1
Psychisch krank – was nun? – Wege aus der Krise Mit nahtlosen Übergängen zurück in den Alltag Helene Prack, PSD-Leibnitz, Leibnitz Der folgende Artikel schildert ein Fallbei- spiel, wie eine nahtlose Vernetzung in der psychosozialen Rehabilitation ohne lange Wartezeiten und Übergänge für Betrof- fene Voraussetzung ist, damit eine größt- mögliche Lebensqualität und Selbststän- digkeit wiedererlangt werden kann. Fall 1: Alois, 18 Jahre alt kam auf Zu- weisung der Maria eresienklinik Bad Radkersburg im Mai 2003 in die sozi- alpsychiatrische Tagesstätte Klapotetz (PSD-Leibnitz) und sollte im Rahmen der Beschäftigungstherapie gefördert werden. Sein fernes Ziel war ein beruflicher Wie- dereinstieg am ersten Arbeitsmarkt im Anschluss. Vorgeschichte: Drei Tage vor Weihnachten im Jahr 2002 hatte Alois einen schweren Moped- unfall. In unmittelbarer Nähe vor seinem Elternhaus fuhr er beim Nachhausefahren von seiner Lehrstelle (KFZ-Mechaniker) aufgrund von Glatteis direkt in eine Haus- mauer. Seine Verletzungen waren ein schweres Schädelhirntrauma, Kontusions- blutungen, multiple Gesichtsschädelfrak- turen, Hämatopneumothorax und eine Lungenkontusion. Erstversorgt wurde er im Uniklinikum Graz. Sein Gesicht wurde vorerst so gut wie möglich plastisch chi- rurgisch wiederhergestellt und anschlie- ßend wurde er im LKH Wagna nachbe- treut. Zur neurologisch-orthopädischen Rehabilitation kam Alois in die Maria eresienklinik nach Bad Radkersburg. Er erholte sich körperlich recht gut, doch wurde er als zeitweilig aggressiv und in seinen kognitiven Fähigkeiten beeinträch- tigt vom dortigen Pflegepersonal beschrie- ben. Aus dem klinisch-psychologischen Abschlussbericht ging hervor, dass seine Daueraufmerksamkeit und die selektive Aufmerksamkeit sowohl quantitativ wie auch qualitativ herabgesetzt waren und eine berufliche Rehabilitation wurde für diesen Zeitpunkt als zu früh eingestuft. Sozialpsychiatrische Tagesstätte Klapotetz – PSD Leibnitz: Am 12. Mai 2003 wurde er in die Be- schäftigungstherapie der sozialpsychiat- rischen Tagesstätte Klapotetz in Leibnitz aufgenommen. Alois war hoch motiviert, denn er klagte vor allem über Langeweile und äußerte auch massive Zukunftsäng- ste. Er hatte seine Lebensorientierung verloren. Sein Traumberuf war nach wie vor die KFZ-Mechanik, doch schätzte er sich als nicht mehr fähig ein, diese Leh- re abschließen zu können. Er schilderte, dass er schon vor dem Unfall Schwierig- keiten beim Lernen gehabt habe und die Berufsschule sei eine enorme Anstren- gung für ihn gewesen. Seit dem Unfall sei seine Merkfähigkeit und die Fähigkeit zur Konzentration stark beeinträchtigt. Er habe auch Probleme im Durchhaltever- mögen und sei relativ leicht reizbar. Auch klagte er über Einsamkeit, er habe viele Freunde seit dem Unfall verloren und könne mit den anderen Jugendlichen aus seiner Sicht nicht mehr „mithalten“. Die Gesichtsverletzungen hatten auch sein Äußeres verändert (Augenabstand war verschoben) und so fühlte er sich auch bei der Kontaktaufnahme vor allem mit Mädchen stark benachteiligt. Von Montag bis Freitag nahm nun Alois an sämtlichen Beschäftigungsangeboten teil. Besonders interessiert hat ihn der handwerkliche (Holzwerkstatt, Haussanierungs- gruppe) und kreative (Ton-Speckstein) Bereich. Neben der langsamen Annä- herung an die Arbeitsrealität durch eine Fünftagewoche mit insgesamt 35 Be- schäftigungstherapiestunden war das Bil- dungsangebot der TS-Klapotetz (Lernbe- treuung, Gedächtnistrainig, Wissen- und Bildungsgruppe) maßgeblich für seine kognitive Förderung. Durch die Teilnah- me am freizeitpädagogischen Programm konnte er Selbstvertrauen im Umgang mit Menschen üben und aufbauen. Er verlor zunehmend seine Schüchternheit und konnte seinen Selbstwert durch po- sitive Leistungserfahrungen steigern. Im Mai 2004 wurde Alois nochmals in der Universitätsklinik für Zahn-Mund- und Kieferheilkunde in Graz operiert. Der Au- genabstand und die Nase wurden nach- korrigiert. Im Anschluss daran wurde er wieder in die Tagesstätte Klapotetz aufge- nommen. Nun war es an der Zeit über mög- liche weiterführende, höherschwelligere erapieangebote nachzudenken. Der Psychosoziale Dienst Leibnitz betreibt seit 2003 eine arbeitsrehabilitative Ein- richtung in Lebring. werkdienst-süd: Der werkdienst-süd ist eine Trai- ningsfirma zur beruflichen Integration für psychisch beeinträchtigte Menschen in der Struktur eines Kleinbetriebes mit un- terschiedlichen Dienstleistungsangebo- ten. Alois konnte im Spätsommer 2004 in den werkdienst-süd übertreten. Dort hat- te er die Möglichkeit, seine Vorkenntnisse im KFZ-Technik-Bereich aufzufrischen und zu erweitern. Durch das Arbeitstrai- ning in der Oldtimer-Restaurierungs- werkstätte des werkdienst-süd wurde sei- ne Leistungsfähigkeit sowohl quantitativ als auch qualitativ langsam gesteigert. Im Zuge des Coachings zur Arbeitsplatz- vermittlung konnte er nach einem Jahr in einem KFZ-Betrieb in Wildon für vier Wochen eine Arbeitserprobung machen. Über das Bundessozialamt Steiermark wurde der Firma eine Integrationsförde- rung angeboten und Alois wurde fix als Mechanikergehilfe mit Vollarbeitszeit an- gestellt. n Korrespondenzadresse: Mag. Helene Prack PSD-Leibnitz TS-Klapotetz, Sailergasse 8, 8430 Leibnitz E-Mail: [email protected] Durch die Teilnahme am freizeitpädagogischen Programm konnte er Selbstvertrauen üben und aufbauen. Er verlor zu- nehmend seine Schüchternheit und konnte seinen Selbstwert durch positive Leistungserfahrungen steigern. PSYCHOPRAXIS 27 4/2008 praxis

Psychisch krank – was nun? – Wege aus der Krise

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Psychisch krank – was nun? – Wege aus der Krise

psychisch krank – was nun? – Wege aus der Krise

Mit nahtlosen Übergängen zurück in den Alltag

Helene Prack, PSD-Leibnitz, Leibnitz

Der folgende Artikel schildert ein Fallbei-spiel, wie eine nahtlose Vernetzung in der psychosozialen Rehabilitation ohne lange Wartezeiten und Übergänge für Betrof-fene Voraussetzung ist, damit eine größt-mögliche Lebensqualität und Selbststän-digkeit wiedererlangt werden kann.

Fall 1:

Alois, 18 Jahre alt kam auf Zu-weisung der Maria Theresienklinik Bad Radkersburg im Mai 2003 in die sozi-alpsychiatrische Tagesstätte Klapotetz (PSD-Leibnitz) und sollte im Rahmen der Beschäftigungstherapie gefördert werden. Sein fernes Ziel war ein beruflicher Wie-dereinstieg am ersten Arbeitsmarkt im Anschluss.

Vorgeschichte: Drei Tage vor Weihnachten im Jahr

2002 hatte Alois einen schweren Moped-unfall. In unmittelbarer Nähe vor seinem Elternhaus fuhr er beim Nachhausefahren von seiner Lehrstelle (KFZ-Mechaniker) aufgrund von Glatteis direkt in eine Haus-mauer. Seine Verletzungen waren ein

schweres Schädelhirntrauma, Kontusions-blutungen, multiple Gesichtsschädelfrak-turen, Hämatopneumothorax und eine Lungenkontusion. Erstversorgt wurde er im Uniklinikum Graz. Sein Gesicht wurde vorerst so gut wie möglich plastisch chi-rurgisch wiederhergestellt und anschlie-ßend wurde er im LKH Wagna nachbe-treut. Zur neurologisch-orthopädischen Rehabilitation kam Alois in die Maria Theresienklinik nach Bad Radkersburg. Er erholte sich körperlich recht gut, doch wurde er als zeitweilig aggressiv und in seinen kognitiven Fähigkeiten beeinträch-tigt vom dortigen Pflegepersonal beschrie-ben. Aus dem klinisch-psychologischen

Abschlussbericht ging hervor, dass seine Daueraufmerksamkeit und die selektive Aufmerksamkeit sowohl quantitativ wie auch qualitativ herabgesetzt waren und eine berufliche Rehabilitation wurde für diesen Zeitpunkt als zu früh eingestuft.

Sozialpsychiatrische Tagesstätte Klapotetz – PSD Leibnitz:

Am 12. Mai 2003 wurde er in die Be-schäftigungstherapie der sozialpsychiat-rischen Tagesstätte Klapotetz in Leibnitz aufgenommen. Alois war hoch motiviert, denn er klagte vor allem über Langeweile und äußerte auch massive Zukunftsäng-ste. Er hatte seine Lebensorientierung verloren. Sein Traumberuf war nach wie vor die KFZ-Mechanik, doch schätzte er sich als nicht mehr fähig ein, diese Leh-re abschließen zu können. Er schilderte, dass er schon vor dem Unfall Schwierig-keiten beim Lernen gehabt habe und die Berufsschule sei eine enorme Anstren-gung für ihn gewesen. Seit dem Unfall sei seine Merkfähigkeit und die Fähigkeit zur Konzentration stark beeinträchtigt. Er habe auch Probleme im Durchhaltever-mögen und sei relativ leicht reizbar. Auch klagte er über Einsamkeit, er habe viele

Freunde seit dem Unfall verloren und könne mit den anderen Jugendlichen aus seiner Sicht nicht mehr „mithalten“. Die Gesichtsverletzungen hatten auch sein Äußeres verändert (Augenabstand war verschoben) und so fühlte er sich auch bei der Kontaktaufnahme vor allem mit Mädchen stark benachteiligt. Von Montag bis Freitag nahm nun Alois an sämtlichen Beschäftigungsangeboten teil. Besonders interessiert hat ihn der handwerkliche

(Holzwerkstatt, Haussanierungs-gruppe) und kreative (Ton-Speckstein) Bereich. Neben der langsamen Annä-herung an die Arbeitsrealität durch eine Fünftagewoche mit insgesamt 35 Be-

schäftigungstherapiestunden war das Bil-dungsangebot der TS-Klapotetz (Lernbe-treuung, Gedächtnistrainig, Wissen- und Bildungsgruppe) maßgeblich für seine kognitive Förderung. Durch die Teilnah-me am freizeitpädagogischen Programm konnte er Selbstvertrauen im Umgang mit Menschen üben und aufbauen. Er verlor zunehmend seine Schüchternheit und konnte seinen Selbstwert durch po-sitive Leistungserfahrungen steigern. Im Mai 2004 wurde Alois nochmals in der Universitätsklinik für Zahn-Mund- und Kieferheilkunde in Graz operiert. Der Au-genabstand und die Nase wurden nach-korrigiert. Im Anschluss daran wurde er wieder in die Tagesstätte Klapotetz aufge-nommen.

Nun war es an der Zeit über mög-liche weiterführende, höherschwelligere Therapieangebote nachzudenken. Der Psychosoziale Dienst Leibnitz betreibt seit 2003 eine arbeitsrehabilitative Ein-richtung in Lebring.

werkdienst-süd: Der werkdienst-süd ist eine Trai-

ningsfirma zur beruflichen Integration für psychisch beeinträchtigte Menschen in der Struktur eines Kleinbetriebes mit un-terschiedlichen Dienstleistungsangebo-ten. Alois konnte im Spätsommer 2004 in den werkdienst-süd übertreten. Dort hat-te er die Möglichkeit, seine Vorkenntnisse im KFZ-Technik-Bereich aufzufrischen und zu erweitern. Durch das Arbeitstrai-ning in der Oldtimer-Restaurierungs-werkstätte des werkdienst-süd wurde sei-ne Leistungsfähigkeit sowohl quantitativ als auch qualitativ langsam gesteigert. Im Zuge des Coachings zur Arbeitsplatz-vermittlung konnte er nach einem Jahr in einem KFZ-Betrieb in Wildon für vier Wochen eine Arbeitserprobung machen. Über das Bundessozialamt Steiermark wurde der Firma eine Integrationsförde-rung angeboten und Alois wurde fix als Mechanikergehilfe mit Vollarbeitszeit an-gestellt. n

Korrespondenzadresse:Mag. Helene PrackPSD-LeibnitzTS-Klapotetz, Sailergasse 8, 8430 LeibnitzE-Mail: [email protected]

Durch die Teilnahme am freizeitpädagogischen Programm konnte er Selbstvertrauen üben und aufbauen. Er verlor zu-nehmend seine Schüchternheit und konnte seinen Selbstwert durch positive Leistungserfahrungen steigern.

psychopraxis 274/2008

praxis