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Die dislozierte Olekranonfraktur bein- haltet eine Unterbrechung der Trizeps- sehnenfunktion und damit einen Ver- lust der aktiven Streckfunktion im Ell- bogengelenk. Aus diesem Grund zählt die Olekranonfraktur zu den Frakturen, bei denen bei deutlicher Dislokation eine absolute Operationsindikation be- steht. Ätiopathogenese Die Verletzungen entstehen meist durch ein direktes Trauma, seltener durch einen Hyperextensionsmechanismus. Bei den Patienten im eigenen Kran- kengut wurde bei den typischen B1- Frakturen regelhaft der Sturz als Ursa- che angegeben. Bei den Olekranonfrakturen handelt es sich am häufigsten um intraartikulä- re Frakturen, die einfache quere Frak- tur findet sich am tiefsten Punkt der Fossa olecrani (Abb. 1). Die Fraktur ist Folge eines plötzlichen Zugs des M. triceps und des M. brachialis oder eines direkten Traumas, dann meist verbun- den mit einer Trümmerzone und einer Impression im Bereich der Gelenk- fläche (Abb. 2). Schrägfrakturen sind Ursache eines Hyperextensionstraumas des Ellbo- gens. Meist beginnt die Fraktur in der Mitte der Notch und verläuft nach di- stal (Abb. 3). Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S57–S60 © Springer-Verlag 2000 Proximale Ulna- und Olekranonfraktur Chancen und Gefahren der Osteosynthese A. Wentzensen Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Ludwigshafen Prof. Dr. A. Wentzensen, Berufsgenossenschaft- liche Unfallklinik Ludwigshafen, Ludwig-Gutt- mann-Straße 13, D-67071 Ludwigshafen Tel.: 0621-68102310, Fax: 0621-682986 S57 Zusammenfassung Pathogenese, Diagnostik, Thera- pie und Prognose von Ulna- und Olekranonfrakturen werden be- schrieben. Dabei zeigt sich, daß die Chancen und Gefahren bei Osteosynthesen der proximalen Ulna und des Olekranons wesent- lich von den Begleitverletzungen beeinflußt werden, deren Diagnose und adäquate Behandlung demzu- folge für das Outcome entschei- dende Bedeutung besitzt. Schlüsselwörter Proximale Ulnafraktur · Olekra- nonfraktur · Osteosynthese · Pro- gnose ELLBOGENVERLETZUNG Abb. 1. Einfache quere Olekranonfraktur Abb. 2. Fraktur mit Trümmerzone und Impres- sion Abb. 3. Typische Schrägfraktur Abb. 4. Trümmerfraktur mit Beteiligung des Proc. coronoideus 4 3 2 1

Proximale Ulna- und Olekranonfraktur

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Page 1: Proximale Ulna- und Olekranonfraktur

Die dislozierte Olekranonfraktur bein-haltet eine Unterbrechung der Trizeps-sehnenfunktion und damit einen Ver-lust der aktiven Streckfunktion im Ell-bogengelenk. Aus diesem Grund zähltdie Olekranonfraktur zu den Frakturen,bei denen bei deutlicher Dislokationeine absolute Operationsindikation be-steht.

Ätiopathogenese

Die Verletzungen entstehen meist durchein direktes Trauma, seltener durch einen Hyperextensionsmechanismus.Bei den Patienten im eigenen Kran-kengut wurde bei den typischen B1-Frakturen regelhaft der Sturz als Ursa-che angegeben.

Bei den Olekranonfrakturen handeltes sich am häufigsten um intraartikulä-re Frakturen, die einfache quere Frak-tur findet sich am tiefsten Punkt derFossa olecrani (Abb.1). Die Fraktur istFolge eines plötzlichen Zugs des M.triceps und des M. brachialis oder einesdirekten Traumas, dann meist verbun-den mit einer Trümmerzone und einerImpression im Bereich der Gelenk-fläche (Abb.2).

Schrägfrakturen sind Ursache einesHyperextensionstraumas des Ellbo-gens. Meist beginnt die Fraktur in derMitte der Notch und verläuft nach di-stal (Abb.3).

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S57–S60 © Springer-Verlag 2000

Proximale Ulna- und OlekranonfrakturChancen und Gefahren der Osteosynthese

A. WentzensenBerufsgenossenschaftliche Unfallklinik Ludwigshafen

Prof. Dr. A. Wentzensen, Berufsgenossenschaft-liche Unfallklinik Ludwigshafen, Ludwig-Gutt-mann-Straße 13, D-67071 LudwigshafenTel.: 0621-68102310, Fax: 0621-682986

S57

Zusammenfassung

Pathogenese, Diagnostik, Thera-pie und Prognose von Ulna- undOlekranonfrakturen werden be-schrieben. Dabei zeigt sich, daßdie Chancen und Gefahren beiOsteosynthesen der proximalenUlna und des Olekranons wesent-lich von den Begleitverletzungenbeeinflußt werden, deren Diagnoseund adäquate Behandlung demzu-folge für das Outcome entschei-dende Bedeutung besitzt.

Schlüsselwörter

Proximale Ulnafraktur · Olekra-nonfraktur · Osteosynthese · Pro-gnose

ELLBOGENVERLETZUNG

Abb.1. Einfache quere Olekranonfraktur

Abb.2. Fraktur mit Trümmerzone und Impres-sion

Abb.3. Typische Schrägfraktur

Abb. 4. Trümmerfraktur mit Beteiligung desProc. coronoideus

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1

Page 2: Proximale Ulna- und Olekranonfraktur

Trümmerfrakturen sind Folge einesdirekten Hochenergietraumas. Hierzugehören auch die für die Gelenkstabi-

lität wichtigen Beteiligungen des Proc.coronoideus. Kleine Absprengungensind hierbei unwichtig, große Frag-mente hingegen sind Teile der arti-kulären Gelenkfläche, werden sie ver-nachlässigt, entsteht eine Instabilität inStreckstellung (Abb.4).

Extraartikuläre Frakturen führenebenfalls zum aktiven Streckverlust.

Besonderer Beachtung bedürfen dieBeteiligung des

– Proc. coronoideus (Stabilität inStreckstellung) sowie die

– distale Ausdehnung der Fraktur (In-stabilität in Bezug auf Varus-undValguskräfte) und die

– Fraktur oder Dislokation des Radi-usköpfchens

Klassifikation

Die AO-Klassifikation unterteilt in ex-tra- und intraartikuläre Frakturen undin die anteilige Betroffenheit der bei-den Unterarmknochen (Abb. 5). DieKlassifikation nach Schatzker hebt aufdie Anforderungen einer internen Fixa-tion bei unterschiedlicher Frakturmor-phologie ab (Abb.6).

Diagnostik

In der Regel sind konventionelle Rönt-genaufnahmen in 2 Ebenen für die Be-urteilung der Fraktur ausreichend, so-fern die Einstellung in beiden Ebenenkorrekt ist. Tomografien jedweder Artsind entbehrlich.

Differentialdiagnostisch müssenbei der Olekranonfraktur begleitendeRadiusköpfchenluxationen ausge-schlossen werden (Monteggia-Verlet-zung). Sie sind in der Regel mit einerMehrfragmentfraktur der Ulna verbun-den (Abb.7).

Begleitverletzungen

Häufige Begleitverletzungen sind deroffene oder geschlossene Weichteil-schaden mit der Notwendigkeit einergelenküberbrückenden Fixation bis zurKonditionierung und zum Verschlußder Weichteile, begleitende Radius-köpfchenfrakturen und diaphysäre Ra-diusfrakturen sowie Ulnarisirritatio-nen.

Therapie, konservativ vs. operativ

Eine adäquate und zielgerichtete The-rapie beinhaltet die Forderung nachWiederherstellung der Gelenkkongru-enz, das Erhalten und Wiederherstel-len der Extensorenfunktion und derGelenkstabilität, mit dem Ziel, die freieFunktion wiederherzustellen.

Undislozierte Frakturen mit erhal-tener Extensorenfunktion (Bildwand-ler) können mit 4wöchiger Ruhigstel-lung in 90˚ Beugestellung ausgeheiltwerden. In der Literatur finden sich ge-legentlich Hinweise auf die Möglich-keit der Fragmentexzision und Tri-zepsreinsertion [6] im Gegensatz zuroffenen Reposition und übungsstabilen

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ELLBOGENVERLETZUNG

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S57–S60© Springer-Verlag 2000

Fractures of the proximalulna and of the olecranon.Prospects and risks of internal fixation

A. Wentzensen

Abstract

The pathogenesis, diagnosis, treat-ment and prognosis of fractures ofthe ulna and olecranon are de-scribed. It appears that both the po-tential benefits of using internalfixation techniques in the proximalulna and the olecranon and therisks involved are heavily influ-enced by concomitant injuries,which means that the diagnosisand appropriate treatment of theseare of decisive importance for theoutcome.

Key words

Fracture of the proximal ulna ·Fracture of the olecranon · Internalfixation · Prognosis

Abb.5. AO-Klassifikation

Page 3: Proximale Ulna- und Olekranonfraktur

Fixation. Nach unserer Auffassungsollte ein solches Verfahren nur in Aus-nahmefällen (Alter, Weichteilschaden)zur Anwendung kommen.

Als Standardverfahren für die in-traartikuläre Olekranonquerfraktur hatsich die Zuggurtung mit Kirschner-Drähten und achtertouriger Cerclagebewährt (Abb. 8) [2, 3], bei Schräg-frakturen auch in Kombination mit ei-ner Zugschraube. Bei Trümmerfraktu-ren und weiter nach distal reichendenFrakturen ist die Zuggurtungsfunktionnicht mehr garantiert, so daß die Indi-kation zur überbrückende Platten-osteosynthese gegeben ist (Abb.9) [4,5].Dies gilt auch für Frakturen mit Be-teiligung des Proc. coronoideus [1].

Die Notwendigkeit einer Spongiosa-plastik besteht bei Gelenkdefekten, dieunterfüttert und angehoben werdenmüssen.

Komplikationen

Eine typische Komplikation nach pro-ximaler Ellbogen- bzw. Olekranon-fraktur ist die Funktionseinschränkungmit Verlust von Streckung und Beu-gung, am häufigsten ist dabei der Ver-lust der endgradigen Streckung. DasAuftreten einer Instabilität mit sekun-därer Dislokation, verzögerte Fraktur-heilung und Pseudarthrose sind eherseltene Komplikationen. Beim Auftre-ten einer Wundheilungsstörung oder

Infektion sind die notwendigen Be-handlungsschritte einzuleiten.

Prognose

Einfache Quer- und Schrägfrakturenhaben bei korrekt durchgeführter Osteo-synthse eine gute Prognose. Frakturenmit Weichteilschaden oder Trümmer-zonen mit gleichzeitiger Gelenkbetei-ligung heilen fast immer mit einemStreckdefizit aus.

Proximale Ulnafrakturen

Im Zeitraum von 1993–1997 wurden52 proximale Ulnafrakturen versorgt.An Begleitverletzungen fanden sichRadiusköpfchenfrakturen und Abrissedes Proc. coronoideus sowie 4 Mon-teggia-Verletzungen mit Beteiligungder proximalen Ulna (Tabelle 1).

Die Begleitverletzungen haben ei-nen wesentlichen Einfluß auf das Out-come dieser Verletzung. Fehleinschät-zungen derselben führen zu Komplika-tionen. Insbesondere die nicht rekon-struierbaren Frakturen des Radius-köpfchens beeinflussen die Stabilitätnach Versorgung. Bei den 52 proxima-len Ulnafrakturen wurden die in Tabel-le 2 aufgelisteten Zusatzverletzungenmitversorgt.

Fazit

Chancen und Gefahren bei Osteosyn-thesen der proximalen Ulna und desOlekranons sind wesentlich von Frak-turgeometrie und Weichteilschadenmitbeeinflußt.

Die Zuggurtung mit Kirschner-Drähten und achtertouriger Cerclagehat sich als Standardverfahren für dieintraartikuläre Olekranonquerfrakturbewährt, bei Schrägfrakturen wird siemit einer Zugschraube kombiniert. Dabei Trümmerfrakturen und weiter nachdistal reichenden Frakturen die Zug-gurtungsfunktion nicht mehr garantiertist, sollte in diesen Fällen die über-brückende Plattenosteosynthese zurAnwendung kommen. Dies gilt auchfür Frakturen mit Beteiligung des Proc.coronoideus, der aus Stabilitätsgrün-den mitfixiert werden muß. Die Not-wendigkeit einer Spongiosaplastik be-steht bei Gelenkdefekten, die unterfüt-tert und angehoben werden müssen.

S59

Abb.6a–f. Klassifikation nach Schatzker: a transverse, b transverse-impacted, c oblique, d com-minuted, e oblique-distal, f fracture dislocation

Abb.7a–d. Verschiedene For-men der Monteggia-Verletzung

a

a

d e f

b c

b

c

c

Page 4: Proximale Ulna- und Olekranonfraktur

Ein begleitender Weichteilschaden, beidem eine ausreichend sichere Be-deckung des Osteosynthesematerialsnicht gewährleistet ist, kann die Ver-wendung eines gelenküberbrückendenFixateurs externe notwendig machen.Das zusätzliche Instabilitätsausmaßbei begleitender Radiusköpfchenfrak-tur und/oder Luxation muß bei der Ver-sorgung mitberücksichtigt werden.

Literatur

1. Copf F, Holz U, Schauwecker HH (1980)Biomechanische Probleme bei Ellenbogen-luxationen mit Frakturen am Processus coro-noideus und Radiusköpfchen. LangenbecksArch Chir 350:249–254

2. King GJ, Lammens PN, MilneAD, Roth JH,Johnson JA (1996) Plate fixation of commin-uted olecranon fractures: an in vitro biome-chanical study. J Shoulder Elbow Surg5:437–441

3. Kozin SK, Berglund LJ, Cooney WP, MorreyBF, An K-N (1996) Biomechanical analysis oftension band fixation for olecranon fracturetreatment. J Shoulder Elbow Surg 5:442–448

4. Povel JACM, Paffen PJ, Busman DC (1979)Olecranon-Frakturen. Eine Retrospektiveun-tersuchung operativ behandelter Frakturen.Aktuelle Traumatol 9:347–352

5. Ring D, Jupiter JB, Sanders RW, Mast J,Simpson NS (1997) Transolecranon fracture –dislocation of the elbow. J Orthop Trauma11:545–550

6. Teasdall R, Savoie FH, Hughes JL (1997)Comminuted fractures of the proximal radiusand ulna. Clin Orthop 292:37–47

7. Zayer M, Mathiesen TI (1997) Relevancy ofradiographic features in elbow fractures. Ac-ta Radiol 38:363–367

S60

ELLBOGENVERLETZUNG

Abb.8a, b. Zuggurtungsosteo-synthese, a vor, b nach operativerVersorgung

Abb.9a, b. Plattenosteosynthe-se, a vor, b nach operativer Ver-sorgung

8a 9a

b b

Tabelle 1Begleitverletzungen bei proxima-len Ulnafrakturen im Zeitraumvon 1993–1997, n = 52

Begleitverletzungen Anzahl

Radiusköpfchen 16Proc. coronoideus 12Monteggia-Verletzung 4

Tabelle 2Versorgungsart der Begleitverlet-zungen bei proximalen Ulnafrak-turen im Zeitraum von 1993–1997,n = 52

Versorgungsart Anzahl

Radiusköpfchenosteosynthese 7Radiusköpfchenresektion 5Radiusköpfchenprothese 3Proc.-coronoideus-Refixation 11Proc.-coronoideus-Plastik 1Bandfixation ulnar-radial 5