rechtsstaat zu sein (Art 20 Abs 1 iVm Art 28 Abs 1 GG), bedeuten, dass der Staat jedem das Existenzminimum durch Steuerrecht und/oder Sozialrecht belassen bzw. gewähren muss. Wie dies geschieht, steht grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, der aber das menschenwürdige Existenzminimum realitätsnah und folgerichtig feststellen und laufend kontrollieren muss (stellv. BVerfGE 110, 412, 431 ff). Soweit er dies ausgestaltet, ist der Bürger Rechtsinhaber, nicht bloßes "Objekt" staatlicher Fürsorge (stellv. BVerwGE 1, 159; BVerfGE 82, 60). 3. Grundgesetzliche Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums:

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Gesetzlich zu gewährleisten ist grundsätzlich das sog menschenwürdige ("kulturelle"; "konventionelle") Existenzminimum. Es darf aber uU auf das "absolute Existenzminimum", uU sogar auf ein niedrigeres Niveau beschränkt werden, wenn der Betroffene rechtmäßige Mitwirkungsobliegenheiten verletzt. 4. Niemand ist verpflichtet, Fürsorge zu beantragen oder entgegenzunehmen; keiner muss sie sich aufdrängen lassen (Art. 2 Abs 1 GG – Vorsorgefreiheit). Andernfalls trifft ihn die Obliegenheit, u.a. an der Beseitigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit mitzuwirken. 5. Die Bundeskompetenz zur Gesetzgebung für das (materielle) Fürsorgerecht ergibt sich aus Art 72 Abs 2, 74 Abs 1 Nr 7 GG. 6. Die Verwaltungskompetenz liegt bei den „Gemeinden“ nach Art. 28 Abs 2 GG und bei den Ländern (Art. 83 f GG). 7. Die Zuschusspflicht des Bundes zur "Arbeitslosenhilfe", die als eigenes Rechtsgebiet seit dem 01.01.2005 abgeschafft worden ist, ergibt sich aus Art 120 Abs 1 Satz 4 GG. Sie bezieht sich heute auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), die aus der Sozialhilfe ausgegliedert wurde und funktional z.T. an die Stelle der Arbeitslosenhilfe getreten ist. 8. Das SGB II ist auch aus europarechtlicher Sicht ein Fürsorgegesetz und enthält, anders als das Arbeitslosenversicherungsrecht im SGB III, keine von Vorleistungen abhängenden Versicherungsleistungen. C. Das elementare soziale Recht auf „Sozialhilfe“ I. Materien und gemeinsame Inhalte des Fürsorgerechts 1. Seit 2005 ist die Sozialhilfe im SGB in zwei Gesetzbücher gespalten, in das SGB XII mit der „Sozialhilfe im engeren Sinn“ und in das SGB II, der spezielleren Sozialhilfe für erwerbsfähige Personen ab Beginn des 16. Lebensjahrs bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, die jetzt „Grundsicherung für Arbeitsuchende „ genannt wird. Das soziale Recht auf Sozialhilfe schützt aber nicht nur die nach SGB II und SGB XII hilfebedürftigen Personen. Es wird heute ausgefüllt durch die §§ 28, 19a SGB I iVm dem SGB XII (Sozialhilfe), dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) sowie dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das nicht als Teil des SGB gilt, und bei Berechtigten in der sozialen Entschädigung durch die Vorschriften der Kriegsopferfürsorge der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). 1. Zum grundlegenden sozialen Recht auf Sozialhilfe § 9 SGB I Sozialhilfe: (Tatbestand) „Wer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder in besonderen Lebenslagen sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält,

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(Rechtsfolge) hat ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht, ihn zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert. (Mitwirkungsobliegenheit) Hierbei müssen Leistungsberechtigte nach ihren Kräften mitwirken.“ Diese Vorschrift ist zwar so genau bestimmt, dass aus ihr selbst uU konkrete Ansprüche entstehen können, wenn nämlich eine völlig hilflose Person elementarster Hilfe zum Überleben bedarf. Sie ist aber zu unbestimmt, im Alltag allein die faktischen Voraussetzungen der Wahrnehmung der Menschenwürde und der Grundrechte ohne konkretisierende weitere Vorschriften in Rechtspflichten eines Trägers und in Rechtsansprüchen einer Person zu regeln. Ihre Vorgaben sind aber gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 SGB I bei der Auslegung der konkretisierenden Normen in den besonderen Teilen des SGB zu beachten, nicht nur zu berücksichtigen. Ferner müssen sie auch bei der Ermessensausübung vom Träger beachtet werden und geben dazu vor („intendiertes Ermessen“), dass sicherzustellen ist, dass das Recht auf Sozialhilfe möglichst weitgehend verwirklicht wird. In der Praxis der Träger und der Sozialgerichtsbarkeit werden diese zwingenden gesetzlichen Vorgaben (§ 37 Satz 2 SGB I) ua trotz des Gesetzesvorbehalts (aus § 31 SGB I und des Vorrangs des Gesetzes aus Art. 20 Abs 3 Regelung 2 GG) viel zu häufig schlicht ignoriert. Der Satz: „Recht ist, was Kosten spart“, ist auch in der „Fürsorge“ wohl, wie früher in der „polizeirechtlichen“ Fürsorge vor dem Grundgesetz, wieder ein oberster Auslegungsgrundsatz. 2. Inhaber des sozialen Rechts auf Sozialhilfe kann nur eine „natürliche“ Rechtsperson sein, die spezifisch im fürsorgerechtlichen Sinn „hilfebedürftig“ ist und ggf zudem die jeweils weiteren Voraussetzungen erfüllt. Hilfebedürftig ist eine Person, wenn sie nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften ihren (menschenwürdigen) Lebensunterhalt zu bestreiten oder in besonderen Lebenslagen sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält. § 9 SGB I prägt die wichtigsten drei fürsorgerechtlichen Grundsätze aus: (1) Konkrete Hilfebedürftigkeit: Sozialhilfeberechtigt kann jemand nur sein, wenn, solange und soweit er konkret- individuell der Hilfe zur Erlangung eines menschenwürdigen Lebensunterhalts bedarf (§ 1 Satz 1 SGB XII; §§ 1 Abs 1, 9 Abs 1, 4 SGB II). Das ist der Fall, wenn er trotz ihm möglicher Eigenbemühungen seinen alltäglichen menschenwürdigen Lebensunterhalt oder den zusätzlichen Bedarf in besonderen

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Lebenslagen nicht aus dem ihm rechtlich zustehenden Vermögen und nicht aus eigenen Rechten auf Einkommen konkret verfügbar sichern kann und sein konkreter Bedarf auch nicht von anderen Rechtssubjekten, aus seiner Bedarfsgemeinschaft oder von Dritten, faktisch gedeckt wird. Die (sich abzeichnende oder gerade erst beendete) Bedarfslage kann im Einzelfall auch vorbeugende oder nachgehende Sozialhilfe umfassen (§ 15 SGB XII; § 16g SGB II). (2) Nachrang der Sozialhilfe: Sozialhilfeberechtigt kann nicht sein, wer sich ganz oder teilweise selbst helfen kann oder die Hilfe von Dritten erhält. Sozialhilfe ist absolut nachrangig gegenüber allen anderen Möglichkeiten (Hilfsquellen), mit denen die Person ihren konkreten Bedarf deckt oder realisierbar decken kann (§ 2 SGB XII; § 5 Abs 1, 3; §§ 11 bis 12a SGB II). (3) Hilfe zur Selbsthilfe – Eigenbemühungen: Soziallhilfeberechtigt kann nur sein, wer als Hilfebedürftiger nach Kräften daran mitwirkt und darauf hinarbeitet, unabhängig von Hilfe leben zu können. Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens aus eigenen Kräften zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfe soll sie so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben (§ 1 Satz 2, 3, § 12 SGB XII; § 1 Abs 2, § 2, 14 bis 16f, 31 bis 32 SGB II). 3. Zur fürsorgerechtlichen Bedarfsgemeinschaft Aus fürsorgerechtlicher Sicht leben die Menschen grundsätzlich in Bedarfsgemeinschaften, die den menschenwürdigen Unterhalt aller ihrer Mitglieder faktisch sicherstellen, unabhängig davon, ob die einzelnen Mitglieder rechtlich dazu verpflichtet sind oder nicht. So sind zB die meisten Kinder „hilfebedürftig“, wenn man sie individualistisch betrachtet, nämlich nicht in der Lage, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten, zumal in Deutschland Kinderarbeit grundsätzlich verboten ist (Jugendarbeitsschutzgesetz). Sie erhalten ihn durch andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören, also mehr als zwei Drittel aller Kinder von ihren miteinander verheirateten Eltern. a) Das Fürsorgerecht hat jedenfalls schon seit 1924 („Familiennotgemeinschaft“) einerseits immer den einzelnen Hilfebedürftigen im Blick gehabt, aber stets beachtet, dass die Mehrzahl der der Hilfebedürftigen und auch die aller Menschen, also auch die der möglicherweise künftig hilfsbedürftig werdenden Personen, meistens nicht als „isolierte Individuen“ leben. Vielmehr leben sie in Gemeinschaften, nämlich in Ehe und Familie, manche auch in eheähnlichen Gemeinschaften, Lebenspartnerschaften und in anderen Gemeinschaften, in denen ebenfalls nicht nur gemeinsam gewohnt (Wohngemeinschaft) und gemeinsam gewirtschaftet („Wirtschaften aus einem Topf“ – Haushaltsgemeinschaft), sondern (auch über Rechtspflichten hinaus und sogar ohne sie) füreinander faktisch eingestanden wird (Einstandsgemeinschaft). Bedarfsgemeinschaften decken, soweit die Mittel und Kräfte aller Gemeinschaftsmitglieder reichen, den menschenwürdigen Unterhalt aller Mitglieder. b) Stets ging es dem Staat auch um die Begrenzung der Kosten der öffentlichen Fürsorge. Daher hat sich das Fürsorgerecht beim Fürsorgebedarf nie gescheut, einen Bedarf nach öffentlicher Hilfe nur anzuerkennen, soweit der Hilfebedarf des Einzelnen durch die Bedarfsgemeinschaft nicht gedeckt wird und konkret nicht gedeckt werden kann.

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Das Fürsorgerecht rechnet nicht nur die konkret realisierbaren rechtspflichtigen Leistungen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft untereinander an, sondern auch die ungeschuldeten faktischen Zuwendungen der nicht hilfebedürftigen Mitglieder an die schwächeren. Da man solches Sozialverhalten (rechtlich nicht geschuldete Leistungen an andere Mitglieder) als derart weit verbreitet und üblich sowie sozialadäquat ansah, hat das Fürsorgerecht sich nie gescheut, einen Bedarfsdeckungsbeitrag der selbst nicht hilfebedürftigen Mitglieder auch dann zu unterstellen und bedarfsmindernd zu berücksichtigen, wenn er im Einzelfall tatsächlich nicht erbracht wurde. So wird zB in § 7 Abs 3a SGB II die tatsächliche, widerlegbare Vermutung, aufgestellt, dass sie füreinander einstehen („wechselseitig Verantwortung übernehmen“ vgl BVerfGE 87, 234 bis 269 zur Alhi). Daher wird der Hilfebedarf einer Bedarfsgemeinschaft insgesamt geprüft, auch wenn jedes Mitglied materiell ein eigenes Recht auf Hilfe hat. Auch jedes Mitglied, das selbst nicht hilfebedürftig, nicht erwerbsfähig, zu jung oder zu alt ist, wird erfasst. Seine Zahlungsfähigkeit mindert den Gesamtbedarf. Dem Konzept der „Bedarfsgemeinschaft“ liegt also die im Sozialhilferecht seit langem bestehende Vorstellung zu Grunde, dass Personen, die familiäre, partnerschaftliche, verwandtschaftliche oder andere besondere persönliche Beziehungen zueinander haben und die in einer gemeinsamen Wohnungs-, Wirtschafts- und Einstandsgemeinschaft leben, sich in Notlagen gegenseitig materiell unterstützen und ihren Bedarf gemeinsam decken. Wieweit eine reale Bedarfsgemeinschaft für den jeweiligen Fürsorgebereich rechtserheblich wird, wer ihr rechtlich zugerechnet wird, das wird im SGB II und im SGB XII jeweils spezifisch modifiziert. c) Obwohl somit der Hilfebedarf jedes Einzelnen von der Leistungskraft seiner Bedarfsgemeinschaft abhängt, hat jeder Einzelne, soweit er danach hilfebedürftig ist, ein eigenes Recht auf Sozialhilfe gegen den für ihn zuständigen Träger. Deshalb gilt auch der einzelne Hilfebedürftige, der nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, verwaltungstechnisch als Bedarfsgemeinschaft; auch über ihn wird ggf eine „BG-Akte“ geführt. Die einzelnen Rechte auf Sozialhilfe der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, werden verfahrensrechtlich zumeist gebündelt und vom „Haushaltsvorstand“ geltend gemacht. Auch der Bewilligungsbescheid wird zumeist ihm bekanntgemacht. Der Bescheid bündelt aber Verwaltungsakte, die an die einzelnen Leistungsberechtigten adressiert sind und deren Ansprüche regeln. Alle Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft sind verpflichtet, der Behörde Auskunft über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben. Sind zB: Die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch, kann die Bedarfsgemeinschaft aufgefordert werden, in eine kostengünstigere Wohnung umzuziehen. Wird also aus einer „Bedarfsgemeinschaft“ die bisher nie etwas mit der Fürsorge zu tun hatte, auch nur ein Mitglied hilfebedürftig und stellt es einen Leistungsantrag, hat dies weitreichende Folgen auch für die anderen. Denn es muss nicht nur der Antragsteller, sondern es müssen auch alle anderen Mitglieder den „sozialen Offenbarungseid“ gegenüber dem Träger leisten, also ihre gesamten Vermögens- und Einkommensverhältnisse offen legen (oder, um dies zu vermeiden, ggf dem Antragsteller sogar ohne Rechtspflicht selber <mehr> zahlen).

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Zudem wird als Regelbedarf von volljährigen Hilfebedürftigen, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit einem Partner leben, nur 90 vH des Regelbedarfs eines Alleinstehenden anerkannt. Eine Bedarfsgemeinschaft kann auch nur temporär, für eine gewisse Dauer, vorübergehend bestehen (zB Kind während eines Wochenendes beim Vater). Hinweis: Aus wirtschaftlicher Sicht wirkt sich das Konzept der Bedarfsgemeinschaft sowohl für ihre hilfebedürftigen als gerade auch für ihr nicht hilfebedürftigen Mitglieder so aus, dass alle durch höhere Fürsorgeleistungen belohnt werden, wenn sie die Bedarfsgemeinschaft auflösen (sog Trennungsprämie). II. Rechtsinhaber Rechte auf Fürsorgeleistungen kann nur haben, wer spezifisch im fürsorgerechtlichen Sinn „hilfebedürftig“ ist. 1. Die konkreten Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit, aber auch die weiteren Voraussetzungen, werden in den verschiedenen Fürsorgegesetzen (hier werden nur berücksichtigt: SGB XII, SGB II) nach deren unterschiedlichen Zielsetzungen teilweise unterschiedlich ausgestaltet. Maßstab der Hilfebedürftigkeit ist aber stets das menschenwürdige Existenzminimum. 2. Grundregeln der Leistungsberechtigung in SGB XII Für das SGB XII sind die Kreise der Leistungsberechtigten für die einzelnen Arten von Leistungsrechten vorab in § 19 Abs 1 bis 3. sowie ua in den §§27, 41, 53, 61, 67 SGB XII festgelegt. „§ 19 SGB XII Leistungsberechtigte (1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. (2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor. (3) Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet. Dies erfolgt, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.“ Das umschreibt die

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Bedarfsgemeinschaft iSd SGBXII, soweit sie für die Kapitel fünf bis neun rechtserheblich ist. 3. Grundregeln der Leistungsberechtigung im SGB II Für das SGB II wird der Kreis der Leistungsberechtigten in § 7 SGB II umschrieben. Es gibt danach „erwerbsfähige“ Leistungsberechtigte (= Alg II-Berechtigte) und sog „nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte“ (=Sozialgeldberechtigte), ferner kann es andere Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft geben, die selbst nicht „leistungsberechtigt“ nach dem SGB II sind. a) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte: „§ 7 Leistungsberechtigte (1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben („zwischen 15 und 65+“), 2. erwerbsfähig sind (§§ 8, 10 SGB II), 3. hilfebedürftig sind (§§ 9, 11 bis 12a SGB II) und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte=“Legaldefinition“).“

Ferner ist bei diesen Personen eine „ungeschriebene“ Voraussetzung für den (unverminderten) Bestand des Rechts auf Alg II, dass sie „arbeitsuchend“ sind und dies durch die ihnen obliegende Mitwirkung auch verwirklichen (§§ 31, 32 SGB II). Ausschließlich diese (arbeitsuchenden) „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ können Rechte auf Leistungen zur Eingliederung in die Arbeit (§§ 14 bis 16g SGB II) und ein Recht auf Alg II (§§ 19 Abs I, III bis 23 SGB II) haben. Nach § 7 Abs 1 Satz 2 bis 4 SGB II sind bestimmte Ausländer, auch einige EU-Ausländer/Unionsbürger (mit Rückausnahmen) vom persönlichen Geltungsbereich des SGB II ausgenommen. b) SGB II-erhebliche Bedarfsgemeinschaften (aus „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“, Sozialgeldberechtigten und ggf nicht Hilfebedürftigen): § 7 Abs 2 Satz 1 SGB II bestimmt: „Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben.“ …. Danach können (außer den nach § 7 Abs 1 SGB II „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ = „Alg II-Berechtigten“) bestimmte andere hilfebedürftige Personen „leistungsberechtigt“ sein, und zwar als „Sozialgeld-Berechtigte“, wenn sie mit mindestens einem nach § 7 Abs 1 SGB II „Alg II-Berechtigten“ in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Diese Personen erfüllen selbst die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 SGB II nicht, da sie zu jung, zu alt oder nicht erwerbsfähig sind. Die Vorschrift erweitert den persönlichen Geltungsbereich des SGB II erstens auf Sozialgeldberechtigte (§ 19 Abs 1 Satz 2 SGB II). Das sind hilfebedürftige Personen, die keine „Alg II-Berechtigten“ sind, aber mit wenigstens einem solchen in einer Bedarfsgemeinschaft leben (in der Fürsorgepraxis abgekürzt zu „BG“; das bedeutet in der GUV aber „Berufsgenossenschaft“). Ein hilfebedürftiger Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft, der nach § 7 Abs 1 SGB II nicht leistungsberechtigt ist, hat zwar kein Recht auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit

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und kein Recht auf Alg II, aber ua grundsätzlich ein Recht auf „Sozialgeld“(§ 19 Abs 1 Satz 2 SGB II). Drittens wird der persönliche Geltungsbereich sogar auf nicht hilfebedürftige Personen und deshalb nicht leistungsberechtigte ausgedehnt, die einer solchen Bedarfsgemeinschaft angehören, also mit einem Alg II-Berechtigten in einer Wohn-, Haushalts- und Einstehensgemeinschaft leben. Die nicht hilfebedürftigen Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft sind natürlich nicht „leistungsberechtigt“. Jedoch verringern ihr im konkreten Bedarfszeitraum verfügbares Einkommen und ihr realisierbares Vermögen den Hilfebedarf der anderen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft, also auch die Leistungspflichten/Schulden des Fürsorgeträgers. Eine „BG“ mit wenigstens einem derartigen nicht hilfebedürftigen Mitglied nennt man irreführend manchmal „gemischte Bedarfsgemeinschaft“ (aus Hilfebedürftigen und Nicht- Hilfebedürftigen). c) § 7 Abs 3 Nrn 1 bis 4, 3a SGB II enthält eine abschließende gesetzliche Aufzählung der möglichen Arten von Angehörigen einer BG iSd SGB II: „(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören 1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, 2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils, 3. als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten a) die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, b) die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner, c) eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. 4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. (3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner 1. länger als ein Jahr zusammenleben, 2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, 3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.“ Danach können also SGB II-erhebliche Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nur folgende Arten von Personen sein: aa) Die nach § 7 Abs 1 SGB III grundsätzlich Alg II-Berechtigten und

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Nachstehende, sofern sie mit mindestens einem „Alg II-Berechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben: bb) Ehegatten, Lebenspartner und Partner in einer eheähnlichen oder partnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, cc) die im Haushalt lebenden Eltern/Elternteile und deren Partner eines unter 25-jährigen unverheirateten erwerbsfähigen „Kindes“ und dd) die zum Haushalt gehörenden unter 25-jährigen unverheirateten hilfebedürftigen „Kinder“. Hinweis: Es folgen in § 7 Abs 4 und 5/6 aaO Abgrenzungen des sachlichen Anwendungsbereichs des SGB ii und in § 7 Abs 4a ein „Rechtsausschluss“ <rechtshindernder bzw rechtsvernichtender materiell-rechtlicher Einwand>, je zT mit Gegenausnahmen (siehe unten). III. Rechtsinhalte In SGB XII und SGB II muss es gemäß der Rechtsfolge des § 9 SGB I Rechte des Hilfebedürftigen geben auf: persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht, ihn zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert. 1. Welche Arten von Rechten den Hilfebedürftigen iSd SGB XII, also der „Sozialhilfe“ im engeren Sinn, zustehen können, wird in § 28 Abs 1 SGB I konkretisiert. „§ 28 SGB I Leistungen der Sozialhilfe (1) Nach dem Recht der Sozialhilfe können in Anspruch genommen werden: 1. Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 bis 40 SGB XII), 1a. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (41 bis 46b SGB XII) 2. Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 bis 52 SGB XII), 3. Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII), 4. Hilfe zur Pflege (§§ 61 bis 66 SGB XII), 5. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 bis 69 SGB XII), 6. Hilfe in anderen Lebenslagen (§§ 70 bis 74 SGB XII) sowie die jeweils gebotene Beratung und Unterstützung (§ 11 SGB XII).“ Diese Rechtsinhalte werden in dem oben zitierten § 19 Abs 1 bis 3 SGB XII als Rechte der dort genannten Leistungsberechtigten ausgewiesen. 2. Welche Arten von Rechten den Hilfebedürftigen iSd des SGB II, der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, zustehen können, ergibt sich aus § 19a Abs 1 SGB I: „§ 19a SGB I Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende

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(1) Nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende können in Anspruch genommen werden 1. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 bis 18e SGB II), 2. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 bis 32 SGB II).“ Das wird für die Geldleistungsrechte aus dem SGB II in § 19 SGB II näher bestimmt: „§ 19 Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe (1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung.“ Obwohl die hilfebedürftigen „Sozialgeldberechtigten“ nicht „arbeitsuchend“ sind und nicht zur Arbeitsaufnahme „gefördert und gefordert“ werden können, werden sie allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft mit (wenigstens) einem Alg II-Bezieher aus dem persönlichen Geltungsbereich des SGB XII „herausgeholt“ und dem SGB II unterstellt. Sie haben ein Recht auf „Sozialgeld“, wenn sie Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft und hilfebedürftig iSv § 9 SGB II sind. Das gilt aber nicht (Gegenausnahme), wenn sie Leistungsberechtigte iSv § 19 Abs 2 SGB XII sind, also ein Recht auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 bis 46b SGB XII haben. Hinweis: § 19 Abs 2 SGB II enthält Regeln über Rechte auf Leistungen für Bildung und Teilhabe (§§ 28 bis 30 SGB II), Abs 3 aaO Regeln für die Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf Alg II und Sozialgeld. IV. Arten der verpflichteten Leistungsträger (Schuldner) Welche Arten von Leistungsträgern die Schuldner der Leistungsrechte der Hilfebedürftiger sein können, steht in § 28 Abs 2 SGB I bzw in § 19a Abs 2 SGB I. 1. Nach dem SGB XII verpflichtete Träger sind: „§ 28 Abs 2 SGB I: Zuständig (=verbandszuständig= verpflichtet) zur Erfüllung der Rechte auf Sozialhilfe sind die Kreise und kreisfreien Städte, die überörtlichen Träger der Sozialhilfe und für besondere Aufgaben die Gesundheitsämter; sie (alle) arbeiten mit den Trägern der freien Wohlfahrtspflege zusammen. Das wird vom SGB XII in den §§3 bis 5, 7, 97 bis 101 SGB XII konkretisiert. Grundsatz ist: „§ 3 Träger der Sozialhilfe (1) Die Sozialhilfe wird von örtlichen und überörtlichen Trägern geleistet. (2) Örtliche Träger der Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und die Kreise, soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt wird. Bei der Bestimmung durch Landesrecht ist zu gewährleisten, dass die zukünftigen örtlichen Träger mit der Übertragung dieser Aufgaben einverstanden sind, nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem

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Buch geeignet sind und dass die Erfüllung dieser Aufgaben in dem gesamten Kreisgebiet sichergestellt ist. (3) Die Länder bestimmen die überörtlichen Träger der Sozialhilfe.“ 2. Nach dem SGB II verpflichtete Träger sind: „§ 19a Abs 2 SGB I: Zuständig sind die Agenturen für Arbeit und die sonstigen Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit sowie die kreisfreien Städte und Kreise, soweit durch Landesrecht nicht andere Träger bestimmt sind. In den Fällen des § 6a des Zweiten Buches ist abweichend von Satz 1 der zugelassene kommunale Träger zuständig („Optionskommunen“). Das wird vom SGB II in den §§ 6, 6a, 6b, 6d, 44b und 44c SGB II konkretisiert. Grundsatz ist: „§ 6 Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (1) Träger der Leistungen nach diesem Buch sind: 1.die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur), soweit Nummer 2 nichts anderes bestimmt, 2. die kreisfreien Städte und Kreise für die Leistungen nach § 16a, das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld, soweit Arbeitslosengeld II und Sozialgeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, die Leistungen nach § 24 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 und 2, § 27 Absatz 3 sowie für die Leistungen nach § 28, soweit durch Landesrecht nicht andere Träger bestimmt sind (kommunale Träger). …“ Nach §§ 6a,b SGB II können „zugelassene kommunale Träger“ an die Stelle der BA treten. Nach der Kommunalträger-ZulassungsVO sind es derzeit 103 Träger, welche alle Träger-Pflichten aus dem SGB II treffen. Wenn die BA und kommunale Träger zusammenarbeiten, haben sie nach § 44b SGB II „gemeinsame Einrichtungen“ zur einheitlichen Durchführung des Gesetzes zu bilden. Deren Struktur und Arbeitsweise wird in den §§ 44e bis 44k SGB II geregelt. Die „Gemeinsamen Einrichtungen“, aber auch die zugelassenen kommunalen Träger führen die (irreführende) Bezeichnung: “Jobcenter“ (§ 6d SGB II). D. Hinweise auf die (Abgrenzung der) Anwendungsbereiche von SGB XII und SGB II: I. Das SGB II erfasst als spezielleres Gesetz gegenüber dem SGB XII nach seinem persönlichen Anwendungsbereich hauptsächlich 1. Personen ab dem 16. Lebensjahr bis „65+“ (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 7a SGB II). 2. Hilfebedürftige, die nach seinen Regeln über die Anrechnung von Einkünften und Vermögen und nach seinen Nachrangregeln (§§ 11 bis 13 SGB II iVm der „Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung<Alg II-V, BGBl I 2007 S. 2942> den Regelbedarf, den Mehrbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht aus eigenen Kräften bestreiten können.

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Diese Regeln weichen gelegentlich zugunsten der Arbeitsuchenden von denen des SGB XII ab. 3. Die Hilfebedürftigen müssen nach §7 Abs I SGB II erwerbsfähig sein, also gesundheitlich fähig sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 SGB II). 4. Grundsätzlich umfasst der allgemeine Arbeitsmarkt, an dem ihre gesundheitliche Fähigkeit zu einer Erwerbstätigkeit bemessen wird, jede Arbeit. Denn nach § 10 Abs 1 SGB II ist dem Arbeitsuchenden „jede Arbeit zumutbar“, zu der er gesundheitlich in der Lage ist. Das gilt nur dann nicht, wenn eine der dort geregelten Ausnahmen vorliegt (siehe aber auch die „Rückausnahmen“ in Abs 3 aaO). 5. § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II setzt schließlich voraus, dass der >Hilfebedürftige seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ in der Bundesrepublik Deutschland hat (dazu § 30 Abs 1, Abs 3 Satz 2 SGB I). 6. Nicht einbezogen werden in den persönlichen Anwendungsbereich nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II Ausländer, die nach den vorgenannten Kriterien „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ wären, aber ohne Erwerbstätigkeit oder ohne EU-Freizügigkeitsberechtigung sind: „1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, 3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.“ Satz 3 aaO enthält Gegenausnahmen. Über die Vereinbarkeit dieser Ausgrenzungen von EU-Ausländern wird in Kürze der EuGH eine hoffentlich abschließende Entscheidung treffen. (Siehe dazu die „Öffnungsklausel“ in Art. 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG) II. Zur Abgrenzung der sachlichen Anwendungsbereiche beider Gesetze 1. Für die nicht vom SGB II (oder vom BVG oder vom Asylbewerberleistungsgesetz) erfassten Hilfebedürftigen gilt die Sozialhilfe nach dem SGB XII. 2. Das SGB II zielt auf eine sachlich abschließende Regelung der Leistungsrechte für die selbst oder nur als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungsberechtigten. Nur ausnahmsweise ist bei ihnen ein Rückgriff auf Regeln oder Grundsätze des SGB XII erlaubt. „§ 3 SGB II Leistungsgrundsätze (3) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dürfen nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann; die nach diesem Buch vorgesehenen Leistungen decken den Bedarf der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen.“

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3. Das SGB II grenzt aber mehrfach seine sachliche Anwendung ab (zB): a) „§ 19 Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe (1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. (2) Leistungsberechtigte haben unter den Voraussetzungen des § 28 Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben. Soweit für Kinder Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe nach § 6b des Bundeskindergeldgesetzes gewährt werden, haben sie keinen Anspruch auf entsprechende Leistungen zur Deckung von Bedarfen nach § 28.“ b) § 7 Abs 5 SGB II grenzt zur Ausbildungsförderung nach BaföG und zur Berufsausbildungsbeihilfe nach SGB III ab: „Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 51, 57 und 58 des SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. (6) Absatz 5 findet keine Anwendung auf Auszubildende, …….“ Es muss also nicht einmal ein konkreter Leistungsanspruch nach BAföG oder SGB III bestehen, sondern nur ein Stammrecht (auch irreführend „Grundanspruch“ oder „Anspruch dem Grunde nach“ genannt). Wenn aber dort keine Leistungsansprüche bestehen, können sie uU doch Ansprüche nach § 27 SGB II haben. c) § 7 Abs 4 SGB II enthält weitere Systemabgrenzungen sachlicher Natur: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch, 1. wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder 2. wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.“ d) Eine sog „gemischte Bedarfsgemeinschaft“ (siehe oben) liegt zB vor, wenn der Alleinverdiener der Bedarfsgemeinschaft (ein anderer ist ein „erwerbsfähiger Leistungsberechtigter“) und selbst nicht hilfebedürftig ist. Dann ist er selbst zB als Altersrentner oder wegen zu hohen Einkommens kein „Leistungsberechtigter“ nach dem SGB II. Er könnte aber nach Deckung seines Eigenbedarfs zur Teildeckung des Hilfebedarfs der Bedarfsgemeinschaft beitragen. Der Alleinverdiener hätte jedoch keine Möglichkeit, seinen eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen. Denn er wäre von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen und auch nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB XII. Vielmehr würde sein Einkommen voll zur Minderung des Hilfebedarfs aller Mitglieder herangezogen werden. Dann jedoch darf nur das Einkommen berücksichtigt werden, das den fiktiven Bedarf des Alleinverdieners nach dem SGB II übersteigt. Befindet sich der Alleinverdiener in einer stationären Einrichtung (zB Pflegeheim), muss sein Einkommen in Höhe des Sicherungsniveaus aus § 27 SGB XII unangetastet bleiben, da das SGB II derartige Leistungen nicht vorsieht.

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E. Materiell-rechtlicher rechtsvernichtender Einwand gegen Leistungsrecht aus § 7 Abs 4a SGB II mangels Verfügbarkeit/Mitwirkungspflichtverletzung: „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nach diesem Buch außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn ....“ Teil II. Ergänzende Kurzhinweise zum SGB XII – Sozialhilfe im engeren Sinn Bitte lesen Sie vorab die Informationen zum SGB XII oben im Teil I. A. Zur Wiederholung – Vertiefung: Einige Grundvoraussetzungen: 1. Ein solches Recht kann jemand nur haben, soweit er öffentlicher, aus Steuermitteln finanzierter Hilfe konkret tatsächlich bedarf (§ 2 SGB XII – Nachrang der Sozialhilfe). Die Hilfen sollen ihn befähigen, unabhängig von ihr zu leben (§ 1 Satz 2 SGB XII – „Hilfe zur Selbsthilfe“). Das Recht auf Sozialhilfe umfasst die in § 8 SGB XII aufgezählten Arten von Leistungen. 2. Keinen Hilfebedarf hat jemand, soweit er seine menschenwürdige Existenz (§ 1 Satz 1 SGB XII) durch den Einsatz seiner Arbeitskraft (§11 Abs 3, 4 und § 39a SGB XII), durch eigenes Einkommen (§§ 82 bis 84, 85 bis 89 SGB XII), durch eigenes Vermögen (§§ 90, 91 SGB XII), durch Leistungen anderer Sozialleistungsträger (§ 2 SGB XII) oder durch geschuldete, tatsächlich erfolgende oder vermutete Leistungen Dritter (§§ 2, 39, 43, 82 bis 84, 85 bis 89, 90, 91, 92,92a SGB XII) selbst sichern kann. 3. Der Hilfeempfänger oder ein Dritter, der den Hilfebedarf vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, muss grundsätzlich die Kosten der Sozialhilfe ersetzen (Kostenersatz nach §§ 103, 104 SGB XII). Zur Kostenersatzpflicht des Erben siehe § 102 SGB XII. 4. Sicherung des Nachrangs: Hatte der Hilfeempfänger für den Hilfszeitraum Ansprüche gegen Dritte, die - wenn sie rechtzeitig erfüllt worden wären, den Hilfebedarf gemindert hätten, wird der Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) wie folgt gesichert: a) Bürgerlich-rechtliche Unterhaltsansprüche gehen grundsätzlich auf den Sozialhilfeträger kraft Gesetzes über (§ 93 SGB XII), ebenso ggf Entgeltansprüche gegen den Arbeitgeber (§ 115 SGB X, Drittes Kapitel). b) Bestanden vorrangige Ansprüche aus dem SGB gegen einen anderen Leistungsträger, hat der Sozialhilfeträger gegen diesen grundsätzlich einen Erstattungsanspruch (§§ 102 bis 114 SGB X). c) Der (ggf. erstattungsberechtigte) Sozialhilfeträger kann anstelle des materiell berechtigten Hilfeempfängers die "Feststellung der Sozialleistungen", also seiner Rechte gegen andere Sozialleistungsträger im eigenen Namen betreiben (gesetzliche Verfahrensstandschaft - § 95SGB XII), falls vorrangige SGB-Ansprüche des Hilfeempfängers gegen den anderen

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Träger noch nicht festgestellt sind. Notfalls kann er gegen dessen Entscheidung (=VA gegen Hilfeempfänger) Rechtsmittel einlegen (gesetzliche Prozeßstandschaft). d) Bestanden sonstige Ansprüche des Hilfeempfängers gegen Dritte, die keine Sozialleistungsträger sind, kann der Sozialhilfeträger grundsätzlich den Übergang dieses Anspruchs auf sich selbst durch schriftliche Anzeige an den Dritten bewirken (sog Überleitungsanzeige - § 93 SGB XII – ein Verwaltungsakt). 5. Entstehen von Ansprüchen Ansprüche aus dem SGB XII entstehen (§ 17 SGB I), soweit bestimmt ist, "dass die Leistung zu erbringen ist" (gebundene Verwaltung-s. § 38 SGB I). Ansprüche sind "höchstpersönlich", können daher nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Soweit ein konkreter Anspruchsinhalt (§ 194 BGB) noch nicht festgelegt ist, muss die Behörde eine Ermessensentscheidung treffen; insoweit besteht ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch (§ 17 Abs 2 SGB XII; §§ 39, 40, 41 SGB I). 6. Einsetzen der Sozialhilfe (§ 18 SGB XII – Beginn des Verwaltungsverfahrens (§ 18 SGB X) Ein Antrag auf Sozialhilfe hat (außer bei der GSAE-§§ 41 f SGB XII) nur verfahrensrechtliche Bedeutung. Er muss durch VA beschieden werden. Ein Verwaltungsverfahren zur Entscheidung über Rechte auf Sozialhilfe ist von Amts wegen zu eröffnen. Leistungen sind ab dem Zeitpunkt anzubieten, zu dem der Träger, ein unzuständiger Träger oder sonst eine Gemeinde Kenntnis hat, dass die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen. Nur die GSAE ist antragsabhängig (§ 41 Abs 1 SGB XII). Der Hilfebedürftige darf die angebotenen Leistungen ablehnen; sie dürfen ihm nicht aufgedrängt oder sogar aufgezwungen werden 7. Leistungsabsprachen (§ 12 SGB XII ); s. § 15 SGB II: Eingliederungsvereinbarung Die Sozialhilfeträger sollen mit den Leistungsempfängern schriftliche "Leistungsabsprachen" zur Überwindung der Notlage treffen (§ 12 SGB XII). 8. Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Trägers – tatsächlicher Aufenthalt Verpflichtetes Rechtssubjekt ist der örtliche oder überörtliche Träger, in dessen Bereich der Hilfeempfänger sich tatsächlich aufhält oder sich vor der Unterbringung in eine Einrichtung tatsächlich aufgehalten hat (§ 98 SGB XII). Nur bei der GSAE kommt es auf den "gewöhnlichen Aufenthalt" (§ 30 Abs 3 SGB I) an. Grundsätzlich ist der örtliche Träger (d.h. die kreisfreie Stadt oder der Kreis oder die vom Landesrecht genannte Stelle) verpflichtet, soweit nicht nach § 97 Abs 2 bis 5 SGB XII oder nach Landesrecht der überörtliche Träger verbandszuständig ist. Diese Verbandszuständigkeiten (verpflichtete Rechtssubjekte) werden in den §§ 3, 97 bis 101 unzutreffend als "örtliche" oder "sachliche Zuständigkeiten" bezeichnet. 9. Vorrang von Prävention und Rehabilitation (§ 14 SGB XII) Derartige Leistungen sind vorrangig zu erbringen. 10. Freie Wohlfahrtspflege: Die Sozialhilfeträger sollen mit den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts zusammenarbeiten und Hilfen – außer bei Geldleistungen – ggf nur subsidiär anbieten. Sie bleiben aber selbst dem Hilfeempfänger rechtlich allein verantwortlich (§ 5 SGB XII). B. Zum Recht auf Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU – §§ 19 Abs 1, 27 bis 40 SGB XII)

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I. Das Stammrecht hierauf entsteht, wenn jemand, der nicht in einer Einrichtung lebt (§ 27b SGB XII), seinen notwendigen (menschenwürdigen – § 1 SGB XII) Lebensunterhalt (§ 27 SGB XII) überhaupt nicht oder soweit er ihn nicht ausreichend selbst beschaffen oder von der Bedarfsgemeinschaft erhalten kann. Auch Nichthilfeempfänger, die einzelne notwendige Bedarfe nicht befriedigen können, weil ihre Mittel dafür nicht ausreichen, haben ein Recht auf HLU (sog. einkommensschwache Personen – § 27 Abs 3 SGB XII). 1. Insoweit entsteht kalendertäglich gegen den Träger ein subjektives Recht auf Leistungen oder auf fehlerfreien Ermessensgebrauch bei der Entscheidung über die Bewilligung von Ansprüchen auf Leistungen. 2. Daraus entstehen (seit 2005) aber nur Ansprüche (§ 194 BGB) auf: Zahlung des (anteiligen) Regelsatzes (§ 28 SGB XII), auf Leistung (ggf einer Pauschale) der Kosten für eine "angemessene" Unterkunft und Heizung (§ 35 bis 36 SGB XII), ggf auf Zahlung/Leistung nur für die zusätzlichen Bedarfe, die in den §§ 30 bis 33 SGB XII anerkannt sind und ggf Leistungen für Bildung und Teilhabe (§§ 34 bis 34b SGB XII) Damit wird grundsätzlich der gesamte Bedarf an HLU abgegolten (§ 27 Abs 2 SGB XII) . 3. Für Heizung und Unterkunft werden grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen übernommen, soweit sie vom Hoheitsträger als angemessen zuzuerkennen sind. Die Kosten können aber gegenüber dem Bedürftigen ua durch eine Pauschale abgegolten werden (§§ , 35, 35a, 36 SGB XII)29 Abs 2, 3 SGB XII). II. Hinweise zum Regelbedarf (§§ 27 bis 29 SGB XII): „§ 27a Notwendiger Lebensunterhalt, Regelbedarfe und Regelsätze (1) Der für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft; dies gilt in besonderem Maß für Kinder und Jugendliche. Für Schülerinnen und Schüler umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch die erforderlichen Hilfen für den Schulbesuch. (2) Der gesamte notwendige Lebensunterhalt nach Absatz 1 mit Ausnahme der Bedarfe nach dem Zweiten bis Vierten Abschnitt ergibt den monatlichen Regelbedarf. Dieser ist in Regelbedarfsstufen unterteilt, die bei Kindern und Jugendlichen altersbedingte Unterschiede und bei erwachsenen Personen deren Anzahl im Haushalt sowie die Führung eines Haushalts berücksichtigen. (3) Zur Deckung der Regelbedarfe, die sich nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 ergeben, sind monatliche Regelsätze zu gewähren. Der Regelsatz stellt einen monatlichen Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regelbedarfs dar, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich entscheiden; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen. …“ 1. Wer den Regelsatz erhält, hat grundsätzlich alles, dessen er (nebst Unterkunft und Heizung) zum menschenwürdigen Leben bedarf.

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2. Die Regelbedarfe werden in Regelbedarfsstufen nach Maßgabe des § 28 SGB XII ermittelt und durch Bundesgesetz festgestellt. Tritt nach der letzten Feststellung keine relevante Änderung ein, werden die Stufen nach einer an der einschlägigen Preisentwicklung orientierten Veränderungsrate (s. Verordnungsermächtigung in § 40 SGB XII) „fortgeschrieben“ (§ 28a SGB XII). Die Länder können sowohl bei Neubewertung als auch bei Fortschreibung der Stufen Abweichendes nach Maßgabe von § 29 SGB XII durch Rechtsverordnung bestimmen. Das sog Statistikmodell (§ 28 Abs 2, 3, 4 SGB XII), das anhand von Stichproben auf die statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in untersten Einkommensgruppen abstellt, hat das bis Juni 1990 angewandte "Warenkorbmodell" abgelöst. Es wird nur in einzelnen Punkten durch Rückgriff auf das Warenkorbmodell etwas realitätsnäher gestaltet. Dieses aus der Praxis auch der Wohlfahrtsverbände gestützte Modell stellte auf den Warenkorb eines Sozialhilfehaushalts ab und konkretisierte, was ein solcher Haushalt für den vom Gesetz anerkannten notwendigen Bedarf ausgeben musste. Daher konnte es – trotz aller Schwächen - die wirklichen Kosten des notwendigen Lebensunterhalts einer "armen" hilfebedürftigen Familie im typischen Fall, anders als das (kostensparende) Statistikmodell, recht genau erfassen. Die in der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2015 (RBSFV 2015) und ihren „Vorgängerinnen“ festgesetzten Werte sind: Anlage (zu § 28) Regelbedarfsstufen nach § 28 in Euro

gültig ab Regel- bedarfsstufe 1

Regel- bedarfsstufe 2

Regel- bedarfsstufe 3

Regel- bedarfsstufe 4

Regel- bedarfsstufe 5

Regel- bedarfsstufe 6

1. Januar 2011

364 328 291 287 251 215

1. Januar 2012

374 337 299 287 251 219

1. Januar 2013

382 345 306 289 255 224

1. Januar 2014

391 353 313 296 261 229

1. Januar 2015

399 360 320 302 267 234

Regelbedarfsstufe 1: Für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Regelbedarfsstufe 2: Für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen

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Haushalt führen. Regelbedarfsstufe 3: Für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Regelbedarfsstufe 4: Für eine leistungsberechtigte Jugendliche oder einen leistungsberechtigten Jugendlichen vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Regelbedarfsstufe 5: Für ein leistungsberechtigtes Kind vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. Regelbedarfsstufe 6: Für ein leistungsberechtigtes Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres. Fußnote Die Anlage wurde eingeführt durch Art. 3 Nr. 42 G v. 24.3.2011 I 453 mWv 1.1.2011. Sie ist nach Maßgabe der Urteilsgründe mit dem GG vereinbar gem. BVerfGE v. 23.7.2014 I 1581, NJW 2014, 3425. III. Hinweise zu zusätzlichen Bedarfen (§§ 30 bis33 SGB XII Ein Zusatzbedarf wird nur noch ausnahmsweise anerkannt. 1. In § 30 SGB XII werden „Mehrbedarfe“ in sieben Absätzen für einige typische Fallgruppen unter engen Voraussetzungen anerkannt. Diese Gruppen von Hilfeempfängern haben regelmäßig einen Mehrbedarf, der durch einen grundsätzlich standardisierten Mehrbedarfszuschlag abgedeckt wird. Deren Summe darf aber die Höhe der Regelbedarfsstufe nicht übersteigen. Die Zusatzbedarfe an Übernahme der Beitragskosten für Kranken-, Pflege- und Alters- und Sterbegeldvorsorge sind in den §§ 32, 33 SGB XII speziell ausgestaltet worden. Die früheren Sonderbedarfe sind in § 36 SGB XII (ua drohende Wohnungslosigkeit und § 15 SGB XII (vorbeugende und nachgehende Leistungen) geregelt. 2. Einmalige Bedarfe (§ 31 SGB XII) Einmalige Bedarfe, die vereinzelt oder im Jahresablauf in längeren Abständen auftreten, werden seit 2005 nur noch durch diejenigen einmaligen Leistungen befriedigt, die in § 31 SGB XII ausdrücklich ausgestaltet sind. IÜ gelten sie als durch den Regelsatz abgegolten, weil dieser 2005 deshalb pauschal etwas erhöht wurde. Für Kinderspielzeug, Schulausrüstung, Weihnachts- oder Familienfeiern (Hochzeit, Taufe, Konfirmation etc.), Ersatzbeschaffung von Haushaltsgerät, Reparaturen etc müssen vom Regelsatz angespart und bestritten werden. 3. Ausnahmsweise können ergänzende Darlehen nach § 37 SGB XII gewährt werden. 4. Lebt der Bedürftige in einer Einrichtung (§§ 13, 27b, 75 bis 80), wird die HLU nach § 27b SGB XII geschuldet. IV. Rechtshindernde/rechtsvernichtende Einwände gegen das Recht en Anspruch auf HLU:

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1. Weigert sich der Bedürftige, eine zumutbare Tätigkeit aufzunehmen oder an einer erforderlichen Vorbereitung teilzunehmen, vermindert sich der Regelsatz nach § 39a SGB XII grundsätzlich in Stufen von 25 vH für jeden Weigerungsfall: 1. Stufe: Nach Belehrung erfolgt eine Kürzung des Regelsatzes um bis zu 25 vH. 2. Weitere Stufen: Bei wiederholter Ablehnung trotz Belehrung vermindert sich der Regelsatz um jeweils bis zu 25 vH. Untergrenze dürfte aber das zum Lebensunterhalt Unerlässliche sein; nur in Extremfällen ist völliger Entzug erlaubt. Es besteht eine Obliegenheit zur Arbeit nach § 11 Abs 3, 4 SGB XII. 2. Nach § 26 SGB XII soll jede Sozialhilfeleistung, also auch die HLU, bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden, wenn ein Volljähriger sein Einkommen oder Vermögen vermindert hat, um (ggf. höhere) Leistungen zu erhalten oder wenn er trotz Belehrung sein unwirtschaftliches Verhalten fortsetzt. 3. Dritte in der Bedarfsgemeinschaft lebende schutzbedürftige Personen (vor allem die Kinder) sollen durch § 26 Abs 1 Satz 2, § 39 Abs 2 SGB XII vor den Folgen der Leistungseinschränkung geschützt werden. 4. Bei Wohngemeinschaften wird nach § 39 SGB XII grundsätzlich vermutet, dass es sich auch um Haushaltsgemeinschaften (gemeinsames Wirtschaften aus einem Topf) und um Einstehensgemeinschaften handelt. Die widerlegbare Vermutung erstreckt sich darauf, dass der um Hilfe Nachfragende von den anderen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, so dass sein Bedarf dadurch insoweit gedeckt ist. C. Zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSAE) 1. Die GSAE (§§ 19 Abs 2, 41 bis 46 SGB XII) ist seit 2005 in die allgemeine Sozialhilfe integriert. § 19 Abs 2 SGB XII: Wer älter als 65+ oder volljährig und iS von § 43 Abs 2 SGB VI (unabhängig von der Arbeitsmarktlage) voll erwerbsgemindert ist, kann sie durch Antrag in Anspruch nehmen, wenn er seinen Lebensunterhalt aus Einkommen und Vermögen (§§ 82 bis 84, 90 SGB XII) nicht beschaffen kann. Er darf allerdings seine Bedürftigkeit in den letzten zehn Jahren nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben (§ 41 Abs 4 SGB XII). 2. Die GSAE geht dem Sozialgeld (§ 19 Abs 1 Satz 2 SGB II) vor und kann vom SGB II-Träger an Stelle des Berechtigten beantragt werden (§ 5 Abs 3 SGB II). Wird die GSAE beansprucht, geht sie der HLU vor (§ 19 Abs 2 Satz 5 SGB XII). 3. Es gelten im Wesentlichen die Vorschriften über die HLU mit wenigen Ausnahmen (§ 42 SGB XII) 4. Wichtigstes politisches Anliegen zur Einführung des GSAE war die Beschränkung der Einstandspflichten der Kinder für ihre Eltern auf Kosten der Steuerzahler. Die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen gegen Kinder oder Eltern (§§ 1601 ff BGB) entfällt, wenn das Gesamteinkommen (§ 16 SGB IV) unter einem Betrag von 100.000 Euro liegt (§ 43 Abs 3 SGB XII). Im Verhältnis des Bedürftigen zum Ehegatten, Partner oder

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einem anderen Mitglied seiner Bedarfsgemeinschaft gilt die Vermutung der Bedarfsdeckung bei Haushaltsgemeinschaft nicht (§ 43 Abs 1). D. Weitere Kurzhinweise: Die Leistungen nach dem 5. und 9. Kapitel SGB XII wurden früher als "Hilfe in besonderen Lebenslagen" (HbL) bezeichnet. Bei ihnen ist das Einkommen nur begrenzt zu berücksichtigen (§§ 85 bis 89 SGB XII). Beim Einsatz von Vermögen ist insbesondere die Härtefallregelung des § 90 Abs 3 SGB XII zu beachten. Die Grundsätze der Leistungen (§§ 8 bis 16 SGB XII) enthalten mit Ausnahme des Individualisierungsprinzips (§ 9 SGB XII; s. § 33 SGB I) und der oben angesprochenen Regelungen nur anwendbares Recht. Auch das Individualisierungsprinzip ist bei gebundenen Geldleistungen weit zurückgedrängt und wird auch bei Ermessensleistungen von Aspekten der Verwaltungsvereinfachung und der Kostenminimierung überlagert. Teil III. Ergänzende Kurzhinweise zum SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende Repetieren Sie vorab die oben enthaltenen Informationen zum SGB II A. Wiederholung und Vertiefung zu den Grundlagen des SGB II 1. Jeder 15 bis 65+-Jährige fällt grundsätzlich in den persönlichen Anwendungsbereich des SGB II und hat ein Recht auf Alg II, wenn er folgende Voraussetzungen erfüllt (§ 7 Abs 1 SGB II): a) Er muss erwerbsfähig sein (§ 8 SGB II). Die Person darf also nicht wegen Krankheit oder Behinderung außer Stande sein, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts (also unter Einschluss auch ungelernter Arbeiten) mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. b) Ferner muss die erwerbsfähige Person hilfebedürftig (§§ 9, 11 bis 13 SGB II iVm der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung <Alg II-V> des Bundes) sein. Das ist der Fall, wenn sie ihren Lebensunterhalt, ihre Eingliederung in Arbeit und ggf. den Lebensunterhalt der mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 2 und 3, 3a SGB II) lebenden Personen nicht durch Erwerbstätigkeit/Arbeit, Einkommen und Vermögen oder Zuwendungen aus der Bedarfsgemeinschaft sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält (§ 9 SGB II). c) Die Person muss ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 SGB I) in der Bundesrepublik Deutschland haben. d) Ausgenommen sind (1.) Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, (2.) Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

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(3.) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt. e) Andere Personen unterfallen dem SGB II nur, wenn sie, ohne ein Recht auf Alg II zu haben, mit einem derart Berechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Sind sie selbst hilfebedürftig, haben sie ein Recht auf Sozialgeld. Andernfalls sind sie nicht leistungsberechtigt, aber für den Hilfebedarf der Bedarfsgemeinschaft relevant. 2. Antrag (§ 37 SGB II): Jeder Berechtigte kann seine grundsätzlich nicht auf Leistungen vor der Antragstellung gerichteten Rechte nur durch Antrag geltend machen. Der Antrag ist Verfahrens- und Erfüllbarkeitsvoraussetzung (§ 37). Das Verwaltungsverfahren im SGB II wird nicht von Amts wegen eingeleitet (anders als beim SGB XII). 3. Bei Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft wird nach § 38 SGB II (widerlegbar) vermutet, dass ein antragstellender „erwerbsfähiger Leistungsberechtigter“ bevollmächtigt ist, Leistungsanträge auch für die anderen Mitglieder der Gemeinschaft zu stellen.. 4. Jeder erwerbstätige Hilfebedürftige hat ein Recht auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 bis 16g SGB II). 5. Es soll eine Eingliederungsvereinbarung (§ 15 SGB II) geschlossen werden, die bei Verletzung einen weiteren Sanktionsspielraum für den „ Fallmanager“ eröffnet (§ 31 SGB II). Nach hA, die allerdings zweifelhaft ist, handelt es sich um einen verwaltungsrechtlichen Vertrag; womöglich liegt aber nur eine Mitwirkungsregelung in einem besonderen Verwaltungsverfahrensabschnitt vor. Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, soll das Jobcenter die Vorgaben des § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II durch VA festsetzen. Es besteht also bei der „Vereinbarung“ faktisch ein „Unterwerfungszwang“. 6. Der erwerbsfähig Bedürftige hat ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung gegen den Träger, darüber, ob und ggf. welche der in § 16 Abs 1 und 2 SGB II genannten Eingliederungsleistungen er beanspruchen kann. § 16 Abs 1 SGB II nennt zahlreiche Maßnahmen aus dem Arbeitsförderungsrecht des SGB III, von denen § 22 Abs 4 SGB III einige aus dem Leistungskatalog der BA gegenüber bei ihr versicherten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ausnimmt. Der Bedürftige muss jede Arbeit, die er gesundheitlich wenigstens drei Stunden täglich verrichten kann (§ 8 SGB II) annehmen (§ 10 SGB II), es sei denn, dass sie ausnahmsweise unzumutbar ist. 7. § 16b SGB II Einstiegsgeld: Das Jobcenter darf einen Beschäftigungszuschuss für Arbeitgeber gewähren, der vor allem deren Einstellungsbereitschaft bei Langzeitarbeitslosen anheben soll. Der Bedürftige hat ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch bei der Entscheidung über ein "Einstiegsgeld", das als Zuschuss zum ALG II erbracht wird, wenn dies bei Aufnahme einer pflichtversicherten Beschäftigung zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist 8. „Ein Euro-Jobs“ (§ 16d Abs 7 SGB II):

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Findet der Bedürftige keine Arbeit in einem Arbeitsverhältnis, hat er die Obliegenheit, eine ihm angebotene zusätzliche Arbeitsgelegenheit, die im öffentlichen Interesse geschaffen ist, anzunehmen. Die Aufnahme einer solchen Arbeit begründet kein arbeitsrechtliches Arbeitsverhältnis. Der Bedürftige erhält einen Anspruch auf angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zuzüglich zum ALG II. Die Entschädigung (von 1 € bis 2,50 € je Stunde, s. früher § 19 BSHG) soll nach dem BSG auch dann noch angemessen sein, wenn sie zu einem nicht unerheblichen Teil für Mehraufwendungen verbraucht wird, die erforderlich sind, damit der Betroffene die zusätzliche Arbeitsgelegenheit überhaupt wahrnehmen kann. War der Job nicht in einer Leistungsvereinbarung vereinbart, darf der Träger ihn dem Hilfebedürftigen durch VA aufzwingen („Zuweisungsbescheid“). 9. Der Leistungsberechtigte hat, wie oben bereits gesagt, ein Recht auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 bis 30 SGB II) für jeden Kalendertag (§ 41 SGB II). 10. Die Rechte der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft bestehen individuell, sind aber in ihrem Geldwert voneinander abhängig und sollen einheitlich beantragt werden (§ 38 SGB II). 11. Ermittlung der Leistungsansprüche: Beim Alg II wird der Leistungsanspruch für den Arbeitslosen und ggf. für die Mitglieder seiner so genannten Bedarfsgemeinschaft gemeinsam ermittelt. Die Personen einer Bedarfsgemeinschaft werden “in einen Topf geworfen”: Dabei wird der Leistungsbedarf für jeden einzeln ermittelt. Die Bedarfe werden dann zusammen gezählt. Sodann wird dem Gesamtbedarf gemäß § 9 Abs 2 SGB II grundsätzlich das vorhandene anrechenbare Einkommen und Vermögen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, also deren gesamte Leistungsfähigkeit, gegenüberstellt (Bedürftigkeitsprüfung). Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus Kräften aller Mitglieder gedeckt, gilt jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach dem Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig. B. Zur Höhe des ALG II/Sozialgeld bei Höchstbedarf der Hilfebedürftigen: Alg II und Sozialgeld umfassen nach § 19 Abs 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf (§ 20 SGB II), Mehrbedarfe (§ 21 SGB II) und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§§ 22, 22a bis 22e SGB II). Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst: „§ 20 SGB II - Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (1) Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.“

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1. Als Regelbedarfe bei Alg II werden (ab 1.1.2015) bei Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich 399 € anerkannt. Der minderjährige Partner erhält 302 €. Für volljährige Partner werden grundsätzlich monatlich 360 € angesetzt. Aber für Volljährige bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres sowie für Personen unter 25 Jahren, die ohne Zusicherung des kommunalen Trägers umziehen (15 bis 24 Jahre) gilt ein Satz von 320 €. 2. Für die Höhe des Sozialgeldes gelten nach § 23 SGB II nur für Minderjährige besondere Regelungen: „1. Der Regelbedarf beträgt bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres 234 €, bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 267 € und ab 15. Lebensjahr bis zur Volljährigkeit 302 €. IÜ ist das Sozialgeld gleichhoch mit dem Alg II. Nach § 20 Abs 5 SGB II werden die Regelbedarfe nach den Absätzen 2 bis 4 sowie nach § 23 Nummer 1 jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend § 28a des Zwölften Buches in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nummer 1 des Zwölften Buches angepasst. Für die Neuermittlung der Regelbedarfe findet § 28 des Zwölften Buches in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz entsprechende Anwendung. Fußnote § 20 Abs. 2 Satz 1 u. 2 Nr. 1, Abs. 4 u. 5 iVm § 20 Abs. 1 Satz 1 u. 2 SGB 2 u. § 28a SGB 12 jeweils idF d. G v. 24.3.2011 I 453 sind nach Maßgabe der Gründe mit Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar gemäß BVerfGE v. 23.7.2014, NJW 2014, 3425. 3. Die gesetzlich anerkannten Mehrbedarfe sind abschließend in § 21 (ggf iVm § 23) SGB II geregelt. 4. Recht auf Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22, 22a bis 22e SGB II): a) Unterkunft und Heizung werden, soweit angemessen, grundsätzlich in tatsächlicher Höhe finanziert (§ 22 SGB II). Unangemessene Aufwendungen sind bis zu einem Umzug des Bedürftigen, in der Regel längstens für sechs Monate zu berücksichtigen; in Höhe der angemessenen Kosten ist stets zu zahlen. Unterkunfts- und Heizungskosten sind gesondert zu prüfen. Die "Angemessenheit" ist ein gerichtlich voll überprüfbarer Rechtsbegriff. b) Unterkunftskosten sind der Kaltmietzins zuzüglich Nebenkosten ohne Warmwasserzubereitung (von Regelleistung erfasst) und Heizung. Das rechtliche Kernproblem ist die Bestimmung des Maßstabes für die Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten. aa) Früher (BSHG) kam es beim Bundesverwaltungsgericht (und anfangs nach 2005 auch noch beim BSG) nach der sog Produkttheorie auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmeterzins an. Zusätzlich stellte die sog Kombinationstheorie auf die Angemessenheit einzelner Umstände (zB Wohnungsgröße, Ausstattung) ab und nimmt eine Gesamtwürdigung vor. Eine modifizierte Kombinationstheorie stellte allein auf die tatsächliche Wohnungsgröße und den tatsächlichen Quadratmeterzins ab.

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Nach der früher wohl herrschenden Produkttheorie kam auf die Angemessenheit der Wohnfläche und des Mietzinses an. Bei der Wohnfläche orientierte man sich an nicht mehr an den Verwaltungsvorschriften zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus, die sich in den Ländern unterscheiden, sondern stellte auf ortsbezogene statistische Werte ab (z.B. Mietdatenbank < § 558e BGB>, u. U. auf Mietspiegel <§§ 558c, 558d BGB>). Es galten zumeist als Höchstwerte für den Regelfall einer Mietwohnung: Alleinstehende: 45 bis 50 m² Zwei Personen: 60 m² / zwei Wohnräume Drei Personen: 75 bis 80 m² / drei Räume Vier Personen: 85 bis 90 m² / vier Räume jede weitere Person: 10 bis 15 m². Bei nicht als Vermögen zu berücksichtigenden Eigenheimen und Eigentumswohnungen erkannte das BSG sogar noch höhere Werte als noch angemessen an. bb) Heute besteht wohl weiterhin Einigkeit darin, dass es der angemessene Wohnstandard auf die Ermöglichung eines "einfachen und bescheidenen Lebens" gerichtet sein muss (bescheidener Ausstattungsstandard). Ferner kommt es für die Angemessenheit des Mietzinses auf den unteren Bereich der marktüblichen Wohnungsmieten des örtlichen Mietzinsniveaus an. Wie aber trotz erheblicher Unterschiede im Wohnungsangebot in den verschiedenen Bundesländern und Regionen eine annähernd gleichwertige Beurteilung der Verhältnisse gesichert werden kann, ist noch nicht abschließend geklärt. Das BSG hat inzwischen in ständiger Rechtsprechung eine mehrstufige Prüfungssystematik praktiziert, in deren Kern die Forderung steht, der jeweilige Träger müsse für seine iW gleichwertige Beurteilung der Angemessenheit der Unterkünfte der Hilfebedürftigen ein „schlüssiges Konzept“ entwickelt haben, das ein ausreichendes Maß an Gleichbehandlung gewährleiste. Erst wenn dies nicht erfolgt und nicht möglich sei, dürfe auf Ersatzindizien (zB angepasste Mietspiegel/Größen nach dem WoGG) zurückgegriffen werden. Das kann hier nicht vertieft dargestellt und erörtert werden. Ich verweise stellvertretend auf BSG, Urteil vom 10.9.2013, B 4 AS 77/12 R, auf der Homepage des BSG unter Entscheidungen; dort finden Sie weitere Urteile vom selben Tag zu diesem Thema, jeweils mit weiteren Nachweisen. Als erste Annäherung ist aber auch heute noch die Produktheorie nützlich. C. Hinweis auf ergänzende Regelungen: § 24 SGB II ermöglicht Hilfe in besonderen Bedarfslagen. Dort sind auch die sog einmaligen Bedarfe (Zusatzbedarfe) geregelt. § 25 SGB II regelt die "Entgeltfortzahlung" von ALG II- Beziehern, die wegen Arbeitsunfähigkeit dem Grunde nach Anspruch auf Übergangsgeld wegen einer Reha-Maßnahme der GRV oder auf Verletztengeld aus der GUV haben. § 26 SGB II regelt die Zahlung eines Zuschusses zu den freiwilligen bzw privaten Beiträgen zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. § 11a SGBII enthält eine Aufzählung des beim Hilfebedarf nicht zu berücksichtigendes Einkommens. § 11b SGB II enthält Absetzbeträge vom zu berücksichtigenden Einkommen. §§ 33 bis 35 SGB II regeln Anspruchsübergänge ("Überleitungsanzeige"), Ersatzansprüche und Erbenhaftung.

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D. Sanktionen für Verletzungen einer SGB II-spezifischen Mitwirkungsobliegenheit: §§ 31, 31a, 31b, 32 SGB II regeln Ermächtigungsgrundlagen für die Absenkung und den Wegfall des ALG II und des Sozialgeldes wegen Obliegenheitsverletzungen. „§ 31 Pflichtverletzungen (1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis 1. sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 1 Satz 6 festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, 2. sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern, 3. eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben. Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen. (2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn 1. sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen, 2. sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen, 3. ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder 4. sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.“ „§ 31a Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen (1) Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. …. (2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nach § 31 auf die für die Bedarfe nach § 22 zu erbringenden Leistungen beschränkt. Bei wiederholter Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. ...... (3) Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs kann der Träger auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der Träger hat Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. ….“ § 31b SGB II regelt Beginn und Dauer der Minderung. § 32 SGB II regelt Meldeversäumnisse und deren Folgen (Minderung um 10 vH des Regelbedarfs).