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| Der Internist 6·99 Übersicht 590 M. Soyka · Psychiatrische Klinik der Universität München Psychiatrische Definition der Sucht Gewöhnung, Mißbrauch und Abhängigkeit Der Begriff Gewöhnung findet sich in dieser Form in psychiatrischen Klas- sifikationssystemen heute nicht mehr. Gleiches gilt für den Begriff Sucht, der sich ethymologisch nicht vom Wort su- chen sondern von „Siech“ (=krank) ab- leitet und eine Doppelbedeutung hat: Zum einen umfaßt er den Begriff Krank- heit (z.B. Wassersucht), zum anderen (eher im allgemeinen Sprachgebrauch) ein Laster (z.B. Habsucht, Eifersucht). Die heute bestehenden speziellen Defi- nitionen von Mißbrauch und Abhän- gigkeit gehen auf das Krankheitskon- zept von Edwards et al. zurück. Dieses von einer Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation 1977 entwickelte Abhängigkeitskonzept hat großen Einfluß auf die Klassifikations- systeme ICD-10 [31] und DSM-IV [2] gewonnen und sich weitgehend durch- gesetzt. Das Modell sieht ein Abhängig- keitssyndrom als ein Cluster von kogni- tiven, physiologischen und Verhaltens- symptomen an. Die Symptome erschei- nen in verschiedenen Schweregraden und müssen nicht alle präsent sein. Ed- wards et al. [12] unterschieden scharf zwischen einer Alkoholabhängigkeit und alkoholbedingten Folgeschäden (z.B. Verkehrsunfall in betrunkenem Zustand), die nicht mit Abhängigkeit und Mißbrauch gleichzusetzen sind. Das biaxiale Edwards-Konzept besagt, daß Mißbrauch und Abhängigkeit 2 von einander unabhängige Phänomene sind. Begriffsbestimmungen In der psychiatrischen Diagnostik ha- ben heute die Begriffe Mißbrauch (bzw. schädlicher Gebrauch) und Abhängig- keit die früher üblichen Begriffe Ge- wöhnung, Sucht und Alkoholismus ab- gelöst, da diese als begrifflich unscharf angesehen werden. Gewöhnung (Habi- tuation) ist aber eine wichtige Voraus- setzung für die Entstehung einer Ab- hängigkeit, dies sowohl in pharmakolo- gischer wie psychologischer Hinsicht. Bei der Gewöhnung handelt es sich ganz allgemein um eine spezifische Re- aktionsminderung nach fortgesetzter Reizwiederholung. Dabei tritt keine Ge- neralisierung auf. In der gewohnten Reizsituation verlieren zum Beispiel an- geborene wirksame Schlüsselreize ihre auslösende Wirkung, behalten sie aber in allen anderen Situationen. Von der Gewöhnung ist die Bildung von Gewohnheiten (Habits) zu unter- scheiden, worunter relativ automati- sierte Reaktionsabläufe verstanden wer- den, die nach der Terminologie der Lerntheorie entweder als eingeschliffe- ne Antwort auf einen diskriminativen Stimulus oder als ein operantes Verhal- ten mit hoher Auftretenswahrschein- lichkeit aufzufassen sind. Gewohnhei- ten entstehen durch Konditionierung einer spezifischen Reaktionsweise, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens anderer möglicher Verhaltensweisen ver- ringert. Ob eine Reaktion in einer kon- kreten Situation eintritt, hängt auch von anderen Faktoren, wie der jeweili- gen Bedürfnisspannung ab. Die Ge- wohnheitsbildung kann für die Entste- hung eines Mißbrauchs bedeutsam sein. Übersicht Internist 1999 · 40:590–596 © Springer-Verlag 1999 Zum Thema Bezüglich des schädlichen Gebrauchs von Alkohol konkurrieren 2 Klassifikationssyste- me, das Diagnostic and Statistic Manual IV der American Psychiatric Society (DSM-IV) und die International Classification of Diseases 10 (ICD-10), die sich im Hinblick auf die diagnostischen Kriterien erheblich, hin- sichtlich der Abhängigkeitskriterien aber nur gering unterscheiden.Psychische Faktoren, die eine Voraussetzung zur Abhängigkeit darstellen, werden ausdrücklich genannt. Anstelle früher gebräuchlicher Termini spricht man heute von Mißbrauch und Abhängigkeit. In dieser Übersicht wird über die Begriffs- bestimmungen, Alkoholtypologien und wichtigsten diagnostischen Instrumente zur Klassifikation der Alkoholabhängigkeit berichtet. Schlüsselwörter Sucht, Alkoholismus · Alkoholismus · Drogenabhängigkeit, Alkoholismus Priv.-Doz. Dr. M. Soyka Psychiatrische Klinik der Universität München, Nußbaumstraße 7, D-80336 München& / f n - b l o c k : & b d y :

Psychiatrische Definition der Sucht

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Übersicht

590

M. Soyka · Psychiatrische Klinik der Universität München

Psychiatrische Definitionder SuchtGewöhnung, Mißbrauch und Abhängigkeit

Der Begriff Gewöhnung findet sichin dieser Form in psychiatrischen Klas-sifikationssystemen heute nicht mehr.Gleiches gilt für den Begriff Sucht, dersich ethymologisch nicht vom Wort su-chen sondern von „Siech“ (=krank) ab-leitet und eine Doppelbedeutung hat:Zum einen umfaßt er den Begriff Krank-heit (z.B. Wassersucht), zum anderen(eher im allgemeinen Sprachgebrauch)ein Laster (z.B. Habsucht, Eifersucht).Die heute bestehenden speziellen Defi-nitionen von Mißbrauch und Abhän-gigkeit gehen auf das Krankheitskon-zept von Edwards et al. zurück.

Dieses von einer Expertengruppeder Weltgesundheitsorganisation 1977entwickelte Abhängigkeitskonzept hatgroßen Einfluß auf die Klassifikations-systeme ICD-10 [31] und DSM-IV [2]gewonnen und sich weitgehend durch-gesetzt. Das Modell sieht ein Abhängig-keitssyndrom als ein Cluster von kogni-tiven, physiologischen und Verhaltens-symptomen an. Die Symptome erschei-nen in verschiedenen Schweregradenund müssen nicht alle präsent sein. Ed-wards et al. [12] unterschieden scharfzwischen einer Alkoholabhängigkeitund alkoholbedingten Folgeschäden(z.B. Verkehrsunfall in betrunkenemZustand), die nicht mit Abhängigkeitund Mißbrauch gleichzusetzen sind.Das biaxiale Edwards-Konzept besagt,daß Mißbrauch und Abhängigkeit 2 voneinander unabhängige Phänomene sind.

Begriffsbestimmungen

In der psychiatrischen Diagnostik ha-ben heute die Begriffe Mißbrauch (bzw.schädlicher Gebrauch) und Abhängig-keit die früher üblichen Begriffe Ge-wöhnung, Sucht und Alkoholismus ab-gelöst, da diese als begrifflich unscharfangesehen werden. Gewöhnung (Habi-tuation) ist aber eine wichtige Voraus-setzung für die Entstehung einer Ab-hängigkeit, dies sowohl in pharmakolo-gischer wie psychologischer Hinsicht.Bei der Gewöhnung handelt es sichganz allgemein um eine spezifische Re-aktionsminderung nach fortgesetzterReizwiederholung. Dabei tritt keine Ge-neralisierung auf. In der gewohntenReizsituation verlieren zum Beispiel an-geborene wirksame Schlüsselreize ihreauslösende Wirkung, behalten sie aberin allen anderen Situationen.

Von der Gewöhnung ist die Bildungvon Gewohnheiten (Habits) zu unter-scheiden, worunter relativ automati-sierte Reaktionsabläufe verstanden wer-den, die nach der Terminologie derLerntheorie entweder als eingeschliffe-ne Antwort auf einen diskriminativenStimulus oder als ein operantes Verhal-ten mit hoher Auftretenswahrschein-lichkeit aufzufassen sind. Gewohnhei-ten entstehen durch Konditionierungeiner spezifischen Reaktionsweise, diedie Wahrscheinlichkeit des Auftretensanderer möglicher Verhaltensweisen ver-ringert. Ob eine Reaktion in einer kon-kreten Situation eintritt, hängt auchvon anderen Faktoren, wie der jeweili-gen Bedürfnisspannung ab. Die Ge-wohnheitsbildung kann für die Entste-hung eines Mißbrauchs bedeutsam sein.

ÜbersichtInternist1999 · 40:590–596 © Springer-Verlag 1999

Zum Thema

Bezüglich des schädlichen Gebrauchs von

Alkohol konkurrieren 2 Klassifikationssyste-

me, das Diagnostic and Statistic Manual IV

der American Psychiatric Society (DSM-IV)

und die International Classification of

Diseases 10 (ICD-10), die sich im Hinblick auf

die diagnostischen Kriterien erheblich, hin-

sichtlich der Abhängigkeitskriterien aber nur

gering unterscheiden. Psychische Faktoren,

die eine Voraussetzung zur Abhängigkeit

darstellen, werden ausdrücklich genannt.

Anstelle früher gebräuchlicher Termini

spricht man heute von Mißbrauch und

Abhängigkeit.

In dieser Übersicht wird über die Begriffs-

bestimmungen, Alkoholtypologien und

wichtigsten diagnostischen Instrumente zur

Klassifikation der Alkoholabhängigkeit

berichtet.

Schlüsselwörter

Sucht, Alkoholismus · Alkoholismus ·

Drogenabhängigkeit, Alkoholismus

Priv.-Doz. Dr. M. SoykaPsychiatrische Klinik der Universität München,

Nußbaumstraße 7, D-80336 München&/fn-block:&bdy:

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Diese kommen bei schwerer Ausprä-gung (klinischen Fällen) zwar oft ge-meinsam vor, dies ist aber nicht not-wendigerweise und obligat so. So zeigtesich in Felduntersuchungen, daß gele-gentlich auch Abhängige, bei denen we-sentliche negative Folgen des Suchtkon-sums noch nicht erkennbar sind, vor-kommen [24].

Mit diesem heute üblichen Kon-zept wurde der frühere kategoriale An-satz, wie er zum Beispiel von Jellinek[18] vertreten wurde, in der Diagnostikverlassen.

Diagnostik von Alkohol-mißbrauch und -abhängigkeitin ICD-10 und DSM-IV

In der psychiatrischen Diagnostik spie-len heute 2 miteinander konkurrieren-de Klassifikationssysteme eine ent-scheidende Rolle: Zum einen die vonder WHO herausgegebene Internatio-nal Classification of Diseases, deren 10.

nomene umfaßt, bei denen der Konsumeiner Substanz oder Substanzklasse fürdie betroffene Person Vorrang hat ge-genüber Verhaltensweisen, die von ihmfrüher höher bewertet wurden“ [31].

Im Vergleich zu früheren Fassun-gen ist im DSM-IV die Anzahl der dia-gnostischen Kriterien für Alkoholab-hängigkeit von 9 auf 7 reduziert wor-den, von denen mindestens 3 erfülltsein müssen. ICD-10 ist als polytheti-sches System strukturiert, das heißt,daß kein einzelnes diagnostisches Kri-terium als notwendig oder hinreichenderachtet wird. Die Diagnose „Abhängig-keitssyndrom“ läßt sich dann stellen,wenn eine bestimmte Anzahl von Sym-ptomen erfüllt ist.

ICD-10 kennt 6 Kriterien für Ab-hängigkeit, von denen ebenfalls 3 erfülltsein müssen, um die Diagnose zu stel-len. Die Übereinstimmung von DSM-IVund ICD-10 bezüglich der DiagnoseAbhängigkeit ist höher als für die Dia-gnose Alkoholmißbrauch [Übersicht in15, 28]. Wichtig erscheint, daß auch psy-chische Faktoren, die für eine Abhän-gigkeitsentwicklung sprechen, explizitgenannt werden. Dazu gehört unter an-derem in der ICD-10 als erstes Kriteri-um „ein starker Wunsch oder eine ArtZwang psychotrope Substanzen zu kon-sumieren“, also Alkoholverlangen (Cra-ving), das man heute als zentralen Me-chanismus von Suchterkrankungen an-sehen kann.

Verschiedene Untersuchungen zurValidität des Abhängigkeitssyndromshaben gezeigt, daß die Merkmale einehohe Interkorrelation haben, über ei-nen definierten Zeitraum und weitge-hend unabhängig von den Folgeschä-den sind, was für die Unidimensionali-tät des Syndroms spricht. Für seine Ho-mogenität spricht die zunehmende An-zahl der Symptome mit zunehmendemSchweregrad, für seine Universalität derNachweis in verschiedenen Suchtmit-telformen [Übersicht in 24]. Untersu-chungen der Weltgesundheitsorganisa-tion haben interessanterweise gezeigt,daß das Abhängigkeitssyndrom in ver-schiedensten Ländern der Welt in ver-gleichbarer Weise vorkommt, was dietranskulturelle Validität des Abhängig-keitssyndroms bestätigt [16].

Aus den oben genannten Ausfüh-rungen geht hervor, daß speziell dieDiagnose einer Abhängigkeit für die je-weils 3 der 6 bzw. 7 Symptome in ICD-

Fassung momentan Anwendung findetsowie das von der American PsychiatricAssociation publizierte diagnostischeund statistische Manual für psychischeStörungen, dessen 4. Fassung momen-tan aktuell ist (DSM-IV). Die diagnosti-schen Kriterien für Alkoholmißbrauch(bzw. schädlicher Gebrauch in ICD-10)unterscheiden sich in den beiden Klassi-fikationssystemen erheblich, die fürAbhängigkeit nur wenig. Die diagnosti-schen Kriterien sind in den Tabellen 1und 2 zusammenfassend dargestellt. ImICD-10 wird für die Diagnose einesschädlichen Gebrauchs von Alkohol ex-plizit das Vorliegen einer Gesundheits-schädigung verlangt, während im DSM-IV auch soziale Folgeschäden desAlkoholismus als Kriterium gelten.„Schädlicher Gebrauch“ bezeichnet einKonsumverhalten, „das zu einer Ge-sundheitsschädigung (körperlich oderpsychisch) führt“, während das Abhän-gigkeitssyndrom „eine Gruppe körper-licher, Verhaltens- und kognitiver Phä-

Tabelle 1

ICD-10 und DSM-IV Kriterien für Alkoholmißbrauch bzw. den schädlichenGebrauch von Alkohol

ICD-10-Kriterien „schädlicher Gebrauch“

Ein Konsummuster psychotroper Substanzen (Alkohol), das zu einer Gesundheitsschädigung führt.Diese kann eine körperliche Störung … oder eine psychische Störung sein, z.B. eine depressiveEpisode nach massivem Alkoholkonsum.

Diagnostische Leitlinien

Die Diagnose erfordert eine tatsächliche Schädigung der psychischen oder physischen Gesundheitdes Konsumenten.Schädliches Konsumverhalten wird häufig von anderen kritisiert und hat auch häufig unterschied-liche negative soziale Folgen. Die Ablehnung des Konsumverhaltens oder einer bestimmten Substanzvon anderen Personen oder einer ganzen Gesellschaft ist kein Beweis für den schädlichen Gebrauch,ebenso wenig wie etwaige negative soziale Folgen, z.B. Inhaftierung oder Eheprobleme.Eine akute Intoxikation oder ein „Kater“ (hangover) beweisen allein noch nicht den „Gesundheits-schaden“, der für die Diagnose schädlicher Gebrauch erforderlich ist.Schädlicher Gebrauch ist bei einem Abhängigkeitssyndrom (F 10.2), einer psychotischen Störung(F 10.5) oder bei anderen spezifischen alkoholbedingten Störungen nicht zu diagnostizieren.

DSM-IV-Kriterien „Substanzmißbrauch“

A. Ein unangepaßtes Muster von Substanzgebrauch führt in klinisch bedeutsamer Weise zuBeeinträchtigungen oder Leiden, wobei sich mindestens eines der folgenden Kriterien innerhalbdesselben 12-Monats-Zeitraums manifestiert:(1) Wiederholter Substanzgebrauch, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger

Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt …(2) Wiederholter Substanzgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer

körperlichen Gefährung kommen kann …(3) Wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch …(4) Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischen-

menschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen der psychotropen Substanz verursachtoder verstärkt werden…

B. Die Symptome haben niemals die Kriterien für Substanzabhängigkeit der jeweiligen Substanz-klasse erfüllt …

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gefunden hat (Tabelle 3). Sie wird abermodernen psychiatrischen und vor al-lem wissenschaftlichen Anforderungennicht mehr gerecht. Große Bedeutunghat, vor allem in der Forschung die vonCloninger et al. [6] vor allem aufgrundvon Familien- und Adoptionsstudienerarbeitete Typologie erlangt, die einenstark von genetischen Faktoren abhän-gigen, frühen und vor allem auf dasmännliche Geschlecht begrenzten TypII mit eher ungünstigen Verlauf, einemeher von Umweltvariablen determinier-ten Typ I gegenüber stellte (Tabelle 4).Die Typologie hat auch für die biologi-sche Forschung große Bedeutung er-langt, da sie versucht im Rahmen einesneurobiologischen Lernmodells eineKorrelation von klinischen Variablenmit neurobiologischen Befunden (z.B.bestimmten Neurotransmitterstörun-gen) zu erlangen.

Cloninger versuchte seine Typolo-gie im Rahmen eines neurobiologi-schen Lern-Modells zu verankern undschlug eine Korrelation von klinischenVariablen und neurobiologischen Be-funden vor. Typ 1 Alkoholkranke zeig-ten demnach eine starke „Reward-Dependence“ (Belohnungsabhängigkeit)die im Zusammenhang mit dem norad-renergen System stehen soll, außerdemsollen Typ 1 Alkoholiker durch eine ho-he „Harm-Avoidance“ charakterisiertsein, die im Zusammenhang mit demserotonergen System steht. Außerdemwiesen sie ein niedriges „Sensation-Seeking“ (verstärkte Suche nach neuenStimuli) auf, was in Zusammenhangmit dem dopaminergen System ge-bracht wurde. Dem gegenüber sollenTyp 2 Alkoholkranke eher ein verstärk-tes „Sensation-Seeking“ und eine gerin-gere „Harm-Avoidance“ und „Reward-Dependence“ im Vergleich zu Typ 1 Al-koholkranken zeigen. Zur Messung die-ser Persönlichkeitseigenschaften schlu-gen Cloninger et al. [7] das „Tri-Dimen-sional-Personality-Questionnaire“ vor,das auch in einer deutschen Überset-zung vorliegt [9].

Auch in neueren genetischen Un-tersuchungen wird auf die entspre-chende Typologie Bezug genommen.Kritiker dieses Modells monieren vorallem, daß der von Cloninger postulier-te Typ II im wesentlichen eine Gruppevon Patienten mit antisozialer Persön-lichkeit und zusätzlichem Alkoholis-mus umfaßt.

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10 bzw. DSM-IV erfüllt sein müssen einsehr heterogenes Störungsbild darstellt.So erfüllt beispielsweise ein Patient, dereine deutliche Toleranzentwicklung,Entzugssyndrome sowie eine großeTrinkmenge hat, die Diagnose ebensowie ein Patient der diese Symptomekaum aufweist, dagegen viele beruflicheoder soziale Folgeschäden sowie Alko-holverlangen (Craving) aufzeigt. Ausklinischer Sicht besteht das verständli-che Bedürfnis, auch aus Gründen dernotwendigen Indikationsstellung fürunterschiedliche Therapieverfahren be-stimmte Subgruppen von Alkoholab-

hängigen besser zu definieren und auchden Schweregrad der Alkoholkrankheitbesser zu erfassen.

Alkoholtypologien

Die älteste und bestimmte klinische Be-dürfnisse immer noch befriedigendeAlkoholtypologie geht auf Jellinek [18]zurück, der Alkoholismus als progre-diente Erkrankung mit typischem Ver-lauf auffaßte und im wesentlichen überdie Erfassung des Alkoholkonsums undindividueller Trinkstile seine Typologieentwickelte, die weltweite Anwendung

Tabelle 2

ICD-10- und DSM-IV-Kriterien für Alkoholabhängigkeit

ICD-10-Kriterien „Abhängigkeitssyndrom“

Es handelt sich um eine Gruppe körperlicher,Verhaltens- und kognitiver Phänomene, bei denen derKonsum einer Substanz oder einer Substanzklasse für die betroffene Person Vorrang hat gegenüberanderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher bewerten wurden. Ein entscheidendesCharakteristikum der Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch,psychotrope Substanzen (Alkohol) zu konsumieren.Es gibt Hinweise darauf, daß die weiteren Merkmale des Abhängigkeitssyndroms bei einem Rückfallnach einer Abstinenzphase schneller auftreten als bei Nichtabhängigen.

Diagnostische Leitlinien

Die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ sollte nur gestellt werden, wenn irgendwann während desletzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig vorhanden waren:

1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des

Konsums.3. Ein körperliches Entzugssyndrom (F 10.3 und F 10.4) bei Beendigung oder Reduktion des Konsums …4. Nachweis einer Toleranz …5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanz-

konsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich vonden Folgen zu erholen.

6. Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen …

DSM-IV-Kriterien „Substanzabhängigkeit“ (Alkoholabhängigkeit)

Ein unangepaßtes Muster von Substanzgebrauch (Alkohol) führt in klinisch bedeutsamer Weise zuBeeinträchtigungen oder Leiden, wobei sich mindestens drei der folgenden Kriterien manifestieren,die zu irgendeiner Zeit in demselben 12-Monats-Zeitraum auftreten:

(1) Toleranzentwicklung, definiert durch eines oder folgenden Kriterien:(a) Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung, um einen Intoxikationszustand oder

erwünschten Effekt herbeizuführen.(b) deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetzter Einnahme derselben Dosis.

(2) Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern:(a) charakteristisches Entzugssyndrom der jeweiligen Substanz(b) dieselbe (oder eine sehr ähnliche Substanz) wird eingenommen, um Entzugssymptome

zu lindern oder zu vermeiden.(3) Die Substanz wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt eingenommen.(4) Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu verringern oder

zu kontrollieren.(5) Viel Zeit für Aktivitäten, um die Substanz zu beschaffen …(6) Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Substanzmißbrauchs

aufgegeben oder eingeschränkt.(7) Fortgesetzter Substanzmißbrauch trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden

körperlichen oder psychischen Problems, das wahrscheinlich durch den Substanzmißbrauchverursacht oder verstärkt wurde …

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Gut belegt ist die von Babor et al.[4] aufgrund von Cluster-Analysen ent-wickelte Typologie (Tabelle 5), die andie oben erwähnte Cloninger-Typolo-gie erinnert, aber durch katamnestischeUntersuchungen unterstützt wird. Auchdie Typologie von Babor et al. berück-sichtigt genetische Faktoren und asso-ziiert einen frühen Krankheitsbeginnmit einer schlechten therapeutischenPrognose.

Eine sehr einfache aber klinischwichtige Unterscheidung zwischen pri-märem und sekundärem Alkoholismusbietet die Typologie nach Schuckit [25]an. Schuckit bezieht sich vor allem aufdie bei Alkoholkranken hohen Komor-bidität mit anderen psychiatrischenStörungen wie zum Beispiel Schizo-phrenie oder affektiven Erkrankun-gen. Ein primärer Alkoholismus nachSchuckit liegt dann vor, wenn sich eineAlkoholabhängigkeit vor dem Auftre-ten anderer psychiatrischer Störungenentwickelt, ein sekundärer Alkoholis-mus entwickelt sich dagegen bei schonbestehender psychischer Störung. DieseTypologie berücksichtigt im wesentli-chen den chronologischen Aspekt, sagtaber zunächst nichts über die Ätiologieder jeweils vorliegenden Störung aus.

Wichtige Diagnoseinstrumente

Je nach diagnostischer Zielsetzung las-sen sich in der Alkoholismusdiagnostikeine Reihe von Aufgabenbereichen un-

senschaftliche Fragestellungen von In-teresse sein mögen.

Screening-Instrumente

Hier spielt zunächst der aus nur vierFragen bestehende CAGE-Test [13] einegroße Rolle. Eine oder mehrere positiveAntworten lenken bereits den Blick aufeine mögliche Alkoholkrankheit:

1. Haben Sie schon einmal das Gefühlgehabt, Ihr Alkoholkonsum wäre zuhoch?

2. Haben Sie sich schon einmal darübergeärgert, daß sie von anderen wegenIhres Alkoholkonsums kritisiert wur-den?

3. Haben Sie sich schon einmal schlechtoder schuldig wegen Ihres Alkohol-konsums gefühlt?

4. Haben Sie schon einmal Alkohol be-reits früh morgens getrunken, um Ih-re Nerven zu beruhigen, oder einen„Kater“ loszuwerden.

Weitere wichtige Screening-Instrumen-te sind der Michigan Alcoholism-Scree-ning-Test (MAST [26]) der in seiner Ur-sprungsversion 25 Items aufweist, imdeutschsprachigen Raum vor allemaber auch der Münchener Alkoholis-mustest (MALT [14]) der aus einemFremd- und einem Selbstbeurteilungs-teil besteht und wichtige Angaben zurAlkoholanamnese wie auch psychoso-zialer Folgeschäden und somatischeBefunde beinhaltet.

Der Fremdbeurteilungsteil ist da-bei vierfach höher gewichtet als derSelbstbeurteilungsteil. Ein Summen-wert von 6 bis 10 Punkten legt den Ver-dacht auf eine Alkoholabhängigkeit, ein

terscheiden. Dazu gehören die Erfas-sung des Alkoholkonsums, die diagno-stische Abklärung des Alkoholismus imSinne einer klassifikatorischen Einord-nung, Aussagen zur individuellen Pro-gnose und differentiellen Therapiein-dikationen sowie schließlich Untersu-chungsinstrumente zur Persönlich-keitsdiagnostik und zur Erfassung dessozialen Umfelds.

Die Anzahl der in diesem Bereichvorgeschlagenen, teilweise auch eta-blierten Interviews, Screening-Instru-mente und Fragebogentests ist enormgroß, an dieser Stelle soll unter Verweisauf weiterführende Literatur [15] nurauf einige wenige Untersuchungsin-strumente Bezug genommen werden,die sich einerseits im klinischen Alltagbewährt haben, andererseits für wis-

Tabelle 3

Typologie nach Jellinek (1960)

α-Typ β-Typ γ-Typ δ-Typ ε-Typ

Problem-, Gelegenheits- Süchtiger Rauscharmer, EpisodischerErleichte- trinker Trinker kontinuierli- Trinkerrungs-, Kon- licher Alkohol-flikttrinker konsum

Abhängigkeit Weder psy- Zuerst psychi- Physische Physischenur psychisch chische noch sche, dann Abhängigkeit Abhängigkeit

körperliche körperlicheAbhängigkeit Abhängigkeit

Kein Kon- Kein Kon- Kontroll- Keine Absti- Kontrollver-trollverlust, trollverlust verlust mit nenz, kein lust, jedochaber undiszi- Phasen von Kontroll- Fähigkeit zurpliniertes Abstinenz verlust AbstinenzTrinken mitFähigkeit zurAbstinenz

Tabelle 4

Typologie nach Cloninger (1981)

Typ I: Typ II:

Eher von Umweltfaktoren abhängig Eher von hereditären Faktoren abhängig

Später Beginn (nach dem 25. Lebensjahr) Früher Beginn (vor dem 25. Lebensjahr)

Bei beiden Geschlechtern vorkommend Auf das männliche Geschlecht begrenzt

Eher milder Verlauf des Alkoholabusus Eher schwerer Verlauf des Alhololabusus

Hohe „reward dependence“ Niedrige „reward dependence“

Hohe „harm avoidance“ Niedrige „harm avoidance“

Niedriges „sensation seeking“ Hohes „sensation seeking“

Page 5: Psychiatrische Definition der Sucht

geschlagene Severity of Alcohol Depen-dence Questionnaire (SADQ, DeutscheFassung: Göttinger AbhängigkeitsskalaGABS [17]) erlangt. Dieses Untersu-chungsinstrument hat ähnlich wie dieLübecker Abhängigkeitsskala (LAS [19])zum Ziel, den Schweregrad des Alkoho-lismus zu erfassen. Die prognostischeBedeutung dieser beiden Untersu-chungsinstrumente ist noch nicht aus-reichend gesichert.Die LAS erfaßt Krite-rien des Abhängigkeitssyndroms, wieEinengung des Trinkverhaltens (Alko-holkonsum nach körperlichem undpsychischen Bedarf), körperliche Ent-zugssyndrome, Entzugssymptome impsychischen Bereich (unwiderstehli-ches Verlangen nach Alkohol, Ängste),Toleranzentwicklung (mit Leberschädi-gung einhergehendes zunehmendes,später möglicherweise abnehmendes„Vertragen“ von Alkohol), Alkoholkon-sum nach Entzugssymptomen, Ent-zugserscheinungen bei erneutem Trin-ken nach Abstinenz.

Einige Fragebögen sind so konzi-piert, daß sie nicht nur als Screening-Verfahren eingesetzt werden könnensondern auch zur Differentialdiagno-stik und Indikationsstellung für einedifferentielle Therapie Anhaltspunkteliefern sollen. Das wichtigste diesbe-zügliche Untersuchungsinstrument istdas Alcohol Use Inventory. Eine deut-sche Bearbeitung dieses Fragebogensist das Trierer Alkoholismusinventar(TAI) mit 77 Items und 7 Skalen [23].

Ziel des TAI ist es Aussagen übereinzelne therapeutisch relevante Be-reich bei dem Patienten zu erfassen,zum Beispiel Verlust der Kontrolle überdas Verhalten während des Alkohol-konsums, soziale Aspekte des Trinkens(sozialer Rückzug, etc.), Trinkmotive,Suchtverhalten usw. Auch der Partner-bereich wurde erfaßt.

Mit Hilfe dieses Untersuchungsin-strumentes wurde eine Alkoholiker-Ty-pologie entwickelt, für die auch ver-schiedene therapeutische Vorgehens-weisen konzipiert worden sind. Insge-samt können 5 Subgruppen identifi-ziert werden. Die Effektivität kann nochnicht ausreichend beurteilt werden[siehe dazu 15, Kapitel 7].

Ein weiteres Untersuchungsinstru-ment ist der Fragebogen zur Klassifika-tion des Trinkverhaltens Alkoholab-hängiger (FTA [22]). Bei diesem han-delt es sich um einen Selbstbeurtei-

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Summenwert von 11 und mehr Punktendie Diagnose einer Alkoholabhängig-keit nahe. In verschiedenen Untersu-chungen wurde für den Test eine guteSpezifität und Sensitivität ermittelt[Übersicht in 27]. Nachuntersuchungenergaben eine Gesamteffizienz von 94%.Nicht-Alkoholiker wurde zu 95%, Alko-holiker zu 88% richtig identifiziert.

Ein weiteres Screening-Instrumentzumindest zur Frühdiagnose eines Al-koholismus ist der AUDIT (Alcohol UseDisorders Test [3]), der aus 10 Kernfra-gen besteht, die vom Patienten beant-wortet werden. Der Test erfaßt im Un-ter schied zu anderen Verfahren auchTrinkmenge und Trinkfrequenz der Pa-tienten. Auch bei diesem Fragebogen-test lassen sich allerdings ausgeprägteDissimulationstendenzen häufig nichtvermeiden. Der Test wird von der WHOzur Diagnostik der Alkoholabhängig-keit empfohlen.

Interviewverfahren

Zu den angewandten Untersuchungsin-strumenten gehören das strukturierteklinische Interview für DSM-III-R(Deutsch SKID, englisch SCID [32])oder das SCAN (Schedules for ClinicalAssessment in Neuropsychiatry [10]).In dessen Nachfolge stehen standardi-sierte Interviews wie das CIDI (Compo-site International Diagnostic Interview[8, 32, 33]).

Das CIDI ermöglicht die Erfassungvon Störungen nach ICD-10 und DSM-IV für den gesamten Lebensverlauf, istaber auch für die Querschnittsdiagno-stik nach 3 Wochen, 1 Monat, 6 Mona-

ten, 1 Jahr geeignet. Das CIDI kann auchvon trainierten Laien angewendet wer-den (Voraussetzung 1wöchiges standar-disiertes Training). Wegen seines Um-fangs bietet sich dieses Untersuchungs-instrument vor allem im Rahmen vonepidemiologischen oder anderen wis-senschaftlichen Studien an.

International gebräuchlich ist auchdie Anwendung des Addiction SeverityIndex (ASI [20, 21]). Ziel des Verfahrensist vor allem die Erfassung des Schwere-grads von Störungen in den Bereichenkörperliche, rechtliche und psychischeVerfassung. Der Alkoholkonsum wirdnur für die letzten 30 Tage genauer er-faßt. Beim ASI handelt es sich um einstandardisiertes Interview mit einemZeitaufwand von ca. 40 bis 50 Minuten.Auch von diesem mehrdimensionalenUntersuchungsinstrument existieren ei-nige Variationen.

Ein weiteres, vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum häufig an-gewandtes Untersuchungsinstrument istdas „Alcohol Use Disorder and AssociatedDissabilities Interview Schedule – Alco-hol Drug Revised“ (AUDADIS-ADR [5]).Dieses Interview war ursprünglich vonder WHO 1992 vorgeschlagen worden.Dieses Untersuchungsinstrument istebenfalls mehrfach überarbeitet worden.Die Reabilität für die Diagnostik vonSuchterkrankungen wurde in großenUntersuchungen als gut beschrieben [5].

Fragebogentests

Eine gewisse Bedeutung hat zur Erfas-sung des Schweregrads des Alkoholis-mus das von Stockwell et al. (1979) vor-

Tabelle 5

Typologie nach Babor (1992)

Typ A: Typ B:

Später Beginn (30–40 Jahre) Früher Beginn (vor 21. Lebensjahr)

Wenig Risikofaktoren in der Kindheit Vermehrt Risikofaktoren in Familie und Kindheit

Geringer Grad der Abhängigkeit Starke Ausprägung der Abhängigkeit,Mißbrauch auch von anderen Substanzen

Wenig körperliche und soziale Konsequenzen Vermehrt körperliche und soziale Konsequenzen des Alkoholkonsums des Alkoholkonsums nach kürzerer Zeit

Geringe psychiatrische Komorbidität Hohe psychiatrische Komorbidität

Geringe Belastungsfaktoren im familiären Hohe Belastungsfaktoren im familiären und beruflichen Umfeld und beruflichen Umfeld

Gute therapeutische Prognose Schlechte therapeutische Prognose

Page 6: Psychiatrische Definition der Sucht

lungsbogen zur Einschätzung desTrinkverhaltens in Anlehnung an diePhaseneinteilung in der Alkoholismus-typologie nach Jellinek. Für Männerund Frauen liegen dabei getrennte Ska-len vor. Der Test hat bislang in Deutsch-land keine größere Verbreitung erlangt.

Für eine Reihe von anderen Frage-stellungen wurden andere spezielle Fra-gebogeninstrumente entwickelt. Dazugehört zum einen die für Therapiestu-dien zunehmend relevante Erfassungdes Alkoholverlangens „Craving“.Hierzusind im internationalen Sprachraum ei-ne Reihe von Skalen vorgestellt worden.Die bekannteste ist sicherlich derzeitdie Obsessive-Compulsive-Drinking-Scale (OCDS [1]) die in einer Reihe vonUntersuchungen überprüft wurde. Imdeutschen Sprachraum wurden mehrereCraving-Skalen, unter anderem der Lü-becker Craving-Fragebogen [30] mit 4Subskalen (Craving in gedrückter Stim-mung, in gehobener Stimmung, bei Är-ger und Anspannung, bei Zufriedenheitund Entspannung) entwickelt.

Generell stellt sich bei allen vorge-stellten Untersuchungsinstrumenten dieFrage nach der Reabilität und Validitätfür die Diagnostik von alkohol- unddrogeninduzierten Störungen. Diesbe-züglich sind von der WHO breit ange-legte Untersuchungen durchgeführt wor-den, deren Ergebnisse jetzt vorliegen[Übersicht in 29]. In der WHO-Studiezur Reabilität und Validität des CIDI,des SCAN und des AUDADIS-ADRwurden insgesamt 12 Zentren in 10 ver-schiedenen Ländern mit 1825 Patientenuntersucht. Es wurden die diagnosti-schen Kriterien nach ICD-10 und DSM-IV für Alkoholabhängigkeit bzw. Miß-brauch/schädlicher Gebrauch herange-zogen. Es zeigte sich, daß die Überein-stimmung für die Diagnose von Abhän-gigkeitserkrankungen sehr gut war (0,7bis 0,9), aber, wie oben schon angespro-chen, für Alkoholmißbrauch/schädli-cher Gebrauch deutlich geringer. DieAussagekraft aller 3 Untersuchungsin-strumente für wissenschaftliche undklinische Fragestellungen kann aberaufgrund der vorgelegten Untersu-chungen als gesichert gelten.

Zusammenfassung

Die früher üblichen Begriffe Gewöh-nung und Sucht sowie Alkoholismussind in modernen psychiatrischen

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Klassifikationssystemen durch die Be-griffe Mißbrauch (bzw. schädlicher Ge-brauch) sowie Abhängigkeit ersetztworden. Sowohl in ICD-10 als auchDSM-IV geht man dabei von dem Vor-liegen eines Abhängigkeitssyndrom aus,für dessen Diagnose 3 der 6, bzw. 7möglichen Symptome (Toleranzent-wicklung, Entzugssyndrome etc.) er-füllt sein müssen.

Bislang unbefriedigt gelöst ist dieFrage der typologischen Differenzie-rung von Abhängigen in klinisch valideSubgruppen, einige international ge-bräuchliche Typologien werden darge-stellt. Zu den wichtigsten Screening-In-strumenten gehören der CAGE-Test so-wie der Münchner Alkoholismustest(MALT). Einige andere klinisch üblicheScreening-Instrumente sowie Fragebö-gen werden dargestellt. Speziell für wis-senschaftliche Untersuchungen bietetsich der Einsatz strukturierter klini-scher Interviews an wie zum BeispielSKID, CIDI oder SCAN sowie andere,vor allem international gebräuchlicheInterviewverfahren. Die wichtigstenUntersuchungsinstrumente zur Erfas-sung des Schweregrads des Abhängig-keitssyndroms werden dargestellt, me-thodische Aspekte dabei kritisch disku-tiert.

Fazit für die Praxis

In der Diagnostik des Alkoholismus gibt esverschiedene Zielsetzungen, die der Erfas-sung des Alkoholkonsums, der Klassifizie-rung des Alkoholismus, der individuellenPrognose und Therapie sowie der Persön-lichkeitsdiagnostik und Erfassung dessozialen Umfelds dienen.

Pragmatisch bewährt hat sich in derBasisdiagnostik der Screening-Test nachCAGE, der Michigan Alcoholism-Screening-Test (MAST), der Münchner Alkoholismus-test (MALT) und der Alcohol Disorder Test(AUDIT). In der weiteren Diagnostik spie-len strukturierte Interviews eine wichtigeRolle, die teilweise sogar von trainiertenLaien ausgeführt werden können. Je nachFragestellung, z.B. des Schweregrads desAlkoholismus, des Trinkverhaltens oder desAlkoholverlangens, können unterschiedli-che Interview-Verfahren zur Anwendungkommen. Sichere Voraussagen über dieprognostische Wertigkeit von Testergeb-nissen sind derzeit nur von begrenzterValidität.

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T. Clark, J. ReesAsthma – Diagnose und Therapie

2. völlig neu bearb. Aufl.; Köln: DeutscherÄrzte-Verlag, 1997. 161 S., 103 Abb., 20 Tab.,(ISBN 3-7691-0362-9,) brosch., DM 68,–

Das Buch von Tim Clark und John Rees ist von Ralf

Wettengel und Andreas Kirchner fachgerecht ins

Deutsche übersetzt. Obwohl es auch in Deutsch-

land schon zahlreiche Bücher zum Thema Asthma

gibt, wird man diese Abhandlung über die häufig-

ste chronische Kinderkrankheit, die in den letzten

Jahren immer stärker zunimmt, mit Gewinn lesen,

insbesondere da die Autoren aus England kom-

men und zu den Pionieren der inhalativen Ste-

roidtherapie gehören, welche einen der wesent-

lichsten Fortschritte in der Beherrschung dieses

chronischen Krankheitsbildes nebst den lang-

wirksamen inhalativ applizierbaren Beta2-Mime-

tika darstellt. Auch verwandte Krankheiten, wie

die allergische bronchopulmonale Aspergillose

kommen zur Sprache. Die Diagnostik und Thera-

pie ist reich bebildert und illustriert, was das Buch

sicher auch für Patienten gut lesbar macht.

Ich wünsche der Monographie eine weite Ver-

breitung in der Hoffnung,daß damit mehr Asth-

matiker adäquat behandelt werden und weniger

unter ihrem Krankheitsbild zu leiden haben.Asth-

ma ist eine Krankheit,die wir durch frühe optimale

Therapie zwar nicht heilen,aber die Spätfolgen und

den Leidensdruck weitgehend verhindern können.

H. Mathys (Freiburg)

Buchbesprechungen

Hrsg.: H. SchulzKompendium Schlafmedizin

Landsberg: ecomed, 1997. Loseblattwerk mitlfd. Ergänzungslief., 752 S.,(ISBN 3-609-76660-3), ca. DM 198,–Seitenpreis f. Ergänzungslief.: DM 0,65

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der Schlafmedizin.

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logischen Grundlagen über die Meßmethoden, die

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verzeichnisses am Anfang des Buches. Die starke

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H. F. Becker (Marburg)