68
FRAUENRECHT IST MENSCHENRECHT e.V. Beraten Informieren Integrieren PROSTITUTION: ZWANG ODER BERUF? TAGUNGSDOKUMENTATION

PROSTITUTION: ZWANG ODER BERUF? - fim-frauenrecht.de · Die gesellschaftliche Bewertung von Prosti - tu tion und von Frauenhandel hat sich in den letzten zwanzig Jahren deutlich gewandelt:

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

FRAUENRECHT IST MENSCHENRECHT e. V.Beraten Informieren Integrieren

PROSTITUTION: ZWANG ODER BERUF?TAGUNGSDOKUMENTATION

Die Tagungsdurchführung und d ie Dokumentat ion wurden mögl ich in Kooperat ion mi t :

2

Impressum

Herausgeber: © FIM-Frauenrecht ist Menschenrecht e.V.Beratungs- und Informationszentrum für MigrantinnenVarrentrappstr. 5560486 Frankfurt am Main

Telefon: (069) 97 0 97 97 - 0Fax: (069) 97 0 97 97 - 18E-Mail: [email protected]: www.fim-frauenrecht.de

Spendenkonto: Konto-Nr. 400 16 48Evangelische Kreditgenossenschaft eG,Filiale FrankfurtBLZ 500 605 00FIM e.V. ist ein gemeinnütziger Verein.Spenden sowie Mitgliedsbeiträge sind steuerabzugsfähig.Spendenbescheinigungen werden ausgestellt.

Redaktion: Andrea Bode Elvira Niesner

Druck: Plag gGmbHSandweg 3, 34613 Schwalmstadt

Stand: November 2006

Die gesellschaftliche Bewertung von Prosti -tu tion und von Frauenhandel hat sich in denletzten zwanzig Jahren deutlich gewandelt: einer -seits ist die soziale Ausgrenzung und Dis krimi -nierung der Pros titution zurückgenommen wor-den, andererseits finden Zwangsprostitution undMenschenhandel im Zusammenhang mit deror ganisierten Kriminalität erhöhte gesellschaft -liche Aufmerksamkeit. Beide Prozesse habensich in Deutschland in rechtlichen Re formpro -jek ten niedergeschlagen: in der Novel lie rung desPros titutionsgesetzes von 2001 (ProstG) und inder Strafrechtsreform zu Men schen handel von2005 (StGB §232 und StGB §233).

Beide Reformprojekte enthalten eine Be -wer tung von Prostitution als „Arbeit“. Es findeteinerseits eine Normalisierung zur Arbeit als„Beruf wie jeder andere auch“ statt. Anderer -seits zeichnet sich eine Skandalisierung von„Sklavenarbeit“ und ein größeres Engagementzur Bekämpfung von Zwangs arbeit und Zwangs-prostitution ab.

Beiden Reformprojekten gemeinsam ist dieHer auslösung der Prostitution aus dem Ge -schlech t erverhältnis und damit der Verlust einerder zentralen kritischen Dimensionen in den ge -sell schaftlich Auseinandersetzungen um Pros ti -tu tion und um Frau enhandel.

Die in diesem Bereich arbeitenden Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) in Deutsch -land haben die o.g. Gesetzgebungsverfahren in -haltlich eng begleitet. Viele der NGOs unter stütz -ten die Vor haben der Rot/Grünen Re gie rungzur rechtlichen Gleich stellung der Prosti tuiertensowie zur Ausweitung der Strafbestim mungen

zu Menschen handel, ohne dass je doch inner-halb der Kreise der NGOs eine Ausein ander -setzung über die implizite Neubewertung vonProstitution und von Frauen han del sowie ihregeschlechterpolitischen Kon sequenzen geführtworden wäre. Dieser Mangel führte zu Un stim -migkeiten und latenten Kontro ver sen vor allemzwischen den NGOs, die sich mit Zwangs pros -titution und Frauenhandel be schäftigen, und da -mit das alltägliche Elend ge handelter Frauen vorAugen haben, und denen, die sich für Fraueneinsetzen, die die Prosti tu tion selbstbestimmt„als Beruf wie jeden anderen“ ausüben wollen.

Die Fachtagung „Die Konstruktion von Pros -ti tution und Frauenhandel in der Praxis derNGOs“, die am 3./4.12.2003 in Arnolds hain/Tau nus statt fand, wollte diesem Diskussions -bedarf Rechnung tragen.

Heute, drei Jahre nach dieser Tagung, sinddie Themen Frauenhandel und Prostitution so -wie die Fragen zur Verortung der NGOs aktuel-ler denn je: Die Schwarz /Rote Regierungs koa -lition ist bestrebt, Teile der Reform zum Pros ti tu -tionsgesetz „zurückzunehmen“ und Freier in dieStrafbarkeit bei Zwangs prostitution mit einzube-ziehen. Der Effekt des Pros ti tutions gesetz es istin Expert(en)innenkreisen allerdings völlig um -stritten.

3

Einleitung

Prostitution und Frauenhandel in geschlechterpolitischer Diskussion

Zwischen den NGOs findet kaum ein Aus -tausch statt, obgleich sie sich weiterhin unter-schiedlich positionieren und ideologisch polari-sieren. Regel mäßig ersetzen Dogmen und festeÜberzeugungen eine frauen- und geschlechter-politisch fundierte Dis kussion.

Weil die Brisanz des Themas geblieben istund weil die Reflexion und Diskussion zu Pros -titution und Menschenhandel in den letzten dreiJahren nicht wesentlich vorangekommen ist,wurden nun die wichtigsten Tagungs doku menteaufgearbeitet und mit dieser Tagungs broschüreder Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Die Veranstalterinnen waren:

Dipl. Soz. Elvira Niesner: Frauenrecht ist Menschenrecht, FIM;

Prof. Dr. Silvia Kontos: Fachhochschule Wiesbaden, Gemeinsames Frauen -

forschungs zentrum der Hessischen Fach hoch schulen,

gFFZ;

Dr. Britta Schmitt: Zentrum Ökumene der

Evangelischen Kirche Hessen und Nassau, EKHN

und

Dr. Annette Mehlhorn: Evangelische Akademie Arnoldshain

Mit dem Konzept, Beteiligte und Interes sierteaus den unterschiedlichen NGOs, aus Minis te -rien, Polizei und der Frauenpolitik zu sam men zubringen, bemühten sich die Veran stalte rinnender Ta gung darum, den geschlechterpolitischenKontext dieser latenten Kontro ver sen sichtbarund damit auch wieder diskutierbar zu machen.Dabei war uns vor allem wichtig, die vielfältigenVerbindungen zwischen Prostitution und Frauen-handel sichtbar zu machen und die Polari sie rungzwischen dem Be reich des Frau en handels unddem der selbstbestimmten Pros titution kritischzu hinterfragen.

Dieser Absicht diente nicht nur die Ein la dungan Vertreterinnen sehr unterschiedlich positionier-ter NGOs, sondern auch an Frauen aus verschie-denen Prostitutionssettings. Ihre Schil derungenführten uns die Vielfalt und die Widersprüch -lichkeit der Prosti tution in aller Ein dringlichkeitvor Augen. Wir hatten insgesamt fünf Frauenaus Thailand, Russ land und Deutsch land zuGast, die selbst in der Prosti tution tätig warenoder nach wie vor sind und die die ganze Band -breite von reinen Zwangs ver hältnissen in derProstitution, über Prosti tu tion als Migra tions -chance bis hin zur Prostitu tion als selbst ge -wählte Tätigkeit repräsentierten. Es gehört zudem besonderen Verdienst dieser Tagung, dasses gelungen ist, diese Frau en für eine Tagungs -teil nahme zu gewinnen und von ihren Praxis -berichten profitieren zu können.

Natürlich konnte auch diese Tagung die obenangesprochene Debattenlücke nicht schlie ßen,aber sie war ein Anfang, der zumindest deutlichmachte, dass im Hinblick auf Prostitution eingesellschaftlicher und vor allem geschlechter-

Das Tagungskonzept

Prost i tu t ion und Frauenhandel in geschlechterpo l i t ischer Diskuss ion

4

po litischer Diskussionsbedarf besteht. Dennwenn einmal die Spaltung zwischen selbstbe-stimmter und erzwungener Prostitution in denHintergrund tritt, werden die vielen Zwischen -töne zwischen Zwang und Freiheit sichtbar unddamit auch die Bindung der Prostitution an einasymmetrisches Geschlechter verhältnis, in demFrauen für Männer „da sind“.

Der Erfolg dieser Veranstaltung ist schwerzu bemessen. Den Organisatorinnen schien esschon ein Erfolg, dass es gelungen war, ein re -lativ offenes Gespräch zwischen denen in Gangzu bringen, die Prostitution zum Beruf normali-sieren wollen und denen, die als Be trof fene oderals Unterstütze rin nen tagtäglich die Gewalt för -mig keit der Prostitution vor Augen haben. Undschon diese Begegnung ging nicht ohne gegen-seitiges Unverständnis oder Miss verständnisseab. War es für die russische Frau, die Opfer vonZwangsprostitution wurde, vollkommen unver-ständlich, dass sich Frauen aus dem reichenDeutschland zur Prostitution „hergeben“, so be -deutete es für die deutsche Pro fes sionelle einetiefe Kränkung, dass ihr die Möglichkeit und Fä -hig keit zur eigenen Entschei dung abgesprochenwurde.

Außerdem wurde deutlich, dass die gesell -schaft lichen Auseinandersetzungen über Pros -titu tion und Frauenhandel auf sehr unterschied-lichen Ebenen geführt werden, die nicht immerstimmig miteinander verbunden werden kön-nen: Prostitution ist ein Ort der Gewalt und aucheiner der Existenzsicherung, es ist einer derwenigen Wege der Migration, der Frauen ausdem Süden und Osten offen steht. Prostitutionist ein Ausdruck der Trostlosigkeit zwischen den

Geschlechtern. Sie könnte aber auch ein Ort derLiebeskunst sein, und ist das vielleicht manch-mal sogar schon. Sie gehört in den Bereich derOrdnungs-, Migrations- und Ge sundheitspolitik.Vor allem aber ist Prostitution ein Ort, an demGeschlechter „gemacht“ werden, und zwar nichtnur in der unmittelbaren prostitutiven Interaktionund ihrer politischen Regula tion, son dern auchin den dazugehörigen Ehen und Liebes be zie -hungen. Es ist dieser Aspekt der aktiven Her -stellung von Geschlechter ver hält nissen nichtzu letzt in der Praxis der mit Prostitution undFrauen handel befassten Orga ni sationen, denwir mit der Publikation der Tagungs beiträge undin der weiteren Diskussion in den Vordergrundrücken möchten.

5

Prost i tu t ion und Frauenhandel in geschlechterpo l i t ischer Diskuss ion

Die Beiträge erscheinen in der Reihenfolge,in der sie auf der Tagung im Dezember 2003gehalten wurden.

Silvia Kontos, FH Wiesbaden, versuchtzu nächst sehr allgemein, eine „regressive Wen -dung“ der Prostitution auf historische Ver än de -rungen des Geschlechterverhältnisses zu -rück zuführen und damit auch eine Erklärung fürdie gegenwärtige Spaltung der Prostitution inZwangs prostitution und Prostitution „als Beruf“zu finden.

Stefanie Klee, früher Hydra e.V., jetzt vomBun desverband sexuelle Dienst leis tun gen,formuliert sehr eindringlich die Per spek tive ei nerProstitution als qualifizierte sexuelle Dienst leis -tung, die nicht nur die Diskrimi nierung der Pro s -tituierten beseitigen will, sondern darüber hin-aus eine Kulti vierung der Prostitution im Blickhat.

Elvira Niesner, FIM – Frauenrecht istMen schen recht e.V. kehrt zu der geschlechter-politischen Dimension von Prostitution undFrau en handel zurück und diskutiert die Folgeneiner Auf spaltung beider Phänomene für diepraktische Arbeit der NGOs. Die diskutiertenProbleme sind im Grund satz nach wie vor aktu-ell, auch wenn sich in den drei Jahren bis zudieser Veröffentlichung einzelne NGOs neupositioniert haben.

Drei Dokumente werden diesen Tagungs -bei trä gen angefügt.

Ein Interview mit einer Vertreterin der Er -mitt lungsbehörden im Bereich Menschenhandelin Frankfurt /Main. Darin werden die Entwick lun -gen im Prostitutionsmilieu, auch mit Blick auf die„normalisierende“ Gesetzgebung zur Prosti tu tion,beleuchtet. Für die weitere Diskussion scheintuns solches Wissen unentbehrlich zu sein.

Ein Interview mit einer seit 13 Jahren in derProstitution tätigen Migrantin im Rhein-Main-Gebiet. In diesem Gespräch wird nochmals dieganze Am bi valenz einer selbstbestimmt tätigenProstituierten deutlich, die mit ihrer Erwerbs -arbeit im Spannungs feld steht zwischen Gewalt,Angst und Diskrimi nie rung sowie gesellschaftli-cher Ausgrenzung und Alternativ- sowie Per -spektivlosigkeit.

Einzelne O-Töne aus der Tagungs diskus sionvon den Frauen, die in der Prostitution selbstbe-stimmt tätig waren und sind und von den Frauen,die Gewalt und Ausbeutung in der Prostitutioner lebt haben. Damit kommen wir unserem An -liegen nach, möglichst „hautnah“ die teilweisesehr kontroversen und lebhaften Diskussionenzu spiegeln. Die O-Töne stehen kommentarlos,sie sprechen für sich selbst.

Frankfurt am Main, November 2006

Elvira Niesner Silvia Kontos

Die Beiträge

Prost i tu t ion und Frauenhandel in geschlechterpo l i t ischer Diskuss ion

6

Dienst am Mann – Prostitution als sexuelle Dienstleistung?

Beitrag für die Fachtagung „Die Konstruktion von Prostitution undFrauenhandel in der Praxis der NGOs“ am 9. /10.12.2003

Auch wenn es auf dieser Tagung um diePraxis von Organisationen gehen soll, die sichmit Pros titution und Frauenhandel beschäftigenund dabei vor allem die Unterstützung von Pros -ti tu ierten und gehandelten Frauen im Blick haben,möchte ich – gewissermaßen als Vor spann – ihreAufmerk sam keit auf theoretische Fragen lenken,denn jeder Alltagspraxis in diesem Feld, der derProstituierten ebenso wie der der hier vertrete-nen Organisationen und auch den modernisier-ten gesetzlichen Rege lungen, liegen bestimmtetheoretische Vorstel lun gen und Entwürfe überProstitution und Frauen handel zugrunde, mitder diese als gesellschaftlich notwendig oderwünschenswert, als unvermeidbar, akzeptabeloder verabscheuungswürdig begründet werden.

Der Ausgangspunkt meines Beitrags ist,dass diese Hintergrundannahmen in der gegen-wärtigen Debatte zu wenig thematisiert werdenund nicht zuletzt unausgesprochene theoretischeDifferenzen die gegenwärtigen Auseinander set -zungen zwischen den verschiedenen Organisa -tionen um die Politik der Prostitution bestimmen.Als Kritik am gegenwärtigen mainstream dieserDebatte, der sich auch in den neuen gesetzlichenRegelungen niederschlägt und auf eine Norma -li sierung der Prostitution als sexuelle Dienst -leistung abzielt, möchte ich deshalb drei Thesen

über die theoretischen Voraus set zungen formu-lieren, die diesen Normali sie rungs bestrebungenzugrunde liegen, und die ich im Folgenden in neunSchritten begründen werde.

I.In ihrem Bemühen, sich ganz auf die Seite

der Opfer der Prostitution zu stellen und Frauengegen Ausbeutung und Diskriminierung zu schüt -zen, arbeiten Prostituiertenprojekte mit einerüber aus traditionellen Vorstellung von ge -schlechter differenter Sexualität, nach derMänner, von ihren „Trieben“ getrieben, sich inder Prostitution Entlas tung verschaffen, währendFrauen ihrer Sexualität weniger ausgeliefert unddeshalb sublimationsfähiger sind und sich dieTriebstruktur der Männer zu nutze machen kön-nen, sei es in der Ehe, sei es in der Prostitution.

II.In der Normalisierungspolitik steckt ein

Wider spruch hinsichtlich des gesellschaftlichenStellen werts der Prostitution: Einerseits wird dieProstitu tion immer noch als Tabuzone der bür-gerlichen Ge sell schaft gesehen, als „Sperr be -zirk“, der die Prosti tuier ten zu Opfern von Dis -kriminierung und Aus gren zung macht. Gleich -zeitig macht das Ungewöhn liche, „Exterritoriale“aber auch die Attraktivität des Rot lichtmilieusaus. Die Normalisierungspolitik aber be treibt dieEingemeindung und Veralltäglichung derPros titution und unterläuft damit im Grunde ge -nommen eine ihrer zentralen Geschäfts grund -lagen.

7

Beitrag: Silvia Kontos

III.Unter den gegenwärtigen Bedingungen

einer Krise des Geschlechterverhältnisses undder Inter nationalisierung von Märkten und Aus -beu tungs ver hältnissen führen diese beiden Ent -wick lungen zu einer Spaltung der Prosti tution(und der Prosti tu ierten!) in eine gute, normale,einheimische, „weiße“ Prostitution, die auf Frei -willigkeit basiert, als professionelle Dienst leis -tung eine Reorganisation der Sexu ali tät unterEinschluss der Prostitution zum Ziel hat und aufdieser Grundlage zunehmend ge sell schaftlicheAkzeptanz findet, und die schlechte, „schwarze“Migrantinnenprostitution, die auf Gewalt undAus beutung beruht, als Teilbereich der organi-sierten Kriminalität behandelt und mit strafrecht-lichen und ordnungspolitischen Mitteln kontrol-liert und beschränkt wird. Diese Polarisierungverstellt den Blick auf die widersprüchlicheMischung von Freiwilligkeit und Zwang, von Lustund Banalität, von Brutalität und Fürsorglichkeitin allen Bereichen der Prostitution, und nichtnur da, sondern auch in den übergreifenden Ge -schlechterverhältnissen, für die eine neue Kulturder Sexualität, die das En semble von Romantik,ehelichem Alltag und Prosti tu tion insgesamthinter sich ließe, erst noch zu entwickeln ist.

Zur Erläuterung dieser Thesen möchte ichzu nächst noch einmal die Grundsatzfrage auf-rollen, warum es in einer Gesellschaft, die nochimmer eine reiche Gesellschaft ist, und sichhistorisch lange nicht gekannter sexueller Frei -zügigkeit erfreut, nach wie vor Prostitution gibtund weder eine zahlenmäßige Verringerungnoch ein Bedeutungsverlust zu er kennen ist. In dieser Fragestellung ist bereits die Absage anzwei gewichtige theoretische Argumente enthal-ten, die die Debatte über die Prostitution langebestimmt haben:

• dass Prostitution vor allem eine Frage derAr mut sei und mit wachsendem Reichtumund vor allem mit der ökonomischen Stär -kung der Frauen verschwinden würde, unddie andere,

• dass sie eine Folge der bürgerlichen Sexu al -unter drückung sei, die die Sexualität (desMannes) in das Zwangskorsett der Einehepresse und deshalb zwangsläufig zu Entlas -tungs institutionen führe.

1. Prostitution aus Armut

Das erste Argument entspringt der Traditionder marxistischen Theorie und der Arbeiter be -we gung und ist vor allem von Bebel ausformu-liert worden. (Bebel, 1878, hier zitiert nach derAusgabe von 1953) Die sozialistische Prosti tu -tionstheorie hielt die Prostitution in erster Liniefür eine Klassenfrage, nach der die Frauen undTöchter der Arbeiterklasse von den Männern derBourgeoisie über die Vernut zung ihrer Ar beits -kraft hinaus auch sexuell ausgebeutet werden.Dass es auch proletarische Freier gab und sichauch bürgerliche Frauen prostituierten, war für

Prostitutionstheorien

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

8

Bebel unerheblich. Die Prostitution würde alsoin dem Maße schwinden, wie die proleta rischenFrau en nicht mehr vom Elend in die Pros ti tu tiongezwungen würden und wie sie Einsicht in derenKlassen charakter gewinnen. Mit der deut lichenVerbesserung der Situa tion der Unter schichtenin Deutschland im letzten Drittel des neunzehntenJahrhunderts wurde diese Hoff nung enttäuschtund die schlichte Klassen theorie der Pros ti tu -tion als eine Art „Angebots theorie“ der Pros ti tu -tion erschüttert.

Weil das Geschlechterverhältnis jedoch nichtals eigenständige Dimension der Prostitu tion indie Theorie integriert wurde, gab es keinen struk-turellen Grund für eine Prostitution, die nicht dermateriellen Not entsprang. Ihr Auftreten konntenur noch mit der moralischen „Ver kom menheit“der Betei lig ten erklärt werden. Das ist der Hin -tergrund für die latente, nicht selten auch offeneDiskriminierung von Prostituierten innerhalb derArbeiterbewegung. Sie bildeten zusammen mitanderen „verkommenen Ele men en“ das „Lum pen -proletariat“ und trugen in ihrer Demorali sie rungdas sichtbare Zeichen der Herr schaft. Damitwaren sie eine Quelle für die physische undmoralische Korruption des Proletariats durchdie Bourgeoisie. Schlimmer noch: Prosti tu ierte,die die Entschuldigung durch Not und Armutnicht für sich in Anspruch nehmen konnten oderwollten, waren nicht nur moralisch sus pekt, son-dern sie be gingen eine Art „Klassen verrat“. Die -ser proletarische Rigo ris mus, der sich auch aufAlkoholiker, Klein kriminelle und „Arbeitsun willige“erstreckte, ging bei Bebel nicht so weit, dass erdie Schuld zuweisung an die Männer der Bour -geoi sie aufgegeben und politisch eine Kontrolleder Prostituierten unterstützt hätte. So wendet er

sich eindeutig gegen eine Bor dellierung derProstituierten (Bebel, 1953, S. 241ff.), aber inder Reduktion der Prostitution auf die Ar muts -prostitution ist die Wendung ge gen die Pros ti tu -ierten bereits angelegt, nämlich gegen alle die,die nicht durch die Not moralisch geadelt sind.

Spätere Autoren aus der Tradition der Ar bei -ter bewegung, wie Paul Kampffmeyer, die mo ra -lische Fragen bereits im Lichte der Wis sen -schaft „modernisiert“ hatten, wurden da deut licher.So spricht Kampffmeyer in seinem Buch „DieProstitution als soziale Klassen er schei nung undihre sozialpolitische Bekämp fung“ von 1905 ganzungeniert von so zialem Para si ten tum nicht nurder Zuhälter, Zimmer vermie te rinnen und Lo kal -besitzer, sondern auch der „Dirnen“. (Kampf f -meyer, 1905, S. 29) Im Kon text einer Ver wissen-schaftlichung sozialer Pro bleme gegen Endedes neunzehnten Jahr hun derts, die das So zialezu nehmend in ein naturwis sen schaft liches Pa ra -dig ma spannt, wird die Prostitution zu einerFrage der „sozialen Hy giene“, zu einem Krank -heits symp tom am Ge sellschaftskörper, demthera peutisch und präventiv zu begegnen ist.„Ein moralischer An steckungsstoff wird in derGroßstadt von Klasse zu Klasse getragen.“(Kampffmeyer, 1905, S. 35) Bei allem Fort -schritt, den das Gesetz zur Be kämpfung derGe schlechts krankheiten von 1927 darstellt, in -dem es die Prostitution im Ansatz aus dem Krimi -nalitätsdiskurs herauslöst, markiert es auchdiese Entwicklung.

In beiden Sichtweisen finden sich Parallelenzur heu tigen Debatte. Auf dem Hintergrund derGlo ba lisierung scheinen sich die Verelendungs -prozesse der Industrieländer im neunzehnten

9

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

Jahrhundert international zu reproduzieren. Undalles spricht da für, dass der Migrationsdruck ander ökonomischen Peripherie oder in den Län -dern des zusammengebrochenen Ostblocks zueinem guten Teil den Zu strom von Frauen erklä-ren kann, die „bereit“ sind, sich in den reichenIndustrieländern zu prostituieren. Und die Aids-Epidemie hat der Bearbeitung der Prosti tutionim Kontext von Krankheit und Präven tion samtder damit verbundenen Entmoralisierung neuer-lichen Schub gegeben.

Gleichwohl würde eine Neuauflage der altenAr muts theorie ebenso wie des Hygiene dispo si -tivs deren Verkürzungen teilen, denn sie warenzualler erst „Angebotstheorien“ der Prosti tution,die sich zu wenig um die „Nachfrage“ geküm-mert und deshalb das Geschlechter ver hältnisund seine Konstruktion von männlichen „Freiern“und weiblichen „Huren“ als strukturelle Voraus -setzung der Prostitution systematisch unter-schätzt hatten. Um in der Kritik an der Pros ti tu -tion nicht zu kurz zu springen und ungewolltbestimmte Elemente der Geschlechter mytho -logie noch einmal zu bestätigen, müssen auchdiese Kons truktionen thematisiert werden.

2. Der Mann als „Triebtäter“

Zu diesen Geschlechtermythen, die derPros ti tu tion zugrunde liegen, gehört allem vorandie Kon zeption des Mannes als „Triebtäter“, derimmer will und immer kann, dessen sexueller„Überdruck“ die Institution von Ehe und Familiesprengt und deshalb „Entlastungsinstitutionen“notwendig macht.

Der Ursprung dieser geschlechtsspezifischenTrieb theorie liegt bereits in der Aufklärung, inder „Natur“ aus der göttlichen Ord nung heraus-gelöst und als säkularisierte der menschlichenHerrschaft unterworfen wird. Ihren Höhepunkterreichte sie im neunzehnten Jahrhundert, indem Triebe zur energetischen Grundlage derHerrschaft über die Natur werden, die allerdingsimmer prekär bleibt. Die Gefahr der Überwälti-gung durch die eigenen „Triebe“ und der Steue -rungsverlust sind immer gegenwärtig und spei-sen die Albträume des bürgerlichen Zeitalters.

Diese dynamische Triebstruktur, die sich dasBür gertum in bewusster Abgrenzung von demer schlaff ten und dekadenten Adel gab, befeuertenicht nur die Abenteurer und Unter nehmer deserobernden Kapi talismus, sondern diente auchder Durchsetzung des bürgerlichen Ge schlechter -verhältnisses. Es war nämlich die männlicheSexualität, die nach dem Modell der Hydraulikkonzipiert wurde, in dem Druck und ÜberdruckBewegung erzeugt und eine geregelte „Abfuhr“zu den Funktions bedingun gen des me chani schenSystems gehört, während die weibliche Sexua li -tät als weniger triebstark und damit auch weni-ger triebabhängig gesehen wurde.

Diese Differenzkonstruktion führte zu einemder interessantesten Widersprüche des bürger-lichen Geschlechterverhältnisses, in dem sichdie Prostitu tion gewissermaßen „eingerichtet“ hat.Die zur Passivität, Sanftheit und Binnen orien -tierung generalisierte Triebschwäche der Frauführt zu nächst dazu, dass sich der energisch/aktiv /aggressive Mann zu ihrem Herrscher undBeschützer aufschwingen kann. Gleichzeitig aberist er – gewissermaßen in einer Verkeh rung des

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

10

christlichen Ge schlech terentwurfs, der die Frauan ihre sündhafte ‚Natur‘ bindet – seiner „Trieb -natur“ stärker unterworfen als sie und als hero -isches Subjekt ständig in der Gefahr, ihr zuunter liegen. Diesen Bruch im männlichen Sub -jekt entwurf überbrückt das bürgerliche Ge -schlechterverhältnis indem die triebschwächereFrau als ein Art Hilfs-Ich in Anspruch genom-men wird, das das heroisch mit sich ringendemännliche Subjekt in Zeiten der Schwäche, derKrise und der drohenden Abhängigkeit stützt.Grundlage für diese Zuordnung ist die anders-geartete „Natur“ der Frau, die nicht über dieTriebe und ihre energetische Nutzung be stimmtwird, sondern über die „Pflichten gegenüber derGattung“, also durch Passivität und den Ver -zicht auf das eigene Begehren.

Über diesen Verzicht sollte jedoch nicht ver-gessen werden, dass der Frau in dieser Ge -schlechter kon zep tion mit ihrer Schutz- und Stütz -funktion auch eine einzigartige Macht zuwächst.Um den Preis der eigenen Sub jekt ivität verfügtsie über das Versagen des Mannes gegenüberseinem eigenen Subjekt entwurf.

3. Die „Kloakentheorie“

Die bürgerlichen Prostitutionstheorien stüt-zen sich auf dieses geschlechtsspezifisch hal-bierte Trieb modell mit seinen subjekttheore -tischen Impli kationen und verbinden sie mit ei -nem gesellschaftstheoretischen Funktiona lis muszu einer „soziologischen“ Prostitutions theorie, dieich in Anspielung an Thomas v. Aquins drastischemittelalterliche Aus druck weise und unter Bezugauf ihre nahezu ungebrochene Geltung die

„Kloakentheorie“ nenne. „Die Prostitution in denStädten gleicht der Kloake im Palast; schafft dieKloake ab, und der Palast wird ein unreiner,stin kender Ort werden.“ (Aquin, 1225-1274 zi tiertbei Bebel, 1953, S.234. Leider habe ich bis heutedie Original stelle nicht finden können und mussdaher auf Bebels wissenschaftliche Seri ositäthoffen.)

Was sich jedoch bei den Kirchenvätern aufdie prinzipielle Sündhaftigkeit des Menschengründete, wurde vom Bürgertum zur „sexuellenNatur“ des Mannes säkularisiert. Was nicht inder Ehe gebunden werden kann, wird in sozial-verträgliche Bahnen gelenkt und an eine Gruppevon Frauen delegiert, die gesellschaftlichen Aus-schluss und Einschluss, Entwertung und An er -kennung, Ausbeutung und die strategische Nut -zung männlicher Schwächen in historisch unter-schiedlichen Mischungs verhältnis sen auf sichvereint. Sind die Prostituierten im Rahmen derchristlichen Misogynie noch das gesellschaft lichanerkannte „Gefäß der Sünde“, so werden siespäter das Auffangbecken sexueller Frustra tio -nen und ehe licher Enttäuschungen und arbeitenheute als psycho-soziale Fach kräfte an der Sta -bilisierung einer gebrochenen Männlichkeit.

Die funktionalistische Begründung der Pros -titution zieht sich mit einer bemerkenswertenKonstanz durch früh- und spätbürgerliche Theo -rien, lediglich das Sprachspiel unterscheidet sich.So argumentiert etwa H. Schelsky noch 1979mit einer unnachahmlichen Mischung von Hy -drau lik und Elektro technik: „Man muss sich klar-machen, dass in der absoluten Monogamie einrigoroser Moralanspruch steckt, der außerordent-lich starke, wenn auch kulturell sehr frucht bare

11

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

persönliche und soziale Span nungen aufwirft.Diese können im gesellschaftlichen Energie -haus halt nicht immer auf außer sexu elle Leis tun -gen und Ziele abgeleitet werden und be drohenin ihrer Stauung dann gerade das hohe Moral -gefüge ... Es gehört dann sozusagen zur Ins ti -tutio nellen Weisheit einer Gesellschaft, das hoch-gespannte Moralsystem sich geordnet ab ladenzu lassen. Vierkandt hat diese Einrich tun gentreffend Ventil sitten ge nannt: sie verschaffen denerregten Leiden schaf ten im Gegensatz zum ansich gültigen Normensystem Abfluss‚ fassen sieaber gleichzeitig in Form und verhüten da durchuferloses Überwallen mit zerstörerischen Wir -kungen“ (Vierkandt, Art. „Sittlichkeit“ im Handwb.der So zio logie, ders., Stutt gart, 1931) „Die Pro s -ti tu tion ist nun zweifellos eine solche speziellauf die absolute patriarchale Mono gamie aus-gerichtete institutionelle Ventilsitte, welche diedurch die rigorose Sexualmonopolisierung die-ser Ehe form aufgehäuften Spannungen neutra-lisieren soll.“ (Schelsky, 1979, S.256 /257)

Selbst noch bei Roland Girtler, einem teil-nehmenden Beobachter der Wiener Prostitu -tions szene (Girtler, 2004, 5. Auflage!, zuerst,1984), der mit klarer wissenschaftlicher Sym -pathie die Selbstdeu tun gen der Prostituierten inden Vor der grund seiner Dar stellung rückt, findetsich eine modernisierte, gemilderte Variante derKloakentheorie: Die Prosti tuierten übernehmenFunktionen, die in der Ehe nicht abgedeckt wer-den. Sie geben dem Mann, was er bei der Ehe -frau nicht erhält. „Das kann psychischer Zu -spruch oder auch die Verrichtung sexueller Per -versionen sein.“ (Girtler, 2004, S. 51) In dieserVariante sind es dann die von Männern monier-ten Defizite ihrer psycho-sexuellen Ver sorgung

in der Ehe, die zur Begründung der Prostitutionherangezogen werden, ohne dass dieser männ-liche „Bedarf“ an irgendeiner Stelle des Bucheshinterfragt oder auf die Dynamik der Ehever -hältnisse rückbezogen würde.

4. Feministische Prostitutionstheorien

Problematischer als die Äußerungen derSex ual wissenschaftler und Soziologen, die zurNot noch als wissenschaftliche „Männer phanta -sien“ ab getan werden könnten, erscheint mirjedoch, dass auch die feministischen Prostitu -tions theorien dem geschlechtsspezifisch halbier-ten Trieb- und Subjekt entwurf verpflichtet sind,wenn auch mit einigen Kor rekturen.

Dabei lässt sich innerhalb des feministischenDiskurses über die Prostitution eine Verlage -rung und Einengung des gesellschaftskritischenGehalts feststellen. Hatte Kate Millett in ihremInitialtext „Das verkaufte Geschlecht“ Anfangder siebziger Jahre noch die Prostitution alsParadigma der „condition feminine“ hingestellt(Millett, 1971, deutsch, 1981) und den allgemei-nen „Sklavenstatus“ der Frau in der sexuellenVerdinglichung der Prostituierten repräsentiertgesehen, so verwahrt sich die feministischeThema tisierung der Prostitution in Deutschlandin den acht ziger Jahren zurecht, wie ich meine,gegen diese Sklavenmetaphorik. Für Biermann(Biermann, 1980) ging es im Kontext der Haus -arbeitsdebatte vor allem darum, den Zusammen -hang von und die Übergänge zwischen der Pro -stitution als sexueller Dienstleistung und denallgemeinen Fürsorgeleis tungen von Frauenher auszustellen. Giesen/Schu manns program-

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

12

13

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

matischer Text „An der Front des Patriarchats“(Giesen/Schumann, 1980) zielte in eine ähnlicheRichtung. Sie widersprachen vor allem der Eti -kettierung der Prostitution als „sexuelle Devianz“und stellten ihre Normalität in den Vordergrund.Beide Texte ließen zum ersten Mal in der wissen-schaftlichen Bearbeitung der Prostitution diePro sti tu ierten selbst ausführlich zu Wort kom-men und widersprachen damit sowohl der Kon -struktion der Prostituierten als Schuldige wie alsOpfer der Pros titution. Die Subjektivität der Pros -tituierten lag für sie in ihrer Subversivität gegen-über dem bürgerlichen Geschlechterverhältnis.Sie sind diesem nicht einfach unterworfen, son-dern spielen auf der Kla via tur seiner Wider -sprüche und können sich seinen Zumutungeneher entziehen als die seriösen Ehe frauen. „Dieeinen schaffen an, die anderen um sonst.“ (Bier -mann, 1980, S. 12) Die Bezahlung der „pflege -rischen Dienstleistungen“ (Biermann, 1980, S. 41)wird hier zum Signum eines souveränen Um -gangs mit dem bürgerlichen Geschlechter ver -hältnis und die Prostituierten zu einer latentenAvantgarde der Emanzipation, die ihren Servicenur noch gegen gutes Geld an den Mann bringt.

Der theoretische Hintergrund dieser Posi -tion ist die Ausweitung der Hausarbeitstheorieder sechziger Jahre auf die Prostitution, diediese gut marxistisch als Arbeit und Ausbeutungvon Arbeitskraft interpretiert. Sie erreicht damitzweierlei: Sie löst die Pros titution aus der schwü -len Atmosphäre von Lust und Laster und politi-siert sie in der reinen Luft der politischen Öko-nomie. Sie stellt mit der Kategorie der „sexuellenDienstleistung“ überdies den Anschluss an dieDynamik der gesellschaftlichen Arbeit her, in derdie Prostitution als Humandienstleistung ohne

jeden moralischen Ballast an die Front der ge -sellschaftlichen Modernisierung gestellt werdenkann.

Mit der Reduktion der Prostitution auf eineDienst leistung handelt sich die feministischePro stitutions theorie jedoch eine Reihe vonSchwierigkeiten ein, die m.E. dazu führen, dasssie ihren geschlechterkritischen Impuls verliert.

• die Einebnung der Differenz zwischen „nor-maler“ Sexualität und Prostitution trägt dazubei, ihr destruktives, vor allem selbstdestruk-tives Po ten tial zu unterschätzen. Die Prosti -tution ist keine Sex ualität wie „jede andere“,und sie wäre es auch dann noch nicht, wenndie „äußeren“ Dis krimi nie rungen abgebautwären, denn sie verstößt gegen ein Liebes -ideal, das – wenn auch in Ver ände rung be -griffen – nach wie vor in den Köpfen sowohlder Prostituierten als auch ihrer Kunden istund an dem sich letztere nicht zuletzt mitHilfe der prostitutiven Interaktion abarbeiten.

„Aber das war das Schwierigste gewesen,

das so unter einen Hut zu kriegen. Dass mein

Kind halt nicht dastehen und sagen muss:

‚meine Mutter geht auf den Strich‘.“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die selbst bestimmt in der Prostitution tätig war)

• die strikte Ökonomisierung der Prostitutionführt außerdem dazu, den „Fetisch“ Geld ein -fach zu reproduzieren und das Selbst wert -gefühl ausschließlich an die Bezahlung zu

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

14

binden. Eine unkommentierte Inter view pas -sage bei Bier mann drückt dieses Selbst ver -hältnis aus: „von diesem Augenblick an, wojemand mir etwas be zahlt, um meinen Körpereinen Moment lang zu haben, da hat meinKörper einen Wert.“ (Biermann, 1980, S.14)

• Vor allem aber blendet die „Arbeits hypo -these“ aller feministischen Rhetorik zumTrotz die gemeinsame Grundlage von Eheund Prostitu tion aus. Und die besteht nichtdarin, dass beide eine vergleichbare Dienst -leistung erbringen, sondern darin, dass dieweibliche Sexualität als „Dienst am Mann“konzipiert wird. Es geht also nicht darum, obdiese Dienstleistung anderen psycho-sozia-len Dienstleistungen vergleichbar ist odernicht, sondern darum, dass diese „Dienst -leis tung“ mehr als jede andere auf das Ge -schlechterverhältnis bezogen ist und darausihren gesellschaftlichen Sinn bezieht. DiesenKontext auszuklammern, ist auch eine ge -schlechter politische Botschaft. Es normali-siert weibliche Dienstleistungen für Männer.Eine Politik der Normalisierung der Prosti -tution, wie sie seit den achtziger Jahren inGang gekommen ist und einen vorläufigenSchlusspunkt im Prostitutionsgesetz von2002 gefunden hat, hebt vielleicht langfristigdie Diskriminierung der Prostituierten auf,nicht aber die des weiblichen Begehrens.

Und dass sich die Dienstleistungs perspek -tive auch in den Selbstdeutungen der Prostitu -ier ten wiederfindet, lässt für mich nur den Schlusszu, dass es sich hier um eine hegemoniale Deu -tung handelt, die den zugrunde liegenden Kon -flikt erfolgreich dementiert.

Zur Begründung der Notwendigkeit der Pros-titution führt etwa eine der interviewten Prosti tu -ierten bei Girtler aus: „Der Mann ist ja ununter -brochen einem Stress unterworfen, wegen irgend-was, beruflich, wegen der Familie usw. Aber auchwegen des Sexuallebens sind manche unaus -ge glichen. Da spielt sich daheim nichts ab. Ergeht da zur Hur. Da verpflichtet er sich zu nichtsund es gibt keine Probleme dabei. Es ist dasälteste Gewerbe der Welt. Es wird nie ausster-ben … Viele Ehemänner dürfen daheim vieleSachen nicht machen, z.B. Damenunterwäschetragen. Die Ehefrauen würden sie auslachen.Daher geht man zur Dirne.“ (Girtler, 2004, S. 50/51)

5. Historischer Wandel der Prostitution:Veralltäglichung

Im Gegensatz zu den Alltagstheorien überdas älteste Gewerbe der Welt und auch zuGirtler (Girtler, 2004, S. 2, 277 und 309) bin ichder Meinung, dass sich „das Wesen der Pros ti -tu tion“ historisch deutlich verändert hat, eineTat sache, die übersehen muss, wer sich auf dieGe schäftspraktiken und das BeziehungsdreieckProstituierte-Kunde-Zuhälter beschränkt undden gesamtgesellschaftlichen Kontext aus demAuge verliert.

In der Blütezeit des Bürgertums, etwa vonder zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum1. Weltkrieg, war die Prostitution in der Tat als‘Ventilsitte’ institutionalisiert und legitimiert, dieEntlastung von einer rigiden Ehe- und Familien -moral versprach, jedoch lediglich Männern Aus -weichmöglichkeiten vor dem hohen Ansprucheiner lebenslangen Verbindung von Sexualität,

Liebe und Elternschaft bot. Bereits diese In sti -tutionalisierung der Prostitution in Bordellen undeingehegten Rotlichtdistrikten muss jedoch ineinem weiteren geschlechterpolitischen Zusam -men hang gesehen werden, erlaubte sie dochden männlichen Bürgern, sich den Zivilisie rungs-und Intimisierungsforderungen „ihrer“ Frauen zuentziehen, die diese als Kompensation für dieentgangene bürgerliche Egalität erhoben hatten.

Von den bürgerlichen Frauen wurde dieserEntzug bereits im neunzehnten Jahrhundert inFrage gestellt, wenn auch mit unterschiedlichenVorzeichen. Während die konservative Sittlich -keits bewegung auch Männer in die Normen derbürgerlichen Ehe- und Familienmoral einpassenwollte, liefen die Forderungen der radikalen Sexu-al reformerinnen darauf hinaus, die Sexualität wiedie Elternschaft aus der Zwangsbindung an dieEhe zu lösen und auch den Frauen eine „freieLiebe“ zu ermöglichen, inklusive einer potentiel-len Mutterschaft. Die Alternative zur bürgerlichenVerklammerung von Sexualität /Liebe und Ehewar hier genau nicht die Prostitution auch fürFrauen, sondern der Vorrang der Liebe vor derEhe und die Ablehnung des Gesamtzu sammen -hangs von Ehe und Prostitution. Unsittlich warin diesem Kontext nicht Sexualität vor bzw.außer halb der Ehe und auch nicht die uneheli-che Mutterschaft sondern Sexualität, Ehe undEltern schaft ohne Liebe, also auch die Prosti -tution. Insofern waren auch die Radikalen umHelene Stöcker Teil einer „Sittlichkeits bewe gung“.

In der Folgezeit, und sicherlich auch unterdem Druck dieser Moralisierungskampagnen ero-diert die spezifisch bürgerliche Verklammerungvon Sexualität /Liebe /Ehe/Elternschaft: vorehe-

liche Sexualität ist nicht mehr das Vorrecht derBoheme oder das sittliche „Defizit“ der unterenKlassen, sondern wird seit den zwanziger Jah -ren mehr und mehr zur legitimen Vorbereitungauf die Ehe. „Die vollkommene Ehe“ (van derVelde, 1926) macht sexuelle Befriedigung fürbeide Ehepartner zur Norm, wenn auch nicht zurRealität. Dazu brauchte es einen neuerlichenAufklärungsschub in den sechziger Jahren mitOswald Kolle und Beate Uhse als kommerzielleAbstauber der „sexuellen Befreiung“ im Gefolgeder Studentenbewegung, und es brauchte siche-re und leicht anwendbare Verhütungsmittel, diedie gelockerte Sexualmoral auch umsetzbarmachten.

Allerdings schieben sich mit der Verhü tungs-frage noch deutlicher als bei der neuen Normder „sexuellen Erfüllung“ für beide Partner neueVorstellungen über Liebe und Sexualität in denVordergrund. Die Verhütung unerwünschterSchwangerschaften wird zum Element einer„Rationalisierung der Fortpflanzung“ und ist imZusammenhang mit der Kultivierung der ehe -lichen Sexualität und der Lösbarkeit der Ehe Teileiner übergreifenden Rationalisierung und Pro -fessionalisierung des Liebeslebens, die die sexu-elle Lust zum Bestandteil einer psycho-sozialenHygiene macht. Dieser Prozess verändert auchden gesellschaftlichen Stellenwert der Prostitu -tion. Sie mutiert von einer Komplementär insti tu -tion der bürgerlichen Ehe zu einer Art Parallel -institution, die unter der Maxime des Orgasmus -gebots aufhört, das diskreditierte Andere zu ein.

Dementsprechend verändern sich auch ihreErscheinungsformen: sie tritt aus dem Halb dunkeldes gesellschaftlichen Separées in das Neon -

15

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

licht der sexuellen Hygiene. Das Versprechenauf die schwüle Sinnlichkeit der Rotlichtdistrikteweicht zunächst dem Angebot klinisch-industriel-ler Orgasmen in den Großbordellen der siebzigerJahre, um heute perspektivisch im privatisiertenLeistungskatalog sexueller Dienst leis tun genauf zugehen.

Die Prostitution folgt damit der gesamtgesell -schaftlichen Entmischung und Rekombinationvon Sexualität, Liebe und Ehe. Ein Blick in dasgegenwärtige Fernsehprogramm nach 23 Uhrund an die Litfasssäulen offenbart Prozesse derBanalisierung der Sexualität und der Porno gra -phi sierung des Alltags, Prozesse, die durch dieEntgrenzung der Prostitution vorangetriebenwur den und langfristig auf sie zurückfallen. Sienehmen ihr das Außergewöhnliche. Ein „Quickie“in der Mittagspause ist keine Sünde sondernStressabbau, das vermeintlich frivole Spiel mitder Verbindung von Wa(hr)e und Sünde hat sei-nen Witz schon lange eingebüßt und was für dieprominenten Nutznießer sexueller Dienstleis tun-gen gilt, von Clinton über Friedmann bis Katsav,nimmt im neoliberalen Zeitalter auch der ausseinen familialen Verankerungen gerissene„kleine Mann“ für sich in Anspruch.

6. Regressive Wendung der Prostitution

Aber auch in einem ganz unmittelbaren Sinnist die Reorganisierung der Prostitution als sexu-elle Dienstleistung auf die Geschlechter ver hält -nisse bezogen. Der Stress, der in der Mittags -pause abgebaut werden soll, entspringt ebennicht nur dem verstärkten Druck am Arbeitsplatzsondern auch der Erfahrung, dass er nicht mehr

zu Hause klaglos und fraglos aufgefangen wirdund durch eigene Entlastungsansprüche der Fraunoch verstärkt wird. Der Platz im Rücken desMannes, den Ehefrauen/Freundinnen vormalsmit stützenden, helfenden, zuarbeitenden undtröstenden Tätigkeiten ausgefüllt haben, bleibtimmer öfter frei, sei es, dass die Frauen ganzab springen oder diese Funktionen nicht mehrohne weiteres übernehmen.

Das ist der gesellschaftliche Hintergrund fürdie von Prostituierten immer wieder hervorge-hobenen sozialen und „therapeutischen“ Dienst-leis tungen, die sie erbringen und die, so scheintmir, einen weiteren Bedeutungswandel der Pros-ti tution signalisieren. Der sozialtherapeutischeAspekt kommt vor allem in der Interaktion mitStammfreiern zum Tragen. In der folgenden Inter -viewpassage aus der Studie von Ahlemeyer istder Bezug zur Überforderung in den ehelichenBeziehungen unüberhörbar: „Es gibt Stamm -freier, die einfach nur kommen, weil sie dein Ge -sicht, deinen Körper und deine Dienst leis tunggut finden. Dann gibt es wieder welche, die kom -men, also die meisten Stammfreier haben auchweniger mit Sex zu tun als mehr mit Unterhal -tung. Also, die, die öfters kommen, wollen sicheinfach mal entspannen und irgendjemand haben,der ihnen zuhört, mal nichts sagt, der nicht immergleich mit ’ner anderen Antwort kommt, oder mit’ner Gegenfrage, oder wo sie zuhören müssen,sondern sie möchten einfach mal reden und sindbereit, dafür zu bezahlen, … Sie können auchbei der Telefonseelsorge anrufen, aber da istwahrscheinlich der Körper net so schön und dieMöglichkeit, dass da auch ’ne gewisse Wärmeentsteht, oder auch ’ne gewisse Zuneigung aufjeden Fall. Also, es wird immer ein Geschäft blei-

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

16

ben, weil so nah darf ich nie ’n Freier an michheran lassen, weil sonst geh ich dabei kaputt …Wie ’ne Krankenschwester oder ’n Arzt oder ’nSozialarbeiter: also die müssen ja auch in ihrenBerufen ’ne gewisse Distanz behalten.“ (Ahle -meyer, 2002, S.207)

Die Prostitution nimmt unter den Bedingun -gen erhöhter Anforderungen in der Arbeit und inder Familie eine deutlich regressive Färbungan. Es geht für Männer in der Prostitution inzwi-schen möglicherweise weniger um eine tabu -lose Sexu alität, in der alles möglich ist, wasSpaß macht – da scheint dank Kolle und Co inden ehelichen Schlafzimmern inzwischen eini-ges möglich zu sein – und auch nicht mehr umeine geregelte „Abfuhr“ sexueller Spannungenim Sinne Schels kys oder Vierkandts, schon garnicht um die bloße Machtdemonstration im SinneMilletts, sondern vermehrt darum, den egalitä-ren Ansprüchen und Reziprozitätserwartungenmoderner Liebesbeziehungen zu entgehen, sichzumindest einen Teil der Sexualität als eine Art„Beziehungsbrache“ zu erhalten, auf der Frauenihnen einmal nicht als Fordernde, sondern alsServicepersonal entgegentreten. Alle Freier stu -dien stimmen in diesem Punkt überein, dass dieAttraktivität der Prostitution für Männer heutedarin besteht, diese vom Beziehungs druck zuentlasten.

7. Situative Gewinne der Prostituierten

Die regressive Wendung der Prostitutionstärkt die strategische Position der Prostitu ier -ten im Geschäft mit dem Freier. Weit davon ent-fernt, bloßes Objekt seiner Begierde zu sein,

arbeiten sie mit den Schwächen und Brüchenprekärer Männlichkeit und lassen sich für ihreMitarbeit an der Fassade potenter Männlichkeitim Vergleich zu anderen weiblichen Dienstleis -tungen gut bezahlen.

Die Normalisierung der Prostitution hat über -dies dafür gesorgt, dass die gesellschaftlicheAus grenzung nicht nur der Prostitution, sondernauch der Prostituierten zurückgenommen wurde,sodass sie in der Mehrheit heute weniger aus-beutbar sind und die Interaktion mit dem Freierbesser kontrollieren können. Dieser Autonomie -gewinn lässt sich sowohl an der neuen gesetz -lichen Regelung der Prostitution festmachen alsauch am Niedergang der stark reglementiertenRotlichtdistrikte und dem komplementären Auf -schwung der Appartementprostitution, die dieChancen für ein selbstbestimmtes Arbeiten er -weitert.

Diese situativen Gewinne ändern jedochnichts an der Grundkonstellation: Auch wennsich der Inhalt des männlichen Begehrens ge -ändert hat und die gesellschaftliche Akzeptanzder Prostitution gewachsen ist, bestätigt dieProstitution einmal mehr, dass Frauen für sexu-elle Dienste an Männern zur Verfügung stehen.

8. Prostitution und Zwangsprostitution

Ich habe mich in meinen Thesen bislang sehrstark an Entwicklungstendenzen der relativselbstbestimmten Prostitution orientiert, in derenRahmen die Prostituierten ihren Zugewinn ansozialem Status und Rechtssicherheit aus-schöpfen können. Gewissermaßen „im Rücken“

17

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

dieses Normalisierungsprozesses haben sichallerdings im Kontext weltweiter Migrations be -wegungen Ausbeutungsverhältnisse reproduziert,die hinsichtlich der Gewaltförmigkeit, der Ent -rechtung und der Zwangsförmigkeit der Armuts -prostitution des neunzehnten Jahr hun derts nichtnachstehen, sich angesichts der generell ver-besserten sozialen Position von Frauen oder imVergleich mit dem einmal erreichten Status vonFrauen in den Ländern des ehemaligen Ost -blocks sogar noch dramatischer ausnehmen.

Aber auch hier wiederholt sich Geschichtenicht einfach. Zwangsprostitution und Frauen -handel können nicht einfach als vorübergehendeNebeneffekte der „Globalisierung“ abgetan, son-dern müssen auch auf dem Hintergrund einerKrise der Geschlechterverhältnisse gesehenwerden.

Im internationalen Maßstab führt diese Krisedazu, dass sich auf der „Angebotseite“ in denLändern der Peripherie die traditionellen Pro -duktions- und Familienverhältnisse mehr undmehr auflösen und Frauen als allseitig verfüg-bare und billige Arbeitskräfte in die Dienst leis -tungsökonomie der reichen Länder gezogenwerden, während auf der „Nachfrageseite“ derImport der „fremden Frauen“ dazu dient, be -stimm ten Segmenten der Prostitution den Cha -rak ter des Außergewöhnlichen und Exotischensowie ein eindeutiges Machtgefälle zurückzu -geben, die sie ansonsten verloren hat. Mit derKombination von Armut, Zwang und Exotik, diedie Zwangsprostitution kennzeichnen, kann derverunsicherte Mann zumindest für kurze Zeitdie Überlegenheit reinszenieren, die ihm in denWirren der Geschlechterauseinandersetzungen

der letzten dreißig Jahre abhanden gekommenist. Die patriarchale Dividende wird gewisser-maßen externalisiert und verbindet sich mit denGlobalisierungsgewinnen zu einer neuen hege-monialen Männlichkeit, die die sexuellen Dienst -leistungen genauso „entbettet“ wie die ökono -mischen Transaktionen.

9. Politische Spaltung der Prostitution

Angesichts dieser widersprüchlichen Pro -zesse verändern sich auch die politischen Para -meter. Die Allgegenwärtigkeit und Alltäglichkeitder Prostitution lässt ihre Faszination als „Tabu“ebenso verblassen wie ihre Inszenierung als„kriminogenen Sumpf“. Die gesellschaftlichenStra tegien der Reglementierung und Ausgren -zung verlieren ihre Legitimation und verschie-ben sich auf die Gewaltprostitution, sodass dieProstitution auseinanderdriftet: Auf der einen Seitehaben wir Prozesse der Veralltäglichung undEntdramatisierung, auf der anderen solche derDramatisierung und Skandalisierung. Beide Be -wegungen haben jedoch die Tendenz, die Pros -titution aus dem Kontext der Geschlechter ver -hältnisse herauszulösen. Wird die Prostitutionim ersten Fall zur sexuellen Dienstleistung neu-tralisiert, deren geschlechterpolitische Bedeu -tung sich verflüchtigt, so wird sie im zweiten Fallzum Teilbereich einer globalisierten Gewalt -krimi na lität, die mit dem Binnenverhältnis derGeschlechter ebenfalls nichts mehr zu tun hat.Die gehandelten Frauen sind Opfer der organi-sierten Kriminalität und werden als solche „ge -schützt“ und medial inszeniert. Ihre frauenspezi -fischen Interessen an einer Zuwanderung bleibenebenso unberücksichtigt wie die „Bedeu tung

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

18

der Migrantinnenprostitution für das hiesigeVer hältnis von Männern und Frauen.

Die NGOs im Feld der Prostitution folgenm.E. dem Pfad dieser gesellschaftlichen Spal -tung: Auch sie teilen die Prostitution in die sau-bere, freiwillige „weiße“ Prostitution, die Schrittfür Schritt ihre gesellschaftliche Anerkennungdurchsetzt, und in eine schmutzige, gewaltbe-stimmte „schwarze“ Prostitution der drogenab-hängigen Frauen und rechtlosen Migrantinnen,die dem Prozess der Emanzipation zur Dienst -leistung zuwiderläuft, und organisieren sich ent-lang der entsprechenden Segmente. Sie folgendamit auch den medialen Inszenierungen, dennjede neue Story über die schamlose und zyni-sche Kinderprostitution an der tschechischenGrenze oder über die Rotation von Latein ameri -kanerinnen durch die Provinzbordelle Europasscheint zu bestätigen, dass es demgegenübereine „anständige“ Prostitution gäbe, die frei istvon Ausbeutung und männlicher Hegemonie.

Was in dieser Spaltung verloren geht unddamit auch in der Praxis der segmentiertenNGOs verloren zu gehen droht, sind die kom-plexen Mischungsverhältnisse von Herrschaftund Unterordnung, von Abhängigkeit und Frei -heitsgewinnen, von Ausbeutung und Subver -sion in beiden Bereichen der Prostitution. Wasverloren geht, ist letztlich die Einbettung desgesamten Spektrums der Prostitution in Ge -schlechterverhältnisse, die mit ihrer Zuordnungvon Frauen zu Männern als Hilfskräfte, Zuarbei -tende und Dienstleistende insgesamt zur Dis -position stehen.

„Früher habe ich Vertrauen zu Männern ge -

habt. Aber nachdem das alles passiert ist, habe

ich kein Vertrauen mehr. Also, ich habe für mich

ein Fazit: Die Männer muss man ausnutzen. Ich

bin noch jung, aber das ist meine Meinung. Wir,

die Frauen, müssen die Männer ausnutzen.“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die Gewalt in der Prostitution erlebt hat)

Literaturverzeichnis:

Ahlemeyer, J., 2002, Geldgesteuerte Intimkommunikation, Gießen

Bebel, A., 1878/1953, Die Frau und der Sozialismus

Biermann, P., 1980, Wir sind Frauen wie andere auch, Berlin

Giesen/Schumann, 1980, An der Front des Patriarchats, Bensheim

Girtler, R., 2004, Der Strich, Soziologie eines Milieus, Wien

Millett, K., 1971/1981, Das verkaufte Geschlecht, Köln

Kampffmeyer, P., 1905, Die Prostitution als soziale Klassener schei nung, o.O.

Schelsky, H., 1979, Prostitution als Ventil, in: H. Kentler, Texte zur Sozio-Sexualität, Opladen

van der Velde, Th.,1926, Die vollkommene Ehe,Zürich

19

Dienst am Mann – Prost i tu t ion a ls sexuel le Dienst le is tung?

Über Prostitution, das Gewerbe und über Pros -tituierte, als die sie Ausübenden, ist eine Un -menge geschrieben und geforscht worden. Eherseltener werden aktive Prostituierte über ihreSichtweise vom Gewerbe, die unterschiedlichenAspekte dieses Berufes und ihre Stellung dazugehört und befragt. Um jedoch zu einer realisti-schen Einschätzung dieser Branche und allerBeteiligten zu kommen, sind alle Ge spräche undKommunikationsbemühungen, die der gegen -sei tigen Annäherung dienen, sehr zu begrüßen(viel leicht kann man hier schon von einem Para -digmenwechsel sprechen).

Wovon sprechen wir, wenn wir von Prostitutionals Arbeit reden?

Arbeit ist nach geltender Rechtsprechung:� eine auf Dauer angelegte,� zur Gewinnerzielung,� ausgeübte Tätigkeit.

Sie untersteht dem Schutz von Art. 12 un -seres Grundgesetzes (Art. 12 Abs. 1 GG: „AlleDeutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatzund Ausbildungsstelle frei zu wählen. Die Be rufs-ausübung kann durch Gesetz oder auf Grundeines Gesetzes geregelt werden.")

Für eine Arbeit ist nicht erforderlich, wasman häufig in Diskussionen hört, dass für derenAusübung eine anerkannte Ausbildung erforder-lich ist. So gibt es viele Berufe, wie z.B. den derPutzfrau, des Fließbandarbeiters, des Bau hel -fers, etc. den man ohne Ausbildung peu à peu,also learning by doing erlernen und ausübenkann.

Das Fremdwörterbuch gibt zu Sexualität fol -gende Definition:„Die Geschlechtlichkeit, die Gesamtheit der imSexus begründeten Lebensäußerungen." Plas -tischer könnte man sagen: Erotik, Romantik,Zärtlichkeiten, Gespräche, Zuhören, Sprechenund Beraten, Essen und Trinken, Tanzen undLachen, Intimität, Privatheit, Gier, Lust, anima -lische Bedürfnisse, Verkehr und Sex in allenmöglichen Formen und Ausgestaltungen.

Beitrag: Stephanie Klee Juristische Definition

20

Prostitution als Beruf

Beides, nämlich Arbeit und Sexualität, stel-len Grundbedürfnisse des Menschen dar, diezu seinem Wohlsein und Menschsein wichtigsind wie Essen, Trinken, Gesundheit, eine Arbeitund eine Wohnung. Und um beides dreht sichdie Prostitution: um Arbeit und um Sexualität imweitesten Sinne des Wortes.

Prostituierte sind, nach einer Definition desSoziologen Bernsdorf aus dem Jahre 1971, miteiner kleinen Erweiterung, „Personen, die ihrenKörper, Geist und Seele gelegentlich oder ge -werbs mäßig vielen beliebigen Kunden zu deren(vornehmlich: sexuellen) Befriedigung gegenmaterielle Entlohnung preisgeben."

Oder anders ausgedrückt bedeutet Prostitution,dass

• in der Mehrheit Frauen, aber auch Männerund Transgender-Menschen,

• sexuelle Dienstleistungen unterschiedlichsterArt anbieten,

• die eine Vielzahl von Gästen oder auchFreier genannt, nachfragen

• und dafür Geld oder andere materielle Vor -teile bekommen.

Die Hure wartet auf den Gast. Der Ort ist dieStraße, das Apartment, die Bar, das Sexkino,das Studio oder Eroszentrum. Sie begrüßt ihn.Beide vereinbaren gemeinsam eine Dienst leis -tung, die Sex beinhalten kann. Das Geld wech-selt seinen Besitzer.

Zur Dienstleistung könnte man auch plattsagen: Beide fassen sich an, Haut berührt Haut(vielleicht ist die Haut schwitzig, schmutzig, stin-kig), Massageöl macht das Ganze eventuell glit-schiger, der Körper wird geküsst (vielleicht riechtdie Haut gut), die männlichen Geschlechtsteile(Penis und Hoden) werden geküsst, gestreichelt,geknetet oder die weiblichen (Schamlippen,Kitz ler und Vagina) mit Fingern oder Mund undZunge liebkost. Vielleicht findet der Penis nunseinen Weg in die Scheide oder den After undvielleicht kommt es – nach egal wie gearteten –Bewegungen zum Orgasmus und damit zumAustreten von viel Samenflüssigkeit.

Diese Dinge kennen wir auch aus dem pri-vaten Leben. Nichts besonderes spielt sich ab.Doch natürlich ist der Beruf Prostitution, wennman ihn sich unter professionellen Gesichts -punk ten ansieht, weit vielschichtiger. Bestand -teile aus der Rhetorik, der Psychologie, Schau -spielerei, Kunst, Recht, Medizin und Hygienesind wichtig. Urlaubs /Unterhaltungsanimationund Erlebnispädagogik bieten viele Parallelen.Hier nur von reiner Körperlichkeit oder Sexua li -tät zu sprechen, würde eine Reduzierung dergroßen Spannbreite des Berufes auf nur einenAspekt bedeuten. Viele Parallelen bestehen zuanderen Berufen, z.B. dem des Masseurs, So -zial arbeiters, Journalisten, der Ärzte und derKünstler.

21

Prost i tu t ion a ls Beruf

Worum geht es in der Prostitution praktisch?

Und auf keinen Fall kann vom Verkauf desKörpers hier gesprochen werden. Sexarbeiter/-innen verkaufen nicht ihren Körper; der Körperbleibt im Eigentum der jeweiligen Frau oder desjeweiligen Mannes; der Kunde erhält nur einebestimmte Dienstleistung.

Natürlich darf nicht vergessen werden, dass wei -tere unternehmerische Bereiche wichtig sind:

• Die unterschiedlichen Gesetze aus vielenDis ziplinen (Gewerberecht, Baurecht, Straf -recht, Ausländerrecht, Medienrecht, etc.)müssen gekannt und beachtet werden,

• Buchführung und Steuerrecht muss einge-halten werden,

• Organisationstalent für Arbeitszeiten undKom munikation unter den Kolleginnen istwichtig,

• Verantwortungsbereitschaft für die unter -schied lichen langfristigen Verträge (Miete,Telefon, Strom) muss groß genug sein,

• Kundenwerbung und Kreativität für die An -zeigen ist unabdingbar,

• und der Umgang mit Geld muss verantwor-tungsvoll sein.

Also:• Prostituierte verbringen viel Zeit = Arbeits -

zeit mit den Kunden und indem sie auf Kun -den warten,

• sie verdienen damit Geld und finanzierendamit ihren Lebensunterhalt und oft auchden ihrer Familie,

• sie leisten etwas = führen eine sexuelleDienstleistung aus,

• und es gibt einen Bedarf für ihre Dienst -leistung.

Und natürlich gehört zu der Arbeit einer Pro sti -tuierten wie bei allen anderen Berufen:

• Höhen und Tiefen,• gute und schlechte Tage,• Lust und Freude an der Arbeit und Frust,• genehme und weniger angenehme Kunden,• gute und schlechte Arbeitsbedingungen,• gute und schlechte Bezahlung,• gute und schlechte Arbeitgeber.

Damit sind Huren mit fast allen anderen Berufs -gruppen vergleichbar, außer

• wir verdienen im Vergleich zur Berufs aus -bildung und zu anderen Frauenberufen er -heblich mehr Geld,

• unser Beruf ist sozial nicht anerkannt und imgroßen Maße rechtlich diskriminiert,

• obwohl so viele Qualifikationen für die Aus -übung des Berufes erforderlich sind, gibt eskeine Ausbildung und in Folge davon auchkeine Standards oder Mindestanforde run gen,

• es gibt kaum Beratung und Unterstützungfür den Einstieg in diesen Beruf.

Prost i tu t ion a ls Beruf

22

Jeder Mensch kann zur Prostitution stehen,wie er will. Man kann sie ablehnen aufgrund sei-nes persönlichen Hintergrundes und aus mora-lischen Gründen. Doch um eins kommt man nichtumhin, nämlich Prostitution als Realität zu be -trachten. Prostitution ist eine Tatsache, die injedem Land besteht und zu allen Zeiten ausge-führt wurde, und sich weder durch Verbote nochdurch Repressalien verbieten und verhindernlässt.

Es ist Realität,• dass Frauen und Männer weltweit der Pros -

titution nachgehen,• und mit den Einkünften daraus ihren Lebens -

unterhalt finanzieren,• dass Männer und auch mehr und mehr

Frauen die Dienste von Huren in Anspruchnehmen,

• dass der Staat durch Steuereinnahmen• und die Gesellschaft, besonders unsere

Gäste durch unsere Arbeit profitieren.

Aber leider ist es Realität,• dass Huren weltweit an den Rand der Ge -

sellschaft gedrängt werden,• oft ein Doppelleben führen,• nicht den Schutz des Staates genießen,• dass die Betreiberinnen von bordellartigen

Betrieben per se mit dem Strafgesetzbuchin Berührung kommen und mit einem Beinim Knast stehen,

• und man Huren und Bordellinhaber/-innenhier in Deutschland immer noch die Rechteverwehrt, die allen anderen Erwerbstätigenund Gewerbetreibenden gewährt werden.

Zahlen• In Deutschland spricht man z.Zt. von 60.000

bis 400.000 Sexarbeiterinnen,• 40 - 60% sollen davon Migrantinnen sein,• 1,2 Millionen Männer sollen täglich ihre

Dienste in Anspruch nehmen,• Milliarden Umsätze sollen erzielt werden, in

der Prostitution selbst und den sie umge -ben den Gewerben wie Hotels, Taxis, Alko -hol-, Sexspielzeug- oder Dessousindustrie,

• die Prostitution sichert Arbeitsplätze auchbei der Polizei, den Gesundheitsämtern, Ge-werbeämtern und Finanzämtern, ganz zuschweigen von den vielen Beratungsstellenu.a. für Prostituierte.

Doch Zahlen sind in diesem Zusammen -hang langweilig, und es stellt sich ernsthaft dieFrage nach der Seriosität dieser Zahlen undwofür sie benutzt werden. Was man allerdingsanhand der obigen wenigen Zahlen und Infor -mationen sagen kann, ist: Prostitution ist einriesiges Geschäfts- und Gesellschaftsfeldmit enorm vielen Beteiligten.

Warum ist es so schwer, sich den einzelnenBeteiligten in dieser Branche zu widmen, ihreBeweggründe und Notwendigkeiten anzusehenund auch sie zur Verantwortung zu ziehen oderihnen zumindest einen berechtigten Platz in die-sem Geflecht einzuräumen? Warum werden diePros titutionskunden fast nur nebulös wahrge-nommen? Obwohl es ebenfalls Realität ist, dassdie Gäste von Prostituierten, die Freier,

• allen gesellschaftlichen Kreisen,• allen Nationen und• Hautfarben,• Religionen,

23

Prost i tu t ion a ls Beruf

Warum ist das so?

• jeden Alters entstammen,• jeder politischen Partei angehören und• in allen möglichen Lebensformen leben, in

Ehen, Partnerschaften, als Singles und• mit und ohne Kinder.

Damit sind sie der geliebte Vater, der be -wunderte Bruder, der freundliche Nachbar, dergeachtete Hausarzt, der verehrte Schauspieler,der kompetente Kollege, der fleißige Chef, derrasante Taxifahrer und der coole Biker und derliebende Ehemann. Sie sind halt die Männer anunserer Seite, aus unserem Leben.

Befassen Sie sich mit der Realität,• dass die meisten Frauen, auch Migran tin -

nen, bewusst ihren Weg in die Prostitutionbeschritten haben,

• aber natürlich wussten sie nicht um die Be -gleitumstände, die Gesetze, die Diskrimi nie -rung und Verachtung der Gesellschaft, dieArbeitsanforderungen und die Schwierig kei -ten eines Doppellebens und eines späterenUmstiegs in einen anderen Beruf,

• konnten sie auch nicht wissen, denn werhätte sie schon ordentlich und umfassendberaten?

Realität ist auch,• dass für die meisten Menschen die Ent -

schei dung für einen Beruf immer eine Wahldarstellt zwischen einigen Alternativen, wo -bei der Traumberuf wegen der Situation aufdem Arbeitsmarkt kaum dazu gehört undmeist ungeliebte Berufe ergriffen werden,um zu existieren, erst recht von Frauen,

• und die Arbeit in der Prostitution versprichtmehr Möglichkeiten als die einer Putzfrauoder einer Lagerarbeiterin bei ALDI,

• eine gewisse Freiheit bzgl. Zeiteinteilung,bessere Verdienstmöglichkeiten als in denmeisten anderen Frauenjobs, kleine Bor dellemit wenigen Kolleg(en)innen, einem gutenArbeitsklima, Mobilität und Flexibilität undkeine komplizierten Verträge mit einzuhal-tenden Klauseln und langen Kündigungs -fristen,

• dass sie eine Arbeit am Menschen und mitMenschen darstellt, wozu gerade Frauengute Voraussetzungen mitbringen,

• und für Migrantinnen eine Alternative gegenArmut und Hunger und Perspektivlosigkeitin ihren Heimatländern (woran wir reiche In -dustriestaaten nicht ganz unbeteiligt sind).

Und Realität ist auch,• dass vielen Frauen die Arbeit in der Prosti -

tution Spaß macht,• weil sie aus artverwandten Berufen (wie

Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen,Künstlerinnen, Psychologinnen, etc.) ihreQua lifikationen und Fertigkeiten anwendenkönnen,

• und weil sie die Arbeit am Menschen undmit Menschen mögen, die sexuelle Dienst -leistungen einbezieht,

• und in diesem Kontext haben sie Machtüber sich selbst und Macht über ihre Ent -scheidungen,

• und gegenüber dem Kunden haben sieMacht, denn sie entscheiden über die An -gebote und Bedingungen.

Prost i tu t ion a ls Beruf

24

Egal,• warum und• wieso Frauen und Männer anschaffen

gehen,• welche tatsächlichen Alternativen sie

haben, nicht die theoretischen oder dieerwünschten, sondern die realen als Frauin unserer Gesellschaft,

• wie lange Huren anschaffen gehen,• ob Huren gerne oder nicht gerne anschaffen

gehen:

Prostituierten stehen die gleichen Rechte zuwie allen anderen Menschen.

Als Prostituierte verstoße ich gegen drei Tabusvon Frauen in dieser Gesellschaft:

• ich lebe oder biete Sexualität außerhalbder Ehe und ohne Kinderwunsch an,

• ich nehme Geld für Sex,• ich lebe nicht monogam, d.h. ich mache

Sex mit vielen, unterschiedlichen Partnern.

Dies ist natürlich zu sehen im historischen,kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kon -text und Entwicklung. Schließlich unterliegenwir alle, mehr oder weniger, der gleichen Sozia -li sation. (Kennen wir nicht alle die Unterteilungin Heilige und Hure? Der Wunsch, natürlich alsHeilige gesehen zu werden, aber zu spüren,dass da noch was anderes in uns ist, wofürdann schnell die Abwertung als Hure benutztwird?) Und wie sehen und leben wir unsereei gene Sexualität, ist sie überwiegend geprägtvom Wunsch nach Romantik, Treue und Partner -schaft in einer Kleinfamilie? Ist dies wirklich Re -alität oder gehört diese Vorstellung nicht mehrin den Bereich der Tag-Träumerei?

So hat für mich die Frage: warum sehen wirProstituierte und hier speziell die Migrantinnenimmer nur als fremdbestimmte Opfer? auch wasmit unseren eigenen Einstellungen und Wertenund unserem jeweiligen Standort zu tun. Weil eskein Berufsbild Prostitution gibt, keine Aus bil -dung und dementsprechend auch keine Über-prüfung dessen und der Arbeitsplätze, kaum Ein -stiegsberatung, keine Qualitäts stan dards, wirdunsere Einstellung eher geprägt von Kli schees(Sex and Crime, Sex sells) und Vor urteilen, diemit der Realität fast nichts zu tun haben.

Auf den Blickwinkel, den Focus oder den Stand -ort kommt es an:

• Beratungsstellen, die Opfer von Gewalt oderZwang im weitesten Sinne des Wortesunterstützen, sehen „nur" diese und habenkaum Kontakte zu anderen Prostitutions -gruppen (dabei ist jede Frau, erst recht derGewalt in der Prostitution angetan wird, einezuviel),

• die Kriminalpolizei und die Gerichte sinderst mal nur mit strafrechtlichen Tatbe stän -den konfrontiert und sehen in ihrem Arbeits -feld nicht die Vielzahl der seriös arbeitendenHuren und Bordellinhaber/-innen,

• natürlich sehen Sozialarbeiterinnen undÄrztinnen bei den Gesundheitsämtern nurProstituierte mit gesundheitlichen und so -zialen Problemen.

Und ich sehe „nur" die andere Seite, meine„selbstbewussten und selbstverantwortlichen"Kolleginnen. Ist die Zahl der Huren, die als „Pro -fessionelle" (im weitesten Sinne des Wortes)mit Qualitäten wie Einsatz, Fleiß und Können,Durch setzungsvermögen, Mobilität, Stärke, Ver -

25

Prost i tu t ion a ls Beruf

antwortungsgefühl leben, nicht größer? Was istmit den enormen Fähigkeiten unserer Migranten-Kolleginnen, die ihre Heimat mit vielen Mühenverlassen haben und in einem neuen, fremdenLand zurecht kommen mit einer neuen Spracheund in einer neuen Kultur?

Profi: Erfahrene HureM: Migrantin CallboysHobby/Disco-Maus Zwangs-Prostituierte

(Die Gesellschaft müsste ich als alles ver-bindenden Kreis über die einzelnen Kreise malen.Alle Kreise haben in diesem Diagramm die glei-che Größe, nicht weil ich jede Gruppe für gleichgroß halte – sicher ist die Zahl der Callboys viel,viel kleiner, aber auch ich kenne nicht deren tat-sächliche Größe in der Realität.)

(So können wir auch nicht ohne weiteresvon der Anzahl der geschlagenen Frauen inFrauen häusern hochrechnen zur Stellung derFrauen in Ehen und Partnerschaften und zurStellung der Frau im Allgemeinen.)

Prost i tu t ion a ls Beruf

26

Profi

Hobby M

Callboys Zwang

Folgende Beispiele sollen meinen Standpunkt,dass der Focus und die Einstellung wichtig sind,verdeutlichen:1. Als ich vor vielen Jahren in Duisburg im

Laufhaus arbeiten wollte, musste ich erst zurKripo zur erkennungsdienstlichen Be hand -lung und Registrierung gehen und dann zumGesundheitsamt zur Unter suchung auf Ge -schlechtskrankheiten. Aufgrund meiner So -zialisation wusste ich natürlich, das Pro sti -tution was Schlechtes ist und ich vermutete,dass beide Institutionen mich mit einem ent-sprechenden Schicksal sehen wollten. So gabich an, dass ich Schulden hätte und keineandere Alternative als die der Prosti tutionsähe.

2. Bei einer Veranstaltung einer Beratungs -stelle für asiatische Frauen vor kurzemgaben mir die Sozialarbeiterinnen und dieLeh rerin für den dort abgehaltenen Deutsch-kursus vorher an, dass keine der Teilneh -merinnen als Prostituierte arbeiten würden.Sie würden lediglich den Deutschkursus be -suchen. Doch während der Veranstaltungoutete sich eine, bzw. gab sich als Prosti tu -ierte zu erkennen und mehrere andere frag-ten so nach, dass klar war, sie gehen an -schaffen oder haben eigene Läden und /oder wollen eigene Läden aufmachen.

Das heißt, der FOCUS und das Klima sindwichtig. Jeder erreicht und sieht nur denjenigenentsprechend seiner Einstellung und wie er sichselbst positioniert.

Heute nutze ich das Gesundheitsamt in me -dizinischen Notfällen, weil sie die erfahrenenÄrzte für in der Prostitution vorkommende Krank-heiten sind, und als Bündnispartnerinnen für Dis-kussionen und gemeinsame Kampagnen. Undim Kontakt mit Kolleginnen nutze ich die ge -meinsame Sprache, die gemeinsamen Erfah run-gen (den Stallgeruch), um Kontakt aufzunehmen,das Positive und die Stärken herauszustellenund die Kolleginnen zu motivieren, sich und diePosition zu verbessern.

Die bisherigen Diskussionen über Prosti tu -tion haben nichts gebracht. Prostitution bestehtweiterhin. Migrations-Prostitution nimmt trotzder Gefahr einer Strafbarkeit im Menschen han -dels prozess und Illegalität ständig weiter zu,Frauen und auch Männer arbeiten weiterhin frei-willig (im Kontext zu den gegebenen Arbeits -möglichkeiten) als Prostituierte trotz der gesell-schaftlichen Verachtung und Diskriminierung.

Und wenn man endlich mal anfangen würde,Prostituierte ernst zu nehmen und ihnen zuzu-hören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen,wäre klar, dass sie weiterhin anschaffen gehen,aber die Begleitumstände verbessert habenwollen.

Es ist so leicht (und die Zeiten sind vorbei),dass wir Frauen die Männer, den Staat und dasPatriarchat beschimpfen und verantwortlichmachen für unsere „missliche" Situation, diefehlende Gleichberechtigung und Diskrimi nie -rung.

27

Prost i tu t ion a ls Beruf

Und es ist auch falsch, weil unser Anteil undunsere Verantwortung und unsere aktive Teil -nahme völlig unberücksichtigt bleiben.

Vielleicht ist es in unserer Gesellschaft „nor-mal", d.h. so sind wir sozialisiert, auf andereherunterzuschauen: die Männer auf die Frauen,die Frauen auf die Prostituierten und die Hurenauf die Migrantinnen. Ich bin die alten Dis kus -sionen und Schuldzuschreibungen leid: die guteHure und die böse Kripo, die gute Kripo und derböse Freier, der gute Freier und der böseBordell besitzer, usw. usf. Mir geht es um Annä -he rung, um Veränderung und Verbesse rung,auch wenn es erst mal ein Kompromiss ist.

Die Angriffe von Alt-Feministinnen finde ich pro-blematisch:

• Man kann nicht gegen Prostitution, aber fürdie Prostituierten sein. Wie soll ich das tren-nen? Ich arbeite doch als Prostituierte, findeden Job okay, habe Freude und Lust dabeiund verdiene meinen Lebensunterhalt da mit.

• Und wenn Männer mit ihrer Macht und ihremsog. Sexualtrieb, der Ungleich be hand lungvon Mann und Frau und die von ihnen aus-gehende Gewalt kritisiert werden, dann soll -ten doch auch Frauen sich dagegen stellenund für Veränderungen sorgen und nichtuns Hu ren dafür verantwortlich machen, wirwürden die alten Strukturen verstärken undaufrecht erhalten. So machtvoll sind wirnoch lange nicht.

Ich weiß auch nicht, was richtig und wasfalsch ist. Ich weiß nur, wie verlogen und unge-recht die Gesellschaft ist und das wird beson-ders an deren Behandlung von Prostituiertendeutlich.

Aber: Mir ist die Professionalisierung unddas Empowerment aller meiner Kolleginnenwichtig und die Forderung nach gleichen Rech -ten für Alle.

In dem Sinne arbeitet der BundesverbandSexuelle Dienstleistungen e.V., der von achtselbst ständigen Prostituierten und Inhaberinnenvon bordellartigen Betrieben im März 2002 alserster Berufsverband in der Prostitution in Berlingegründet wurde. Wir sind eindeutig ein Arbeit -geberverband. Der Verband setzt sich ein

• für eine wirtschaftliche Verbesserung derjeweiligen geschäftlichen Aktivitäten,

• für die Beseitigung jeglicher gesetzlicherBe hinderungen dieses Gewerbes,

• für die Förderung des Ansehens von Pros -ti tution und der Betriebe mit sexuellenDienst leistungen in der Gesellschaft unddie Ver mittlung eines realistischen Bildesvon Pro stitution.

Prost i tu t ion a ls Beruf

28

Im Einzelnen bedeutet dies:a) auf der Geschäftsebene, z.B. die Wer bung

für die Mitglieder und ihre Betriebe, Infor ma -tionsweitergabe und Aushandeln von Ra -batten, z.B. bei Anzeigen.

b) auf der politischen Ebene die Ver hand lungmit Behörden, um eine Anpassung derunter schiedlichen Gesetze mit dem Prosti -tu tions gesetz bundesweit und deren Fort ent -wicklung zu erreichen und die Schaffungvon legalen Aufenthalts- und Arbeitsmög lich -keiten für Migrantinnen in der Prostitu tion.

c) auf der gesellschaftlichen Ebene durch dieVerbreitung eines realistischen Bildes vonProstitution u.a. in den Medien.

Parallel baut der Bundesverband SexuelleDienstleistungen e.V. gerade eigene Weiter bil -dungsseminare auf, um alle Beteiligten mehr zuprofessionalisieren und zu stärken, für die ei ge -nen Rechte einzutreten. Aktuelle Informa tio nenfinden alle Interessierten auf der eigenen Inter -net seite: www.busd.de.

Stephanie Klee,

Prostituierte und Inhaberin der Agentur „highLights", Berlin www.highLights-berlin.deund Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes SexuelleDienstleistungen e.V. www.busd.deEmmentaler Straße 9913409 BerlinTel/Fax: 030 496 78 670

„Ich bin drin gewesen in der Prostitution, ich

fand es toll. Es gab auch Höhen und Tiefen, wie

bei anderen Arbeiten wahrscheinlich auch. Aber

ich kann nicht sagen, dass es schlecht ist.“

(O-Ton aus der Tagungsdokumentation von einer Frau, die selbstbestimmt in der Prostitution tätig ist.)

„Normalerweise wissen die Freier von der

Aus stattung her, vom Raum, welche Dienstleis -

tungen ich anbiete … Und oft sind es dann auch

psychosoziale Gespräche, wenn ich die Männer

tröste, wenn sie Probleme mit ihrer Ehefrau

haben oder mit ihrem Arbeitgeber. Und dafür

werde ich bezahlt. Also, ich betone noch mal,

die Freier wissen schon ungefähr, von den Räu -

men, von meiner Ausstattung her, welche Dienst -

leistung ich anbiete.“

(O-Ton aus der Tagungsdokumentation von einer Frau, die selbstbestimmt in der Prostitution tätig ist.)

29

Prost i tu t ion a ls Beruf

Selbstverwirklichung oderFremdbestimmung?Arbeits- und Gewaltverhältnisse in der Prostitution

Zur Politik und Praxis der frauen- undmigrationspolitisch tätigen Nicht-Regierungsorganisationen – NGOs

Dieser Beitrag ist von dem Interesse aneinem differenzierten, frauenpolitisch orientiertenDiskurs über Prostitution und über Men schen -handel motiviert. Er beschäftigt sich mit denHintergründen der inhaltlichen Ausrichtung derNGO-Arbeit zu Prostitution und zu sexualisierterGewalt und bemüht sich, kritische An regungenfür eine substantielle Diskussion zu geben.

Es handelt sich im Kern um einen Er fah -rungsbericht der Autorin, die seit über 20 Jahrenberuflich – wissenschaftlich sowie praxisnah –zu den Themen Prostitution und Frauenhandelim Zusammenhang mit frauenpolitischer Arbeittätig ist. Im Folgenden findet sich eine gering -fügig ergänzte Fassung des Tagungsbeitrages,der bereits wichtige gesetzliche Neuerungen seit2003 aufgegriffen hat.

Besondere öffentliche Aufmerksamkeit inDeutschland erhielten in den letzten Jahren dasPhänomen der Prostitution und das Verbrechendes Menschenhandels. Öffentliche Diskus sio nenführten zu politischen Entscheidungen und zuneuen rechtlichen Regulierungs- und Sank tio -nierungsinstrumenten. Dem neuen Prosti tu tions-gesetz, das im Januar 2002 in Kraft trat, folgtdas neue Gesetz zu Menschenhandel, das abFebruar 2005 zur Anwendung kommt. Mit denrechtlichen Neuregelungen verbinden sich einverändertes sozial-politisches Bewusstsein zuProstitution sowie eine neue inhaltliche Aus -gestaltung der Definition von Menschenhandel.In diesem Beitrag soll es im Wesentlichen umdie veränderten gesellschaftlichen Werte unddie in diesem Kontext stehenden inhaltlichenPositionierungen von frauen- und migrations -politisch tätigen Nicht-Regierungs-Organisa tio -nen (NGOs) gehen.

Die rechtliche Neuregelung in Bezug aufPro stitution und die Gesetzesnovellierung zuMenschenhandel legen Rückschlüsse auf Ver -änderungen im gesellschaftlichen Moral- undWertesystem nahe, die bislang wenig öffentlichdiskutiert und in frauenpolitischen Kreisen kaumformuliert worden sind. Weitgehend unhinterfragtbezüglich ihrer Auswirkungen auf den frauen -politischen Kontext, auf die Lebensbe dingun genvon Frauen, auf die Geschlechterfrage und aufdie Gewaltfrage, stehen heute die genanntenrechtspolitischen Veränderungen im Raum.

Beitrag: Elvira Niesner Einführung

30

1. Frauenpolitisch und migrationspolitisch en -gagierte NGOs waren an der (öffent lichen)Diskussion zu den Gesetzesänderungen be-teiligt. Es wurden neue inhaltliche Positio -nie rungen vorgebracht. Dem ging jedochkeine kritische und/oder selbstkritischeAnalyse im Netzwerk der NGOs voraus.

2. Die unterschiedliche Bedeutung von Job,Erwerbsarbeit und Beruf sind nicht reflek-tiert. Die heute von NGOs formulierte Posi -tion, Prostitution als Beruf anzuerkennen,geht weit über die Intention hinaus, Diskri mi-nierung, Ausbeutung und Ausgrenzung vonProstituierten abzuschaffen und eine re gu -läre Möglichkeit der Erwerbsarbeit zu garan -tieren.

3. Die Forderung, Prostitution als Beruf an -zuerkennen, hat eine realitätsferne, mög -licher weise elitäre Konnotation. Sie lässtvermuten, dass ein Zugang zu und ein Aus -tausch mit den Frauen, die praktisch in derProstitution arbeiten und sehr unterschied -liche Erfahrungen machen, nicht oder nurmar ginal vorhanden sein kann.

4. Die „blind“ geforderte Anerkennung von Pros-titution als Beruf verdeckt bestehendefrauenfeindliche und entwürdigendeStruk turen in der Prostitution und ver -hindert notwendige gesellschaftskritischeAnalysen zu Prostitution und zu dem Prosti -tutionsmarkt. Kritische, das Geschlechter -ver hältnis betreffende Fragen werden aus-geblendet.

5. Die neue, ausgeweitete Strafrechts defini -tion von Menschenhandel birgt die Gefahr insich, frauenfeindliche Gewaltstrukturen inForm von sexualisierter Gewalt zu ver-harmlosen.

6. Die neue Strafrechtsdefinition steht füreinen gesellschaftlichen Trend, Migran -tinnen in ihrer subjektiven Selbstbe stim -mungsmöglichkeit zu begrenzen. Migran -tinnen auf dem informellen Arbeitsmarktwer den viktimisiert und entmündigt durcheine unverhältnismäßig starke Betonungvon strukturellen Zwängen und Auswir kun -gen.

7. Demgegenüber steht die Anerkennung vonProstitution als Beruf dafür, die Sub jek tivi -tät und Selbstbestimmungs mög lich keitvon Frauen mit einem regulären Auf ent -halts status übermäßig zu betonen undstrukturell be dingte, frauenspezifischeFormen der Ge walt und der Diskriminierungin der Prosti tution zu verharmlosen.

31

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

Thesen

Anlass für die Entwicklung des heutigenProstitutionsgesetzes bildet ein Verwaltungs -gerichtsverfahren in Berlin im Jahre 2000 unddie in diesem Kontext zusammengetragenenRechercheergebnisse über Prostitutionsformenund die Haltbarkeit des Begriffes der „Sitten -widrigkeit“ bezogen auf Prostitution in der deut-schen Gesellschaft. Die nach ihrer Meinungbefragten Wohlfahrtsverbände und Vertreter/-innen relevanter gesellschaftlicher Organisa -tionen signalisierten, dass sie in der Prostitutionkein sittenwidriges Verhalten sehen. Schluss -folgerung dieser Befragung war, dass mehrheit-lich in der deutschen Gesellschaft keine mora-lisch begründete Ablehnung von Prostitutionerfolgt.

In Kraft getreten ist ein Gesetz, das so -genannte Prostitutionsgesetz (ProstG), das inseiner Ausrichtung der Diskriminierung von Pros-tituierten entgegenwirken soll. Im Kern liefert dasGesetz rechtliche Voraussetzungen, um Pros ti tu -ierten den Zugang zum Sozialversiche rungs -sys tem zu ermöglichen. Es wird die Mög lichkeitgeschaffen, rechtswirksame Arbeitsver träge ab -zuschließen sowie die Chance eingeräumt, vonFreiern einbehaltene Gelder einzufordern. DasGesetz selbst stellt Prostitution jedoch nicht mitanderer Erwerbsarbeit gleich. Zum Beispiel er -öffnet es die Möglichkeit zum Abschließen einesso genannten einseitig bindenden Arbeits ver -trages, der dem Arbeitgeber nur ein eingeschränk-tes Weisungsrecht gegenüber seiner Arbeitneh -merin im Rahmen einer abhängigen Tätigkeitzugesteht.

Die Novellierung des Strafgesetzes gegenMenschenhandel wurde, im Gegensatz zumProstitutionsgesetz, auf internationaler Ebenean gestoßen. Mit der Unterzeichnung des soge-nannten „Palermo Protokolls“ der VereintenNationen stimmte die Bundesrepublik inhaltlichim Wesentlichen einer Ausweitung der Defi ni -tion von Menschenhandel zu.

Die Intention des vorherigen in der Bundes -republik Deutschland bestehenden Strafrechtesgegen Menschen han del lag darin, Personen vorsexueller Fremd bestimmung zu schützen. Diestrafrechtlich relevante Neudefinition von Men -schenhandel um fasst nun neben dem Handel indie sexuelle Fremdbestimmung (meist in dieProstitution) auch den Handel von Personen inAusbeu tungs verhältnisse, wie z. B. in unge-schützte Arbeits verhältnisse im Haushalt, inGaststättenbetrieben, im Baugewerbe oderauch in der selbstbestimmten Prostitution. Mitder Novellierung wird das Gesetz in die Straf -schutzvorschriften zum Schutz der persönlichenFreiheit integriert. Dies bedeutet, das Recht aufSchutz von sexueller Selbstbestimmung stehtnicht mehr im Zentrum, es wird zu einem Teil -bereich des übergeord neten Schutzes der per-sönlichen Freiheits rechte.

Das Prostitutionsgesetz Das Strafgesetz gegen Menschenhandel

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

32

In den, den Gesetzesänderungen vorausge-henden und begleitenden, öffentlichen Dis kus -sionen um Prostitution, um Gewalt, um Mi gra -tion und um Arbeits- und Berufsverständnismelden und meldeten sich Medienvertreter/-innen und politische EntscheidungsträgerInnengenauso zu Wort wie die Wohl fahrtsorganisa -tionen und die frauen- und migrationspolitischengagierten Nicht-Regierungs organisationen(NGOs).

Der in meinem Beitrag gewählte Bezug, umdie frauen- und migrationspolitischen Eingabenzu diskutierten, wird der Bundesweite Koordi -nie rungskreis gegen Frauenhandel und Gewaltan Frauen im Migrationsprozess (KOK) sein.1

In der Diskussion um das Prostitutionsgesetzund um die Neudefinition des Strafrechts zuMen schenhandel hat sich der KOK dafür einge-setzt, dass 1. Prostitution als Beruf wie jeder andere aner-

kannt werden soll.2 Diese Forderung gehtüber die Unterstützung von anti-diskrimi -nierenden Maßnahmen, wie sie das Prosti -tutionsgesetz vorsieht, hinaus.

2. sich die Strafbarkeit bei Menschenhandelausweiten soll auf die Ausbeutung von Ar -beits kraft in verschiedenen Tätigkeits fel dern.Diese Forderung entspricht den staatlichenVorstellungen zur Strafrechtsnovellierungbei Menschenhandel.

Feministische oder auch frauenpolitisch ori-entierte Positionierungen bezüglich Prostitutionwaren historisch betrachtet bislang meist miteiner kritischen, ablehnenden oder auch distan-zierten Haltung gegenüber dem Phänomen derProstitution verbunden. Diese Haltung war mitÜberlegungen hinsichtlich struktureller Benach -teiligungen von Frauen begründet. Prostitutiongalt als Ausdruck einer patriarchalen Praxis, dasRotlichtmilieu galt als Ort, an dem Frauen bei-spielhaft zum „Objekt“ männlicher Sexualität undmännlicher Dominanzansprüche reduziert wor-den sind.

In der praktizierten Frauenpolitik ließen sichgrob zwei Richtungen unterscheiden: Zum einen die Richtung, die pragmatisch undsanktionierend konkret gegen Prostitution vor-gehen will. Alles, was Prostitution fördern bzw.regulieren könnte, wird verneint. Diese Aus -richtung tendiert zu einem vollständigen Pros -titutionsverbot und ist auch dazu bereit, sich füreine Bestrafung der Freier einzusetzen.3 Das inder Bundesrepublik Deutsch land bestehendeProstitutionsgesetz wird von dieser Seite abge-lehnt, weil durch das Gesetz frauenfeindlicheStrukturen rechtlich verankert und weiter eta-bliert würden.

33

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

Die Politik von NGOs Prostitution als Beruf

1 Der KOK stellt das größte in der Bundesrepublik Deutschlandbestehende Netzwerk von NGOs im Arbeitsfeld gegen Frauen -handel und zu Prostitution dar. Die im KOK vernetzten NGOshaben sich nicht alle auf die gleiche inhaltliche Ausrichtungfest gelegt, manche NGOs haben sich auch nicht aktiv in dieDiskus sionen eingebracht.

2 Heute, November 2006, äußert sich der KOK nicht zur Frageder Anerkennung von Prostitution als Beruf. Der KOK begrüßtsehr, dass in Deutschland Prostitution weder sittenwidrig nochverboten ist. (siehe website: KOK-Potsdam.de)

3 Dieser politischen Orientierung folgt z.B. das Land Schweden,das im Januar 1999 das „Gesetz zum Verbot des käuflichenErwerbs sexueller Dienstleistungen“ in Kraft setzte.

Zum anderen zeigt sich in der Praxis eineeher liberale Ausrichtung, die trotz „Anti-Hal tung“gegenüber Prostitution die gesellschaftliche Re -alität des Sexgeschäftes akzeptiert. Zwar wirdProstitution auf der strukturellen Ebene grund -legend als patriarchales und als frauenfeind lichesPhänomen, als eine gegen Frauen etablierteGewalt- und Diskriminierungsstruktur, abgelehnt.Zugleich wird aber die subjektive Entscheidungvon Frauen, in der Prostitution tätig zu sein, ak -zeptiert. Diese Gruppe setzt sich – in Aner ken -nung dieser gesellschaftlichen Realität – gegenDiskriminierung, gegen Stigmatisierung undgegen Ausbeutung von Prostituierten ein undunterstützt aus diesen Gründen das Prostitu -tions gesetz.

Mit der neuen, von manchen NGOs, undauch Politiker/-innen, vorgebrachten Forderung,Prostitution als Beruf anzuerkennen, ist jedochdie frauenpolitisch begründete kritische Haltunggegenüber dem gesellschaftlichen Phänomender Prostitution verschwunden. Die Forderungnach der Etablierung von Prostitution als Berufwie jeden anderen impliziert mehr, als nur diegesellschaftliche Akzeptanz von Prostitution alsErwerbsarbeit mangels Einkommen schaffenderAlternativen.

Denn ‚Beruf’ bezeichnet den „… Kreis vonTätigkeiten mit zugehörigen Pflichten undRechten, den der Mensch im Rahmen der So -zial ordnung als Aufgabe ausfüllt und der ihm inder Regel zum Erwerb des Lebensunterhaltesdient … Bis zum 19. Jahrhundert herrschte eineidealistische Berufsauffassung vor, in der indus -triellen Gesellschaft setzte sich eine mehr funk-tionelle durch. Die ethische Seite im Be rufs be -

griff blieb erhalten; damit steht der Begriff imGegensatz zur zufälligen Erwerbstätigkeit (Job).“4

Nach Auskunft der Industrie- und Handels -kammer ist zu unterscheiden zwischen einerErwerbsarbeit oder einer Berufsbezeichnungeiner seits und dem Beruf andererseits. Wäh rendersteres ungeschützt angewandt und be nutztwerden kann, definiert der Beruf eine Erwerbs -arbeit mit festgelegter Ausbildungsordnung undstaatlicher Anerkennung (Diplom o.ä.).

Der Begriff des Berufes deutet also aufBerufs bild, auf berufliche Identifikation und aufBerufsausbildung hin. Eine Tätigkeit als Berufzu deklarieren, wertet diese Tätigkeit gesell-schaftlich auf. Von frauenpolitisch engagiertenGruppen verwendet, bedeutet die Forderung,Prostitution als Beruf anzuerkennen folglich,dass diese Erwerbsarbeit nicht mehr dem Inte -resse an Gleichwertigkeit, an Gleichstellung, anGewaltlosigkeit und an gesellschaftlicher Teil -habe von Frauen entgegensteht.

Die sichtbare Politik der NGOs zielt daraufab, Prostitution zu professionalisieren und zuqualifizieren. Die Arbeitsbedingungen im Milieusollen verbessert werden. Der Prostitution wirddie Rolle der „anderen“ Erwerbsarbeit abge-sprochen, sie ist sonstigen Tätigkeiten ähnlichoder gleich. Ihre, über diese Neutralisierung zuerreichende, gesellschaftliche Akzeptanz sollsich auswirken gegen die Stigmatisierung undgegen die Diskriminierung der in der Prostitu -tion erwerbstätigen Frauen. Damit scheint dasHaupthindernis überwunden zu werden, dasgegen eine Erwerbsarbeit von Frauen in derProstitution spricht. Unter diesen frauenpoliti-

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

34

4 dtv-Lexikon, 1992, Band 2, S. 220.

schen Ge sichts punkten könnte folglich dieAusübung von Prostitution auch eine attraktiveErwerbsarbeit sein.5

Unsichtbar geworden ist die feministischeKritik am Kauf von sexuellen Dienstleistungenund von Frauenkörpern generell. Frauen feind -liche Strukturen, die Prostitution bedingen undfrauenfeindliche Auswirkungen, die mit der Er -werbsarbeit in der Prostitution verknüpft sind,sind für manche NGOs nicht (mehr) existent.Empirisch belegte gesellschaftliche Realitäten,die sich auf die häufig schwierigen Biographienund die Lebensbedingungen von Frauen in derProstitution beziehen, bleiben unreflektiert undwerden ignoriert.

Demgegenüber belegen Berichte, dass • die Ausübung der Prostitution negative Aus -

wirkungen auf die psychische und physi-sche Gesundheit von Frauen hat;

• Prostituierte vielfach Gewalt im Rotlicht milieuerfahren;

• zahlreiche Frauen in der Prostitution in dereigenen Kindheit und Jugend Erfahrungenvon sexualisierter Gewalt machen mussten;

• Prostitution meist nur dann eine Erwerbs -alternative für Frauen darstellt, wenn es ananderen Einkommensmöglichkeiten fehlt.6

„Als ich nach Deutschland gekommen bin,

wurde ich empfangen. Hatte einen Tag zum Er -

holen. Ich wurde in den Puff gebracht, ich war

sehr geschockt, denn in Russland gab es keine

Sauna, in der Mädchen arbeiten. Alle Mädchen

waren nackt, ich habe gezittert, die ersten Tage

habe ich geweint. Zum Schluss habe ich Schul -

den gemacht. Mir wurde gesagt, dass ich für die

Papiere zahlen muss.“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die Gewalt in der Prostitution erlebt hat.)

„Die erste Zeit war sehr schwer. Ich habe

drei Monate gearbeitet. Und jede Nacht nach

der Arbeit habe ich geweint.“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die Gewalt in der Prostitution erlebt hat.)

35

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

5 In diesem Kontext ist es z.B. ein Politikum, dass das Bundes -ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Bro -schüre „Gute Geschäfte – Rechtliches ABC der Prostitution“(April 2004), herausgegeben vom Bundesverband SexuelleDienst leistungen e.V., finanziell unterstützte. Denn der Verbandwill Prostitution fördern, er steht u.a. für eine wirtschaftliche Ver -besserung der jeweiligen geschäftlichen Aktivitäten und für dieBeseitigung von jeglicher gesetzlicher Behinderung dieses Ge -werbes (agisra: Prostitution, Nr. 35 /03, S 22).

6 Siehe zu den verschiedenen Punkten z.B. Halvorsen, Ida:Harter Asphalt – Autobiographie, Oslo 1987; Domenica: Körpermit Seele – Mein Leben, München 1994; Integrative Drogenhilfe

e.V.: Hotline, (Zusammenstellung von gewalttätigen Übergrif-fen auf Pros ti tuierte im Frankfurter Rotlichtmilieu, laufendeAusgaben); Tanner, Sonja und Winter, Marlies: Es gibt uns! –Ein Gespräch von Be trof fenen kommerzieller sexueller Aus -beutung in der Schweiz, in; Bei träge zur feministischen Theorieund Praxis: Prostitution, 2001, Nr. 58 (S. 23 – 40); Moos, Lisa:Das erste Mal und immer wieder – Die autobiographische Schil -derung einer Prostituierten, Berlin, Juni 2005; Schauer, Cathrin:Kinder auf dem Strich – Bericht von der deutsch-tschechischenGrenze, Bad Honnef, 2003; Oppen heimer, Christa: Gewalt -erfahrungen und Gesundheits situation bei Prostituierten in:SozialExtra, September 2005, (S. 36 - 40).

Frauenpolitisch und migrationspolitisch en -gagierte NGOs sind aufgrund ihres Statuseinem kritischen, auf die gesamte Gesellschaftbezogenen Blick, insbesondere hinsichtlich derFrauen- und der Genderfrage, verpflichtet. For -dern nun diese engagierten NGOs, dass Prosti -tution ein Beruf wie jeder andere sein soll, danndefinieren sie den Wert, die Bedeutungen unddie Auswirkungen dieser Erwerbsarbeit aufFrauen neu. Die neue Definition impliziert, dasssich Frauen in der Prostitution selbst verwirk -lichen, sich beruflich qualifizieren, gesellschaft-liche Macht und Anerkennung erwerben können(sollen). Sie impliziert positive Auswirkungen aufdas konkret eingebundene weibliche Subjektsowie – mit Blick auf die Gesellschaft – auf dassoziale weibliche Geschlecht.

Die zweite wichtige, hier diskutierte recht -liche Veränderung bezieht sich auf die erweiter-te inhaltliche Ausgestaltung der strafrechtlichre levanten Menschenhandelsdefinition. Seit Feb -ruar 2005 definiert das bundesdeutsche Straf -gesetz Menschenhandel als Ausnutzung einerZwangs lage oder Hilflosigkeit, die mit einemAufenthalt in einem fremden Land verbundenist, mit dem Zweck:

• der sexuellen Ausbeutung und der Zwangs -prostitution (§232 StGB)

• der Ausbeutung der Arbeitskraft in den ver-schiedensten Arbeitsfeldern (§233 StGB).

Bislang bezog sich die Strafbarkeit bei Men -schenhandel ausschließlich auf Formen dersexu alisierten Gewalt und damit in der Praxisprimär auf Gewaltverhältnisse im Zusammen -hang mit Prostitution. In der praktischen Anwen -dung war dieser Straftatbestand damit ein Rechts -gut, das die Interessen von Frauen schützte.Weil in der gesellschaftlichen Realität in ersterLinie Frauen die Opfer von sexualisierter Ge -walt sind, wurden mit dem Strafrecht zu Men -schenhandel auch primär weibliche Opfer, dieOpfer von Frauenhandel, geschützt.

Das neue Strafrecht zu Menschenhandelfasst nur noch in einem Teilbereich den Schutzvor sexualisierter Gewalt. Die umfassende Aus -weitung der Strafbarkeit bezieht sich auf dieSanktionierung von ausbeuterischen Arbeitsver -hältnissen, ganz unabhängig vom jeweiligenTätig keitskontext. Praktisch umfasst damit dieneue Terminologie zu Menschenhandel den ge -samten informellen Arbeitsmarkt mit seinen ver-schiedenen Facetten an Ausbeutung, Abhängig -keit und Rechtlosigkeit. Die Kategorie sexuali-

Die erweiterte Menschenhandels- definition

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

36

sierte Gewalt, die das frauenspezifische im bis-herigen Strafrechtsbegriff zu Menschenhandelhervorhob, besteht als eine Kategorie nebenan deren. Möglicherweise besteht die Gefahr,dass der Schwerpunkt der Bekämpfung vonsexualisierter Gewalt mit dieser rechtlichenNeu zuordnung und auch Unterordnung unter-gehen wird.

In eine gemeinsame Richtung weisen dasPlädoyer für Prostitution als Beruf und die breite,von sexualisierter Gewalt unabhängige, Men -schen handelsdefinition. In beiden Fällen geht esum eine neue, eine veränderte Konstruktion vonsexuellem Handeln. Auch erfolgt eine Neu be -wertung von sexualisierter Gewalt. In den Neu -bewertungen finden frauenspezifische Aspektekeine besondere Betonung mehr, sie sind Teileiner allgemeinen Begrifflichkeit und werdendamit unsichtbar gemacht:

� Sexualisierte Gewalt ist nunmehr inerster Linie eine Form von Gewalt

� Käufliches sexuelles Handeln ist nun-mehr in erster Linie eineDienstleistungsform

37

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

Eine neue Bewertung gesellschaftlicher Realität

Die Kategorien „Geschlecht“ und „Täter-Opfer-Schema“ eignen sich gut für eine frauen-politisch orientierte Analyse dieser neuen Situa -tion .

Die Kategorie Geschlecht (Gender – das soziale Geschlecht)

Mit der geschlechtlichen Neutralisierungvon Prostitution wird die Tatsache negiert, dassprimär Männer die Nachfrage nach kommer -zieller Sexarbeit hervorrufen und primär Frauendiese Nachfrage befriedigen. Obgleich profes-sionell und hinsichtlich der Arbeitsbedingungenauf gutem Niveau tätige Prostituierte in der Inter-aktion mit dem Freier über eine eigene Ge -staltungsmacht verfügen und selbst ihr indivi -duelles Angebot bestimmen, sind es die Freier,die mittels ihrer Nachfrage und ihrer Zahlungs -be reit schaft über die Existenz und den Umfangdes Sexmarktes entscheiden sowie über Spiel -arten und Formen der angebotenen Dienstleis -tungen. Die Männer als Freier legen den Marktder Sexualität fest, sie definieren hiermit sexuel-les Handeln und wie und in welcher Form sexu -elle Bedürfnisse zu befriedigen sind. Die ge -schätzte tägliche Freierzahl von bundesweit rundeiner Million Männer zeigt, dass es sich hiernicht um ein vernachlässigbares Rand phäno menhandeln kann.

„Meinen Alltag gestalte ich selbst. So, wie

ich Lust habe. Ich habe keinen Chef. Ich mache

eigentlich alles, was die Kunden verlangen. Es

gibt Freier, die speziell Transsexuelle aussuchen

und dann biete ich ihnen Besonderes.“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die selbstbestimmt in der Prostitution tätig ist.)

Die männlichen Freier realisieren auf derGeschäftsebene sexuelle Bedürfnisse, komple-mentär oder nicht-komplementär zu sexuellemHandeln in der Partnerschaft oder Ehe (Bezie -hungs ebene). Als Exklusiv- oder als Zusatz pro -gramm setzen sie auf kommerziellen Sex, derauf Grundlage der Zahlungsfähigkeit und nichtauf Grundlage der Beziehung funktioniert.

Der Sexmarkt lässt sich nicht von den sexu-ellen und von den sozialen Beziehungen zwi-schen den Geschlechtern (Lebensge mein schaft,Partnerschaften, Ehen) trennen. Mit direkter Aus -wirkung auf die Beziehung ist er z.B. ein Feld,in dem mögliche Unzufriedenheiten aus der Be -ziehung kompensiert, in dem z.B. ungewöhn -liche sexuelle Praktiken, die innerhalb einer Be -ziehung unmöglich wären, praktiziert werdenkönnen. Männer, die in Liebesbeziehungen le -ben, und sich ohne Wissen der Partnerin derkommerziellen Sexindustrie bedienen, entziehensich einer ehrlichen Konfrontation und damitauch der Entwicklung einer gemeinsamen zu -friedenstellenden Sexualität.

Zwei Kategorien als Ansatz für eine Analyse

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

38

Der Prostitutionsmarkt steht zudem ganzgrundsätzlich in Beziehung zum Geschlechter -verhältnis. Denn bei den Männern, die Freiersind, wird das Klischee des zur Verfügung ste-henden Sexualobjektes „Frau“ gefördert, weilnahe zu jede Form der gewünschten sexuellenDienstleistung nach entsprechender Zahlungerfolgen kann.

Viele der frauenpolitisch engagierten NGOshaben sich stark für die inhaltliche Ausweitungdes Strafrechtsparagraphen zu Menschen handeleingesetzt. Nie berücksichtigt und be dachtwurde, dass mit der Ausweitung des Straf rechtsgegen Menschenhandel (durch Hinzufügen derStrafbarkeit bei Ausbeutung von Arbeitskraft)eine Ausweitung der Opfergruppen, vor allem mitAusrichtung auf männliche Personen, stattfindenwird. Für diese Opfergruppen stehen bislangkeine sozialen Ressourcen der Gesellschaftbereit.

Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass der Staatdie Rechtslage schafft, um strafbare Handlun -gen adäquat sanktionieren zu können. Aus die-ser Perspektive heraus ist es positiv, dass nunverstärkt extrem ausbeuterische Arbeits bedin -gungen und damit auch männliche Opfer insBlickfeld rücken können.

Das Problem liegt allerdings bei den insge-samt gleichbleibenden Ressourcen für die Be -reiche von Strafverfolgung und von Opfer schutz.Bislang hat es die Politik versäumt, zusätzlicheKapazitäten zur Umsetzung des neuen Geset -zes zur Verfügung zu stellen. Die Gefahr be -steht deshalb darin, dass sich das Engagementzugunsten der männlichen Opfergruppe (aus-beuterische Arbeitsverhältnisse) zum Nachteilder weiblichen Opfergruppe, bzw. zum Nachteilder Strafverfolgung von Straftaten gegen diesexuelle Selbstbestimmung, verschiebt, bzw. dassdie geringen Opferschutzmöglichkeiten bei denNGOs, die bislang den Opfern sexualisierterGewalt vorbehalten sind, und die unzurei chen -den Ermittlungskapazitäten bei der Polizei mitden neuen Opfergruppen zu teilen sind.7

Die Einbindung des informellen Arbeits -marktes in das Strafrecht zu Menschenhandelbirgt zudem ein weiteres schwerwiegendes Pro -blem. Es wird der Schwerpunkt auf eine straf-rechtlich betonte Bekämpfung von unrechtmäßi -gem Aufenthalt und irregulärer Erwerbsarbeitgelegt. Damit besteht möglicherweise auch ver-stärkt die Gefahr, wohlwollende Migrations ver -mitt ler/-innen, die Helfer/-innen der Migrant(en)-innen, zu kriminalisieren.

Die Favorisierung eines strafrechtlichenAnsatzes drängt zudem die Suche nach ande-ren politischen und rechtspolitischen Instru men -ten zur Lösung der Probleme in den Hinter -grund. Illegalisierte Menschen und der informelleArbeitsmarkt bilden jedoch bereits einen festenund integrierten Teil der wirtschaftlichen und so -zialen gesellschaftlichen Realität.

39

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

7 Die Unlösbarkeit dieser Problematik belegt die Praxis. Bisheute, November 2006, hat dieses Gesetzes keine, bzw. kaumeine praktische Relevanz.

Dennoch behandelt der deutsche Staat den in -formellen Arbeitsmarkt alleine als strafrecht lichesPro blem. Der Staat führt seine Politik der Ta bui -sierung fort. Die von Expert(en)innenkreisenlange ge forderte Einlösung der Menschen -rechte für „Illegalisierte“ bleibt weiter ungehört.Wichtig wäre es demgegenüber, die deutscheZuwan de rungspolitik einer kritischen Analysezu unterziehen und die Rechte der Betroffenenmit Blick auf die Menschenrechte zu stärken.8

Subjektiv Handelnde oder Opfer von struktureller Gewalt?Der neue Menschenhandelsbegriff impli-

ziert eine Ausweitung der Opferdefinition. Er fo -kussiert neben sexualisierter Gewalt die Ar beits-migration in Form des informellen und aus beu -terischen Arbeitsmarktes. Damit wird der Blickweggeführt von der Person, der Frau, der Mi -grantin, die als Subjekt und selbstverantwortlichHandelnde ihr Leben – im Rahmen der be ste -henden schlechten finanziellen, rechtlichen undsozialen Bedingungen – bewältigt. Die Be to nungliegt in der Bedeutung der strukturellen Ver -hältnisse. Die Migrantin als eigenverantwortlichhandelnde Person, wird mit ihrer Fähigkeit zurSelbstbestimmung verdeckt, die Wahrneh mungkonzentriert sich auf sie als Opfer ihrer vonäußeren Faktoren bestimmten Lebens situa tion.Demgegenüber hebt die Forderung, Pro sti tu -tion als Beruf anzuerkennen, die handelndeund mündige Person, das Subjekt, der eigen-verantwortlichen Sexarbeiterin hervor.

Während der erst genannte Aspekt durchdie starke Betonung struktureller Faktoren dieGefahr birgt, die Eigenverantwortung der Be -treffenden, sprich der Migrantin, auszublenden,besteht im Kontext des zweiten genannten As -pektes aufgrund einer weitgehenden Ausblen -dung struktureller Faktoren die Gefahr darin,dass die strukturell frauenfeindlichen Bedingun -gen im Zusammenhang mit dem Rotlichtmilieudem gesellschaftlichen Bewusstsein entgleiten.

Dies führt zu den Formeln:� Deutsche Frauen und Frauen, die sich

legal in Deutschland aufhalten und inder Prostitution tätig sind, arbeitenselbst bestimmt.

� Migranten bzw. Migrantinnen ohneAufenthaltsrecht arbeiten in den ver-schiedensten Bereichen der Erwerbs -arbeit – inklusive der Prostitution –fremd bestimmt.

Dass die NGOs auf dem Weg zu dieserPositionierung Vermittlungsprozesse eingesparthaben und dass Unterschiede in der politischenEinschätzung unzureichend aufgearbeitet wor-den sind, belegt beispielhaft das Positions papierder Arbeitsgruppe „Migrantinnen in der Prosti tu -tion“, das von vernetzten und organisierten Mi -gran tinnen in der Prostitution bzw. derenSpreche rinnen verfasst wurde. Die für das Posi -tionspapier verantwortlichen NGOs sind im KOKvernetzt und tragen durch diese Ver netzungimpli zit auch die oben genannten Polarisie run -gen und Fest legungen eines Opfer status beiMigrantinnen mit.

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

40

8 Vgl. hierzu z.B.: Manifest Illegale Zuwanderung, KatholischesForum Leben in der Illegalität, 2005; Evangelischer Regional -verband Frankfurt am Main und Diakonisches Werk in Hessen

und Nassau e.V. (Hrsg): Lebenslage „illegal“ – Menschen ohneAufenthaltsstatus in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main, 2006

Angeprangert wird in dem Positionspapiereinerseits die ausländerrechtliche Situation, diekeine (kaum eine) legale Möglichkeit für nichtEU-angehörige Migrantinnen in der Prostitutioneröffnet. Zum anderen wehren sich die Migran -tinnen gegen eine Viktimisierung und wollenselbstverantwortliches Handeln wahrgenommensehen. In dem Papier heißt es: „Es wird versucht, die Diskussion auf denFrauenhandel zu lenken. Dadurch wird die Dis -kussion um Migration, Prostitution und Menschen-handel undifferenziert vermischt. Dies liegt imInteresse der deutschen und europäischen Po -li zei- und Grenzbehörden, da so die Kontrollenund die Razzien legitimiert und die Abschie -bungen beschleunigt werden können. Hilfreichkönnen nur solche Strategien sein, in deren Zen -trum die Stärkung der Rechte der betroffenenFrauen als Arbeitsmigrantinnen und Prosti tu -ierte stehen.“ 9

In dem Papier wird die neue, ausgeweiteteDefinition zu Menschenhandel von der AGMigrantinnen kritisch hinterfragt, weil als Folgeder neuen Rechtslage repressive Maßnahmengegen „Illegalisierte“ eher zu legitimieren unddeshalb in erhöhtem Maße zu erwarten seien.Eine Bekämpfung von Ausbeutung findet nachAnsicht der AG Migrantinnen über die Stärkungder Rechte Betroffener, jedoch nicht über denAusbau von repressiven Maßnahmen, statt.

Wie lässt sich nun der dargestellte und ehersubtile Wertewandel bei den NGOs zu Prosti -tution und zu sexualisierter Gewalt, der zum Teilwenig ausdiskutiert und in seinen Konse quen -zen nur rudimentär durchdacht ist, erklären?

1. Das Prostitutionsgesetz mit seiner anti-dis-kriminierenden Intention entstand auf demHintergrund, dass die Mehrheit der inDeutsch land lebenden Bevölkerung keinensittenwidrigen Vorgang im Sexgeschäft (mehr)erkennt. Mit der Forderung von NGOs, ent-gegen den feministischen Positionen derPros titution einen Berufsstatus einzuräumen,wird verkannt, dass die kritische Haltung derFrauenbewegung zu Prostitution das Ge -schlechterverhältnis zum Fokus hat bzw.hatte und sich in seinem strukturellen An -satz nie auf moralische Aspekte, d.h. auf dieSittenwidrigkeit bezog.

2. Dies impliziert, dass feministische Theorienzu Prostitution, in denen es um geschlechts-spezifische Gewalt und um männliche Do -minanz im Geschlechterverhältnis geht, an -gesichts der neuen gesellschaftlichen Hal -tung zur Sittenwidrigkeit weder reflektiertnoch korrigiert worden sind. Folglich erset-zen tendenziell eher dogmatische und ideo-logieorientierte Inhalte die Aktualisierungund Weiter führung einer feministischen,einer den Frauenfragen und Fraueninte -ressen dienenden, Diskussion.

41

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

Mögliche Erklärungen für die neue Politik von NGOs

9 Positionspapier der AG Migrantinnen in der Sexarbeit (BanYing, high lights, Hydra, Madonna, Nitribitt, agisra, FiM, Amnesty

for Women, Mucolade, TAMPEP, Phoenix, Kassandra, HurenSelbsthilfegruppe, c /o Kassandra e.V.), Nürnberg, April 2003

„… war ich 21 Jahre, ich war verheiratet mit

einem Bankkaufmann, meine Ehe dauerte ein

halbes Jahr. Sie bestand aus Schlägen, ohne

Essen, ohne Trinken und einem versuchten

Mord. Und da habe ich eines Tages nachts mein

Kind geschnappt, bin raus und bin in der Breite -

gasse gelandet, in der erstbesten Kneipe, um

die Polizei zu rufen. Und da waren zwei Kolle -

ginnen, die haben das mitgekriegt … und seit-

dem bin ich da drin. Das ist natürlich nicht von

heute auf morgen gegangen. Ich habe da Freunde

kennen gelernt … Aber ich bin eigentlich selbst

in die Prostitution reingekommen. Ich habe mir

das selbst ausgesucht, ohne einen Druck, ein-

fach zum Überleben …“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die selbstbestimmt in der Prostitution tätig war.)

3. Die Umdeutung und der Wertewandel inden Reihen der frauen- und migrationspoli-tisch engagierten NGOs fand statt ohne aus-reichenden Austausch mit den sogenann tenBetroffenengruppen, den Frauen mit und ohneMigrationshintergrund, die in der Prostitu tionarbeiten. Nur so ist erklärbar, dass die For -de rung der NGOs für eine berufliche Gleich -stellung von Prostitution an den Vorstellungender meisten Frauen im Sexgewerbe vorbei-geht.10 Auch können nur fehlende Kom mu -ni kations- und Vermittlungsprozesse erklä-ren, dass migrationspolitisch aktive NGOsein Gesetz gegen Menschenhandel favori-sieren, das von Migrantinnen ohne Aufent -halts status und in ausbeuterischen Arbeits -ver hältnissen eher als mögliche Bedrohung,denn als Schutz wahrgenommen wird.

4. Der Wunsch nach Ausweitung des Straf -rechts zu Menschenhandel durch die NGOsist möglicherweise auch finanziell begründet.Die NGOs müssen ihre Arbeit breit legiti -mieren, um sie finanzieren zu können. DieNotwendigkeit einer Unterstützung der Opfervon Menschenhandel lässt sich öffentlichein facher begründen, als die Notwendigkeitder Unterstützung von illegal erwerbstätigenMigrantinnen. Da die Arbeit gegen Menschen-handel besser zu legitimieren und besser zufinanzieren ist, wird in der Außendarstellungder Organisationen das Klientel in seinerRolle als Verbrechensopfer betont. Faktischwerden damit aber auch die Unterschiede inden Lebensbedingungen und Lebens stra te -gien der Frauen eingeebnet. Die Realitätzeigt ein wesentlich vielfältigeres Bild.

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

42

10 Dies belegt z.B. die Ver.di Studie: Arbeitsplatz Prostitution, Dergesellschaftliche Wandel im Umgang mit Prostitution seit In-

kraft treten der neuen Gesetzgebung am 1.1.2002, von EmilijaMitrovic, 2003.

Auf die konkreten Tätigkeitsfelder bezogen,läßt sich frauenpolitisches Arbeiten auf zweiwesentliche Zielsetzungen konzentrieren, dieprak tisch miteinander verwoben sind:

a) Das Bemühen, die Situation von Frauen inbestehenden Verhältnissen kurz- bis mittel-fristig zu verbessern. Auf das Beitragsthemazugeschnitten führt dieses Verständnis zueiner Unterstützung von Frauen in der Pros -titution wie zu einer Unterstützung vonFrauen, die zu Opfern des Verbrechens Men -schenhandel geworden sind.

b) Das langfristige Ziel der Verwirklichungvon frauenfreundlichen Gesellschafts -struk turen ist die Realisierung einer Ge -schlechter ord nung, die von Gleichstellung,Gleichberech ti gung sowie Gleichwertigkeitgeprägt ist. Auf das Beitragsthema zuge-schnitten erfordert dies einen Arbeitsansatz,der über prak tische Hilfestellungen im Einzel-fall und die Durchführung von einzelnenUnter stüt zungs maßnahmen sowie über dieVerbesserung der Situation in den beste hen-den nachteiligen Verhältnissen für Frauenhinausgeht. Es geht hier um den Aufbau unddie Beibe hal tung eines übergeordneten, ei -nes weiter reichenden Arbeitsansatzes inder politischen Arbeit, der Lobbyarbeit, derÖffentlichkeitsarbeit und der wissenschaft -lichen Arbeit.

Fühlen sich NGOs dem zweiten Arbeits -prinzip (b) verpflichtet, dann sind kritische Aus -ein an dersetzungen mit männlicher Defini tions-und Gestaltungsmacht in der Gesellschaft zwin-gend.

Der Hintergrund und Kern der dargestelltenNeubewertung und Umdefinition liegt in einerveränderten Haltung zur Prostitution. Deshalbsollten aus frauenpolitischer Sicht kritische Fra -gen zu den Machtverhältnissen im Milieu sowiezur Käuflichkeit und Verkäuflichkeit von Sexu a -lität gestellt und sowohl empirisch erörtert, alsauch wissenschaftlich analysiert und politischdiskutiert werden:

1. Wer bestimmt den Markt der Prostitution,wer hat Macht und wer ist in der ohnmächti-gen Position?Frauenfreundliche Arbeitsbedingungen wür-den bedeuten, dass nicht Männer, sonderndie Dienst leistenden Frauen die Defini tions-macht über den Service hätten. Männerwürden dann zwar als Nachfrager den Marktnutzen, die spezifischen Angebote auf demSexmarkt würden aber von den Dienst leis -terinnen, den Frauen festgelegt. Die Neu -definition lautet: Nicht die Nachfrage, son-dern das Angebot bestimmt den Markt.11

2. Ist aus frauenpolitischer Sicht die Förderungder funktionalisierten Vermarktung von Sexu-alität – Trennung zwischen Körper lichkeit,Psyche, Libido und Emotion – ge wünscht?Wäre dies der Fall, dann würde dies bedeu-ten, dass die Art der Arbeit in der Prosti tu -tion umgedeutet wird. Sie wäre dann keineentfremdete Arbeit mehr, die körperfeindlichist, sich gegen die körperliche und seelischeIntegrität richtet. Es würde davon ausgegan-gen, dass es dem Menschen ohne Scha dengelingen kann, die körperliche von der psy-chisch/emotionalen Ebene abzuspalten,

43

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

Frauenpolitik und Frauenarbeit in der Praxis – neue Wege?

Prostitution als Beruf wie jeder andere? Kritische Fragen an die Frauenpolitik

11 Einen kritischen Beitrag hierzu liefert Maria del CarmenGonzalez Gamarra: „Prostitution – Die Grenzproblematik oderdas Problem mit der Prostitution ist die Nachfrage, d.h. die

männliche Identitätsbildung“ in: Beiträge zur feministischenTheorie und Praxis: Prostitution, 2001, Nr. 58 (S. 85-101)

und zwar auch im Geschäftskontakt mit zwei -stelligen Kundenzahlen täglich.

Die Zukunfts vision lautet hier: Die Trennung von Emotionalität und Sexualitätist ohne gesellschaftlichen und individuellenSchaden möglich und auch aus frauenpoliti-scher Sicht gewollt.

„Von wegen, du konntest nicht abschalten,

wenn du jetzt gerade einen Freier hattest und

dann nach Hause gehst und mit deinem Mann

schläfst. Da war nichts, woran ich denken konnte.

Der hat mich in den Arm genommen. Da war

kein Gedanke, oh Mann, du bist jetzt von dem

raus. Der Gedanke war mir nie da. Ihr denkt

immer, dass man das Sexuelle nicht trennen

kann. Das geht. Es ist einfach normal.“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die selbstbestimmt in der Prostitution tätig war.)

3. Liegt das frauenfeindliche im Prostitu tions -markt darin, dass meist die Frauen die Dienst-leisterinnen und die Männer die Nach fragersind? Dies würde bedeuten, dass die ver-stärkte Einbindung von Frauen als Kun din -nen von Prostitutionsdiensten eine Ba lancezwischen den Geschlechtern herstellenkönnte. Das einzige Problem bestünde ge -gen wärtig darin, dass den Frauen die fi nan -ziellen Mittel und die faktischen Ge legen-heiten fehlten, um Freierdienste in Anspruchnehmen zu können. Da noch ungeübt, sindsie möglicherweise noch moralisch ver-klemmt und im Ausleben ihrer Sexualität ge -hemmt.Die Neudefinition lautet hier: Frauenerlaubt Euch Kundinnen von sexuellenDienstleis tungen zu sein. Die Nachfrage vonkommerziellen sexuellen Dienstleistun genmacht nicht nur Männer sondern auch Euchfrei.

Wie auch immer diese Themen aufgegriffenwerden, wie sachlich, wie reflektiert, oder auchemotional gelenkt sie in die Diskussion einge-führt werden – in jedem Fall bleibt festzuhalten:

Es gibt eine wohl begründete und kritischeHaltung zu Prostitution, die sich auf dasGeschlechterverhältnis und die männlicheDefinitionsmacht bezieht. Eine solche kri -tische Haltung hat nichts zu tun mit der Bei -behaltung von Doppelmoral, mit dem Fest -halten an monogamen Beziehungs vor stel -lungen oder aber mit der Fortführung derHuren- und Heiligenversion.

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

44

Gesellschaftliche Realität ist zudem:Die große Mehrheit der Frauen in der Pros -titution kann sich nicht mit einem Berufs bildProstitution anfreunden:

1. weil sie Pro sti tu tion nicht als eine selbstbe-stimmte Möglich keit der Erwerbsarbeit er -lebt,

2. weil die Aus übung der Prostitution für sienur eine schlechte bzw. vorübergehendeAlter native der Erwerbsarbeit darstellt und

3. weil sie sich in ihrem Selbstbild nicht mitdem Be rufsbild einer Prostituierten identifi-zieren will.

Frauenpolitikerinnen und Feministinnen solltensich mit diesem Bruch auseinandersetzen, demBruch zwischen dem Dogma, der Wunsch vor -stellung und der gesellschaftlichen Realität.

„Also jetzt habe ich meine deutschsprachige

Kollegin gehört. Und ich bin schockiert. Also ich

denke, dass die deutschen Frauen die Moral

verloren haben. In Deutschland gibt es alles um

schön zu leben. Und ich denke, die deutschen

Frauen müssen es sich nicht erlauben sich

schmut zig zu machen. Die Frau kommt nach

Hause und küsst ihre Kinder … Ich verstehe es

nicht …“

(O-Ton aus der Tagungsdiskussion von einer Frau, die Gewalt in der Prostitution erlebt hat.)

45

Arbei ts- und Gewal tverhäl tn isse in der Prost i tu t ion

mit einer Mitarbeiterin der fürProstitution und Menschenhandelzuständigen Abteilung der Polizei inFrankfurt am Main, geführt von FIM e.V. im Februar 2005

FIM e.V.: Wir haben Sie eingeladen alsExpertin des Rotlichtmilieus in Frankfurt/M. Wie viele Jahre sind Sie in diesem Be -reich denn schon tätig? Wie hat sich dasMilieu in dieser Zeit verändert?

Seit 1992 bin ich in diesem Bereich tätig.Es hat sich insofern verändert, dass es heutemehr so genannte Saunaclubs gibt und wenigerBordelle mit Einzelzimmern. Diese Saunaclubssollen für den Kunden ein angenehmes Ambientebieten, wo sich mehrere Frauen im Schwimm -badbereich aufhalten und der Erstkontakt statt-findet. Dann wird sich in die angeschlossenenEtablissements zurückgezogen.

Als ich anfing, gab es in der Art nur dieses„Sudfass“, und das gibt’s jetzt auch nicht nur inFrankfurt sondern auch im Umland. Diese rie-sengroßen Dinger wie „FKK World“ oder „DieOase“, in denen bis zu hundert Frauen arbeiten,sind wie eine riesige Freizeitanlage aufgemacht.

Die Escortservicegeschichten haben auchsehr zugenommen, da wird mit einer Handy -nummer in einer Zeitung oder im Internet ge -worben, der Kunde ruft dort an und die Frauwird dann mit einem Auto direkt zu dem Freiergefahren.

Dann gibt es nach wie vor Terminwoh nun -gen, die so genannten „Hostessenwohnungen“.Das ist eine konstante Zahl, die sich auch nichtgroß verändert. Die Adressen sind bekannt, eswechselt höchstens mal der Betreiber oder dieTelefonnummer.

Von den Nationalitäten gab es früher mehrSüdamerikanerinnen und mehr Thailände rin nen,die gibt es zwar jetzt immer noch, aber der An -teil an den Mittelosteuropäerinnen hat deutlichzugenommen.

Bezieht sich das jetzt auf alle Arbeits -bereiche, oder findet man diese Gruppejetzt eher im Bordellbereich und im Escort -ser vice?

In den Bordellen hat man nach wie vor vieleSüdamerikanerinnen, Afrikanerinnen und Thai -län derinnen. Mittelosteuropäerinnen findet mandort eher nicht. In den Terminwohnungen gibtes seit Jahren viele Thailänderinnen. Aber auchviele Deutsche arbeiten dort. In diesen Sauna -clubs ist es bunt gemischt.

Das Verhältnis Deutsche – Nicht deutsche,hat sich da irgendetwas verändert?

Es war schon immer eine erheblich größereAnzahl Ausländerinnen. Vielleicht sind 70%Ausländerinnen zu 30% Deutschen realistisch.Wenn in einem Bordell 20 Zimmer sind, findetman da vielleicht zwei deutsche Frauen. In denTerminwohnungen hat man vielleicht eher malDeutsche.

?

?

?

Interview I

46

Ja, wir hatten früher auf dem Straßenstrichnoch so einen festen Stand von deutschenFrauen, aber das ist ziemlich eingeschlafen. Dievon damals sind jetzt schon so alt, dass sienicht mehr arbeiten können, mal ganz hart ge -sagt. Außer ein paar Hartgesottene. Für dieGröße von Frankfurt gibt es einen sehr kleinenStraßenstrich, andere Städte dieser Größen ord -nung haben da ein größeres Angebot. Ein paarwenige, 20 Frauen evtl., aber viele Junkie frauen.Wobei, wenn ich Straßenstrich sage, meine ichnur die Art der Prostitutionsausübung, die stehenaber nicht da, wo sie sollen, an dem legal aus-gewiesenen Bereich hinter der Messe. Die ste-hen alle in der Weserstraße und Niddastraße,also im Bahnhofsviertel, wo sie nicht sein sollen.In letzter Zeit haben wir dort auch vereinzeltRumäninnen und Bulgarinnen angetroffen.

Wenn Sie jetzt noch mal zurückblickenauf die 13 Jahre, hat sich da was vom Um -fang verändert? Von den Prostitutions an ge -boten?

Es ist weniger geworden, nachdem 2000und 2001 diese großen Razzien stattfanden.Damals wurden viele illegale Lateinamerikane -rinnen usw. gefunden. Davor war eigentlich einÜberangebot, sie haben teilweise für 20-30Mark gearbeitet. Das hat sich für die einzelneFrau auch gar nicht mehr gelohnt.

Wir hatten damals immer gesagt, zu Messe -zeiten sind es so 2500 Frauen in allen verschie-den Arbeitsbereichen (Escort service, Bordelle,

Hostessenwohnungen, Straßenstrich usw.).Aber ich denke, jetzt sind es ca. 2000 oder 1500Frauen. Also deutlich weniger. Aber das sindalles Hochschätzungen von den ge mietetenWohnungen, gemieteten Zimmern usw. Es gibtkeine richtigen Zahlen oder Regis trierungen.

Also es ist deutlich weniger gewordenseit den Razzien?

Ja, schon. Ein Grund der Razzien war auch,dass man den Betreiber belangen konnte we -gen Verstoß gegen das Ausländergesetz, wenner illegale Frauen bei sich im Bordell hatte unddamit hatte man eine Handhabe gegen die Be -treiber.

Gibt es Veränderungen in der Angebots -vielfalt der sexuellen Dienstleistungen?

Ja, es ist heftiger geworden. Während frühereine normale Prostituierte ganz normalen Ge -schlechtsverkehr angeboten hat und bestenfallsnoch Oralverkehr, gehört jetzt fast schon Anal -verkehr zum Standard und es gibt einen enor-men Anstieg von SM-Praktiken. Die Prak tikenentsprechen dem, wie die sexuelle Frei zügigkeitzugenommen hat. Man geht zur Pros ti tuiertenfür Analverkehr, wenn es das zu Hause nichtgibt.

?

?

?

Und das war auch früher und heute ähnlich?

?

47

Interv iew I

Dann kommt es natürlich auch auf die unter-schiedlichen Freier an, die dies oder jenes be -vorzugen. Diese Saunaclubs haben für Freiereinen bestimmten Reiz, er kann da hingehen undsich zwei Stunden in die Sauna setzen und sichdort die Frauen ansehen. Er muss nicht unbe-dingt mit einer aufs Zimmer. Man kann auch tat-sächlich in die Sauna und ins Schwimmbad ge -hen, es ist eher dieser Spaß- und Wellness faktor.

Sie haben jetzt auch gerade die Be zah -lung angesprochen mit 20-30 DM, hat sichda irgendwas geändert?

Ja, sie fangen jetzt schon an mit 30-40 Euroim Bordellbereich. In Terminwohnungen fängtdas mit 80 Euro die halbe Stunde an und 150Euro der Stundenservice. Auch im Escort servicesind es ca. 150 Euro. Das ist so der klassischePreis. Im Straßenstrich geht das mit 20 Eurolos. Und wenn so ein Junkiemädchen gut draufist, geht das sogar noch tiefer.

Wie hat sich das Alter der Frauen ver- ändert?

Das klassische Alter liegt zwischen 20-30Jahren, Tendenz Anfang 20. Beim Escort so ca.18-25 Jahre.

In den Bordellen und Terminwohnungen gibtes unheimlich viele ältere Frauen. Wenn man sodie Anzeigen anschaut, im Internet oder derZeitung, ist es keine kleine Zahl von Frauen, dieschon 50 Jahre sind. Gerade bei den Deut -schen, oder auch bei den Thais gibt es auchviele, die schon weit über 30 sind. Denen siehtman das Alter auch oft nicht an.

Ja, es ist auch gemischt. Es wird natürlichauch damit geworben, wenn man die Zeitungaufschlägt, dass es immer junge Frauen sind.Die werben mit Mitte 20 Jahren, auch wenn Sieweit über 30 Jahren sind. Bis auf ein paar, diesich spezialisiert haben auf „reife Frauen“. Esgibt einen Haufen ältere Frauen. Und das warauch früher so.

?

?

In terv iew I

48

Aber das ist dann auch gemischt??

Ja, da hat sich schon was getan. Als ichangefangen habe, gab es sehr oft diesen Klas -si ker, „unter falschen Versprechungen hier hergelockt worden zu sein“: Für einen Job in derHotelbranche oder Kindermädchen o.ä. Und dannhier angekommen, der Pass weggenommen undzur Prostitution gezwungen. Das liest man auchheute noch ganz gerne und oft in der Zeitung.

„Als ich drei Jahre alt war, habe ich meine

Mutter und meinen Vater verloren. Ich habe eine

Ausbildung gemacht, war verheiratet, habe drei

Kinder. Mein Mann war Alkoholiker. Er hat mich

geschlagen – meine Kinder auch. Ich hatte wirk-

lich keine Mutter – ich hatte keine Wahl. Ich

habe mein Haus verloren. Ich habe meinen Mann

verlassen mit den Kindern. Ich habe dann selbst

für den Ofen die Kohle geholt. Tagsüber waren

meine Kinder im Kindergarten. In der Zeit habe

ich die Treppenhäuser gewaschen. Später habe

ich auf dem Markt gearbeitet bei minus 30 Grad

Kälte. 30 Grad Kälte, es war egal. Meine Kinder

wollten essen. Ich musste andere Wege finden.

Also später habe ich ein Angebot bekommen, in

Deutschland zu arbeiten. Aber sie haben mir

nicht gesagt als was. Als Küchenhilfe oder als

Kindermädchen. Ich wurde von keinem empfan-

gen, ich musste einige Tage im Hotel übernach-

ten und später ist ein Mann gekommen und hat

gesagt, ich helfe dir. Ich konnte mir nicht vor-

stellen, dass ich eine solche Situation erlebe.

Ich wurde dann ins Hotel gebracht, ich war

schockiert.“

(O-Ton aus der Tagungsdokumentation von einer Frau, die Gewalt in der Prostitution erlebt hat.)

Das hat in der letzten Zeit eine viel ausge-klügeltere Form angenommen. Die Frauen wis-sen ganz genau, dass sie hier in der Prosti tu tionarbeiten sollen, aber werden über die Be -dingungen und den Umfang und das Geld, dassie zurückzahlen sollen, arglistig getäuscht.Aber die meisten kommen und sollen in derProstitution arbeiten. Manche erzählen noch beider ersten Vernehmung bei der Polizei die Ge -schichte, dass sie nichts gewusst hätte, um ein-fach einen Vorteil rauszuschlagen. Der Großteilder osteuropäischen Mädchen weiß ganz ge nau,wenn eine Arbeit in Deutschland angebotenwird, was das für eine Arbeit ist. Die wenigs tenwissen das nicht. Aber über die Bedingungenoder über irgendwelche Gelder fragen sie schein-bar auch gar nicht richtig nach. Also wenn mirjemand einen Job anbietet, frag ich doch da -nach. Aber ihnen langt es wohl schon, wenn dieSchleuser das Zauberwort „Europa“ sagen, und„du wirst viel Geld verdienen“.

49

Interv iew I

Gewalt in der Prostitution –Menschen handel

Wenn man noch mal den Blick auf Zwang,Ausbeutung, Zuhälterei, Kriminalität usw.wirft, gibt es hier neuere Tendenzen oderVeränderungen?

?

In terv iew I

50

Und andere Zwangsformen? Zuhälterei oder so?

?

Ja, das führt ja dann dazu, wenn sie hierlandet und merkt hoppla, ich darf das nicht undjenes nicht, ich bekomme nur 20 Euro von den150 Euro die der Freier gezahlt hat, ich habmeinen Pass nicht mehr, mir geht’s nur gutwenn ich mich 100% an bestimmte Regelnhalte, dann hat das mit Freiheit auch nichtsmehr zu tun.

Und das gab es aber früherauch in der Form?

Ja natürlich. Es hängt natürlich auch immervon der Täterperson ab, wenn sie der Frau ihrGeld gibt, wird Sie gut behandelt. Aber sie wirdbehandelt wie ein Zuchttier, das gut funktionie-ren muss, wird zum Arzt gefahren usw.

Oft ist es auch nur einfach die nicht ausge-sprochene, im Raum stehende Drohung. DieFrauen haben die Vorstellung, wenn ich das nichtmache, was er sagt, auch wenn ich weiß, wasdas für Typen sind, dann passiert irgendetwasSchlimmes. Das haben die Täter nicht ausge-sprochen und das können die Frauen auch nichtrichtig konkretisieren. „Der weiß doch, wo ichwohne, der weiß ja, dass ich ein Kind habeusw.“ Und wenn man nachfragt: Ja hat er malgedroht? „Nein hat er nicht.“ Das ist einfach soetwas, was im Raum steht. Sie sagen dann, dermuss ja nicht drohen, das weiß ich doch. Odersie sagen dann: „Ich musste mit ihm schlafen“;auf Nachfrage: Ja wolltest du das denn? „Nein,aber er ist doch der Chef!“ Da ist auch keinerleiGegenwehr da, es wird einfach so hingenommen.

Er ist der Chef, der darf das, und das hat manzu machen, und damit Schluss. Es ist auch nichtso, dass er sie durchs Zimmer prügelt und sie ver -gewaltigt. Er sagt zu ihr, zieh dich aus, und dannzieht sie sich aus. Da kommt einfach keiner aufdie Idee, dass man dem Chef widerspricht.

Also das heißt, dass die direkte körper- liche Gewalt gar nicht nötig ist?

Ja, also manchmal schon. Es kommt ein-fach darauf an. Bei der gleichen Gruppierungkann es Frauen geben, die ständig Ärger habenund das Mäuschen, das alles macht und sagt:„Die waren nett zu mir“. Es liegt immer an derPer sönlichkeit der Frau und an der des Täters,in welcher Form da was passiert.

Hat sich da auch was an dem Gewalt -potenzial verändert in der letzten Zeit?Gibt es mehr oder weniger Gewaltbereit -schaft? Sind die Geschichten härter?

Ich denke, dadurch, dass das so geschäfts-mäßig abläuft, hat sich das relativiert. Die of feneGewalt ist meiner Meinung nach fast wenigergeworden. Es läuft subtiler ab. Natürlich gibt esimmer wieder Fälle, bei denen es offene Gewaltgibt. Und dann gibt es natürlich auch noch dasPhänomen, dass die Frauen sich die ganze Si -tu ation schön reden.

Was heißt das genau?

Sie sagen: „Ja natürlich habe ich nur dasbisschen Geld bekommen, aber er hat michnicht geschlagen, er hat mich zum Arzt gefah-ren“. Gerade, wenn sie länger für diese Täter -

?

?

?

?

gruppe gearbeitet haben, reden sie sich die ei -gene Situation und ihre eigene Unfreiheit schön.Auch ihre tatsächliche Freizeit, sonntags undnachmittags zwei Stunden, reden sie sich schön.

Ich vergleiche das immer so ein bisschenmit dem Stockholmsyndrom. Ähnlich wie dieEntführungsopfer die Täter positiv reden. Dasist ja ein altbekanntes psychologisches Phä no -men. Wenn Leute länger in der Gewalt vonTätern sind, dass sie ihre kompletten eigenenSelbst wertgefühle fast vollständig ablegen undsich dann denken, der könnte mich ja töten,aber er tut es nicht, also ist er gut. Also bei die-ser Stockholmentführung (diese Flugzeugent -führung), da haben dann Opfer zum Teil dieTäter geheiratet. Und bei den Frauen hab’ ichauch so das Gefühl, wenn sie länger für dieTäter arbeiten, dass sie einfach abschalten, ihreeigenen Bedürfnisse und ihre eigenen Werte anPersönlichkeit zurückstecken und es sich aucheinfach zum Gewohnheitseffekt entwickelt.

Gibt es da Unterschiede in den Beobach -tungen zwischen ausländischen Frauenund deutschen Frauen?

Naja, das kann ich jetzt gar nicht so genausagen. Aber zum Beispiel die Thailänderinnenhaben natürlich heimatbedingt ein ganz anderesVerhaltensschema wie andere. Das ist schlechtzu beschreiben. Es sind Kleinigkeiten, die dannso in der Kultur verwurzelt sind. In unserer Kul -tur ist es ja zum Beispiel so, dass man einemBekannten einen Gefallen tut ohne gleich eineGegenleistung zu erwarten. Das ist völlig nor-mal. Wenn sie am Samstag einer Freundin beimUmzug helfen, dann lädt die Sie allenfalls zum

Essen ein, da käme nie jemand auf die Idee,eine Gegenleistung zu fordern. Aber es gibt vieleKulturkreise, in denen für alles eine Gegen leis -tung üblich ist. Und die empfinden es auch alsvöllig normal, wenn man jemandem dazu ver-hilft, einen Job zu bekommen, dass der danndafür was zu kriegen hat. Wo wir schon sagenwürden, der beutet dich aus.

Und da gibt es auch eine unheimliche Er -wartungshaltung im Heimatland. Die Familiesitzt dann z.B. in Thailand und weiß, die Tochterarbeitet in Deutschland, und die haben dann un -heimlich große Erwartungen, was sie heim zuschicken hat. Daran sind schon deutsch-thailän-dische Beziehungen kaputt gegangen, weil diethailändische Familie jeden Monat Geld erwar-tet. Und der deutsche Mann sagt dann, also ichlebe mit dir zusammen, du bekommst alles, wasdu brauchst, aber warum sollte ich deiner Mutter500 Euro monatlich schicken? Kein deutscherMann würde einer deutschen Schwiegermutter500 Euro monatlich schicken. Und da ist einfacheine ganz extreme Erwartungshaltung da. Undauch die osteuropäischen Frauen, die hier ar -beiten, ernähren ganze Familien zu Hause undmüssen schauen, was übrig bleibt.

Gibt es noch deutsche Prostituierte, dievom Zuhälter gezwungen und ausgebeu-tet werden?

Die gibt’s bestimmt noch. Aber die landenselten bei der Polizei. Meistens läuft es auf derBasis, dass sie eine neue Partnerschaft haben,und er dann rumheult, „ja ich habe gerade einenfinanziellen Engpass“ und sie dann für ihn an -schaffen geht.

?

?

51

Interv iew I

Oder es gibt z.B. so genannte Rocker gruppie-rungen, bei denen irgendwelche Rocker einfachein paar Mädchen haben, die für sie anschaffengehen. Das sind ein paar Frauen, die zu soeinem Typ aufschauen und ihn toll finden undmeinen, sie müssten das für ihn tun.

Könnten Sie die verschiedenen Formender Prostitution beschreiben und sich da -bei auf die Kriterien Gewalt, Freiwilligkeitund Selbstbestimmung konzentrieren?Wir haben ja auf der einen Seite das Pro -stitutions gesetz, d.h. legale Formen derProstitution, und auf der anderen Seitedas Strafgesetz gegen Men schenhandel,das sich in einem Bereich ex plizit auf se -xuelle Fremdbestimmung und auf er zwun-gene Prostitution bezieht.

Der Idealfall der Prostituierten ist einfach:„Ja, ich bin Prostituierte, weil ich schon immereine sein wollte, es ist einfach mein Gebiet, undich steh dazu, und hier habe ich meine Woh -nung, und da arbeite ich“. Und selbst Frauen, diesagen: „Ich mach das, und ich mach das freiwil-lig“, die tun den Teufel, sich zu outen. Da wirddann rum gedruckst und dann sagen sie: „Ja,aber das dürfen meine Eltern nicht erfahren“,auch und insbesondere bei deutschen Frauen.Auch wenn sie schon 35 ist. Die, die wirklichdazu stehen, die man auch mal im Fernsehen ineinem Interview sieht, sind ganz bestimmt nichtrepräsentativ.

Das weiß ich nicht, vielleicht 1% oder 0,5%.Es gibt ganz wenige, die sagen, ich mach diesenJob, und dazu stehe ich, und ich will auch nichtsanderes. Dass eine Frau nach außen hin auchwirklich dazu steht, kommt ganz selten vor. Oderdass sie auch sagt: „Ich bin Prostituierte, ich willRechte und ich habe Rechte“. Die meisten sindfroh, wenn sie in ihrem Bereich zurechtkommenund wollen mit feministischen Gedanken garnichts am Hut haben. Da kreisen die Gedankenum die unechten Fingernägel, den Friseur, dasGlitzertop und das Solarium.

Und die sind dann auch gar nicht so begei-stert, was man ihnen da jetzt Gutes tut, wennman die Prostitution als Beruf anerkennt. Siedenken sich dann, ach du liebe Güte, jetzt mussich schon so viel Geld abgeben und dann auchnoch Steuern zahlen oder wie?! Und da gibt esganz viele, die das nicht wollen. Sie hoffen dar-auf, dass sie nicht erwischt werden.

Es gibt ein paar bekannte Dominas, die sichim Fernsehen zeigen. Dann gibt es noch die, diees aus wirtschaftlichen Zwängen tun, die da vonträumen, irgendwann mal das berühmte Kos me -tikstudio zu eröffnen. Die Versuche, nicht mehrzu arbeiten, scheitern dann einfach an den äuße-ren Gegebenheiten, wenn z.B. kein Schulab -schluss da ist oder keine Berufsausbildung. Esist schwer voneinander abzugrenzen, macht ihrdas tatsächlich oder eingebildet freiwillig odermacht ihr das freiwillig, weil ihr meint, keineandere Chance zu haben? Das ist schon einerheblicher Prozentsatz. Es gibt auch Frauen,

?

In terv iew I

52

Und in welchem Prozentsatz gibt es diejenigen, die ganz offen dazu stehen?

?

die da raus wollen, aber es entweder nicht schaf-fen oder sich nicht trauen auszubrechen. Weiles keine Alternative gibt, oder kein Selbstwert -gefühl. Man kann es fast vergleichen mit einerFrau, die mit einem Mann zusammenlebt, mitdem sie eigentlich nicht glücklich ist, aber ausBequemlichkeit mit ihm zusammen bleibt. Esgibt einfach wenig Motivation für Veränderung,sie fragen sich, was soll ich denn sonst machen,und so schlecht ist es ja nicht. Im Büro könnteich nicht arbeiten, da müsste ich ja um 7 Uhraufstehen anstatt um 11. So ganz profane Dinge.Das hat mit Feminismus gar nichts zu tun.

Und wie groß würden Sie diesen Bereicheinschätzen?

Ich weiß es nicht. Das sind ja diejenigen, dienie bei der Polizei landen. Sie werden bei einerKontrolle nur kurz überprüft und nichts weiter.Manche sagen dann, „ach, ich mach das jetztnoch ein halbes Jahr, eigentlich wollte ich jairgendwas studieren“.

Meinen Sie, dass sie das sagen, um ihreTätigkeit Ihnen als Ordnungshüter gegen-über zu legitimieren?

Nein, das glaube ich nicht. Die Scham ge -schichte kommt erst, wenn es heißt, meine Elterndürfen es nicht wissen. Also haben sie nur Panik,wenn wir Personalien aufschreiben. Dann fragensie: Kommt das in irgendeine Datenbank, oderwird das irgendwie bekannt gemacht?

Bei den Südamerikanerinnen gibt es einige,die für sich beschlossen haben, ich fahr jetzt einJahr nach Deutschland, hoffe, dass ich nicht

erwischt werde, und mach das, und ich habe eszu Hause nie gemacht und werde es zu Hausenie machen. Sie packen das dann im Kopf ineine Schublade mit dem Motto „Augen zu unddurch“, die Dollarzeichen in den Augen und nachmir die Sintflut und dann wieder nach Hausegehen und von dem Geld leben. Aus einer wirt-schaftlichen Not heraus. Da ist jetzt die Frage,ist das freiwillig oder nicht. Oder ist es freiwillig,wenn ich irgendeinen anderen miesen Job mache,den ich nicht machen will. Das ist eine schwie -rige Frage. Die meisten stellen sich das auchnicht so schlimm vor. In den Köpfen spielt essich meistens so ab: „Naja gut, dann komm ichhierher und arbeite als Prostituierte“, und wennsie dann hier sind, merken sie erst, was es wirk-lich bedeutet, körperlich und seelisch, und mer-ken, sie können das nicht. Die eine rebelliert dannund versucht auszusteigen, die andere fängt dasSaufen an und versucht alles zu ertragen. Dassind dann ganz verschiedene Persönlichkeiten.Die eine sagt: „Ich kann’s gar nicht, ich hau ab“,und die andere hält es irgendwie aus.

Dann hängt es natürlich auch davon ab, inwelchem Kreis man sich aufhält, ob man über-haupt selber entscheiden kann: „Ja, ich willraus“. Vielen wird auch eingeredet, dass sieimmer über wacht werden, und es immer einengibt, der sie findet. Das sind Drohkreise, die daaufgebaut werden, die in den meisten Fällengar nicht stimmen, aber wenn die Frau dasglaubt, dass da eine riesige Organisation dahin-ter steht, dann spurt sie auch. Dann funktioniertdas Konzept natürlich. Wenn jemand droht, undich nehme die Drohung nicht ernst, dann funk-tioniert es na türlich nicht. Wenn sie einen Bank -überfall haben, und sie haben eine Bank ange -

?

?

53

Interv iew I

stellte, die sagt: „Hau ab mit deiner Plastik -spritze“, dann dreht der Bankräuber sich ent-täuscht um und geht. Aber wenn sie eineAngestellte haben, die das ernst nimmt, dannfunktioniert das.

Gab es das schon?

Ja, nicht nur einmal. Das ist wie beim Hand -taschenraub, die eine traut sich nicht mehr aufdie Straße nachts raus und ist völlig verängstigt.Die andere hat den Einkaufskorb auf den Diebdraufgeschlagen, sich ihre Handtasche wiederzurückgeholt und ihn angebrüllt, ob er denn spinnt.Die Drohung bzw. ihre Wirkung hängt einfachdavon ab, wie ernst es genommen wird, ob esein Opfer gibt!

Aber dann wäre jetzt die Gruppe, die dieDrohungen ernst nimmt, die Gruppe, diemehr in der Zwangsprostitution zu fin-den ist bzw. arbeitet. Oder?

Ja.

Wie groß würden Sie diesen Bereich ein-schätzen?

Das ist schwer zu sagen, weil selbst dieFrauen, die wir als Fälle bekommen, sind ja nurein kleiner Teil. So eine Drohung muss ja nichtimmer psychisch sein. Wenn ich weiß, ich habebei einem 6000 Euro Schulden, was zu Hausedrei Jahresgehältern entspricht, dann reicht dasja auch schon aus. Die Kolumbianerinnen habendie Schulden nicht hier, sondern zu Hause.

Es gab schon Fälle, da kamen die mit richti-

gen Verträgen hier an. Da stand dann drin, dassihnen jemand Geld geliehen hat, was aber nichtso war. Das waren richtige notarielle Verträgenach kolumbianischem Recht.

Gibt es eigentlich auch den Fall, dassFrauen niemanden dranhängen haben?

Gibt es wohl auch. Der harmloseste Fall istwohl, dass sie in einer ganz normalen Partner -schaft lebt, er ist der Hausmann und sie arbeitetund schafft das Geld ran, und die leben davon.Aber es gibt sicher auch welche, die ganz alleineleben und keinen Partner haben und über dasGeld bestimmen können.

Wie sind die Erfahrungen mit gewalt- tä tigen Freiern?

Also, es gibt bestimmt Übergriffe, aber obdie immer bei der Polizei landen, weiß man nicht.Was in dem Bereich noch funktioniert, ist dieVorstellung, dass, wenn der Freier sich nicht da -ran hält, dann kommt bestimmt der große Freundvon ihr und haut ordentlich drauf.

Was thematisieren die Frauen unterein-ander. Sie melden ja selten Gewalt bei derPolizei?

Ja, von sich aus sehr selten. Wenn mandann auch authentische Gespräche von Frauenuntereinander mitbekommt, dann geht es damehr so um Banales: Wann man wie Einkaufengeht, welche Kosmetikbehandlung und wie vieleFreier man hat und wie viel man verdient undüber bestimmte Stammfreier, da sieht man dann,was die bezahlen.

?

?

?

?

?

?

In terv iew I

54

Also, im Bereich Selbstbestimmung undFreiheit geht es darum, dass man versucht, beider Abrechnung zu bescheißen. Dass man ver-sucht, bestimmte Kunden zu verheimlichen unddem Zuhälter weniger abzuführen als er rekla-miert. Dass man versucht, irgendwelche Trink -gelder zu kriegen. Dass man versucht zu sagen,man hat weniger Kunden gehabt. Aber es gibtauch Escortservice, die haben eine ganz penibleBuchführung, da ist es für die Frau nicht mög-lich zu bescheißen. Aber in einem Club kann siesagen, sie hätte fünf gehabt, hatte aber siebenund behält das Geld dann ein.

Die Straße ist natürlich ganz schlecht, diesind extrem dem Freier ausgeliefert und bei je -der Kälte müssen sie draußen rumrennen. Esgibt Frauen, die nicht die ganze Zeit in der Saunaarbeiten wollen, weil sie dabei die ganze Zeitnackt sein müssen, sie wollen lieber in einer Woh-nung arbeiten. Es gibt Frauen, die lieber im Bor -dell arbeiten wollen, wo sie eine hohe Fluk tu a -tion von Freiern haben, aber es ist einfach eineschnelle Geschichte. In den Terminwohnungenist noch mehr das Verwöhnprogramm drumherum.

Und vom Einkommen her, gibt es Be -reiche, in denen man mehr oder wenigerverdient?

Wenn eine Frau in der Sauna arbeitet unddas gut draufhat, dann verdient sie da schonsehr viel gutes Geld. Und in einer Termin woh nungauch, wenn sie gut läuft und bekannt ist. Das istschon fast wie ein Saisongeschäft. Während derFußballweltmeisterschaft hatten sie alle Flaute,weil die Männer doch lieber Fuß ball schauenwollten.

Und bei dem Escortservice war es schonso, je mehr Kundentermine sie hatten, destomehr hatten sie verdient. Und da, wo die Frauenja gar nicht freiwillig der Prostitution nachgegan-gen sind, war die Strafe, dass sie gar keine Ter -mine vermittelt bekommen haben. Wodurch manvon seinem Schuldenberg nicht runterkommt.Wobei das ja einfach paradox ist. Eigentlich will

?

55

Interv iew I

Arbeitsbedingungen

Wenn man noch mal die Arbeitsplätzeanschaut, gibt es da welche, die bessersind als andere?

?Geht es dann auch um Fragen, wie kannich den Zuhälter abhängen oder die Be -reiche Selbstbestimmung und Frei heit?

?

sie ja gar nicht arbeiten, aber die Strafe ist,keine Termine vermittelt zu bekommen.

Was kann man so insgesamt verdienen?

10.000 Euro ungefähr, wenn sie recht gutausschaut. Netto. Es gibt natürlich auch welche,die noch nicht mal die Zimmermiete zustandebekommen und immer mehr Schulden machen.

Und in Bezug auf die Arbeitsverhält nisse,haben Sie da irgendwas mitbekommen?(Sozialversicherung, Finanzamt usw.)

Naja, nicht viel. Viele arbeiten und zahlennach wie vor keine Steuern. Manche kriegensogar Sozialhilfe und sind dann in reger Panik,wenn eine Kontrolle kommt. Bei einem Selbst -ständigen ist der Steuersatz ja ganz ordentlich,wenn so eine Frau in einer Terminwohnung ar -beitet und die läuft ganz gut, und sie hat 10.000Euro netto, dann sind es halt nur noch 5.000Euro, wenn sie Steuern bezahlt. Macht natürlichkeiner freiwillig. Und dass man da dann eineKran kenversicherung hat, reizt auch nicht, weilsie sagt, sie sei Hausfrau oder Studentin undhat sich darüber versichert. Die hatten dann pri-vate Krankenversicherungen und hatten bei derVersicherung gesagt, sie seien Kosmetikerin oderso ähnlich. Oder haben auf Risiko gelebt undden Arzt selber bezahlt. Bei den Termin woh nun -gen wird jetzt ein Gewerbe angemeldet. Durchdas Gesetz ist das jetzt möglich. Das Ord -nungs amt fordert bei Kontrollen vom Betreiber,dass das angemeldet wird.

Die Kontrollen gab es auch schon vorherdurch das Ordnungsamt, stichpunktartig ohneAnmeldung. Damals wurde halt immer quer ge -schossen, wenn der Wohnraum nicht richtig aus-genutzt wurde und viele Zimmer leer standen.Aber jetzt hat sich ja der Markt etwas rehabili-tiert, und von daher ist das jetzt schon ok. Frü hergab es dann so Schließungsverfügungen wegenWohnraumzweckentfremdung, und dann wurdeder Betreiber wieder gewechselt, und dann hatder neue Betreiber das Ämterspielchen weitergeführt. Und das spart man sich jetzt.

Noch was zu den Arbeitsverhältnissen: Beieinem Escortservice war es so, dass die Frauenzwar wussten, dass sie der Prostitution nachge-hen sollten und dass da Geschlechtsverkehr imSpiel war, aber eigentlich keinen Analverkehrmachen wollten. Von der Logistik war es aberso, dass dieser Escortservice Analverkehr an -geboten hat, auch in der Werbung und für denFreier war es so, dass der normale Service 150Euro gekostet hat und mit Analverkehr 180 Euro.Und man hat den Frauen von der Menschen -händlerseite her gesagt, dass sie keinen Anal -verkehr machen müssen, wenn sie nicht wollen,faktisch war es aber in den Annoncen so ange-boten, und die Prostituierte bekam dann proTermin 25 Euro, der Rest ging an die Organi -sation. Wenn der Freier Analverkehr gebuchthatte, hat er 30 Euro mehr gezahlt und es warso geregelt, dass die Frauen die 30 Euro behal-ten durften. Es war also ein enormer finanziellerAnreiz doch Analverkehr anzubieten. Für dieMenschenhändler war das natürlich praktischund hat sich gerechnet, weil ein Escortservice,

?

?

In terv iew I

56

Und das bedeutet??

bei dem die Frauen alle Analverkehr anbieten,gefragter ist. Frauen, die das eigentlich gar nichtmachen wollten, sind dann früher oder späterdarauf umgestiegen, weil es ein Weg war, dieangeblichen Schulden – nämlich 6000 Euro fürden Pass und 3000 Euro für die Vermittlung –schneller abzubezahlen. Eigentlich ein ganz sub-tiler Weg, die Frauen dazu zu bringen, dieseverhasste Praxis durchzuführen.

Es war eine gute Idee, das in die Welt zusetzen, aber die Frauen, die das betrifft, habenwenig Interesse daran.

Mit dem Prostitutionsgesetz ist ja auchdie Strafbarkeit der Förderung der Prosti -tution weggefallen. Gibt es da Auswir kungen?

Die Bordelle wurden ein bisschen renoviertund es wurde ein bisschen was fürs Ambientegemacht, was vorher mit unter die Förderungder Prostitution gefallen ist. Man hatte dem Be -treiber früher gesagt, alles was er über das reineZimmervermieten hinaus gemacht hat, ist För -de rung der Prostitution. Da durften dann auchkeine Kondome verkauft und keine Getränkeangeboten werden usw. Und das hat sich jetztgeändert.

Und mit Blick auf Verbrechens verfol gung?

Es hat sich für uns nicht so viel geändert.Wir haben sowieso auch als es das Gesetz„För derung der Prostitution“ noch gab nur ver-schwindend geringe Fälle gehabt, in denen maneinen Betreiber belangen wollte wegen Zusatz -leis tun gen, die er angeboten hat. Auch zu mei-nen frühen Zeiten gab es nur ganz wenig Ver ur -teilun gen. Die Betreiber von den Bordellen sindja in den meisten Fällen nicht diejenigen, die dieFrauen hierher bringen und ausbeuten.

?

?

57

Interv iew I

Prostitutionsgesetz – Ausblick

Welche Auswirkungen hat das Prostitu -tionsgesetz? Gibt es irgendwas, was Ihnenda aufgefallen ist am Verhalten der Frauenoder der Freier, in der Professionalität oderUnabhängigkeit?

?

Die machen natürlich einen riesen Reibach mitihnen und den Geldern, die sie als Zimmer mietenehmen. Gerade wegen der Raumausnutzunggibt es auch keinen Grund für Mietverbilligung.Aber die klassischen Menschenhandelsfälle dassind nicht die Betreiber von Bordellen. Daher istes nicht wirklich nachweisbar, also ist es erstmal kein Ermittlungsproblem.

Mit der neuen Fassung des Menschen han -dels paragraphen gibt es hier eine Besserung.Weil da diese Geschichten mit drin sind, die ichvorhin geschildert habe, diese subtile Sache,wo sie von Anfang an wusste, dass sie anschaf-fen gehen soll. Oft bekommt sie auch gesagt,wie viel sie abzugeben hat. Nun kommt beiMen schen handel dazu „Ausbeutung der Arbeits-kraft“. Auch die körperliche Ausbeutung, alsowenn jemand deutlich weniger verdient als einer,der aus dem legalen Bereich kommt, auch dasist erfasst. Es gibt Verurteilungsprobleme, weiles sehr oft so ist, dass nicht offen gedroht wirdund sie schon vorher gewusst hat, was sie dasoll. Für einen Richter ist es dann schwer, sicheine Organisation dahinter vorzustellen.

Wie viele Kontrollen finden statt?Machen Sie regelmäßig eine Art Bestands -aufnahme im Milieu?

Ja, zweimal die Woche.

Beim Prostitutionsgesetz ging es ja auchum die Verbesserung der Lebens situ ationund der Arbeitsbedingungen? Kann manauch nicht erhaltene Gelder von Kundeneinfordern?

Wenn sie erwischt werden, sind ungefähr80% aller Prostituierten wegen Steuerhinter zie -hung dran. Ansonsten wird bei den Freiern vor-her kassiert. Immer schon, seit es das Ge werbegibt. Das ist völlig selbstverständlich. Bei denEscortservices wird das Mädchen in ein Hotelgebracht und der Kunde legt das Geld auf denTisch. Dann ruft jemand an und sagt: „Hab dasGeld bekommen alles okay“. Es wird immer vor-her kassiert. Auch auf dem Straßenstrich wirdvorher kassiert. Ich kann mir höchstens vorstel-len, dass bei den ganz abgehobenen Nobelbor -dellen danach die Kreditkarte durchgezogen wird.Aber gezahlt wird vorher seit je her.

Die Streitigkeiten um die Bezahlung enden,wenn jemand nicht bezahlt, damit, dass sie aufeinen Knopf drückt. Dann kommt jemand miteinem Baseballschläger rein und dann hat sichdie Sache. Niemand kommt auf die Idee, denkomplizierten Weg zu wählen und das Geld ein-zuklagen.

Frauenpolitisch gedacht: Gibt es denn dieProstituierte, die selbstbestimmt undohne Ausbeutungs- und Abhängigkeits -verhältnisse ihre Dienstleistungen an-bieten kann, so wie sie will oder ist dasSystem eigentlich so akzeptiert?

Die Position ist eben die, das Beste darauszu machen, und die Gedankenwelt ist doch eheran den kleinen banalen Dingen des Lebens ori-entiert. Also, ich habe noch nie irgendeinen fe -mi nistischen Spruch bei einer Prostituierten ge -hört. Bestenfalls dass man eine herablassende,ablehnende Haltung den Freiern gegenüber hat.Dass der Freier jemand ist, den man ausnehmenkann.

?

?

?

In terv iew I

58

mit Sandra aus Ecuador, geführt von FIM e.V. im Oktober 2006

FIM e.V.: Seit wann arbeiten Sie in der Prostitution?

Seit 13 Jahren. Ich habe einige Zeit in Hollandund dann in Deutschland gearbeitet. Die meisteZeit habe ich auf der Straße gearbeitet.

In Frankfurt?

Nein, nie in Frankfurt, sondern in Darm stadt.

Ist die Arbeit okay für Sie?

Nein, auf der Arbeit hast du immer Pro -bleme, Probleme mit den Zuhältern, mit den Zu -hältern der anderen Frauen. Ich habe keinenZuhälter, ich arbeite nur für mich und meineFamilie.

Welche Probleme machen die anderenZuhälter?

Es gibt immer diese Rivalität, weil die einemehr als die andere verdient. Die Zuhälter sinddavon abhängig, dass ihre Frauen arbeiten undGeld ranschaffen. Ich bleibe immer meine 3 -4Stunden auf der Straße, nicht länger. Ich geheimmer so um neun Uhr abends raus bis 12 oderein Uhr nachts. Manchmal mache ich gar nichts,dann bleibe ich ein bisschen länger.

Manchmal läuft es gut, manchmal schlecht,dann mache ich 100, manchmal nur 50 Euro,manchmal auch 250, manchmal nur 30, es läuftnicht mehr so gut wie früher, da war es viel bes-ser. Manchmal mache ich drei, vier Tage fastgar nichts. Es gibt viele Männer, die wollen esohne Gummi machen, das mache ich nicht mit.Und du siehst dann, wie sie ein paar Meter wei-ter dann mit einer Junkie weggehen. Das sindFa milienväter und dann gehen sie zu ihrer Frauund den zwei Kindern nach Hause zurück.

Warum arbeiten Sie lieber auf der Straße?

Ich arbeite lieber auf der Straße, weil icherstens nicht diese Zimmermiete von 130 Europro Tag für ein Bordellzimmer zahlen will, undwenn du einen schlechten Tag hast und nichtsgroß einnimmst oder aber gerade soviel, dassdu das Zimmer oder die Vitrine bezahlen kannst,was soll das. Und deswegen bevorzuge ich dieStraße, was ich verdiene, ist für mich und wennich nichts verdiene, habe ich nichts verloren.

Wie viel bezahlen die Freier denn im Mo -ment in den Bordellen durchschnittlich?

Das kommt ganz auf die Frauen an. Einigemachen es für 10, 15 oder 20 Euro, aber norma-lerweise sind es 30 Euro. Auf der Straße auch.Klar, die Frauen, die Drogen nehmen, verlangenoft weniger.

?

?

?

?

?

?

59

Interview II

Wie viel verdienen Sie??

Natürlich habe ich Angst auf der Straße. Ein-mal haben mich sechs Männer vergewaltigt. Erstkam einer als Freier und ich stieg zu ihm insAuto, er brachte mich dann zu den anderen, siehaben mich brutal geschlagen und vergewaltigt.

Klar habe ich immer Angst. Ich bin immerwachsam, habe die Augen immer weit auf undumarme den Freier und tue so, als ob, aber inWirklichkeit taste ich ab, ob er eine Waffe trägt.Und wenn ich in ein Auto steige, schaue ich, obhinten nicht noch ein Mann versteckt liegt. Dieganze Zeit passe ich auf.

Ein anderes Mal haben sie mich angegriffenund sind auf mich losgegangen mit einem Mes -ser und haben mir alles geklaut was ich bei mirhatte.

Haben Sie das bei der Polizei angezeigt?

Nein, ich war ja illegal. Ich konnte nicht ein-fach zur Polizei gehen, dann hätten die michabgeschoben.

Und trotz alledem bleiben Sie weiter aufder Straße?

Ja, was soll ich machen, von irgendwasmuss ich leben, ich muss meine Wohnung be -zahlen, mein Essen und natürlich Geld zu mei-ner Familie nach Ecuador schicken.

Wie alles angefangen hat. Ich kam nach Eu -ropa mit dem Ziel, Geld zu verdienen und leiderwaren die Gesetze hier so, dass ich keine an -dere Möglichkeit für mich sah. Und es war allesnicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Manwird schon ganz schön getäuscht darüber, wiees hier wirklich ist, und das endet dann in derProstitution. Zuerst, weil man einfach in diesemfremden Land irgendwie überleben muss, mankennt nicht einmal die Sprache. Ich habe keinenanderen Ausweg gesehen, weil von irgendetwasmusste ich ja leben, ansonsten hätte ich auf derStraße oder in Parks schlafen müssen, was ichauch einige Male gemacht habe. Als ich in derProstitution angefangen hatte, hatte ich wenigs -tens ein bisschen Geld.

Hatten Sie noch Schulden von der Reise?

Na klar, wir kommen alle mit Schulden, wirverkaufen alles, was wir zu Hause haben. DieReise hat insgesamt 5000 Dollar gekostet. Essind dieselben Leute, denen du deinen Schmuckund alles andere verkaufst, die dir auch das Geldvorstrecken, es war eine Agentur. Danach musstdu die Schulden mit hohen Zinsen zu rück zah len.Eigentlich sollte man das Geld in zwei bis vierWochen zurückzahlen, schafft man das nicht,steigt es um 50 bis 100%. Dafür musst du hartarbeiten.

Als ich nach Europa kam, bin ich zuerst ineine Pension, die hat 50 DM gekostet. Und amselben Tag – ich kam nachmittags an – und soum sechs, nachdem ich geduscht hatte, kam

?

?

?

In terv iew I I

60

Haben Sie keine Angst auf der Straße?? Wie war es als Sie angefangen haben inder Prostitution?

?

eine Freundin und sie brachte mich zum An -schaffen auf die Straße. Am ersten Tag habe ichalso gleich angefangen zu arbeiten

War das die erste Erfahrung in der Prosti tution?

Klar, meine Beine zitterten, ich sprach keinWort Deutsch, ich wusste nicht, wie ich die Män-ner bedienen sollte. In dieser Zeit haben michdie Männer sehr ausgenutzt, weil ich noch keineAhnung hatte. Der Anfang war schrecklich.

In Ecuador habe ich nie als Prostituierte ge -arbeitet, ich hatte mein Restaurant, später habeich Keramik verkauft und hergestellt, aber hierin Deutschland habe ich keine anerkannte Aus -bildung.

Und wie sehen Sie heute die Prostitu -tions arbeit nach 13 Jahren?

Heute ist es nicht mehr so wie früher, amAnfang habe ich nur für meine Familie gearbeitet,damit sie ein besseres Leben leben kann, dannmusste ich die ganzen Schulden abbezahlen.Heute arbeite ich mehr für mich, aber die ökono-mische Situation ist sehr schlecht. Heute habendie Leute nicht mehr so viel Geld, manchmalmache ich am Tag nur 30 oder 70 Euro, manch-mal habe ich in der kompletten Woche nur 300-400 Euro. Und davon musst du alles bezahlen,deine Wohnung, Strom und Heizung, dann nochdie Familie zu Hause.

Ja, ich habe mich daran gewöhnt, man kriegteine Routine, wie in einer normalen Arbeit auch.

Gibt es mehr Gewalt in dieser Arbeit?

Ja, auf jeden Fall. Manchmal ist es dieselbePolizei, die einen misshandelt und insgesamt,auch wenn ich heute legal hier lebe, werde ichimmer wieder an den Rand der Gesellschaft ge -drängt. Die Polizei behauptet einfach, deine Pa -piere sind gefälscht, und sie nehmen dich mitund verhören dich ein paar Stunden auf derWache, einfach nur um dich fertig zu machen.Auch dürfen wir keine Waffen mit uns tragen,nicht mal eine Nagelfeile, denn dann heißt es,du willst die Männer angreifen. Die Männer, siesind deutsch, die dürfen das, aber wir sind hiernur Ausländerinnen, wir gelten nicht wie sie.

Oder zum Beispiel meine ganz persönlicheSituation, ich habe mein Geschlecht umwandelnlassen, mich operieren lassen. Jetzt bin ich eineFrau und sie reiten immer wieder auf meinerGe schichte herum, fragen: „Du warst doch einMann und jetzt bist du eine Frau?” Das ist eineBeleidigung für mich, sie verspotten mich undlachen über mich. Ich finde, wir haben genausoMenschenrechte, und das vor dem Hintergrund,dass wir hier eigentlich nicht in einem unterent-wickelten Land leben, hier können lesbischeund schwule Paare heiraten und ganz offen zu -sammen leben.

Es gibt eine Sache, die ist sehr klar, so klarwie das Wasser. Ich bin Prostituierte auf derStraße, es kommt ein Freier, der mich misshan-

?

?

?

61

Interv iew I I

Haben Sie sich an die Arbeit gewöhnt??

delt, mir Gewalt antut, mit mir macht, was er will,und wenn ich mich wehre, ist ganz klar, dass diePolizei auf Seiten des Freiers ist, es steht Aus -sage gegen Aussage, wenn der Freier zum Bei -spiel behauptet, ich hätte ihn ausrauben wollen,zählt sein Wort, das des deutschen Freiers mehr,wenn, dann nehmen sie dich mit. Wenn mankein Deutsch spricht, kann man sich auch nichtrichtig wehren. Als Prostituierte von der Straßezählst du gar nichts hier, die Leute sagen: „Achdie Hure da, was hat die schon zu sagen“, dubist nichts wert, du wirst behandelt wie ein Hund,wie eine Plage. Dabei riskieren wir zum Teilunser Leben mit dieser Arbeit auf der Straße.

Haben Sie mittlerweile nach 13 Jahren einSelbstbewusstsein als Prostituierte odermöchten Sie lieber verstecken, wo Sie ar -beiten?

Natürlich will ich verbergen, wo ich arbeite.Ich führe ein Doppelleben. Auf der Straße binich eine Prostituierte, halbnackt, total ge schminkt,mit hochhackigen Schuhen, und am Tag bin ichangezogen wie eine feine Dame. Ich schämemich für die Arbeit. Ich mache es, weil ich Geldbrauche.

Kennen Sie das Prostitutionsgesetz, wenn ja, wie finden Sie es?

Nein, ich will mehr darüber erfahren, wassind die Vor- und Nachteile für uns, das würdemich schon interessieren. Eine Sache ist dasGesetz und die andere ist die Gesellschaft. Dieist total marode und fau lig, korrupt und verloren.Ein Mann mit wenig Geld bezahlt dir nicht denPreis, den du verlangst, nämlich 50 Euro, aber

ein Mann mit einem dicken Auto, Porsche oderso, ein eleganter Typ be zahlt dir zwar das ver-langte Geld, aber er verlangt viel mehr Sachendafür, perverse Sachen, es gibt einfach so vielPerversionen und Schweine reien, die die Leuteverlangen, und ich muss es machen, weil sie esbezahlen, und weil ich das Geld brauche. Manch-mal kommen sie als Paar zu mir, dann soll ichmit ihr vor ihm und er onaniert in der Zeit. Siehaben zwei Gesichter.

Was denken Sie über Frauenhandel?

Ja, das ist ein sehr trauriges Thema. Es gibtleider sehr viele, die diese einfachen Frauen vomLand auf die Art und Weise übel ausnutzen. Ausder Stadt kommen die meistens nicht, die sindbesser informiert. Sie holen sich die Frauen vomLand, die keine Ahnung haben und versprechenihnen tolle Arbeitsmöglichkeiten, z.B. als Haus -hälterin oder einen alten Menschen pflegen.Dann sprechen sie mit den Familien, dass siejunge hübsche Frauen für einen Job in Europasuchen und die Familien sind einverstanden unddie Leute fallen drauf rein.

Ich kenne einige, die auf so was reingefallensind und sich dann hier prostituieren mussten,manche versuchen zu fliehen. Eine zum Beispielhat sich in Spanien aus dem fünften Stock ge -stürzt, weil sie das alles nicht mehr ausgehaltenhat. Sie ist dabei gestorben. In Spanien gibt esnoch viel mehr, die davon betroffen sind, inDeutsch land auch, aber die sind versteckt.Einige deutsche Männer reisen zum Beispielnach Südamerika und suchen sich dort eine jungehübsche attraktive Frau und spielen ihr die große

?

?

?

In terv iew I I

62

Liebe vor, und dass sie sie heiraten wollen.Dann schicken sie die Einladung, dass sie nachDeutschland kommen kann, sie schicken danndas Ticket nach Kolumbien, Ecuador oder Thai -land oder sonst wohin, und dann holen sie sieam Flughafen ab, alles ganz legal. Und dann,wenn die Frau hier ist, schicken sie sie zumArbeiten in die Prostitution. Manche heiraten dieFrauen dann nie, obwohl das so abgesprochenwar, oder aber sie heiraten sie und verlangenviel Geld dafür. Dann haben sie die Frauen inder Hand.

Was müsste sich insgesamt verändern?

Es müsste eine grundlegendere Forschungangestellt werden, sowohl über die Frauen alsauch über die Männer. Im Moment gibt es immermehr russische und polnische Frauen, zum Teilsehr junge, und sie haben fast alle Zuhälter, dasmüsste einfach aufhören, mich macht das allesärgerlich. Wenn du dich einmischst, dann fährstdu ein hohes Risiko, dass sie dir was antun.

Ich kann eigentlich insgesamt nichts Gutesan der Prostitution finden, aber ich muss irgend-was arbeiten, und was anderes finde ich nicht.Aber natürlich kommt es sehr auf die Be din -gungen an. Davon hängt ab, was noch okay istund was nicht mehr. Ich habe zum Beispiel malin Düsseldorf in einem Bordell gearbeitet, undda habe ich 130 Euro Zimmermiete bezahlt, unddarüber hinaus hat noch alles extra gekostet.Sie konnten dir alles aus der Tasche ziehen,z.B. für Strom, Heizung haben sie im Monatnoch mal 80 bis 100 Euro berechnet und wenndu nicht bezahlst, schlagen sie dich oder werfendich einfach raus, und schlimmstenfalls nehmensie dir noch allen Schmuck ab.

?

63

Interv iew I I

Fachtagung für Vertreterinnen von NGOs,frauenpolitisch interessierte Politikerinnen,Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen undBehördenvertreterinnen

vom 9. - 10. Dezember 2003, Tagungs-Nr. 032310in der Evangelischen Akademie Arnoldshain,Martin-Niemöller-Haus

Seit vielen Jahren kämpfen NGOs gegenFrauenhandel und Sextourismus. Implizit und ex -plizit schloss dies eine grundsätzliche Kritik ander Prostitution ein, die als Ausdruck einer patri-archalen Praxis galt, Frauen zum Objekt „männ-licher Sexualität“ zu machen. Nicht zu letzt auf-grund der Aktivitäten der Prostituierten gruppenkonnte eine größere gesellschaftliche Akzep -tanz für Prostituierte entstehen, die sich u.a. inihrer verbesserten rechtlichen Stellung ausdrückt.Zugleich fand eine Neudefinition von Frauen -handel statt.

Für viele NGOs und politisch Verant wort licheist Frauenhandel /Menschenhandel bereits danngegeben, wenn Zwänge und Gewalt in Form vonFremdbestimmung, Ausbeutung und Abhängig -keit nicht nur in der Prostitution, sondern auchin anderen Arbeitsverhältnissen oder in der Ehe,bestehen. Eine dementsprechende Gesetzes -ände rung der Menschenhandelsparagraphen desStrafgesetzbuches ist vorgesehen. Das Krit e -rium der „sexualisierten Gewalt“ wird dann – imGegensatz zum heute gültigen Straftatbestand –als zentrales Merkmal nicht mehr vorhanden sein.

Die Tagung soll Initiativen und Projektenaus diesem Feld die Möglichkeit zur Selbst -reflexion und zum Austausch über die Ent wick -lungen angesichts veränderter politischer Kon -stellationen geben. Welche Chancen und Risi ken bieten diese?Welche neuen Herausforde rungen stellen sichfür Fraueninitiativen? Welche politischen Ziele gilt es zu benennen undzu verfolgen?

ANHANG: Ein ladung Fachtagung

64

Die Konstruktion von Prostitution und von Frauenhandelin der Praxis der NGOs

- Elvira Niesner, FiM e.V. (Frauenrecht ist Menschenrecht)

- Prof. Dr. Silvia Kontos, FH Wiesbaden und GFFZ

(Gemeinsames Frauenforschungszentrum der

Hessischen Fachhochschulen)

- Dr. Britta Schmitt, Zentrum Ökumene der EKHN

(Evangelische Kirche in Hessen und Nassau)

- Dr. Annette Mehlhorn, Evangelische Akademie Arnoldshain

Die Tagung wird gefördert aus Mitteln des Frauenforschungszentrumsder Hessischen Fachhochschulen.

Im Anschluss an die Tagung wird mit finanzieller Unterstützung des Frauen -referates der Stadt Frankfurt am Main eine Dokumentation erstellt.

Der Verlauf der Tagung wird von einerfachfremden Teilnehmerin begleitet, die am Ende der Tagung ihre Beobachtungreferiert.

65

ANHANG: Ein ladung Fachtagung

Es laden ein:

10.30 Begrüßung und Vorstellung

11.00 Prostitution zwischen gesell-schaftlicher Normalisierung und feministischer KritikSilvia Kontos, Fachhochschule Wiesbaden

12.30 Mittagessen

14.00 Kaffee und Tee im Foyer

14.30 Deutsche und nicht-deutsche Frauen berichten aus ihren Erfahrungen

• in der Zwangsprostitution• in der selbstbestimmten Prostitution

16.00 Arbeitsgruppen

17.00 Plenum

18.30 Abendessen

19.30 Abendprogramm

Videofilme zur Auswahl:

• Die polnische Braut Niederlande 1998, Regie: Karim Traidia

• Pretty Women USA 1989, Regie: Garry Marshall

• Intergirl UdSSR/Schweden 1989,

Regie: Pjotr Todorowski

8.15 Andacht in der Kapelle der Akademie

9.30 Frühstück

9.30 NGO-Positionen zur Diskussion

• Prostitution als BerufStefanie Klee,

Bundesverband sexuelle Dienstleistungen,

1986 bis 1993 Hydra e.V., Berlin

• Hausangestellte bei Diplomaten als mögliche Opfer von MenschenhandelNivedita Prasad, Ban Ying e.V., Berlin

• Frauenpolitisch engagiert, oder?

Kritik am Umgang mit Prostitution undMenschenhandelElvira Niesner, FiM e.V., Frankfurt am Main

11.30 Arbeitsgruppen

12.30 Mittagessen

13.30 Kaffee und Tee im Foyer

14.00 Konsequenzen für die Praxis der NGOs

Berichte aus den Arbeitsgruppen

Abschlussplenum mit Auswertungunter Einbeziehung der Ergebnisseder Tagungsbeobachterin

16.00 Tagungsende

Dienstag, 09. Dezember 2003 Mittwoch, 10. Dezember 2003

ANHANG: Ein ladung Fachtagung

66

Tagungskosten: Unterkunft und Verpflegung• im Einzelzimmer € 68,00• im Doppelzimmer € 60,00

FiM e.V. beantragt Mittel zur Finanzierungder Reise- und Unterbringungskosten fürdie Teilnehmerinnen aus Kreisen der NGO

Anmeldung:Schriftliche Anmeldung zur Teilnahme andie Evangelische Akademie Arnoldshainerbeten.

Teilnahmebestätigung: Die Teilnahme wird ca. 14 Tage vorVeranstaltungsbeginn bestätigt.

Regress:Geht Ihre Abmeldung später als 10 Tagevor Beginn der Veranstaltung ein, fallen 20% des Tagungspreises an. Bei Nichtteilnahme ohne fristgerechteAbmeldung ist der volle Tagungspreis zu entrichten.

Tagungsort:Evangelische Akademie ArnoldshainMartin-Niemöller-Haus61389 Schmitten

Tagungssekretariat – Anmeldung:Jutta BletzTel: 06084 944 - 143Fax: 06084 944 - 138E-Mail: [email protected]

Erreichbarkeit während der Veranstaltung:Tel.: 06084 944 - 0Fax: 06084 944 - 194E-Mail: [email protected]

Anreise:Ab Frankfurt/Main-Hbf. (RMV Fahr karten -automatziel: 52-Schmitten) mit der S-Bahn (S5) in Richtung Friedrichsdorf um8.09 Uhr (Haltestelle S-Bahnhof Oberurselan 8.26 Uhr). Von dort Anschluss nachOberursel-Hohemark mit der U-Bahn (U3)um 8.30 Uhr (Haltestelle Hohemark an um8.42 Uhr). Anschluss nach Arnoldshain mitdem Bus Linie 503 um 8.45 Uhr inRichtung Rod an der Weil (bis HaltestelleArnoldshain Forsthaus, Ankunft 9.19 Uhr).

Abreise:Mit dem Bus Linie 505 um 16.26 Uhr inRichtung Bad Homburg. Ankunft in BadHomburg um 17.06 Uhr. Weiterfahrt mit derS-Bahn (S 5) um 17.15 Uhr nachFrankfurt /M.-Hbf., Ankunft 17.37 Uhr.

Fahrplanänderungen vorbehalten!

67

ANHANG: Ein ladung Fachtagung