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Präsentation von Repräsentation Künstlerische Untersuchung musealer Inszenierungsformen Hausarbeit für das erste Staatsexamen im Fach Bildende Kunst Prüfer: Prof. Michael Lingner Zweitgutachterin: Prof. Silke Grossmann vorgelegt von Insa Grahlmann Hamburg, 28. Juni 2007

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Präsentation von Repräsentation

Künstlerische Untersuchung musealer Inszenierungsformen

Hausarbeit für das erste Staatsexamenim Fach Bildende Kunst

Prüfer: Prof. Michael LingnerZweitgutachterin: Prof. Silke Grossmann

vorgelegt vonInsa Grahlmann

Hamburg, 28. Juni 2007

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...................................................................................................................................... 1

2 Theoretische und historische Auseinandersetzung mit musealen Inszenierungsformen ..................................................................................... 5

2.1 Das Phänomen Museum .................................................................................................................... 5

2.2 Vorformen des Museums bis zur Renaissance .................................................................................. 7

2.3 Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und des Barock ....................................................... 9

2.4 Das öffentliche Museum ................................................................................................................... 15

2.4.1 Naturkundemuseen seit Ende des 18. Jahrhunderts .................................................................... 17

2.4.2 Kunstmuseen seit Ende des 18. Jahrhunderts ............................................................................. 25

3 Künstlerische Untersuchung musealer Inszenierungsformen .................. 33

3.1 Endgültig vorläufig .................................................................................................................. 35

3.1.1 Sammeln von Zeitungsbildern als künstlerischer Prozess ............................................................ 36

3.1.2 Ordnen der Sammlung .................................................................................................................. 40

3.1.3 Forschen: Zum Finden von Bildkombinationen ............................................................................. 43

3.1.4 Präsentieren der Bildensembles ................................................................................................... 48

3.1.5 Reflektierende Betrachtung der künstlerischen Arbeit .................................................................. 52

3.2 Expeditionen ins Naturkundemuseum ............................................................................. 59

3.2.1 Museale Repräsentation und Inszenierung von Natur................................................................... 59

3.2.2 Fotografieren im Naturkundemuseum ........................................................................................... 61

3.2.3 Charakteristik der Fotografien ....................................................................................................... 62

3.2.4 Präsentieren der Bilder .................................................................................................................. 71

3.2.5 Reflektierende Betrachtung der künstlerischen Arbeit .................................................................. 74

4 Abschließende Überlegungen ........................................................................................ 82

5 Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 86

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1 Einleitung

Ich möchte verstehen lernen was wir sehen, wenn wir Museen untersuchen, die ein Bild von uns

entwerfen.1

In dieser Arbeit werde ich meine künstlerische Untersuchung des Museums in einem theoretischen,

historischen und künstlerischen Zusammenhang darstellen und reflektieren. Zunächst versuche ich

mich der Thematik über eine begriffliche Erörterung des Titels der Arbeit anzunähern. Um zu

verdeutlichen, in welcher Tradition das von mir bearbeitete Phänomen steht, werde ich im zweiten Teil

die Entwicklungsgeschichte musealer Inszenierungsformen im europäischen Raum nachzeichnen und

eine Übersicht von den frühesten Anfängen über die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und

des Barock bis hin zu den Naturkundemuseen und Kunstmuseen seit dem ausgehenden 18.

Jahrhundert geben. Im dritten Teil stelle ich meine künstlerische Untersuchung zu den Präsentations-

und Repräsentationsformen im Museum vor. Dabei werde ich meine Herangehensweise, die

Umsetzung und die Präsentation der entstandenen Arbeiten unter Zuhilfenahme theoretischer Ansätze

reflektieren und in Bezug zu Beispielen zeitgenössischer Kunst setzen. Abschließend wird die Arbeit

zusammengefasst und ein Ausblick auf eine mögliche Weiterentwicklung der künstlerischen Arbeit

gegeben.

Zunächst möchte ich eine Klärung der im Titel verwendeten Wörter vornehmen. Nicht bloß, um diese im

Voraus begrifflich zu fassen, sondern auch, um über die Erläuterung des Titels einen Einstieg in das

Thema der Arbeit zu geben.

Der Begriff Präsentation stammt ursprünglich aus dem lateinischen praesens (Zeitform der Gegenwart)

und wandelte sich von dieser Bedeutung des praesens (gegenwärtig, jetzig, offenbar) zu prae (da, bei

der Hand, vorhanden sein) und sens (seiend). Präsentieren heißt demnach “gegenwärtig machen,

vorzeigen, darbieten“.2 Präsentiert werden kann alles. Die Sache, welche ausgewählt und präsentiert

wird, erfährt durch diesen Vorgang eine Bedeutungsverschiebung, da sie aus dem normalen

Weltzusammenhang genommen wird und zu Zwecken der Anschauung einen besonderen Status erhält.

Der Begriff Repräsentation wurde im 16. Jahrhundert aus dem französischen représenter entlehnt,

welches sich wie Präsentation herleitet.3 Die Wörter Präsentation und Repräsentation haben demnach

eine gemeinsame Wurzel, im heutigen Gebrauch besteht jedoch ein feiner Unterschied: Zwar

bezeichnet auch Repräsentation das Gegenwärtigmachen und Zeigen, doch geht es dabei um eine

Vergegenwärtigung in der Vorstellung bzw. um die Darstellung von etwas, das im wörtlichen Sinne oder 1 Vgl. Fehr, Michael (Hrsg.). Open Box. Künstlerische und wissenschaftliche Reflexionen des Museumsbegriffs. WienlandVerlag, Köln, 1998. S. 412 Kluge, Friedrich. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage. Berlin, New York, 1989.3 Ebd.

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tatsächlich nicht gegenwärtig ist. Eine Sache kann eine andere Sache repräsentieren, wenn sie das

Gemeinte als möglichst genaue Wiedergabe oder Darstellung vertreten kann. Das Präfix “Re” deutet

(wie beispielsweise auch bei “Reproduktion”) auf die Tatsache hin, dass hier nichts eigenes, originales

und einmaliges, sondern ein nachahmendes Abbild der gemeinten, nicht vorhandenen Sache

präsentiert wird. Eine weitere Komponente der besonderen Bedeutung von Repräsentation liegt in der

Verwendung des Begriffs repräsentativ. Einerseits kann damit eine einzelne Sache beschrieben

werden, die besonders typisch ist und damit für eine ganze Gruppe steht. Andererseits wird etwas als

repräsentativ bezeichnet, wenn es beeindruckend wirkt und zum Status des Besitzers beiträgt. Auch

dieser Aspekt spielt bei Repräsentationen im Museum eine Rolle.

Zur Begriffsklärung der Formulierung museale Inszenierung soll zunächst jedes Wort einzeln bestimmt

werden. Das Adjektiv museal 4 ist eine Ableitung des Wortes Museum. Das Museum wird heute

bezeichnet als “(...) eine gemeinnützige, ständige Einrichtung, die der Gesellschaft und ihrer

Entwicklung dient, der Öffentlichkeit zugänglich ist und materielle Zeugnisse des Menschen und seiner

Umwelt für Studien-, Bildungs-, und Unterhaltungszwecke sammelt, bewahrt, erforscht, vermittelt und

ausstellt.“5 Die Exponate werden so präsentiert, dass sie eindeutig als museal erkennbar sind. Der

polnische Museumswissenschaftler Chrisztof Pomian bezeichnet musealisierte Gegenstände, die nicht

länger eine alltäglich-praktische, sondern eine kulturelle Funktion haben, als Semiphoren.6 Die

wesentliche Eigenschaft von Semiphoren besteht für Pomian darin, dass sie Unsichtbares

repräsentieren, also Seiendes, das nicht wahrgenommen und nicht gespürt werden kann. Das

Unsichtbare, auf das die Museumsstücke verweisen, ist nicht verfügbar, weil es beispielsweise der

Vergangenheit angehört oder dem Jenseits zugeordnet wird.7 Exponate, welche im Museum als

Repräsentanten einer Idee gezeigt werden, müssen nicht zwangsläufig originale Exemplare sein. Sie

können auch als Surrogate speziell dafür hergestellt werden einen bestimmten Gedanken zu illustrieren

oder anschaulich zu machen. Die Exponate im Museum stehen demnach für etwas nicht greifbares

Anderes außerhalb des Museums und sollen dieses durch ihre materielle Anwesenheit repräsentieren.

Dies kann jedoch nur geschehen, wenn den Dingen im Museum ein Forum für ihren Auftritt geschaffen

wird und sie in Szene gesetzt werden.8 Würde man sie nicht auf einen Sockel stellen, sie nicht in

4 Der Brockhaus (1982) gibt folgende Definition des Begriffs museal:1. (attributiv und adverbial verwendetes Adjektiv) “zum Museum gehörig, es betreffend; eine - e Einrichtung, Sammlung“.2. (in einem besonderen Sinnzusammenhang oder überhaupt nur attributiv verwendetes Adjektiv) “als Relikt vergangenerZeiten, als Kostbarkeit, Rarität ins Museum gehörend; museale Kulturgüter“3. (bildungssprachlich) “veraltet, unzeitgemäß, aus der Mode gekommen“5 Diese Formulierung stammt aus dem Jahresbericht der ICOM (International Council of Museums) von 1999.Vgl. http//www.icom-deutschland.de6 Vgl. Pomian, Chrisztof. Der Ursprung des Museums. Berlin, 1988. S.49 ff.7 “Edelsteine repräsentieren Reichtum und Ewigkeit, Heiligenfiguren und Reliquien das Jenseits und das europäischeMittelalter, der Versuchstisch Otto Hahns die Entdeckung der Radioaktivität (...)“ Vgl. Klein, Alexander. Expositum. ZumVerhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit. Bielefeld, 2004. S.418 Einige Theoretiker gehen sogar so weit zu behaupten, dass es ohne Inszenierung weder Künste noch Religionen gäbe.Ohne Kostüme und Masken und eine entsprechende Bühne, die streng von dem täglichen oder profanen Bereich abgetrennt

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schützenden Glasvitrinen zur Schau stellen und nicht mit Hinweisschildchen auf sie verweisen, würde

man sie nicht mit Hilfe einer speziellen Beleuchtung hervorheben und sie nicht in einem begrenzten und

kodierten Raum wie einem Museum ausstellen, so würden viele Objekte wohl weder zum

Repräsentanten einer Idee noch zur Kunst werden. „Ohne fiktionale Verfremdung, wie sie im

Museumsbereich die Inszenierung schaffen kann, sind plastische Vorstellungen von zeitlich oder

räumlich entrückten Lebenszusammenhängen schwerlich zu gewinnen.“9

Die Bezeichnung Inszenierung stammt aus der Theaterwelt und bedeutet zunächst einmal, in

Anlehnung an das griechische Wort szaena (“die Bühne des Theaters“)10, ein Bühnenwerk zur

Aufführung zu bringen. Im Theater wird das gesprochene Wort durch Mittel der Inszenierung

interpretiert, verstärkt und ergänzt. Unterschiedliche Inszenierungen eines Stücks zeigen, dass es nicht

nur eine richtige Interpretation des Werkes gibt und dass sich eine Inszenierung nicht im bloßen

Bebildern von etwas ohnehin bereits Bestehendem erschöpft, sondern etwas völlig Neues schaffen

kann. Die Funktion der Inszenierung im Museum kann analog zu der im Theater gesehen werden, wenn

der zu interpretierende und verdeutlichende Text durch den Ausstellungsgegenstand ersetzt wird.11 Da

es sich im Museum um die Inszenierung von totem Material handelt, fällt die Darstellung einer Handlung

durch Akteure im Gegensatz zum Theater weg.12 Die potentielle Macht und das Ziel musealen

Inszenierens liegen darin, die ausgestellten Dinge zum Sprechen zu bringen. Aufgrund dieser Intention

ist sie diejenige Präsentationsform, welche am nachdrücklichsten von der Ansicht Abstand genommen

hat, ein Objekt könne sich selbst vermitteln.13 Kunz-Ott beschreibt museale Inszenierung wie folgt: „Mit

musealer Inszenierung sind solche Darstellungen gemeint, bei denen theatralische Hilfen wie Kulissen,

Figurinen usw. eingesetzt werden, um bewusst zu interpretieren.“14 Das In-Szene-Setzen von

Museumsexponaten umfasst ein breites Spektrum und reicht von Rekonstruktionen historischer oder

natürlicher Räumlichkeiten und Situationen bis zur schlichten Hervorhebung eines bestimmten

ist, würde den Theatercharakteren kein Leben eingehaucht werden können. „Die Schauspieler könnten sich nicht für dieDauer der Theatervorstellung in Helden verwandeln. Dies ist gleichermaßen auf Objekte anwendbar, wenn sie nichtentsprechend dargestellt werden.“ Azara, Pedro und Harth, Carlos Guri. Bühnen- und Ausstellungsarchitektur. Stuttgart,2000. S.269 Herles, Diethard. Das Museum um die Dinge. Wissenschaft, Präsentation, Pädagogik. Frankfurt a.M., 1996. S.11710 Kluge, Friedrich. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage. Berlin, New York, 1989.11 Die im Theater diskutierte Frage nach der Texttreue einer Inszenierung stellt sich im Museum um so mehr, da imGegensatz zum Theater, (wo die Tatsache einer Inszenierung dem Zuschauer bewusst ist,) ein Besucher im Museum dortnormalerweise keine künstlerischen Interpretationen sondern eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhendePräsentation kultureller Exponate erwartet.12 Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Inszenierung im Museum oft in einem Konkurrenzverhältnis mit den“Hauptdarstellern“ gesehen wird, weil diese – die Exponate – auch statisch und nicht lebendig sind.13 „Ausstellungen zu inszenieren heißt, bewusst die Notwendigkeit der Interpretationen anzuerkennen.“ Paatsch, Ulrich.Konzept Inszenierung. Inszenierte Ausstellungen – ein neuer Zugang für Bildung im Museum? Heidelberg, 1990. S.6814 Kunz-Ott, Hannelore. “Möglichkeiten der Vermittlung. Aufgaben, Ziele und Grenzen musealer Präsentation.“ In:Museumspädagogisches Zentrum (Hrsg.) Methoden, Praxis, Ziele. München, 1989. S.22 ff. Hier findet sich auch derbisweilen pejorativen Beigeschmack, welchen der Begriff “Inszenierung“ in der Alltagssprache besitzt, wieder. In derBemerkung “jemand habe etwas geschickt inszeniert“ können sowohl Anerkennung eines gelungenen “Tricks“ als auch dieVerstimmung über die Tatsache der “Unechtheit“ einer Situation mitschwingen. Die künstlich herbeigeführteErlebnishaftigkeit kann mit dem Makel der bloßen Effekthascherei behaftet sein.

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Exponats durch Beleuchtung oder besondere Umgebung. Der Grad der Künstlichkeit steigert sich vom

Stillegen und Belassen eines Objektes über seine Konservierung, Restaurierung und

Rekontextualisierung. Streng genommen beginnt die Inszenierung bereits mit dem Herausholen eines

Gegenstandes aus dem Magazin und der Entscheidung über Ort und Stelle der Präsentation in der

Ausstellung. Folgt man der Argumentation des französischen Philosophen und Soziologen Jean

Baudrillard, so verdrängt die interpretative Wirklichkeit der Musealisierung mehr und mehr die

tatsächliche Wirklichkeit der Gegenwart. Zentral für Baudrillards These ist dabei die Idee des

“Simulacrum“, der „(...)Substituierung eines Realen durch Zeichen des Realen“.15

Ich gehe davon aus, dass sich im Laufe der Zeit bestimmte Konventionen musealer Inszenierung

entwickelt haben, die immer wieder modifiziert und den jeweiligen Anforderungen der konkreten

Ausstellungen angepasst wurden und werden. Diese spezifischen Wahrnehmungsformen und

Darstellungsmöglichkeiten im Museum möchte ich erforschen, wobei mein Interesse besonders jenen

Aspekten des musealen Ausstellens gilt, welche häufig verschwiegen werden. Die Erkenntnisse dieser

Forschung sollen in den künstlerischen Arbeiten sichtbar werden. Der Titel der Examensarbeit lässt sich

demnach wie folgt verstehen: In den künstlerischen Arbeiten präsentiere ich meine

Untersuchungsergebnisse über museale Repräsentationen und ihre Inszenierungsformen.

15 Baudrillard zitiert nach Sturm, Eva. Konservierte Welt – Museum und Musealisierung. Berlin, 1991. S.69

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2 Theoretische und historische Auseinandersetzung mit musealen

Inszenierungsformen

2.1 Das Phänomen Museum

Museen sind Orte, wo Dinge bewahrt, ihnen Bedeutungen zugeschrieben und diese weiter gegeben

werden. Dazu trägt das Museum Millionen von Objekten zusammen und fungiert als eine Art Zeitkapsel,

die Gegenwärtiges und Vergangenes vor der Zerstörung bewahrt, für die Zukunft erhält und in eine

scheinbar objektive Ordnung einreiht. Natürlich können im Museum lediglich Ausschnitte der Realität

gelagert und gezeigt werden, so dass nur bestimmte Gegenstände in das Museum gelangen. Diese

Auswahl beruht nicht auf einem demokratischen Verfahren, sondern liegt in den Händen Einzelner, die

(bewusst oder unbewusst) immer auch persönlichen Vorlieben folgen. Mit ihrer Auswahl entscheiden sie

wie eine Art “Zeitsieb“ darüber, welche durch das Museum vermittelten Bilder sich die Zukunft von ihrer

Vergangenheit macht. Dinge, die weder besonders typisch noch besonders untypisch für eine

bestimmte Zeit sind – also all die alltäglichen und mittelmäßigen Gegenstände, die uns permanent

umgeben – werden selten ins Museum geholt und gehen mit der Zeit verloren.16

Diejenigen Objekte jedoch, die einen Platz im Museum bekommen, werden dadurch aus ihrem “Leben“

in der Wirklichkeit gerissen und in der Sammlung bewahrt und konserviert. Durch den Wandel zu

Museumsobjekten werden die Dinge sowohl aus ihrer Zeit als auch aus ihrer ursprünglichen

lebensweltlichen Funktion genommen.17 Auf einer qualitativen Ebene und ohne eine sichtbare

Veränderung verlieren sie eben jene Eigenschaften, aufgrund derer sie zuvor möglicherweise vom

Museum ausgewählt wurden. Was vorher eins von vielen war, wird ein Unikat. Was funktional war, wird

nutzlos. Was privat war, wird öffentlich. Die Objekte führen im Museum ein verändertes Leben nach

ihrem “Tod“ in der Realität. Dabei besteht die Gefahr, dass das Museum nicht zu einem Ort der

Erinnerung, sondern zu einem Ort des Vergessens wird. Erinnerung ist von geistiger, nicht von

materieller Natur und ist deshalb nicht notwendigerweise an die körperliche Präsenz der zu erinnernden

Objekte gebunden. Der Akt des musealen Aufbewahrens, Sammelns und Lagerns allein rettet die

16 Deshalb gibt es bereits die Forderung nach zukunftsantizipierendem Sammeln. Das zeitgleiche Dokumentieren vonAlltagskultur wird mit dem Argument begründet, wir hätten die Verpflichtung, für zukünftige Generationen ein vollständigeresBild unseres Lebens zu hinterlassen, als unsere Vorfahren es für uns taten.Vgl. Weschenfelder, Klaus. “Sammeln für ein Museum von morgen.“ In: Museumskunde. Band 51, Heft 1, 1986. S.19Dieser Versuch ist meiner Meinung nach absurd, denn der kommenden Zukunft könnte ihre Vergangenheit, also unsereGegenwart, in dieser Ausführlichkeit auch gleichgültig sein. Möglicherweise haben sie andere Probleme und Interessen, alssich über uns zu informieren und sehen ein solches Bemühen gegen die eigene Vergänglichkeit eher als amüsante oderbefremdliche Wichtigtuerei an.17 Im Bezug auf die Zeit lässt sich sagen, dass musealisierte Objekte zeitlich nicht synchron oder diachron, sondernanachron strukturiert sind. Durch den Akt des Musealisierens importieren sie eine gewesene in eine gegenwärtige Zeit. “Diefür diese Struktur charakteristische Zeitverschachtelung ist nicht physikalischer, sondern kultureller Art und kann daher nichtals das simple vorwärts oder rückwärts eines Zeitpfeils beschrieben werden. Der Zeitpfeil der Musealisierung zeigt nachrückwärts, beschreibt eine Kurve und kehrt sozusagen zur Gegenwart des Betrachters zurück.“ Vgl. Klein, Alexander.Expositum. Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit. Bielefeld, 2004. S.38

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Objekte noch nicht vor dem Vergessen. Es kann sogar argumentiert werden, dass Museen als

“Erinnerungsorgane“ den Anschein des Nicht-Vergessens wahren, dadurch ein aktives Gedenken

scheinbar überflüssig machen und dieses damit endgültig begraben.18

Doch obgleich es stimmen mag, dass das Museum die Objekte der realen Welt entzieht, um sie für die

museale Welt zu erhalten, so ist es doch ebenso richtig, dass die Dinge in inszenierten Ausstellungen

wieder auferstehen können. An exponierter Stelle im Museum wachsen die Gegenstände über sich

hinaus und werden etwa als Zeitzeugnis, als Symbol, als Trophäe, als Objekt ästhetischer Anschauung

oder als prestigeträchtige Kostbarkeit neu funktionalisiert. Die neue Zweckbestimmung kann auch

einfach nur darin bestehen, Reflexionsanlass zu sein.19 Wenn durch Musealisierung auch zunächst

Sinnzusammenhänge zerstört werden „(...) macht es doch gerade diese Entfremdung erst möglich,

anhand der Dinge zu Einsichten zu gelangen, die sie im ursprünglichen Kontext nicht vermitteln.“20

Damit liegen sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Museums in der ihm eigenen Praxis der De-

und gleichzeitigen Rekontextualisierung von Dingen.21 Einerseits erleben die Objekte im Zuge der

Musealisierung eine Isolierung aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang und den Verlust ihres

ursprünglichen Gebrauchswertes, andererseits gewinnen sie eine neue Funktion hinzu; die Funktion

eines aussage- und beweiskräftigen Anschauungsobjektes, welches stellvertretend für eine ganze

Reihe gleicher oder ähnlicher Erscheinungen stehen soll. Um diese neue Funktion zu aktivieren und an

die Besucher zu vermitteln, müssen Kommunikationsräume geschaffen werden in denen die

Gegenstände ausgestellt und vorgeführt werden können.22 Um sich das potentielle Wissen der

gesammelten Museumsobjekte anzueignen, bedürfen diese einer kontinuierlichen Inszenierung. Dabei

wird nicht nur das äußere Erscheinungsbild der musealen Objekte verändert, sondern auch deren

inhaltliche Aussage. Die Art der Präsentation beeinflusst den Betrachter, da sie bestimmte Einsichten

nahe legt, andere aber auch erschweren oder sogar verhindern kann.23 Inszenierung stellt damit nicht

lediglich eine Methode dar, Ausstellungsstücke in einer bestimmten Art und Weise zu kommunizieren.

Inszenierung ist selbst und in sich bereits Kommunikation. Sie ist ein Vehikel, das die inhaltliche

Botschaft, die wir aus den Dingen lesen, beeinflusst. Gleichzeitig ist sie wie Sprache und trägt in der je

spezifischen Art und Weise des Ausdrucks auch selbst eine Botschaft. Und so kommt neben dem 18 Vgl. Sturm, Eva. Konservierte Welt – Museum und Musealisierung. Berlin, 1991. S.4619 Für die meisten musealisierten Gebrauchsgegenstände ist die Funktion tatsächlich neu, da sich diese potentielle Qualitäterst durch die im Museum hergestellte Distanz zum alltäglichen Leben und dadurch verwirklicht, dass die Dinge in keinenanderen Gebrauchszusammenhang mehr eingebunden sind.20 Herles, Diethard. Das Museum und die Dinge. Wissenschaft, Präsentation, Pädagogik. Frankfurt a.M., 1996. S.5921„The strength and weakness of the museum derives from its fundamental practice of decontextualizing objects and placingthem in a new aesthetic and conceptual context.“ www.victorianweb.org/history/leisure1.html22 Dies ist kein additiver, sondern ein simultan-vernetzter, dialektischer Prozess, der sich im Dialog zwischen verbal-begrifflicher und visuell-gegenständlicher Rhetorik entwickelt. Vgl. Schwarz, Ulrich und Teufel, Philip. Museographie undAusstellungsgestaltung. Ludwigsburg, 2001. S.5723 „Die Präsentation der Werke legt dem Publikum bestimmte Reaktionen nahe, seien sie nun aktiv oder passiv, huldigend,kritisch, oder schlicht neugierig, stets soll die Kunstausstellung etwas bewirken.“ Klüser, Bernd und Hegewisch, Katharina(Hrsg.). Die Kunst der Ausstellung. Eine Dokumentation dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts.Frankfurt am Main, Leipzig, 1991. S.10

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Sammeln und Musealisieren von Gegenständen auch dem Ordnen und Forschen, dem zugänglich

Machen, dem Vermitteln und der Ausstellungsgestaltung in Museen zentrale Bedeutung zu.

Abstrakta wie beispielsweise “Kunst“ oder “Natur“ müssen sich immer wieder in konkreten Objekten,

beispielsweise als museale Repräsentationen, Existenz verschaffen. Und obwohl Museen oft das

Gefühl des Stillstands von Zeit vermitteln, haben sie ihrerseits im Laufe von Jahrhunderten eine

wechselvolle Evolution durchlaufen. Um der Frage nachzugehen, ob die Wandlungen musealer

Präsentationen lediglich als Reaktion auf gesellschaftliche Neuorientierungen auftreten, oder ob sie

diese auch gleichsam mit hervorbringen, ist es notwendig, konkrete Prozesse der musealen

Bedeutungsproduktion zu verfolgen und dabei zu überprüfen, wodurch sie gesteuert und beeinflusst

werden.

2.2 Vorformen des Museums bis zur Renaissance

Die Entwicklungsgeschichte des Museums ist heute umfangreich dokumentiert. Ebenso wurde in

zahlreichen Studien versucht, die Motivation des Sammelns als Grundvoraussetzung für den Bestand

von Museen zu ergründen. Befasst man sich mit der Genealogie der heutigen Museumsinstitutionen

und folgt Krzysztof Pomian zu den frühesten Ursprüngen der Museen, gelangt man in Bereiche der

Menschheitsentwicklung, die weit vor jeglicher Form einer modernen Zivilisation liegen. Für Pomian ist

der Ursprung des Museums im Grabkult zu finden.24 Für Bestattungsrituale und um den Toten etwas

ins Jenseits mitzugeben, wurden wertvolle Dinge gesammelt und zu den Gräbern gebracht – dorthin,

wo sich die irdische und die überirdische Welt trafen. Dieser Dingkult gründete, laut Pomian, in einem

metaphysischen Bedürfnis des Menschen nach einer Welt, die außerhalb seiner irdischen Existenz

angesiedelt ist und sich abseits des alltäglichen, praktischen Lebenszusammenhanges befindet. Auf

dieser Grundlage entstanden lange vor der abendländischen Geschichtsschreibung Orte von kultischer

Bedeutung, die ihren Sonderstatus dadurch erhielten, dass man dort außergewöhnliche und wertvolle

Gegenstände ansammelte.25

Im hellenistischen Griechenland stößt man auf das Museion, ein Musenheiligtum, in welchem die

Göttinnen der Inspiration, die Schutzheiligen der Dichter und Gelehrten verehrt wurden.26 Ihnen

geweihte Schriften wurden in den Museia aufbewahrt, die als Vorläufer der Bibliotheken gelten

können.27 !Auch in den griechischen Tempeln wurden wertvolle Kultgegenstände aufbewahrt, die ihre

24 Vgl. Pomian, Krzysztof. Der Ursprung des Museums. Berlin, 1988. S.3825 Vgl. Wall, Tobias. Das unmögliche Museum. Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart. Bielefeld, 2004.S.30 (ab hier: Tobias Wall, 2004.)26 Vgl. Busch, Renate von. “Die Entwicklung des Museumsbegriffes“ Phil. Diss. in: Studien zu deutschenAntikensammlungen des 16. Jahrhunderts. Tübingen, 1973. S.6727 !D!a!s! !b!e!r!ü!h!m!t!e!s!t!e! !B!e!i!s!p!i!e!l! !i!s!t! !d!a!s! !a!l!e!x!a!n!d!r!i!n!i!s!c!h!e! !M!!u!s!e!io!n! !m!i!t! !s!e!i!n!e!r!! !w!e!r!t!v!o!l!l!e!n! !B!i!b!l!i!o!t!h!e!k!, wo !s!i!c!h! !d!i!e! !G!e!l!e!h!r!t!e!n! !a!l!l!e!r!!D!i!s!z!i!p!l!i!n!e!n! !v!e!r!e!i!n!i!g!t! !d!e!n! !P!r!o!b!l!e!m!e!n! !d!e!r! !W!e!l!t! ! !s!t!e!l!l!t!e!n!,! !a!n! !d!e!n!e!n! !g!e!f!o!r!s!c!h!t!,! !d!i!s!k!u!t!i!e!r!t! !u!n!d! !g!e!a!r!b!e!i!t!e!t! !w!u!r!d!e!.! !D!i!e!s!e!r!!M!u!s!e!u!m!s!t!y!p! ! !d!e!s! !a!k!t!i!v!e!n! !M!!u!s!e!io!n! !a!l!s! !i!n!t!e!r!d!i!s!z!i!p!l!i!n!ä!!r!e! !F!o!r!s!c!h!u!n!g!s!s!t!ä!!t!t!e! !b!i!l!d!e!t! !e!i!n!e!n! !T!o!p!o!s!,!! !d!e!r! !i!n! !d!e!r! !M!u!s!e!u!m!s!g!e!s!c!h!i!c!h!t!e!

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Bedeutung aus dem religiösen Ritus erhielten. Die ersten Kunstsammlungen im eigentlichen Sinne

konnten erst entstehen, als die Kultgegenstände aus ihrem religiösen Kontext herausgenommen und an

einen Ort außerhalb des Kultes gebracht wurden. Eine solche Entwurzelung der Kultgegenstände und

ihre Transformation in Sammlungsstücke geschah während des Römischen Reichs oftmals im Zuge

kriegerischer Beutezüge und Plünderungen. Die Motivation der räuberischen “Sammler“ war wohl vor

allem kriegspsychologischer Natur. In glänzenden Triumphzügen wurde das Beutegut der römischen

Feldherren zur Schau getragen. „Dadurch, dass die bedeutungsvollen Kultgegenstände eines Volkes

geraubt und zerstört oder für eigene Zwecke vereinnahmt wurden, wurde es mitsamt seiner Kultur

erniedrigt und gleichzeitig die Kultur des Siegers vor allen anderen ausgezeichnet.“28

Nach dem Untergang des Römischen Imperiums, setzten die christlichen Reliquienschätze

mittelalterlicher Kirchen ab etwa 400 n. Chr. andere Schwerpunkte des Ausstellens. Zunächst verehrte

man nur Objekte, die direkt mit Christus und seinen Jüngern verknüpft waren, etwa Teile des Kreuzes

oder Fragmente von Apostelknochen. Bald aber wurde den Skeletten von Heiligen ähnliche Verehrung

zuteil, da man ihnen regenerierende Kräfte nachsagte.29 Mit der Zeit kamen immer bizarrere

Überbleibsel hinzu, etwa ein Gefäß mit Milch von der Jungfrau Maria oder der Stab des Moses.30 In den

Kirchen wurden nicht nur Reliquien ausgestellt, sondern auch andere wertvolle Gegenstände wie

Kandelaber oder Messgewänder und nach den Kreuzzügen zunehmend auch Objekte und Raritäten

des Orients. Zu gegebenen Anlässen wurden sie in einem minutiös und genauestens komponierten

Zeremoniell für religiöse Kulthandlungen genutzt. Eine solche Schau meinte in diesem Zusammenhang

eine innere Schau göttlicher Macht, nicht das ästhetische Vergnügen sinnlicher Reize an Kunstwerken.

Mit dem Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit erwachte ein neuartiges Interesse an den

materiellen Zeugnissen der Welt. Diese wurden zum Anlass für Entdeckung, Eroberung und

Erforschung. Etwas von der Aura des Übernatürlichen, welche die Reliquiensammlungen umfangen

hatte, übertrug sich auch auf die entstehenden privaten Kunst- und Wunderkammern. Diese Kammern

hatten eine ganz besondere Atmosphäre und “(...) entfalteten ihre geheimnisvollen Kräfte in der

Verlagerung von der religiösen zur weltlichen Sphäre, von den öffentlichen, wenn auch nur begrenzt

zugänglichen kirchlichen zu den privaten und gut gehüteten fürstlichen Schätzen.“31 Auch wenn die

!s!e!i!t! !d!e!r! !A!u!f!k!l!är!u!n!g! !b!i!s! !i!n! !d!i!e! !G!e!g!e!n!w!a!r!t! ein !G!e!g!e!n!m!o!d!e!l!l! !z!u!m! !passiven M!u!s!e!u!m! !a!l!s! !k!o!n!t!e!m!p!l!a!t!i!v!e!m! !K!u!n!s!t!t!e!m!p!e!l !d!a!rstellt!.Vgl.Tobias Wall, 2004. S.3228 Ebd. S.3529 Die Exhumierung und Zerstückelung von Märtyrern mit anschließender Verteilung der Leichenteile unter mehreren Kirchenwar gängige Praxis und unterhielt einen regen Handel. Gelegentlich war die Gier nach Reliquien so groß, dass man Heiligeumbringen wollte, um zu garantieren, dass ihre Gebeine am Ort des Andenkens blieben. Vgl. Klein, Alexander. Expositum.Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit. Bielefeld, 2004. S.12930 Vgl. Mauries, Patrick. Das Kuriositätenkabinett. Köln, 2003. S.12 (ab hier: Patrick Mauries, 2003.)31 Die moderne “Wiederentdeckung“ der Wunderkammern ist Julius von Schlosser zu verdanken, der in seiner Schrift zumThema, die 1908 erschien, Parallelen zwischen diesen Kabinetten und jenen, welche die heiligen Schätze griechischerTempel und später christlicher Kirchen beherbergten, zieht. Vgl. Schlosser, Julius. Die Kunst- und Wunderkammern derSpätrenaissance. Ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens. 2., durchgesehene und vermehrte Aufl. Braunschweig,1978.

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Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und des Barock für die Öffentlichkeit nicht verfügbar

waren, so kann man doch sagen, dass sie am Wendepunkt der Entwicklung vom mythisch-christlichen

Denken des Mittelalters hin zu einer wissenschaftlich-säkularisierten Weltsicht standen und damit am

Beginn der Institution Museum, wie wir sie heute kennen.

2.3 Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und des Barock

Die neue Bedeutung des Sammelns und Ausstellens

Die ersten Wunderkammern, die so genannten Studioli, entstanden in norditalienischen

Herrscherhäusern im späten 15. Jahrhundert. Äußerliche Kennzeichen dieser Studierzimmer waren ihre

bescheidenen Ausmaße – selten überschritten sie eine Länge von sechs Metern –, ihre abgeschiedene,

intime und teilweise versteckte Lage innerhalb der Residenzen, die aufwendige Dekoration und die

duale Charakteristik der in ihnen enthaltenen Objekte. Einerseits solche, „(...)die einen intellektuellen,

wissenschaftlich geprägten Anspruch verkörperten (...)“ und andererseits „(...)Kunstwerke und

Kuriositäten.“32 Diese verschwiegenen Räume waren für ein zurückgezogenes Vergnügen geschaffen,

nämlich für die private Erbauung und Erleuchtung des Herrschers und seines engsten Freundeskreises.

Die Schränke und Vitrinen waren verschlossen, bis der Besitzer eine Schublade öffnete und den Blick

auf eine Kostbarkeit freigab. Die Nutzung der Studioli lag hauptsächlich im Sammeln, Bestimmen und

Klassifizieren. Dies machte sie damit zunächst zu Orten für Studien- und Forschungszwecke und nicht

primär zu Orten des Zeigens und Ausstellens.

Mit dem Aufschwung einer neuen Generation von fürstlichen Kunst- und Wunderkammern im 17.

Jahrhundert zeichnete sich eine Bedeutungsverschiebung ab. Diese Kunst- und Wunderkammern

unterschieden sich von den Studioli nicht nur in der Größe, sondern auch in Funktion und Bestand. Die

Studienfunktion trat in den Hintergrund, die Schaufunktion in den Vordergrund. Im Laufe der

Renaissance war es in ganz Mitteleuropa zum standesgemäßen Muss geworden, Herr über eine solche

Raritätenkammer zu sein. Ein Fürst legte seine Sammlung nicht nur an, um Geschmack zu beweisen

oder einen Ort gelehrter Unterhaltung vorweisen zu können. Ein ebenso wichtiger Grund bestand darin,

dass eine Kunstkammer mit ihren Exponaten aus allen Bereichen der Natur und Kultur ein Abbild der

Welt im Kleinen darstellte, in dessen Zentrum sich der sammelnde Herrscher positionierte. Die

Wunderkammer war das Symbol für die Welt, der Fürst damit im symbolischen Sinne Herr der Welt.33

Die Sammlung diente vor Allem dem Ruhm des Fürsten, und ihre Besichtigung war eine Form der

Huldigung. Als Statussymbol wurde der Zugang zu diesem symbolischen Herzstück feudalen

Selbstverständnisses nur einer begrenzten Besucherzahl gewährt. Eine Öffnung der Sammlung für die

Allgemeinheit wäre im Rahmen dieses Rituals feudaler Selbstbestätigung unmöglich gewesen, denn sie

32 Patrick Mauries, 2003. S.5433 Vgl.Tobias Wall, 2004. S.38

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hätte das gesellschaftliche Spiel verdorben. Kunstkammern mussten zur Festigung und Bestätigung

des gehobenen Status ihres Besitzers und zur Abgrenzung gegenüber den niederen Ständen die Orte

einiger weniger bleiben.

Abb.1: Das Museum des Fernando Cospiano. Frontispiz in: Lorenzo Legati. Museo Cospiano, 1677.

Inhalt der Sammlungen

Das Sammlungsinteresse in den Kunst- und Wunderkammern umfasste ein breites Spektrum. Es gab

naturkundliche Objekte, also Fossilien und botanische bzw. zoologische Exponate, außerdem kostbares

Kunsthandwerk aus Gold, Silber und anderem Metall, Arbeiten aus Keramik, Leder und Textilien,

Gemälde, Skulpturen, Waffen, Münzen, sowie wissenschaftliche Instrumente, Automaten und

völkerkundliche Objekte.34 So heterogen diese Aufzählung erscheinen mag, den Gegenständen ist doch

ein Aspekt gemein, der bereits durch Begriffspaarungen wie Kunst- und Wunderkammer oder

Naturalien- und Artificialiensammlung deutlich wird, nämlich das gleichwertige Nebeneinander von

Gegenständen aus der Natur – den Naturalia und künstlich bzw. künstlerisch hergestellten Objekten

– den Artificialia. Die Neugier, welche im Mittelalter noch als Sünde gegolten hatte, wurde zum

wichtigsten Antrieb von Wissenschaftlern und Sammlern und zeigte sich besonders deutlich in den

Curiosa, welche neben der Vorliebe für die ”Wunder der Schöpfung” auch den Wunsch verdeutlichen,

sich durch Spektakuläres und Rätselhaftes animieren und unterhalten zu lassen. Das Kuriose meint hier

34 “Die großen Sammlungen enthielten alles und jedes, Artefakte, Naturwunder, Gemälde, Skulpturen, Mischungen undVereinigungen von Kunst und Natur, Mißbildungen oder Abbildungen davon, Schönes und Grausiges, Nützliches und Dinge,die aus Spieltrieb oder Lust an Komplikationen entstanden zu seien scheinen, eben Kunststücke, die zweckfrei und völligunverwendbar, ganz sich selbst und nichts anderes sind.” Holländer, Hans. “Denkwürdigkeiten der Welt oder sogenannteRelationes Curiosae”. In: Sprengel Museum (Hrsg.) Die Erfindung der Natur. Hannover, 1994. S.35 (ab hier: Hans Holländer.Die Erfindung der Natur. 1994.)

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nicht etwas Lächerliches in unserem heutigen Verständnis, sondern etwas Merkwürdiges,

Sensationelles und Spektakuläres, das die Wissbegier und die Lust auf Neues zu wecken vermag.35

Das Streben nach Seltenem hatte zur Folge, dass die Objekte – um die Besucher zu beeindrucken –

immer noch einzigartiger sein mussten, so dass schließlich das Einmalige in den Abweichungen von der

Norm in Gestalt von Missbildungen bei Menschen, Tieren, Pflanzen und Steinen gefunden wurde. Auch

der durch die beginnenden Entdeckungsreisen wachsende Zustrom exotischer und bizarrer

Gegenstände aus der “Neuen Welt“ schürte die Lust auf immer Neues.36 Neben Naturalia, Artificialia

und Curiosa wurden unter dem Begriff Scientifica wissenschaftliche Instrumente wie Uhren, Erd- und

Himmelsgloben, astronomische Geräte und Automaten gesammelt. Diese Objekte zeugten von der

Auffassung, dass der Schöpfung ein mathematisch geordneter Plan, eine Weltformel zugrunde liege,

die man durch Beobachtung und Messung erkennen könne. Ein weiterer Grund für die Faszination an

den Automaten lässt sich wohl auf ihren Status als hybride Erscheinungen zurückführen. Sie

entstammen einer Welt, die haarscharf an die Realität grenzt, und können durch die Kunst der Illusion

den Anschein von Leben erwecken. Indem sie im Leblosen Leben vortäuschten, schienen die

Automaten dem Tod zu trotzen und sich der Zuordnung zum einen oder anderen Bereich zu entziehen.

Der Sammler als Herr über diese geheimen Impulse im privaten Theater seiner Wunderkammer

bewegte sich stets nah an der Nekromantie37, befasste er sich doch damit, Totes wieder zum Leben zu

erwecken oder Lebendes dem Tod zu übergeben. Auffällig viele Objekte, die im Kuriositätenkult eine

Rolle spielen – mumifizierte Körper, Totenschädel, Knochen, ausgestopfte Tiere, Muscheln und

Korallenäste – erwecken offensichtliche Assoziationen von Tod und Sterben.38 Am beliebtesten waren

die hybriden, im Grenzbereich zwischen Kunst und Natur, Tod und Leben angesiedelten Gegenstände,

da diese in sich besonders gut das System der Entsprechungen widerspiegelten, welches in der Kunst-

und Wunderkammer die Ordnung der Sammlung bestimmte. Hinter dem Wechselspiel der Analogien

zwischen natürlichen und künstlichen Formen stand nämlich übergeordnet das Thema eines

universellen Systems der Vergleichbarkeiten, in dem alle Dinge verbunden waren und in dem jedes

einzelne Element in einem anderen sein Echo fand. „Sammler waren getrieben von dem Bemühen, eine

Kontinuität zwischen Kunst und Natur, Mikro- und Makrokosmos, hoch oder niedrig Stehendem,

35 Vgl. Holländer, Hans. “Kunst- und Wunderkammern: Konturen eines unvollendeten Projektes.“ In: Kunst- undAusstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung imSpiegel der Zeit. Bonn, 1994. S.138 (ab hier: Hans Holländer. Wunderkammer des Abendlandes 1994.)36 Die letzten Generationen, mit denen das Sammlerwesen jener Zeit seine Blüte und seinen Niedergang erlebte, gaben sichimmer freimütiger dem Kult des Bizarren um seiner selbst willen hin und spiegelten damit auch die Werte des Barock wider.37 Nekromantie bezeichnet einen Zauber, dessen Ziel es ist, Kontakt zu Toten aufzunehmen, oder diese wiederzubelebenund so zu Untoten zu machen. Das Wort Nekromantie leitet sich ab vom altgriech. nekros (Leiche) und von mantis(Weissager). Vgl. Kluge, Friedrich. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage. Berlin, New York, 1989.38 Dies ist allerdings nur ein recht oberflächlicher Abdruck des Themas, da sich das Verhältnis von Leben und Tod auch aufeiner grundsätzlicheren Ebene der in allen Sammlungen bestehenden Dialektik von “Verschwinden“ und “Fortbestand“spiegelt.

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Beseeltem und Unbeseeltem, Lebendigem und Totem auszumachen und so die Existenz eines

übergeordneten, alles einenden Prinzips nachzuweisen.“39

Ordnung und Präsentation der Sammlung

Diese Suche war durch ein Analogie- und Gleichheitsdenken motiviert und geprägt. Es sollten sowohl

Übereinstimmungen zwischen den Dingen untereinander als auch zwischen der Sammlung von Dingen

in der Wunderkammer (Mikrokosmos) und der Welt als Ganzer (Makrokosmos) aufgezeigt werden. „Die

Kunst- und Wunderkammern waren lehrreiche Repräsentationen der Welt, so wie die Welt selbst als

Kunst- und Wunderkammer Gottes aufgefasst wurde.“40 Man glaubte die Ordnung des ganzen

Universums in den einzelnen Dingen wieder finden zu können, wenn man alles heranzog, was man

über diese Dinge sehen und wissen konnte.41 Es herrschte eine völlig andere, für uns heute schwer

nachvollziehbare Ordnung in diesen Mikrokosmen,42 die sich selbst durch ihren universalen und

enzyklopädischen Anspruch als Miniaturabbild der umgebenden Welt – als Theatrum Mundi –

verstanden.

Dass die ganze Welt in einem einzigen Raum enthalten sein konnte, erklärt sich damit, dass kein

natürliches Objekt ohne Bedeutung war, sondern vielmehr alles als die Manifestation eines Planes oder

einer versteckten Aussage angesehen wurde. Alles, so stellte der Rhetoriker Emanuele Tesauro fest,

war eine Metapher, “(...) und wenn die Natur durch diese Metaphern zu uns spricht, folgt daraus, dass

eine enzyklopädische Sammlung als Summe aller möglichen Metaphern logischerweise zur

allumfassenden Metapher für die Welt werden muss.“43 Aufgrund dieser Weltsicht ging es in den Kunst-

und Wunderkammern eben nicht ausschließlich darum, seltene und kostbare Dinge anzuhäufen,

sondern die Objekte zugleich in eine bestimmte, ordnende Umgebung einzubetten. Um die

bedeutungsvollen Beziehungen zwischen den Dingen sichtbar zu machen, wurde eine offenere

Präsentation als in den Studioli bevorzugt, bei der mehrere Dinge gleichzeitig zu sehen waren. “Die

Anordnung der Exponate, der Symbolgehalt der Dekoration, die Ästhetik der Vitrinen und Regale – all

diese Bestandteile wurden von Sammlern genutzt, um die Affinitäten zwischen den Dingen

hervorzuheben und die Grund legende Einheit hinter dieser immensen Vielfalt zu enthüllen.“44 In diesem

System gab es keine Hierarchien, sondern vielmehr ein gleichwertiges Nebeneinander von heute

getrennten Disziplinen. Regale, Schaukästen und Schubladen hatten nicht nur die Aufgabe, die

gesammelten Gegenstände zu erhalten und zu verbergen. In ihnen wirkte auch der Impuls, jedes Stück

39 Patrick Mauries, 2003. S.4340 Bredekamp, Horst. Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft derKunstgeschichte. Berlin, 1993. S.7041 Das Wissen über Steine bestand beispielsweise darin, aufzuzählen, welchen anderen Formen sie entsprechen konnten.42 Nach Foucault steht der Begriff Mikrokosmos als Denkkategorie für eben dieses Analogiedenken, da er das “Spiel derreduplizierten Ähnlichkeiten” anwendet und bezeugt, “(...) daß jedes Ding in einer größeren Stufenleiter sein Spiegelbild undseine makroskopische Versicherung findet.” Foucault, Michel. Die Ordnung der Dinge. Frankfurt a.M., 1971. S.6243 Emanuele Tesauro zitiert nach: Patrick Mauries, 2003. S.9144 Ebd.S.34

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an seinen Platz innerhalb eines umfassenden Geflechts von Bedeutungen und Entsprechungen

einzufügen.45 Die symmetrische Aufstellung der Schränke war dabei von entscheidender Bedeutung als

Mittel, um Unterschiede und geheime Verbindungen aufzuzeigen und hervorzuheben und dem

Betrachter a priori ein Verständnis dessen zu vermitteln, was ihm gezeigt wurde. Man könnte sogar

behaupten, die Wunderkammer sei letztendlich nichts anderes als eine Reihe von ineinander

geschachtelten Behältnissen.46 Sammlungsobjekte ruhten in Schachteln, die in den Schubladen von

Schränken lagen, und die Schränke waren wiederum symmetrisch innerhalb des kastenförmigen

Raumes selbst arrangiert. „Einem Teleskop vergleichbar, entfalteten sich diese ineinander

geschachtelten Räume um die einzigartige Aura dieses oder jenes Objekts und setzten sie in Bezug

zum Betrachter.“47 In den Wunderkammern wurde jedes Element – vom zentralen Tisch über die

Schranktüren, die Fenstereinfassungen und die Deckengestaltung – dem Bemühen um Interpretation

und Ästhetik untergeordnet.

Neben dem Analogiedenken existierte ein recht unübersichtliches Gespinst aus Entsprechungen,

Mehrdeutigkeiten und Metamorphosen. Manche Gegenstände konnten nicht eindeutig klassifiziert

werden, sondern wanderten zwischen den Systemen. Die Verbindung kunstvoll geformter Naturgebilde,

wie Muscheln oder Schneckengehäusen, mit kunsthandwerklicher Arbeit machte eine exakte

Zuordnung schwierig. So gehörte beispielsweise ein Nautiluspokal mit silbernem Fuß sowohl zu den

Naturalia als auch zu den Artificialia. Durch seine perfekte logarithmische Spirale als Verweis auf die

Mathematik war er aber ebenso Teil der Scientifica.48 Dies zeigt, ”(...)daß es sich keinesfalls um

chaotische Ansammlungen und unfertige Zeugnisse einer mißgeleiteten und über die Ufer getretenen

Sammelwut handelte, daß der Eindruck des Chaotischen-Irregulären nicht auf Unfähigkeit zur Ordnung

verweist, sondern auf einen Überschuß an konkurrierenden Ordnungssystemen, die gleichzeitig am

Werk waren.”49

Das Ende der Kunst- und Wunderkammern

!Ungeachtet der teils konkurrierenden Ordnungssysteme und über die Grenzen der Klassifikationen

hinaus stand letztendlich alles mit allem in Zusammenhang. Man wollte in dieser gleichwertigen

Zusammenschau einen universalen mit Sinn erfüllten Gesamtplan der Schöpfung an exemplarischen

Objekten zeigen und durch vielfältige symbolische Bezüge veranschaulichen. Zur Krise kam es, als es

durch häufigere Reisen, Entdeckungen und systematischere Formen des wissenschaftlichen

45 Vgl. Ebd. S.3446 In den Wunderkammern, die als Mikrokosmos der Welt angelegt waren, wurden wiederum Miniaturen mit verblüffendenMaßstabsveränderungen gesammelt. Sie spielten mit den Effekten extremer Verkleinerung oder starker Vergrößerung undbrachten damit die gängigen Vorstellungen von der Größe der Dinge und dem, was die vertraute Welt des Betrachtersausmachte, in Wanken. Damit eröffneten die Miniaturobjekte aber nicht nur eine ungewohnte Perspektive auf die sichtbareWelt, sondern trugen auch in sich das Grundprinzip der Abgrenzung und Verkapselung, das den Wunderkammern zugrundelag. Ebd. S.11447 Ebd. S.3548 Vgl. Hans Holländer. Wunderkammer des Abendlandes. 1994. S.3649 Ebd. S.35

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Austauschs immer schwieriger wurde, eine Ordnung für die Fülle des Materials zu behaupten. Aufgrund

des Widerspruchs zwischen dem Drang, jeden Aspekt der realen Welt innerhalb eines begrenzten

Raumes erschöpfend behandeln zu wollen, und der sich immer klarer abzeichnenden Unmöglichkeit

eines solchen Unterfangens, konnte die Kunst- und Wunderkammer ihren Status als ”Welt in der Stube”

nicht mehr halten.50 Sie musste den enzyklopädischen Anspruch aufgeben, innerhalb ihrer Ordnung die

reale Welt in all ihren Facetten wiederzugeben, und durfte sich letztendlich nur noch rühmen, einige

Überbleibsel von der Welt vorweisen zu können.

Auch die Freude an Bizarrem und Staunenswertem, am ungewohnten Nebeneinander wich mehr und

mehr der Vernunft und Verwissenschaftlichung.51 Dabei ging etwas aus diesen Kunst- und

Wunderkammersammlungen für immer verloren, da es die Überzeugung, dass man nun in der Lage sei,

die Welt zu verstehen und zu erklären, störte: die Kuriositäten, die nicht erklärbaren, wunderlichen oder

magiebehafteten Dinge und Gegenstände.52 Aufgrund ihrer Fähigkeit, den Blick des Betrachters auf

sich zu ziehen und gängige Wahrheiten in Frage zu stellen, hatten die Wunder zuvor eine zentrale Rolle

gespielt und waren als Anreiz begriffen worden, “(...) die Realität bis in ihre letzten Hintergründe, die

Beziehung zwischen Kunst und Natur und die geistigen Grundlagen der menschlichen Erkenntnis ganz

allgemein zu erforschen.“53 Ein neuer Begriff von Wahrheit ließ keinen Platz für das Unerklärbare und

Bizarre und so wurden gerade die Ausnahmen der Natur, die vormals das größte Interesse auf sich

gezogen hatten, nun ignoriert, aussortiert oder vernichtet.54 Den Wundern wurde mit Herablassung

begegnet und das Staunen war nicht länger von ängstlicher Ehrfurcht geprägt, sondern wurde

zunehmend als aufgeblasene Form des Vergnügens gesehen und zu schierer Sensationslust

degradiert!. „So verlagerte sich der Kult der Kuriositäten aus dem Bereich “hoher“ Kultur und

wissenschaftlicher Forschung in niedere Gefilde und fand fortan beispielsweise noch auf Jahrmärkten

eine Bühne.“55

Die eintretende Spezialisierung ging zwangsläufig Hand in Hand mit dem Verlust des Glaubens an eine

mit Sinn erfüllte Einheit des Weltganzen. Durch die Zersplitterung des ehemals einheitlich gedachten

Plans der Schöpfung in immer kleinere Wissensgebiete waren diese als Gesamtbild bald nicht mehr

50 “Die Menge des Wissenswerten nahm schneller zu als die Menge der zur Verfügung stehenden Definitionen und Begriffe.“Ebd. S.3951 Interessant dabei ist, dass Teile der Sammlung selbst die Kunst- und Wunderkammern in Frage stellten. !Du!r!c!h! !d!i!e! !!E!r!f!i!n!d!u!n!g! !v!o!n! !i!n!s!t!r!u!m!e!n!t!e!l!l!e!n! !E!r!k!e!n!n!t!n!i!s!m!i!t!t!e!l!n! !a!u!s! !d!e!m! !B!e!r!e!i!c!h! !d!e!r! !s!c!i!e!n!t!i!f!i!c!a !,! !w!i!e! ! !F!e!r!n!r!o!h!r! !o!d!e!r! !M!i!k!r!o!s!k!o!p!,! !k!a!m!e!n!!p!l!ö!!t!z!l!i!c!h! !Z!w!e!i!f!e!l! !a!n! !d!e!r! !G!e!w!iss!h!e!i!t! !v!o!n! !o!p!t!i!s!c!h!e!n! ! !E!r!k!e!n!n!t!n!i!s!m!e!t!h!o!d!e!n! !a!u!f!.! !O!p!t!i!s!c!h!e! !T!ä!!u!s!c!h!u!n!g!e!n! !i!n! !F!o!r!m! !v!o!n! !!A!n!a!m!o!r!p!h!o!s!e!n!,! !T!r!o!m!p!e!-!lóe!i!l! !G!e!m!ä!!l!d!e!n! !u!n!d! !p!e!r!s!p!e!k!t!i!v!i!s!c!h!e!n! !G!u!c!k!k!äs!t!e!n! !h!i!n!t!e!r!f!r!a!g!t!e!n! !d!i!e! ! !R!i!c!h!t!i!g!k!e!i!t! !v!o!n! !W!a!h!r!n!e!h!m!u!n!g!!a!l!s! !E!r!k!e!n!n!t!n!i!s!p!r!i!n!z!i!p! und m!a!n! !h!e!g!t!e! !d!e!n! !V!e!r!d!a!c!h!t!,! !s!t!ä!!n!d!i!g!e!n! !Täu!s!c!h!u!n!g!e!n! !z!u! !u!n!t!e!r!l!i!e!g!e!n!!.! !52 Dinge wie Alraunen, Beozare (Magensteine), das Horn des Einhorns, Paradiesvögel, versteinertes Holz und Korallenästewaren zuvor in beinahe jeder Sammlung zu finden gewesen.53 Patrick Mauries, 2003. S.12654 !Entweder waren sie !m!i!t! !z!u!n!e!h!m!e!n!d!e!r! !E!r!k!e!n!n!t!n!i!s! “e!n!t!z!a!u!b!e!r!t“!! und damit !u!n!i!n!t!e!r!e!s!s!a!n!t! !g!e!w!o!r!d!e!n!, !o!d!e!r! sie entzogen !s!i!c!h!!n!o!c!h! !i!m!m!e!r! !j!e!d!e!r! !v!e!r!n!u!n!f!t!m!!äßi!g!e!n! !D!e!u!t!u!n!g!. A!l!s! !u!n!e!r!k!l!är!b!a!r!e! ! !R!ät!s!e!l! e!r!s!c!h!üt!t!e!r!t!e!n sie !d!e!n! !f!e!s!t!e!n! !G!l!a!u!b!e!n! !a!n! !d!i!e!!a!n!g!e!s!t!r!e!b!t!e! !E!r!k!l!är!b!a!r!k!e!i!t! !d!e!r! !W!e!l!t! !u!n!d! !B!e!h!e!r!r!s!c!h!u!n!g! !d!e!r! ! !N!a!t!u!r! !d!u!r!c!h! !d!e!n! !M!e!n!s!c!h!e!n,! !l!i!eß!e!n! !s!i!c!h! !w!i!s!s!e!n!s!c!h!a!f!t!l!i!c!h! !n!i!c!h!t!!e!i!n!o!r!d!n!e!n! !u!n!d! ! !mussten verschwinden!.!55 Patrick Mauries, 2003. S.194

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überschaubar. S!o wurden !d!i!e! !K!u!n!s!t!-! !u!n!d! ! !W!u!n!d!e!r!k!a!m!me!r!n! !nach und nach !a!u!f!g!e!lös!t! !u!n!d! !i!h!r! !I!n!h!a!l!t!

separat in zoologische, botanische, ethnologische, historische und physikalisch-technologische

!S!p!e!z!i!a!l!s!a!m!m!l!u!n!g!e!n! a!u!f!g!e!t!e!i!l!t!.!56 Die Naturalia gingen in die naturhistorischen Sammlungen und die

Artificialia und Scientifica in die Kunstgalerien und technischen Sammlungen. D!ie!s! !!b!e!d!e!u!t!e!t!e! !d!a!s! !E!n!d!e!

!d!e!r! !u!n!i!v!e!r!s!a!l!e!n! !Z!u!s!a!m!m!e!n!s!c!h!a!u! !u!n!d! !d!e!n! !B!e!g!i!n!n! !d!e!s! !n!e!u!z!e!i!t!l!i!c!h!e!n! ! !M!u!s!e!u!m!s!.!

2.4 Das öffentliche Museum

Nach der beschriebenen Aufteilung der universalen Kunst- und Wunderkammern in Spezialmuseen

möchte ich mich im Folgenden lediglich auf die weitere Entwicklung der Kunst- und der

Naturkundemuseen beziehen, da ich mich künstlerisch hauptsächlich mit generellen Mechanismen des

Museums und den speziellen Präsentationsformen des Naturkundemuseums auseinandergesetzt habe,

wobei der Blick gleichzeitig immer auch auf die besondere Rolle und Funktion des Kunstmuseums

gerichtet war. Die bereits skizzierte Entwicklungsgeschichte des Museums ist deshalb relevant, weil

sowohl das Naturkundemuseum als auch das Kunstmuseum genau genommen nur zwei Teile eines

ursprünglich umfassenderen Museumstyps sind, der Kunst und Natur gleichwertig nebeneinander

sammelte und präsentierte. Heute gibt es nur noch wenige Museen, bei denen die Einheit des Kunst-

und Naturalienkabinetts noch gewahrt ist.57 Meist sind die Institutionen in separaten Häusern

untergebracht und können mit ihren hoch spezialisierten Sammlungen ebenso als Weiterentwicklung

wie als Zerfallsprodukt der Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock gelten.58

Doch durch das Wissen um die ehemalige Einheit dieser Institutionen bekommt das heutige Kunst- wie

auch das Naturverständnis im Museum eine ganz besondere Note, die aus ihrer gemeinsamen Wurzel

in der frühen Faszination am Fremden und Kuriosen, an Repräsentation und Schau entspringt.

Die Aufteilung der einheitlichen Kunst- und Wunderkammern in die verschiedenen

Gegenstandsbereiche war nicht nur ein Differenzierungsprozess, der sich aus der Überfülle des

Materials zwangsläufig ergab, sondern wurde auch von der Entwicklung einer neuen Weltanschauung

eingeleitet. Da nicht mehr an eine bestehende metaphysische Ordnung der Dinge geglaubt wurde,

musste diese Ordnung durch das Sammeln und Klassifizieren nun erst hergestellt werden. Das Wissen

um die Natur und Kultur sollte in Form von repräsentativen Manifestationen gesammelt, geordnet,

systematisiert, institutionalisiert und so verfügbar gemacht werden.59 Die Sammlungsobjekte wurden

56 Als großangelegter Versuch, eine Ordnung der Dinge durch Sammeln zu ermitteln, durch ihren Hang zum Kategorisieren,Systematisieren und Analysieren trugen die Kunst- und Wunderkammern vielleicht von Anfang an den Keim zurVereinzelung und Spezialisierung ihrer Objekte in sich.57 Das Hessische Landesmuseum in Darmstadt ist ein solches Beispiel.58 Vgl. Hans Holländer. Wunderkammer des Abendlandes. 1994. S.14459 Ihren Anfang nahm eine solche wissensgeleitete Archivierung nach den Regeln der Taxonomie zunächst nicht in denKunstmuseen, sondern in den naturkundlichen Sammlungen. Beat Wyss zeichnet in seinem Aufsatz die Entwicklung derOrdnungsprinzipien in den frühen Sammlungen der Naturwissenschaft vom Prinzip der Ähnlichkeiten in der Renaissanceüber das Prinzip der Begriffe bis zum Prinzip des Lebens und seiner Dynamik nach, betont dabei aber gleichzeitig, dass sich

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nicht mehr nach den in ihnen selbst schlummernden Analogien, sondern nach abstrakten Skalen,

Schemen und Kriterien gemessen, verglichen und geordnet. Damit begann Ende des 18. Jahrhunderts

auch wissenschaftsgeschichtlich eine neue Epoche. Der neue Ordnungswille war Ausdruck des

rationalistischen Dranges, der Welt habhaft zu werden, indem man sie gemäß allgemein verbindlicher

Regeln ordnete und gegenüberstellte.60 Dabei fällt nach der Auflösung der ehemals als Einheit

gedachten Welt vor allem ein Auseinandertreten der jeweiligen fachspezifischen Systematiken auf.

„Während nämlich das naturhistorische Museum nach Naturreichen, Stämmen, Gattungen, also Vögeln,

Fischen, Reptilien usw. eingeteilt wird, so wurde das kunsthistorische Museum nach zeitlichen Epochen

gegliedert.“61

Darüber hinaus geriet im 19. Jahrhundert angesichts von Industrialisierung und Urbanisierung auch

vieles bisher Vertraute außer Gebrauch und erschien dadurch auf einmal bewahrens- und

ausstellenswert.62 „Die Zerstörung von Vergangenem schärft die Erfahrung des Verlustes und treibt

Gegenmaßnahmen hervor.“63 Das Museum wurde immer mehr zu einem Ort der Rettung für das, was

durch den Fortschritt überrollt zu werden schien. Damit hörte es auf, Ort des Neuen, gerade erst

Entdeckten zu sein und wurde zu einem Ort des Bewahrens und Konservierens von alten

Gegenständen, die zu verschwinden drohten.

Ein entscheidender Auslöser für den Funktionswandel der privaten Schatzkammern zu bürgerlichen

Museen war darüber hinaus ohne Zweifel die Französische Revolution, welche die Institution Museum

endgültig zu einer Bildungseinrichtung der bürgerlichen Öffentlichkeit machte. Nach dem Sturm auf die

Bastille und der Abschaffung der Feudalordnung verfügte die Nationalversammlung mit dem Dekret von

1791 die Verstaatlichung der Kunstsammlungen des Königs von Frankreich.64 Ende des 18.

Jahrhunderts begann dann eine Welle von Museumsgründungen, da die fürstlichen Sammler nun auch

anderswo freiwillig dazu bereit waren, ihre Kunst- und Wunderkammern einer breiteren Öffentlichkeit

zugänglich zu machen. Bereits in den Gründerjahren galten diese nach wissenschaftlichen Sparten

getrennten Institutionen ihren Betreibern vom Anspruch her als Orte der Belehrung und Erbauung.

Kunstmuseen widmeten sich der ästhetischen Bildung ihres Publikums, historische Museen

begründeten ihre Präsentation von Zeugen der nationalen Geschichte in einer staatskundlichen

diese Prinzipienfolge nicht auf die Kunstsammlungen übertragen lässt, da hier das Prinzip der Ähnlichkeit für dieKlassifizierung bis in die Moderne gültig bleibt. Vgl. Wyss, Beat. “Das Museum. Oder die Rückverzauberung entzauberterDinge“. In: Museumskunde Band 63, Heft 2, 1998.60 Die konsequente Gestaltung des Museums als enzyklopädisches Archiv am Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt sichnicht zufällig parallel zur Entstehung der ersten umfassenden Enzyklopädie Denis Diderots in Frankreich.61 Böhme, Gernot. “Kunst nach der Natur“. In: Bott, Gudrun und Broska, Magdalena (Hrsg.). Post Naturam – Nach der Natur.Bielefeld, 1998. S.1462 Vgl. Sturm, Eva. Konservierte Welt – Museum und Musealisierung. Berlin, 1991. S.30 ff.63 Fliedl, Gottfried. “Testamentkultur. Musealisierung und Kompensation“. In: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.). ZeitphänomenMusealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung. Essen, 1990. S.16764 Ab 1793 wurden die enteigneten Kunstgüter von Adel und Kirche an acht Tagen kostenlos im Louvre gezeigt. Vgl.Kretschmann, Carsten. Räume öffnen sich. Naturhistorische Museen im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Berlin, 2006.S.16 (ab hier: Carsten Kretschmann, 2006.)

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Erziehung der Bürger, ethnografische Museen verfolgten mit der Zurschaustellung von Beutestücken

fremder Kulturen die Heraushebung der eigenen Produkte und die Befriedigung exotischer Bedürfnisse.

Und das naturkundliche Wissen der Zeit schließlich offenbarte sich dem staunenden Publikum in den

naturhistorischen Museen.

So wie die Wunderkammern und fürstlichen Sammlungen dem Ruhm und der Stabilisierung des

einzelnen Fürsten gedient hatten, bestand die gesellschaftliche und kulturpolitische Funktion des

Museums nun in der Stärkung des neuen gesellschaftlichen Systems. Dabei wurde auch das

Geltungsbedürfnis auf nationale Staatsebene übertragen, was daran ersichtlich wird, dass die meisten

der fast sakral wirkenden Museumsbauten absolute Prunk- und Protzbauten sind.65 Das Museum

bekam unter anderem die Aufgabe, die abstrakte politische Kategorie der “Nation“ anschaulich mit Sinn

zu füllen und dem Volk unmittelbar erlebbar zu machen. Dieser Erziehungsauftrag ging von den sich

neu formierenden Nationalstaaten aus, die ihre Bürger an die Sinnstiftungen erinnern wollten, welche

die Gesellschaft in der Vergangenheit zusammengehalten hatten. Museen wurden dabei auch zu

politischen Lehrstätten zur Ausbildung staatsbürgerlicher Tugenden und zu “(...) Räumen der

Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung.“66 Da nun praktische und moralische Lektionen von

ihnen gelernt werden sollten, erfuhren die gesammelten und ausgestellten Objekte in diesem Prozess

eine didaktische Bedeutungsverschiebung. Die Belehrungsakte erfolgten in erster Linie über die

entsprechend inszenierten Ausstellungen, wobei die Museen, damit sie ihren Zweck erfüllen konnten,

auf Lesbarkeit für alle achten mussten. Ihre Rolle bestand darin, als Übersetzer die Erkenntnisse der

Spezialwissenschaften so aufzubereiten, dass deren Aussagen auch von einem größeren

“Laienpublikum“ verstanden und eingeordnet werden konnte.67 Durch ihren Vermittlungsauftrag wurden

die Museen schließlich Flächen deckend zu Bildungsanstalten für alle.

2.4.1 Naturkundemuseen seit Ende des 18. Jahrhunderts

Die Institution Naturkundemuseum hat neben den Kunst- und Wunderkammern der europäischen

Fürstenhäuser noch weitere historische Wurzeln. Auch die privaten Sammlungen von Gelehrten,

Professoren, Ärzten und Apothekern, welche in so genannten “Naturforschenden Gesellschaften“

organisiert waren, flossen in die modernen Naturkundemuseen ein. Die meisten dieser Sammlungen

gingen früher oder später im Naturkundemuseum auf, da der Anspruch, eine solche Sammlung auf 65 Es kann kritisiert werden, dass wir zwar das Museum dem aufstrebenden Bürgertum zu verdanken haben, dass diesesaber mittlerweile die Stellung und Funktion des Adels übernommen hat. Denn häufig besteht das so genannte öffentlicheMuseum zum Großteil aus Leihgaben und Stiftungen von Privatsammlungen, so dass es sich in vielen Fällen eher um eineöffentlich zugängliche Privatsammlung handelt. Vgl. Weibel, Peter. “Zur Zukunft des Kunstmuseums. Museumstypen undAusstellungen.“ In: Krämer, Harald und John, Hartmut (Hrsg.) Zum Bedeutungswandel der Kunstmuseen. Positionen undVisionen zu Inszenierung, Dokumentation, Vermittlung. Nürnberg, 1999. S.2266 Lepenies, Annette. Wissen vermitteln im Museum. Köln, 2003. S.4067 Die Leitlinien für die museale Arbeit entsprangen meist den Vorstellungen und Idealen der gesellschaftlichen undpolitischen Eliten, die damit den eigenen Anspruch auf soziale Vorherrschaft auch aus ihrem durch die Museen gestütztenKulturverständnis legitimierten

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Dauer zu erhalten und die damit verbundenen Kosten für Konservierung und Aufbereitung häufig die

finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten von Privatleuten überstiegen.68 Als weitere

institutionelle Wurzel ist die Schule hervorzuheben, deren zahlreiche Verbindungen zu

naturwissenschaftlichen Vereinen, Sammlungen und Museen einen bedeutenden Ursprung

naturkundlicher Wissensproduktion und -präsentation darstellen. Museumsdirektoren waren oft selbst

ehemalige Lehrer,69 und recht häufig entstanden Naturkundemuseen direkt aus Schulsammlungen

heraus.

Die Übergänge von einer naturkundlichen Sammlung zu einem Naturkundemuseum waren fließend.

Anfangs unterschied sich ein Museum von einer Sammlung zunächst dadurch, dass seine Exponate in

einer für die breite Öffentlichkeit geeigneten Ordnung aufbewahrt und professionell verwaltet wurden, es

feste Öffnungszeiten gab, ein eigenes Gebäude bereit stand und nicht zuletzt dadurch, dass es sich als

“Museum“ bezeichnete.70 Der Prozess der Institutionalisierung, Öffnung und Nutzbarmachung von

Sammlungen wurde dabei sowohl durch das allgemein verstärkte Interesse an exotischen Tieren

vorangetrieben71 als auch durch die Reformbestrebungen im naturwissenschaftlichen Schulunterricht,

die mehr und mehr auf Anschaulichkeit und Naturnähe zielten. Museen hatten nun nicht mehr bloß die

Aufgabe zu Sammeln und zu Forschen, sondern sie sollten darüber hinaus als Bildungsanstalt breite

Bevölkerungsschichten erreichen und besonders die Angehörigen der Arbeiterklasse belehren und

erziehen. Auch im Wandel der Gebäudekonzeptionen drückte sich die Transformation der

Naturkundemuseen von “(...) Kathedralen des Wissens zu säkularen Bildungsanstalten (...)“72 aus. Im

Zuge von Museumsneubauten wurden nun separate Schausammlungen hergerichtet, in denen

öffentlichkeitsrelevantes Wissen getrennt von forschungsrelevantem Wissen präsentiert wurde. Strikt

abgeschottet von den wissenschaftlichen Sammlungen und Arbeitsräumen der Naturforscher sollte

naturkundliches Wissen anhand repräsentativer Objekte leicht verständlich ausgestellt werden.73 Wie

die naturkundlichen Disziplinen umfassten auch die Schausammlungen mehrerer Teilbereiche der

beschreibenden Naturwissenschaften: Zoologie, Botanik, Geologie und Paläontologie. Der Schwerpunkt

wird im Folgenden vorrangig auf die zoologische Schausammlung gelegt und begründet sich darin,

dass meine künstlerische Arbeit zum Naturkundemuseum sich ausschließlich auf diesen Bereich

68 Das Museum der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt a.M. und das HamburgerNaturhistorische Museum sind Beispiele für Vereinssammlungen.69 So kam ein Großteil der Führungselite und der Mitglieder des Hamburger Naturwissenschaftlichen Vereins und desNaturhistorischen Museums aus der Lehrerschaft des Realgymnasiums und der Gelehrtenschule Johanneum. Vgl. Scheele,Irmtraud. Von Lüben bis Schmeil. Die Entwicklung von der Schulnaturgeschichte bis zum Biologieunterricht zwischen 1830und 1933. Berlin, 1981. S.3770 Vgl. Köstering, Susanne. Natur zum Anschauen. Das Naturkundemuseum des deutschen Kaiserreichs 1871-1914. Köln,2003. S.30. (ab hier: Susanne Köstering, 2003.)71 Ein Großteil dieser Tiere wurde aus den Kolonien als Jagdtrophäen an die Museen vermittelt.72 Susanne Köstering. 2003, S.27573 Naturkundemuseen vollzogen den konzeptionellen Schritt einer räumlichen Trennung von wissenschaftlichenHauptsammlung und öffentlicher Schausammlung gut ein Jahrzehnt vor den Kunstmuseen und kulturhistorischen Museen,nämlich in den ausgehenden 1880 er Jahren. Vgl. Ebd. S.2

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bezieht. Auch wurde Ende des 19. Jahrhunderts durch die weitgehend anerkannte Evolutionstheorie die

Frage nach dem Status des Menschen innerhalb des Tierreichs neu verhandelt, was dazu beitrug, dass

die zoologischen Sammlungen eine herausragende Rolle als bedeutungsträchtigstes naturkundliches

Repräsentationsfeld innehatten. Darstellungen von Tieren legen immer Vergleiche mit dem Menschen

nahe und sind wahrscheinlich unterschwellig aus diesem Grund auch für heutige Besucher attraktiver

als Darbietungen von Pflanzen oder Gestein.

Zunächst waren die zoologischen Präparate in den Schausammlungen nach der Lehre der Taxonomie

geordnet und wurden recht nüchtern präsentiert. Die Taxonomie befasst sich als biologische Systematik

mit der Beschreibung, Benennung und Klassifizierung von Organismen. Dementsprechend waren die

Tiere in gleichförmigen Vitrinen so aufgereiht, dass die Besucher ihre systematische Anordnung

erkennen konnten. Das wissenschaftliche System sollte in langen Reihen von Schränken Schritt für

Schritt nachvollzogen werden, wobei das schrittweise Vorgehen beim Lernen buchstäblich in Bewegung

umgesetzt und eine konsequente Lese-Anordnung befolgt wurde. Die Präsentation der Exponate griff in

ihrer festgelegten Reihenfolge der Besichtigung die Struktur von Büchern auf. So könnte man die

aufeinander folgenden Sammlungssäle als Kapitel des Buches sehen und die Schranksegmente mit

den einzelnen Buchseiten vergleichen. Und selbst die Anordnung der Objekte auf den Regalbrettern der

Schränke folgte dieser Leserichtung – zeilenweise von oben nach unten und innerhalb der Zeile von

links nach rechts. Eine solche Aufstellung verlieh der vorgestellten visuellen Wissensordnung

“(...)dieselbe Glaubwürdigkeit wie dem gedruckten Wort.“74 Alle Modelle und Präparate waren fest in

diese lineare systematische Abfolge integriert. Auf den ihnen zugewiesenen Plätzen in den Schränken

repräsentierten sie ihre jeweilige Position im zoologischen System und blieben darüber hinaus stumm.

Dennoch hatte auch diese Inszenierungsform ihre Reize. “Was die Massen ins Museum trieb, war wohl

auch das Erlebnis der dort ausgestellten Masse.“75 Die große Menge der Objekte machte es schwer,

sich ins Detail zu vertiefen, und für viele Besucher rückte das Erlebnis des Museumsbesuchs an die

Stelle des Wissenserwerbs. Dabei wurde allein der Anblick der Menge des ausgestellten Materials für

den Betrachter wertvoll und Gewinn bringend, da es als Auszug und Abbild der Welt eine Vorstellung

von deren Unendlichkeit vermittelte. Hier wie in den Kunst- und Wunderkammern wurde die Ordnung

der Dinge durch ihre Präsentation versinnbildlicht. Doch während in der Wunderkammer vielfältige

Assoziationen geweckt werden sollten und eine der lustvoll betriebenen Hauptbeschäftigungen darin

bestand, Analogien über die Grenzen der Kategorien hinaus zu finden, war die Inszenierung nach

taxonomischer Anordnung das genaue Abbild eines festgelegten Systems. Die wissenschaftlich-lineare

und fest umgrenzte Ordnung stand damit im krassen Gegensatz zur metaphorischen und

geheimnisvollen Ordnung der Ausstellungsobjekte in den Kunst- und Wunderkammern.

74 Ebd. S.18975 „Das Erleben des Museums, in dessen Fülle sich das Individuum beinahe verlor, war mit Sicherheit auch einGemeinschaft bildendes Element.“ Carsten Kretschmann, 2006. S.130

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Doch im Zuge der Öffnung von Museen für Privatleute und ihre Nutzung als Freizeitvergnügen wurden

bald auch andere Strategien der Popularisierung versucht und neue Methoden und Medien der

musealen Präsentation entwickelt. Wollte das Museum auch das Publikum der wenig vorgebildeten

Schichten erreichen, musste es sich unweigerlich “(...) in Konkurrenz zu anderen Institutionen wie

Zoologischen Gärten und Völkerschauen, zu Industrieausstellungen und Panoramen (...)“76 begeben.

Die “neuen Medien“ dieser Institutionen, die das Anschauliche und Authentische bevorzugten,

entsprachen den Erwartungen und Sichtweisen des Publikums. Zeitgenossen beschrieben den als

Reaktion stattfindenden Umschwung der Präsentation im Naturkundemuseum als eine Wendung vom

System zum Leben.77 Das heißt vom System der biologischen Klassifikation zur Darstellung von

Lebensweisen, von Beziehungen der Lebewesen untereinander und zu ihren Umgebungen. Dieser

Paradigmenwechsel wird von Susanne Köstering als biologische Wende bezeichnet, wobei sie kritisch

anmerkt, dass die Wende von der Taxonomie zur Biologie nicht vollendet und nicht in letzter

Konsequenz durchgeführt wurde.78 Die zoologische Systematik blieb nämlich als Rahmen bestehen, in

den sich die neuen biologischen Darstellungen hinein und in den Vordergrund schoben. Statt einen

völlig neuen Systemansatz zu verfolgen, blieb das Naturkundemuseum wissenschaftlich und

symbolisch im bestehenden System verhaftet. Innerhalb dieses Systems kam jedoch Bewegung auf

und radikal neue visuelle Strategien wurden entwickelt. Die biologische Wende naturkundlicher

Schausammlungen beruhte demnach nicht auf einem Systemwechsel, sondern wesentlich auf einem

Wandel der “(...) visuellen Konzepte musealer Wissenspräsentation.“79 Diese lösten sich aus der

Darstellungsform von Büchern und eroberten sich neue bildliche und plastische Möglichkeiten der

Wissensdarbietung im Raum. Innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten fand diese Entwicklung statt und

erschloss symbolische Räume, die durch wissenschaftliche Konzeptionen allein nicht hätten geschaffen

werden können. Die naturkundlichen Schausammlungen wurden zu einem Schauplatz für die

Transformation der beschreibenden Naturwissenschaften zur Evolutionsbiologie, welche

Naturbeobachtungen vom Tier und von seinen Beziehungen zur Welt in anschauliche Bilder übersetzen

und zeigen konnte.

Die neuen Inszenierungsformen im Raum boten mehr Spielraum für freie Assoziationen als die älteren

strikten Leseanordnungen und arbeiteten mit moderneren Techniken der Tierpräparation. Zwar hat das

Konservieren und Ausstopfen von Tierhäuten eine sehr lange Tradition und stümperhaft

zusammengeflickte, steife und dickbäuchige Krokodile schmückten bereits die Decken der Kunst- und

Wunderkammern, doch genau genommen kann man von “moderner“ Taxidermie 80 erst seit Ende des

76 Ebd. S.12777 Susanne Köstering, 2003. S.378 Ebd. S.379 Ebd. S.15280 Das Wort Taxidermie (griechisch taxis = Anordnung, Arrangement und derma = Haut) erscheint in französischenWörterbüchern erst um das Jahr 1804.

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18. Jahrhunderts sprechen. Für den Aufschwung der neuen Situationsbilder und Szenen im

Naturkundemuseum des 19. Jahrhunderts ist dann die Entwicklung der Dermoplastik 81 von großer

Bedeutung. Die Befürworter dieser Präparationstechnik hatten schon länger argumentiert, die Tiere

seien Repräsentanten des Natürlichen und nicht etwa eines trockenen Systems. Doch erst mit der

Dermoplastik als neuer Technik des Präparierens setzte sich seit etwa 1870 eine bis dahin nicht

gekannte Maxime der Darstellung von “lebenswahren Bildern“82 durch. Zuvor waren die Tierbälger mit

Drahtgestellen aufgerichtet und mit Füllmaterial ausgestopft worden. An die Darstellung von Muskeln

wurde dabei noch nicht gedacht; große Präparate sahen dementsprechend unförmig aus und glichen

eher toten Hüllen als lebendigen Tieren. Bei der Dermoplastik verfuhr man andersherum und formte

zunächst über ein Gerüst einen künstlichen Tierkörper aus einer plastischen Masse (wie beispielsweise

Ton oder Gips) der dann mit dem entsprechenden Fell bezogen wurde. Die entscheidende

Veränderung bestand darin, dass „(...) die Dermoplastik auf die anatomisch-physiologische Konstruktion

des Tiers von innen heraus zielte, während bei der Taxidermie die Tierhaut die Form des Präparats

bestimmte.“83

Abb.2: Präparator Robert Rockwell formt den Körper

eines Braunbären,1940.

Dies ermöglichte es, den präparierten Tieren ein sehr lebendiges Aussehen zu geben und führte auch

zu einer Statuserhöhung des Präparatorenberufs.84 Aus ihrer Fähigkeit, das Leben nachzubilden,

Illusionen mit Anspruch auf Wirklichkeitstreue zu erzeugen und somit gewissermaßen eine eigene Welt

81 Das Wort Dermoplastik leitet sich her aus griechisch derma = Haut und plastikós = plastische, formbare Masse. Vgl.Kluge, Friedrich. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage. Berlin, New York, 1989.82 Martin, Ph.L. Die Praxis der Naturgeschichte. Teil 2: Dermoplastik und Museologie. 2. Auflage, Weimar 1880, S.1483 Susanne Köstering, 2003. S.16184 Bisher hatte das Los der Präparatoren darin bestanden, vergessen zu werden. Sie verrichten ihr Werk in denHinterräumen der Museen. Ihre Arbeit war nicht ungefährlich (das Risiko einer Arsenvergiftung war hoch), sie stankbestialisch, war hart, schmutzig und wurde als bloßes Handwerk gesehen.

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zu erschaffen, speiste sich das neue Selbstbewusstsein, aus dem heraus sich immer mehr

Präparatoren als Künstler verstanden. Denn erst das Produkt ihrer Arbeit machte aus Fellen und Federn

jene Objekte, die als Repräsentanten des naturkundlichen Wissens galten. Ihr Ziel war es, eine

möglichst naturgetreue, präzise Rekonstruktion des lebenden Tiers in einer typischen Situation zu

erschaffen, so dass sie mit Hilfe der Dermoplastik die bewegten Tierkörper in einer spezifischen

charakteristischen Situation und Konstellation zueinander gleichsam einfroren.85 Dabei wurde auch die

Physiognomie der Tiere mit einbezogen und “charakteristische Merkmale“ waren nicht länger

taxonomische sondern taxidermische Ausprägungen – nämlich Stellungen und Haltungen, in denen

sich auch Leidenschaften wie Angst, Zorn und Liebe zeigen sollten.86

Systematiker wehrten sich zunächst gegen diese Art der Tierpräparation, da sie nicht mehr beliebig mit

solchen individualisierten Tieren rangieren konnten. Stereotyp präsentiert waren sie einfacher zu

handhaben. Hier kam der Denkstil der Wissenschaftler explizit in Berührung mit gesellschaftlichen

Ansprüchen, und im Ergebnis ließen Zoologen schließlich erstmals außerwissenschaftliche Motive als

Faktoren für die Art ihrer Wissenspräsentation zu. Sie erkannten nämlich die Entfremdung breiter

Bevölkerungsteile von der Natur als ausreichenden Grund dafür an, inszenierte Natur im Museum

zuzulassen. Die biologische Wende korrespondierte demzufolge auch mit einer sozialökologischen

Umbruchsituation. Der Höhepunkt der Industrialisierung bedeutete nämlich nicht nur “(...) Urbanisierung,

Mobilisierung, soziale Differenzierung, Geschlechter- und Klassenkonflikte (...)“ sondern auch die

“(...)Transformation vorindustrieller Kulturlandschaften in eine zum Teil von massiven

Umweltbelastungen geprägte Industrielandschaft.“87 In einer historischen Phase, in der die Natur

einschneidendem Wandel und Vernichtung ausgesetzt war, erschien die dauerhafte Konservierung der

Natur von hoher Dringlichkeit. Taxidermie war von Anfang an der praktische Ausdruck dieses

Vorhabens gewesen, da sie gegen Verfall und Tod anarbeitete. Doch mit der Entwicklung der

Dermoplastik konnte noch mehr geleistet werden, denn sie hielt “(...) dynamische soziale Strukturen in

Bildern dauerhaft fest und konservierte Vorstellungen von Sozialbeziehungen.“88

Neben der neuartigen Präparation der einzelnen Tiere veränderte sich auch die Umgebung, in der diese

gezeigt wurden. So wurden die Vitrinen künstlich beleuchtet, um die Wirkung der Tiergruppen zu

steigern. Das verweist auf eine neue Visualisierungsstrategie, bei der Stimmung erzeugt und Ehrfurcht

85 Interessant in dem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass es seit den späten 1880 er Jahren durch die Tierfotografiezu neuen Entwicklungen in der Tierpräparation kam. Foto-Bildbände lieferten wichtige Vorlagen für Modelle und künstlicheTierkörper. Das Momenthafte und Unwillkürliche sollte für Authentizität bürgen. Vgl. Susanne Köstering, 2003. S.17286 Vgl. Ebd. S.16287 Die industrielle Neustrukturierung von Landschaft und die in einem neuen Maßstab rationalisierte Verwertung von Tierenund Pflanzen riefen den Wunsch nach intakter Umgebung und Naturschutz wach und zugleich das Bedürfnis nach kulturellerNeudeutung der Natur. Vgl. Ebd. S.388 Ebd. S.173

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hervorgerufen werden sollte. Auch die Anordnung der Exponate im Raum musste nun nicht mehr der

Veranschaulichung einer Systematik entsprechen, sondern sollte primär ästhetischen Kriterien folgen.89

Die größte Neuerung bei den Visualisierungskonzepten war die “Erfindung“ des Dioramas. Dieses

besteht aus drei Komponenten, wobei die ausgestopften Tiere als erster und wichtigster Bestandteil das

Diorama bestimmen. Zweitens ist die Gestaltung des Vordergrundes zu nennen, welche alle

dreidimensionalen Erscheinungen außer den Tieren umfasst, also die Nachbauten von Bäumen,

Gebüschen und Felsen. Das dritte Element eines Dioramas ist das gekrümmte Hintergrundgemälde,

welches für die generelle Illusion von Raum, Distanz und Umgebung von größter Bedeutung ist.90 Wenn

diese drei Elemente harmonieren und eine nahtlose Einheit bilden, findet eine unmerkliche

Verschmelzung der dreidimensionalen Vordergründe mit den gemalten, zweidimensionalen

Hintergründen statt, welche den Betrachter mit erstaunlicher Tiefenwirkung überzeugen. Der Aufwand

an Zeit, Energie und Geld, den das Museum betrieb, um die angestrebte Authentizität zu erreichen, war

erheblich. Mit akribischer Sorgfalt wurden jeweils vor Ort Daten gesammelt, um das Habitat der Tiere

gründlich zu dokumentieren.91 Die in den Dioramen übliche Präsentation des jeweils typischen Habitats

ist neben der ästhetischen und unterhaltenden Komponente sicherlich als Reaktion auf die Darwinsche

Evolutionstheorie zu sehen, welche die perfekte Anpassung an bestimmte Lebensverhältnisse und

Umweltbedingungen als zentralen Aspekt in der Entstehung der Arten sieht. Die Vorstellung vom

“Kampf ums Dasein“ wurde darüber hinaus in detailliert dargestellten Revierkämpfen, Jagd- und

Fressszenen verdeutlicht. Neben solchen aggressiven Bildern gab es aber von Anfang an auch die

beliebte Gruppe der “Tierfamilien“ – und zwar nicht im Sinne der taxonomischen Einheit, sondern als

soziales Gebilde.92 Das Diorama Unser Reh zur Sommerzeit im Altonaer Museum dient hier als

Beispiel. „Der starke Bock sichert, der junge Bock schlägt sein Geweih an Faulbaumruten (...) und

scharrt die Erde übermütig mit den Hufen. Die Ricke im Vordergrund wendet sich nach dem fiependen

Jungen um, während die übrigen Tiere ruhig weiteräsen – ein liebliches Bild.“93

89 „Da es die Aufgabe einer solchen Schausammlung ist, uns vor Allem das vorzuführen, was die Natur Mannigfaltiges undSchönes in der äußeren Erscheinung der Tierwelt geschaffen hat, und es uns so zu zeigen, dass wir mit Muße allesEinzelne daran bewundern können, so wird bei der Aufstellung zuerst darauf zu achten sein, dass jedes Objekt von seinemStandpunkt aus günstig auf den Beschauer wirken kann; zugleich muss darauf Bedacht genommen werden, dass dasGanze übersichtlich bleibt und einen harmonischen künstlerischen Eindruck macht.(...) Die Anordnung der Gruppen mussdem Ermessen des Konservators, der in erster Linie Künstler sein muss, anheim gestellt werden.“ Martin, Ph.L. Die Praxisder Naturgeschichte. Teil 2: Dermoplastik und Museologie, 2. Auflage, Weimar 1880, S.29290 Diese spezielle Form der Malerei bediente sich Perspektiv-Techniken der Renaissancekünstler und dem Übertragen vonBildern per Raster. Vgl. Quinn, Stephen Christopher. Windows on nature. New York, 2006. S.14191 „ Die Hintergründe müssen nicht nur korrekt sein,“ beschrieb Leigh die Zielsetzung des Teams bei der Gestaltung derHabitat-Dioramen, „sie müssen zugleich auch ebenso typisch für den Kontinent sein wie die vor ihnen platzierten wildenTiere. Wir müssen nicht nur im Bereich von Fauna und Flora, sondern auch im Bereich von Geologie und Geografie einen soumfassenden Eindruck vom Wesen Afrikas vermitteln, wie uns unsere Mittel erlauben. Unser Ziel muss lauten: vollendeteBilder, fehlerlose Geschichte, perfekte Wissenschaft.“ Ebd. S.14192 „ Wo Präparatoren von “Tierfamilien“ und “Tierkämpfen“ sprachen, sahen Naturforscher biologische Erscheinungen derAufzucht, des Nahrungserwerbs, der Sozialbeziehungen von Tieren.“ Susanne Köstering, 2003. S.17293 Lehmann, O. Festschrift zur Eröffnung des Altonaer Museums, zugleich ein Führer durch die Sammlungen. Altona, 1901.S.19

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In solchen “lieblichen“ Bildern schufen Dioramen zunächst vor allem künstliche Welten und es ist wichtig

sich zu fragen, welche Symbolräume diese Art der Darstellung öffnete.94 Mit Susanne Köstering könnte

man argumentieren, dass die gezeigte Tierfamilie die bürgerliche Kleinfamilie repräsentiere, entsprach

sie doch meist exakt den Modell-Vorstellungen einer Kernfamilie aus Eltern und Kindern, der Trennung

von privater und beruflicher Sphäre und der Arbeitsteilung der Geschlechter.95 Die Familie wird hier zum

Inbegriff friedvoller sozialer Beziehungen und liefert ein eingängiges Identifikationsangebot. Oftmals

wurden die männlichen “Familienoberhäupter“ als sicherndes Element der Heimat in das harmonische

Familienbild integriert, um eine Synthese aus Familienidylle und Kampfdarstellung zu erreichen.96 So

erweckten die Dioramen einerseits Assoziationen von Heim und Heimat, von Harmonie, Frieden und

Geborgenheit, auf der anderen Seite zeigten sie aber auch Bilder von Konflikten, Feindlichkeiten und

Härte. Sie führen idealtypische Muster von Rivalität über freundliche oder feindliche Annäherung und

Schutz vor und visualisieren damit gesellschaftliche Modelle sozialer Beziehungen zwischen Männern

und Frauen, Eltern und Kindern, Geschwistern, befreundeten oder verfeindeten Gruppen. An diesem

Beispiel wird deutlich, dass Naturkundemuseen nicht nur Bilder von “der Natur“, sondern im gleichen

Moment immer auch Bilder von “der Gesellschaft“ erzeugen. Denn das, was im Museum gezeigt

werden kann, ist nicht die wie auch immer definierte Natur sondern vielmehr die jeweilige

gesellschaftliche Vorstellung von der Natur. So hätte auch das alte taxonomische System mit seinen

Ordnungs-Kategorien wie Klasse, Familie, Gattung und Art durchaus als Repräsentation der

menschlichen Gesellschaft aufgefasst werden können, nur stimmte es irgendwann nicht länger

uneingeschränkt mit den Vorstellungen über den Aufbau der Gesellschaft überein.97 Die biologische

Wende spiegelt demnach auch eine gesellschaftliche Veränderung wider, indem sie die

Aufmerksamkeit statt auf das “System“ auf die “Lebenswirklichkeit“ und das hieß implizit auch auf die

soziale Wirklichkeit, richtete. Die neuen Bilder korrespondierten mit den neuen Theorien

gesellschaftlicher Fragestellungen besser als die normierten “Geradeaus-Aufstellungen“ der

taxonomisch-systematischen Sammlungen. Biologische Gruppen und Dioramen funktionierten “(...) wie

Scharniere zwischen wissenschaftlicher Disziplin und visuellem Konzept, zwischen Konstruktion von

Natur und Kultur und nicht zuletzt zwischen Belehrung und Unterhaltung.“98

Die Erkenntnis, dass naturwissenschaftliches Wissen und die Präsentation dieses Wissens kulturell

geprägt sind und damit historischem Wandel unterliegen, ist das größte Potential des

Naturkundemuseums und auch einer künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem. Doch während im

94 Denn „(...) visuelle Repräsentation generiert auch immer kulturelle Bedeutung.“ Susanne Köstering, 2003. S.15495 Die soziale Wirklichkeit der Familie war Ende des 19. Jahrhunderts im Umbruch begriffen und für einen Großteil derErwerbstätigen bildete sie nicht länger eine Produktionseinheit. Die Einführung der Sozialversicherungen brachte dasVerhältnis der Generationen auf eine abstraktere Ebene und die Familienbande lockerten sich, während die traditionelleVorstellung von Familie gleichzeitig als Ideal verklärt wurde. Vgl. Ebd. S.2796 Ebd. S.17097 Vgl. Susanne Köstering, 2003. S.27798 Ebd. S.276

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Falle des Kunstmuseums bezüglich des Selbstverständnisses und der Präsentationsformen gewaltige

Veränderungen und Umbrüche im Laufe des 20. Jahrhunderts stattfanden, entwickelten die

Naturkundemuseen keine durchgreifenden Innovationen mehr, blieben im Großen und Ganzen den

beschriebenen Inszenierungsformen bis heute treu und zehren gegenwärtig immer noch weitestgehend

von Darstellungs- und Vermittlungsformen, die vor über hundert Jahren im ausgehenden 19. und

beginnenden 20. Jahrhundert im Kontext der Museumsreformbewegung erfunden wurden.

2.4.2 Kunstmuseen seit Ende des 18. Jahrhunderts

Die Komplexität des sich wandelnden Selbstverständnisses des Kunstmuseums seit dem 18.

Jahrhundert, die theoretischen Hintergründe der sich aufspaltenden und teilweise höchst disparaten

Ansätze und Ausprägungen im Bereich der musealen Präsentationsformen und die pure Menge und

Verschiedenheit an “Museumskunst“ machen es mir unmöglich, diesen großen Bereich auch nur

ansatzweise vollständig zu behandeln. Da die Zusammenstellung eines umfassenden Überblicks im

Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann, werde ich durch eine subjektive Auswahl sehr knapp

die geschichtliche Entwicklung nachzeichnen und dabei einige der für meine künstlerische Arbeit

wichtigen Aspekte anreißen.

Durch die Überführung aus den Kunst- und Wunderkammern und Gemäldegalerien in öffentliche

Kunstmuseen veränderte sich der Umgang und der Blick auf die Kunstwerke gravierend. Bis zum Ende

des 18. Jahrhunderts waren weder die Kunst- und Wunderkammern noch die höfischen

Gemäldegalerien selbständige Institutionen, sondern architektonisch und konzeptionell fest in den

Herrscherhäusern verankert und Bestandteil im Raumprogramm jedes größeren Residenzschlosses.

Bilder waren bis zu diesem Zeitpunkt meist fest an einen Ort gebunden gewesen. Vor der “Erfindung"

des Tafelbildes als mobilem Objekt hatten Kunstwerke, beispielsweise bei der Höhlenmalerei und den

Fresken, zwangsläufig in einem speziellen räumlichen Kontext gestanden. Doch auch die Tafelbilder

und Skulpturen der Barockschlösser und Kirchen wurden nicht nach ihrer Wirkung als einzelne

Kunstwerke, sondern aufgrund ihrer Gesamtwirkung, der Fülle und der Repräsentationsfunktion für

spezifische Räume ausgewählt.

Erst durch die im Zuge der Französischen Revolution und der Aufklärung stattfindende Enteignung des

Kunstbesitzes von Kirchen, Klöstern und Schlössern wurden riesige Bildbestände beweglich gemacht.

Allerdings blieb die Charakteristik der anfänglichen Ausstattung des Kunstmuseums, in Übernahme der

aristokratischen Inszenierungspraxis, zunächst ähnlich repräsentativ und kostbar. Die Wände wurden

bis ins späte 19. Jahrhundert mit meist einheitlich “galerieroten“ Wandstoffen bespannt.99 Ergänzend

99 Bis vor etwa 100 Jahren wurde die Kunst in den Museen generell auf farbige Untergründe gehängt. Bezüglich des Leitersdes Frankfurter Städl um 1910 hieß es: „Altdeutsche Malerei und Niederländer hängte er auf Blau, Italiener auf leichtgemusterte, graue Tapete, französischen Impressionismus auf Braunrot und Expressionisten auf kräftige gelbe

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konnten schwere Vorhänge und die Bilder betonende Draperien hinzukommen. Dabei waren die

Wandbespannungen oft kaum noch in ihrer Farbe und Ornamentik wahrnehmbar, da fast die gesamte

Hängefläche durch eine dichte Wand von Bildern verdeckt war.

Abb.3: David Teniers. Die Bildergalerie des Erzherzogs Abb. 4: Pietro Martini. Exposition au Salon du Louvre, 1787. Leopold Wilhelm von Österreich, ca. 1647.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Hängepraxis auch in den Ausstellungen für

zeitgenössische Kunst angewandt. Potentiellen Käufern wurden etwa in den Salons riesige Mengen von

Gemälden gezeigt. Sogenannte “Decorateure“ bespielten die Wände in enger, mosaikartiger Hängung

mit Bildern, welche sie nach Themen und Formaten so anordneten, dass möglichst wenig Wandfläche

verschenkt wurde. Wer sich an einer solchen Wand zwischen unzähligen Bildern behaupten wollte,

musste versuchen, die anderen Akteure durch effektvolle, kalkulierte und verblüffende Elemente zu

übertrumpfen. Avantgarden wie Courbet, Manet und Gaugin verweigerten sich dieser Art von

Wettbewerb. Teilweise wurde ihnen der Zutritt zu den etablierten Ausstellungen verwehrt und selbst

wenn sie zugelassen wurden, so war die Präsentation für die Intention ihrer Arbeiten vollkommen

unangemessen. Sie schufen sich, um die eigene Position außerhalb des Museums mit größerem

Nachdruck präsentieren zu können, ihre Ausstellungsgelegenheiten selbst. Hierbei war vor allem die

Tatsache bemerkenswert, dass die Künstler zum ersten Mal die Präsentationsbedingungen für ihre

Bilder eigenhändig bestimmten. Ihre Hängungen selbst waren allerdings noch sehr der Tradition

verhaftet. So wurde beispielsweise der Rahmen als Grenze des Bildes nicht in Frage gestellt. Er war

neben der formalen Abgrenzung zur Wand gleichzeitig auch die natürliche Grenze der Bildkomposition,

die, nach den Regeln der Zentralperspektive konstruiert, ihr Zentrum in sich selber hatte. Gemälde

wurden als selbständige Einheiten gesehen, die zwar ideell, nicht aber räumlich über sich selbst

hinausweisen konnten. „Ausgehend von der Landschaftsmalerei, wo immer häufiger durchlaufende

Horizontlinien als dominierende Bildelemente auftauchten, kam es Ende des 19. Jahrhunderts zu neuen

Stoffbespannung.“ Joachimides, Alexis, Kuhrau, Sven, Vahrson, Viola und Bernau Nikolaus (Hrsg.).Museumsinszenierungen. Dresden, Basel, 1995. S.215

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Kompositionen, die einen optischen Druck auf den Rahmen ausübten und über diesen hinaus

drängten.“100 Dadurch entstand zwischen den Bildern eine Art “Abstoßung“, die ihre Trennung an der

Wand notwendig machte und den Rahmen als feste Größe in Frage stellte.101 Doch erst in dem

Moment, wo dem Auge innerhalb der Bildkomposition keine festen Haltepunkte mehr geboten wurden,

es also statt in die Tiefe zu den Rändern hin oder gar nicht mehr gelenkt wurde, verlor der Rahmen

seine Kraft. Dabei ging dem Bild mit dem Verlust der Autorität des Rahmens gleichzeitig auch das

“Bollwerk“ verloren, das es vor der Abstrahlung anderer in Nachbarschaft hängender Bilder geschützt

hatte. Da die Kunstwerke nun auf den sie umgebenden Raum als Resonanzboden angewiesen waren,

wurde auch die Hängung der Bilder für ihre Interpretation entscheidend und machte sie bis zu einem

gewissen Grad abhängig vom Verständnis derer, die sie zeigten. Ausstellungsmacher konnten durch

die Art der Präsentation plötzlich auf die Aussage und den Stellenwert des Kunstwerks Einfluss

nehmen, wobei immer auch die Gefahr bestand, dass die Vorstellungen des Vermittlers mit denen des

Künstlers in Konkurrenz treten konnte und die Inszenierungen mehr erdrückend und einengend wirken

als stützend und interpretierend.

Schließlich setzte sich international eine einheitliche Inszenierungsform in der musealen

Ausstellungspraxis durch. Es handelt sich dabei um eine puristische Ausstellungstechnik, die von Brian

O´Doherty 1976 in seinen programmatischen Texten als White Cube bezeichnet wird. Gemälde und

Skulpturen werden unabhängig von ihrer Herkunft oder dem Zeitraum ihrer Entstehung nach ein und

demselben Modell ausgestellt. Dieses Modell ist durch drei zentrale Merkmale gekennzeichnet: Erstens

eine strikte Beschränkung der Exponate im Verhältnis zur verfügbaren Ausstellungsfläche, wie sie sich

in der einreihigen Hängung von Gemälden und der aufgelockerten Gruppierung von Skulpturen äußert,

die durch weite Leerräume voneinander abgesetzt sind. Zweitens ein meist weißer oder hellfarbiger

Wandhintergrund, dessen vermeintliche Neutralität die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die

Ausstellungsobjekte selbst konzentrieren soll. Drittens die Bevorzugung einer in ihrer Intensität

einheitlichen, diffusen Beleuchtung von oben, die durch lichtbrechende Techniken erzeugt wird welche

die natürlichen Schwankungen des Tageslichts ausgleichen.102 Diese Präsentationsform hat fast alle

älteren Stufen musealer Inszenierung so vollständig verdrängt, dass sie mittlerweile als die dem

Museum eigene Präsentationsform schlechthin gilt und ihre Ideologien beinahe unsichtbar geworden

sind.103 In seiner reduzierten Form steht der White Cube für die Vorstellung eines klaren, spurlosen,

100 O´Doherty, Brian. “Die weiße Zelle und ihre Vorgänger.“ In: Kemp, W. (Hrsg.). Inside the White Cube – In der weißenZelle. Berlin, 1996. S.16101 In einer 1960 im Museum of Modern Art in New York veranstalteten Monet-Ausstellung ließ der Kurator William C. Seitzdie Rahmung aller Bilder entfernen und machte durch deren direkte Hängung auf die Wand die enge Beziehung derGemälde zur Wand überraschend deutlich.102 Vgl. O´Doherty, Brian. “Die weiße Zelle und ihre Vorgänger.“ In: Kemp, W. (Hrsg.). Inside the White Cube – In der weißenZelle. Berlin, 1996.103 Zur Kritik der weißen Wand. Vgl. O´Doherty. Inside the White Cube. Notes on the Gallery Space. In: Artforum, März 1976,S. 24-30

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gesichts- und geschichtslosen Raumes ohne eine vermittelnde oder ablenkende Erzählung. In jüngster

Zeit zeigen sich allerdings Trends in der Museumspraxis, welche dieses vorherrschende Modell durch

den Rückgriff auf ältere Phasen der Inszenierungsgeschichte und durch neue Experimente in Frage

stellen.

Abb. 5: Beispiel für die Präsentationsform im White Cube. Ausstellungsraum im Museum für neue Kunst Freiburg, 2007.

Mit der Gründung des öffentlichen Kunstmuseums veränderte sich jedoch nicht nur die Gestaltung des

umgebenden Museumsraums, sondern auch die inhaltlichen Beweggründe für bestimmte

Präsentationsweisen. Die Ablösung von den Gemäldegalerien der Fürstenhäuser und der Beginn des

Kunstmuseums als öffentliche Institution verwandelte deren Charakter von einer reinen

Repräsentationsstätte zu einer Bildungsstätte. Dabei hatte die Tatsache, dass ihnen zunehmend

gesellschaftliche und kulturpolitische Funktionen zugesprochen wurden, gravierende Auswirkungen für

die Präsentationsmodi der Museen. Die Kunstwerke wurden nun nicht mehr, wie bis dahin üblich, nach

rein dekorativen, repräsentativen oder Platz sparenden Kriterien angeordnet, sondern nach

kunstgeschichtlichen und wissenschaftlichen Aspekten untersucht, in Epochen, Stile und Schulen, die

sich aus der Manier der Meister ergaben, eingeteilt und in chronologischer Reihenfolge gehängt. Auf

diese Weise sollten durch die Hängung der Bilder Eigenarten der einzelnen Epochen aufgezeigt und die

Kunst in ihrer geschichtlichen Entwicklung für den Betrachter ablesbar werden. Erst in diesem Zuge

entwickelte sich auch die Kunstgeschichte als eigenständige Wissenschaft, die formale Eigenheiten von

Kunstwerken herausarbeitet und mittels einer neu entwickelten Terminologie allgemeingültig

beschreibbar macht. Somit waren die Kunstwerke auf einmal selbst Gegenstand einer systematischen

wissenschaftlichen Disziplin, welche jedoch bewusst nicht auf die in der Regel höchst komplexe

Sammlungs-Struktur der Museen einging. Wo immer möglich, wurde die Heterogenität der

Sammlungsbestände unterdrückt und versucht, das Material nach wissenschaftlich legitimierten

Kriterien zu ordnen und zu präsentieren. Denn nur auf diesem Wege erschien es möglich, die

Bedeutung des Gesammelten zu behaupten: indem es frei von Zufälligkeiten und persönlichen Bezügen

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als Beleg für einen mehr oder weniger abstrakten Kanon eingesetzt wurde.104 Die Objekte sollten

zusammen mit anderen eine geschlossene Oberfläche ausbilden und dem Besucher eine Gesamtschau

der Kunstgeschichte suggerieren. Raum für Entscheidungen bei Gestaltung und Präsentation boten

lediglich die Verteilung der Bilder auf die einzelnen Räume und ihre Anordnung an den Wänden. Dabei

war oft einfach nur ein harmonisches, symmetrisches Arrangement an der Wand Ausschlag gebend für

die Hängung der Bilder.105

Immer schon wurde die Fähigkeit von Museen und Ausstellungen auch dazu genutzt die Geschichte

und die Leistungen der eigenen Kultur möglichst positiv darzustellen und um politischen Meinung des

Betrachters eine bestimmte Richtung zu geben. Damit hatten beispielsweise die deutschen Museen

schon in der Kaiserzeit eine Rolle zu erfüllen, die ihnen 30 Jahre später unter der Herrschaft der

Nationalsozialisten in noch deutlicherer Form zufallen sollte. Als Volksbildungsstätten wurde ihre

Vermittlungsfunktion für reaktionäre deutschnationale Kulturpropaganda ausgenutzt, und sie leisteten

im Dienst der Politik an vielen Orten ihren Beitrag zur nationalstaatlichen Ideologisierung, indem sie

diesem eine kulturelle und historische Begründung und Identität gaben und propagandistisch nach

außen trugen.

Bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hatte es jedoch auch entgegen gesetzte Tendenzen im

Museumswesen gegeben, welche ausgehend von der Arbeit Alfred Lichtwarks für ein Museum

plädierten, das als umfassende Bildungsinstitution die Nationalpädagogik der Kaiserzeit hinter sich

lassen sollte. Die Kritik an den traditionellen Vermittlungsabsichten des Museums gipfelte in

Reformversuchen, welche ein autonomes Kunstmuseum für autonome Kunst forderten.106 Das

Museum sollte eine freie Institution werden, die den Betrachter und die Werke als solche ernst nimmt.

„Das Museum ist, allem voran, um seiner selbst willen da, es ist, wie alles Geistige, in erster Linie

zweckfrei, ja, seine beste Kraft liegt darin, dass es inmitten einer unnatürlich zweckvoll arbeitenden Welt

zweckfrei bleiben kann.“107

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs gelang es vielen Museen nicht, ihren Platz in einem

veränderten kulturellen, sozialen und politischen Umfeld selbständig und offensiv neu zu definieren. Die

Ursache der Identitätskrise lag auch darin, dass viele Kernideen, wie Nationalstaat, Imperialismus und

Fortschritt, die das Museum des 19. Jahrhunderts geprägt hatten, sich nun änderten oder

104 Im kunsthistorischen Museum hat sich bis heute an dieser historischen Praxis der Hängung nur wenig verändert. Es zeigtsich bei der Präsentation seiner Exponate recht einheitlich und festgelegt, indem es bei der Strukturierung derSchausammlung noch immer dem gegebenem Prinzip, nämlich der Hängung nach Epochen und Schulen folgt und dabeiinhaltliche Gesichtspunkte und Merkmale der einzelnen Exponate meist unbeachtet lässt.105 „Entscheidungskriterium für die Anordnung der Werke ist dann häufig auch deren Abmessung, d.h. deren Verhältnis vonHöhe zu Breite.“ Herles, Diethard. Das Museum und die Dinge. Wissenschaft, Präsentation, Pädagogik. Frankfurt a.M.,1996. S.130106 Das ästhetische Erlebnis des reinen Kunstwerks und die Vorstellung, dass Kunst einen eigenen Bereich menschlichenHandelns darstelle, lässt sich auf Kant und seinen Begriff des “interesselosen Wohlgefallens“ zurückführen. Diesen Begriffhatte der Philosoph Ende des 18. Jahrhunderts geprägt, um das ästhetische Urteil als eine eigenständige Kategoriemenschlichen Denkens zu umreißen. Interesselosigkeit bedeutet hier die Unabhängigkeit von jedem praktischen Bedürfnis.107 Scheffler, Karl. Der Berliner Museumskrieg. Berlin, 1921. S.108

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verschwanden. Als geschützte und immobile Hüter eines elitär-bürgerlichen Bildungs- und

Kulturbegriffes gerieten die Kunstmuseen zunehmend unter Beschuss. Das Museum wurde als

antiquiert, spießig und besucherfeindlich bezeichnet und als “Museumstempel“ beschimpft, der dem

gewünschten und geforderten Museum als “Lernort“ gegenüber stand. Aus dieser Kontroverse

entwickelten sich im Museum zahlreiche Diskurse und Diskussionen über das Ausstellungswesen. Das

Museum sollte sich künftig nicht mehr als ein elitärer Ort der Hochkultur sehen, sondern als ein Ort im

Gesamtsystem eines demokratischen Kultur- und Bildungswesens. Deshalb trat neben die klassischen

musealen Tätigkeiten des Sammelns, Bewahrens, Erforschens und Ausstellens nun auch der Begriff

des Vermittelns hinzu, und viele Museen gründeten in den siebziger und achtziger Jahren des 20.

Jahrhunderts museumspädagogische Abteilungen. Grund dieser Veränderung war auch die vermehrte

Beschäftigung mit der im Kunstsystem bis dahin oft vernachlässigten Kategorie des Publikums.108

Diese neue Untersuchungsperspektive wurde zuerst in der Literaturwissenschaft als

“Rezeptionstheorie”109 theoretisch formuliert. Übertragen auf das Kunstmuseum verlagerte sie den

Gesichtspunkt weg von der traditionellen Sammlungsgeschichte mit ihrem Versuch, überzeitliche

ästhetische Werturteile festzulegen, und forderte die Berücksichtigung der historischen Bedingtheit des

Geschmacks. Dies bedeutete beispielsweise, dass die Präferenzen einzelner musealer Sammler nun

als Ausdruck ihrer ästhetischen und politischen Intentionen verstanden werden konnten. Und erst unter

dem Gesichtspunkt der Kunstrezeption durch ein Publikum wurde es möglich, auch die Bildprogramme

der Ausstellungen und die Gestaltungsweisen der Museumsgebäude als Ausdruck solcher

ideologischer Interessenlagen zu verstehen. Neben die Geschichte des Geschmacks trat damit auch

der Wahrnehmungsrahmen, in dem Kunst präsentiert werden kann, verstärkt ins Blickfeld der

Untersuchung.

Heute befindet sich das Museum wieder an einem Wendepunkt. Wirft man einen Blick auf die neuere

Literatur zum Kunstmuseum zu Anfang des 21.Jahrhunderts zeigt es sich, dass die

Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen und Methoden der Museumsarbeit eine prominente

Stellung einnimmt. Dabei lassen sich unterschiedliche Themenschwerpunkte wie “Museum und Neue

Medien“110, “Museumsarchitektur“ und besonders “Museum und Kommerz“ bzw. “Eventisierung des

Museums“ feststellen. Der Abbau von Schwellenängsten wurde vorangetrieben durch eine offene,

transparente Architektur und die Platzierung von Cafes an strategisch wichtigen Punkten, pädagogische

Angebote und Kinderfreundlichkeit. Auch mit solchen Maßnahmen ist es dem Kunstmuseum gelungen,

immer mehr Besucher anzulocken und ein steigendes Publikumsinteresse zu erlangen. Der Druck 108 Die Bedingungen, unter denen Kunst wahrgenommen wird, wurden von Vertreter der künstlerischen Avantgarde schonAnfang des 20.Jahunderts hinterfragt. Marcel Duchamp stellte beispielsweise die These auf, dass ein Werk von denjenigengemacht wird, die es betrachten und die es durch ihre Zustimmung oder Verwerfung überdauern lassen können.109 Vgl. Simon, Tina. Rezeptionstheorie: Einführungs- und Arbeitsbuch. Frankfurt am Main, 2003.110 Die künstlerischen Entwicklungen der Computer- und Medienkunst sind bei dieser Abhandlung ganz bewusstausgeklammert, obwohl deren Verhältnis zum Museum besonders brisant ist. Das Problemfeld, das hier jedoch aufgeworfenwürde, ist zu umfassend, als dass es im Rahmen dieser Untersuchung angemessen aufgearbeitet werden könnte.

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durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten eines Kultur- und Freizeitmarktes hat dazu geführt, dass der

Begriff der Kundenorientierung sich auch in der Museumsszene etablieren konnte. Oft wird in diesem

Zusammenhang kritisch angemerkt, dass der Besucher im Umfeld der “Erlebnismuseologie“ mehr und

mehr als Konsument instrumentalisiert würde. Dadurch habe das Museum seinen früheren Charakter

als Ort des Verweilens und Studierens, der Kontemplation und Stille, der Ehrfurcht und Bewunderung

eingebüßt und wirke nun wie ein “Freizeitangebot” unter anderen.111

Dies wirkt sich natürlich auf die Präsentationsweise aus, wobei sich neuerdings interessanterweise eine

Verschiebung vom musealen Sammeln zum Zeigen ausmachen lässt. Die in den Museen theoretisch

begründete und praktisch umgesetzte Zweiteilung von Sammeln und Ausstellen scheint sich

aufzulösen, denn die beiden Bereiche nähern sich zunehmend an. Immer mehr Sammlungen werden

für Besucher geöffnet und mutieren so zu Ausstellungen, Schaudepots entstehen und

Sonderausstellungen und Erlebnismuseen haben so gut wie nie eine permanente Sammlung als

Basis.112 Ihr Erfolg lässt sich deshalb meist mehr auf die Inszenierung zurückführen, als auf die dort

gezeigten, originalen Objekte.113 Die Inszenierung einer Ausstellung wird heute mittlerweile auch von

den Besuchern sehr bewusst wahrgenommen und als Kriterium für eine gelungene Ausstellung

herangezogen. „Aus Ausstellungen sind häufig Schaustellungen geworden, die als Inszenierungen

unsere Ereigniskultur prägen.“114 Das Museum als Ort der Sammlung, die den Gang der

Universalgeschichte visualisieren soll, wird immer mehr von einem Museum als Ort für

Wechselausstellungen verdrängt, die wie Theaterstücke nur während einer gewissen Zeit aufgeführt

und dann abgebaut und aufgelöst werden. Solche Ausstellungen werden meist von Kuratoren

organisiert, die nicht mehr als besorgte Dienstleister agieren, sondern als eigenständige künstlerische

Leiter, welche – vergleichbar mit Intendanten oder Regisseuren – als Institution mit (Marken -) Namen

auftreten.115 Und jede größere, ambitionierte Ausstellung erhebt heute den Anspruch, einen alternativen

kunstgeschichtlichen Kontext zu schaffen. Somit werden diese Ausstellungen zu Museen auf Zeit, die

eine neue Präsentation der bekannten Bilder ermöglichen und diese durch einen anderen Kontext neu

sichtbar machen. Das gleiche könnte man auch für die vielen künstlerischen Installationen behaupten,

bei denen Künstler als Kuratoren fungieren, indem sie einzelne Objekte und Zeichen nach einer

111 Vgl. Weibel, Peter. “Zur Zukunft des Kunstmuseums. Museumstypen und Ausstellungen.“ In: Krämer, Harald und John,Hartmut (Hrsg.) Zum Bedeutungswandel der Kunstmuseen. Positionen und Visionen zu Inszenierung, Dokumentation,Vermittlung. Nürnberg, 1999.112 Die Vorstellung, dass Sammlungen permanent sein könnten, war eine Illusion des 19. Jahrhunderts, die auch mit demGlauben an Dauerhaftigkeit und Allmacht der Nationalstaaten gebunden war. “Obwohl die musealen Sammlungen dazukonzipiert sind, die Zeit zu überdauern ist das museale Sammeln dennoch ein Ereignis in der Zeit.“ Groys, Boris. Logik derSammlung. München, Wien, 1981. S.59113 Gleichwohl – oder gerade deshalb – wird die Inszenierung kritisch betrachtet.114 Ebd. S.23115 Beispielsweise Ausstellungsmacher wie Udo Kittelmann, Hans-Ulrich Obrist, Harald Szeemann und viele andere.

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subjektiven Logik ordnen.116 Diese Künstler und Kuratoren ziehen von einem Ort zum Anderen, um

ihren individuellen Umgang mit den Dingen zu demonstrieren. Ein Zusammentreffen von heterogenen

Gegenständen zur gleichen Zeit und am gleichen Ort kann zu Kunst werden und ist notwendigerweise

zeitlich begrenzt.117 „Der Akt der Präsentation wird zu einem Ereignis, das die ästhetischen Objekte erst

hervorbringt und die Bedeutung der Dinge erst im Dialog zwischen Zeigendem, Betrachter und

Gezeigtem erschließt.“118 Das Kunstwerk ist hierbei nicht mehr das Ding, das in beliebige Beziehungen

zu anderen Dingen gesetzt werden kann, sondern vielmehr das Ereignis des In-Beziehung-Setzens

selbst.119

116 Beispiele hierfür sind unter anderem Mark Dion, Fred Wilson, Karsten Bott und das Künstlermuseum im MuseumKunstpalast Düsseldorf von Bogomir Ecker und Thomas Huber.117 Wenn die Ausstellungen oder Installationen abgebaut werden, bleibt oft nur ein Katalog oder eine Videoaufzeichnungübrig. Die materiellen Ergebnisse oder auch Reste der Aktionen sind nicht das Ziel des künstlerischen Werkes sondernlediglich die materiale Spur des eigentlichen künstlerischen Prozesses.118 Bianchi, Paolo “Das neue Ausstellen“. In: Bianchi, Paolo (Hrsg.). Kunstforum International. Band 186, 2007. S.42119 „Die Fiktion vom schöpferischen Subjekt weicht der offenen Beschlagnahme, dem Zitat, dem Exzerpt, der Akkumulationund der Wiederholung schon vorhandener Bilder. Begriffe wie Originalität, Authentizität und Präsenz, die dem geordnetenDiskurs des Museums eigen sind, werden unterminiert.“ Crimp, Douglas. Über die Ruinen des Museums. Dresden, Basel,1996. S.80

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3 Künstlerische Untersuchung musealer Inszenierungsformen

Es gibt verschiedene Gründe für mein Interesse an einer künstlerischen Auseinandersetzung mit

Repräsentations- und Inszenierungsformen im Museum. Zunächst einmal ist man als Kunststudent

immer auch Sammler der eigenen Arbeiten. Den Großteil meiner künstlerischen Produkte seit der

Schulzeit habe ich in Folien oder Mappen verpackt, in Schränken verstaut und bis heute aufbewahrt.

Richtig bewusst wurde mir dieser Umgang mit den eigenen Arbeiten jedoch erst während des

Kunststudiums, als ich mit meinen Bildern in fertigen und unfertigen Zuständen an die Öffentlichkeit von

Klassenbesprechungen und Ausstellungen treten musste. Hier war ich nicht mehr nur für die

Aufbewahrung und Ordnung, sondern auch für die Präsentation verantwortlich. Je nachdem, wem und

vor welchem Hintergrund ich die Arbeiten vorzeigte, habe ich die Struktur der Sammlung verändert.

Manchmal habe ich meine Arbeiten chronologisch geordnet, um die Entwicklung und Vorgeschichte

eines Projektes zu veranschaulichen, dann wieder Aufteilungen nach verschiedenen inhaltlichen

Strängen oder nach qualitativen Unterschieden vorgenommen.120 Als unumgängliche Vorraussetzung

jeder Präsentation musste ich eine Auswahl treffen und je nachdem, was ich zeigen wollte, erschienen

verschiedene Ordnungs- und Präsentationsmöglichkeiten adäquat.

Durch die Auseinandersetzung mit der Ordnung und Präsentation der eigenen Arbeiten wurde ich auch

für diese Vorgänge im Museum sensibilisiert. Zuvor hatte ich die Art der Darbietung bei meinen

Ausstellungsbesuchen meist einfach hingenommen ohne sie zu hinterfragen. Diese gedankenlose

Einstellung fiel mir auf, als ich ein und dasselbe Gemälde im Abstand von drei Jahren in zwei

unterschiedlichen Ausstellungen sah und bemerkte, wie anders es auf mich wirkte. Ich fragte mich, wie

sehr mein Eindruck dieses Bildes von ihm selbst bestimmt war und wie stark einige Aspekte erst durch

die Art der Präsentation hervorgehoben wurden. Ich begann, mich nicht mehr ausschließlich für den

Inhalt des Museums – die ausgestellten Bilder und Objekte – sondern auch für die Institution an sich zu

interessieren. Ich versuchte, ästhetische und konzeptuelle Aussagen zu finden, welche den

Ausstellungsprinzipien zugrunde liegen könnten. Ich fing an, über das Gebäude und die

Ausstellungsräume nachzudenken und darüber, dass oftmals bereits durch die Aufteilung in Hauptsäle,

Nebensäle und Kabinette, durch ihre Platzierung an Stirnseiten und Sichtachsen eine bewusste

Wertungsordnung der Ausstellungsgegenstände geschaffen wird. Dass die Zusammenstellung der

Objekte, ihre räumlichen Nachbarschaften, die Wandfarbe, die Art der Beleuchtung und der

Beschriftung, all diese zunächst nebensächlich erscheinenden Details eine Wirkung auf die inhaltliche

Interpretation haben. Und dass die jeweils gewählte Inszenierung damit vor jeder sprachlichen

Informationsübermittlung bereits die Wahrnehmung auf visueller Ebene strukturiert und den Betrachter

in seinem Rezeptionsverhalten beeinflusst. Mir wurde klar, dass die Inszenierung im Museum

alternativlos ist, weil es genau genommen keine “Nicht-Inszenierung“, sondern nur unterschiedliche 120 So gab es beispielsweise eine reduzierte Vorzeige-Mappe mit einem “best-of“ mehrerer Jahre.

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Arten von Inszenierung gibt. Auch die nüchternste Präsentation hat schließlich einen bestimmten

Präsentationsstil, nämlich Nüchternheit. Wirklich neutrale Präsentationen sind nicht vorstellbar, da auch

Sachlichkeit einer Werthaltung und Entscheidung entspringt.121 Somit konstruieren Museen immer

Perspektiven und Ordnung und verändern durch die Art der Präsentation nicht nur das

Erscheinungsbild, sondern auch die Aussage der Exponate.

Meiner Auffassung nach wohnt dem Umgang mit Bildern und Dingen allgemein eine Bedeutung

bildende Funktion inne, die in der museologischen Praxis besonders deutlich zutage tritt und sich in

deren evokativem Potential zeigt. Im heutigen Kunstdiskurs wird diese Tatsache von vielen Künstlern

aufgegriffen. Kunst wird heute immer häufiger mit dem Ziel produziert, gesammelt zu werden und wird

oft von Anfang an für öffentliche oder private Kollektionen geschaffen – möglicherweise sogar für einen

bestimmten Ausstellungsraum. Der Einbezug von Raum und Kontext, die Ortsbezogenheit von

Kunstwerken und die Betonung des Konzeptuellen und Prozesshaften in der Kunst sind kreative

Reaktionen auf konventionelle Inszenierungsformen und haben das Ausstellen in den letzten

Jahrzehnten stark verändert. Das Interesse an der Institution Museum, seinen Ordnungsmustern und

seinen Auswahlkriterien entspringt einem kritischen Umdenken, wobei sich zeitgenössische Kunst oft

selbstreflexiv im eigenen Kosmos der Verweise und Rückbezüge bewegt. Kunstwerke finden ihren Platz

als Reaktion auf andere Positionen und im Spiel mit den Grenzen des Kunstbegriffs. Daher wird die

Frage danach, was Kunst heute ist, nicht nur durch die zeitgenössische künstlerische Produktion selbst,

sondern auch durch die Praktiken des Kunstbetriebs und die immer noch vorhandene Definitionsmacht

des Museums als selektierende und inszenierende Institution gestellt. Die Wechselwirkungen sind

komplex. Museale Präsentationsformen haben Anstoß zu neuen künstlerischen Strategien gegeben

und ihrerseits auf Entwicklungen in der Kunst reagiert. Auch deshalb erscheint mir die künstlerische

Beschäftigung mit den Rahmenbedingungen unter denen Gegenstände zu Trophäen, Repräsentanten

einer Idee oder Kunst werden können als besonders spannendes Forschungs- und Betätigungsfeld. Im

Folgenden werde ich zwei der künstlerischen Arbeiten vorstellen, die im Zuge meiner Untersuchung von

Museen entstanden sind.

121 Für Welsch ist Sachlichkeit deshalb ebenfalls Manipulation – nur eben “(...) im Gewand der Objektivität.“ Welsch,Wolfgang. “Zur Aktualität ästhetischen Denkens.“ In: Rötzer, Florian (Hrsg.).Kunstforum International, Band 100, 1989. S.14

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3.1 Endgültig Vorläufig

Eigentlich habe ich schon immer gesammelt, geordnet und meine Schätze in den Regalen des Kinderzimmers

immer wieder neu arrangiert. Als etwa 10-jährige betrieb ich für einige Tage ein “Museum für Archäologische

Funde“, in welchem ich verrostete Metallstücke, Feuersteine und Tierknochen, die ich beim Spielen im Wald

gefunden hatte, auf mit schwarzem Stoff verkleideten Platten präsentierte. Das Nachahmen der

Präsentationsmethoden, die ich aus dem Museum kannte, ging so weit, dass ich die Exponate mit kleinen

Informationsschildchen versah. An der Zimmertür gab es eine Kasse, wo jeder Besucher eine Eintrittskarte

erstehen musste, bevor er den Raum betreten durfte. Und einige der Stücke waren in Kisten gelagert, mit Preisen

versehen und konnten käuflich erworben werden.

Im Zusammenleben mit Dingen und dem Aufheben und Wegwerfen von Stücken der Erinnerung

betreibt fast jeder eine Art persönliches Musealisieren. Mehr oder weniger bewusst wird überall

gesammelt, bewahrt, präsentiert und inszeniert. In meinem Fall sammelten sich in einer Kiste Bilder aus

Zeitungen an. Bei der Lektüre waren sie mir aufgefallen und ich wollte sie nicht mit dem Rest der

Zeitung dem Altpapier übergeben, sondern sie ausschneiden und aufbewahren. Dies war wohl auch ein

Versuch, mit der Flut an Bildern und Informationen fertig zu werden, die täglich an mir vorbeirauschen.

Das Ausschneiden und Aufheben der Zeitungsfotos, die ich immer wieder betrachten und zeigen

möchte, ermöglicht einen befriedigenden Umgang mit dem mich ansonsten überfordernden Produkt

Zeitung. Dabei war die Sammeltätigkeit erst einmal weder auf ein konkretes Ziel ausgerichtet noch im

Hinblick auf eine künstlerische Arbeit angelegt. Nach etwa einem Jahr nahm ich die ausgeschnittenen

Zeitungsfotos zum ersten Mal als Sammlung wahr und führte diese dann bewusst weiter. Man könnte

demnach von einem nachträglichen Anfang sprechen, denn das erste Stück meiner Sammlung war

nicht das erste Stück, das ich aktiv gesammelt habe. Im Laufe von mehr als fünf Jahren entstand eine

Sammlung, die mittlerweile etwa 700 Einzelbilder umfasst. Aus diesem Pool von Bildern habe ich

Bildkompositionen zusammengestellt und diese in unterschiedlichen Hängungen an der Wand als

Ausstellungen präsentiert.

Im Sammeln, Ordnen, Erforschen und Zeigen von Bildern habe ich dabei exemplarisch grundsätzliche

Tätigkeiten eines Museums nachgespielt. Bei der Suche nach einem besseren Verständnis der

Strukturen des Museums war es für mich hilfreich, genau jene Techniken einzusetzen, die auch von der

Institution selbst verwendet werden. Durch die Bündelung der Aktivitäten des Museums in meiner

Person konnten sich bestimmte Fragestellungen formen und zuspitzen.

Im Zusammenhang mit dem ersten Schritt – dem Prozess des Sammelns – müssen im Folgenden

sowohl die Implikationen der formalen Entscheidung für den Zeitungsausschnitt als Sammelobjekt, als

auch die Frage nach der inhaltlichen Entscheidung für die Aufnahme bestimmter Bilder in meine

Sammlung geklärt werden. Nach der Wahl des formalen und inhaltlichen Sammlungsgegenstands

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betrifft der zweite wichtige Schritt die Ordnung des gesammelten Materials. Denn eine Sammlung ist

nichts weiter als eine Anhäufung, solange sie nicht in irgendeiner Form gesichtet und sortiert wird. Die

Festlegung der Kriterien für die Ordnung ist wiederum von großer Bedeutung für den Umgang mit und

die Präsentation von den Sammlungsgegenständen. Der dritte Schritt betrifft die Erforschung der

einzelnen Bilder, welche deren unterschiedlichen Eigenschaften beleuchten, sie nach möglichen

verborgenen Bildaussagen abklopfen und damit bei der Suche nach Verbindungen zwischen den

einzelnen Bildern helfen soll. Schließlich entsteht durch die Zusammenstellung der Fotos ein

Bildensemble, welches als Ausstellung präsentiert wird. Neben der Auswahl, welche Bilder gezeigt

werden, muss auch eine Auseinandersetzung damit stattfinden, wie die Exponate ausgestellt werden.

3.1.1 Sammeln von Zeitungsbildern als künstlerischer Prozess

Die älteste Form des Sammelns ist das akkumulierende Sammeln aus ökonomischen Gründen, das

heute beispielsweise noch Pilzsammler umtreibt.122 Von dieser Art des Sammelns ist das Sammeln aus

ästhetischen Gründen zu unterscheiden. Das ökonomische Sammeln fasst das Eingesammelte

lediglich als etwas auf, das verkauft oder verzehrt werden soll. Dagegen bezweckt das ästhetische und

museale Sammeln die dauerhafte Anwesenheit und Verfügbarkeit des Gesammelten für den Blick des

Sammlers. Während das Interesse des ökonomisch-akkumulierend motivierten Sammlers speziell auf

die Ähnlichkeit gerichtet ist, achtet der ästhetisch oder museal Sammelnde auf die Abweichungen der

gesammelten Stücke von der Norm. Der Pilzsammler passt auf, dass alles Eingesammelte der

Kategorie “Pfifferling“ entspricht, während der Sammler von Nilpferdfiguren auf die Einzigartigkeit der

Sammlungsstücke Wert legt und Dopplungen möglichst vermeidet. Der eine will das Typische, der

andere die Variante. Ein weiteres wichtiges Merkmal ästhetischer Sammlungen ist, dass sie aus “(...)

unnützen Gegenständen, nämlich Kunstwerken oder alten Objekten, die im alltäglichen Leben keine

Funktion mehr erfüllen(...)“123 bestehen. Sie werden dem Verschleiß entzogen, aufgehoben und vor

Veränderung geschützt, damit sie als Andenken die Erinnerung an bestimmte Ereignisse, mit denen sie

verknüpft waren, wach halten oder heraufbeschwören können.

Auch Künstler haben zu allen Zeiten gesammelt. So waren die Sammlungen in den Wunderkammern

der Renaissance- und Barockfürsten, in ähnlicher Form auch in den Ateliers der Künstler zu finden. Sie

dienten sowohl als Inspirationsquelle wie auch als Vorratslager, in welchem Vorlagen gesammelt und

bei Bedarf entnommen werden konnten. Die Geschichte des künstlerischen Sammelns zeigt, dass es

sich im 20. Jahrhundert aus seiner der Kunstproduktion dienenden Rolle zu einer eigenen

Produktionsform entwickelte und zu einer selbständigen Gattung der Kunst wurde.124 Collagen,

122 Vgl. Sommer, Manfred. Sammeln. Ein philosophischer Versuch. Frankfurt a.M., 1999. S.49123 Klein, Alexander. Expositum. Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit. Bielefeld, 2004. S. 66124 Vgl. Grasskamp, Walter. “Künstler und andere Sammler“. In: Grasskamp, Walter (Hrsg.). Kunstforum International, Band32, 1979, S.35

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Assemblagen, Environments oder raumgreifende Installationen sind ohne vorhergehende

Sammeltätigkeit nicht möglich. Doch nicht allein die expandierende künstlerische Sammellust ist ein

Grund für die Entstehung so genannter Künstlermuseen. Tatsächlich wurde durch das künstlerische

Sammeln auch mit festgelegten Regeln gebrochen und die Museumsinstitution in Frage gestellt, welche

diese Traditionen als Maßstab im öffentlichen Bewusstsein verankert.125 Boris Groys zufolge galt der

Protest der Avantgarde nicht nur der Institution Museum als solcher, sondern auch dem exklusiven

Recht der Kuratoren, die Kunstgegenstände auszuwählen, zu sammeln und zu präsentieren.126 Seiner

Meinung nach wollten die Künstler der Avantgarde nicht bloß gesammelt werden, sie wollten selber

sammeln. Insofern findet zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Wechsel statt: vom künstlerischen Objekt

als Sammlungsgegenstand zur Sammlung des Künstlers als Kunstwerk.127 Das Kunstwerk, vorher

Gegenstand von Sammlungen, war jetzt selbst eine Sammlung von Gegenständen. Der Künstler war

sowohl Sammler als auch Kurator, indem er Gegenstände wie ”objets trouvés” oder “ready-mades“

sammelte, sie zur Kunst erklärte und damit zu einer Expansion des musealen Systems beitrug.

Sammeln – der formale Aspekt

Auch wenn es eigenartig erscheinen mag, so hat der Zeitungsausschnitt eine eigene Geschichte und ist

ein relativ junges Objekt. Seine offizielle Geburt findet in Paris statt, wo 1879 das erste

Zeitungsausschnittsbüro L´argus de la Presse gegründet wurde, dem nach und nach zahlreiche

Dienstleister in aller Welt folgten.128 Dort wurden Zeitungen zum ersten Mal organisiert bearbeitet und

ihre einzelnen Artikel nach Stichworten für zahlende Kunden durchgesehen und ausgeschnitten.129

Zeitungen berichteten über Neuigkeiten aus aller Welt und waren “(...) Realitätssurrogate und

Kulminationspunkte, in denen die gleichzeitig stattfindende Wirklichkeit zusammenlief: politische

Ereignisse, neueste Erkenntnisse der Physik, Aktienkurse, Ausstellungsberichte, Anzeigen,

Rezensionen und Theaterkritiken.“130 Doch so wertvoll diese vielen Informationen auf den ersten Blick

erschienen, ihr auf den Tag hin ausgerichteter Aktualitätswert machte die Informationen der Zeitung des

Vortages am kommenden Morgen beinahe überflüssig. Diesem Bedeutungsverlust setzte das

Zerschneiden der Zeitung einen Verwertungsprozess entgegen. Aus der Zeitung von gestern – einem

an sich wertlosen Produkt – sollte Kapital geschlagen werden. Dabei wurde die Lektüre der Zeitung zu

einem arbeitsteiligen Prozess, in dem Stichworte verfolgt wurden und das ausgeschnittene und

organisierte Material zu einem neuen Textkörper zusammengefügt wurde. Mit Hilfe von Suchbegriffen

konnten Themenkomplexe gebildet werden, die es zwar nicht in der einzelnen Zeitung gab, die jedoch

125 In diesem Zuge lässt sich seit den 80er Jahren auch ein neues Interesse an den Kunst- und Wunderkammern feststellen.126 Vgl. Groys, Boris. Logik der Sammlung. München, Wien, 1997. S.55127 Marcel Duchamp schuf mit La bôite en valise (Die Schachtel im Koffer, 1935-41) sowohl ein Kunstwerk als auch einetragbare Sammlung, die Reproduktionen der “anderen“ Kunstwerke des Künstlers beinhaltet.128 Heesen, Anke te und Lutz, Petra (Hrsg). Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort. Köln, 2005. S.56129 Einer der Gründe für diese Entwicklung bestand darin, dass die Zeitung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumMassenartikel wurde.130 Ebd. S.57

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in verschiedenen Ausgaben, Zeitungen, Regionen und Ländern verteilt existierten: „Alle Informationen

der letzten drei Jahre über Gummi und seine Herstellung, alles über den Fabrikanten Krupp, alles über

die Ermordung des serbischen Thronfolgers oder über Albert Einstein.“131

Im Gegensatz zu den Zeitungsausschnittsbüros des vorletzten Jahrhunderts suche ich aber keine

Artikel zu bestimmten Themen, sondern Bilder zu einem unbestimmten Thema. So kann ich wie ein

Flaneur die Zeitungen durchstreifen und werde, obwohl ich nicht gezielt danach suche, ganz von selbst

täglich mit neuen Bildern versorgt. Diese fallen mir eher zufällig in die Hände und fordern einen Umgang

mit ihrer gedruckten Existenz. Der erste Schritt ist es dann, das Bild aus der Zeitung

herauszuschneiden. Dabei fällt es aus dem vorgesehenen Ablauf heraus. Denn das ausgeschnittene

Bild stellt etwas im Fluss befindliches, sich täglich Erneuerndes fest, nimmt Bewegung und

Geschwindigkeit der Zeitung heraus und wird in eine objekthafte Stabilität überführt. Gleichzeitig findet

eine De-Anonymisierung statt, wobei die neue Autorenschaft in meiner Auswahl liegt und bereits der Akt

des Ausschneidens Teil des Herstellungsprozesses ist. Dadurch werden das Medium Zeitung und ich

als Benutzerin gleichermaßen transformiert. Aus dem Zeitungsfluss wird ein Objekt und aus der Leserin

eine Herstellerin. Der Zeitungsausschnitt trägt einen subversiven Charakter, da er die typischen

Zeitungs-Charakteristika von Fülle und Geschwindigkeit unterläuft. So betrachtet könnte man das

Ausschneiden aus der Zeitung als eine der “listenreichen Techniken“ des besonderen Konsums

bezeichnen, die Michel de Certeau in der Kunst des Handelns beschreibt: „Das Gegenstück zur

rationalisierten, expansiven, aber auch zentralisierten, lautstarken und spektakulären Produktion ist eine

andere Produktion, die als “Konsum“ bezeichnet wird. Diese ist listenreich und verstreut, aber sie breitet

sich überall aus, lautlos und fast unsichtbar, denn sie äußert sich nicht in eigenen Produkten, sondern in

der Umgangsweise mit den Produkten, die von einer herrschenden ökonomischen Ordnung

aufgezwungen werden.“132 So oft mein Ausschneiden auch in die Leere läuft und das Ausgeschnittene

nach einiger Zeit kommentarlos im Abfall versinkt – mit der Zeit entsteht doch eine Sammlung, in der

sich diese Kulturtechnik manifestiert.

Sammeln – der inhaltliche Aspekt

Bei der Auswahl der Fotos habe ich – außer der Entscheidung, ausschließlich Farbfotos zu sammeln –

keinen Vorsatz, wonach ich suche. Ob ein Bild ausgeschnitten und aufbewahrt wird, entscheidet sich im

jeweiligen Moment recht spontan, und es gibt eine große Anzahl an Bildern, die erst einmal

ausgeschnitten werden, dann aber nie den Sprung in die Sammlung oder in eine Ausstellung schaffen.

Im Gegensatz zu anderen ästhetischen Sammlungen (wie beispielsweise einer

Nilpferdfigurensammlung) verändert sich die Setzung, was ich interessant finde und somit sammle,

ständig. Es geht mir nicht um die Ausschöpfung eines Themenkreises oder darum, möglicht viele

131 Ebd. S.57132 Certeau, Michel de. Die Kunst des Handelns. Berlin, 1988. S.13

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Variationen von ein und derselben Sache anzuhäufen. Ich stelle auch keinen Anspruch auf

Vollständigkeit, die es bei einem nicht klar definierten und sich schwerpunktmäßig immer wieder

verlagernden Sammelgebiet auch gar nicht geben kann. Oft weiß ich beim Ausschneiden noch gar

nicht, was ich an einem Bild interessant finde – nur dass da irgendetwas ist. Ein Bild, das ich für

sammlungswürdig erkläre, ist nicht nur einfach da, sondern es repräsentiert etwas, steht für etwas,

weist auf etwas hin. Grundlage und Ausgangspunkt für mein Sammeln ist somit ein subjektiver

Sammlungswert, welcher nicht durch die Materialität oder einen monetären Wert der Bilder bestimmt ist,

sondern einzig und allein durch deren Eigenschaft, Träger von Bedeutungen zu sein. Letztendlich

geht es um die schwer in Worte zu fassende Energie und von mir gefühlte Intensität eines Bildes, wobei

oft gerade diejenigen Bilder, deren Wirkung auf mich ich anfangs nicht erklären und benennen kann,

über die erste Überraschung hinaus faszinierend und interessant bleiben. Bei diesen Bildern habe ich

oft das Gefühl, als ob das Bild mir von sich aus ins Auge springt und ausgeschnitten werden will.

Vielleicht ist es deshalb hilfreich, zu überlegen, wie sich ein Bild überhaupt bemerkbar macht und sich

mir aufdrängt. Nach dem Philosophen Manfred Sommer könnte dies folgendermaßen beschrieben

werden: Ein besonderes Bild kann ich nur als solches erkennen, wenn es sich im Verhältnis zu

seinesgleichen als wunderlich, sonderbar und kurios hervortut. Dies sind aber keine Eigenschaften, die

dem Bild an sich zukommen – sie erscheinen erst durch meinen Blick darauf so. „Wunderlich ist,

worüber ich mich wundere, sonderbar, was ich von anderem zu sondern weiß, kurios, was meine

Neugier weckt, seltsam, was mir selten begegnet.“133 Trotzdem muss natürlich beides

zusammenkommen. Die speziellen Eigenschaften eines Bildes auf der einen und meine

Empfänglichkeit dafür auf der anderen Seite. Nur ein Bild, das bereits an sich anders ist als die

anderen, kann auch von mir als auffällig, wunderlich oder sonderbar wahrgenommen werden. Doch

nicht alles Ungleiche ist so prägnant, dass es sich abhebt, dass es auffällt und hervorsticht. “Wie stark

es sich von den übrigen Mitgliedern seiner Gruppe unterscheiden, wie sehr es von ihnen abweichen

muss, um uns deshalb aufzufallen, hängt wiederum ab von unserer subjektiven Disposition. Wann und

mit welcher Intensität wir auf welche Unterschiede ansprechen, ist sicherlich auch historisch, kulturell

und individuell variabel.“134 Betrachter sind für objektive Unterschiede verschieden empfindlich und es

gibt sicherlich eine breite Zone des Übergangs, in welcher das, was dem einen als sonderbar,

ungewöhnlich und aufregend gilt, von einem anderen noch für das Normale, Übliche und Langweilige

gehalten wird.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass durch das Sammeln eine Sensibilisierung stattfindet. Mein Fokus

auf die Welt wird in eine bestimmte Richtung gelenkt und mir fallen mit der Zeit immer mehr Bilder auf.

Die Menge an potentiell “sammelnswertem“ Material, an Bildern, die auf irgendwelchen Ebenen mit

133 Sommer, Manfred. Sammeln. Ein philosophischer Versuch. Frankfurt a.M. 1999. S.55134 Ebd. S.55

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bereits gesammelten in Beziehung stehen, wird immer größer und irgendwann fast etwas unheimlich.

Ständig tun sich neue Gebiete auf, welche mit den vorherigen Themen verknüpft werden könnten. Um

in dieser Situation einen produktiven Umgang mit der unübersichtlichen Bildermasse zu entwickeln, war

die Beschäftigung mit Ordnungssystemen eine logische Konsequenz.

3.1.2 Ordnen der Sammlung

Man muss sich bewusst sein, dass die Ordnungskriterien und Klassifikationen immer auch das Wissen

und die Erkenntnis, die man aus Sammlungen gewinnen kann, beeinflussen und bestimmen.135 Dass

Ordnung und Rezeption einer Sammlung zu einem nicht geringen Teil voneinander abhängig sind,

wurde bereits an den Inszenierungsformen der Kunst- und Wunderkammern und der

Museumsinstitutionen seit dem 19. Jahrhundert gezeigt. Als weiteres Beispiel können öffentliche

Bibliotheken genannt werden, die ihre Literatur nach such-relevanten Kriterien wie Thema, Titel, Genre

oder Autor ordnen. Eine Bibliothek muss entsprechend dieser Fragen oder Anforderungen des Nutzers

aufgebaut sein. Es wäre sinnlos, die Bücher beispielsweise nach der Farbe ihres Umschlages zu

ordnen. Das Prinzip der Kategorisierung muss also mögliche Abrufkriterien antizipieren, um die

Sammlung zugänglich zu machen. Im Gegensatz zu solchen wissenschaftlichen zweck- und

themengebundenen Sammlungen, die nach vorgeschriebenen Gesetzen angelegt werden, kann ich bei

meiner Sammlung selbst bestimmen, welche Kriterien Ausschlag gebend für die Gruppierungen sein

sollen und diese, wenn nötig, auch wieder ändern. Doch auch wenn bei meiner Sammlung einzig meine

persönlichen Anforderungen an eine Ordnungsstruktur als relevant zu beachten sind, so geht es auch

hier um Such- und Findekriterien. Denn um mir das gesammelte Material anzueignen, mit ihm

umgehen, arbeiten und spielen zu können, muss ich die Sammlung in irgendeiner Form verwalten.

Deshalb sind Prinzipien, nach denen öffentliche Archive wie etwa Bibliotheken funktionieren,

interessante Referenzen und die Auseinandersetzung mit gängigen Ordnungs- und

Kategorisierungskriterien ein wichtiger Schritt für die Nutzbarmachung meiner eigenen Sammlung. Die

Schwierigkeit besteht darin, unter den verschiedenen Ordnungsmöglichkeiten die passende

auszuwählen.

Meine anfänglichen Versuche, die Bilder in Kategorien mit Untergruppen einzuteilen, waren im

Rückblick von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Das Problem bestand darin, dass der Großteil der

Bilder auch bei den von mir selbst bestimmten Kriterien nicht eindeutig einer einzigen Kategorie

zugeordnet werden konnten. Einige Bilder lagen in einer Grauzone des Übergangs, da sie nicht

135 Die gewonnenen Erkenntnisse formen dann wiederum gesellschaftliche Maßstäbe, Werte und Moralvorstellungen,welche meist schwieriger zu revidieren sind als die Ordnung, auf deren Basis sich dieses Wertesystem entwickelte.Möglichkeiten, Maßstäbe zu ändern, mit Traditionen zu brechen und allzu gesicherte Festschreibungen zu lockern, bestehenalso folglich sowohl in der Neuordnung der Dinge innerhalb einer Sammlung, die dieses Wertesystem bestimmen, als auchin der Auswahl und Präsentation von solchen Objekten, die bis dahin als nicht “erkenntnisableitend” galten.

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aufgrund des gegenständlich abgebildeten Referenten, sondern beispielsweise aufgrund der

Atmosphäre oder eines bestimmten Farbtons im Bild aufgenommen wurden und es für diese Qualität

keine eigene Kategorie gab. Darüber hinaus waren manche Bilder auch nur im Zusammenhang mit

anderen Bildern von Bedeutung und konnten somit keiner Kategorie, sondern nur einem einzelnen

anderen Bild zugeordnet werden. Dann gab es wiederum den Fall, dass Bilder unterschiedlichen

Gruppen gleichzeitig zugeordnet werden konnten.136 Dasselbe Bild kann – aus verschiedenen

Fragestellungen und Perspektiven heraus betrachtet – ganz unterschiedlichen Gruppen angehören.

Und genau jene Bilder, die sich auch nach langer Such- und Sortierarbeit der Zuordnung zu einer

Kategorie verweigerten und ungeklärt blieben, waren meistens diejenigen Einzelbilder, die mich auf

Dauer am meisten interessierten. Dass Bilder sich keiner oder gleich mehreren Kategorien zuordnen

lassen, ist ein typisches Archivarsproblem und war solange, wie ich mit den “Original-Ausschnitten“

arbeitete, für mich beinahe unlösbar. Als Konsequenz hätte ich solche Bilder eigentlich kopieren und an

unterschiedlichen Orten ablegen müssen.

Dies war der Anlass, nach etwas über drei Jahren Sammeltätigkeit meine Bilder zu sichten, eine

Auswahl einzuscannen und digital zu speichern. In diesem Zuge löste ich auch die gescheiterte

Gruppierung nach Kriterien auf. Stattdessen versah ich alle eingescannten Bilder mit einem Titel und

ordnete sie alphabetisch an. Dabei verzichtete ich bewusst auf eine übergeordnete Kategorisierung, da

mich die Einordnung der Bilder in getrennte Gruppen möglicherweise davon abgehalten hätte,

Parallelen in Bildern unterschiedlichen inhaltlichen Themas zu entdecken. Die Titel der Bilder sind eine

Mischung aus dem, was sie abbilden, und meinen Assoziationen zum Bild. So ergeben sich Bildtitel, die

von “Aquafitness für Hunde“ über “Bild vorm Kopf “ bis zu “Idyllische Atomkraft“, “Mordopfermasken“

und “Neandertaler zum Verlieben“ reichen. Dieses System funktioniert bei einer übersichtlichen

Sammlung von bisher nicht mehr als 700 Bildern recht gut, und ich bin in der Lage, alle Bilder

gedanklich ihren Titeln zuzuordnen und somit gezielt danach suchen zu können. Durch die

alphabetische Ordnung bleibt die Zusammenstellung der Objekte neutral und unverbindlich.137 Die

Gleichwertigkeit der gesammelten Bilder, unabhängig davon, was sie in der Zeitung einmal illustrieren

sollten, macht bis dahin gewohnte Wertzuschreibungen fragwürdig und die Grenze zwischen

bedeutsam und trivial, kostbar und wertlos fließend.

Die von mir gesammelten Zeitungsbilder sind Fotos, welche als industrielle Massenware in

tausendfacher Reproduktion gedruckt und unter die Leute gebracht werden. Unter diesem Aspekt

betrachtet, stellt sich die Frage nach dem Begriff des Originals.138 Dieser geriet durch die Erfindung

136 So kam es beispielsweise vor, dass ein Bild sowohl der Kategorie T 5 (T für Tiere und 5 für Zootiere) zugeordnet war undgleichzeitig in die Kategorie I 3 (I für Inszenierungen und 3 für Bühnenbilder) gehörte.137 In manchen Fällen brachte das unübliche Nebeneinander durch zufällige Nachbarschaften sogar neue Bildkombinationenhervor, die höchst assoziativ waren und neue Erkenntnisse, Schlussfolgerungen und Empfindungen evozierten.138 Der Begriff Original wurde im vorindustriellen Zeitalter als handwerklicher, technischer Begriff definiert. Dieserbezeichnete ein Werk, welches nur einmal existiert und nur einmal von einem einzigen Hersteller produziert wurde. (Doch

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des Fotoapparats, der Bilder relativ selbständig und darüber hinaus in unendlich vielen Exemplaren

herstellen konnte, ins Wanken. „Die Krise des Originalbegriffs war zunächst eine Krise des

handwerklichen Originalbegriffs des Objekts und damit verbunden die Transformation des

Schöpferbegriffs von einem handwerklichen Hersteller zu einem geistigen Urheber.“139 Mit der

Fotografie wurde ein Medium geschaffen, das nicht nur Variation und Vervielfältigung ermöglicht,

sondern im Grund genommen gar kein Original kennt.140 Ein Foto konnte zwar noch ästhetisch

einzigartig sein, aber nicht mehr technisch. Durch das Ausschneiden wird das Serienprodukt

Zeitungsbild zunächst in einen objekthaften Zeitungsausschnitt verwandelt. Aus einem Warenprozess

stammend und doch nicht seinen Gesetzen unterliegend, steht das ausgeschnittene Zeitungsbild

zwischen Medium und Objekt, Reproduktion und Einmaligkeit, zwischen Ware, Abfall und Kunst. Durch

das Scannen werden die objekthaften Zeitungsausschnitte dann jedoch wieder in reine Abbilder

zurückverwandelt. Dabei ist es mir trotz der Digitalisierung wichtig, dass auf den eingescannten und

wieder ausgedruckten Fotos immer noch deutlich deren Herkunft aus der Zeitung zu sehen ist.

Teilweise bleiben die Bilder deshalb stark gerastert, grobkörnig, fast unscharf und Knicke im Papier

sowie die durchscheinende Schrift der Rückseite werden absichtlich nicht retuschiert.

Dennoch verändern sich durch die Digitalisierung die Präsentationsmöglichkeiten gravierend. Viele

Zeitungsausschnitte hätten in der Originalgröße für Ausstellungen einfach nicht verwendet werden

können, da sie zu klein gewesen wären, um eine hinreichende Präsenz im Raum zu entwickeln. Durch

die “Befreiung vom Originalzeitungsausschnitt“ eröffnet sich mir ein größerer Handlungsspielraum im

Umgang mit den Bildern. Es ergibt sich die Möglichkeit, Ausschnitte zu verwenden, Bilder zu vergrößern

oder zu verkleinern und zu spiegeln. So können die Bilder besser aufeinander abgestimmt und flexibler

miteinander kombiniert werden. Durch die Überführung in ein anderes Medium wird darüber hinaus

noch eine weitere Beweglichkeit erreicht, denn die Digitalisierung erlaubt es, die Verkettungen im

symbolischen Raum des Computers auszuprobieren, bevor diese dann im realen Raum materialisert

werden. Am Computer kann ich die Fotos auf dem Bildschirm probeweise zu Gruppen

zusammenstellen, die Ausschnitte und Größen verändern und unterschiedliche Verkettungen und

Verbindungen austesten.141

So habe ich mir durch die Digitalisierung der Bildersammlung ein fiktives Museum aufgebaut.142 Dies

ist durch die Möglichkeiten des medialen Sammelns mit seinen technischen Methoden der Speicherung,

denkt man beispielsweise an die kollektiven Produktionen in den Malerwerkstätten wurde die Frage nach der Autorenschaftauch damals schon recht milde beurteilt).139 Weibel, Peter. “Digitale Doubles“. In: Iglhaut, Stefan, Rötzer, Florian und Schweeger, Elisabeth (Hrsg.). Illusion undSimulation – Begegnung mit der Realität. Ostfildern, 1995. S.193140 Denn schließlich gibt es nur ein Negativ als Original, von dem für die Präsentation positive Abzüge in unterschiedlichenGrößen und Variationen gemacht werden können. Die Zahl der Fotos kann zwar willkürlich durch eine limitierte Auflagebegrenzt werden, aber letztendlich ist das Negativ zwar nicht das Werk selber, aber immerhin der Ursprung des Werks.141 Siehe Bildensemble auf S.49142Schon André Malreaux erschuf 1947 in seinem Buch Das imaginäre Museum eine hypothetische Situation in der sich derphysische Körper des Museums auflösen und durch vervielfältigte Fotografien ersetzt würde. Die Kunstbilder in diesem

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Vervielfältigung und Übertragung von Bildern möglich geworden. Im Computer können die Bilder Platz

sparend bewahrt, bequem erreicht und schnell verknüpft werden.143 Durch die Reproduktion kann die

Zusammenstellung experimentell gewechselt werden und Bilder, die im Realraum entfernt voneinander

sind, können einander gegenüber gestellt werden. Dennoch bleibt eine Ambivalenz bestehen, welche

deutlich wird, sobald man eine Gewinn- und Verlustrechnung aufmacht. Der Gewinn besteht in der

offenbaren Leistungssteigerung des Speichersystems, dessen Kapazität ständig gewachsen ist. Doch

dieser Vorteil geht mit einer zunehmenden Entsinnlichung des Inhaltes einher. Um bei steigender

Anzahl schnell zugänglich zu sein, müssen die Daten immer einfacher und abstrakter werden und die

Wahrnehmung muss an einen technischen Prozess gebunden werden. Dies bringt das museale System

der Wertschöpfung, das sich am künstlerischen Unikat ausgebildet hat, durcheinander und stellt

Bedeutung und Funktion tradierter Aufgabenbereiche des Kunstmuseums wie Dokumentation,

Inszenierung und Vermittlung in Frage. Obwohl ich nicht glaube, dass sich das museale Sammeln und

Ausstellen durch digitale Formen wird vollständig ersetzen lassen würde, so kann es doch mit diesen

Formen bespielt und besprochen werden.

3.1.3 Forschen: Zum Finden von Bildkombinationen

Susan Sontag schreibt, „Fotografieren bedeutet die Welt sammeln“144, und da wohl alles in der Welt

Existierende auf Fotografien in einem Archiv oder an unbestimmten Orten abgelegt ist, reizen Fotos

besonders dazu, sie vergleichend zu betrachten. Mehr als viele andere Medien werfen sie stets die

Frage nach ihrer Einordnung in den Gesamtzusammenhang auf. Es gibt kaum ein Motiv, das nicht als

Zitat einer Anzahl ähnlicher Bilder funktioniert und dabei das Allgemeine im Einzelbild und das

Individuelle im Vertrauten evoziert.

Erst wenn sich das Bildmaterial für eine Sonderausstellung in meiner Sammlung zu sättigen beginnt,

wenn ich also eine gewisse Anzahl von Bildern mit einem gefühlten Zusammenhalt gefunden habe,

konzentriere ich mich auf die Einzelteile eines solchen Komplexes. Meist finden sich in diesen

Ensembles vor allem Bilder, die mehrdeutige Aussagen in sich tragen oder Grenzbereiche streifen.

Bilder, die mich überraschen, mich stutzen und zweimal hinsehen lassen. Viele haben etwas

Humorvolles, Kurioses, Tragisches oder Erzählendes, sie haben eine seltsame Atmosphäre, wirken

imaginären Museum standen bereits am Übergang ins Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, wie von WalterBenjamin in seinem berühmten Aufsatz formuliert. „Denn ein imaginäres Museum, wie es noch niemals da war, hat seinePforten aufgetan: es wird die Intellektualisierung, wie sie durch die unvollständige Gegenüberstellung der Kunstwerke in denwirklichen Museen begann, zum Äußersten treiben.“ Malreaux. André. Das imaginäre Museum. Frankfurt a.M., New York,1987, S.12143 Die Folgen für die Sicherung der kulturellen Kontinuität sind immens, obgleich sie noch nicht in ihrer ganzen Tragweitesichtbar sind. Die dafür nötigen Festplatten sind schon erfunden, aber das kulturelle Wissen muss erst digital gespeichertwerden. Irgendwann werden nicht nur Lexika, Wörterbücher und Expertensysteme, sondern ganze Bibliotheken indigitalisierter Form zur Verfügung stehen. Und Bilddatenbanken, wie etwa Corbis von Bill Gates, besitzen schon heute dieReproduktionsrechte für ganze Museumssammlungen.144 Sonntag, Susan. Über Fotografie. Frankfurt a. M., 2000. S.9

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merkwürdig konstruiert oder tragen einen inhärenten Bildwitz in sich. Dies kann in den Bildern selbst

bereits enthalten sein – in ihrer äußeren Form wie beispielsweise einem eigenartigen Bildaufbau, einer

seltsamen Farbigkeit oder natürlich auch in dem, was sie inhaltlich abbilden. Die Absurdität kann aber

auch aus dem Fehlen der erklärenden Bildunterschrift resultieren oder sich erst in der Kombination

zweier oder mehrerer Bilder ergeben.

Um diese Bildqualitäten heraus zu kristallisieren, schaue ich mir die Auswahl von Bildern immer wieder

an und versuche möglichst viele Nuancen in ihnen zu entdecken.145 Um den Prozess des

kennenlernens intensiv voran zu treiben, strapaziere ich meine Empfindsamkeit auf möglichst vielen

Ebenen: Ich bemühe mich, aus verschiedenen Blickwinkeln Bildbotschaften abzufragen und zu

erkennen, versuche in das Bild hineinzugehen, in alle möglichen Richtungen zu schauen und das Foto

in meinem Kopf mit anderen Bildern zu vergleichen. So erinnere ich mich beim Betrachten eines Bildes

beispielsweise daran, dass irgendwo ein ähnlich konfuses Übereinander von Linien abgebildet war,

dass ein weiteres Bild Unsicherheiten im Bezug auf die Authentizität und die Inszeniertheit des Fotos in

mir ausgelöst hat oder die dargestellte Situation keinem plausiblen Sinn zu folgen schien.

Ich versuche in der Menge der Bilder Ordnungen zu finden. Und wenn diese nicht offensichtlich zu

erkennen sind, finde ich unweigerlich in dem vermeintlich schwer Durchschaubaren plötzlich doch

wieder Strukturen, welche dann eben assoziativ “um mehrere Ecken gedacht“ sind. Erst wenn ich

solche Verbindungen gefunden habe, stellt sich bei der Betrachtung eine Befriedigung ein. Ich habe

dann das Gefühl einen Gedanken “berührt“ zu haben.

Meine Suche nach Mustern, verborgenen Hinweisen, nach auf den ersten Blick Unbekanntem, nach

Gemeinsamkeiten und Gegensätzen ist eine Form des interpretierenden Schauens und findet auf

verschiedenen Ebenen statt. Die zwei wichtigsten Aspekte bei der Untersuchung und Kombinatorik der

Bilder bestehen in der inhaltlichen Bedeutungsvielfalt und in formalen Ähnlichkeiten. Meine

Vorgehensweise beginnt bei der Überprüfung der inhaltlichen Ebene eines Bildes. Ich suche nach

Verbindungen, Weiterführungen, Gegenüberstellungen oder ironischen Kommentaren zu anderen

Bildern. Dies kann in Form eines direkten Zitats, einer Parodie oder einer versteckten Anspielung

geschehen. Inhaltliche Verbindungen können darin bestehen, dass die Motive der Bilder sich ähneln

(beispielsweise Menschen, die etwas zeigen) oder dass ein Bild auf ein anderes antwortet (wenn

beispielsweise auf einem Bild ein Jäger mit angelegter Flinte und auf einem benachbarten Bild ein totes

Tier zu sehen ist). Neben der inhaltlichen Komponente, welche allein die abgebildete Situation umfasst,

untersuche ich auch, welchen Eindruck ein Bild als Gesamtes macht. Ob es Interesse und Faszination

145 Ich betreibe das Sammeln und Erforschen der Zeitungsbilder neben anderen Projekten und lasse den Bildern Zeit, sich inmeinem Kopf zu setzen. Nach dem intensiven kennenlernen der Bilder ist es notwendig, sich wieder von ihnen zu lösen undeine gewisse Distanz zu gewinnen. Denn sonst besteht die Gefahr, dass ich durch mein Vorwissen und die “enge Bindung“zu den Bildern festgefahren bin und deshalb neue und andere Beziehungen nicht erkennen kann. Oder dass ichZusammenhänge erfinde, die für einen Betrachter, der die Bilder zum ersten Mal und für nur wenige Minuten sieht,vollkommen unverständlich sind.

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auslöst oder ich es eher als neutral oder sogar unangenehm empfinde. Dieser Eindruck beruht neben

der inhaltlichen Komponente auf meinem impliziten Vorwissen und auf – teilweise sehr subtilen –

visuellen Informationen. Dabei spielt es eine Rolle, ob das Foto konstruiert und inszeniert oder eher wie

ein flüchtiger Schnappschuss aussieht. Und auch bezüglich der strukturellen und formalen Ebene

achte ich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Bildern. Ich frage mich beispielsweise, ob es

eine auffällige Farbigkeit gibt und ob sich diese kontrastierend oder analog zu der des benachbarten

Bildes verhält, ob warme oder kalte Farben überwiegen, ob das Bild eher hell oder eher düster wirkt.

Für eine gelingende Zusammenstellung ist es darüber hinaus auch wichtig, den Bildaufbau der

einzelnen Fotos zu untersuchen.146 Ich versuche mir über meine Wahrnehmung bewusst zu werden und

über die Erkenntnisvorgänge Rechenschaft abzulegen. Das spontane, unbewusste, automatische

Reagieren, welches mich ein Bild aus der Zeitung ausschneiden lässt, wird hier einen Schritt weiter

getrieben.

Meine Absichten, Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen werden bei der Zusammenstellung einer

Auswahl von Bildern für eine Sonderausstellung schärfer befragt und beeinflussen dann auch die

jeweilige Anordnung. Im Bildgewebe strebe ich eine Verknüpfung von Einheit und Vielfalt an, von

Angleichung und Opposition, von Wiederholung und Unterscheidung.147 Die verschiedenen

Bedeutungsebenen sind im Bild wie semiotische Schichten übereinander oder nebeneinander gelagert

und in jeder dieser Schichten besteht die Möglichkeit, Beziehungen zu anderen Bildern zu generieren.

Durch das Zusammenbringen und Anordnen von Zeichen und Energien werden einige der bereits in

den Bildern bestehenden Ähnlichkeiten in den Vordergrund gerückt, wobei andere Qualitäten eher in

den Hintergrund treten. Ich stelle mir die Bildkompositionen wie visuelle Metaphern vor, bei denen zwar

teilweise die eigentliche Bedeutung noch durchscheint, die Kombination mit einem anderen Bild aber

eine neue Sichtweise anregt. Möglicherweise sind die Analogien zwischen bestimmten Bildern vorher

gar nicht vorhanden oder zumindest nicht sichtbar und werden erst durch die benachbarte Position der

Bilder geschaffen. Die tatsächliche Hängung und Präsentation der Bilder im Ausstellungskontext

verfestigt deren gegenseitige Verbindungen, auch wenn die Bildkombinationen zunächst

unwahrscheinlich und überraschend erscheinen. Durch die Präsentation einer Gruppe von Bildern als

Ensemble wird von mir die Behauptung eines Zusammenhanges aufgestellt. Damit fügt sich jedes

Bildensemble letztendlich zu einem neuen Bild zusammen, das mehr beinhaltet als die Summe seiner

Teile.

Anhand eines konkreten Bildes werde ich im Folgenden versuchen, meine Entscheidung für bestimmte

Bildkombinationen exemplarisch aufzuzeigen: Ich habe das Zeitungsfoto vor etwa 2 Jahren gefunden 146 Ich schaue beispielsweise nach Bewegungsrichtungen und Formen im Bild, frage mich ob Ordnung oder Unordnungherrscht, ob es ruhig oder bewegt erscheint, sie das Verhältnis zwischen Farbe, Linie und Fläche wirkt und ob dabeiGrößenverhältnisse, Anordnung und Relation harmonisch zueinander stehen.147 Zwischen den einzelnen Bildern gibt es offenere und geschlossenere Verbindungen, offensichtliche und geheimnisvolle,alberne, kluge, kitschige, abstrakte, theoretische und sinnliche Gründe für die jeweilige Kombination.

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und es unter dem Titel Bild vorm Kopf gescannt und gespeichert. Das Bild ist in zwei Bereiche

unterteilt. Das untere Viertel wird von einem hellen Parkettboden eingenommen, die obere Fläche,

welche etwa drei Viertel des Bildes einnimmt, zeigt eine dunkelrote Wand. Davor stehen vier Personen,

die fast die gesamte Höhe und Breite des Bildes einnehmen. Jede der Personen hält ein gerahmtes Bild

vor sich, so dass die Köpfe und die Oberkörper der Zeigenden davon verdeckt sind. Nur die Hände der

Personen, welche die Bilder vor sich halten, sind an den Seiten der Rahmen zu sehen und unter den

Bildern ragen die Unterkörper hervor. Das Geschlecht der Personen kann anhand der Bekleidung – ein

Anzug mit Krawatte und drei Kostüm-Röcke – bestimmt werden. Die vorgezeigten Gemälde sind in

opulente goldene Rahmen gefasst. Die drei rechten Bilder zeigen Stadtlandschaften, das linke eine

einzelne Figur. Alle vier Gemälde sind sehr hell und weisen eine zurückgenommene Farbigkeit in

hellem braun, grau, beige und etwas schwarz auf.

Was mich dazu bewegte, dieses Foto aus der Zeitung zu schneiden, ist die Absurdität der dargestellten

Situation. Eine eindeutige Zuschreibung bezüglich der Intention des Fotografen lässt sich nicht auf

Anhieb ableiten. Es könnte sich genauso gut um ein dokumentarisches Foto wie um eine künstlerische

Fotografie handeln. Die Verwunderung über die Abbildung entsteht durch deren Ablösung von der

Belanglosigkeit des die A(u)ktion beschreibenden Zeitungsartikels. Dies löst eine gewisse Unsicherheit

darüber aus, was das Bild eigentlich repräsentiert. Und es stellen sich Fragen, die dem Zeitungsleser

beim flüchtigen Blättern im Wirtschafts- oder Feuilletonteil der Zeitung wohl erst gar nicht gekommen

wären. So seltsam die Handlung im Bild erscheinen mag – die Vermutung, dass sich die Präsentation

der Bilder im Zuge einer Verkaufsaktion bzw. Gemäldeversteigerung abspielt, liegt relativ nahe. Ein

Auktionshaus ist ein Ort, an dem Kunstwerke für kurze Zeit zusammenkommen, die nichts gemeinsam

haben, außer der Tatsache, dass sie verkäuflich sind. Weder Stilrichtung, Format, Technik,

kunsthistorische Bedeutung, Wert noch inhaltliche Aspekte stehen in einem Zusammenhang. Hier

beginnt die Arbeit des Auktionshauses, aus der “bunten Mischung“ eine Präsentation zu erarbeiten, die

wenigstens für die Zeit der Auktion ein annehmbares Bild vermittelt. Diese Tätigkeit ist derjenigen, die

ich mit meinen Sonderausstellungen der Zeitungsbilder verfolge, strukturell ähnlich, wobei ich darauf

achte, dass sich meine Bildpräsentationen nicht allein auf eine oberflächlich-visuelle Harmonie

reduzieren lassen.

Das beschriebene Foto Bild vorm Kopf wird in zwei unterschiedlichen Hängungen mit jeweils

unterschiedlichen Bildnachbarn vorgestellt. Im Rahmen der Kunstaltonale148 wurde das Bild 2005 in

einer Ausstellung im Oelsner Pavillon gezeigt. Dort hing es neben einem Foto, welches ein Fenster mit

Blick auf eine Landschaft zeigte. Dies betonte die Ähnlichkeit von Fensterrahmen und Bilderrahmen, da

sich sowohl die rechteckige Form als auch die Funktion im Bild, den Blick in eine Landschaft zu rahmen,

148 Die Kunstaltonale ist eine Veranstaltung, die einmal jährlich im Hamburger Stadtteil Altona stattfindet und ein großeskulturelles Programm bietet.

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glichen. Beide Ausblicke sind nur im Bild vorhanden, was die Unterscheidung zwischen gemalter

Landschaft auf den Gemälden und “echter“ Landschaft hinter dem Fenster hinterfragt. Die Kombination

von zwei Fotos mit Ausblicken auf Landschaften macht auf die seltsame Verschachtelung vom Bild im

Bild aufmerksam. Und zwar speziell auf eine Vorstellung von Bildern als Fenster. In der europäischen

Tradition der Landschaftsmalerei wird der Bilderrahmen einem Fensterrahmen gleichgesetzt. Der

Betrachter eines solchen Gemäldes blickt von einem festgelegten Betrachterstandpunkt aus wie durch

ein Fenster auf die vor ihm liegende gemalte Landschaft. Ein Betrachter der von mir präsentierten Bilder

schaut “in“ die Fotos hinein und in diesen Fotos kann er wiederum in Bilder einer gemalten Landschaft

bzw. durch ein Fenster in eine Landschaft blicken. Bei dieser Kombination wurde ein Detail aus dem

Bild herausgegriffen und meine Assoziation dazu in einem anderen Bild wieder gefunden, welches als

Antwort oder Weiterführung gesehen werden kann.

Abb. 6: Beispiele aus der Sammlung von Zeitungsbildern.

Für die Examenspräsentation wird das Foto Bild vorm Kopf in Kombination mit anderen Fotos als bei

der Altonale präsentiert. Es hängt neben einem Bild, das einen Mann inmitten von Schaufensterpuppen-

Unterleibern zeigt. Als formales verbindendes Element lässt sich zunächst der Bildaufbau nennen.

Beide der querformatigen Fotos zeigen Figuren vor einer Wand, wobei allerdings die Farbigkeit auf den

Bildern “umgedreht“ ist. Die dunkelroten Podeste, auf denen der Mann sitzt und die

Schaufensterpuppen-Unterleiber platziert sind, ähneln farblich der weinroten Wand, vor der die

Gemälde präsentiert werden. Durch die direkte Nachbarschaft der beiden Bilder nimmt die dargestellte

Situation im Foto “Bild vorm Kopf“ beinahe surreale Züge an. Die Gegenüberstellung mit den an der

Hüfte endenden Puppen-Unterkörpern hat mich dazu veranlasst, in meiner Vorstellung die Unterkörper

der Zeigenden auf Höhe der Bilderrahmen abzuschneiden und die präsentierten Gemälde als

Oberkörper und Köpfe der Zeigenden zu sehen. So als seien die Bilder lebendig und besäßen eigene

Körper, mit denen sie sich selbständig fortbewegen könnten. Man könnte sich auch vorstellen, dass sie

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den Bietenden anhand ihrer Beinstellungen geheime Zeichen geben. Und als Betrachter ist man

versucht, sich über die anonyme Kleidung und die Körperhaltung ein Bild von den Menschen zu

machen, welche hinter den Bildern verborgen sind. Dabei entbehrt die nüchterne Aufreihung und die

neutrale formale Bekleidung der Personen im Zusammenhang mit den uniformen Unterleibern der

Schaufensterpuppen nicht einer gewissen Komik.

Viele der 15 Fotos des Bildensembles haben auf die eine oder andere Weise mit dem Präsentieren

selbst zu tun. Indem der Status des Fotos Bild vorm Kopf als ausgestelltes Bild (unter anderen Bildern,

welche ihrerseits auf das Zeigen hinweisen) auch in dem enthalten ist, was das Foto selbst abbildet,

wird die Thematik der Präsentation selbstreflexiv aufgegriffen. Da der Akt des Zeigens der Gemälde auf

dem Foto sich in meinem Zeigen der gefundenen Zeitungsbilder an der Wand wiederholt, verweist

dieses Foto als Teil meiner Sonderausstellung bildinhärent auf den größeren Kontext, in dem es selbst

auftaucht. Mit diesem Bild präsentiere ich demnach eine Repräsentation, die ihrerseits das Präsentieren

thematisiert.

3.1.4 Präsentieren der Bildensembles

Wenn eine Bildgruppe gefunden ist, welche auf verschiedenen Ebenen interessante Verbindungen

aufweist, kann diese in einer Ausstellung präsentiert werden. Für eine solche Ausstellung werden die

Bilder gemäß den zuvor am Computer erstellten Entwürfen vergrößert und entwickelt. Die

ausgedruckten Papierbilder werden dann auf Karton gezogen und an der Wand angebracht. Anfangs

ordnete ich die Bilder in langen Reihen an, die wie lesbare Stränge funktionierten und oft kleine

Geschichten erzählten. Diese Reihungen waren streng linear angeordnet. Dann fing ich an, die

Bildkombinationen nicht mehr nur auf einzelne Stränge zu beziehen, sondern diese Stränge

miteinander zu verbinden und so Abzweigungen und Alternativen anzubieten. Man kann sich den

Aufbau dieser Geflechte wie ein Kreuzworträtsel vorstellen, mit waagerechten und senkrechten Linien,

die durch verbindende Motive in der Position der Schnittstellen zusammengehalten werden. Die Anzahl

der verbundenen Bilder wurde dabei immer größer und einzelne Geflechte umfassten irgendwann weit

mehr als 50 Bilder. Darin lag zwar der Reiz, einen großen Teil meiner Fundstücke auf einmal zeigen zu

können, doch nach einiger Zeit wurde diese Lösung für mich sowohl visuell als auch konzeptionell

unbefriedigend. Für meinen Geschmack traten die Einzelbilder zu sehr in den Hintergrund und konnten

ihre Qualitäten zwischen so vielen anderen Bildern gar nicht mehr richtig ausspielen. Sie blieben auch

in der Ausstellung und trotz Herauslösung aus der großen Sammlung vor allem Teil einer Bildermenge.

Dabei ging es mir doch gerade darum, das einzelne Bild im Zusammenhang mit anderen zum Sprechen

zu bringen und die in ihm enthaltenen Geschichten hervorzulocken. Auch wollte ich nicht länger

Leserichtung und Schnittstellen vorgeben und damit dem Betrachter meine Assoziationen zu den

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Bildern aufzwingen. Anstatt meine Geschichten in “geregelten Bahnen“ der Hängung nachvollziehen zu

müssen, sollte der Betrachter mehr Freiraum bekommen.

Lieber wollte ich mich darauf beschränken, eine streng befragte Auswahl von Bildern so zu

präsentieren, dass die möglichen Verbindungen zwar anklingen, aber nicht offensichtlich gezeigt

werden. Stattdessen können sie von jedem unterschiedlich wahrgenommen und entdeckt werden. Um

eine solche Balance zu erhalten, in der die Bilder einerseits für sich stehen und andererseits in einer Art

Schwebezustand in Verbindung mit anderen Bildern gesehen werden können, bin ich mittlerweile dazu

übergegangen, die Sonderausstellungen aus der Sammlung in Form von Bildensembles in lockeren

Kompositionen zu präsentieren. Der Begriff der Komposition ist hier gerechtfertigt, denn durch die

Verknüpfung und die Ordnung der einzelnen Teile sollen Beziehungen entstehen. Die Komposition ist

somit auch Bestandteil der Aussage insgesamt und bezieht sich nicht nur auf gestalterische

Komponenten. Die näheren und weiteren Abstände sind bewusst gesetzt. Eine größere Nähe zwischen

Bildern an der Wand lässt auch auf eine inhaltliche Nähe schließen, wobei starke und offensichtliche

Verbindungen zwischen Bildern auch weitere physische Distanzen überbrücken können. Mit dieser Art

der Präsentation möchte ich lediglich Geschichtenanfänge durch die oft irreführende Verweiskraft der

Bilder anstoßen. Denn um Geschichten erzählen zu können, braucht es zwar einen Anreiz für den

Betrachter, nicht aber die komplette Vorwegnahme der Handlung.

Abb. 7: Bildensemble, erstellt im Juni 2007.

So werden die Bilder zu Stationen einer Erzählung, welche aber nicht festgelegt ist und unterschiedliche

Wahrheiten nebeneinander existieren lässt. Ich präsentiere subjektive Interpretationen in Form eines

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Erzählangebotes, gegenüber dem sich der Betrachter frei verhalten und sich alternativ eine eigene

Erzählung schaffen kann, die auch aus Elementen seiner persönlichen Erfahrung besteht.

Ich sehe jedes Foto als Zeichen, das verstanden werden will, das über das Erinnerungsvermögen nach

Ähnlichem abgetastet, in Form, Farbe, Größe verglichen wird und assoziationsträchtig im Raum steht.

Erst Erklärungen, Bezeichnungen und Wertungen der Eindrücke zerren diese Assoziationen zu einer

Seite hin, geben ihnen Schwerkraft, machen sie scheinbar klar, zerstören aber auch zugunsten einer

Aussage mögliche andere Eindrücke und Erkenntnisse. Die Hängungen könnte man als Spiel mit

Bildern beschreiben, welche immer auch von ihrem fragmentarischen und metaphorischen Charakter

und damit von einem größeren Zusammenhang, der abhanden gekommen ist, sprechen. Die

Kombination soll zwischen Geheimnisfülle, besonderer Bedeutung und Absurdem oszillieren. Je länger

ich ein Foto in einem schwerelosen Zustand, im Unklaren halten kann, und ein zweites Foto und dazu

noch mehrere in ihrer Kombination, desto mehr können die Bilder wie verdichtete Zeichen erscheinen,

die sich letztendlich doch nicht lesen lassen.

Bezugnahme auf die künstlerische Arbeit von Peter Piller

Um dieses Projekt im Kontext der zeitgenössischen Kunstproduktion zu verorten, werde ich die Arbeit

des Künstlers Peter Piller kurz vorstellen. Im Vergleich mit seiner Art des Sammelns und Präsentierens

möchte ich die Besonderheit meines Ansatzes im Umgang mit den gesammelten Zeitungsbildern

herausarbeiten. Peter Piller kam durch seine Arbeit als Prüfer für Kleinanzeigen in Lokalzeitungen dazu,

Fotos aus der Zeitung auszuschneiden und zu sammeln. In mehr als zehn Jahren trug er so über 5 000

Zeitungsbilder zusammen, seit einiger Zeit verwendet er auch Postkarten und Bildmaterial aus dem

Internet oder aus Nachlässen. Die gesammelten Bilder teilt er in thematische Gruppen ein: Fotos, auf

denen (noch) gar nichts zu sehen ist, Gebäudeeinweihungen, Ehrungssituationen, Tatorte, erste

Spatenstiche, Schandflecken der Gemeinde, Fotos von Menschen mit vom Blitzlicht angestrahlter,

reflektierender Sicherheitskleidung und Menschen, die ihr Auto berühren. Die Fotos, welche Piller aus

den Zeitungen ausschneidet, sind im Grunde genommen überflüssige Bilder. Sie dienen lediglich zur

Illustration eines Textes, haben auf den ersten Blick keine ästhetischen Qualitäten und sind letztendlich

durch hunderte ähnlich klischeehafter Fotos austauschbar. Peter Piller fügt die unsortiert auftauchenden

Bilder unter ikonologischen Aspekten zu Fotoserien, die er als Bücherbände publiziert.

Trotz der formalen Ähnlichkeiten zwischen dem Vorgehen Peter Pillers und meinem Umgang mit den

gesammelten Zeitungsbildern, gibt es doch eine Reihe von Unterschieden. Während Peter Piller

ausschließlich mit schwarzweißen Bildern aus der Lokalpresse arbeitet, verwende ich Farbfotos aus

allen Printmedien, seien es regionale oder überregionale Tageszeitungen, wöchentlich oder monatlich

erscheinende Zeitschriften oder kostenlose Magazine. So habe ich ganz unterschiedliche Qualitäten

von Bildern in meiner Sammlung, welche durch die Farbigkeit eine weitere Ebene enthalten, die sowohl

Verbindungen schaffen als auch verhindern kann. Peter Piller sucht nach Fotos, die möglichst

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unprofessionell erscheinen, um dann durch ihre Reihung in Serie das Absurde der immer wiederholten

Gesten in den Aufnahmen zu entlarven. Ich hingegen suche nicht nach den langweiligsten,

nichtssagendsten Bildern, sondern lasse mich ohne vorgefertigtes Interessens- und Sammelgebiet

treiben und von den für mich verblüffendsten und interessantesten Zeitungsbildern ansprechen.

Auch ich habe ein Interesse an Zeitungsbildern, welche sonst häufig unbeachtet bleiben. Doch der

Umgang mit den gesammelten Bildern unterscheidet sich sowohl in der Ordnung der Sammlung als

auch in der Präsentation. Während Piller strikt mit wissenschaftlichen Techniken des Ordnens arbeitet

und diese auf seine Sammlung von seltsam nichtssagenden und unprofessionellen Zeitungsfotos

anwendet, führt er diese ad absurdum. Seine künstlerische Sammlung spielt mit der

pseudowissenschaftlichen Nachahmung eines festen Ordnungssystems. Dabei wird gleichzeitig auch

dessen Begrenztheit aufgezeigt und das wissenschaftlich-positivistische Gebaren als scheinobjektive

Leerformel entlarvt und parodiert.

Abb. 8: Archiv Peter Piller. Regionales Leuchten. Band 7, 2004.

Im Gegensatz zu einer solchen künstlerischen Strategie demonstriert meine Modifizierung der

Sammlungs-Ordnung eine andere Herangehensweise. Es widerstrebt mir, die unterschiedlichen Bilder

nach festgelegten Aspekten einzuteilen und von diesen Aspekten auf höhere Einheiten zu schließen.

Heterogene Elemente dürfen im Nebeneinander existieren, ohne über- oder untergeordnet zu werden.

Denn mit geht es nicht primär um eine Kritik am systematischen, formalen Aspekt des Sammelns,

Ordnens und Präsentierens – ich habe ein echtes Interesse an den einzelnen Fundstücken. Sie sollen

nicht als lückenfüllender Beweis für die Unsinnigkeit einer darüber liegenden fiktionalen Ordnung

benutzt, sondern selbst zum Sprechen gebracht werden. Während das Einzelbild bei Peter Piller keine

größere Rolle spielt und sein Wert einzig im Verweis auf die Gesamtheit ähnlicher Motive liegt, sind bei

mir so gut wie alle Bilder zunächst einmal Einzelbilder und sollten grundsätzlich auch ohne die

Unterstützung anderer Bilder funktionieren können. Und selbst wenn auch ich letztendlich

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Zusammenstellungen von Bild-Gruppen produziere, so können diese Bildkombinationen doch nicht

unter Oberbegriffen wie Peter Pillers Autos berühren oder Regionales Leuchten zusammengefasst

werden. Denn bei den von mir zusammengestellten Bildgruppen handelt es sich eben nicht

ausschließlich um ähnliche Bilder, die ein Thema in leichter Variation wiederholt darstellen, sondern

sowohl um ähnliche als auch um disparate Bilder, die über assoziative Vermittlung miteinander in

Zusammenhang gebracht werden.

3.1.5 Reflektierende Betrachtung der künstlerischen Arbeit

Im Sammeln, Konservieren, Erforschen und Präsentieren habe ich die Aufgaben eines Museums

übernommen und mir dessen Regelsystem, indem ich es nur in ausgewählten Bereichen kopiert habe,

angeeignet und gleichzeitig transparent gemacht. Im scheinbar affirmativen Nachahmen der Praktiken

und Mechanismen des Museums ist nämlich auch ein hinterfragendes Moment enthalten. Dabei geht es

mir nicht darum, eine bestimmte Inszenierungsform zu kritisieren, sondern eher darum zu zeigen, dass

unterschiedliche Präsentationsarten enormen Einfluss auf die Rezeption der Exponate haben.

Die Entscheidung, Zeitungsbilder museal zu sammeln, mag zunächst widersprüchlich erscheinen, da

die Bilder und Informationen der Zeitung auf den Tag ausgerichtet sind und später relativ selten weiter

konsultiert werden, während das Museum auf eine dauerhafte Speicherung mit bleibendem oder

steigendem Wert angelegt ist. Das Kunstmuseum sammelt, verwahrt und zeigt mit beträchtlichem

finanziellem Aufwand einzigartige Objekte, deren Zurschaustellung streng kontrolliert wird. Meine

“museale“ Sammlung hingegen ist gewissermaßen dem Gegenteil von einzigartigen Originalen

gewidmet – nämlich bereits tausendfach veröffentlichten Zeitungsbildern. Dies macht die

Sammeltätigkeit für mein “Museum“ relativ leicht, da ich meine Sammlungsobjekte ohne Umstände und

ohne Geld dafür bezahlen zu müssen akquirieren kann.149 Im Gegensatz zum echten Museum muss ich

mich weder um die Interessen Anderer kümmern, noch unterliege ich wie auch immer gearteten

Rechtfertigungszwängen für die Aufnahme von Bildern in meine Sammlung.150

Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen Zeitung und Museum. Zunächst einmal gehören

beide zu den Massenmedien, wenn man von der Definition der Kommunikationswissenschaft ausgeht,

welche „(...) gesellschaftliche Institutionen, die der kontinuierlichen Verbreitung von Informationen

dienen (...)“151, als solche bezeichnet. Während sich diese Medien hinsichtlich ihrer

Kommunikationsform voneinander unterscheiden, sind sie in einem funktionalen Punkt gleich: Sie sind

Träger und Vermittler von Informationen, Belehrung und Unterhaltung. Sie entstehen nicht aus einem

149 Es liegt kein Copyright-Rechtsfall vor, weil die Bilder aus meiner Sammlung heraus nicht Gewinn bringend ausgestelltoder verkauft werden.150 Die Tatsache, dass meine Sammlung aus materiell wertlosen und für Jeden verfügbaren Bildern besteht und dennoch fürmich einen großen Wert darstellt, zeigt, dass sich durch den Umgang mit der Sammlung symbolischer Wert aufbaut.151 Flügel, Katharina. Einführung in die Museologie. Darmstadt, 2005, S.97

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Selbstzweck heraus, sondern sind für die Öffentlichkeit bestimmt.152 Massenmedien gehören zu den

Möglichkeiten, mit denen sich der Mensch seine Umwelt aneignen kann, und sie vermitteln uns einen

großen Teil unseres Wissens über die Welt. Und viele Besucher bringen den Bildern im Museum eine

ganz ähnliche Erwartungshaltung entgegen, wie allen anderen durch Massenmedien verbreiteten

Bildern auch. Für das mühsame sich Versenken, Entziffern oder den problematisierenden Diskurs

nehmen sich viele gar nicht mehr die Zeit. Und die Museen reagieren auf diese Entwicklung, indem sie

ihre Objekte in einer von den Massenmedien abgeschauten Weise präsentieren: Schöne Objekte

werden aneinander addiert, locken, zerstreuen, laden zum flüchtigen Verweilen, zum kurzen Staunen

ein153, verheißen Bildung, ohne ihr Versprechen zu halten.154

Zeitungen, Zeitschriften und die darin abgedruckten Fotos können, ähnlich wie Museen, als externe

Gedächtnisse gesehen werden. Im Gegensatz zur Zeitung ist das Museum ein relativ träges Medium,

wobei diese Trägheit keine Schwäche sein muss, wenn das Museum als kulturelle Institution

beispielsweise das vorschnelle ad-acta Legen von Wichtigem verhindert. Ähnlich wie ich aus der Flut

von Zeitungsbildern einige herausnehme und mich in der künstlerischen Arbeit mit diesen intensiv

beschäftige, sehe ich es auch als eine mögliche Stärke des “echten“ Museums, den immer hektischer

werdenden Strom notfalls zu bremsen.

Wissenschaftlich orientierte Sammlungen wie Museen gliedern ihre Gegenstände in eine Ordnung ein,

die das ihnen zugrunde liegende Sammeln deutlich als klassifikatorische Tätigkeit erkennbar werden

lässt. Die bestehenden Sammel- und Ordnungskriterien legen relevante Eigenschaften oder Merkmale

der Objekte fest und klammern dadurch andere Einordnungen und Betrachtungsweisen aus – häufig

ohne zu thematisieren, dass es sich dabei um eine Möglichkeit unter vielen handelt.155 Im Vergleich zu

meiner offenen Sammlung wird das feste und recht starre System des Museums deutlich. Denn ich

gebe zwar jedem Bild meiner Sammlung eine feste Zuschreibung durch einen eigenen Titel, lasse sie

aber ansonsten frei für sich stehen, um nicht durch Grüppchenbildung Zusammenhänge zwischen

Bildern zu verstellen. Während des Sammelns und Lagerns werden meine Zeitungsbilder gleichwertig

behandelt. Eine gesonderte Position erfahren sie nur temporär, wenn sie als Teil einer Ausstellung

gezeigt werden. Somit dient die Sammlung nur als Zwischenspeicher, der stets neu konfiguriert

werden kann. Die Sammlung selbst ist nicht das Kunstwerk und wird auch nicht ausgestellt. Sie ist eine

152 Trotz dieser Aufgabe sprechen Museen doch meist nur einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung an.153 Die durchschnittliche Verweildauer vor einem Museumsexponat liegt bei etwa 8 Sekunden. Vgl. Klein, Rolf.“Besucherverhalten in Museen und Galerien“. In: Groppe, Hans Hermann und Jürgensen, Frank (Hrsg.). Gegenstände derFremdheit. Museale Grenzgänge. Dokumentation einer Fachtagung veranstaltet vom Museumspädagogischen Dienst derKulturbehörde Hamburg. Marburg, 1989.154 Vgl. Fliedl, Gottfried (Hrsg). Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft undMuseumspädagogik. Klagenfurt, 1988.S.35155 Dieses Vorgehen besitzt Analogie zur Begriffsbildung. „Um Objekte in Klassen einteilen zu können, bedarf es derAbstraktion, des Herausziehens von Merkmalen, unter denen eingeteilt werden soll. Das hat zur Folge, dass diese Merkmalerelevant werden, andere für die Begriffsbildung unbeachtet bleiben.“ Vgl. Herles, Diethard. Das Museum und die Dinge.Wissenschaft, Präsentation, Pädagogik. Frankfurt a.M., 1996. S.83

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Durchgangsstation, dient der persönlichen Verwendung und bleibt unsichtbar.156 Das Kunstprojekt

manifestiert sich demnach nicht darin, was ich sammle, sondern darin, was ich daraus mache. Dieses

Machen besteht in der Herauslösung aus dem Kontext, der Neukombination mit anderen Bildern, der

Tatsache, dass ich vergrößerte Ausdrucke verwende und diese teilweise gespiegelt oder beschnitten

werden und in der Art der Präsentation.

Die künstlerische Aussage liegt in der Auswahl und Präsentation der Bilder und kristallisiert sich in der

konkreten Ausstellung einer Bildauswahl. Alle Tätigkeiten laufen auf solche Ausstellungen hinaus

und nur in ihrer je spezifischen Kombination und Präsentation werden die ausgeschnittenen

Zeitungsbilder zum Teil des “Kunstwerks“.157 Insofern gleicht meine Sammlung dem großen Fundus

eines Museums, aus dem sehr verschiedene Ausstellungen komponiert werden können. So wie die

Museen früher versuchten, alles zu zeigen, was die Sammlung hergab, war es auch mir zu Beginn ein

Anliegen, möglichst viele meiner Schätze zu zeigen. Doch so wie auch im heutigen Museum der

weitaus größte Teil der Sammlung im Depot im Verborgenen bleibt und die Kunstwerke nur im

Zusammenhang einer vom Kurator gesetzten Rahmenhandlung öffentlich auftreten, zeige auch ich

mittlerweile in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen nur noch eine je streng befragte Auswahl

aus dem Sammlungsbestand. Die Nähe zu den Tätigkeiten eines Kurators im Museum spiegelt sich

auch darin wider, dass ich im Sammeln, Ordnen, Forschen und Präsentieren mit schon vorhandenem

Bildmaterial im Gegensatz zu selbst erzeugten Bildern umgehe.158 Die Tatsache, dass ich mit den

Bildern nicht durch den Akt des Fotografierens verbunden bin, bringt ohne Zweifel eine – bei selbst

fotografierten Bildern nur schwer zu erreichende – Distanz mit sich. Und gerade diese Distanz ist

notwendig, um die Bilder mit einem fremden Blick betrachten zu können und die in ihnen enthaltenen,

versteckten und vom Fotografen wahrscheinlich nicht intendierten Aussagen zu entdecken. Gleicgwohl

stellt jede Darbietung einer Auswahl von Bildern (unabhängig davon, ob es sich um die eigenen oder

um fremde Bilder handelt) diese nicht nur vor, sondern dabei gleichzeitig etwas Neues her; nämlich ein

Arrangement, das so bisher nicht existierte. Die Zeitungsausschnitte werden durch meine Präsentation

zu Anschauungsstücken, die in dieser Funktion betrachtet werden sollen.159 Als Zeigende der Bilder –

156 Dennoch ist sie von größter Wichtigkeit, da sie die Realisation des künstlerischen Projekts erst möglich macht. DieSammlung dient als Speichermedium außerhalb meines Gedächtnisses und beherbergt mein “Arbeitsmaterial“ das ichimmer wieder durchsehe, um Verwandtschaften zwischen den Bildern zu entdecken und nach und nach eine präsentableGruppe zusammen zu stellen. Das Sammeln dieser Bilder ist kein Selbstzweck, denn es geht mir nicht darum, mit einer Bild-Menge zu beeindrucken und die Bildersammlung ist keine Anhäufung, denn ich gehe bewusst mit ihr um und erforsche dieQualitäten der einzelnen Bilder.157 Das Gespeicherte steht bereit zum Erzählen, bleibt jedoch solange stumm, bis es aus der Sammlung herausgenommenund gezeigt wird. Erst die Öffnung, die Übertragung in einen spezifischen Kontext, die tatsächliche Ausstellung mit denausgedruckten Bildern und der Prozess der Aneignung durch den Benutzer bringen die gesammelten Informationen zumLeben und zum Sprechen.158 Dies mag von Außen betrachtet insofern einfacher anmuten, als dass ich auf den ersten Blick nicht in vollem Ausmaß fürdie verwendeten Fotos verantwortlich erscheine.159 So muss ich auch mit der Enttäuschung rechnen, dass niemand daran interessiert ist, sich meine Bilder anzusehen. Oderdass trotz der Kenntnisnahme der Bilder an diesen von den Betrachtern gar nichts Besonderes gefunden wird, dass alsomeine Ver- und Bewunderung nicht geteilt wird.

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seien es nun eigene oder eine Auswahl von “fremden“ Fotos – bin ich tiefer engagiert, da ich nicht nur

wie die anderen Betrachter vor den Bildern stehe, sondern im übertragenen Sinne auch dahinter. Indem

ich nicht nur anschaue, sondern zugleich vorzeige, exponiere ich auch mich selbst und verbürge mich

indirekt für die Sehenswürdigkeit meiner Bilder. Ich muss den von mir ausgewählten Fotos vertrauen,

denn sie sollen halten, was ich versprochen habe. Ihr Erfolg ist letztendlich auch mein Erfolg.

Von den beschriebenen Aufgaben des Museums erscheint mir letztendlich der Aspekt der Präsentation

im Museum am interessantesten. Wie beschrieben, verlieren Dinge im Museum ihre ursprüngliche

Funktionalität und gewinnen eine neue dazu. Sie repräsentieren und stehen für etwas anderes. Für

etwas, das sie im Museum nicht oder nicht mehr sind. Die Loslösung aus ihren ursprünglichen Bezügen

ist sowohl für die Exponate im echten Museum als auch für meine Sammlung von Zeitungsbildern und

deren Präsentation konstitutiv. So wie Dinge durch den Übergang zu Museumsobjekten eine

Bedeutungsverschiebung erfahren, so werden auch die Zeitungsbilder durch das Herausschneiden und

durch die Kombination mit anderen Fotos zu etwas anderem.

Dabei ist die Tatsache, dass die von mir gesammelten und präsentierten Fotos aus Zeitungen

stammen, insofern bedeutsam, als dass solche Bilder – solange sie in der Zeitung betrachtet werden –

fest in ihren Herkunftskontext eingebettet sind. Dort werden sie meistens lediglich als Illustrationen

zum eigentlichen Inhalt der Zeitung – den geschriebenen Artikeln – gesehen und werden deshalb nicht

bewusst als eigenständige Bilder wahrgenommen, geschweige denn ausführlich und aufmerksam

betrachtet.160 In der Zeitung sind sie eher eine Randerscheinung, gedacht als auflockerndes und

dekoratives Element mit Unterhaltungswert, als Belegbild für die Richtigkeit des geschriebenen Wortes

oder als Veranschaulichung eines Gedankens. Fotos in der Zeitung sollen als Repräsentanten der

Realität von Authentizität zeugen. Zur Illustration oder Verifizierung eines Textes dienend, suggerieren

sie auch heute noch, Stellvertreter der Wirklichkeit sein zu können. Doch mittlerweile ist das Vertrauen

gegenüber dem Foto als Dokument erschüttert. Das Wissen um die digitale Manipulierbarkeit schürt

den Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit und die Fotos werden nicht mehr uneingeschränkt als objektive

Dokumente der Realität gesehen. Auch dies trägt dazu bei, dass ich mich nicht mehr an die intendierte

Bedeutung der Bilder gebunden fühle und es mir relativ leicht fällt, unbefangen mit dem

Verweischarakter der Zeitungsbilder zu spielen.

In diesem Zusammenhang ist die Angewohnheit vieler Menschen interessant, das Datum, Angaben

über die Zeitung, und häufig auch die dargestellte Situation auf einem Zeitungsausschnitt zu notieren,

bevor sie diesen zur weiteren Aufbewahrung ablegen. Derartige Informationen finden in meiner weiteren

Arbeit mit den Bildern keine Beachtung – sie können sogar eher hinderlich sein. Mir ist es daher wichtig,

dass das Zeitungsbild beim Ausschneiden von seinem Artikel, seiner Bildunterschrift und den anderen

160 Und obwohl es sich bei vielen Zeitungsbildern auch gar nicht lohnt, sich intensiver mit ihnen auseinander zu setzen, sogibt es doch auch immer wieder Schätze, die mit einem aufmerksamen Blick entdeckt werden können. Diese sonst häufigübersehenen Bilder sind es mir wert, sie in meiner persönlichen Bildersammlung aufzubewahren.

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Fotos auf der Seite getrennt wird. Denn erst wenn das Bild von der verbalen Instruktion der

Bildunterschrift gelöst wird, welche die an sich offene Bedeutung des Bildes auf eine intendierte

Bedeutung hin einschränkt, wird die Bedeutungszuschreibung wieder geöffnet. In einer pragmatischen

Kommunikationssituation wie dem Lesen einer Zeitung wird man nicht nach latenten und versteckten

Bedeutungen in den Bildern suchen. Der Zeichenaustausch ist auf Verständlichkeit angelegt. Erst wenn

nicht mehr auf nüchterne Verständigung abgezielt wird, können diese Bilder neu gelesen werden. Erst

jetzt stellt sich die Frage, was auf dem Bild eigentlich wirklich zu sehen ist, erst jetzt kann es einen

Eigenwert entwickeln. Befreit vom “Bedeutungskorsett“ des Kontexts und losgelöst von dessen

regulativen Faktoren kann ich das Bild ganz neu betrachten und Qualitäten entdecken, die im

Zusammenhang mit dem Thema, welches das Bild illustrieren sollte, möglicherweise gar nicht auffallen

würden. Und selbst bei den sonst meist wenig Überraschendes bietenden Bildern der

Nachrichtenagenturen kann es zu “produktiven Missverständnissen“ kommen, da es ohne die

Bildunterschrift meist kaum möglich ist, die Fotos im vorgesehenen Bezugsrahmen zu interpretieren.

Mit der Zusammenstellung von Bildensembles möchte ich keinen neuen eindeutigen Bezugsrahmen

schaffen, sondern vielmehr simultane Perspektiven eröffnen und die Möglichkeit ausschöpfen, das

Bild in immer unterschiedlichen Zusammenhängen zu zeigen. Jedes Bild kann potentiell mit jedem

anderen verbunden werden, wobei die Verbindung jeweils nur für die Dauer einer Ausstellung

besteht.161 Auswahl und Arrangement sind somit stets zeitlich begrenzt. Je nach Nachbarschaft

kommen bestimmte Bildeigenschaften besonders zum Vorschein und das Bild tritt in jeweils

unterschiedlichen Rollen auf.162 Es ist faszinierend, dass der Prozess der Verkettung und Verknüpfung

von Bildern nie abzuschließen ist und jedes Mal aus dem gleichen Material völlig unterschiedliche

Aussagen allein durch die Präsentation im Kontext getroffen werden können. Die immer neuen

Kombinationen zeigen die Unmöglichkeit, alle Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen und die

Möglichkeit alternativer, sich wechselseitig relativierender Begründungszusammenhänge. Letztendlich

verdeutlicht dieses Spiel mit den Bildern die fast banale Wahrheit, dass die jeweilige Situation

entscheidend dafür ist, wie ein Bild gelesen wird. Denn ein einzelnes Bild hat oft gar keine feste in sich

selbst enthaltene Aussage oder Wertung. Diese wird erst im Zusammenhang mit seiner Umgebung

konstruiert und variiert je nachdem, an welche anderen (hier visuellen) Informationen es angedockt

wird. Somit gibt es keine eindeutige Lesart und damit auch keine richtige oder falsche Deutung mehr.

Deshalb versuche ich mit der Präsentation der Fotos auch erst gar nicht, eine feste Aussage zu treffen.

161 Assoziationen zu möglichen Verwandtschaften zwischen den gezeigten Bildern stehen in einem neuen, frei erfundenenBedeutungszusammenhang. Und oft sind die besten “Paarungen“ von Bildern auch für mich überraschend. Sie entstehennicht etwa aus einer konzeptuellen Überlegung heraus, sondern eher zufällig und spontan beim Ausprobieren undHerumschieben der Bilder. Dann ergibt sich zwischen zwei oder mehr Bildern auf einmal eine Verbindung, die mir selbstnicht eingefallen wäre, wenn ich die Bilder einzeln betrachtet hätte.162 So kann es vorkommen, dass beispielsweise die Abbildung eines Hundes in der ersten Kombination als bedrohlichempfunden wird, wohingegen das Tier auf der gleichen Abbildung im Zusammenhang mit anderen Nachbarn plötzlich alsironische Übertreibung gesehen werden kann.

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Alle Assoziationen sind fiktiv und spekulativ, sollen in ihrer Rätselhaftigkeit in einem Schwebezustand

bleiben und sich eben gerade nicht definitiv benennen, erklären oder deuten lassen.163 Diese offene

Erzählweise kann dann zum zweiten Mal zu einem “Fehldeuten“ im positiven Sinne führen. Über die von

mir entwickelte Art der Hängung können Spekulationen der Betrachter sich nun zusätzlich mit den von

mir angebotenen Neu-Deutungen der Zeitungsbilder beschäftigen. Damit wird den Betrachtern bis zu

einem gewissen Grad (denn die Auswahl und Hängung der gezeigten Bilder obliegt ja mir) die

Möglichkeit gelassen, ein eigenes gedankliches Bezugssystem anzuwenden, damit zu spielen und

unterschiedliche mögliche Bezüge zu entdecken.164 Ich sehe im “Missverstehen“ auf Seiten des

Betrachters keine Gefahr, sondern ein Potential.

Meine interpretierende Tätigkeit scheint mir manchmal derjenigen eines Puzzlespielers zu gleichen,

der versucht, Schritt für Schritt eine sinnvolle Gestalt zu erzeugen. Oder sie kommt mir wie eine

Variante kriminalistischer Spurensicherung vor. Ich beschäftige mich mit meinen Bildern, so wie der

Detektiv sich mit seinem "Fall". Er befragt jedes Motiv, jedes Requisit, jede Äußerung und jedes noch so

kleine Detail so lange, bis der Zusammenhang der Indizien hervortritt. Dabei findet der Detektiv seinen

Anknüpfungspunkt meist in einem unregelmäßigen Detail, das sich dem gradlinigen Verständnis in den

Weg stellt. Gerade die widersprüchlichen Umstände, die den Fall zunächst zu verkomplizieren drohen,

erweisen sich am Ende für seine Auflösung oft als besonders förderlich. Wie ich als Interpret, so muss

auch der Detektiv bereit sein, Umwege zu gehen.165 Aber sowohl die Metapher vom Puzzlespiel wie

auch das Bild des Spuren sichernden Detektivs sind zur Veranschaulichung der interpretierenden

Verstehensoperation von Bildern letztendlich doch nicht besonders geeignet. Denn sie legen das

Missverständnis nahe, es gäbe eine endgültige Lösung. Im Prozess der Bilder-Interpretation wird ein

Sinn jedoch nicht nur ermittelt, oder, wie Ricoer sagt, "wieder eingesammelt"166, sondern gleichzeitig

auch produziert. Levi-Strauss hat die interpretierende Tätigkeit als eine "intellektuelle Form der

Bastelei"167 beschrieben. Dabei schafft der Interpret – wie ein Bastler – aus dem, was er vorfindet, einen

neuen Zusammenhang. Seine Tätigkeit ist nicht nur Sinn verstehend, sondern auch Sinn stiftend. Sie

163 Bei der Zusammenstellung mehrerer Bilder interessieren mich deshalb in erster Linie unmethodische, nichtsystematischeGestaltungen, die frei von übergeordneten Interessen wie Sozialkritik, Zeitkritik, Wirklichkeitskritik, Umweltschutzgedankenoder Ähnlichem geleitet sind.164 “Der Besucher einer Ausstellung ist Leser und Produzent zugleich. Verstehen ist dabei niemals reine Denotation, sondernimmer auch Konnotation, Assoziation und Überlagerung mit schon vorhandenem Wissen. Der reine Blick ist nichts als einMythos der unbefleckten Kommunikation, denn was das Auge sieht, empfängt es immer schon von einer innerenWahrnehmung verändert und präfiguriert.“ Heinisch, Severin. “Objekt und Struktur – über die Ausstellung als einen Ort derSprache“. In: Rüsen, Jörn, Ernst, Wolfgang und Grütter, Heinrich Theodor (Hrsg.). Geschichte sehen. Beiträge zur Ästhetikhistorischer Museen. Pfaffenweiler, 1988. S.83165 Das hat schon Sherlock Holmes gewusst. Er sammelte und sicherte mit einem untrüglichen Gespür auch noch dieunscheinbarsten und abgelegensten Spuren und verknüpfte sie dann durch geduldigen Vergleich, durch messerscharfeSchlussfolgerungen und überraschende Einfälle zu dem gesuchten Zusammenhang des jeweiligen Falles. Seine Methodeberuhte, wie er es einmal seinem Partner Watson gegenüber ausdrückte, „(...) auf der Berücksichtigung von Kleinigkeiten."Sebeok, Th. Und Umiker-Sebeok, J. V. “"Sie kennen ja meine Methode." Ein Vergleich von Charles S. Peirce und SherlockHolmes.“ In: Eco, Umberto und Sebeok, Thomas A.(Hrsg.). Der Zirkel oder im Zeichen der Drei. München, 1985. S.52166 Ricoer, Paul. Hermeneutik und Strukturalismus. München, 1973. S.81167 Levi-Strauss, Claude. Das wilde Denken. Frankfurt,1973. S.29

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bewegt sich von einem Sinn zu einem anderen Sinn und transformiert diesen dabei. Bedeutungen

stehen nicht still, sondern befinden sich, nach Lacan, in einem "unaufhörlichen Gleiten".168 Im

Unterschied zum Puzzle und Kriminalfall bleibt die Interpretation der Zeitungsbilder durch Inszenierung

eine unendliche Aufgabe.

Man könnte diese Art des Vorgehens vielleicht eher mit dem Prinzip des Rhizoms vergleichen.169 Bei

den französischen Philosophen Deleuze und Guattari steht das Rhizom für ein poststrukturalistisches

Modell der Wissensorganisation als Alternative zum binär codierten Baum des Wissens, der das

zentrale Modell für die hierarchische Organisation der Wissenschaften repräsentiert.170 Der Begriff des

Rhizoms stammt aus der Botanik und benennt einen Wurzeltyp bestimmter Pflanzen, der sowohl ober-

als auch unterirdisch wuchern kann und ohne erkennbare Ordnung Triebe ausbildet, welche sich auch

untereinander wieder kreuzen können. Ein solches Rhizom zeichnet sich dadurch aus, dass es ein

Geflecht ohne Anfang und Ende ist. Durch Assoziation können Sachzusammenhänge durchbrochen

werden. Elemente aus unterschiedlichsten Quellen, Kontexten und Niveaus können zusammenkommen

und eine heterogene Wirklichkeit schaffen. Nach dem Prinzip des “asignifikanten Bruchs“ kann ein

Rhizom anders als eine Baumstruktur überall abgebrochen und auseinander gerissen werden, weil es in

der Lage ist, an jeder Bruchstelle neu zu wuchern und sich an jedem Riss neu zu konstituieren. In

diesem Sinn ist es eins meiner Ziele, die Zahl der Beziehungen zwischen den Bildern zu vermehren,

statt sie durch Rückbezug auf größere Einheiten zu verringern. Widersprüche sollen differenziert und

nicht beseitigt oder simplifiziert werden. Deshalb kommt es darauf an, Aussagen in verschiedenen

Bezugssystemen und Bewertungsräumen zu konfrontieren und zu vergleichen. Jede Hängung ist immer

nur im Hinblick auf mögliche Korrekturen und Modifikationen möglich. Eine “endgültig vorläufige“

Hängung ist damit eine Reflexionsvorlage für weitere Bemühungen und offen für Ergänzungen,

Verbesserungen und Veränderungen. Die Entstehung und Modifikation der Bildkombinationen ist ein

permanentes Probieren, erstreckt sich oft über mehrere Monate und ist theoretisch nie abgeschlossen.

Das vorläufige Ende ist daher immer auch ein neuer Anfang.

168 Lacan, Jacques. Schriften 11. Olten und Freiburg, 1975. S.27169 Deleuze, Gille und Guattari, Felix. Rhizom. Berlin, 1977.170 Im Poststrukturalismus geht es nicht um Gewissheiten, sondern um deren Auflösung, nicht um Begründungen, sondernum deren Verschwinden. Der Übergang von Strukturalismus zum Poststrukturalismus könnte man als einen Wechsel voneinem endlichen zu einem unendlichen Analysekontext verstehen. Im Strukturalismus sollte dem Denken eineSinnbestimmung gegeben werden. Das Subjekt wurde in einem endlichen und damit prinzipiell übersichtlichen System mittaxonomischer Ordnung gesehen. Der Poststrukturalismus hingegen unterläuft dieses Vertrauen, Sinn und Bedeutung in derStruktur zu finden. Ein einheitlicher Konsens kann deshalb höchstens lokal und zeitlich beschränkt gültig sein. Auch imheutigen Museum ist der Einfluss der “Postmoderne“ zu spüren. Dies zeigt sich in der gestiegenen Wertschätzung desFragmentarischen und Assoziativen, eine Geisteshaltung, die mit großer Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Dogmenund Wahrheitsansprüchen sowie systematischen Gliederungsprinzipien verbunden ist.

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3.2 Expeditionen ins Naturkundemuseum

Bevor ich zur Schule ging, wurde ich mindestens einmal in der Woche ins Münsteraner Naturkundemuseum

mitgenommen. Das Kindermädchen hatte eine Jahreskarte für das Museum und den benachbarten Zoo und so

verbrachte ich viele Stunden bei den lebenden und ausgestopften Tieren. Ich habe besonders starke

Erinnerungen an endlose verregnete Vormittage im Naturkundemuseum. Die im Winter immer viel zu hoch

aufgedrehte Heizung, der spezifische Geruch nach Teppich, Staub und Putzmitteln, die abgedunkelten Fenster

und die hell erleuchteten Vitrinen. Meist waren nur wenige Menschen im Museum und ich durfte auf eigene Faust

umherstreifen, um meinen besonderen Lieblingen unter den Ausstellungsstücken einen Besuch abzustatten. Ein

Rundgang lag komplett im Dunkeln und nur durch die Fenster zu den Dioramen heimischer Fauna drang

schwaches Licht auf den grauen Teppichboden. In diese Landschaften konnte ich eintauchen, mich stundenlang

hineinversenken – und jede hatte ihre ganz eigene Atmosphäre. Es gab eine Gruppe von Rehen in einer kargen,

Schnee bedeckten Ackerlandschaft, einen Steinmarder, der im blassen Mondlicht auf dem Dach eines

Schuppens balancierte und eine Bache mit ihren Frischlingen im jungen Grün eines Frühlingswaldes. Besonders

hatte es mir in der Afrika-Halle die blutige Darstellung zweier Hyänen angetan, die eine Antilope ausweideten.

Halb fasziniert, halb angeekelt starrte ich immer wieder auf die etwas zu grell rosa und violett bemalten Gedärme,

die aus dem Bauch der Antilope quollen. Ein einschneidendes Erlebnis war der Tod des Eisbären im Zoo. Dort

war er über Jahre hinweg der letzte Höhepunkt vor dem Ausgang gewesen. Wenige Wochen nach seinem

Verschwinden aus dem betonierten Zoogehege tauchte er plötzlich in der Polarlandschaft des

Naturkundemuseums auf. Sein Fell war viel weißer, als ich es in Erinnerung hatte, und er stand erwartungsvoll

vor dem Eisloch einer Robbe, um diese beim nächsten Luftholen mit einem Prankenhieb zu töten.

3.2.1 Museale Repräsentation und Inszenierung von Natur

Die Faszination für Naturkundemuseen ist mir geblieben und nach jeder Ankunft in einer neuen Stadt

besuche ich als Erstes das dort ansässige naturhistorische Museum. Ich lasse mich nach wie vor

verzaubern, kann mich immer noch in die musealen Repräsentationen von Natur versenken und mich in

den Bann dieser seltsam künstlichen Welten ziehen lassen. Für den Moment vergesse ich dann die

Absurdität, welche der fiktiven Auferstehung von toten Tieren auf einer künstlich gestalteten Bühne

innewohnt: Die Zeit ist angehalten, Wolken türmen sich am azurblauen Himmel, Vögel stehen

regungslos davor, Wölfe starren mit gleich bleibender Aufmerksamkeit in eine Richtung. Ihre Zungen

hängen hechelnd heraus, der Brustkorb scheint sich zu heben und zu senken, die glänzenden,

gemalten Lefzen und blitzenden Glasaugen wirken täuschend echt. Hinter der Glasscheibe sind all

diese Details eingefroren, damit sie in Ruhe betrachten werden können. Die aufwändigen, detailliert

angelegten Environments der Dioramen vereinen Guckkasten und Bühne, sie sind ein Zusammenspiel

von Malerei, Skulptur und Installation im konstruierten Raum. Mit Hilfe von Illusionstechniken werden

die Elemente so inszeniert, dass es scheint, als seien sie real. „Kulminationspunkte dieser fiktiven

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Realitäten sind die Entdeckung der Zentralperspektive, aber auch das Theater in der Tradition der

Guckkastenbühne.“171 Der kulissenhafte Charakter und die bizarren Oberflächen dieser künstlichen

Wirklichkeiten sind höchst faszinierend, da sich die ausgestopften Tiere im Museum trotz der teilweise

gelingenden Illusion ja eigentlich in einer Umgebung befinden, die ganz offensichtlich nicht ihre

natürliche ist. Sie liegen in Vitrinen, hängen an den Wänden, stehen auf Podesten und sind in die

künstlichen Bühnen der Dioramen eingefügt. Sie werden von Erklärungstafeln beschrieben, von

Beleuchtungssystemen angestrahlt, von Befeuchtungs- und Belüftungsanlagen temperiert und sind von

Mobiliar und Dekor einer ihnen eigentlich nicht gemäßen Umgebung umstellt. Durch die Entfernung der

Tiere von ihrem lebensweltlichen Zusammenhang und durch das Arrangieren der präparierten Körper

zu “eingefrorenen“ Momentaufnahmen werden die musealen Exponate letztendlich zu

Repräsentationen ihrer selbst.

Obwohl die Dioramen in ihrer physischen Existenz real im Museumsraum präsent sind, so ist es doch

offensichtlich, dass es sich bei den erzeugten Bildern nicht um “die Realität“ sondern um vermittelte

Repräsentationen von Realität handelt. Und ich falle – bei aller Faszinationskraft, welche die

Dioramen auf mich haben – natürlich nicht wirklich auf die Kulissen herein. Es ist eher so, dass diese für

mich besonders durch die beflissenen (aber letztendlich vergeblichen) Versuche der Dioramenbauer,

perfekte Abbilder der Natur zu erzeugen, einen ganz eigenen Charme entwickeln. Ich muss zugeben,

dass ich eine persönliche Neigung zu Museen habe, die ich als “rührend“ empfinde. Damit meine ich

solche Orte, an denen die übliche Rhetorik der Präsentation hoffnungslos hinter der Idealnorm

zurückbleibt. Diese Museen zeigen die offiziellen Repräsentationsmodelle von Natur in einem

unabgeschlossenen Zustand und es fällt leichter, diese als Konstrukte zu verstehen und die

Willkürlichkeit solcher offiziellen Standards zu reflektieren. Die etablierten Muster der musealen

Darstellung von Natur, darunter Biologische Gruppe und Diorama, scheinen dort häufig wie

schablonenhafte Wiederholungen immer gleicher Tiermotive, und die Präsentationen angeblich

lebensnaher Bewegungsmomente wirken oft erstarrt.172 Genau in dieser so offensichtlichen

Künstlichkeit der Kulissen liegt ein starker Reiz. Aufgrund der Tatsache, dass die Inszenierungen im

Naturkundemuseum abstrahieren müssten, dabei aber konkret dinghaft bleiben, bieten sie eine große

Angriffsfläche. Sie bewegen sich immer am Rande des Fantastischen und Kuriosen und zeigen oft

Widersprüche. An dieser Stelle möchte ich mit meiner künstlerischen Arbeit ansetzen und empfinde die

Tatsache, dass die Widersprüche möglicherweise durch meine künstlerische Untersuchung und

Bearbeitung nicht aufzulösen sind, nicht als negativ, sondern im Gegenteil eher als spannend.

171 Krämer, Sybille. “Vom Trugbild zum Topos. Über fiktive Realitäten.“ In: Iglhaut, Stefan, Rötzer, Florian und Schweeger,Elisabeth (Hrsg.): Illusion und Simulation – Begegnung mit der Realität. Ostfildern, 1995. S.131172 Es gibt bereits erste Versuche, das klassische Diorama zu modernisieren, wobei die neueste Entwicklung darauf abzielt,das Hintergrundgemälde zu mobilisieren und als Filmprojektion aus seiner Erstarrung zu befreien.

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Für den Ansatz meiner Untersuchung heißt das, dass ich mich den naturkundlichen Schausammlungen

als Repräsentationen nähere. Repräsentation meint hier die Darstellung und Vergegenwärtigung von

etwas Abwesendem, Unsichtbarem.173 Denn “Natur“ kann im Museum nicht anwesend sein, sie kann

dort nur repräsentiert werden. So geht es bei meiner künstlerischen Untersuchung des

Naturkundemuseums auch nicht um die Natur, sondern um eine Kultur, nämlich die Kultur der

Repräsentation von Natur, durch die sich der Mensch zur Natur in Beziehung setzt.174 Anders als die

Historikerin Ludmilla Jordanova, die sich ausführlich mit Museen beschäftigt hat, meine ich nicht, dass

Museen mit ihren Ausstellungen lediglich Fiktionen erschaffen würden. Naturkundemuseen zeigen zwar

keine Natur, aber auch keine Phantasien, sondern Repräsentationen von Natur. Damit geben sie nicht

nur über die Natur, sondern auch über die Gesellschaft Auskunft, aus der heraus solche

Repräsentationen entstehen.175 Und obwohl die Welt des Museums eine Konstruktion ist, so ist seine

Wirkung (und sei es die Wirkung von Künstlichkeit) auf den Museumsbesucher real. Ich versuche in den

Museumsexponaten die ihnen vorgeschaltete Form der Präsentation zu erkennen und zu befragen.

Eine solche Untersuchung der “Sprache des Museums“ kann mir als Schlüssel zur künstlerischen

Erforschung des gesellschaftlichen Konstrukts der “Natur“ dienen.

3.2.2 Fotografieren im Naturkundemuseum

Die Fotos sind über mehrere Jahre hinweg in deutschen und ausländischen Naturkundemuseen

aufgenommen worden. Neben Hamburg, Münster, Lübeck, Lüneburg, Hannover, Bremen, Berlin,

München und Frankfurt sind auch Bilder aus den Naturkundemuseen von London, Chicago, Tallin,

Dubai und Genf darunter. Durch diesen Querschnitt kann ich zwar keine generellen Schlussfolgerungen

über das Naturkundemuseum an sich treffen, dennoch zeigt die Zusammenschau von Bildern aus

mehreren Museen bestimmte Konventionen der Darstellung und strukturelle Ähnlichkeiten der

Institutionen im spezifischen Umgang mit ihrer Aufgabe, die Natur zu repräsentieren.176

Bei meinen Besuchen im Museum weiß ich vorher oft nicht genau, was ich dort eigentlich fotografieren

werde. Ich überlasse die Auswahl der Perspektive und den entscheidenden Moment des Fotografierens

meiner spontanen Reaktion auf die vorgefundenen Situationen und verfolge kein Konzept im Sinne

eines strengen Planes. Vielmehr lasse ich mich intuitiv leiten, versuche mich bewusst und mit Genuss in

den Bann der Museen ziehen zu lassen und bewege mich beinahe traumwandlerisch darin. Ich gehe

immer allein ins Naturkundemuseum und verbringe bei jedem Besuch viele Stunden dort. Ich lasse die 173 Vgl. Rheinberger, Hans-Jörg (Hrsg.) Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Berlin, 1997. 265 ff.174 Um die Entwicklung des gesellschaftlichen Naturbegriffs, die Verschiebung der Vorstellung von der Natur zu erforschen,sind die Darbietungen des Naturkundemuseums wie geschaffen. Denn als didaktische Einrichtung, deren Auftrag es ist,einem breitem Publikum die Wissenschaft vom Leben zu erklären, sind darin ganz unterschiedliche Erzählungen undErzähltechniken der Präsentationen versammelt.175 Vgl. Jordanowa, Ludmilla. “Objects of Knowledge. A Historical perspective on Museums.“ in: Vergo, Peter (Hrsg.) Thenew Museology. London, 2000. S.22-40176 Wie bereits beschrieben, veränderten die Naturkundemuseen die Darstellungs- und Vermittlungsformen, welche sie vorüber hundert Jahren erfunden hatten, bis zum heutigen Tag nicht Grund legend.

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Atmosphäre auf mich wirken, durchschreite die Gänge und Säle mal schnell, mal langsam, und verweile

minutenlang vor den einzelnen Dioramen. Bei der Motivsuche schaue ich sowohl nach dem Typischen

als auch nach dem Besonderen. Ich gehe für mich der Frage nach, weshalb die Inszenierungen nur in

einigen Fällen illusionistisch funktionieren, weshalb mich hier die technische Umsetzung begeistert, dort

der “Bildaufbau“ oder die Dramatik. Ich versuche, ungewöhnliche Standpunkte einzunehmen und so

neue Einblicke zu gewinnen. Ich gehe ganz nah ran, schaue genau hin, suche nach Tieren mit einem

seltsamen Gesichtsausdruck, nach zufälligen Blickkontakten zwischen den ausgestopften Präparaten

und ungewollter Komik in ihrer Zusammenstellung. Ich streife solange durch die Museumsräume, bis

sich plötzlich eine oder mehrere dieser Fragen an einem bestimmten Ort verdichtet vorfinden. Dort

mache ich dann eine ganze Reihe von Fotos und probiere dabei aus, wie durch die bewusste Setzung

von Perspektive und Ausschnitt zu den vorgefundenen Phänomenen beigetragen und deren Wirkung

affirmativ verstärkt oder ironisch gebrochen werden kann. Die dabei entstehenden Fotos sind keine

dokumentarischen Sachfotos, sondern persönliche Reaktionen auf die vorgefundenen Situationen im

Naturkundemuseum, bei denen ich bewusst meinen ganz eigenen Blick auf die Inszenierungen werfe

und versuche, sie mir dabei anzueignen.

3.2.3 Charakteristik der Fotografien

Es scheint mir so, als hätte ich durch meine jahrelange fotografische Erkundung des

Naturkundemuseums einen “Sensor“ für typische Situationen und seltsame Zufälle im Museum

entwickelt. Der Blick durch die Kamera bietet dabei für mich zwei ganz unterschiedliche sich sogar

widersprechende Vorteile. So bilde ich mir einerseits ein, mit dem Fotoapparat objektiver, analytischer

und dokumentarischer sehen zu können als ohne das technische Gerät. Andererseits ist es möglich,

durch die Wahl eines Ausschnitts mit der Kamera all diejenigen Elemente aus meinem Blickfeld zu

entfernen, welche die künstlichen Illusionen von Natur im Museum brechen und neutralisieren würden.

So kann ich mich durch das Fotografieren sowohl distanzieren als auch den künstlichen Landschaften

und Tieren näher kommen, indem ich ihrem Illusionscharakter besser erliegen und sie vor meinem

inneren Auge und auf der Fotografie reanimieren kann. Der gewünschte Rahmen, durch den ich das

Museum betrachten möchte, kann subjektiver oder objektiver gesetzt werden. Ich kann den Fokus auf

Details lenken, einiges scharf stellen und anderes im Unklaren lassen. Teilweise lassen sich die Fotos

ganz naiv auf die künstlichen Welten ein und behandeln sie so, als seien sie Realität. Teilweise wird die

Illusion aber durch die Veränderung des Ausschnitts oder der Perspektive bewusst gekippt. Der

Ausschnitt – und damit gleichzeitig der ausgeblendete Umraum – sind dabei, neben der speziellen

motivischen Auswahl, besonders wichtige Aspekte.

Das Ziel beim Fotografieren in den Ausstellungen ist es, das Naturkundemuseum zu analysieren ohne

es dabei zu entzaubern. Denn mein Verhältnis zum Naturkundemuseen im Ganzen und zu den darin

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enthaltenen künstlichen Nachbildungen von Natur im Besonderen ist ebenso ambivalent. Es pendelt

zwischen ungebrochener Faszination und ironischer Hinterfragung. Deshalb bemühe ich mich, dem

Naturkundemuseum auf unterschiedliche Weisen zu begegnen. Mich einerseits von den Schaustücken

im Museum begeistern zu lassen und gleichzeitig die Präsentationsformen zu untersuchen. Da ich mit

den Wirklichkeitsebenen im Naturkundemuseum fotografisch auf zwei entgegen gesetzte

Herangehensweisen der realen und gebrochenen Fiktionen umgehe, werde ich die Bilder in Gruppen

dieser unterschiedlichen Haltungen einteilen. Auch wenn nicht alle Bilder ganz strikt in diese oder jene

Untergruppe eingeordnet werden können, wird dennoch deutlich, dass sie unterschiedlich auf die

musealen Präsentationen reagieren.

Reale Fiktionen

Die Dioramen im Museum bieten einen Ausschnitt aus einer Welt außerhalb des Museums, der

möglichst überzeugend repräsentiert werden soll. Die museal nachempfundene Landschaft, welche mit

konservierten und künstlichen Pflanzen sowie mit ausgestopften Tieren und gemalten Hintergründen

gestaltet wird, bietet einen fest umgrenzten Ausblick. Deshalb ist das Verhältnis von Gezeigtem und

Ausgeblendetem auch im Falle der Fotos von Dioramen so außerordentlich wichtig. Wird der Ausschnitt

beim Fotografieren so gewählt, dass keine Hinweise zu sehen sind, welche die Illusion der Dioramen-

Welt brechen könnten, bleibe ich also innerhalb des künstlich gesetzten Rahmens, so kann der im

Diorama gezeigte Ausblick auf dem Foto als reale Landschaft in Szene gesetzt werden. Dazu gehe ich

mindestens so dicht heran, dass der konstruierte Dioramenbau, der museale Kontext, Beschriftungen,

Besucher und der Ausstellungsraum ausgeblendet werden und die Bühne des Dioramas für einen

Augenblick als natürliche Wildnis erscheinen kann. Dazu muss angemerkt werden, dass dies auf dem

Foto weit besser als im Museum funktioniert, weil der teilweise vorgetäuschte dreidimensionale Raum,

der dem Diorama zu seiner Wirkung verhilft, in der zweidimensionalen Fotografie wieder auf eine Ebene

gebracht wird. Die Szenarien im Diorama ahmen selbst fotografische Gestaltungsweisen nach und

streben den trompe l´oeil - Effekt stereoskopischer Sehweise an. Deshalb gelingt die Rückübersetzung

in das Medium der Fotografie recht überzeugend. Durch das Wegschneiden der umgebenden Situation

und die Bannung auf das zweidimensionale Foto, wird der gebauten Fiktion eine irritierende Realität

verschafft.

Für die Fotoreihe Dioramenmalerei bin ich noch einen Schritt weiter gegangen und habe

Landschaftsbilder in Dioramen aufgenommen, bei denen ich bewusst nicht die Hauptakteure der

Dioramen – die ausgestopften Tieren – fotografiert habe. Diese tauchen höchstens angeschnitten und

manchmal fast nicht erkennbar irgendwo am Rand der Fotos auf. Da die Dioramen auf die Präsentation

der ausgestopften Tiere ausgerichtet sind und diese in den Vordergrund und Mittelpunkt stellen, war es

manchmal gar nicht so leicht, an ihnen vorbei zu fotografieren. Um Ausschnitte zu finden, bei denen die

Landschaftsmalerei des Hintergrundes mit den realen Versatzstücken der botanischen und

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geologischen Gestaltung des Vordergrundes eine harmonische Komposition ergibt, habe ich teilweise

recht ungewöhnliche Positionen vor den Dioramen einnehmen müssen. Durch das Fehlen der Tiere,

denen ihr ausgestopfter und lebloser Charakter oft sehr schnell anzusehen ist, können diese

Landschaftsbilder die Unsicherheit über die “Realität“ der fotografierten Szenerie länger halten.

Abb. 9: Beispiele für Fotos aus der Reihe Dioramenmalerei, 2006.

Dennoch muss man selbst bei der oberflächlich realistisch erscheinenden Anmutung bei kurzem

Nachdenken den Kopf schütteln. Irgendetwas stimmt nicht, es kann nicht sein. Durch die klischeehafte

Komposition der Landschaftselemente fällt trotz der Ausblendung des umgebenden Museumsraums

auf, dass es sich um eine menschliche Vorstellung von Natur, um Abbilder von Konstruktionen handelt.

Und bei näherer Betrachtung der Fotografie wird deutlich, was man im Original allein durch die

Erwartungshaltung, mit der man ein Naturkundemuseum besucht, sofort gesehen hätte: Nämlich dass

es sich um Kulissenmaterialien, gemalte Hintergründe und ausgestopfte Tiere handelt. Auch wenn die

Fotos auf den ersten flüchtigen Blick eher als Abbildungen der realen Natur durchgehen als die

dreidimensionalen Dioramen im Museum, so werden die Inszenierungen durch die seltsam starre und

inszenierte Anmutung in den Bildern letztendlich doch in ihrer Künstlichkeit entlarvt.

Bezugnahme auf Hiroshi Sugimotos Dioramas

In diesem Zusammenhang möchte ich die 1976 begonnene Fotoserie Dioramas des japanischen

Künstlers Hiroshi Sugimoto vorstellen. Im Interview beschreibt Sugimoto, wie er zum Fotografieren der

naturkundlichen Dioramen kam. „Das erste, worauf ich in New York stieß, waren diese Dioramen im

Naturkundemuseum am Central Park West. Als ich sie sah, kam es mir vor, als hätte ich Drogen

genommen. Ich habe mich beispielsweise gefragt, ob der tote Bär, den ich da hinter Glas sah, vielleicht

eine Halluzination ist. Das war eine sehr tief gehende Erfahrung und vermittelte mir eine interessante

Vorstellung vom Leben. Tote Tiere können sehr lebendig wirken. (...) Als ich darüber nachdachte, kam

mir die Idee, zu beweisen, dass man das Ganze auch mit Hilfe einer photographischen Technik

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realisieren könnte. (...) Auf diese Weise habe ich mir die Dioramen angeeignet. Totes zum Leben zu

erwecken war schon fast eine religiöse Handlung.“177

Die Sujets dieser Serie sind allesamt Dioramen mit ausgestopften Tieren, welche in der Zeitlosigkeit

eingefroren und mumifiziert sind, um einen vergangenen Augenblick zu neuem Leben erstehen zu

lassen. Sugimoto macht diesen Aspekt dadurch offensichtlich, dass er den fiktiven Realismus der

Schaubilder im fotografischen Abbild Realität werden lässt. Er nutzt die halluzinatorische Wirkung, die

von den Dioramen der Naturkundemuseen ausgeht, und behandelt sie in seinen Fotos als Wirklichkeit.

Wie in meinen Landschaftsbildern, so bleibt auch bei Sugimoto der Kontext des Museums komplett

unsichtbar. Er eliminiert die Rahmen, Glasscheiben und Erklärungsschilder und fotografiert nur die Tiere

in der jeweiligen Kulisse. Doch während ich in meinen Fotografien einen weiteren Ausschnitt im

Diorama vornehme, hält Sugimoto jeweils die gesamte Frontfläche fest.

Abb. 10: Hiroshi Sugimoto. Bongo, 1994. Abb. 11: Hiroshi Sugimoto. Gorilla, 1994.

Seine Fotografien sind unheimlich präzise und detailreich, wobei “unheimlich“ in diesem

Zusammenhang durchaus wörtlich gemeint ist. Dies mag auch damit zu tun haben, dass die Steifigkeit,

Leblosigkeit und Künstlichkeit in den Schwarzweißbildern spürbar abgemildert wird und sie dadurch

realer erscheinen lässt. Seine Entscheidung, schwarzweiß zu Fotografieren trägt enorm dazu bei, dass

die Hinweise auf Machart und räumliche Unstimmigkeit der Schaubilder verwischt werden. Indem er auf

die Tiefe des Raums und auf dessen Farbigkeit verzichtet, wird „(...) die einst angestrebte Lebendigkeit

der toten Szenen neuerlich evoziert.“178 Sugimoto selbst sagt dazu: „Im Naturkundemuseum haben die

Dioramen oft eine sehr starke und künstlich wirkende Farbigkeit. Die Entscheidung schwarzweiß zu

Fotografieren lässt die Fotos wie Schnappschüsse aus der realen Natur aussehen.“179 Für ihn haben

die naturähnlichen Farben und die stallgroßen Schaukästen durch Zeitschriften, Film und Fernsehen

177 Kellein, Thomas. Hiroshi Sugimoto. Time Exposed. o.O. 1995. S.89178 „Das einzige, was in diesen von mir photographierten Museums-Arrangements fehlt, ist das Leben. Das ist die besteMethode, zu zeigen, was das Leben eigentlich ist, was es für uns selbst bedeutet.“ Kunsthalle Basel (Hrsg.). Das21.Jahrhundert/The 21st Century. Basel, 1993. S.76 f.179 Kellein, Thomas. Hiroshi Sugimoto. Time Exposed. o.O. 1995. S.89

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inzwischen an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Ihm zufolge wirkten die toten Tiere und anderen Materialien

vor den Hintergrundgemälden in den Farben der Maler theatralisch und könnten als Bühnenbild leicht

entlarvt werden. Sähe man aber seine Schwarzweißfotos an, so aktiviere man die eigene

Vorstellungskraft und versetze sich selbst in den Glauben, dass dies eine Abbildung der realen Welt

sei.180 Über Sugimotos Fotografien schreibt Nancy Spector: „Die Serie ist kein Essay über

Ausstellungsmethoden und keine Kritik des Museums. Sugimotos Dioramas feiern die Realitätsnähe der

Darstellung, die auch das Grundelement der fotografischen Praxis ist.“181 In mir erwecken seine Fotos

darüber hinaus auch den Eindruck, als ob sie den Fotografien entsprechen könnten, nach denen der

Dioramenbauer seinerzeit die künstlichen Bühnen errichtete.

Für mich birgt gerade die seltsame Farbigkeit der Malereien im Diorama einen großen Reiz. In den von

mir fotografierten Bildern bleiben die Unterschiede und Charakteristika der einzelnen Dioramen stärker

vorhanden, anstatt sich durch die vereinheitlichende schwarzweiß-Fotografie ähnlicher zu werden.

Somit bleiben auch die von den Dioramenbauern verwendeten Methoden deutlicher sichtbar und meine

farbigen Fotos können beinahe wie Gemälde aussehen. Durch dieses Moment der Unsicherheit, ob es

sich um das Foto einer realen oder einer gemalten Landschaft handelt, wird noch ein weiterer Aspekt

der Dioramen beleuchtet.

Gebrochene Fiktionen

Neben den beschriebenen Fotos von “realen Fiktionen“, bei denen die Tatsache, dass die Bilder im

Museum aufgenommen wurden, zu einem gewissen Grad verschleiert werden soll, habe ich auch

solche Fotos aufgenommen, bei denen die Museumssituation nicht verschwiegen wird, sondern –

ganz im Gegenteil – im Vordergrund steht. Auf diesen Bildern ist es offensichtlich, wo wir uns befinden,

und wenn Dioramen darin auftauchen, so werden diese gut sichtbar als Illusionen im Museums-Rahmen

enttarnt. Dadurch, dass die virtuellen Dioramen-Welten im Kontext des Museums gezeigt werden, wird

ihre Künstlichkeit besonders betont. Ein solch abgeklärter Blick ist zwar manchmal etwas lakonisch,

zeigt sich dabei aber dennoch auch fasziniert von der optischen Vielschichtigkeit der Aufbauten und

Durchblicke und gibt einen interessanten Einblick in die Architektur, die Beleuchtung und die

Atmosphäre der Museumsräume. Bei diesen Bildern geht es mir um die Harmonien und Spannungen,

die bei der Repräsentation von Natur im Museumsumfeld entstehen.

Zunächst einmal gibt es bei der Inszenierung im Naturkundemuseum verschiedene Grade der

Abstufung zwischen der nüchtern-taxonomischen Aufreihung präparierter Tiere und dem

illusionistischen Diorama. Auch und besonders die Zwischenstufen interessieren mich. So gibt es

beispielsweise präparierte Tiere, die – vollkommen skurril – auf kleine “Inseln“ typischen

Bodenuntergrundes gestellt oder auf Äste montiert werden, welche aus der Museumswand

180 Ebd. S.90181 Spector, Nancy. Hiroshi Sugimoto. Portraits. New York, 2000. S.17

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herauswachsen. Dann gibt es Tiergruppen, die frei im Museumsraum stehend gezeigt werden und

Dioramen, die zwar die Elemente “präpariertes Tier“ und “Vordergrund“ abdecken, jedoch keine

gewölbte Rückwand mit illusionistischer Malerei aufweisen, sondern stattdessen gerade und einfarbig

gestrichene Wände als Hintergrund benutzen. Solche Darstellungsweisen scheinen mir deshalb

besonders interessant, da sie bewusst nur einen halbherzigen Illusionsversuch unternehmen und sich

durch den Verzicht auf eine Rundum-Illusion bereits selbst enttarnen.

Auf einigen meiner Fotos werden im Aufbau befindliche Dioramen gezeigt. Dieser Blick hinter die

Kulissen zeigt die Bühnen, bei denen die Vollendung der illusionistischen Repräsentation von Natur

noch bevor steht. So stehen beispielsweise vor dem vollendeten Hintergrundgemälde und dem in

Plastikfolie eingewickelten Eisbären grob ausgeschnittene Styroporformen, die in der Kulisse des

Dioramas später einmal die Rolle von Eisschollen übernehmen sollen. Auf einem anderen Bild sieht

man einen Steinbock inmitten einer “Landschaft“ aus dem Handwerkszeug der Dioramenbauer. Obwohl

dieses fremd in den Museumsräumen wirkt, fügen sich Leitern und Folien auf eine seltsame Art in die

künstliche Welt der Dioramen-Kulisse ein. Dies führt zu interessanten und sehr merkwürdigen

Überschneidungen.

Abb. 12: Beispiele für Fotos von Museumssituationen aus der Projektion Expeditionen ins Naturkundemuseum, 2007.

Nimmt man sowohl die illusionistisch gemeinten Repräsentationen von Natur als auch die

Museumssituation ernst, ergibt sich ein verwirrendes Spiel mit den sich überlagernden Realitätsebenen

Diese ergibt sich aus der Verschränkung von verschiedenen Systemen, die zwar räumlich koexistieren,

nicht jedoch derselben Wertsphäre anzugehören scheinen. Und während sich Wölfe und Elche in der

einen Ecke des Raums einen Kampf auf Leben und Tod liefern, geht gleich daneben eine Gruppe von

Rehen völlig unbeteiligt ihren harmlosen Beschäftigungen nach. Die gegenseitige Ignoranz der Tiere,

trotz ihrer physischen Nähe im Museum, kann im Foto überraschend in Szene gesetzt werden.

Seltsame Verbindungen und Überschneidungen kommen auch dann zustande, wenn es im Museum

einen Blickkontakt zwischen Tieren gibt, die sich in freier Wildbahn entweder niemals begegnen

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würden, oder der eine den anderen sofort auffressen würde. Auf einem gemeinsamen Foto bekommt

der furchtlose Hamster im Angesicht des Fuchses eine heldenhafte Note.

Mitunter bin ich mit der Kamera sehr dicht an die Tiere herangetreten und habe so etwas wie

Portraitfotos von ihnen gemacht. Bei einigen der konzentrierten oder völlig entrückten

Gesichtsausdrücke einzelner Tiere könnte man meinen, dass sie in ihre eigenen Gedanken versunken

seien und vielleicht sogar über ihre Situation im Museum nachdächten. Die Tiergesichter mit den

glänzenden Glasaugen scheinen ein geheimes persönliches Leben zu führen.

Abb. 13: Beispiele für “Portraitfotos“ aus der Projektion Expeditionen ins Naturkundemuseum, 2007.

Bei diesen Bildern wird der Betrachter direkt mit dem ausgestopften toten Gegenüber konfrontiert. Auch

hier trägt der zweidimensionale Verweischarakter der Fotografie eher dazu bei, die Tiere lebendig

erscheinen zu lassen und sie in einer komplett künstlichen Umgebung aus ihrer Starre zu erwecken. An

solchen individuellen “Tier-Persönlichkeiten“ wird mir immer sehr deutlich bewusst, dass die Tiere,

obwohl sie im Museum als Vertreter ihrer Art und Gattung stehen und damit Beispiel für all die anderen

Antilopen und Hyänen sind, doch einmal individuelle Lebewesen waren. Es scheint paradox – aber die

Tatsache, dass sie alle einmal lebendig waren, ist das grundsätzliche, verbindende Element. Dennoch

starrt mir beim Betrachten der Tiere trotz aller Täuschungsmanöver letztendlich vor allem die in ihnen

gespiegelte Leblosigkeit entgegen. Möglicherweise fällt das Tote dadurch besonders stark auf, dass es

von den Repräsentationen des Lebens und der Natur ausgeht. Im Museum soll die Eingebundenheit

der Tiere in ihren ursprünglichen Lebensraum simuliert werden. Dies ist natürlich immer nur als

Annäherung möglich, denn das Tier in seinem ursprünglichen Weltzusammenhang gibt es nicht mehr.

In der Rekonstruktion soll es als Wiederholung auftreten und permanent gezeigt werden, wobei gerade

das permanente Zeigen mit der Fixierung des Gegenstandes verbunden ist und im Fall von Tieren

zwangsläufig deren Vernichtung als Lebewesen bedeutet. So kann ein lebendiges Tier im

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ausgestopften Tier zwar wiederholt, nicht jedoch wiederhergestellt werden. “Ceci n´est pas une animal“

ist man geneigt, in Abwandlung eines Bildtitels von René Magritte zu sagen.182

Teilweise haben auch die Herausforderungen des spezifischen Ortes Museum direkt dazu

beigetragen, dass ich bestimmte Fotografien nicht machen konnte, während andere sich anboten.

Obwohl das Fotografieren in fast allen Naturkundemuseen nach der obligatorischen Unterschrift

(Verwendung der Bilder nur zu Privatzwecken) erlaubt ist, wird die Mitnahme eines Stativs nicht immer

gestattet. Ohne Stativ zu fotografieren, ist im Naturkundemuseum eine besondere Herausforderung, da

das Tageslicht meist ausgeblendet oder zumindest abgedunkelt wird. Gleichzeitig wird auf eine helle

künstliche Allgemeinbeleuchtung verzichtet, und die Räume werden nur durch indirektes und stark

abgedämpftes Licht erhellt. Abgesehen von den erleuchteten Vitrinen und Dioramen gibt es somit oft

keine weiteren Lichtquellen. Dies verleiht den Ausstellungsobjekten eine besondere Dramatik. Es wird

Stimmung erzeugt, Ehrfurcht hervorgerufen und ein theatralischer Effekt angestrebt.183 Doch durch das

schummerige Licht im Rest des Raums besteht die Gefahr, dass die Bilder verwackeln, wenn die

Kamera von Hand gehalten wird. Der Einsatz von Blitzlicht im Naturkundemuseum erweist sich als

besonders problematisch, da durch die Glaswände der Vitrinen und Dioramen störende Reflektionen

entstehen. Und die Beleuchtung der Dioramen ist ganz genau justiert, so dass die Illusion –

beispielsweise durch einen vom Blitzlicht erzeugten Schatten an der Übergangskante von gewölbter

Wand zu Decke – enttarnt werden würde. Die Reflektionen in den Scheiben sind auch ohne Blitz eine

Herausforderung. Man spiegelt sich selbst darin oder das gegenüberliegende, beleuchtete Diorama wirft

eine Reflektion auf die Glasscheibe. Das ist kaum vermeidbar und manchmal ärgerlich, bisweilen führt

es aber auch zu interessanten Überschneidungen und Verschränkungen von Bildebenen.

In vielen Naturkundemuseen drängen sich am Wochenende die Besucher und unter der Woche sind

oft Schulklassen unterwegs. Vor den Vitrinen und Dioramen scharen sich die Betrachter, so dass es

zuweilen beinahe unmöglich ist, einen Moment abzupassen, in dem der Blick auf das gewünschte Motiv

frei ist. Nachdem mir durch Zufall mehrmals Menschen ins Bild gelaufen waren, konnte ich diesem

Umstand beim Betrachten der Fotos mit den versehentlich aufgenommenen Besuchern auf einmal auch

etwas Positives abgewinnen. Die verschwommenen und verwischten Gestalten bilden einen starken

Kontrast zu den in einem spezifischen Moment erstarrten Tieren und machen die im Museum oftmals

vernachlässigte und dennoch vorhandene zeitliche Komponente deutlich. Indem sie Bewegung und

Leben ins Museum bringen, wirkt die Starre der präsentierten Präparate noch eindringlicher. Darüber

hinaus führt der Kontrast zwischen den toten Artefakten und den lebenden Museumsbesuchern den

Menschen in seiner selbst erdachten Rolle als Betrachter der Natur vor. Der Dialog zwischen dem 182 Durch seinen Bildtitel Ceci nést pas un pipe weist Magritte darauf hin, dass das gemalte Bild keine Pfeife, sondern dieAbbildung einer Pfeife zeigt.183 „Die Museumsbesucher blicken in die erleuchteten Vitrinen und Dioramen wie Theaterbesucher aus einem dunklenZuschauerraum auf eine Bühne.“ Susanne Köstering, 2003. S.219

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Museumsbesucher und dem Museumsdisplay ist natürlich implizit auch in den Bildern enthalten, welche

keine Besucher zeigen. Denn allein die Auswahl und die unterschiedlichen Blicke stehen bereits

exemplarisch dafür, wie die Museen wahrgenommen werden könnten. Doch die expliziten Aufnahmen

von Museumsbesuchern vor Exponaten zeigen konkret den Effekt der Inszenierung auf den Betrachter.

Damit wird (ein bisschen wie bei Caspar David Friedrichs “Wanderer im Nebelmeer“ oder den

Museumsbildern von Thomas Struth) eine weitere Reflexionsebene eingebaut. Der Betrachter meiner

Fotos sieht andere Menschen beim Betrachten der Exponate im Museum. Durch die Dopplung wird

gleichzeitig auch der eigene Status als Betrachtender hervorgehoben.

Für mich als Fotografin kommt darüber hinaus eine neue Spannung hinzu, da ich mich für diese Bilder

wie ein bewaffneter Flaneur verhalte. Ich befinde mich nicht mehr bloß auf der Pirsch nach den still

gestellten Tieren, sondern auch nach dem günstigen Augenblick, wenn eine bestimmte Gruppe von

Museumsbesuchern gerade an der richtigen Stelle vorbeiläuft. Teilweise bin ich, um das gewünschte

Foto zu schießen, den Rundgang ein Stück vorgelaufen, habe mich auf die Lauer gelegt und mit der

Kamera im Anschlag gewartet, bis die ausgewählte Besucher-Gruppe endlich an der ihr zugedachten

Position ankam.

Bezugnahme auf die Fotografien von Candida Höfer

Diesen Aspekt möchte ich zum Anlass nehmen, um meine Fotografien im Naturkundemuseum in

Beziehung zu denen der Fotografin Candida Höfer zu setzen. Während ich mich mitunter durch die

zufällig auftauchenden Situationen im Museum zu bestimmten Bildern verleiten lasse, sind die Fotos

von Candida Höfer keine Schnappschüsse, sondern sorgfältig geplant und arrangiert. Die

Menschenleere in ihren Aufnahmen eigentlich öffentlicher Räume unterstreicht diesen Effekt zeitloser

Präsenz. “Candida Höfer möchte die inszenierten Räume in ihrem heterogenen Nebeneinander selbst

zum Sprechen bringen und schließt deshalb Zufälligkeitsfaktoren aus, die mit der Abbildung von

Museumsbesuchern ins Spiel kämen.“184 Die Abwesenheit der Benutzer fällt besonders auf, weil sie

doch in der Realität gerade kennzeichnend für die Funktion der abgelichteten Räume sind. Stühle,

Tische und die bisweilen sonderbare Zusammenstellung der Dinge im Raum erscheinen mit einer

“Patina der Benutzung“185 als Stellvertreter für Menschen, die hier tätig oder anwesend waren. Laut

Michael Oppitz ist es die “Abwesende Anwesenheit“186, die den Bildbetrachter aktiviert, ihn die Spuren

des Menschlichen entdecken lässt und Erinnerungen wachruft. In meinen Fotos von Museumsräumen

sehe ich die Bewegung der Besucher im Kontrast zur stillgelegten Zeit in den Dioramen und Vitrinen

allerdings nicht als abmilderndes, sondern als zuspitzendes Element und als Anregung zur

Selbstreflexion. Candida Höfer bringt in ihren Bildern im Naturkundemuseum den Stand- und Blickpunkt

184 Nippa, Annegret und Herbstreuth, Peter. “Verzauberung – ein Kommentar.“ In: Höfer, Candida. In ethnographischenSammlungen. Köln, 2004.S.110185 Gohr, Siegfried. “Unähnliche Ähnlichkeit“. In: Pfleger, Susanne (Hrsg.) Candida Höfer: Photographie. Basel 1999.186 Oppitz, Michael. “Abwesende Anwesenheit“. In: Kunsthalle Basel (Hrsg.) Candida Höfer: Leseräume. Basel, 1999.

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häufig in eine dynamische Perspektive, indem sie in ihren Bildern diagonale Fluchtlinien betont und

Symmetrien, Bildzentrierung und Stillstellung vermeidet. Diese Bewegung im Bild war auch mir beim

Fotografieren im Museum wichtig. Dennoch wirken die Bilder Candida Höfers ganz anders, da sie einen

starken Eindruck von Dauer oder, wie Martina Dobbe es beschrieben hat, den Eindruck einer

“Stilllegung der Zeit“187 hervorrufen.

Abb.14: Candida Höfer. Museum A. Koenig, Bonn, 1985. Abb. 15: Candida Höfer. Zoologisches Museum, Genf, 1989.

Die von Höfer dokumentierten Räume zeigen, im Gegensatz zu meinen Fotos, keinen subjektiven

Zugang. Gerade dadurch erhalten sie eine ganz eigene Präsenz, die sich durch eine sehr nüchterne

Atmosphäre und einen zurückgenommenen Standpunkt beim Fotografieren auszeichnet. Ich habe den

Eindruck, dass Candida Höfer in ihren Fotos den Museen gegenüber neutral bleiben möchte, da auch

ihre Bildtitel nur den jeweiligen Ort der Aufnahme benennen und von sonstigen Kommentaren und

Erklärungen frei sind. Mit ihrem Weitwinkelobjektiv erfasst sie Boden, Wand, Decke, Türen und Fenster

und erreicht so einen distanziert wirkenden fotografischen Blick. Es wird deutlich, dass in diesen Bildern

ein stärkeres Gewicht auf die Räumlichkeit und weniger auf die Präsentationsgegenstände selbst gelegt

wird. In der Gleichartigkeit und Sachlichkeit der Fotos untersucht Candida Höfer fast taxonomisch-

wissenschaftlich die Topologie und Vergleichbarkeit von Ausstellungsräumen.

3.2.4 Präsentieren der Bilder

Meine Fotos zeigen unterschiedliche Sichtweisen auf die Inszenierungsformen im Naturkundemuseum.

Durch den krampfhaft angestrebten Realismus des eingefrorenen Lebens ergeben sich immer wieder

absurde Situationen. Diese unbeabsichtigten Nebenwirkungen der Inszenierung verweisen auf die

Brüchigkeit der Illusion, in welcher sich die fiktiven Versatzstücke von Natur im künstlichen Umraum des

Museums befinden. Hin- und hergerissen zwischen der Verblüffung, dem Staunen und der Freude

daran, getäuscht zu werden und dann wieder um einen eher analytischen Blick von Außen bemüht,

187 Dobbe, Martina: “Die Stillegung der Zeit“, in: Städtische Galerie Haus Sell (Hrsg.) Candida Höfer. Räume. Siegen,Düsseldorf. 1992. S.12

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pendeln die Fotos zwischen zwei Extremen. Ich habe diese beiden Blicke für die Präsentation

voneinander getrennt und zeige meine Fotos auf zwei unterschiedliche Weisen. Dadurch, dass sie in

einem Raum gezeigt werden, sind die Sichtweisen aber dennoch miteinander verbunden und werden

einander dabei gegenüber gestellt.

Projektion von Museumssituationen

Die Fotos, welche die Museumssituation offen darstellen, also ganze Museumsräume, aber auch

Ausschnitte und Portraits zeigen, werden als Projektion und nicht als Einzelbilder gezeigt. Durch den

Wechsel und die Bewegung in der Projektion simulieren sie einen Gang durch die Museen, welche

aufgrund der Durchmischung zu einem einzigen Naturkundemuseum zusammen zu schmelzen

scheinen. Bei der Suche nach einer schlüssigen Reihenfolge der Fotos in der Projektion habe ich nicht

auf die unterschiedlichen Aufnahmeorte geachtet, sondern versucht, die verschiedenartigen

Sichtweisen in spannungsreicher Weise aneinander zu reihen. Dabei muss – fast wie beim Filmschnitt –

sowohl auf die gesamte Dramaturgie eines Durchlaufes als auch auf die einzelnen Bildverknüpfungen

geachtet werden. Ähnlich wie beim Kombinieren der Zeitungsfotos habe ich dabei zwei hauptsächliche

Gründe für die Entscheidung, Bilder aufeinander folgen zu lassen. Einerseits achte ich auf die

inhaltliche Abfolge der Bilder, andererseits schaue ich auf formale Aspekte wie Bewegungsrichtungen

oder Farben im Bild. Dabei können bewusst starke Kontraste gesetzt werden, so dass durch einen

harten Schnitt zwei aufeinander folgende Bilder ohne direkte Verbindung einander gegenüber gestellt

werden. Jeder Übergang von einem Bild zum anderen kann als Zäsur mit einem Ortswechsel

einhergehen. Die Übergänge zwischen den Bildern können aber auch weicher sein und durch eine

gemeinsame Bewegungsrichtung, ähnliche Farben oder eine narrative Fortsetzung zu einer fast

filmischen Kontinuität führen. Zwischen Tierportraits, Räumen und Zwischenräumen kann es sachte

Übergänge und harte Brüche geben, wobei besonders die Übergänge zwischen Bildern verschiedener

Einstellungsgrößen wie Totale (gesamter Museumsraum), Halbnahe (Blick auf eine Vitrine oder ein

Diorama) und Großaufnahme (Tierportrait) für den Lauf der Projektion von Bedeutung sind. Innerhalb

der gesamten Fotoreihe lässt sich eine gewisse Abfolge der fotografierten Standpunkte feststellen, die

von Detailaufnahmen bis hin zu distanzierten Außenansichten der Museumsinszenierungen führen. Bei

der Bilderfolge jongliere ich mit Raumansichten und Nahtstellen und arbeite auch mit “typisch

filmischen“ Methoden wie Schuss und Gegenschuss. Dabei wird in der Bildabfolge der Projektion auch

auf die inhaltlichen Zusammenhänge der Bilder Wert gelegt. So wie bei den Zeitungsfotos an der Wand

Zusammenhänge über eine physische Nähe erschlossen werden, so wird hier auf zeitlicher Ebene

etwas Ähnliches angestrebt. Das vorhergehende Foto ist als Nachbild noch vorhanden, wenn das

nächste kommt und führt dazu, dass dieses in einem bestimmten Zusammenhang gelesen werden

kann. Verschiedene Ebenen der Realität vermischen sich, wenn die abgebildeten Räume, Dioramen

und Vitrinen ineinander geschachtelt und damit Innenraum und Außenraum zusammengebracht

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werden. Durch das Nacheinandersetzen von Körperhaltungen und Blickrichtungen der fotografierten

Tiere versuche ich, Bewegung in die toten Körper zu bringen und diese in einen Zustand zwischen tot

und lebendig zu versetzen, miteinander in Beziehung zu bringen und absurde Kurz-Erzählungen

anklingen zu lassen. Zwischen den auf intellektueller oder emotionaler Ebene sinnvoll miteinander

verbundenen Bildern herrscht ein Spannungsfeld. Erst durch die dramaturgische Anordnung der Bilder

entsteht eine Dynamik, die durch Strukturierung und Rhythmisierung der Bilder wiederum großen

Einfluss auf Inhalt und Wirkung der gesamten Projektion hat. Jedes Bild wird gleichlang gezeigt, wobei

die Dauer bewusst recht lang ist, damit genügend Zeit bleibt, die teilweise komplexen

Verschachtelungen zu durchdringen, bevor das Bild verschwindet und das nächste kommt. Nachdem

die Bildabfolge der Projektion einmal ganz durchgelaufen ist, bleibt am Ende ein schwarzes Bild als

Pause stehen, bevor ein neuer Durchlauf beginnt. Die Projektion wird bewusst nicht als fortlaufender

Loop gezeigt, um zwischen Anfang und Ende einen Spannungsbogen aufbauen zu können.

Gerahmte Dioramenmalerei

Die Fotos, bei denen ich so dicht an die Dioramen gegangen bin, dass ihre Ränder und Bruchstellen

nicht mehr zu sehen sind, werden anders präsentiert. Sie werden als Fotoabzüge auf Papier gebracht,

gerahmt und gehängt. Eine solche Form der Präsentation ist für diese Bilder insofern geeignet, als dass

sie dem Betrachter Zeit gibt, die Bilder auf sich wirken zu lassen und dichter heran zu treten, um Details

genauer anzuschauen. Die Fotos brauchen eine gewisse Ruhe, und dadurch, dass man mehrere Bilder

gleichzeitig nebeneinander an der Wand betrachtet kann, werden die Gemeinsamkeiten und

Unterschiede im Vergleich deutlich. Die angeschnittenen Tiere bilden einen spannungsvollen Kontrast

zu der Abgeschlossenheit des Bilderrahmens. Während der Rahmen des Dioramas einen “vollständigen

Ausschnitt“ umfasst, bildet der Rahmen um meine Fotografie einen Ausschnitt vom Ausschnitt. Durch

die spezielle Dioramenmalerei sollte der Zuschauer das Gefühl haben, in der Landschaft zu stehen und

sich vorstellen, darin spazieren gehen zu können. Um die Landschaft atmosphärisch richtig erscheinen

zu lassen, werden typische Details herausgeholt und das weniger Typische weggelassen. Die

Landschaft wird verdichtet, ihre Atmosphäre kondensiert, das Natürliche idealisiert. Die Bilder in den

Dioramen sind der Inbegriff klischeehafter Natur- und Landschaftsdarstellungen und bedienen

überlieferte kulturelle Gewohnheiten bekannter Naturvorstellungen.188 Durch die Rahmung meiner Fotos

wird dieser Aspekt des Landschaftsbildes formal unterstrichen, was dazu beitragen kann, dass die

Bilder bei nur oberflächlicher Betrachtung Blicke in die freie Natur suggerieren oder umgekehrt wie

Landschaftsgemälde aussehen. Die Tatsache, dass es sich um Fotografien von Landschaftsgemälden

und dreidimensionalen Vordergründen handelt, liegt gewiss nicht unmittelbar auf der Hand.

188 Doch auch dies verlangt ein großes Geschick, gelingt nicht immer und Jedem, und kann durchaus als Kunstformangesehen werden. Und ebenso wie in der Malerei gibt es verschiedene Stilrichtungen, welche sich in der Wahl derLandschaft und Motive, der Farbkomposition und einer mehr oder weniger starken Abstraktion zeigen.

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3.2.5 Reflektierende Betrachtung der künstlerischen Arbeit

Um noch einmal der Frage nachzugehen, wie die Naturkundemuseen versuchen, Repräsentationen von

Natur zu erschaffen und um zu reflektieren, wie ich damit künstlerisch umgehe, möchte ich mich noch

einmal – obwohl dies hier nur grob angerissen werden kann – der Fragestellung widmen, was Natur

war, ist oder sein soll beziehungsweise, wie sie sich zum Menschen verhält und er zu ihr. Hierzu finden

sich ganz unterschiedliche Antworten, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Disziplin und ihrer

Zugangsweise bestimmt werden.189 Zunächst einmal kann festgestellt werden, dass der Mensch und

alle seine Produkte den physikalisch-chemischen Gesetzen der Natur unterliegen. Gleichzeitig formen

menschliche Umweltveränderungen die Wirklichkeit der Natur, in welcher der Mensch eben kein

Außenstehender, sondern integrierter Bestandteil ist. Es gibt zwar eine Grenze zwischen Mensch und

Umwelt, diese jedoch verläuft innerhalb der Natur, welche Ursprung, Vorraussetzung und Ergebnis

menschlicher Existenz ist. „Auch wenn der Mensch und alles, was er hervor gebracht hat, ohne die

Natur nicht wäre und nicht sein kann, so braucht doch die Natur den Menschen nicht.“190 Allerdings

muss hinzugefügt werden, dass auch die Natur ohne die durch den Menschen bewirkten

Veränderungen und ohne die Vorstellungen, die wir uns von ihr machen, weder in ihrer konkreten

Gestalt noch als mystisches Idealbild bestünde. Es ist „(...) nicht möglich, das, was wir Natur nennen,

zu kennen außer durch unsere eigenen Gedanken und Wahrnehmungen.“191 Und diese

Wahrnehmungen sind durch die Kultur geformt. Die Natur als Abbild setzt immer einen Betrachter

voraus, der in ihr das sieht, was er zu sehen gewohnt ist oder zu sehen wünscht.

Der Blick auf Natur, welcher beim Errichten der repräsentativen, künstlichen Scheinwelten im Museum

federführend war, scheint überwiegend durch ein historisch-romantisches Empfinden des Gegensatzes

zwischen Mensch und Natur und vom Widerspruch zwischen kulturellen Eingriffen und dem natürlichen

Idealzustand geprägt zu sein.192 Dies steht in der Tradition einer Kunst, welche über Jahrhunderte

vornehmlich einer außerzivilisatorischen erhabenen Natur gehuldigt hat.193 Dabei ist Schönheit als

Eigenschaft einer unberührten Natur mehr vom Betrachter geprägt als vom Gegenstand der

Betrachtung. Und die Klage über den Verlust der heilen und unberührten Natur hängt wohl weniger von

der Veränderung der Natur ab als vom Verharren in einer solchen historischen Vorstellung davon.

189 Beispielsweise lehnt der Philosoph Peter Janich die Vereinnahmung des Begriffs Natur als terminus technicus für dieNaturwissenschaften komplett ab. „Die Natur als Ganzes ist kein Gegenstand naturwissenschaftlicher Fachdisziplinen.“Janich, Peter. “Biologischer versus Physikalischer Naturbegriff.“ In: Bien, G. und. Wilke, Th. Gil, J. (Hrsg.). "Natur" imUmbruch? Zur Diskussion des Naturbegriffs in Philosophie, Naturwissenschaft und Kunsttheorie. Stuttgart, 1994. S.165190 Strehlow, Heike. Natural reality. Künstlerische Positionen zwischen Natur und Kultur. Stuttgart, 1999. S.19191 ebd. S.37192 Bereits zur Zeit der biologischen Wende zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren tief greifende Veränderungen imVerhältnis zur Natur eingeleitet. Infolge ihrer wissenschaftlichen Erschließung und industriellen Ausnutzung wurde das Idealeiner ursprünglichen, unberührten Natur immer mehr von der menschlichen Kultur überformt.193 1968 stellte der land-art Künstler Robert Smithson die Vorstellung einer unberührten Natur in Frage, indem er behauptete,Natur sei nur eine weitere Fiktion des 18. und 19. Jahrhunderts. Er entlarvt in dieser Aussage den Begriff der unberührtenNatur als nicht einlösbar, da Natur, sobald sie durch den Menschen wahrgenommen und als solche bezeichnet wird, noch imselben Augenblick erschlossen ist, und somit jedes bekannte Stück Natur nicht mehr unberührt sein kann.

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Abgesehen von diesem historischen Blick auf Natur sind naturhistorische Museen bei genauerer

Betrachtung jedoch in vielen Aspekten überhaupt keine geschichtlichen Museen. Zwar hat man seit

Darwin versucht, evolutionstheoretisch nachzubessern, und in der Regel enthalten die Museen eine

paläontologische Abteilung und Schautafeln über erdgeschichtliche Abfolgen und

stammesgeschichtliche Zusammenhänge. Dennoch werden die Bestandsstücke im Museum als

unveränderliche, ewige Natur präsentiert. Dieses Bild einer konstanten Natur ließ sich bislang damit

rechtfertigen, dass die Veränderungen der Evolution zu langsam vor sich gehen, um für die

Museumsbesucher eine lebensgeschichtliche Relevanz zu haben. Heute aber zeigt sich deutlich, dass

die klassischen naturhistorischen Museen insofern ungeschichtlich sind, als dass sie die

Humangeschichte der Natur nicht berücksichtigen.194 Das heißt, dass der Mensch im naturhistorischen

Museum bestenfalls als ein Produkt der Natur vorkommt, nicht aber als ein aktiver Produzent von

Naturzuständen.195 Während sich die Dioramen seit ihrer Entstehung so gut wie überhaupt nicht

gewandelt haben, so hat sich die Umwelt, deren Repräsentanten sie sind, durch den Einfluss des

Menschen stark verändert. Dies führt dazu, dass von den in den Schaukästen durch ausgestopfte Tiere

repräsentierten Spezies heute bereits etwa zehn Prozent ausgestorben sind und dass viele der

gezeigten ökologischen Zusammenhänge mittlerweile gar nicht mehr existieren.196 Damit erhält das

Naturkundemuseum einen ganz eigentümlichen Charakter. Es wird zum Ort der Präsentation

gewesener Natur und gewesener Naturvorstellungen, die sich in den Präsentationsformen zeigen. So

wirkt das Naturkundemuseum heute selbst museal. Es wird zu einem Museum seiner selbst, zu einem

Museum vom Museum. Da – wie in der vorangegangenen Auseinandersetzung mit den Kunst- und

Wunderkammern und dem Naturkundemuseum gezeigt – die Präsentationsformen wichtige Hinweise

über die Einstellung zur Natur und über die Kultur der Naturbetrachtung enthalten, sind sie heute von

umso größerem Interesse. Denn solche veralteten Präsentationen des Naturkundemuseums können

uns die Differenz zu den heutigen Vorstellungen von Natur bewusst machen.197 Auf diese Qualität muss

aber hingewiesen werden, indem der besondere Charakter der Naturkundemuseen eingefangen und

sichtbar gemacht wird. Denn unvoreingenommene Besucher nehmen die Museen einfach als das wahr,

als was sie sich immer noch zeigen, nämlich als Repräsentationen wirklicher Natur. Eine künstlerische

Untersuchung, wie beispielsweise meine Fotos, könnte ein Gespür und eine Sensibilisierung dafür

194 Vgl. Böhme, Gernot. “Die Natur herstellen. Der Zustand unserer natürlichen Lebensbedingungen als unsergeschichtlicher Ort.“ In: Frankfurter Rundschau 05.08.1995.195 Eine bemerkenswerte Ausnahme ist das Museum Mensch und Natur (gegründet 1990) in München, in dem der kulturelleUmgang mit der Natur speziell thematisiert wird.196 Vgl. Böhme, Gernot. “Kunst nach der Natur“. In: Bott, Gudrun und Broska, Magdalena (Hrsg.). Post Naturam – Nach derNatur. Bielefeld, 1998. S.14197 Deshalb bin ich immer sehr bestürzt, wenn die veralteten Präsentationsformen dieser Museen Aktualisierungs- undRenovierungsmaßnahmen zum Opfer fallen. Das geschieht nicht nur aus Verlegenheit, sondern auch, weil man die Museenzu schulpädagogischen Zwecken braucht. Aber durch eine solche Aktualisierung wird ein Kulturgut vernichtet. Es wird einDenkmal einer vergangenen Naturbeziehung des Menschen und ein Dokument eines vergangenen Naturzustands zerstört.Das Naturkundemuseum der Zukunft sollte die alten Bilder von Natur und Kultur als historische Dokumente bewahren, abergleichzeitig auch nach neuen Bildern suchen.

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einleiten, dass diese Museen einen ganz besonderen Status innehaben. Der Blick des

Museumsbesuchers könnte sich dadurch von einem aufnehmenden umherschweifenden Blick,

gewissermaßen zu einem Querblick wandeln, der dazu führt, dass die Präsentation der Natur als solche

wahrgenommen werden kann. Dies könnte auch heißen, dass der Blick zu einem rein ästhetischen

wird, zu einem Wahrnehmen von Bildern und einem Spüren von Anmutungen. Damit würde man die

Exponate in den Schaukästen nicht mehr als wirklich existierende Natur betrachten, sondern als das,

was sie eigentlich sind: komponierte, konstruierte Bilder.

Wirklichkeitsebenen

Obwohl wir mittlerweile längst von multimedialen Techniken und perfekten Computeranimationen

umgeben sind, haben die Dioramen als Hybride zwischen Kunst und Technik ihre Attraktivität nicht

eingebüßt, sondern werden – im Gegenteil – immer beliebter. Selbst im Zeitalter überwältigender

Multimedia-Shows locken die Habitat-Dioramen noch immer viele faszinierte Besucher an. Gut

gemachte Dioramen scheinen eine Kraft zu besitzen, die nicht durch technische Medien allein erreicht

werden kann. Ich vermute, dass die Faszinationskraft der Dioramen teilweise auf ihre Situation und

ihren Status im Museum zurück zu führen sind.

Vitrinen und Dioramen befinden sich als Behältnisse in einem Museumsbau, welcher wiederum einen

abgeschlossenen Raum in der Umgebung darstellt. Wie kleine Museen im Museum sind auch sie

geschlossene und codierte Räume und wiederholen im Kleinen grundsätzliche Verfahren des

Museums. Sie schützen und bewahren Objekte, die sie den Blicken aussetzen, sie zugleich aber durch

das trennende Glas vor dem Zugriff der Betrachter und der Zeit fernzuhalten suchen. Somit sind

Vitrinen und Dioramen als Museen im Kleinen ebenso sinnfällig, wie umgekehrt der ganze große

Museumsraum als Vitrine oder Diorama gesehen werden kann. Doch während der Besucher in das

Museum hineingehen und sich die dort gezeigten Schaukästen ansehen kann, bleibt er bei den Vitrinen

und Dioramen durch die Glasscheibe von dem zu Betrachtenden getrennt.198 Diese Bühnensituation

beinhaltet zugleich die wichtigste Prämisse der klassischen Rezeptionsästhetik: die Funktion des

Betrachters. In den Darbietungen der Dioramen ist der Museumsbesucher explizit vorgesehen. Sie sind

nur zum Zwecke der Betrachtung gebaut worden und erfüllen keine weiteren Aufgaben. Die Exponate

sind entrückt, der Zugriff ist verboten und selbst die Blickachse des Betrachters wird noch einschränkt,

um am Rande liegende Fluchtpunkte zu verdecken. Auf einen genauestens festgelegten

Betrachterstandpunkt hin ist die ganze Illusionskulisse ausgerichtet und nur aus dieser Perspektive

kann die Täuschung annähernd gelingen. Der hier deutlich werdende Widerspruch der Dioramen-Bilder,

scheinbar hineingehen zu können und doch außen vor bleiben zu müssen, lässt sich auch auf die im

198 Der Begriff Diorama geht auf das Griechische dia (durch) und horao (sehen) zurück und bedeutet “hindurchsehen“.Dieses Hindurchsehen bezieht sich darauf, dass die meisten Dioramen durch einen Fensterähnlichen oder einen an dieTheaterbühne erinnernden Rahmen angeschaut werden. Vgl. Kluge, Friedrich. Etymologisches Wörterbuch der deutschenSprache. 22. Auflage. Berlin, New York, 1989.

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gesamten Museum angestrebte Repräsentation der Wirklichkeit beziehen. Denn die aufgestellten und

arrangierten Gegenstände im Museum zeigen als Repräsentanten nur ein Bild der Natur. Genauso

enthalten die nachgestellten Szenen in den Dioramen Teile der realen Welt, die aus ihrem

ursprünglichen Lebenszusammenhang herausgerissen sind und als Zeichen auf die realen Objekte

außerhalb des Museums hinweisen. Museen und Dioramen sind bis ins Detail inszenierte künstliche

Realitäten, deren Verwendungszweck darin besteht, Hintergrund, Kulisse oder “Display“ für ebenso

künstlich inszenierte Exponate, Handlungen oder Bilddramaturgien zu sein. Im Museum besteht eine

Beziehung und Durchdringung mehrerer gleichzeitig neben- und miteinander existierender

Wirklichkeiten, die das Reale und Modellhafte, das Vorläufige und Endgültige, das Tote und Lebendige

zu verbinden suchen. Die durch die Dioramen vermittelte Welt ist eine andere als die, welche sie

vermitteln wollen. Aber beide Wirklichkeiten sind – tautologisch gesprochen – real. Dioramen im

Naturkundemuseum sind vielleicht deshalb so spannend, weil sie die virtuelle Welt eins zu eins und mit

echten Materialien im Raum rekonstruieren und dies recht leicht zu durchschauen ist. Das Museum, in

dem sie sich befinden, ist wiederum ein konstruierter Raum und selbst außerhalb des Museums finden

sich immer mehr solcher fiktiver Wirklichkeiten.199

Meine Fotos vom Naturkundemuseum sollen nicht das Vortäuschen falscher Tatsachen und die

Brüchigkeit billiger Illusionsarchitektur entlarven, sondern eher mit der Täuschung und Ent-täuschung

spielen und auf die dahinter liegende Sehnsucht, die Welt domestiziert und im Modell besser begreifen

zu können, aufmerksam machen. Gerade an den Rändern und Übergängen von Inszenierungen zeigen

sich ihr Charme und ihre teils absurde Lächerlichkeit besonders stark. Dort kristallisiert sich Skurriles

und Bizarres in einer ganz eigenen, teilweise tragisch anmutenden Komik. An den Nahtstellen werden

die irritierenden Durchdringungen und Deckungsgleichheiten, die Grenzen, die äußeren Kanten und

Rahmen dieser eben nur als Ausschnitt existierenden Scheinwelten besonders deutlich. Durch einen

Schritt zurück werden die Arrangements ent-täuscht und ihre synthetische Stimmigkeit entkleidet. So

wird eine als homogen gedachte Wirklichkeit im Naturkundemuseum auf die Probe gestellt. Vermittelt

durch die Fotos aus dem Naturkundemuseum kann im Kopf des Betrachters unwillkürlich das

Bewusstsein von einer Art Doppelrealität entstehen, eines ständigen aufeinander Treffens

verschiedener Wirklichkeitsebenen, mehrerer Wahrheiten, unterschiedlicher Zeiten, ja sogar

verschiedener ineinander gestaffelter Räume, von denen man nicht mehr genau sagen kann, welcher

der eigentliche, wahre und welcher der künstlich hergestellte oder bloß imaginierte ist.

199 Orte, an denen Realität und Modell dicht nebeneinander stehen, sich überlappen und gegenseitig durchdringen sind inzunehmendem Maße auch im Alltag vorhanden. Freizeitparks, Messe- und Servicezentren, besonders gestylte Restaurants,Kaufhäuser, Foyers, alle öffentlichen und halböffentlichen Bereiche, bei denen Atmosphäre, Beleuchtung, Musikberieselung,künstlich erzeugte Stimmungen einen starken Einfluss auf Besucher und Kunden ausüben sollen.

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Verwandtschaft von musealen Dioramen und Fotografie

Es kann kaum Zufall sein, dass Louis Daguerre als Erfinder der Daguerrotypie nicht nur einer der

Urväter der Fotografie, sondern auch der Urheber des Dioramas ist. Er prägte den Begriff, als er seine

ersten Dioramen 1822 in Paris patentieren ließ. Nach eigenen Plänen ließ er ein mit dem heutigen Kino

vergleichbares Gebäude mit einer Fassadenlänge von 27 Metern, einer Tiefe von 52 Metern und einer

Höhe von 16 Metern errichten.200 Mithilfe von minutiös gemalten Szenenbildern, kostümierten

Schaufensterpuppen, echten Requisiten, dramatischer Beleuchtung und Toneffekten kreierte er

überzeugende Illusionen. Als Reaktion hieß es in der Pariser Zeitung La Quotidienne: „Das Diorama ist

eine neue Errungenschaft, eine glückliche Anwendung der optischen Gesetze auf die Malerei. Die

Ergebnisse sind magisch und rechtfertigen den Ausruf eines Kindes, welches meinte, das Diorama sei

wahrer und schöner als die Natur.“201 Seine Erfahrungen mit der Daguerrotypie und dem Diorama

beschrieb Daguerre in seinem 1839 erschienenen Buch Das Daguerreotyp und das Diorama oder

genaue und authentische Beschreibung meines Verfahrens und meiner Apparate zu Fixierung der

Bilder der Camera obscura und der von mir bei den Dioramen angewendeten Art und Weise der Malerei

und der Beleuchtung.

Der Anspruch, in ihren Präsentationen Ausschnitte der Wirklichkeit zu zeigen, trifft auf die Fotografie

und Dioramen, Vitrinen und Museen gleichermaßen zu. Museum und Fotografie weisen somit eine

strukturelle Ähnlichkeit auf. Auch deshalb erschien es mir sinnvoll, das Naturkundemuseum mit dem

Medium der Fotografie zu untersuchen. Die Rekonstruktion von Natur im Diorama erfolgt ausschnitthaft

durch natürliche oder künstliche Surrogate. Dieser fragmentarische Charakter trägt dazu bei, dass das

Gezeigte zugleich auf einen ausgeblendeten, im Bild selbst unsichtbaren, Kontext verweist. Auch bei

der Fotografie bekommt man nie alles aufs Bild, allein schon deshalb, weil man nur in zwei

Dimensionen arbeitet. Es muss ein Stück Wirklichkeit herausgeschnitten werden, so dass auf Fotos

immer nur Bruchstücke der Wirklichkeit gezeigt werden können. Philippe Dubois hat in seiner

Untersuchung zur Frage von Raum und Zeit in der Fotografie gesagt: „Der fotografische Raum ist nicht

vorgegeben. Und wird auch nicht konstruiert. Er ist, ganz im Gegenteil, ein Raum den man nimmt (oder

auch nicht), den man entnimmt, eine Subtraktion, die als Ganzes erfolgt. Der Fotograf ist keinesfalls in

der Position desjenigen, der einen leeren und unbeschriebenen Rahmen schrittweise füllt. Seine Geste

besteht vielmehr darin, einen vollen, bereits ausgefüllten Raum mit einem Schlag aus einem Kontinuum

herauszureißen. Das Problem des Raums bedeutet für ihn nicht, dass er etwas hineintun muss,

sondern, dass er etwas als Ganzes herauslösen muss. Es geht um ein Entnehmen, ein Herauslösen

aus einer endlosen Kontinuität und zwar gleichgültig, wie die Szene im Voraus angeordnet wird oder

nach dem Schnitt arrangiert und manipuliert wird. Mit anderen Worten: Fotografieren heißt immer

200 Vgl. Verwiebe, Birgit. Lichtspiele. Vom Mondscheintransparent zum Diorama. Stuttgart, 1997. S.77201 La Quoditienne, Paris 4.8.1822 zit. nach Ebd. S.79

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zunächst Schneiden, Ausschneiden, das Sichtbare durchtrennen.“202 Jede einzelne fotografische

Aufnahme trennt das Geschehen und markiert die Grenze zwischen dem fotografischen Vorher und

Nachher. Der Augenblick, in dem der Knopf gedrückt wird, verwandelt einerseits die Gegenwart in

Vergangenheit und gleichzeitig die Vergangenheit in Gegenwart. Die reale Situation, wie sie kurz vorher

noch bestand, geht in die Vergangenheit und kommt zugleich als Abbild wieder in die Gegenwart

zurück. Susan Sontag formulierte es so: "Der Fotograf ist wohl oder übel damit befasst, die Realität zu

antiquieren"203

Die stillgelegte Realität im Museum ist bereits antiquiert. Doch auch hier besteht der besondere Reiz

darin, dass museale Dioramen nicht nur einen räumlichen Ausschnitt, sondern auch eine Situation,

einen oftmals dramatischen Moment abbilden. Sie sind ein Stück gestellte Wirklichkeit, von dem man

annimmt, es sei einer echten, Vorbild gebenden Situation ähnlich. Es soll eine spezifische Situation an

einem spezifischen Ort wiedergegeben werden, welche in der Bewegung erstarrt, aus dem

umgebenden Kontext ausgeschnitten und in einen Kasten gepackt wird. In den Dioramen, genau wie

bei der Fotografie, werden die dargestellten Bewegungen in einem Moment eingefroren und verewigt.

Etwas von Natur aus Flüchtiges, sich selbst Vorantreibendes kann somit permanent beobachtet

werden. „Indem die Kontingenz des Lebensflusses dergestalt im Foto festgehalten wird, wird sie zur

Nature Morte mit fotografischen Mitteln (...)“204 und jede fotografische Aufnahme ist immer auch ein

Memento Mori. Fotografien zeigen eine Pseudo-Präsenz, da die abgelichtete Situation schon im

Moment des Fotografierens zeitlich im Verschwinden begriffen ist. In der Fotografie wird also gerade

das Ephemere des Lebendigen festhalten und dem Betrachter als Abbildung zu sehen geben. Damit

wird eine wesentliche Eigenschaft der Fotografie angesprochen, die auch schon Roland Barthes in

seinem Essay Die helle Kammer so beschrieben hat, dass die Fotografie imstande scheint, etwas

Gewesenes unveränderlich festhalten zu können.205 Um die Welt zu studieren, wird sie durch die

Fotografie angehalten, eingefroren und festgehalten. Das ist der gleiche Vorgang wie bei einem

Wissenschaftler, der ein Insekt studiert. Er muss es töten und sich dann hinsetzen, um es zu

untersuchen. Auch die Kamera erfüllt – ganz ähnlich wie die Taxidermie – das Bedürfnis nach

Mumifizierung. Klare, genaue, dauerhafte Darstellung – das waren in den Anfängen Hauptziele der

Fotografie und der Taxidermie.206 Beide wollten die Zeit anhalten oder zumindest Abbilder festhalten,

202 Dubois, Philippe. “Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv.“ aus dem Franz. von Dieter Hornig, In:Wolf, Herta (Hrsg.). Schriftenreihe zur Geschichte und Theorie der Fotografie. Bd. 1, Amsterdam, Dresden, 1998. S.174f.203 Sontag, Susan. Über Fotografie. Frankfurt a. M. 2000. S.81204 Gernig, Kerstin. “Fatale Folgen der Fotografie. Zum Eigenleben von Präsentationen und Präsentierten.“in: Barchet, Michael. Ausstellen. Der Raum der Oberfläche. Weimar, 2003. S.124205 Barthes, Roland. Die Helle Kammer. Bemerkung zur Photographie. Frankfurt a.M., 1986. S.86f.206 Das neue Handwerk der Taxidermie erlebte ungefähr zur selben Zeit eine erste Blüte, als die fotografische Platteerfunden wurde. 1839 war die Daguerrotypie erfunden worden und 1842 eine präparierte Giraffe als erste große Vierbeinerund zugleich Auftakt zu modernen Verfahren der Taxidermie fertig gestellt. Vgl. Rheims, Bettina. Animal. München, 1994.

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welche die Lebewesen und Dinge so zeigten, wie sie waren – oder zu Lebzeiten gewesen waren.207 Die

meisten Dioramen wurden zu einer Zeit geschaffen, als die Fotografie gerade erfunden war, es aber

noch kein Fernsehen oder Internet gab und in der ein Durchschnittsbürger nicht in ferne Länder reiste,

um dort die Wildnis zu erleben. Sowohl den ausgestopften Tieren als auch den Fotografien wurde ein

Verweischarakter auf die Realität zugesprochen. Die neuen Fotos aus fremden Ländern ermöglichten

es dem Betrachter, sich in Gedanken zu diesen Orten zu begeben, und dank der Taxidermie konnten

den Menschen ausgestopfte, exotische Tiere gezeigt werden, wenn keine lebenden Exemplare zur

Verfügung standen.208 So wie bei den Dioramen auch, beruht ein Teil der Faszination beim Betrachten

von Fotografien darin, zum selbst nicht gesehenen Voyeur zu werden. Wie ein Taxidermist entscheidet

auch ein Fotograf über die Pose, die er sein Objekt einnehmen lässt, bevor er es verewigt. Das ist nicht

unproblematisch, denn er muss sich sein Modell gefügig machen, es zähmen und belauern wie ein Tier,

bis er endlich den richtigen Ausdruck oder ein flüchtiges Aufleuchten einfangen kann.

Im Diorama ist die Wirkung wichtiger als ihre Wahrheit, denn die “Realität“, die hier nachgeahmt wird, ist

immer schon mit einem guten Teil Fantasie angereichert. Die Dioramen, die im Namen der

Wissenschaft und Bildung entstanden, bestechen durch die Authentizität ihrer Fälschung.209 Während

im Diorama versucht wird, durch Antäuschung eines dreidimensionalen Bühnenraumes eine

Tiefenwirkung zu erzielen, so gehört zwar das Fotografierte der Tiefendimension des Raumes an, wird

jedoch durch die fotografische Vermittlung zur Oberfläche. Erst als eine dermaßen auf die Oberfläche

gebannte Realität lässt sich das Fotografierte dekontextualisieren, übertragen und kann so dem

Betrachter eine zeitliche und geografische Ferne nahe bringen. Damit wurden sowohl die

taxidermischen Präparate in den Dioramen als auch die Fotografien letztendlich als Trugbilder

angesehen, deren Überzeugungskraft darauf beruhte, wie gut sie täuschen konnten. Sie mussten

207 Eine zeitlang fungierte die Fotografie auch in der Nachfolge der Maskenbildnerei: statt einen Abguss zu machen,fotografierte man die Hand und das Gesicht eines verstorbenen Menschen. So entstanden im 19. Jahrhundert zahlreicheposthume Portraits.208 Wie bereits erwähnt, unterschied sich der Taxidermist vom einfachen Präparator dadurch, dass er sich nicht damitbegnügte, eine Leiche einigermaßen in ihrer ursprünglichen Beschaffenheit zu konservieren. Mit der neuen Entwicklung derDermoplastik, wollte er sie möglichst lebensecht zu gestalten. So schob er starke Drähte in die Beine, spreizte die Flügel wieim Flug, ließ das Maul aufreißen und setzte blickende Glasaugen ein. Bezeichnenderweise waren Stilleben undLandschaften die beliebtesten Sujets der frühen Fotografie. Experimente mit Lebewesen verliefen nämlich zunächstenttäuschend. So wie der Himmel auf den Bildern anfänglich immer wolkenlos zu sein schien und Wasserfälle eher einerstarren Nebelwand glichen, waren auf den fotografischen Portraits der Frühzeit wegen der fünfzehn- bis zwanzigminütigenBelichtungszeit stets verkrampfte, blutleere Gesichter mit geschlossenen Lidern zu sehen. Um zu gewährleisten, dass dieabzulichtende Person sich nicht bewegte, verwendete man Kopfstützen, Armlehnen und ein ganzes Sortiment vonGestängen und Halterungen, die den Stangen und Drähten ähnelten, welche der Taxidermist in präparierte Tiere einführte,damit sie eine bestimmte Haltung einnahmen.209 James Perry Wilson, ein Dioramenmaler des American Museum of Natural History in New York, beschrieb seine Arbeitals “ars celare artem“ als “Kunst um Kunst zu verbergen“. Dieser Ausspruch zeigt das angestrebte Ziel derDioramenkünstler: eine solch perfekte Imitation der Natur zu erreichen, dass ihre Rolle als Maler unsichtbar wird unddahinter verschwindet. Vgl. Quinn, Stephen Christopher. Windows on Nature. New York, 2006. S.12

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überzeugend echt wirken, und genau darauf verstanden sich sowohl die Fotografie als auch der

Dioramenbau. Beiden wohnt das Moment der Täuschung und des Unechten inne.210

Präsentation von Repräsentationen

Um meine künstlerischen Untersuchungen visueller Konzepte von naturkundlichen Schausammlungen

nachvollziehen zu können, ist es hilfreich, sich abschließend noch einmal den Status der Exponate

selbst ins Gedächtnis rufen. Eine naturkundliche Schausammlung setzt sich aus Ausstellungsstücken

zusammen, die zuvor nicht als solche vorhanden waren. Das ausgestellte Tier existiert nicht mehr, es

ist tot. Erst durch aufwändige Prozeduren wird es als Präparat sichtbar gemacht, und zwar in einer

speziell auf Präsentation zielenden Weise. Es handelt sich um Neukonstruktionen, die in der Regel

eigens für die Schausammlung hergestellt werden. Die ausgestopften Tiere hatten also nie einen

anderen Zweck zu erfüllen als präsentiert und betrachtet zu werden. Diese paradoxe Situation spiegelt

sich in der Präsentation der Objekte wider, welche in ihrer Sichtbarkeit gleichzeitig durch die

Glasscheiben völlig vom Betrachter abgeschirmt sind. Wie bereits beschrieben, fasziniert mich nicht so

sehr die Illusion, sondern viel mehr der offensichtliche vermittelnde Charakter, das Absurde und

Gebrochene dieser künstlichen Welt.

Museum und Fotografie zeigen beide nicht die reale Welt, sondern eine vermittelte Welt. Wenn ich mir

also als Sujet für meine Fotografien ein von einem Taxidermisten präpariertes Tier in einem Ausschnitt

künstlich nachgestellter Realität wähle, ist es ein bisschen so, als würde sich die Fotografie selbst

fotografieren. Die vor dem künstlichen Hintergrund posierenden Tierkörper wurden meist nach

Fotografien so arrangiert und sind damit in gewissem Sinne bereits fotografiert. Statt ihren eigentlichen

Auftrag zu erfüllen und ein Stück Leben zu rekonstruieren, simulieren meine Fotografien eine

Simulation, sind somit Spiegelungen einer Vorspiegelung, Trugbilder eines Trugbildes. Und

möglicherweise bemerkt es der Betrachter nicht gleich, sondern läuft zunächst ein drittes mal in eine

Falle, wenn er der vom Tierpräparator, Dioramenbauer und mir als Fotografin gemeinsam inszenierten

Täuschung aufsitzt.

Bei einer Ausstellung werden die Bilder der musealen Repräsentationen von Natur dann wiederum

selbst präsentiert und begeben sich damit formal in ein ähnliches Spannungsfeld, wie jenes, welches

sie inhaltlich selbst untersuchen. Indem ich etwas Ausgestelltes fotografiere und dann wiederum

ausstelle, verdoppele ich die bereits im Exponat selbst angelegte Struktur des Zeigens.

210 Die Welt des Scheins gibt sich nicht gern freiwillig als solche zu erkennen. So verschanzten sich die Taxidermie und dieFotografie von Anfang an hinter Alibis. Die Taxidermie stellte sich sogleich in den Dienst des naturgeschichtlichen Museumsund war sozusagen eine Erweiterung des Zoologischen Gartens, wollte zur Bildung der Jugend beitragen und demNaturforscher bei seinen Studien behilflich sein. Kunst und Wissenschaft, Schönheit und Wahrhaftigkeit waren die Attribute,mit denen man sie bedachte. Dieselben Begriffe wurden von den ersten Verfechtern der Fotografie benutzt, welche diese alsüberaus nützliche Gehilfin von Kunst und Wissenschaft beschrieben. Vgl. Rheims, Bettina. Animal. München, 1994.

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4 Abschließende Überlegungen

Die künstlerische Untersuchung und Bearbeitung musealer Inszenierungsformen ist Ausdruck eines

selbst gesteuerten, entdeckenden Forschens aus eigenem Interesse heraus. Auch deshalb ist die

schriftliche Reflexion zweier der im Laufe der Jahre entstandenen künstlerischen Arbeiten zum

Abschluss des Studiums an der Kunsthochschule für mich sehr interessant und aufschlussreich

gewesen. Alltagssprachlich wird Forschung häufig synonym mit Wissenschaft gebraucht, wobei

wissenschaftliche Forschung meist von einer Forschungsfrage ausgeht, die im Rahmen eines

Forschungsprojekts falsifiziert oder verifiziert werden soll. Dieses Prinzip lässt sich nicht ohne weiteres

auf mein künstlerisches Vorgehen übertragen, da dieses oftmals explizit nicht wissenschaftlich ist und

das Ziel nicht darin liegt, eindeutige Antworten zu finden. Dennoch möchte ich im Folgenden

rückblickend die wichtigsten Untersuchungserkenntnisse zusammenfassen, darauf aufbauend Fragen

formulieren und einen Ausblick auf die mögliche Weiterentwicklung der künstlerischen Arbeit geben.

Nach Florian Dombois setzt eine forschende Kunst zunächst ein Erkenntnisinteresse voraus, von dem

der Forschende mehr wissen möchte und es zu verstehen sucht.211 Die begriffliche Eingrenzung der im

Titel verwendeten Wörter hat mir geholfen, diesen Interessensschwerpunkt zu formulieren und eine

klarere Vorstellung davon zu gewinnen, welche Aspekte in der Examensarbeit behandelt werden

sollten.

In der historischen Auseinandersetzung mit musealen Inszenierungsformen konnte deren lebhafte

Entwicklungsgeschichte beleuchtet werden. Dabei hat sich gezeigt, dass Museen – obwohl sie uns

glauben machen wollen, ein in alle Ewigkeit unbestritten wertvolles Kulturgut zu bewahren und

auszustellen – doch immer ein Spiegel des jeweiligen Zeitgeistes sind. Auch unsere heutige Sicht- und

Präsentationsweise kann nur im Vergleich mit früheren Positionen eingeschätzt und in ihren Stärken,

Schwächen und ihrer Relativität erkennbar werden. Der Wandel von Wertvorstellungen einerseits und

der Wunsch nach musealer Festschreibung andererseits haben dazu geführt, dass im Laufe der

Jahrhunderte sowohl die Sammlungsschwerpunkte verlagert und aufgegliedert, als auch die Ordnung

und Präsentation der Sammlungsgegenstände verändert wurden. Dies hat deutlich gezeigt, dass die

Inszenierung im Museum nicht bloß eine formale Notwendigkeit darstellt, sondern auch wesentlich zur

Bedeutungszuschreibung der musealisierten Objekte beiträgt.

Im vorgestellten Projekt Endgültig vorläufig habe ich durch das Sammeln, Ordnen, Erforschen und

Präsentieren von Zeitungsbildern Praktiken des Museums nachgespielt und untersucht.212 Die

pseudomuseale Arbeitsmethode war dabei von der individuellen Ausrichtung des Inhalts und dem

211 Hochschule der Künste Bern HKB (Hrsg.) Dombois, Florian. Kunst als Forschung. Bern, 2006. S.22212 Neben dem angesprochenen Künstler Peter Piller, lassen sich Bezüge zu weiteren zeitgenössischen künstlerischenArbeiten erkennen. Künstler, deren Arbeiten ich im Bezug zu meinem Projekt Endgültig Vorläufig sehe sind unter anderemHans-Peter Feldmanns Sammlung von Zeitschriften-Ausschnitten und bezüglich der Kombinatorik und Hängepraxis auch dieEnsembles von Anna Oppermann – obwohl diese mit ganz anderen Materialien arbeitet.

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bewussten Vermeiden einer Kategorisierung der Sammlung geprägt. Wie zu Anfang als einen

grundsätzlichen Aspekt des Phänomens Museum beschrieben, haben auch die Zeitungsbilder eine

Bedeutungsmetamorphose durchlaufen, da sie aus ihrem Ursprungskontext entfernt und in einen neuen

Kontext eingegliedert wurden. Dabei wurden die Zusammenhänge zwischen den Bildern teilweise erst

durch die gemeinsame Präsentation behauptet und damit generiert. Dies verweist einerseits auf die

Vielschichtigkeit und potentielle Mehrdeutigkeit von Bildern, andererseits aber auch auf die große Macht

der Präsentation. In den Bildgeflechten werden keine definitiven Aussagen gemacht, sondern eine

Vielzahl nebeneinander existierender Wahrheiten zugelassen und Widersprüche als produktiv

angesehen. Die assoziative Zusammenstellung lässt die Bilder in einem ungewöhnlichen Licht

erscheinen und ist darauf ausgerichtet, neue Zusammenhänge, neue Erkenntnisse und ein neues

Verständnis der Bilder hervorzurufen. Ein solches Vorgehen lässt sich mit dem Analogiedenken der

Kunst- und Wunderkammern vergleichen, deren Ordnung und Präsentation von der Überzeugung

genährt wurde, dass auf die eine oder andere Art alles mit allem verbunden ist.213 Gleichzeitig erinnert

die Art der Hängung auch an die überladenen Wände der ersten öffentlichen Museen, wobei der

damals fehlende inhaltliche Zusammenhang zwischen den Bildern bei mir den Kern der künstlerischen

Arbeit ausmacht. Letztendlich handelt es sich um ein Nachdenken über Bilder und ein Denken in und

mit Bildern. Als Fortführung des Projektes könnte ich mir vorstellen, in Zukunft bei der Bildersuche auch

auf Bilddatenbanken im Internet zurückzugreifen, da das Internet zunehmend die traditionelle Funktion

der Zeitung als “Sekundenanzeiger“ der modernen Welt übernimmt. Dabei müsste ich – anstatt mit

zufälligen Bildfunden in der Zeitung – mit Suchbegriffen arbeiten. Dies könnte unter Anderem zu einer

Auseinandersetzung mit begrifflichem und visuellem Denken, und dem Verhältnis von Bezeichnendem

und Bezeichnetem führen.

Bei dem Projekt Expeditionen ins Naturkundemuseum habe ich mithilfe des Fotografierens die

Praktiken der Inszenierung in Naturkundemuseen erforscht. Das historische Wissen um die längst

antiquierte Form der Inszenierung hat es mir ermöglicht, das Naturkundemuseum als Ort der

Präsentation vergangener Naturvorstellungen zu erkennen. Die zwei unterschiedlichen

Herangehensweisen beim Fotografieren spiegeln nicht allein mein ambivalentes Verhältnis zum

Naturkundemuseum wider, sie lassen sich auch auf allgemeinerer Ebene als Einstellungen gegenüber

dem Museum und seinen Inszenierungen lesen. In den Fotos von Dioramen, bei denen der umgebende

Museumsraum ausgeblendet ist, lasse ich mich bewusst auf die detailgetreuen und bühnenbildhaften

213 Auch hier war eines der auffälligsten Merkmale „(...) das Nebeneinander der verschiedenen Sammlungsbestände:Naturalien, Antiken, Maschinen und Kunstwerke stehen in einem stummen Dialog vielfältiger Assoziationen. Ein Objekt wirdjeweils durch die Konfiguration mit den jeweils benachbarten Ausstellungsstücken semantisch aufgeladen. Sie erklären siesich gegenseitig auf vielsagende, vieldeutige Weise.“ Wyss, Beat. “Das Museum oder die Rückverzauberung entzauberterDinge.“ In: Museumskunde. Band 63, Heft 2. S.77

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Nachbildungen von Natur ein.214 Realität und Fiktion nähern sich dabei durch das Medium der

Fotografie stark an. Hier wird auch die strukturelle Verwandtschaft zwischen der Institution Museum und

der Kulturtechnik Fotografie deutlich, da beide als Fusion von Kunst und Wissenschaft momenthafte

Ausschnitte der Realität festhalten und dabei eine faszinierende Verbindung von Naturalismus und

Repräsentation eingehen. Und obwohl bei genauer Betrachtung auffällt, dass die Posen der Akteure

unnatürlich und die Landschaft arrangiert wirken, fällt es auf den ersten Blick schwer zu sagen, ob die

Bilder der Natur “echt“ oder nur scheinhaft real sind. Dieses Spiel mit der Unsicherheit über den

Wahrheitsgehalt der abgebildeten künstlichen Welten lässt sich auf die immer vorhandene

Konstruiertheit im gesamten Museum übertragen. Bis zu einem gewissen Grad ist es notwendig, sich

auf das inszenierte Setting einzulassen, um ein genussvoller Museumsgänger zu sein.

In den projizierten Fotos habe ich eben diese räumlichen Situationen im Museum mit ihren verwirrenden

Verschachtelungen und Wirklichkeitsebenen erforscht. Mein umherschweifender Blick war dabei

speziell auf die Brüche, und das teilweise merkwürdig anmutende Zusammentreffen von Dingen und

Umständen gerichtet. Da die Zusammenstellung der Projektionsabfolge für mich einen besonders

interessanten Aspekt der Arbeit darstellt, könnte ich mir vorstellen, die Frage nach der Bewegung im

Museumsraum weiter zu untersuchen. Um eine Forschung in diesem Bereich anzutreiben und das

Oszillieren zwischen verschiedenen Einstellungen zu verdeutlichen, könnte sich Film als geeignetes

Medium herausstellen.

In der sprachlichen Auseinandersetzung mit meiner nicht-sprachlichen Forschung ist es manchmal

schwierig gewesen, geeignete Worte zu finden. Besonders die verbale Reflexion der visuellen Verweise

im spielerischen Umgang mit den Zeitungsbildern war eine Herausforderung. Dennoch ist es möglich

gewesen, die Hintergründe und Motivationen für konkrete Entscheidungen zu beschreiben und dadurch

einen tieferen Zugang zum Verständnis der eigenen künstlerischen Arbeiten zu gewinnen. Dies hat

dazu geführt, dass ich in der Rückschau sowohl die in den Projekten bereits vorhandenen Bezüge

gedanklich reflektieren als auch neue Fragen und Ansatzpunkte finden konnte. So ist mir bewusst

geworden, dass die künstlerische Forschung neben der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem

Gegenstand des Interesses auch immer wieder Formulierungen in der Offenlegung der Erkenntnisse

braucht. Damit eröffnet sich eine weitere Fragestellung, welche durch das in den Projekten bearbeitete

Themengebiet besonders virulent wird. Im Mittelpunkt meiner Arbeiten stehen das Museum, sein

Selbstbild, seine Funktionsmechanismen und vor allem seine Inszenierungs- und

Repräsentationsstrategien. Einige dieser Aspekte konnte ich in meiner künstlerischen Arbeit aufgreifen

und die gefundenen Konventionen unter Anderem durch Wiederholung ironisch-affirmativ kritisieren.

214 Mein Interesse für eine künstlerische Untersuchung des Naturkundemuseums ist neben der Beschäftigung mit CandidaHöfer und Hiroshi Sugimoto auch mit meiner Begeisterung für die Arbeiten Mark Dions und Damien Hirsts zu erklären.

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Letztendlich stehe aber auch ich vor der Frage, wie diese Forschungsergebnisse zu Präsentation,

Repräsentation und Inszenierung im Museum denn selbst präsentiert werden können. Die

Auseinandersetzung mit möglichen Präsentationsformen für die Arbeiten hat mir gezeigt, dass es zwar

recht leicht ist, Schwachstellen musealer Inszenierungspraxis aufzudecken und diese ironisch in einer

künstlerischen Arbeit zu brechen, dass die von mir kritisierten Schwierigkeiten aber auch die

Präsentation meiner eigenen Arbeiten betreffen.215 Übertrage ich die gewonnenen Erkenntnisse auf

meine eigene Arbeit, muss ich der Tatsache Rechnung tragen, dass eine Präsentation mehr ist als nur

formale Rahmung. Die Präsentation darf sich nicht darin erschöpfen, die Arbeiten in nachträglicher

Zusammenstellung als Teil eines Dialogs auszustellen. Sie selbst muss Teil dieses Dialogs werden.

Das eigentliche Ergebnis läge dann erst in der Verbindung von Darstellungsinhalt und Darstellungsform.

Momentan könnte ich mir vorstellen, neben Bilderrahmen beispielsweise auch farbige Schauwände als

Anspielungen auf die Welt des Museums einzusetzen und damit die Exposition der künstlerischen

Arbeiten in Zusammenhang mit deren Inhalt zu bringen. Beziehe ich mich mit solchen Versatzstücken

auf Inszenierungsformen des Museums, so tue ich eigentlich genau das, was auch mit den

Ausstellungsstücken im Museum geschieht. Nur zeige ich nicht wie diese auf eine “reale“ Welt da

draußen, sondern eben auf die künstliche und konstruierte Welt des Museums. Ich verweise auf einen

Ort, der selbst wieder auf andere Orte und Zeiten verweist. Für meine Arbeiten könnte damit ein fiktiver

Raum im Raum konstruiert und so auf einer Metaebene die Präsentation selbst thematisiert werden. Die

Chance einer solchen Inszenierung liegt allerdings nicht in einer exakten Kopie der synthetischen Welt

des Museums, sondern in der Reduktion und im angedeuteten Zitat.

In meinen Arbeiten und deren Inszenierung versuche ich das Phänomen Museum so zu präsentieren,

dass seine Fiktionen als solche sichtbar und seine Repräsentations- und Inszenierungsstrategien als

Systeme zweiter Ordnung erkennbar werden. Gelingt mir dies, wird nicht bloß ein wiedererkennendes

Sehen, sondern ein strukturelles Sehen möglich. Dann können Betrachter zu Beobachtern werden und

über die Hintergründe reflektieren, welche diese konkrete Präsentationsform hervorgebracht haben.

215 Und zwar auch in dem Sinne, dass mein Suchen, Erforschen und Probehandeln ebenso blinde Flecken aufweist.

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