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Prof. Philippe Mastronardi, St. Gallen

Allgemeines StaatsrechtZusatzfolien: Beispiele

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Erster Schritt: Zweiter Schritt:

ethisch funktional

Nutzen oder Solidarität Gesellschaft oder Staat

falls

Solidarität

1. Kriterium: Gerechtigkeit 2. Kriterium: Eignung

Abbildung 2-1: Verhältnis von Ethik und Funktion bei der Bestimmung von Staatsaufgaben

Zu Rz. 191

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c) Gewährleistung von Verantwortlichkeit: Das Gesetz darf Platzverbote nur gestatten, wenn tatsächlich Gefahr in Verzug ist und die Gefahr von der beschuldigten Person bzw. Personengruppe ausgeht (Gefahrenabwehr).

Beispiel: Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) § 29 Platzverweisung: «Die Ordnungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. […]»

a) Aufgaben der Polizei: Schutz der Öffentlichkeit vor Personen, die eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen.

b) Erforderliche Kompetenzen: gesetzliche Grundlage, welche die Wegweisung ermöglicht (Legalitätsprinzip).

Vorbemerkung: Polizeirecht der Länder.

Gesetzliche Grundlage: Die Wegweisung berührt Grundrechte der Betroffenen. Die Massnahme bedarf daher einer gesetzlichen Grundlage.

zu Rz. 201: Antwort

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„Wie ist ein Parlament zu organisieren und zu führen?“

- nach der absoluten Gleichheit aller Mitglieder

- nach der proportionalen Stärke der Fraktionen

- nach dem Prinzip der Öffentlichkeit

- nach dem Prinzip der unbeschränkten Redefreiheit

- nach dem Prinzip der Konkordanz

- nach dem Prinzip der Kollegialität

- nach dem Prinzip der Effektivität

- nach dem Prinzip der Effizienz

zu Rz. 305: Beispiel pluralistische Grundsätzlichkeit

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Zielnormen

Nach welcher Zielnorm soll ein Parlament organisiert und geführt werden?

1. betriebswirtschaftlich: Erfolg

2. ökonomisch: Effizienz

3. juristisch: Fairness

4. politikwissenschaftlich: Deliberation

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zu Rz. 352: Übungsbeispiel

Als Reaktion auf das 6. Rahmenprogramm zur Forschungsförderungder EU, in welchem die Stammzellenforschung gefördert werdensoll, will Österreich ein Embryonenschutzgesetz erlassen. Dabei stehen sich Anliegen der Forschung, der Medizin, der Wirtschaft und der Ethik einander gegenüber. Wie kann bei der Erarbeitung der einzelnen Bestimmungen die Diskursforderung verwirklicht werden?

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zu Rz. 353

Antwort: Die Diskursforderung kann verwirklicht werden, indem bei der Gesetzesausarbeitung nicht nur Juristen, sondern auch Experten aus anderen Sachbereichen herbeigezogen werden. Das Verfahren sollte möglichst breit und offen angelegt sein. So kann sichergestellt werden, dass alle legitimen Interessen nach Massgabe ihrer grundsätzlichen Bedeutung berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall sollten z.B. Mediziner, Biologen, Vertreter von Ethikkommissionen, aber auch Experten aus der Wirtschaft vertreten sein. Das Ergebnis ist einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung zu unterziehen, bevor es im Parlament behandelt wird.

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zu Rz. 419

Antwort: Nestlé ist eine Kapitalmacht, ein grosser Arbeitgeber und ein mächtiger Anbieter im Konsummarkt. Das Unternehmen hat national und weltweit Einfluss nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf politischer Ebene. Es gehört daher zu den Trägern von Macht im öffentlichen Raum. Damit ist es auch zur Verantwortung für seinen Einfluss auf andere zu verpflichten. Ein Mittel dazu ist, seine inneren Strukturen demokratisch zu gestalten, damit Transparenz und Kontrolle gewährleistet werden können. Die Forderungen von Ethos sind diskursethisch begründbar.

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zu Rz. 466 ff.

Leistungsvereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Aktiengesellschaft Schweizerische Bundesbahnen (SBB) für die Jahre 2007-2010

Präambel

1 Diese Leistungsvereinbarung legt die gemeinsam von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Aktiengesellschaft Schweizerische Bundesbahnen SBB (SBB) für die Jahre 2007-2010 erarbeiteten Ziele fest. Dank den mehrjährigen Zielvorgaben und den zwischen Bund und SBB klar getrennten Kompetenzen können die unternehmerischen Entscheide in einem verlässlichen Rahmen rasch und effizient gefällt werden.

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zu Rz. 466 ff.: Rechtsgrundlagen der „Spital Thurgau AG“

Kantonsverfassung

Der Kanton beaufsichtigt und koordiniert das Gesundheitswesen. Er sorgt für ausreichende medizinische Versorgung. (§ 68 Abs. 3)

Gesetz über das Gesundheitswesen

Der Kanton ist für eine ausreichende medizinische Versorgung der Bevölkerung besorgt. (§ 4 Abs. 1)

Er [der Kanton] erstellt und betreibt Einrichtungen für Kranke, Verunfallte oder andere Pflegebedürftige. Er kann Dritte mit dem Betrieb beauftragen.(§ 4 Abs. 2)

Gesetz über den Verbund der kantonalen Krankenanstalten

Dieses Gesetz regelt die Überführung der kantonalen Krankenanstalten [...] in einen selbständigen Verbund als Betriebsgesellschaft in Form der Aktiengesellschaft des Obligationenrechts. (§ 1)

Die Betriebsgesellschaft erfüllt nach Massgabe eines Rahmenkontrakts Aufgaben der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. (§ 2)

Der Kanton hält die kapital- und stimmenmässige Mehrheit an der Betriebsgesellschaft. [...] (§ 3 Abs. 1)

Frage: Wie werden hier Gewährleistungs- und Erfüllungsverantwortung aufgeteilt?

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zu Rz. 477: VerbandsbeschwerdeAnforderungen an den Verband bzw.Organisation

„Die Organisation ist gesamtschweizerisch tätig.“(Art. 55 Abs. 1 lit.a USG, Art. 12 Abs. 1 lit.a Ziff.1 NHG)

„Sie verfolgt rein ideelle Zwecke.“ (Art. 55 Abs. 1 lit. b USG, Art. 12 Abs. 1 lit. b Ziff. 2 NHG)

„Der Bundesrat bezeichnet die zur Beschwerde berechtigten Organisationen.“ (Art. 55 Abs. 3 USG, Art. 12 Abs. 3 NHG)

„Nur für Rügen in Rechtsbereichen, die seit mindestens zehn Jahren Gegenstand ihres statutarischen Zwecks bilden.“ (Art. 55 Abs. 2 USG, Art. 12 Abs. 2 NHG)

Verfahrensfragen

„Treffen Gesuchsteller und Organisation Vereinbarungen über Verpflichtungen, die Belange des öffentlichen Rechts betreffen, so gelten diese ausschliesslich als gemeinsame Anträge an die Behörde. Diese berücksichtigt das Ergebnis in ihrer Verfügung oder ihrem Entscheid.“ (Art. 55c Abs. 1 USG, Art. 12d Abs. 1 NHG)

Vereinbarungen zwischen Gesuchstellern und Organisationen über finanzielle oder andere Leistungen sind nicht zulässig, soweit sie öffentliches Recht abändern oder eine Parteientschädigung bedeuten. (Art. 55c Abs. 2 USG, Art. 12d Abs. 2 NHG)

„Unterliegt die Organisation im Verfahren, so werden ihr für die Beschwerdeführung vor Bundesbehörden die Kosten auferlegt.“ (Art.55e USG, Art. 12f NHG)

Frage: Wie lassen sich diese Bedingungen und Auflagen rechtfertigen?

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zu Rz. 521 und 522: Übungsbeispiel

Die Swisscom war früher Teil eines Staatsbetriebs. Heute ist sie eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft im Mehrheitsbesitz des Bundes. Sie hat einerseits einen öffentlichen Leistungs-auftrag zu erfüllen, anderseits muss sie sich im Wettbewerb behaupten.

Frage: Nach welchen Prinzipien sollen teilprivatisierte öffentliche Unternehmen geführt werden? Gilt für sie primär die öffentliche Verantwortung oder die Marktlogik?• Erfüllen solche Unternehmen den öffentlichen Auftrag

unter Nutzung des unternehmerischen Spielraums oder• nutzen solche Unternehmen ihren marktwirtschaftlichen

Spielraum im Rahmen der öffentlichen Vorgaben?

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zu Rz. 705: Zusammenspiel von Generalisierung und Konkretisierung

1. Generalisierung:

Sachverhalt

Regel/Norm

allgemeiner Sachbereich

allgemeiner Grundsatz

2. Konkretisierung

genereller Normbereich

spezieller Normbereich

Urteil

Beispiel

Katze im Lebensmittelgeschäft

Hunde haben keinen Zutritt

Tiere in Lebensmittelgeschäften

Lebensmittelhygiene

Gefahrenherd: Tiere

Katze als Gefahrenherd

Katzen sind wie Hunde zu behandeln

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zu Rz. 746a und b

Antwort:a) Folgen der Public Governance:• Der kooperative Staat teilt Verantwortung mit Privaten

(Auslagerung staatlicher Hoheitsgewalt an Private). • Er besitzt kein Gewaltmonopol mehr, sondern überträgt Befugnisse

an Private.• Gewährleistungsverantwortung: Pflicht, Strukturen und Verfahren

der Governance bereitzustellen, die Aufgaben und Grenzen privater Machtausübung zu regulieren und die delegierte Praxis zu überwachen.

b) Folgen der Globalisierung:• Staat als Teil eines verzweigten und dichten transnationalen

Netzwerkes• Der Staat verliert seine „äussere“ Souveränität, seine Staatshoheit

nach aussen. Souveränität lässt sich nur noch durch Teilnahme am internationalen System realisieren.

• Autonomie nur noch dank Bindungen mit anderen transnationalen Akteueren.

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zu Rz. 753 ff.: Konkurrenzföderalismus – kant. Steuerwettbewerb (1)

Kanton Schaffhausen Gesetz über die direkten Steuern (SHR 641.100)Art. 381 Die Einkommenssteuer beträgt:0 Prozent für die ersten 6‘000 Fr.1 Prozent für die weiteren 300 Fr.2 Prozent für die weiteren 1‘600 Fr.3 Prozent für die weiteren 2‘000 Fr.4 Prozent für die weiteren 2‘200 Fr.5 Prozent für die weiteren 4‘000 Fr.6 Prozent für die weiteren 5‘200 Fr.7 Prozent für die weiteren 8‘000 Fr.8 Prozent für die weiteren 10‘900 Fr.9 Prozent für die weiteren 14‘400 Fr.10 Prozent für die weiteren 27‘300 Fr.11 Prozent für die weiteren 53‘000 Fr.12 Prozent für die weiteren 138‘100 Fr.13 Prozent für die weiteren 227‘000 Fr.12 Prozent für die weiteren 100‘000 Fr.11 Prozent für die weiteren 100‘000 Fr.10 Prozent für die weiteren 100‘000 Fr.9 Prozent für die weiteren 100‘000 Fr.8 Prozent für die weiteren 100‘000 Fr.7 Prozent für die weiteren 100‘000 Fr.Für Einkommensteile über 1‘100‘000 Fr. beträgt der Steuersatz einheitlich 6 Prozent.2 ...

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zu Rz. 753 ff.: Konkurrenzföderalismus – kant. Steuerwettbewerb (2)

Kanton Obwalden Steuergesetz (641.4)Art. 381 Die einfache Steuer vom steuerbaren Einkommen für ein Steuerjahr beträgt:0,0 Prozent für die ersten 5‘000 Fr.0,9 Prozent für die weiteren 6‘000 Fr.1,3 Prozent für die weiteren 5‘000 Fr.1,6 Prozent für die weiteren 7‘000 Fr.2,2 Prozent für die weiteren 15‘000 Fr.2,3 Prozent für die weiteren 32‘000 Fr.2,35 Prozent für die weiteren 230‘000 Fr.2,0 Prozent für die weiteren 40‘000 Fr.1,5 Prozent für die weiteren 40‘000 Fr.1,2 Prozent für die weiteren 40‘000 Fr.1,0 Prozent für die weiteren 130‘000 Fr.1,2 Prozent für die weiteren 50‘000 Fr.1,6 Prozent für die weiteren 400‘000 Fr.1,65 Prozent für Einkommensteile über 1‘000‘000 Fr.

2 ...

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zu Rz. 753 ff.: Konkurrenzföderalismus – kant. Steuerwettbewerb (3)

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (SR 101)

vom 18. April 1999

Art. 127 Grundsätze der Besteuerung

1 ....

2 Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachen.

3 ...

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zu Rz. 753 ff.: Konkurrenzföderalismus – kant. Steuerwettbewerb (4)

Eidgenössische Volksinitiative „Für faire Steuern. Stopp dem Missbrauch beim Steuerwettbewerb (Steuergerechtigkeits-Initiative)“

Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:

Art. 129 Abs. 2 bis (neu) Steuerharmonisierung

2bis Für die Steuertarife und Steuersätze der natürlichen Personen gelten jedoch folgende Grundsätze:

...

d. Der durchschnittliche Steuersatz jeder der vom Bund, von den Kantonen oder den Gemeinden erhobenen direkten Steuern darf weder mit steigendem steuerbarem Einkommen noch mit steigendem steuerbarem Vermögen abnehmen.

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zu Rz. 761: Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Kantonen

Heilmittelgesetz, SR 812.21, vom 15. Dezember 2000

Art. 2 Geltungsbereich

1 Dieses Gesetz gilt für

a. den Umgang mit Heilmitteln (Arznei- und Medizinprodukten), insbesondere für die Herstellung und das Inverkehrbringen;

Art. 69 aBV

Der Bund ist befugt, zur Bekämpfung übertragbarer oder stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von Menschen und Tieren gesetzliche Bestimmungen zu treffen.

Art. 31bis Abs. 2 aBV

2 Unter Wahrung der allgemeinen Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft kann der Bund Vorschriften erlassen über die Ausübung von Handel und Gewerben [...] .

Frage: Kann sich ein Kanton gegen eine Kompetenzanmassung durch den Bund zur Wehr setzen?

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zu Rz. 764 ff.: Variabler Föderalismus (1)

Frage:

Was braucht es für die Autonomie einer nicht territorial definierten kulturellen Minderheit?

1. Definition: Was ist eine kulturelle Minderheit?

2. Verfahren zur Bestimmung, wer eine Minderheit bildet

3. Festlegung der Rechte der Minderheit

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zu Rz. 764 ff.: Variabler Föderalismus (2)

1. Definition der kulturellen Minderheit

Eine Minderheit ist eine Gruppe von Menschen, die sich hinsichtlich bestimmter Merkmale (z.B. ethnische Zugehörigkeit, Sprache, Religion, Verhaltensweisen) von ihrer Umgebung (bzw. der Bevölkerungs-mehrheit) unterscheidet.

Eine kulturelle Minderheit sind z.B. die Angehörigen der evangelisch-reformierten Konfession im katholisch-geprägten Kanton Luzern (78 % der Luzerner Bevölkerung gehören der römisch-katholischen Kirche an, 13 % sind protestantisch).

Im reformierten Kanton Schaffhausen bilden hingen die Angehörigen der römisch-katholischen Kirche eine Minderheit (50 % der Bevölkerung gehören der protestantischen Kirche an, 24 % sind römisch-katholisch).

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zu Rz. 764 ff.: Variabler Föderalismus (3)

2. Verfahren zur Bestimmung der Rechte kultureller Minderheiten

a) Staatsverfassung des Kantons Luzern (SRL 001)

§ 92 Kirchenverfassungen

1 Die stimmberechtigten Angehörigen einer Konfession können mit Genehmigung des Grossen Rates eine kantonale Kirchenverfassung beschliessen, die an der Stelle der durch Staatsverfassung und Gesetz vorgesehenen Organisation tritt.

2 Das Nähere regelt das Gesetz.

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zu Rz. 764 ff.: Variabler Föderalismus (4)

2. Verfahren zur Bestimmung der Rechte kultureller Minderheiten

b) Kantonsverfassung Schaffhausen (SHR 101.000)

Art. 108 Öffentlich-rechtliche Anerkennung

1 Die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und die christkatholische Kirche sind als öffentlich-rechtliche Körperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit anerkannt.

2 Der Kantonsrat kann weitere Religionsgemeinschaften öffentlich-rechtlich anerkennen. [...]

Art. 109 Selbständigkeit

1 Die anerkannten Kirchen organisieren sich nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen selbständig.

2 Sie geben sich ein Organisationsstatut, das vom Regierungsrat genehmigt werden muss.

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zu Rz. 764 ff.: Variabler Föderalismus (5)

3. Rechte kultureller Minderheiten - Beispiel evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Luzern

Gesetz über die Kirchenverfassung (Einführung und Organisation kirchlicher Synoden (SRL 187)

II. Besondere Bestimmungen

...

2. Evangelisch-reformierte Kirchenverfassung

§ 12 Innerkirchliche Belange

1 Die stimmberechtigen Angehörigen der evangelisch-reformierten Konfession und ihre Organe ordnen die innerkirchlichen Belange selbständig.

2 Zu den innerkirchlichen Belangen gehören vor allem die gottesdienstlichen Veranstaltungen, der kirchliche Unterricht, die Seelsorge, die Liebestätigkeit, die innere und äussere Mission sowie das kirchliche Ämterwesen.

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zu Rz. 799

Art. 93 Behandlung des Einigungsantrags in den Räten

2 Wird der Einigungsantrag in einem Rat verworfen, so wird der Erlassentwurf abgeschrieben.

Art. 94a (neu) Differenzregelung bei der Legislaturplanung

1 Beim Bundesbeschluss über die Legislaturplanung stellt die Einigungskonferenz zu jeder verbliebenen Differenz einen Einigungsantrag. Über jeden Antrag wird gesondert abgestimmt.

2 Wird ein Antrag abgelehnt, so wird die betreffende Bestimmung gestrichen.

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zu Rz. 838 f.: Parteienfinanzierung in der BRD (1)

Grundgesetz

Art. 21. Abs. 1

Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

Parteiengesetz:

§ 25 Spenden1 Parteien sind berechtigt, Spenden anzunehmen. [...]2 Von der Befugnis der Parteien, Spenden anzunehmen ausgeschlossen sind:

2. Spenden von politischen Stiftungen, Körperschaften, Personen-vereinigungen und Vermögensmassen, die [...] gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen [...];

7. Spenden, die der Partei erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden.

3 Spenden, [...], deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr (Rechnungsjahr) 10.000 Euro übersteigt, sind [...] im Rechenschaftsbericht zu verzeichnen.

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Fragen:

1. Was für einen Sinn und Zweck besitzen solche Vorschriften zur Parteienfinanzierung?

2. Wo setzen die Vorschriften an? Warum verpflichten sie die Parteien und nicht die Spender?

3. Was für eine Bedeutung kommt diesen Regeln im Lichte des Verhältnisses von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu?

zu Rz. 838 f.: Parteienfinanzierung in der BRD (2)

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zu Rz. 847: Einbürgerung (1) - Leitentscheide des Bundesgerichts

BGE 129 I 217:

Im ersten Urteil hob das Bundesgericht einen als diskriminierend eingestuften Einbürgerungsentscheid der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Gemeinde Emmen auf. Diese hatten in einem Urnenentscheid sämtlichen aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Kandidatinnen und Kandidaten das Bürgerrecht verweigert. Gemäss BGer verletzte der Einbürgerungsentscheid das Diskriminierungsverbot von Art. 8 Abs. 2 BV, aus dem sich ein Recht auf Begründung des Entscheides ableiten lässt. Da die Stimm-bürgerinnen und Stimmbürger dieser Begründungspflicht an der Urne nicht nachkommen können, sind Urnenabstimmungen für das BGer grundsätzlich verfassungswidrig.

Ähnlich entschied das Bundesgericht in BGE 129 I 232.

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zu Rz. 847: Einbürgerung (2) – Parlamentarische Initiative Bürger-rechtsgesetz

Das Bürgerrechtsgesetz vom 29. September 1952 wird wie folgt geändert:

Art. 15a Verfahren im Kanton1 Das Verfahren im Kanton und in der Gemeinde wird durch das kantonale Recht geregelt.2 Das kantonale Recht kann vorsehen, dass ein Einbürgerungsgesuch den Stimmberechtigten zum Entscheid vorgelegt wird.

Art. 15b Begründungspflicht1 Die Ablehnung eines Einbürgerungsentscheides ist zu begründen.2 Die Stimmberechtigten können ein Einbürgerungsgesuch nur ablehnen, wenn ein entsprechender Antrag gestellt und begründet wurde.

...

Art. 50a Beschwerde vor einem kantonalen Gericht

Die Kantone setzen Gerichtsbehörden ein, die als letzte kantonale Instanzen Beschwerden gegen ablehnende Entscheide über die ordentliche Einbürgerung beurteilen.

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zu Rz. 847: Einbürgerung (3) - Volksinitiative

Eidgenössische Volksinitiative „für demokratische Einbügerungen“

Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:

Art. 38 Abs. 4 BV (neu)

4 Die Stimmberechtigten jeder Gemeinde legen in der Gemeindeordnung fest, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Der Entscheid dieses Organs über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts ist endgültig.

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zu Rz. 847: Einbürgerung (4) – Lösungsvarianten

Erteilung durch Gemeindeversammlung auf Antrag (Kanton Schwyz)

Die Gemeindeversammlung entscheidet in offener Abstimmung über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts.

Der Antrag des Gemeinderates zu einem Einbürgerungsgesuch gilt als angenommen, wenn aus der Versammlungsmitte nicht ein begründeter Gegenantrag gestellt wird.

Erteilung durch Gemeindeversammlung mit nachträglicher Begründung (Kanton Zürich)

Falls das Einbürgerungsgesuch ohne Begründung von der Gemeindeversammlung abgelehnt wird, hat der Versammlungsleiter nach den Gründen zu fragen. Diejenige Begründung, welche in einer zweiten Abstimmung eine Mehrheit erhält, wird dem Gesuchsteller mitgeteilt.

Erteilung durch Exekutivbehörde (Gemeinderat oder Einbürgerungs-kommission)

Einbürgerung durch die Mitglieder einer Exekutivbehörde, die ihre Entscheide begründen müssen.

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zu Rz. 847: Einbürgerung (5) – Lösungsvarianten

Erteilung durch Gemeindeparlament auf Antrag

Der Antrag des Gemeinderats wird durch eine vorberatende Kommission geprüft und auf deren begründeten Antrag zur Abstimmung gebracht. Das Gemeindeparlament entscheidet über die Erteilung des Gemeindebürger-rechts.

Der Antrag der Kommission zu einem Einbürgerungsgesuch gilt als angenommen, wenn aus der Parlamentsmitte nicht ein begründeter Gegenantrag gestellt wird.

Erteilung durch Stimmbürger/-innen in Urnenabstimmung auf Antrag

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger einer Gemeinde entscheiden in einer Urnenabstimmung über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts.

Der Gemeinderat formuliert den begründeten Antrag (Abstimmungs-empfehlung). Einer bestimmten Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern müsste das Recht gewährt werden, einen begündeten Gegenantrag zu formulieren. Der Antrag des Gemeinderats gilt als angenommen, wenn kein Gegenantrag gestellt wird. Im Falle eines Gegenantrages stimmt das Stimmvolk über Antrag und Gegenantrag ab.

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zu Rz. 866: Fall „Grundrechte“

Frau X, brasilianische Staatsangehörige, absolvierte das Primarlehrerinnenseminar in Recife, Brasilien, und erwarb dort ein Diplom als Lehrerin für die ersten Klassen der Primarschule. Später arbeitete sie als Kleinkindererzieherin in der privaten Kinderkrippe A in Zürich. Nach einiger Zeit teilte der Schweizerische Krippen-Verband (SKV) der Krippe mit, das Diplom von Frau X werde nicht anerkannt. Folgend kündigte die Kinderkrippe die Anstellung. Im Arbeitszeugnis gab die Krippe an, die Kündigung erfolge deshalb, weil in der Schweiz das Diplom nicht gelte. Darauf erhob Frau X Rekurs an den SKV. Dessen Vorstand lehnte den Rekurs ab.

Frau X erhebt Beschwerde an das Bundesgericht, in welcher sie beantragt, der angefochtene Rekursbescheid des SKV sei aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung verschiedener Verfassungsrechte.

Frage 1: Was kann Anfechtungsojekt der Beschwerde sein?

Frage 2: Welches Grundrecht von Frau X ist in erster Linie betroffen?

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zu Rz. 877 f.: Verhältnis von Rechtsstaat und Demokratie (1)

Eidgenössische Volksinitiative „für demokratische Einbügerungen“

Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:

Art. 38 Abs. 4 BV (neu)

4 Die Stimmberechtigten jeder Gemeinde legen in der Gemeindeordnung fest, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Der Entscheid dieses Organs über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts ist endgültig.

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zu Rz. 877 f.: Verhältnis von Rechtsstaat und Demokratie (2)

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4.11.1950

Art. 13 [Beschwerdemöglichkeit bei Verletzung der Rechte oder Freiheiten der Konvention]

Sind die in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten verletzt worden, so hat der Verletzte das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Art. 5 Abs. 4

Bund und Kantone beachten das Völkerrecht

Art. 139 Abs. 2

Verletzt die Initiative die Einheit der Form, die Einheit der Materie oder zwin-gende Bestimmungen des Völkerrrechts, so erklärt die Bundesversammlung sie für ganz oder teilweise ungültig.

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zu Rz. 877 f.: Verhältnis von Rechtsstaat und Demokratie (3)Für die Gültigkeit der Initiative spricht:

• Gemäss Bundesverfassung (Art. 139 Abs. 2 BV) muss eine Initiative ungültig erklärt werden, wenn sie zwingendes Völkerrecht (z.B. Genozid-, Sklaverei- oder Folterverbot) verletzt. Art. 13 EMRK gehört nicht zum zwingenden Völkerrecht. Die Initiative verletzt „nur“ normales Völkerrecht.

• Weitere materielle Schranken fehlen in der Bundesverfassung.

• Der Begriff „endgültig“ ist doppeldeutig. Der Initativtext lässt sich möglicherweise völkerrechtskonform auslegen.

• Die EMRK-Konvention ist grundsätzlich kündbar (Art. 65 EMRK).

Gegen die Gültigkeit der Initiative spricht:

• Die Initiative verletzt Völkerrecht (Art. 13 EMRK), für dessen Beachtung sich die Schweiz vertraglich verpflichtet hat.

• Der Initiativtext lässt sich kaum völkerrechtskonform auslegen. Es ist mit dem Ansinnen der Initianten unvereinbar, wenn der „engültige“ kommunale Entscheid beim Bundesgericht angefochten werden kann.

• Fundamentale völkerrechtliche Verträge wie die EMRK können von der Schweiz faktisch nicht gekündigt werden.

Frage: Ist die Volksinitiative gültig?Prof. Philippe Mastronardi Allgemeines Staatsrecht

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Zu Rz. 914 ff.

Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe des Kantons Bern(Sozialhilfegesetz, SHG)

Art. 9 Subsidiarität

1  Die Sozialhilfe beachtet den Grundsatz der Subsidiarität.

2  Subsidiarität in der individuellen Sozialhilfe bedeutet, dass Hilfe nur gewährt wird, wenn und soweit eine bedürftige Person sich nicht selber helfen kann oder wenn Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist.

3  Subsidiarität in der institutionellen Sozialhilfe bedeutet, dass Kanton und Gemeinden Leistungsangebote in Ergänzung zur privaten Initiative nur soweit bereitstellen und finanzieren, als dies zur Sicherstellung eines bedarfsgerechten Angebotes nötig ist.

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zu Rz. 936: CO2 – Abgabe (1): Zweck

Botschaft zum Bundesgesetz über die Reduktion der CO2-Emissionen, 1997, S. 413.

Der Treibhauseffekt ist eines der drängendsten globalen Umweltprobleme. Mit der Unterzeichnung der Klimakonvention 1992 in Rio de Janeiro und der Ratifizierung im Dezember 1993 hat sich die Schweiz verpflichtet, die Emissionen der wichtigsten Treibhausgase, insbesondere Kohlendioxid (CO2), dauerhaft und langfristig deutlich unter das heutige Niveau zu senken.

Bundesgesetz über die Reduktion der CO2-Emissionen vom 8. Oktober 1999 (CO2-Gesetz)

Art. 1 Zweck

Mit diesem Gesetz sollen die CO2-Emissionen vermindert werden, die auf die energetische Nutzung fossiler Energieträger (Brenn- und Treibstoffe) zurückzuführen sind. Das Gesetz soll auch zur Verminderung anderer schädlicher Einwirkungen auf die Umwelt, zur sparsamen und rationellen Energienutzung sowie zum verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien beitragen.

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zu Rz. 935 ff.: CO2 – Abgabe (2): Gesetzliche Regelungen

Art. 3 Mittel

1 Das Reduktionsziel soll in erster Linie durch energie-, verkehrs-, umwelt- undfinanzpolitische sowie durch freiwillige Massnahmen erreicht werden.

2 Kann das Reduktionsziel durch diese Massnahmen allein nicht erreicht werden,erhebt der Bund eine Lenkungsabgabe auf fossilen Energieträgern (CO2-Abgabe).

Art. 10 Verwendung des Abgabeertrags

3 Der Anteil der Bevölkerung wird gleichmässig an alle natürlichen Personen verteilt. Der Bundesrat regelt Art und Verfahren der Verteilung. Er kann die Kantone, öffentlichrechtliche Körperschaften oder Private gegen angemessene Entschädigung mit der Verteilung beauftragen.

4 Der Anteil der Wirtschaft wird an die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen entsprechend dem abgerechneten massgebenden Lohn [...] über die AHV-Ausgleichskassen ausgerichtet.

Frage: Welche Prinzipien der Umweltverfassung kommen hier zum Tragen?Prof. Philippe Mastronardi Allgemeines Staatsrecht

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zu Rz. 935 ff.: CO2 – Abgabe (3): Lösung

Zur Erinnerung: Der moderne Staat trägt die Verantwortung für den Umgang von Wirtschaft und Gesellschaft mit der Natur. Wie weit diese Verantwortung des Staates reicht, bestimmen die Grundsätze der Umweltverfassung.

Das Vorsorgeprinzip verlangt, dass jede schädliche Einwirkung auf die natürliche Umwelt frühzeitig und an der Quelle zu begrenzen ist. In casu werden die Nutzer fossiler Energieträger (Quelle der Einwirkung) dazu angehalten, ihre schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt zu reduzieren.

Das Verursacherprinzip bedeutet, dass derjenige, welcher Umweltbelastungen verursacht, die Kosten der erforderlichen Schutzmassnahme zu tragen hat. In casu haben die Nutzer der fossilen Energieträger (Verursacher der Umweltbelastung) eine Lenkungsabgabe zu bezahlen, welche wiederum an die Wirtschaft und die Bevölkerung verteilt wird.

In casu nicht zur Anwendung kommt die Forderung der Umweltverträglichkeit, welche besagt, dass grössere technische Anlagen nur errichtet werden dürfen, wenn der Nachweis erbracht ist, dass die Umweltbelastung unterhalb festgelegter Grenzwerte liegt.

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zu Rz. 941 ff.: Einleitungsbeispiele Wirtschaftsstaat (1)

I. Buchpreisbindung

1. Die Buchpreisbindung ist ein kollektives Preisbindungssystem (Sammelrevers) zwischen Buchhändlern und Verlegern für 90% der deutschsprachigen Bücher.

2. Diese Wettbewerbsabrede führt zur Ausschaltung des Preiswett-bewerbs, weil der Preis durch die Verleger vorgegeben wird.

3. Diese Wettbewerbsabrede kann nicht aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden. (vgl. Art. 6 Abs. 1 KG)

4. Allenfalls ist eine ausnahmsweise Zulassung aus überwiegenden öff. Interessen durch den Bundesrat möglich, da das Gut Buch eine kulturelle Komponente besitzt. (vgl. Art. 8 KG)

Fragen:

a) Stellt die Wettbewerbsabrede zwischen den Verlegern und den Buchhändlern ein unzulässiges Kartell dar?

b) In welchem Verhältnis stehen Staat und Markt im Kartellrecht?

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zu Rz. 941 ff.: Einleitungsbeispiele Wirtschaftsstaat (2)

II. Bundesgesetz zugunsten wirtschaftlicher Erneuerungsgebiete

Art. 1 Grundsatz

1 Der Bund kann Vorhaben der privaten Wirtschaft zur Schaffung und Neuausrichtung von Arbeitsplätzen in wirtschaftlichen Erneuerungs-gebieten durch Bürgschaften und Steuererleichterungen fördern.

Art. 2 Wirtschaftliche Erneuerungsgebiete

1 Gruppen von Gemeinden [...] gelten als wirtschaftliche Erneuerungsgebiete, wenn in ihnen:a. ein besonderer Strukturanpassungsbedarf vorhanden ist; b. erhebliche, über dem Landesmittel liegende Arbeitslosigkeit besteht oder unmittelbar droht; oder c. ein starker Verlust an Arbeitsplätzen bereits eingetreten oder zu erwarten ist.

2 Für den Einbezug eines Gebietes in den Geltungsbereich sind ausserdem sein Entwicklungsstand und sein Entwicklungspotential zu berücksichtigen.

Fragen: a) Was könnte der Zulässigkeit einer solchen regionalpolitischen

Förderung entgegen stehen?b) In welchem Verhältnis stehen Staat und Markt in der Regionalpolitik?

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zu Rz. 957: Wieviel Service public ist notwendig und tragbar? (1)

In der Wahlplattform einer Schweizer Partei heisst es:

„Wie alle westeuropäischen Staaten lebt auch die Schweiz seit Jahren über ihre Verhältnisse. Obwohl den Bürgerinnen und Bürgern immer mehr Abgaben aufgebürdet werden, vermögen diese die staatlichen Ausgaben nicht mehr zu decken. Die ständig wachsenden Staatsausgaben haben die Steuern in die Höhe getrieben und die Bürokratie aufgebläht. Dies behindert die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, führt damit zu schleppendem Wachstum und damit zu steigender Arbeitslosigkeit und sinkendem Wohlstand“.

Die Partei fordert daher „endlich volle Transparanz über die Finanzlage des Bundes und die Vorlage einer Ausgabenverzichtsplanung mit dem Ziel, die Staatsquote auf das Niveau von 1990 zurückzuführen“.

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zu Rz. 957: Wieviel Service public ist notwendig und tragbar? (2)

Verstärkte Kritik am Umfang der Staatstätigkeit seit Beginn der 1980er Jahre

Hintergrund: deutlicher Anstieg der Staats- und Sozialausgaben in den 1980er Jahren

Kritikpunkte:

• Höhe der Staatsquote und der damit verbundenen Steuerbelastung

• geringe Effizienz der staatlichen Leistungserbringung

Forderungen:

• Beschränkung des Umfangs der Staatstätigkeit

• Einführung privatwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente

• Privatisierung öffentlicher Dienste

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zu Rz. 957: Wieviel Service public ist notwendig und tragbar? (3)

Volkswirtschaftliche Theorie:

Propagiert einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen Staatsausgaben und Wirtschaftswachstum: Staatsausgaben haben positive Effekte bis zu einem Optimum und danach negative Effekte.

Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse zum Einfluss der staatlichen Aktivitäten auf gesamtwirtschaftliches Wachstum:

• Es gibt ein Niveau der Staatstätigkeit, welches das Wirtschaftswachstum optimiert (Nicht-Linearität der Beziehung).

• Das für ein bestimmtes Land/eine bestimmte Region optimale Niveau der Staatstätigkeit wird von länder-/regionenspezifischen Besonderheiten beeinflusst.

• Positive Effekte sind für Einzelbereiche wie Infrastruktur (Transport und Kommunikation), Bildung (v.a. Forschung und Entwicklung) und Gesundheit feststellbar.

• Zwischen Wirtschaftswachstum und Steuerbelastung ist kein negativer Zusammenhang feststellbar.

• Eine effizienzsteigernde Wirkung von Privatisierungen lässt sich nicht schlüssig nachweisen.

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zu Rz. 957: Wieviel Service public ist notwendig und tragbar? (4)Fazit zum volkswirtschaftlichen Beitrag des Service public:

• Der Service public verbessert die ineffiziente marktliche Allokation dort, wo Marktversagen vorliegt.

Bereiche:

• Öffentliche Güter (z.B. öffentliche Sicherheit)

• Natürliche Monopole (z.B. Versorgungsnetzwerke)

• positive Externalitäten (z.B. Bildung, Gesundheit)

• Private Informationsdefizite (z.B. Alterssicherung, Bildung und Kultur)

• Der Service Public erhöhrt die Produktionsmöglichkeiten der Privatwirtschaft durch Schaffung optimaler Rahmenbedingungen.

• Schätzungen des Niveaus der optimalen Staatsausgaben unterscheiden sich stark, insb. für europäische Länder (länderspezifische Schätzungen ergeben optimale Anteile von 37% bis 46% des BIP; Schätzungen für 12 EU-Länder von 42%, für 23 OECD-Länder von 15%). Die Mehrheit der Studien weist darauf hin, dass die Mehrheit der EU-Länder vermutlich die optimale Grösse überschritten hat.

• Für die CH geben Schätzungen eine optimale Quote von 13-19% an. Für die tatsächliche Quote schwanken die Schätzungen zwischen 7.5 und 17%.

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Zu Rz. 965 (1)

Bundesgesetz über die Vorbereitung der Krisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung vom 30. September 1954 (SR 823.31)

Art. 1

1 Der Bund trifft nach Massgabe dieses Gesetzes Vorbereitungen für die Krisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung.

2 Bei allen Massnahmen auf den Gebieten der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist den Erfordernissen der Krisenverhütung sowie der Krisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung nach Möglichkeit Rechnung zu tragen.

3 Die Bestrebungen der Wirtschaft, aus eigener Kraft genügend Beschäftigungsgelegenheiten zu bieten, insbesondere die Bemühungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Krisenvorsorge sowie zur Erhaltung bisheriger und zur Erschliessung neuer Absatzmöglichkeiten, sind zu fördern.

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Zu Rz. 965 (2)

Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung vom 8. Oktober 1982 (SR 531; Landesversorgungsgesetz, LVG)

Art. 26 Förderungsmassnahmen

1 Zur Verhütung oder Behebung von schweren Mangellagen infolge von Marktstörungen, denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag, kann der Bundesrat die Vorratshaltung sowie die Beschaffung und die Verteilung von Gütern fördern. Finanzhilfen darf er erst gewähren, wenn sich die Förderung nicht anders verwirklichen lässt.

2 Der Bund kann die wirtschaftliche Selbsthilfe von Organisationen und Wirtschaftszweigen unterstützen.

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Zu Rz. 965 (3): Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002

Art. 14 Unvereinbarkeiten

Der Bundesversammlung dürfen nicht angehören:

e. Mitglieder der geschäftsleitenden Organe von Organisationen oder von Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, die nicht der Bundesverwaltung angehören und die mit Verwaltungsaufgaben betraut sind, sofern dem Bund eine beherrschende Stellung zukommt;

f. Personen, die den Bund in Organisationen oder Personen des öffentlichen oder privaten Rechts vertreten, die nicht der Bundesverwaltung angehören und die mit Verwaltungsaufgaben betraut sind, sofern dem Bund eine beherrschende Stellung zukommt.

Auslegungsgrundsätze:

• Vermeidung von Loyalitäts- und Interessenkonflikten als Folge des Verbots der Ämterkumulation im Sinne der personellen Gewaltenteilung.

• Berücksichtigung des Milizcharakters der Bundesversammlung

• Der Bund nimmt eine beherrschende Stellung ein, wenn er an einer Organisation eine Mehrheitsbeteiligung oder die Zusammensetzung der Organe mehrheitlich bestimmt oder wenn die Organisation oder Person von der Finanzierung durch den Bund abhängig ist und dieser die Art der Aufgabenerfüllung wesentlich beeinflusst.

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zu Rz. 973: Selbstregulierung in der Geldwäschereikontrolle

Das Geldwäschereigesetz auferlegt den Finanzintermediären eine Anzahl Sorgfaltspflichten.Die Selbstregulierungsorganisationen (SRO) (privatrechtliche Organisationen, welche von den verschiedenen regionalenoder Branchenorganisationen der Finanzintermediäre getragenwerden) konkretisieren die gesetzlichen Sorgfaltspflichten branchenspezifisch durch ein zu erlassendes Reglement. Bei Zuwiderhandlungen verhängen sie Sanktionen, welche vor einem Schiedsgericht angefochten werden können.

Die Tätigkeit der SRO wird durch die Behörden überwacht.

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zu Rz. 1027: Global Compact-Prinzipien: 10 Grundwerte für Unternehmen

Menschenrechte

1. Unterstützung und Achtung der internationalen Menschenrechte innerhalb des eigenen Einflussbereiches

2. Vermeidung des „Mitschuldigmachens“ an Menschenrechtsverletzungen

Arbeitsnormen

3. Wahrung der Vereinigungsfreiheit und Achtung des Rechts auf Kollektiv-verhandlungen

4. Beseitigung aller Formen der Zwangsarbeit5. Abschaffung der Kinderarbeit6. Beseitigung von Diskriminierung bei Anstellung und Beschäftigung

Umweltschutz

7. Unterstützung eines vorsorgenden Ansatzes bei Umweltproblemen8. Ergreifung von Initiativen, um ein grösseres Verantwortungsbewusstsein für

die Umwelt zu fördern9. Förderung der Entwicklung und Verbreitung von Umwelttechnologien

Korruptionsbekämpfung

10. Engagement gegen Korruption (inkl. Erpressung und Bestechung)

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Zu Rz. 1029: AGENDA 21 (1)

Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und EntwicklungRio de Janeiro, Juni 1992

1.1. Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Wir erleben eine Festschreibung der Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Nationen, eine Verschlimmerung von Armut, Hunger, Krankheit und Analphabetentum sowie die fortge-setzte Zerstörung der Ökosysteme, von denen unser Wohlergehen abhängt. Eine Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen und die verstärkte Hinwendung auf diese wird indessen eine Deckung der Grundbedürfnisse, höhere Lebensstandards für alle, besser geschützte und bewirtschaftete Ökosysteme und eine sicherere Zukunft in grösserem Wohlstand zur Folge haben. Keine Nation vermag dies allein zu erreichen, während es uns gemeinsam gelingen kann: in einer globalen Partnerschaft im Dienste der nachhaltigen Entwicklung.

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Zu Rz. 1029: AGENDA 21 (2)

Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und EntwicklungRio de Janeiro, Juni 1992

27.10 Die Regierungen sollten Schritte unternehmen,c) um nichtstaatliche Organisationen an einzelstaatlichen Mechanismen oder Verfahren zur Durchführung der Agenda 21 zu beteiligen.

27.13 Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des jeweiligen Landes müssen die Regierungen die erforderlichen Rechtsvorschriften erlassen bzw. stärken, um die Einrichtung von Beratungsgruppen durch nichtstaatliche Organisationen zu ermöglichen und das Recht dieser Organisationen, sich mit rechtlichen Mitteln für die Wahrung des öffentlichen Interesses einzusetzen, zu gewährleisten.

28.3 Jede Kommunalverwaltung sollte in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine „lokale Agenda 21“ beschliessen.

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zu Rz. 1055: Gewaltverbot: Entwicklung zum zwingenden Völkerrecht (1)

Mittelalter – frühe Neuzeit: Lehre vom bellum justum (gerechten Krieg)

• gerechter Grund (iusta causa)

• rechte Absicht (intentio recta)

• Machtbefugnis des Herrschers (auctoritas principis)

Zeitalter des klassischen Völkerrechts (1648 – 1919): ius ad bellum

• Souveräne Staaten besitzen das Recht zum Krieg

• „Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz)

Nach 1919: ius contra bellum (Gewaltverbot)

• Völkerbund: partielles Kriegsverbot, Bedingung der Ausschöpfung der vorgesehenen Mechanismen der Streitbeilegung

• Brian-Kellog-Pakt (1928): generelles Kriegsverbot, Sanktionsmechanismen fehlen, Beschränkung auf „erklärten“ Krieg

• Vereinte Nationen (1945): Art. 2 Ziff. 4 SVN normiert Gewaltverbot

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

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zu Rz. 1055: Gewaltverbot: Entwicklung zum zwingenden Völkerrecht (2)Strafrechtliche Entwicklung vor dem 2. WK:Fehlen einer vertraglichen Strafnorm und einer gewohnheitsrechtlichen Verankerung (Übung und Rechtüberzeugung) betreffend Strafbarkeit des Angriffskrieges

Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg (1945-46) u. Tokio (1946-48): Bestrafung aufgrund nationaler Strafrechtsnormen und gewohnheitsrechtlicher Pönalisierung der in der Haager Landkriegsordnung erfassten Handlungen.

Strafrechtliche Entwicklung nach Nürnberg und Tokio:- Bestätigung der Urteile von Nürnberg u. Tokio durch die Generalversamlung

der UN (Resolution 95 (I) vom 11.12.1946) und Ausarbeitung der Nürnberger Prinzipien durch die International Law Commission (ILC):

“The crimes herinafter set out are punishable as crimes under international law:a) Crimes against peace: (i) planning, preparation, initiation of a war of agression or a war in violation of

international treatises, agreements or assurances; (ii) Participation in a common plan or conspiracy for the accomplishment of

any of the acts mentioned unter (i).

- Resolution 2625 (XXV) der Generalversammlung von 1970 (“Friendly-Relations”-Deklaration): “A war of aggression constitutes a crime against the peace, for which there is responsiblity under international law”.

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zu Rz. 1055: Gewaltverbot: Entwicklung zum zwingenden Völkerrecht (3)

Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind der ILC von 1996, Art. 16 Crime of Agression:

An individual who, as a leader or organizer, actively participates in or orders the planning, preparation, initiation or waging of aggression committed by a State shall be responsible for a crime of aggression.

Rome Statut of the International Criminal Court vom 17. Juli 1998

Art. 5 Crimes within the jurisdiction of the Court1 [...] The Court has jurisdiction in accordance with this Statute with respect to the following crimes:(d) The crime of aggression2 The Court shall have exercise jurisdiction of the crime of aggression once a provision is adopted in accordance with articles 121 and 123 defining the crime an setting out the conditions under which the Court shall exercise jurisdiction with respect to this crime. [...]

Einschluss der Aggression in den Tatbestandskatalog (trotz Widerstand jener Staaten, die primär um ihre Souveränität besorgt sind, v.a. der USA)

Noch keine Einigung über die Definition des Aggressionstatbestandes Aggressionsverbrechen wird erst dann bestraft, wenn Definition erarbeitet

ist (erstmalige Überarbeitung soll 2009 erfolgen)

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zu Rz. 1142: Beispiel Weltwirtschaftsverfassung

Die WTO kennt ein Streitbeilegungsverfahren, in welchem auch Interessen Dritter berücksichtigt werden können. Die Entscheide werden verbindlich, wenn sie vom Allgemeinen Rat der WTO nicht einstimmig abgelehnt werden (so genannter negativer Konsens). Private (z.B. NGO, Wirtschaftsverbände oder Konzerne) können sich als so genannte «amici curiae» an den Verfahren beteiligen. In einem ausgebauten Streitbeilegungsverfahren könnte geprüft werden, ob die Belange der Weltwirtschaftsverfassungin angemessener Weise in das Netzwerk sämtlicher Verfas-sungsprinzipien der Weltordnung eingebunden werden. Ein internes Organ der WTO hätte diese Frage jeweils zu prüfen. Eine NGO könnte geltend machen, ein von ihr vertretenes grundsätzliches Anliegen werde in willkürlicher Weise verletzt.