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An 30 gesunden Probanden mit klinisch unauffälligen Kniegelen- ken wurden die propriozeptiven Fähigkeiten des Kniegelenks mit Hilfe eines Winkelreproduktions- tests untersucht. Es konnten keine Unterschiede im Stellungssinn zwischen dem linken und dem rechten Kniegelenk oder zwischen Männern und Frauen festgestellt werden. Im mittleren Bewegungs- ausmaß war die Propriozeption im Vergleich zu endgradigen Winkel- einstellungen signifikant schlech- ter. Weiterhin wurden 25 Patienten mit einer isolierten Ruptur des vorderen Kreuzbandes untersucht. 14 Patienten wurden präoperativ getestet, 11 nach operativer Re- konstruktion des vorderen Kreuz- bandes. Es konnte ein signifikant schlechterer Stellungssinns der präoperativen Gruppe im Ver- gleich zur Kontrollgruppe festge- stellt werden. Gleichzeitig konnte ein positiver Einfluß einer elasti- schen Kniebandage auf die Pro- priozeption des verletzten Knies gezeigt werden. Patienten nach operativer Kreuzbandrekonstruk- tion zeigten keine signifikant ver- besserte Kniegelenkpropriozep- tion im Vergleich zur präoperati- ven Gruppe. Schlüsselwörter Kniegelenk – Propriozeptive Fä- higkeiten – Vordere Kreuzband- ruptur 861 O R I G I N A L I E N Die klinische Erfahrung zeigt oft we- nig Übereinstimmung zwischen den sog. objektiven klinischen Funktions- tests und dem subjektiven Empfinden der Patienten. Bereits 1988 konnten Harter et al. [26] bei Patienten nach einer Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes diese Erfahrungen be- stätigen. Ihnen erschienen neue Test- methoden notwendig, um den Aussa- gewert klinischer Test zu verbessern. Später berichteten auch andere Auto- ren [8, 11, 49] darüber, daß bei Nach- untersuchungen operierter Kniege- lenke die üblichen klinischen Scores nur schlecht mit dem subjektiven Pa- tientenempfinden korrelieren. Dem- gegenüber fanden sich deutlich bes- sere Übereinstimmungen bei der Be- rücksichtigung des Propriozeptions- empfindens. Die Messung der Pro- priozeption gewinnt in letzter Zeit immer mehr Beachtung beim Versuch, pathophysiologische Zusammenhänge des Knie- Schulter- und Sprungge- lenks besser zu verstehen [31 – 34]. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, die propriozeptiven Fähigkeiten von Kniegelenken gesunder Proban- den mit denen von Patienten, bei wel- chen eine Ruptur des vorderen Kreuz- bandes (VKB) vorliegt, zu verglei- chen. Zusätzlich sollte die Wirkung einer elastischen Kniebandage auf den Stellungssinn des Kniegelenks über- prüft werden. Material und Methoden Untersuchungshergang Zur Dokumentation der propriozeptiven Fähigkeiten wurde eine modifizierte Technik nach Barrett et al. [9] verwendet. In voraus- gegangenen Untersuchungen konnten wir be- reits die Validität und Effektivität dieser Me- thode zeigen [34]. Der Proband wurde im Liegen untersucht. Zur Einstellung der ver- schiedenen Winkel im Kniegelenk wurde das zu untersuchende Bein in einer speziellen Schiene gelagert (Abb. 1). Diese Schiene gibt dem Bein Halt und verhindert Rotations- wie auch Seitwärtsbewegungen. Das Bein liegt sowohl in Ruhe, als auch bei den vom Untersucher durchgeführten Einstellungsvorgängen relaxiert. Hierdurch wird eine Minimierung der Reizung von Muskel-, Sehnen-, und Hautrezeptoren während der Meßvorgänge angestrebt. Dem selben Zweck dient die Abpolsterung der Schalen mit weichen Schaumgummi. Die Messung wurde am entkleideten Bein durch- geführt, was zusätzliche exteren Einflüsse verringerte. Durch die beiden Handgriffe war es dem Untersucher möglich, die Winkel zu verstellen, ohne am Bein direkt zu manipu- lieren. Mit Hilfe der Standfußkonstruktion war es möglich, den Kniegelenkwinkel von 0° – 100° einzustellen. Durch einen Sicht- schutz wurde die visuelle Kontrolle der Pro- banden verhindert. Beim Meßvorgang wurden an jedem Bein 4 vorgegebene Winkel in randomisierter Rei- henfolge manuell vom Untersucher einge- stellt. Der Ausgangspunkt für jede Messung war die 0°-Stellung, welche vor jeder Win- kelmessung erst wieder für 5 s eingenommen wurde. Am linken Bein betrugen die vorge- gebenen Winkel 10°, 35°, 60°, 80°. Rechts Unfallchirurg (1996) 99: 861 – 868 © Springer-Verlag 1996 Propriozeptive Fähigkeiten im Bereich des Kniegelenks bei Patienten nach vorderer Kreuzbandruptur J. Jerosch 1, 2 und M. Prymka 2 1 Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie, Westfälische Wilhelms- Universität Münster 2 Institut für Sportmedizin, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Priv.-Doz. Dr. med. J. Jerosch, Klinik u. Poli- klinik für Allgemeine Orthopädie, Westfäli- sche Wilhelms-Universität Münster, Albert- Schweitzer-Straße 33, D-48129 Münster

Propriozeptive Fähigkeiten im Bereich des Kniegelenks bei Patienten nach vorderer Kreuzbandruptur

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Page 1: Propriozeptive Fähigkeiten im Bereich des Kniegelenks bei Patienten nach vorderer Kreuzbandruptur

An 30 gesunden Probanden mitklinisch unauffälligen Kniegelen-ken wurden die propriozeptivenFähigkeiten des Kniegelenks mitHilfe eines Winkelreproduktions-tests untersucht. Es konnten keineUnterschiede im Stellungssinnzwischen dem linken und demrechten Kniegelenk oder zwischenMännern und Frauen festgestelltwerden. Im mittleren Bewegungs-ausmaß war die Propriozeption imVergleich zu endgradigen Winkel-einstellungen signifikant schlech-ter. Weiterhin wurden 25 Patientenmit einer isolierten Ruptur desvorderen Kreuzbandes untersucht.14 Patienten wurden präoperativgetestet, 11 nach operativer Re-konstruktion des vorderen Kreuz-bandes. Es konnte ein signifikantschlechterer Stellungssinns derpräoperativen Gruppe im Ver-gleich zur Kontrollgruppe festge-stellt werden. Gleichzeitig konnteein positiver Einfluß einer elasti-schen Kniebandage auf die Pro-priozeption des verletzten Kniesgezeigt werden. Patienten nachoperativer Kreuzbandrekonstruk-tion zeigten keine signifikant ver-besserte Kniegelenkpropriozep-tion im Vergleich zur präoperati-ven Gruppe.

Schlüsselwörter

Kniegelenk – Propriozeptive Fä-higkeiten – Vordere Kreuzband-ruptur

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O R I G I N A L I E N

Die klinische Erfahrung zeigt oft we-nig Übereinstimmung zwischen densog. objektiven klinischen Funktions-tests und dem subjektiven Empfindender Patienten. Bereits 1988 konntenHarter et al. [26] bei Patienten nach einer Rekonstruktion des vorderenKreuzbandes diese Erfahrungen be-stätigen. Ihnen erschienen neue Test-methoden notwendig, um den Aussa-gewert klinischer Test zu verbessern.Später berichteten auch andere Auto-ren [8, 11, 49] darüber, daß bei Nach-untersuchungen operierter Kniege-lenke die üblichen klinischen Scoresnur schlecht mit dem subjektiven Pa-tientenempfinden korrelieren. Dem-gegenüber fanden sich deutlich bes-sere Übereinstimmungen bei der Be-rücksichtigung des Propriozeptions-empfindens. Die Messung der Pro-priozeption gewinnt in letzter Zeit immer mehr Beachtung beim Versuch,pathophysiologische Zusammenhängedes Knie- Schulter- und Sprungge-lenks besser zu verstehen [31 – 34].

Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, die propriozeptiven Fähigkeitenvon Kniegelenken gesunder Proban-den mit denen von Patienten, bei wel-chen eine Ruptur des vorderen Kreuz-bandes (VKB) vorliegt, zu verglei-chen. Zusätzlich sollte die Wirkung einer elastischen Kniebandage auf den

Stellungssinn des Kniegelenks über-prüft werden.

Material und Methoden

Untersuchungshergang

Zur Dokumentation der propriozeptivenFähigkeiten wurde eine modifizierte Techniknach Barrett et al. [9] verwendet. In voraus-gegangenen Untersuchungen konnten wir be-reits die Validität und Effektivität dieser Me-thode zeigen [34]. Der Proband wurde imLiegen untersucht. Zur Einstellung der ver-schiedenen Winkel im Kniegelenk wurde daszu untersuchende Bein in einer speziellenSchiene gelagert (Abb. 1). Diese Schienegibt dem Bein Halt und verhindert Rotations-wie auch Seitwärtsbewegungen.

Das Bein liegt sowohl in Ruhe, als auchbei den vom Untersucher durchgeführtenEinstellungsvorgängen relaxiert. Hierdurchwird eine Minimierung der Reizung vonMuskel-, Sehnen-, und Hautrezeptorenwährend der Meßvorgänge angestrebt. Demselben Zweck dient die Abpolsterung derSchalen mit weichen Schaumgummi. DieMessung wurde am entkleideten Bein durch-geführt, was zusätzliche exteren Einflüsseverringerte. Durch die beiden Handgriffe wares dem Untersucher möglich, die Winkel zuverstellen, ohne am Bein direkt zu manipu-lieren. Mit Hilfe der Standfußkonstruktionwar es möglich, den Kniegelenkwinkel von0° – 100° einzustellen. Durch einen Sicht-schutz wurde die visuelle Kontrolle der Pro-banden verhindert.

Beim Meßvorgang wurden an jedem Bein4 vorgegebene Winkel in randomisierter Rei-henfolge manuell vom Untersucher einge-stellt. Der Ausgangspunkt für jede Messungwar die 0°-Stellung, welche vor jeder Win-kelmessung erst wieder für 5 s eingenommenwurde. Am linken Bein betrugen die vorge-gebenen Winkel 10°, 35°, 60°, 80°. Rechts

Unfallchirurg (1996) 99:861–868 © Springer-Verlag 1996

Propriozeptive Fähigkeiten im Bereich des Kniegelenks bei Patienten nach vordererKreuzbandruptur

J. Jerosch 1, 2 und M. Prymka 2

1 Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster2 Institut für Sportmedizin, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Priv.-Doz. Dr. med. J. Jerosch, Klinik u. Poli-klinik für Allgemeine Orthopädie, Westfäli-sche Wilhelms-Universität Münster, Albert-Schweitzer-Straße 33, D-48129 Münster

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wurden die Winkel 15°, 30°, 50°, 75° einge-stellt.

Diese Winkel konnten vom Untersuchermit Hilfe eines Elektrogeniometers (Penny &Giles, ADU 301®) mit 0,5° Genauigkeit ein-gestellt werden. Das Gerät besteht aus 2 End-blöcken, die über ein Meßelement verbundensind. Die Endblöcke werden mit doppelseiti-gem Klebeband direkt auf die Haut derAußenseite des Ober- und Unterschenkelsaufgebracht. Der notwendige Abstand kannmitteils eines integrierten Federzugs zwi-schen den Endblöcken leicht kontrolliert undreproduzierbar eingestellt werden (Abb. 2).Nach der Aufklebung erfolgte ein Nullab-gleich, so daß unterschiedliche Klebungenkeinen Meßfehler hervorrufen.

Die Meßgenauigkeit des Elektrogonio-meters wurde in Vorversuchen evaluiert.Zunächst wurden die Endblöcke des Gonio-meters in unterschiedlichen Positionen aufeinen analogen mechanischen Winkelmessergeklebt. Nach manueller Einstellung des me-chanischen Goniometers wurde der Elektro-goniometer kalibriert und danach die späterangestrebten Winkelstellungen (10°, 35°,60°, 80°) eingestellt. Beim Vergleich der an-gezeigten Winkel lag die Winkelabweichungin den verschiedenen Endblockpositionenunter 0,5°.

In einem weiteren Schritt wurde die Re-produzierbarkeit der Meßergebnisse bei derMessung von Winkeln am menschlichenKniegelenk überprüft. Hierzu wurden dieEndblöcke in der vom Hersteller angegebe-nen Weise befestigt, wobei auf eine paralleleAusrichtung der Endblöcke zu den Achsendes eingestellten Winkels (Tibia und Femur)bewußt verzichtet wurde, um die Leistungs-fähigkeit des Geräts im klinischen Alltag zuüberprüfen. Mit unterschiedlich befestigtenEndblöcken wurde jeweils 4mal 90° einge-stellt.

Die Ergebnisse dieser Messungen warzunächst sehr unbefriedigend. Dieses lag je-doch nicht am Gerät selber, sondern an derunzureichenden Fixierung durch das mitge-lieferte doppelseitige Klebeband zur Befesti-gung der Endblöcke lag. Es hielt nicht auf derHaut der Probanden und ermöglichte denEndblöcken einen Bewegungsspielraum un-abhängig von den Kniebewegungen. An-schließend wurde ein anderes kommerziellangebotenes doppelseitiges Klebeband(Tesa) verwendet. Hiermit konnten deutlichbessere Resultate erzielt werden. Es wurdenmit jeder Endblockposition reproduzierbarauch noch in der 4. Messung genau die ein-gestellten 90° gemessen. Leichte Schwierig-keiten bereitete nur das Wiederentfernen derKlebestreifen von der Haut.

Mit der optimierten Fixierung wurde derProband aufgefordert, den jeweils vom Un-tersucher passiv vorgegebenen Winkel an ei-nem Handgoniometer nachzustellen. DieDifferenzen von tatsächlichem und nachge-stelltem Winkel wurden als relatives Maß fürdie propriozeptiven Fähigkeiten des unter-suchten Kniegelenks gesehen.

Es wurden grundsätzlich beide Beine desProbanden jeweils ohne und mit einer elasti-schen Kniebandage (Genutrain-Bandage)untersucht. Zur Vermeidung eines Lernef-fekts wurde die Reihenfolge der Seite (rech-tes oder linkes Knie), die Reihenfolge dereingestellten Winkel und die Entscheidung,ob mit oder ohne Kniebandage zuerst gete-stet wird, randomisiert.

Untersuchungsgruppe

Die Kontrollgruppe bestand aus 30 Proban-den (10 Frauen, 20 Männer). Das Durch-schnittsalter betrug 33,6 Jahre, das Durch-schnittsgewicht der Probanden betrug72,8 kg. Bei keinem der Probanden fand sichim Rahmen der Anamnese eine Kniegelenk-

Unfallchirurg (1996) 99:861–868 © Springer-Verlag 1996

Knee joint proprioception in patients with ACL tears

J. Jerosch and M. Prymka

Summary

In 30 healthy volunteers with clini-cally inconspicuous knee joints theproprioception of the knee joint wasevaluated by an angle reproductiontest. With the same set-up we docu-mented the effect of an elastic kneebandage. We could not document anydifferences between the left and theright knee joint or between men andwomen, but at the mid-range of mo-tion, proprioception was worse com-pared to the end range of motion. Theapplied elastic knee bandage signifi-cantly improved the position sense.Additionally 25 patients with an iso-lated rupture of the anterior cruciate

ligament were evaluated. Fourteenpatients were examined preopera-tively, 11 after operative ACL recon-struction. Preoperatively propriocep-tion was significantly poorer than inthe control group. We were able toshow a positive infuence of a kneebandage on the proprioception of theinjured knee as well. Patients afterACL reconstruction showed no sig-nificantly better proprioception thanthe preoperative group.

Key words

Knee joint – Proprioception – ACL-tear

Abb. 1. Schiene zur Winkelein-stellung im Kniegelenk. (Modifi-zierte Konstruktion nach Barrettet al. [9])

Abb. 2. Plazierung des elektrischen Gonio-meters am lateralen Kniegelenk

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verletzung oder chronische Beschwerden.Zusätzlich wurden alle Probanden standardi-siert klinisch untersucht, um bislang nicht be-kannte Schäden aufzudecken. Es wurden fol-gende Ausschlußkriterien für die Probandenfestgelegt: rheumatologische Erkrankungen,kardiovaskuläre Erkrankungen, neurologi-sche Erkrankungen (M. Parkinson, M. Alz-heimer, Polyneuropathie, Demenz), metaboli-sche Gefäßerkrankungen mit neurologischerKomponente (Diabetis mellitus, Arteriosk-lerose), mit Chemotherapie behandelte Tu-morpatienten, Alkoholiker, Drogensüchtige.

In der Patientengruppe befanden sich 25 Patienten; 14 Patienten (7 Frauen und 7Männer), bei denen eine isolierte kompletteRuptur des vorderen Kreuzbandes vorlag,wurden vor der operativen Stabilisation un-

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tersucht. In dieser Gruppe betrug das durch-schnittliche Alter 32,5 Jahre.

11 Patienten (4 Frauen, 7 Männer) mit einem durchschnittlichen Alter von 24,5 Jah-ren wurden 6 – 12 Monate nach operativerVersorgung eines Risses des VKB unter-sucht. Bei ihnen wurde eine Kreuzbandpla-stik mit dem zentralen Drittel des Lig. patel-lae und einem Kennedy-LAD durchgeführt[17, 30, 40, 42].

Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung erfolgte mit demStatistikprogrammpaket SPSS. Auf stati-stisch signifikante Unterschiede wurde mitdem t-Test für unverbundene Stichproben geprüft.

Ergebnisse

Ergebnisse der Kontrollgruppe

Die absolute mittlere Abweichung derWinkelangaben aller Probanden mittatsächlich eingestellten Winkel be-trug ohne angelegter Kniebandage7,8° (SD = 2,8°). Die mittlere Abwei-chung ohne Bandage betrug am rech-ten Bein 7,8° (SD = 3,3°) und am lin-ken Bein 7,8° (SD = 4,3°).

Bei Messungen mit Kniebandagereduzierte sich die mittlere Abwei-chung durchschnittlich auf 6,1°(SD = 2,5°). Diese Verringerung ist

Abb. 3. Mittlere absolute Winkelabweichung der Gesamtgruppe(a) mit Kniebandage, (A) ohne Kniebandage

Abb. 4. Mittlerer absoluter Schätzfehler der Probanden bei ver-schiedenen eingestellten Winkelgraden am linken Bein, gemessen(a) mit- und (A) ohne Kniebandage

Abb. 5. Mittlere absolute Winkelabweichung der Probanden bei denverschiedenen eingestellten Winkelgraden des rechten Beins, ge-messen (a) mit- und (A) ohne Kniebandage

Abb. 6. Mittlerer Schätzfehler von (A) Frauen und (a) Männern beiMessungen ohne Kniebandage

Abb. 7. Mittlere absolute Winkelabweichung von Frauen und Män-nern bei Messungen (a) mit- und (A) ohne Kniebandage

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signifikant bei einer Irrtumswahr-scheinlichkeit p = 0,02. Betrachtetman nur das linke Bein, so liegt die mittlere Abweichung bei 5,8°(SD = 3,0°), rechts beträgt die mittlereAbweichung 6,4° (SD = 3,5°). Diesegeringe Seitendifferenz ist nicht signi-fikant (Abb. 3).

Auffällig ist jedoch die Verteilungder Abweichungen im Hinblick auf dieeingestellten Winkel. So ist beim lin-ken Bein die mittlere Abweichung derKontrollgruppe bei eingestellten 60°mit 12,3° signifikant (p = 0,01) größerals bei eingestellten 35° (6,6°) odereingestellten 10° (3,3°). Nur bei 80° istder Unterschied nicht signifikant. Diemittlere Abweichung betrug hier 9,8°.Beim rechten Bein sah die Tendenzähnlich aus. Auch hier war die mittlereAbweichung mit 9,8° beim dritthöch-sten Winkel (50°) am größten. Eskonnte ein signifikanter Unterschied(p = 0,02) nur gegenüber der mittlerenAbweichung bei 15° festgestellt wer-den; diese betrug nur 4,0°. Die Ab-weichung bei 30° ergab 5,7° und bei75° lag diese bei 8,3°. Die Tendenz,daß sowohl am linken als auch amrechten Bein die Abweichung des re-produzierten Winkels zum vorgegebe-nen Winkel im mittleren Bewegungs-ausmaß (60° bzw. 50°) am größten ist,zeigt sich auch bei Messungen mit derKniebandage (Abb. 4, 5).

Beim Vergleich der Ergebnissezwischen Männern und Frauen läßt

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sich kein signifikanter Unterschied beiMessungen ohne Kniebandage fest-stellen. So beträgt die mittlere Abwei-chung vom vorgegebenen Wert am lin-ken Bein bei Frauen 9,6° (SD = 5,4°).Männer wichen im Durchschnitt um6,9° ab (SD = 3,4°). Am rechten Beinwichen Frauen durchschnittlich um7,1° (SD = 2,9°) vom eingestelltenWinkel ab. Die durchschnittliche Win-kelabweichung bei Männern betrugrechts 8,2° (SD = 3,5°).

Für die Gesamtmessung lag dermittlere Winkelreproduktionsfehlervon Frauen bei 8,3° (SD = 3,3°), Män-ner zeigten eine Abweichung vondurchschnittlich 7,5° (SD = 2,5)(Abb. 6).

Bei Messungen mit der elastischenKniebandage sinkt der mittlereSchätzfehler beim Männern auf 6,2°(SD = 2,8°). Diese Verminderung istallerdings nicht signifikant. Signifi-kant bei einer Irrtumswahrscheinlich-keit von p = 0,05 ist jedoch die Verrin-gerung des Schätzfehlers von Frauenauf 5,8° (SD = 1,8°). Untereinandersind die Ergebnisse von Männern undFrauen auch mit Kniebandage nichtsignifikant verschieden (Abb. 7).

Meßergebnisse der Patienten mit Rißdes VKB präoperativ (Abb. 8)

Bei der Untersuchung der Patientenmit einem Riß des VKB kann festge-stellt werden, daß der mittlere Win-

kelreproduktionsfehler bei Messun-gen ohne Kniebandage am verletztenBein 12,7° (SD = 3,6°) betrug. DieserWert ist mit einer Irrtumswahrschein-lichkeit von p = 0,01 signifikant höherals die mittlere Abweichung der Kon-trollgruppe, die bei 7,8° (SD = 2,8°)lag.

Doch auch die mittlere Abwei-chung vom eingestellten Winkel amgesunden Bein des verletzten Patien-ten, ist mit 10,2° (SD = 3,3°) signifi-kant höher (p = 0,02), als die der Kon-trollgruppe.

Der Vergleich von gesundem undverletztem Bein ergibt keinen signifi-kanten Unterschied. Es liegt jedocheine Tendenz vor, daß die mittlere Ab-weichung am verletzten Bein höher ist,als am unverletzten. Im t-Test für un-verbundene Stichproben konnte dieangestrebte Irrtumswahrscheinlich-keit von p = 0,05 (5%) nur sehr knappnicht erreicht werden. Unter Zuhilfe-nahme der Kniebandage verringertesich der Wert des mittleren Reproduk-tionsfehlers am verletzten Bein signi-fikant (p = 0,01) auf 7,1° (SD = 4,8°).Bei Messung des gesunden Beins mitKniebandage ergibt sich eine mittlereAbweichung von 8,4° (SD = 5,0°).Eine signifikante Veränderung des Er-gebnisses, welches ohne Kniebandageerzielt wurde, ergibt sich daraus aller-dings nicht.

Bei der Betrachtung der Meßergeb-nisse allein im endgradigen Exten-sionsbereich (Abb. 9) zeigt sich amverletzten Bein eine mittlere Winkel-abweichung von 10,0° (SD = 7,3°).Dieses Resultat stellt eine hochsigni-fikante (p<0,01) Abweichung vom Er-gebnis der Kontrollgruppe dar. Derdurchschnittliche Winkelfehler betrug

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Abb. 8. Patienten mit Kreuzbandriß präoperativ: mittlere Winkelabweichung am verletztenund gesunden Bein, gemessen (a) mit und (A) ohne Kniebandage im Vergleich zu den Er-gebnissen der Kontrollgruppe

Abb. 9. (A) Patienten mit Kreuzbandriß präoperativ: mittlere Winkelabweichung des ver-letzten Beins bei vorgegebenen Winkelpositionen von 10°/5° und 30°/35° im Vergleich zur(a) Kontrollgruppe

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hier nur 4,5° (SD = 5,6°). Bei einge-stellten 30°/35° war hingegen kein sig-nifikanter Unterschied in den Winkel-abweichungen zwischen Kontroll- undPatientengruppe mehr nachzuweisen.

Meßergebnisse der Patienten mit Rißdes VKB postoperativ (Abb. 10)

Bei den Patienten, die nach einem Rißdes VKB eine Kreuzbandplastik er-hielten, zeigen sich noch schlechtereErgebnisse der Propriozeptionsmes-sung als bei der Gruppe vor der Ope-ration.

Ohne Kniebandage liegt die mitt-lere Abweichung des verletzten Beinsbei 13,0° (SD = 4,8°). Dies ist mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit vonp = 0,01 hochsignifikant höher als derWert der Kontrollgruppe (7,8°). Aucham kontralateralen Bein wird mit 12,3° (SD = 6,8°) ein hochsignifikan-ter (p = 0,01) größerer Reproduktions-fehler produziert als in der Kontroll-gruppe. Ein Unterschied der Ergeb-nisse zwischen verletztem und kon-tralateralem Bein ist nicht vorhanden.

Bei den Untersuchungen, die mitder elastischen Bandage durchgeführtwurden, lag der mittlere Reprodukti-onsfehler des verletzten Beins bei13,0° (SD = 8,7°), was keinen signifi-kanten Unterschied zu der Messungohne Kniebandage bedeutet. Somitliegt der Wert ebenfalls hochsignifi-kant (p = 0,01) über dem der Kontroll-

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gruppe (ohne Kniebandage). Auch diemittlere Winkelabweichung bei Mes-sungen mit Kniebandage am gesun-den, kontralateralen Bein ist mit 9,4°(SD = 8,8°) nicht signifikant verschie-den von dem Meßwert, der ohne Knie-bandage ermittelt wurde.

Somit hat sich bei Messungen ohneKniebandage der durchschnittlicheWinkelreproduktionsfehler bei derUntersuchung des verletzten Kniesnach einer Kreuzbandplastik nicht ver-ändert. Bei Untersuchungen mit derelastischen Kniebandage ist die mitt-lere Abweichung mit 13° postoperativsogar signifikant (p<0,05) höher, alspräoperativ (7,1°) (Abb. 11).

Diskussion

Der in der vorliegenden Studie ver-wendete Winkelreproduktionstest zurMessung der propriozeptiven Fähig-keiten basiert auf der Methode vonBarrett et al. [9] und wurde zuletzt ineiner Studie über die Propriozeptionvon gesunden Kniegelenken verwandt[34]. In dieser Studie konnte die Ef-fektivität und Validität der benutztenMethode gezeigt werden. In Überein-stimmung mit anderen Autoren war esuns nicht möglich, Unterschiede in denpropriozeptiven Fähigkeiten zwischendem dominanten und nicht dominan-ten Bein oder zwischen Männern undFrauen festzustellen [4, 9, 15, 34]. NurSell et al. [48] konnten signifikant bes-

sere Ergebnisse bei Männern feststel-len. Betrachtet man auch die Ergeb-nisse der Probanden bei einzelnenWinkelvorgaben, so läßt sich zwei-felsfrei erkennen, daß die Kniegelenk-propriozeption im mittleren Bewe-gungsspielraum signifikant schlechterals in Endpositionen ist. Unseres Wis-sens gibt es z. Z. noch keine Studie, beider die Propriozeption bei unter-schiedlichen Winkeleinstellungen er-faßt wurde. Aus klinischer Sicht schei-nen diese Resultate jedoch durchaussinnvoll, wenn man bedenkt, daß derPropriozeption des Kniegelenks großeBedeutung im Schutz des Gelenks vorextremen Bewegungen in Flexion undExtension zugeschrieben werden [1,5 – 7, 24, 25].

Somit ist es nur verständlich, wenndie Probanden bei den vorgegebenenWinkeln 10° und 80° ihre besten Win-kelreproduktionsergebnisse erzielen.Vermutlich wäre das Ergebnis bei ein-gestellten Winkeln von über 100° nochdeutlicher ausgefallen.

Es zeigt sich in der vorliegendenStudie, daß sich durch einen Riß desVKB die Winkelreproduktionsfähig-keit des Kniegelenks signifikant ver-schlechtert. Das Ausmaß dieser pro-priozeptiven Funktionsstörung nachRuptur des VKB läßt sich vor allem imbesonders wichtigen, extensionsnahenBereich nachweisen. Unter Berück-sichtigung der Tatsache, daß in Streck-stellung das VKB besonders ange-spannt ist, ist das propriozeptive Defi-zit nach einer Ruptur des VKB im ex-tensionsnahen Bereich aus biomecha-nischen Überlegungen nachvollziebar.Diese Befunde unterstreichen somiteine mögliche propriozeptive Funk-tion des VKB, die auch schon bei an-

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Abb. 10. Patienten nach operativer Kreuzbandrekonstruktion: Mittlerer Schätzfehler beiMessungen des verletzten und des gesunden Kniegelenks (a) mit und (A) ohne Kniebandageim Vergleich zur Kontrollgruppe

Abb. 11. Vergleich der mittleren Winkelabweichungen, bei Untersuchungen des verletztenKniegelenks (a) mit und (A) ohne Kniebandage, im Vergleich zwischen prä- und postopera-tiven Fällen

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deren Autoren betont wurde [5, 10, 15,27].

Aber auch das kontralaterale, ge-sunde Kniegelenk zeigt eine im Ver-gleich zur Kontrollgruppe signifikantverschlechterte Propriozeption und er-zielt nur tendentiell ein besseres Er-gebnis als das verletzte Bein.

Diese Ergebnisse spiegeln sichauch in anderen Studien wider. Bar-rack et al. [5], Barrett [8], Beard et al.[11], Beard et al. [10] und Corriganet al. [16] zeigten eine signifikanteVerschlechterung der Propriozeptiondes betroffenen Kniegelenkes nachRuptur des VKB. Fink et al. [21] konn-ten 1994 durch EMG-Untersuchungeneine signifikante Abnahme der Kraftder Oberschenkelextensoren nachVKB-Ruptur nachweisen, was sie aufeinen verletzungsbedingten Abfall derpropriozeptiven Information zurück-führten.

Auch neuroanatomische Studienkonnten die Bedeutung des VKB fürdie Kniegelenkpropriozeption darstel-len. So konnte bereits im Jahr 1956Skoglund [51] Nervenfasern in Kreuz-bändern von Katzen nachweisen. Esgelang ihm auch zu zeigen, daß dieseFasern besonders sensitiv auf Rota-tionsbewegungen im Kniegelenk wa-ren.

Im Jahre 1974 konnten Kennedyet al. [36] Nervenfasern im gesamtenVKB in menschlichen Kniegelenkendarstellen. In späteren Studien [2, 28,35, 46, 47, 55] wurden alle Typen von Nervenrezeptoren im Kreuzbandnachgewiesen. Die jedoch nur geringeAnzahl von freien Nervenendigungenim Kreuzband spricht für Schultz et al.[46] dafür, daß die Kreuzbänder rela-tiv schmerzunempfindlich sind.

Kennedy et al. [35] fanden im Jahre1982 Nervenrezeptoren im gesamtenKreuzband, Golgi-Endigungen jedochmeist in der Nähe von freien Nerven-endigungen im Bereich der knöcher-nen Bandinsertionsstellen und derBandoberfläche. Von Dommelen u.Fowler [18] zeigten 1989, daß im hin-teren Kreuzband die gleichen Nerven-rezeptoren zu finden sind, wie imVKB. Pitman et al. [43] erbrachten1992 mittels somatosensorisch evo-zierter Potentiale den direkten Beweisder Anwesenheit aktiver Propriore-zeptoren im VKB des menschlichenKnies. Weitere elektromyographische

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Untersuchungen zeigten ebenfalls dieBedeutung des Kreuzbandes für denStellungssinn im Kniegelenk [20,22 – 25].

Ein Vergleich mit dem gesunden,kontralateralen Kniegelenk wurde nurvon Barrack et al. [5] gezogen. Sie ka-men zu dem Ergebnis, daß die Pro-priozeption des gesunden zwar bessersei als die des verletzten Kniegelenks,aber dabei immer noch schlechter sei,als die Propriozeption der Kontroll-gruppe.

Nur wenige Autoren haben sich mitden Auswirkungen einer Kniebandageauf die Kniegelenkpropriozeption be-faßt. Hierbei wurde hauptsächlich aufdegenerative oder entzündliche Verän-derungen abgehoben [9]. Die vorlie-gende Studie untersuchte als erste dieWirkung einer elastischen Knieban-dage auf die Propriozeption eines trau-matisch veränderten Kniegelenks. Wirkonnten eine Verbesserung der Pro-priozeption des verletzten Kniege-lenks unter Zuhilfenahme einer ela-stischen Kniebandage nachweisen.Branch et al. [13] führten eine EMG-unterstützte Untersuchung bei Patien-ten mit Kreuzbandruptur durch. Sieschlossen, daß keine der von ihnen be-nutzten Braces Auswirkungen auf diePropriozeption des verletzten Kniege-lenks hätte. Diese Braces unterschie-den sich jedoch in der Konstruktionbeträchtlich von der von uns verwen-deten Kniebandage.

Die Hauptmöglichkeit zur Verbes-serung der Propriozeption des Knie-gelenks nach einer Verletzung ist je-doch zweifelsfrei die krankengymna-stische Therapie. Das gilt nicht nur fürPatienten mit einem Kreuzbandriß,sondern für alle Arten von Kniege-lenkverletzungen. Bereits 1989 be-zeichnete Wentzensen [53] als wich-tigstes Ziel in der Nachbehandlungvon frischen Kreuzbandverletzungendie Wiedererlangung von neuropro-priozeptiven Steuermechanismen mitHilfe der Krankengymnastik. Markey[39] sprach sich dafür aus, daß die The-rapie einer Ruptur des VKB vieleAspekte zu beachten habe. Neben derabsoluten Schmerzfreiheit solltennach seiner Meinung die Koordinationvon Bewegungen, die Gelenkbeweg-lichkeit und die Gelenkstabilität The-rapieziele sein. Sell et al. [48] konntenin Propriozeptionsuntersuchungen am

Kniegelenk den positiven Einfluß der krankengymnastischen Therapienachweisen. Engel et al. [19] zeigtenden Zusammenhang zwischen einerpostmeniskotomischen Quadrizeps-atrophie, einer Verschlechterung derPropriozeption und einer unzureichen-den krankengymnastischen Behand-lung auf.

Barrack et al. [4] konnten den posi-tiven Einfluß von Muskeltraining aufdie Propriozeption anhand von Unter-suchungen an Hochleistungssportlernnachweisen. Skinner et al. [50] folger-ten ebenfalls aus ihren Untersuchun-gen, daß Muskelschwäche auch einennegativen Einfluß auf intraartikulärePropriozeptoren hat, und somit Mus-keltraining die Propriozeption desKniegelenks, und demnach auch denGelenkschutz verbessern kann.

Aufgrund des momentanen Wis-sensstands kann somit gefolgert wer-den, daß ein Abfall der Propriozep-tionsleistung als Folge einer Kreuz-bandruptur eintritt. Dieser Propriozep-tionsverlust des Kniegelenks ist vonentscheidender klinischer Relevanz.Verschiedene Autoren heben immerwieder den Schutz des Kniegelenksvor Verletzungen durch propriozep-tive Mechanismen hervor [27, 37, 41].Andere betonen die Notwendigkeit ei-ner ausreichenden propriozeptivenKapazität des Kniegelenks für kom-plexe koordinierte Bewegungsmuster[29, 44, 45].

In vielen Fällen ist nach einerRuptur des VKB die operative Thera-pie indiziert. Hierzu gibt es eine Viel-zahl unterschiedlicher Operationsver-fahren [12, 17, 30, 40, 42]. Bei einigenVerfahren sind bereits auch schon diepostoperativen Ergebnisse hinsicht-lich der Verbesserung der posttrauma-tisch bedingten Reduktion der pro-priozeptiven Fähigkeiten evaluiertworden. Barrett [8] untersuchte Pro-banden, die den mittleren Teil ihrer Pa-tellarsehne als freies Implantat alsKreuzbandersatz eingesetzt bekamen.Er stellte fest, daß sich die Proprio-zeption des operierten Kniegelenkssignifikant gegenüber den ebenfallsuntersuchten unoperierten Patientenverbesserte. Allerdings war die Pro-priozeption immer noch signifikantschlechter als die der Kontrollgruppe.

Es gibt verschiedene Erklärungs-möglichkeiten dafür, daß durch eine

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Kreuzbandplastik die Propriozeptiondes Kniegelenks nicht vollständig wie-derhergestellt werden kann. Es findetzwar eine mechanische Rekonstruk-tion des Kreuzbandes statt, jedochkönnen die neurogenen Strukturen desursprünglichen Kreuzbandes mit kei-ner z. Z. zur Verfügung stehenden Ver-fahren reproduzierbar wiederherge-stellt werden. Weiterhin muß berück-sichtigt werden, daß auch durch dasOperationsverfahren zusätzliche Lä-sionen des peripatellären Plexus ent-stehen können, wodurch nach Wilson[54] die Gefahr der zusätzlichen Ver-letzung des propriozeptiven Systemsgegeben ist.

Co et al. [15] sprechen einer Kreuz-bandplastik mittels eines freien Lig.-patellae-Implantats sogar eine nochgrößere Verbesserungsrate zu als z. B.Barrett [8]. Sie konnten keinen Unter-schied zwischen der postoperativenPropriozeption und den Ergebnisseneiner Kontrollgruppe nachweisen. Allerdings haben sie nach der Pro-priozeptionsmeßmethode von Barracket al. [3] gearbeitet, bei der eingestellteWinkel aktiv reproduziert werdenmüssen. Durch diesen Versuchsaufbaukönnte das intraartikulär entstandenepropriozeptive Defizit durch die Akti-vität von Muskel- und Sehnenrezepto-ren wieder kompensiert werden. Daherwiederspricht ihr Ergebnis nicht un-bedingt den Resultaten von Barrett [8] oder der vorliegenden Untersu-chung.

Harter et al. [26] gingen sogar da-von aus, daß die Propriozeption nachoperativer Kreuzbandrekonstruktionnicht mehr gestört ist. Sie nahmen al-lerdings als Kontrollgruppe das ge-sunde kontralaterale Kniegelenk an,was wir unter Berücksichtigung unse-rer eigenen Ergebnisse für methodischbedenklich halten.

Kühne und Refior [38] bevorzugenals operative Methode die primäreNaht, weil diese für extraligamentäreStrukturen am wenigsten belastendsei, und trotzdem gute stabilisierendeErgebnisse hervorbringe. Valentiniet al. [52] erzielten gute Ergebnissemit frisch gefrorenen Allografts alsKreuzbandersatz. Clancy et al. [14]schreiben LAD-augmentierten Re-konstruktionen des VKB bessere Er-gebnisse zu als einfachen Rekonstruk-tionen. Spezielle Untersuchungen zur

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Beard et al. [10] beschäftigten sichmit der interessanten Frage, inwieweitsich durch eine Untersuchung der Pro-piozeption eine objektive Indikationzur operativen Kreuzbandplastik stel-len läßt. Doch auch diese Autorenmöchten die Frage nach einer even-tuellen objektiven Indikation zurKreuzbandplastik durch die Proprio-zeptionsmessung nicht pauschal be-antworten. Sie sprechen ebenfalls nurvon einer zusätzlichen Entscheidungs-hilfe.

Zusammenfassend läßt sich fest-stellen, daß eine Schädigung der Pro-priozeption bei Rupturen des VKBzweifelsfrei vorliegt. Dieser läßt sichin einem offenen System, bei geringenWinkelgeschwindigkeiten und Ge-lenkbelastungen, teilweise mit Hilfe einer gezielten krankengymnastischenTherapie oder einer elastischen Knie-bandage verbessern. Noch völlig offenist die Frage wie sich diese Maßnah-men in einem geschlossenen System,bei hohen Winkelgeschwindigkeitenoder Extrembelastungen auf die pro-priozeptiven Fähigkeiten auswirken.Die Frage, ob eine operative Rekon-struktion zusätzlich zum rein mecha-nisch stabilisierenden Effekt auch po-sitive Auswirkungen auf die Proprio-zeption des verletzten Kniegelenkshat, läßt sich aufgrund der z. Z. vor-liegenden Erkenntnisse nicht ab-schließend beantworten.

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