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Psychotherapie der Psychosen I Harald J. Freyberger Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Greifswald am HELIOS Hanseklinikum Stralsund

Psychotherapie der Psychosen I - helios-gesundheit.de · - Otto Fenichel (1945): psychoanalytische Neurosentheorie - Otto Rank (1925): Der Doppelgänger - Sandor Ferenczi (und Otto

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Psychotherapie der Psychosen I

Harald J. Freyberger Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

der Universitätsmedizin Greifswald am HELIOS Hanseklinikum Stralsund

F23.1 Akute polymorphe psychotische Störung mit Sympt. einer Schizophrenie

Zusätzlich schizophrene Symptomatik

F23 Akute polymorphe psychotische Störung

ja

nein Weiter im Entscheidungsbaum

nein

Akute Entwicklung eines psychotischen Zustands in längstens zwei Wochen

Akute polymorphe psychotische Störung

Auf die eigene Person bezogener nicht bizarrer Wahn einziges oder auffälligstes Symptom

Wahnhafte Störung ja

Polymorphe, rasch wechselnde affektive u. psychotische Symptome

nein

nein

Mind. 2 Jahre exzentrisches Verhalten, Anomalie von Stimmung u. Affekten

ja

F21 Schizotype Störung

nein F23.2 Akute schizophreniforme Störung

Dauer der Symptomatik mindestens ein Monat

nein

F25 Schizoaffektive Störung

Eindeutige affektive Symptome gleichzeitig während einer Krankheitsperiode vorhanden

ja

ja

Schizophrenie, schizoaffektive und schizotype Störung

Symptomkriterien erfüllt

F20 Schizophrenie

ja

Dementia praecox vs. manisch-depressives Irresein

Emil Kraepelin, 1856-1926): einmal = immer Schizophrenie = „Verblödung“, Abbau und Hospitalisierung

Grundsymptome: Assoziationsstörungen, Ambivalenz, Autismus, Störungen des Willens und Handelns, Störungen der Person

Eugen (1857-1967) und Manfred Bleuler (1903-1994): Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenien: Psychoanalyse und Funktionalität

Psychogene Psychose und Reizdeprivation/-überflutung

Erik Stroemgren (1972): Konzept der Psychogenen Psychose

Jan Gross et al. (1977): Camera silens und die Induktion von reversiblen Psychosen

Albert Hofmann (1943): LSD- Induktion von (reversiblen) Psychosen, experimentell in Therapien von Psycho- tikern und neurotischen Störungen eingesetzt

Zur Geschichte: eine parallele Konzeptwelt

-  Sigmund Freuds (1912): Konzept der „narzißtischen Neurose“

-  Karl Abrahams (1928): Ansatz zur Behandlung bipolarer Störungen

-  Otto Fenichel (1945): psychoanalytische Neurosentheorie

-  Otto Rank (1925): Der Doppelgänger -  Sandor Ferenczi (und Otto Rank, 1924):

Entwicklungsziele der Psychoanalyse -  Carl Gustav Jung (1907): Die Psychologie der

Dementia praecox, Einführung der Gruppenpsychotherapie

Psychiatrie 1930: Deprivation und Zwang: Schizophrenia simplex und Hebephrenie als Artefakt ?

Psychiatrie 1930 – Chestnut Lodge: Frieda Fromm-Reichmann und die ersten systematischen Psychotherapien

Positiv- und Negativsymptomatik (Nancy Andreasen, 1938-) als Grundlage für neurobiologische Forschung

Wahn, Halluzinationen,Ich-Störungen u.a.

vs. Affektverflachung, Alogie, sozialer Rückzug, Anhedonie u.a.

Funktionalität: Steuerung interpersonaler Beziehungen und Stimulus-/Reizkontrolle

DSM-5 Konzeption

Schizophrenie-Spektrums-Störungen: - Schizotype Persönlichkeitsstörung -  Wahnhafte Störung -  Kurze psychotische Störung -  Schizophreniforme Störung -  Schizophrenie -  Schizoaffektive Störung

Aufgabe der Erstrangsymptome und der klassischen Subtypen, Schweregradindikatoren (z.B. katatone Symptome) in allen Kategorien

Die Schwächen der klassischen Diagnostik: Die Funktionalität und die Symbolik von Symptomen

-  Die Subtypen der Diagnosenkategorien zeigen kaum verlaufs- und outcomebezogene Homogenität („Gruppe der Schizophrenien“)

-  Die Problematik des Ordungsmodells mit der Reihe: Anpassungsstörung – Neurose – Persönlichkeitsstörung – Psychose

-  Die diagnostischen Merkmale haben kaum eine indikative oder differentielle Behandlungsrelevanz

Die Schwächen der klassischen Diagnostik: Die Funktionalität und Symbolik von Symptomen

-  Komorbidität und ihre Bedeutung für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Symptomatik (z.B. PTSD, Zwangsstörungen) über Mediatoren wie zum Beispiel Dissoziation

-  Halluzinationen als Externalisierung eigener Gedanken und Vorstellungsinhalte

-  Ich-Störungen als Korrelate früher unzureichender Bindungserfahrungen

-  Wahn in seiner interpersonellen Dimension und als Konstrukt zur Beschreibung der eigenen Realität

Die Schwäche der Diagnostik: Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz: Was ist normal ?

Die Diagnostikerin/der Diagnostiker

- Die Reliabilität sinkt mit höherem Lebensalter und Zunahme der Berufserfahrung in Jahren

-  Die Reliabilität steigt mit den Trainingsanstren- gungen, wobei die Halbwertszeit etwa bei 2 Jahren liegt („booster-sessions“)

-  Es kommt zu individualisierten systematischen Verzerrungen („Lieblingsdiagnose“ vs. „aversive Diagnosen“, labeling therapiewidrigen Verhaltens)

- Komorbidität wird überzufällig häufig nicht identifiziert („ganzheitliches Bild“)

WasistdasGemeinsamepsycho1scherStörungen?

VerlustderRealitätskontrollealsIch-Funk1on:Wahn,Halluzina,onen,desintegra,vesDenken,VerlustderAffektlogik,Ich-Störungen

EinschränkungderKommunika1onnachaußen:SignaleundMi@eilungenwerdennichtausreichenbzw.nichtmehrverstandenodermüssendechriffiertwerden.Antwortensindnurpar,ellmöglich

SozialeDemarkierung:derSignalcharakterderSymptomeistsohoch,dasdiesevondersozialenUmgebungalsabweichendiden,fiziertundalsStörungbetachtetwerden,diebehandeltwerdenmussvs.sozialeIsola,on

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Achse IV: Struktur

Das Strukturkonzept in der psychdynamischen Psychotherapie nach OPD

Betrachtet strukturelle Merkmale als ein statisches und dimensionales Kontinuum der Integrationsstufen „normal“, „neurotisch“, „persönlichkeitsstrukturell gestört“, „psychotisch“ - Selbst- und Objektwahrnehmung - Selbststeuerung - Abwehr - Kommunikation - Bindungsfähigkeit

Das Strukturkonzept in der psychdynamischen Psychotherapie

Ungelöst ist bisher die Frage „psychogener Psychosen“, die sich auf dem Kontinuitätsspektrum nicht anordnen lassen …

und die Frage, warum etwa 20% der remittierten Schizophrenen auf ein stabiles Strukturniveau zurückkehren.

Psychosen-“Niveau“ ist gleichbedeutend mit Desorganisation aller Merkmale

Achse IV - Struktur

1. Kognitive Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung

1.1. Selbstreflexion: Selbstschilderung und Selbstbild beliebig, unverständlich, wenig Realitätsbezug

1.2. Affektdifferenzierung: kaum Introspektion und innerer Abstand, heftige Affektzustände, kaum Grenzen zwischen Affekten und Handlungen

1.3. Identität: verzerrte und klischeehafte Eigen- schaftszuschreibungen, u.U. wahnhaft

Achse IV - Struktur

2. Kognitive Fähigkeit zur Objektwahrnehmung

2.1. Selbst-Objekt-Differenzierung: Mühe zwischen Selbst und Objekt zu unterscheiden und sich getrennt wahrzunehmen

2.2. Ganzheitliche Objektwahrnehmung: Objekte werden einseitig negativ erlebt und nur durch Einzelmerkmale charakterisiert

2.3. Realistische Objektwahrnehmung: die innere und äußere Realität Anderer ist nicht zugänglich

Achse IV - Struktur

3. Selbststeuerungsfähigkeit

3.1. Impulssteuerung: Impulsive, wenig objekt-gebundene Affekte mit Steuerungsverlust und fehlendem Aufschub

3.2. Affekttoleranz: Negative Affekte werden reflektorisch mit Handeln beantwortet

3.3. Selbstwertregulierung: Verzerrungen der eigenen Selbstbewertung

Achse IV - Struktur

4. Steuerungsfähigkeit Objektbeziehung

4.1. Beziehungen schützen: Schutz mit dysfunktionalen, destruktiven Mitteln

4.2. Interessenausgleich: Überwertiges Erleben eigener Interessen, nicht nachvollziehbar

4.3. Antizipation: Reaktionen Anderer können für das eigene Handeln nicht berücksichtigt werden

Achse IV - Struktur

5. Emotionale Fähigkeit zur Kommunikaton nach innen

5.1. Affekte erleben: Partialaffekte im Vordergrund oder Unbeteiligtsein

5.2. Phantasien nutzen: Grenze zwischen Phantasie und Realität aufgehoben

5.3. Körperselbst: Körper wird als fremd erlebt oder entfremdend verändert

Achse IV - Struktur

6. Emotionale Fähigkeit zur Kommunikation nach außen

6.1. Kontaktaufnahme: gelingt nicht

6.2. Affektmitteilung: nicht symbolisiert/kontrolliert, Leere oder Sprengung des Rahmens

6.3. Empathie: nicht möglich

Achse IV - Struktur

7. Fähigkeit zur Bindung: Innere Objekte

7.1. Internalisierung: keine ausreichenden Selbst- und Objektrepräsentanzen

7.2. Introjekte nutzen: Partialobjekte führen zu Erregung und Verwirrung

7.3. Variable Bindungen: Bindungen auf phantasiertem oder regressivem Niveau.

Achse IV - Struktur

8. Fähigkeit zur Bindung: Äußere Objekte

8.1. Bindungsfähigkeit: Symbiotische oder angstbesetzte Bindungen

8.2. Hilfe annehmen: Fehlende Vorstellung von hilfreichen Beziehungen

8.3. Bindung lösen: Trennungen ohne Reaktion oder mit massiven Eruptionen

Übertragungspsychose

-  gefürchtete Komplikation in der klassuschen Psychoanalyse („Desaster“; Maier, 2006)

-  Infragestellung von Indikation und Behandlungstechnik

-  Übertragungsneurose von Jung, 1907: sind alle Patienten dazu fähig ? Gibt es „gute“ und „schlechte“ Varianten ?

- Searles (1963): Übertragungsneurose mit präodipalen Konfliktthemen und Selbstobjekt-Merkmalen

Übertragungspsychose

A.  Wahnhafte oder psychotische Symptomatik in der Behandlung

B.  Identifikation und Verschmelzungsprozesse (Nähe-Distanz)

C.  Realitätskontrolle in der Übertragung (außen und innen, Wahrnehmung und Vorstellung)

D.  Projektions-/Introjektionszyklen E.  Dauer und Funktionalität: sich in der Nähe des

Objekts verlieren vs. ohne das Objekt nicht existieren können (Mentzos, 1992)

Diagnostische Hilfen

Neurosen vs. Psychosen = konflikt- vs. strukturorientierte Psychotherapie

Pyramide der Symptomentwicklung

Therapeutische Implikationen

Hei

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kala