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von Heft 1/2012 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Dokumente und Standpunkte Schwerpunktthema: Landkreis Görlitz Wie macht man das Dreiländereck zukunftsfähig? Wann kommt Hilfe für das Theater Zittau? Was tun gegen ansteigendes Grundwasser? Wer verliert beim Behörden-Roulette? Wie viele Menschen zeigen Gesicht gegen Neonazis? Wohin führt Sachsens nächster Doppelhaushalt? Warum hält Sachsen an der Braunkohle fest? Wer sorgt sich um den Urwald Weißwasser?

pvl – parlament von links, Ausgabe 1/2012

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Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

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Page 1: pvl – parlament von links, Ausgabe 1/2012

von

Heft 1/2012

Fraktion DIE LINKEim Sächsischen LandtagDokumente und Standpunkte

Schwerpunktthema:

Landkreis GörlitzWie macht man das Dreiländereck zukunftsfähig?

Wann kommt Hilfe für das Theater Zittau?

Was tun gegen ansteigendes Grundwasser?

Wer verliert beim Behörden-Roulette?

Wie viele Menschen zeigen Gesicht

gegen Neonazis?

Wohin führt Sachsens nächster Doppelhaushalt?

Warum hält Sachsen an der Braunkohle fest?

Wer sorgt sich um den Urwald Weißwasser?

Page 2: pvl – parlament von links, Ausgabe 1/2012

2 pvl Heft 1/2012

Bernhard-von-Lindenau-Platz 101067 DresdenTelefon: 0351/493 5800Telefax: 0351/493 5460E-Mail: [email protected]://www.linksfraktion-sachsen.de

Parlament von links (pvl) ist das Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Pvl erscheint vier Mal im Jahr und ist kostenlos. Abo unter:

Editorial, Impressum } S. 2

2012 geht’s auch um Lehrer und Polizisten } S. 3

Parlamentarische LINKE Initiativen } S. 3

Landschaft zwischen Vernässung und Versteppung } S. 4

Sorbische Seite / Serbska Strona } S. 5

Leben und arbeiten im Kreis Görlitz } S. 6

Liebe Leserin, lieber Leser,

was hat das Wetter mit Sachsens Staatsregierung gemeinsam? Beide sind faktisch unberechenbar. Beim Wetter liegt’s am Auf und Ab der Luft-massen, bei der CDU/FDP-Koalition am politischen (Un-)Willen. Das eine kann man nicht beeinflussen. Das andere muss man beeinflussen.

DIE LINKE im Sächsischen Landtag arbeitet daran: mit 29 Abgeordneten und flächendeckend in ganz Sachsen. Dies begleitet das LINKE- Fraktionsmagazin, welches Sie gerade in den Händen halten, mit jeder Ausgabe schwerpunktmäßig in einem anderen Landkreis. Für die erste Ausgabe des 2012er Jahres ist das: Görlitz!

Wie ein dicker Kragen begrenzt dieser große Landkreis den Osten des Frei - staates und lässt schon geografisch die Herausforderungen erahnen, die ein solches, willkürlich geschaffenesGebilde mit sich bringt. Görlitz und der Bad Muskauer Pückler-Park sind als Stätten deutsch-polnischerZusammenarbeit weltbekannt. Dochwer weiß schon etwas über Schleifeoder Zittau? Darüber wird in diesem Heftebenso nachgedacht, wie über Sinn oder Unsinn der Abbaggerungvon Siedlungsgebieten oder der Zwangfusion von Landgerichten.

Zur jährlichen Altstadt-Million für Görlitz sagen wir hingegen nichts. Außer: „Glückwunsch!“ (an die Stadt) und „Weiter so!“ (an den anonymen Spender).

Worüber wir sonst noch nicht geschrieben haben? Finden Sie’s raus!Viel Spaß beim Lesen wünscht

Ihre pvl-Redaktion

Zwischen Aufbruch und Stillstand } S. 7

Der Herrgott schuf die schöne Lausitz, und der Teufel vergrub die Kohle unter ihr } S. 8/9

Energiewende? Nicht mit Tillich & Co. } S. 10

Theater Zittau: Sonnenauf- oder Untergang? } S. 11

Sachsens Hochschullandschaft verliert Farbe } S. 11

Der Herrgott schuf ... } Seite 8/9Leben und arbeiten im Kreis Görlitz } Seite 6

Görlitzer Courage sollte Schule machen! } S. 12

Keine neuen AKW zulassen! Nirgends! } S. 12

Anecken im Dreiländereck } S. 13

Braune Grenzgänger stützen Rassisten } S. 14

Bunter Schall als Widerhall } S. 15

Gewinnspiel, Tipps } S. 16

IMpReSSUM:

V.i.S.d.p.: Marcel BraumannRedaktion: Elke FahrLayout: Carola MüllerDruck: DruckHaus Dresden GmbHAuflage: 154.000 Stück (1. Quartal 2012)

Die mit Namen oder Initialen gekennzeichneten Beiträge geben die Meinung des Autors, jedoch nicht unbedingt die Ansicht des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe. Für Nachdruck signierter Beiträge ist die Genehmi-gung des Verfassers erforderlich.

Diese Publikation dient der Information und darf in einem Wahlkampf nicht zur Parteienwerbung eingesetzt werden.

Bildnachweis: Titel: efa; S. 2: © MACLEG/Fotolia.com, DAK, efa, Augen auf e.V.; S. 3: © lightart/Foto-lia.com, efa; S. 4: © uschi dreiucker/PIXELIO; S. 5: © Cornelia Menichelli/PIXELIO; Montage: efa; S. 7: www.factory-7.de, johannes-vortmann/PIXELIO, efa; S. 8, 9: efa; S. 10: © Jochen-Sievert/PIXELIO, DAK; S. 11: © Rainer Sturm/PIXELIO, © julien tromeur/Fotolia.com, Collage: efa; S. 12: Thommy Weiss/PIXELIO, © Gerd Altmann/PIXELIO; S. 13: © t.s./PIXELIO; S. 14: © teka77/Fotolia.com, Paul Marx/PIXELIO; S. 15: Augen auf e.V.; S. 16, Cartoon: Harm Bengen/toonpool.com, © Petra Hegewald/PIXELIO, © AAA/Fotolia.com, efa.

pvl verpasst? Alle Ausgaben zum Download unter www.linksfraktion-sachsen.de

Titel: Die Skulptur im Njepila-Hof in Schleifer Ortsteil Rohne ist dem sorbischen Volksschriftsteller Hanzo Njepila (1766–1856) gewidmet, der in Rohne lebte und als erster nichtgeistliche Schriften im Schleifer Dialekt verfasste. Der Hof wird vom Njepila-Verein betrieben.

Bunter Schall als Widerhall } Seite 15

INHALTSVeRZeIcHNIS

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3pvl Heft 1/2012

In diesem Jahr geht es in der Landespolitik wieder um viel Geld, nämlich um den Dop-pelhaushalt 2013/2014 für Sachsen. CDU und FDP reden über nichts so oft, gern und lange wie über ihre Forderung nach Einfüh-rung eines Neuverschuldungsverbots in der Verfassung. Die „Schuldenkrise“ ist euro-paweit fast in aller Munde, wer wollte da neuen Schulden das Wort reden? Nun hat Sachsen seit 2006 überhaupt keine neuen Schulden gemacht, und auch wir als größte Oppositionsfraktion haben seit 2000 unsere Alternativ-Vorschläge zur Haus-haltspolitik der CDU-geführten Landesre-gierungen so entwickelt, dass wir sie ohne zusätzliche Schulden hätten verwirklichen können. Und schon in wenigen Jahren gilt die vom Bundesgesetzgeber beschlossene

„Schuldenbremse“ ohnehin auch für die Bundesländer – was also wollen CDU und FDP eigentlich mit ihrem Ruf nach dem Schuldenstopp in der Verfassung?

CDU und FDP wollen ablenken – von dem, worüber sie lieber nicht reden: Von den Lehrern und Polizisten, die schon bald feh-len werden. Vom drohenden Niedergang der Bildungsqualität an Sachsens Schu-len und Hochschulen, von der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. CDU und FDP wollen nicht über zunehmenden Unter-richtsausfall reden und auch nicht über Polizeireviere, die es – besonders auch in Ostsachsen – schon bald nicht mehr geben wird. Wir fordern nicht, Geld auszu-geben, das der Staat nicht hat, sondern es

dort einzusetzen, wo die Gesellschaft den größten Bedarf hat. Zum Beispiel mehr in Bildung und die Betreuungsqualität der Jüngsten zu investieren und den Personal-schlüssel im Kindergarten zu verbessern, der zurzeit in Sachsen bei 1:13 liegt und vielerorts Gruppen mit bis zu 18 Kindern bedeutet. CDU-Fraktionsvorsitzender Stef-fen Flath fordert stattdessen ein Betreu-ungsgeld für Eltern, die darauf verzichten, ihre Kinder in die Kita zu schicken – das ist Politik von vorgestern!

In diesem Jahr wird zudem über den neuen Landesentwicklungsplan zu reden sein. Auch hier geht es nicht um mehr Geld, son-dern um die richtigen Weichenstellungen: zum Beispiel den Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2040. Braunkohle ist ein wichtiger Rohstoff für die Wirtschaft künftiger Generationen, er darf auch aus Gründen des Klimaschutzes lang-fristig nicht mehr einfach verfeuert werden. Sie sehen: Wir weichen auch heiklen The-men nicht aus und laden Sie herzlich ein, mit uns darüber ins Gespräch zu kommen, was Sachsen wirklich bewegt!

MdL Dr. André Hahn Fraktions-vorsitzender

2012 geht’s auch um Lehrer und Polizisten

Zwischen November 2011 und Januar 2012 hat die Fraktion DIE LINKE zwei Gesetzent-würfe, eine Große Anfrage, vier Entschlie-ßungsanträge und 26 Anträge in den parla-mentarischen Geschäftsgang gebracht.

Die Gesetzentwürfe zielen auf

» mehr Beteiligung und Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche in Sachsen. DIE LINKE möchte u.a., dass Jugendliche ab vollendetem 16. Lebensjahr bei Volksanträgen, Volksbe-gehren und Volksentscheiden (Landesebene) sowie bei Einwohneranträgen, Bürgerbe-gehren und Bürgerentscheiden (Kommunen) ihre Stimme abgeben können (Drs 5/7652)

» die Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen in Sachsen. Aufgrund stark zurückgehender Haushaltsmittel können Kom-munen kaum noch investieren. Der Gesetzent-wurf der LINKEN sieht vor, die Investitionspau-schale für Kreisfreie Städte und Landkreise im Jahr 2012 zu verdoppeln. (Drs 5/7777)

Ein gemeinsamer entschließungsantrag von DIE LINKE, CDU, FDP, GRÜNE, SPD zur Information des Staatsministers des Innern zum Sachstand zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (Drs 5/7535) wurde angenom-men. Der Antrag der LINKEN auf „Einsetzung einer Unabhängigen Untersuchungskommis-sion zur Aufklärung der Mitverantwortung sächsischer Sicherheits- und Strafverfol-gungsbehörden für das ungehinderte Wirken der Terrorzelle ‚Nationalsozialistischer Unter-grund‘“ (Drs 5/7600) wurde jedoch abgelehnt. Ebenso der Dringliche Antrag der LINKEN auf eine entsprechende Erweiterung des Untersu-chungsgegenstandes des bestehenden Unter-suchungsausschusses (Drs 5/8006).

Mittels einer Großen Anfrage will DIE LINKE von der Staatsregierung detaillierte Informati-onen über das „Leben in der zweiten Lebens-hälfte – der über 50-Jährigen in Sachsen“ erhalten (Drs 5/7982).

Mit ihren Anträgen forderte DIE LINKE u.a. ein Verbot und die Auflösung des neonazis-tischen „Freien Netzes“ (Drs 5/7428); eine solidarische Mindestrente zur Bekämpfung der Altersarmut (Drs 5/7365); mehr Anstren-gungen für eine bessere Gesundheitspräven-tion (Drs 5/7726) und mehr Rechte für Pati-entinnen und Patienten (Drs 5/7727); die Stärkung der Finanzkraft der Städte, Gemein-den und Landkreise durch vorgezogene Beteiligung an den Steuereinnahmen Sach-sens (Drs 5/7777); Maßnahmen gegen den Unterrichtsausfall in Sachsen (Drs 5/7493) sowie Konsequenzen aus dem Verbraucher-bericht 2011 (Drs 5/7889).

Drs = Drucksachennummer

Alle Drucksachen sind unter www.linksfraktion-sachsen.de unter „Dokumente“ abrufbar.

Parlamentarische LINKE Initiativen (Auswahl)

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4 pvl Heft 1/2012

Umsetzung solcher Anpassungsstrategien in die landwirtschaftliche Praxis mit För-dermitteln unterstützt wird. Darüber hinaus braucht es Vorsorge für Notsituationen. Statt immer wieder nur „Feuerwehr“ zu spielen, sollte die Staatsregierung die Agrarbetriebe in ihrer Forderung an den Bund unterstützen, steuerfrei Rücklagen (Risikoausgleichsrück-lage) aus betrieblichen Gewinnen bilden zu können.

Auch die Kommunen können Extremwetter-schäden nicht alleine schultern. Das Som-merhochwasser 2010 im Landkreis Gör-litz kostete mehr als 260 Mio. Euro! Nach der Jahrhundertflut 2002 wurde viel Geld in die Erarbeitung und Umsetzung von Hoch-wasserschutzkonzepten für Fließgewässer I. Ordnung gesteckt. Mindestens genauso dringend müssen kleinere Bachläufe und Grabensysteme auf Vordermann gebracht werden. Dafür fehlt den Gemeinden aber neben Geld und Fachpersonal auch die geeignete Struktur.

Die LINKE hat dazu zwei Anträge einge-bracht, nach denen der präventive Hoch-wasserschutz an Gewässern II. Ordnung finanziell und personell gefördert und die Kommunen bei der Ursachensuche und Maßnahmenumsetzung bei Vernässungen im Zuge des Grundwasseranstiegs unterstützt werden sollen. Und: Statt den hochwasser-gebeutelten Bürger nur auf seine private Ver-sicherungspflicht zu verweisen, sollte sich der Freistaat für eine allgemeine Elemen-tarschadenversicherung einsetzen, um die Belastungen durch unterschiedliche Risiken gerecht und sozial verträglich zu verteilen.

Die ärgsten Feinde des Bauern sind die vier Jahreszeiten: Erst nass und frostig zur Aus-saat, dann heiß und trocken, wenn das Pflanzgut wächst, und schließlich wieder nass zur Ernte. So war es 2010 und 2011. Das spürt der Bauer zuerst am Ertrag und dann im Portmonee … In Extremfällen sau-fen Ackerflächen aber auch komplett ab, wie beim Augusthochwasser 2011 entlang der Neiße. Nun ist der Landwirt kampferprobt im Umgang mit Wetterunbilden, allerdings erfordern der deutlich spürbare Klimawandel und die Auswirkungen des Bergbaus neue Strategien.

Trotz teils chaotischer Witterung in den ver-gangenen Monaten bestätigt sich der Trend sowohl für Sachsen als auch für die Oberlau-sitz: Es wird insgesamt wärmer und trockner, gerade auch rund um das Oberlausitzer Berg-baurevier. In der Vegetationsperiode mangelt es oft an Niederschlägen, dafür gibt es mehr Wetterextreme: Hitzeperioden, Stürme, Stark- regen und Hochwasser. Keine rosigen Aus-sichten für die ackerbaulich minderwertigen

Böden der „Sandbüchse“ Lausitzer Heide. Verstärkt wird dieser klimatische Trend durch massive Eingriffe in den Wasserhaus-halt im Zuge des Bergbaus. Nach der Kohle steigt das Grundwasser, kommt dann noch oberirdisch zu viel des kühlen Nass hinzu, stehen schnell Felder, Straßen und Siedlun-gen unter Wasser. Vernässung und Verstep-pung werden langfristig die zwei extremen Pole der landwirtschaftlichen Produktion in der Oberlausitz.

Damit nimmt die Ertragssicherheit ab und nehmen Bodenerosion, neue Schaderre-ger, Unkräuter und Pflanzenkrankheiten zu. Nur mit geeigneten Fruchtarten und -folgen, Bodenbearbeitungsmethoden, Erosions-schutz und gezieltem Wassermanagement kann der klimatischen Entwicklung begegnet werden. Die Land- und Forstwirtschaft muss regionale Anpassungsstrategien aus der Kli-maentwicklung ableiten. Die Agrarforschung muss neue standortangepasste Pflanzen züchten und Anbautechniken vervollkomm-nen. Entscheidend aber wird sein, wie die

MdL Kathrin Kagelmann Sprecherin für Agrarpolitik

Wenn im Keller Wasser steht …

… ist oft der Bergbau nicht sehr weit. Um Braunkohlebergbau betreiben zu können, muss der Grundwasserspiegel gesenkt werden. Ist die Kohle abgebaut, wird die Lagerstätte wieder der Natur preisgegeben. Dazu lässt man auch dem Grundwasser wieder seinen freien Lauf. Theoretisch sollten sich dann Verhältnisse wie vorm Berg-bau einstellen. Die Realität sieht anders aus.

Beispiel Lausitz: Neben der Tatsache, dass es hier mitunter deutlich mehr regnet als zuvor, wirkt sich zunehmend auch die voranschreitende Flutung der Tagebaue aus: In Anlieger-Kommunen steigt das Grundwasser. Eine Ursache dafür ist, dass nach dem Abriss von Kraftwerken keine Tiefenenttrümmerungen durchgeführt wurden. Ein weite-rer Grund für die Vernässung ist die jetzt veränderte Wasserdurchlässigkeit des Bodens. Die früher unveränderten Sande des Urstromtals sind jetzt in Kippen mit Kraftwerks-Aschen oder sog. Kohletrüben vermischt und somit weniger wasserdurch-lässig. Frühere Entwässerungssysteme existieren nicht mehr oder funktionieren nicht.

Will man dauerhaft bewohnte Regionen nicht unter Wasser lassen, darf es nicht bei Einzellösungen wie dem Anheben von Gebäuden bleiben. Räumliche Lösungen müs-sen her! Das ist auch deshalb wichtig, weil das Nachbergbau-Grundwasser chemisch nicht dem des Vorbergbaus entspricht. Es ist sauer, sulfat- und eisenreich und beton-aggressiv. Allein dies schreit nach einer landesgesteuerten Lösung des Problems.

MdL Dr. Jana Pinka, Sprecherin für Umwelt- und Technologiepolitik

Landschaft zwischen Vernässung und Versteppung

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entfallende Mietzahlungen und an die 17.000 dann nicht mehr besetzte Stellen.

Ob sich’s wirklich rechnet, könnte theore-tisch eine solide Kosten-Nutzen-Analyse zeigen. Praktisch gibt es die aber nicht. Stattdessen setzt die Staatsregierung mehr auf kreative Ideen. Davon zeugt in besonderer Weise, wie verfassungsrechtli-che Bedenken nach der Degradierung des Landgerichts Bautzen zur Görlitzer Außen-stelle pariert wurden. Da Sorben laut Bun-des-Gerichtsverfassungsgesetz in ihrem Heimatkreis vor und im Gericht praktisch sorbisch sprechen können müssen, wurde – zack! – der Landkreis Görlitz theoretisch zum zweiten sorbischen Heimatkreis in Sachsen erklärt. Donnerwetter! Was für ein Schachzug! Und vermutlich auch des-halb so schnell, weil weder Sorbenrat, noch Domowina oder die Sorbenbeauf-tragten aus Bautzen und Görlitz gefragt wurden.

Mit 68 Ja- und 56 Nein-Stimmen flutschte das sog. Standortegesetz im Januar nicht ganz so teflonartig durchs Sachsen-Parla-ment, wie man es sonst aufgrund schwarz-gelber Landtagsmehrheiten gewohnt war. Grund dafür könnte sein, dass das Geset-zeswerk theoretisch als Kernelement einer „Staatsmodernisierung“ verkauft wird, das sich praktisch als Rohrkrepierer erweisen könnte, da mit ihm Arbeitsplätze, Bürger-service und Bürgerrechte verloren gehen.Bevor das allerdings spürbar wird, sollen die Umzugswagen rollen: Der Landesrech-nungshof zieht von Leipzig nach Döbeln, die Aufbaubank von Dresden nach Leipzig, landesweit werden Polizeidirektionen und -reviere geschlossen, Finanzämter zusam-mengelegt und Gerichte zu Zweigstellen runtergestuft. Fast 300 Mio. Euro soll das Ganze bis 2021 kosten, über eine Milliarde Euro an Einsparungen erhofft sich die Lan-desregierung nach Abschluss des Behör-den-Roulettes durch Gebäudeverkäufe,

Dass damit das Personal im Görlitzer Gericht nicht automatisch auch sorbisch spricht, ficht die Koalition übrigens nicht an, schließlich – so ihr Argument – habe es selbst in Bautzen praktisch noch nie eine Verhandlung in sorbisch gegeben. Nach dieser Lesart könnte sich theore-tisch nun jeder auch die GEZ-Gebühr spa-ren, der zwar eine Glotze hat, diese aber nie nutzt …Ob das Standortegesetz so umgesetzt wird, wie es jetzt beschlossen wurde, könnte theoretisch auch vor Gericht ent-schieden werden, denn praktisch muss, wer das Sorbenrecht in der Verfassung hat, selbst den theoretischen Bedarf an sorbischen Gerichtsverhandlungen mit praktischer Machbarkeit unterlegen. Die Sorben jedenfalls können darauf beste-hen, uneingeschränkt ihre Sprache zu sprechen. Auch vor Gericht. Praktisch und theoretisch. efa

Nachdenkliches in Theorie und Praxis

Sorbische Seite Serbska Strona

Přemyslowanja hódne w teoriji a praksyJenož 68 hłosow za stejnišćowy zakoń – při 56 přećiwnych hłosach – na posedźenju sakskeho krajneho sejma we wulkim róžku – to bě mjenje hač je čorno-žołta wjetšina zwučena. Snadź to na tym zaležeše, zo drje su zakoń teoretisce jako jadro „moder-nizacije stata“ předali, štož pak by so jako parod wopokazać móhło, dokelž dźě dźěłowe městna, serwis wobydlerjam a byrgarske prawa k rakecam jědu.

Prjedy hač ludźo to pytnu, maja přećahowanske wozydła jězdźić: Krajny zličbowanski zarjad so z Lipska do Döbelna přesydli, natwarna banka z Drježdźan do Lipska, po wšěm kraju so policajske direkcije a rewěry zawru, financne zar-jady so hromadu połoža a sudnistwa so na wotnožki degraduja. Nimale 300 mio. euro ma to wšo hač do 2021 płaćić. Wjac hač jedneje miliardy zalutowanych kóštow so krajne knježerstwo po skónčenju „zar-jadniskeho ruleta“ 22 nadźija: přez předań twarjenjow, wotpadnjene podružne pjen-jezy a hač do 17.000 hižo njewobsadźenych personalnych městnow.

Hač so to woprawdźe wudani, by teoretisce solidna analyza kóštow a wužitka pokazać móhła. W praksy pak tajkeje analyzy njeje. Město toho statne knježerstwo bóle do kreatiwnych idejow wěri. Najlěpši dopo-kaz toho je, kak buchu wustawoprawniske

wobmyslenja po degradowanju kra jneho sud-nistwa Budyšin na wotnožku Zhor-jelca wotwoba-rane. Dokelž dyr-bjeli Serbja po zwjazkowym sud-niskowustawowym zakonju na sud-nistwje praktisce serbować móc, bu wokrjes Zhorjelc – cak – teoretisce jako druhi serbski domizniski wokrjes deklarowany. Dun-der njechał, kajki je to šachowy ćah! A najskerje je so to tak chětř radźiło, dokelž njeje so knježerstwo ani Serbskeje rady ani Domowiny ani społnomócnjenych za serbske naležnosće we wokrjesomaj Budyšin a Zhorjelc prašało.

Zo personal nětk w Zhorjelskim sudnist-wje awtomatisce serbsce rěčeć njebudźe, koaliciju njemyli. Wšako njeje ani w Budyšinje praktisce ženje serbskeho jed-nanja było – tak jeje argument. Po tutym wułožowanju by sej teoretisce kóždy GEZ-popłatk zalutować móhł, kiž drje

telewizor ma, ale telewiziju njehlada ...Hač so stejnišćowy zakoń tak zwoprawdźi, kaž bu nětk wobzamknjene, by so teo-retisce tež na sudnistwje rozsudźić móhło, dokelž praktisce dyrbi tón, kiž ma serbske prawo we wustawje, teoretisku potrjebu serbskich jednanjow z praktiskej realizujomnosću sam podkłasć. Serbja znajmjeńša móža na tym wobstawać, zo chcedźa bjez wobmjezowanja swoju rěč wužiwać. Tež na sudnistwje. Praktisce a teoretisce.

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Leben und arbeiten im Kreis GörlitzDer Landkreis Görlitz ist der östlichste Kreis Sachsens. Er teilt seine längste Grenzlinie mit Polen, stößt im Süden an Tschechien und im Norden an Brandenburg. Zwischen dem sorbischen Siedlungsraum im Nordteil und dem ganz im Süden liegenden kleinsten Mittelgebirge Deutschlands, dem Zittauer Gebirge, sind Tradition und Moderne, Lokal kolorit und Internatio-nalismus zuhause. Davon zeugen u.a. der berühmte Pückler-Park, der Findlingspark Nochten oder die welt-erbeverdächtige Görlitzer Altstadt. Aber es gibt auch Probleme, wie der ständig steigende Altersdurch-schnitt der Bevölkerung, hohe Abwanderungsraten sowie fehlende Arbeit und niedrige Einkommen.

Für DIE LINKE Landtagsfraktion sind zwei überzeugte Ostsächsinnen im Kreis Görlitz aktiv: Heiderose Gläß und Kathrin Kagelmann. Pvl bat beide, folgende Sätze zu ergänzen:

1. „Landkreis Görlitz“ bedeutet für mich …

2. Das Beste, das unserem Land-kreis passieren könnte, wäre …

3. Zuversicht und Mut für meine Arbeit ziehe ich aus …

MdL Kathrin Kagelmann:

1. … zuallererst Verwaltungsstruktur. Allerdings eine seelenlose, weil künstlich aufgepfropft. Die bereits mit der Gründung angelegte Finanzschwäche engt den ohne-hin geringen kommunalen Gestaltungs-spielraum weiter ein, führt zu ungesunden Verteilungskämpfen zwischen den „Alt-Kreisen“ und verhindert die Herausbildung einer neuen Kreisidentität. Sie hat aber auch zu ungeahnten politischen Konstel-lationen im Kreistag geführt und die läh-mende CDU-Mehrheit punktuell durchbro-chen. Das ist spannend. Ich selbst sehe mich eher als Oberlausitzerin und damit als Bewohnerin einer kulturhistorisch und landschaftlich reizvollen Region.

2. … ein Zuwanderungs- und Babyboom! Nur ist der genauso realistisch, wie der imaginäre Großinvestor, der mittels der tollen Straßeninfrastruktur seit 20 Jahren angelockt werden soll … Deshalb müssen wir uns auf die verlassen, die immer noch da sind – Menschen wie Unternehmen. Weil wir mehr Potenzial haben, als man uns andernorts zutraut, sollten die Menschen hier eigenverantwortlich entscheiden kön-nen, welche Firmenidee es lohnt, geför-dert zu werden, z.B. über Regionalfonds. Aber genauso wichtig für die Lebensqua-lität sind eine breite Kulturlandschaft mit den Theatern in Görlitz und Zittau, wohn-ortnahe Schulen und Kitas, ausreichend Ärzte und Krankenhäuser und eine bunte Vereinslandschaft. Kaputtsparen ist das Gegenteil von Entwicklung. „Entleerungs-räume“ brauchen mehr kreative Ideen und weniger Rückbau-Szenarien.

3. … auf jeden Fall aus meiner Familie und meinen Freunden. Vor allem aber auch aus meiner schwer erarbeiteten Fähig-keit, gnadenlos abschalten und auftan-ken zu können – im Urlaub, in der Sauna oder im Konzert. Aber eigentlich braucht man als Linke im Land eher Durchhalte-qualitäten, um nicht an der zunehmen-den Macht arroganz und Ignoranz zumeist alteingesessener Besitzstandswahrer zu verzweifeln.

MdL Heiderose Gläß:

1. …„Alles Banane“ – nein – Spaß bei-seite. Der Name „Bananenkreis“ machte im Rahmen der Kreisgebietsreform wegen der Form des neuen Großkreises die Runde. In der Tat ist der Kreis ent-lang der Neiße mit seiner mehr als 100 Kilometer langen Nord-Süd-Ausdehnung ein eigenartiges Gebilde. Und er bedeu-tet eben auch weite Wege für die Einwoh-ner/innen, besonders im dünn besiedel-ten Norden. Und er erfordert auch eine moderne Infra- und Behördenstruktur. Doch auch die Identitätsfindung im neuen Kreis war und ist schwierig. Noch immer ist eine Art Nord-Süd-Trennung spürbar, weil viele Einwohner/innen, vorrangig im Altkreis Löbau-Zittau, die Kreisgebietsre-form ablehn(t)en.

2. … eine Vereinigung mit dem Landkreis Bautzen zum Oberlausitzkreis! Ich habe diesem Gedanken, den einige Kommunal-politiker/innen 2008 vertreten und dis-kutiert haben, viel abgewinnen können, denn die Oberlausitz ist – ähnlich wie das Vogtland – ein einheitliches historisches Gebilde mit vielen Gemeinsamkeiten und Traditionen. Auch waren viele Institutio-nen und Behörden schon so konzipiert, z.B. der Kulturraum, Planungsverband, Mar-ketinggesellschaft, Bildungs- und Arbeits-agentur oder Polizei. Das hätte viel Kon-kurrenz verhindern können, aber vielleicht wäre dieser Kreis dann ja zu groß und zu einflussreich geworden …

3. … dem Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger im Kreis, trotz der vielen Prob-leme und immer neuen Schwierigkeiten, die man zu bewältigen hat, will man ein reges Vereinsleben aufrecht erhalten. Ich denke da bspw. an den Frauenring Ober-lausitz oder an den Zittauer Verein „Frauen helfen Frauen e.V.“, an den Aussiedlerver-ein „Neue Heimat“ oder die verschiedenen Jugendvereine, die sich in der antifaschis-tischen Arbeit engagieren. Aber auch bei Veranstaltungen und an Informationsstän-den bekomme ich immer viel Zuspruch und neue Anregungen für meine Arbeit.

MdL-BürgerbürosDIe LINKe im Landkreis Görlitz

Bürgerinnen- und Bürgerbüro Löbau (MdL Heiderose Gläß)

Innere Bautzener Straße 302708 Löbau

+49 (0)3585 / 41 78 77 +49 (0)3585 / 41 78 76

[email protected]

Bürgerinnen- und Bürgerbüro Niesky (MdL Kathrin Kagelmann)

Muskauer Straße 102906 Niesky

+49 (0)3588 / 25 89 15 +49 (0)3588 / 25 89 16

[email protected]

[email protected]

(MdL = Mitglied des Landtags)

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7pvl Heft 1/2012

Zwischen Aufbruch und StillstandDie Lausitz schrumpft. Nach der 5. regio-nalisierten Bevölkerungsprognose wird die Einwohnerschaft im Landkreis Görlitz bis zum Jahr 2030 um ein Fünftel des aktuel-len Standes abgesunken sein. Gründe dafür sind Abwanderung, weniger Geburten und Überalterung.

Neben einer fast schon okkulten Beschwö-rung der guten wirtschaftlichen Entwick-lung, musterschülerhafter Finanzpolitik und der Torwächterfunktion zum Osten versucht Sachsens Staatsregierung, sich dem nega-tiven Bevölkerungstrend mit der Zulassung monströser Einkaufstempel in den Stadt-zentren, neuen Superstraßen ins Nichts und Blechen voller Eierschecke zum Anlocken rückkehrwilliger Berufspendler entgegen zu stellen. Ob die Erosion von Grundzentren und die Auszehrung der Landkreise damit durchgreifend gestoppt werden kann, darf durchaus bezweifelt werden.

Macht planerischer Unsinn Stadtzentren platt?

Es fehlt an konkreten Infrastruktur- und Raumordnungsprojekten. Das muss in der gerade begonnenen Auseinandersetzung um den kommenden Landesentwicklungs-plan mit seinen Auswirkungen weit über seine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren hin-aus eine herausgehobene Rolle spielen. Die Kommunalfinanzen sind seit Jahren auf Tal-fahrt, es fehlt das Geld für die dringlichsten Dinge. Straßensanierungen werden zurück-gestellt, die Sanierung historischer Gebäu-debestände lohnt nicht mehr, weil diese längst einsturzgefähr-det sind. Für sanierte Wohnungen müssen solvente Mieter gefun-den werden, während private Eigentümer oft mit Dumpingprei-sen locken und letzt-lich doch versuchen, ihre Immobilie an die

Kommune zu verschenken. Dort hebt man verständlicherweise die Hände, reichen doch die Mittel oft nicht mal für den geordneten Abriss.

Wo Immobilien aber nicht vermietbar und damit nicht zu erhalten sind, fällt meist auch der Einzelhandel in den altstädtischen Bereichen in die Krise. Leider weiß man dem stadtplanerisch nur mit dem Bau übergroßer Einkaufs-tempel zu begegnen: Oft werden diese – vorbei an Denkmalschutz und sinnvoller Stadtbild-Gestaltung – direkt in den Stadtkern „gepflanzt“. Angesichts jahrzehntelanger Vernach-lässigungen historischer Bausubstanz ist das Desinteresse an Denkmalschutz und am Erhalt von Baudenkmälern nicht mehr als das Ergebnis einer selbsterfüllenden Pro-phezeiung. Glücklicherweise begehren Bür-ger und Einzelhändler zunehmend gegen die

ruinöse Centerkonkurrenz auf. In Görlitz bspw. scheint es gerade zu gelingen, mindestens acht Grün-derzeithäuser, die einem Einkauf-stempel weichen sollen, vor dem Abriss zu bewahren.

Verpasste Chancen im Dreiländereck?

Der Freistaat hat nicht nur die Aufgabe, Kommunen ausreichend auszufinanzieren, er muss sie über die Landesentwicklungs- und Fachpolitik endlich auch sinn-

voll steuern. DIE LINKE schlägt grundzent-rale Verantwortungsräume vor, in denen die Kommunen in kooperativer Eigenregie ihre Region selbst ausgestalten. Von der Sied-lungsstruktur und –politik bis zum Verkehr. Dabei muss der Freistaat finanziell und poli-tisch Hilfestellung geben, auch gegenüber dem Bund und Europa.

Das Dreiländereck besser miteinander zu vernetzen heißt auch, die Verkehrsinfra-struktur und das Verkehrsangebot zu erwei-tern und zu ertüchtigen. Sicher, der Neubau der B 178 ist zu Recht umstritten, scheint

doch ein Ausbau der bisherigen B 178 hin zur A 4 nicht nur land-schafts- und umwelt-schonender, er wäre auch ökonomisch sinn-voller. Der Freistaat muss sein Bekenntnis zur Tor- und Brücken-funktion des Dreilän-derecks mit weiteren konkreten Projekten untersetzen bzw. kor-rigierend eingreifen.

So ist es skandalös, dass die Schienenver-kehrsanbindung von Dresden nach Wrocław durch Nahverkehrsprodukte bedient wird. Hier muss eine wirkliche Fernverkehrsan-bindung mit Halt in Görlitz und vielleicht auch anderen Orten her! Nur mit Kopfschüt-teln muss zur Kenntnis genommen werden, dass die Beibehaltung des Status quo mit brechend vollen Nahverkehrszügen in der Grenzregion nach und von Polen und Tsche-chien bereits ein großer Sieg für die sächsi-sche Staatregierung sein soll. So jedenfalls wird kein sinnvolles und Regionen verbin-dendes Verkehrskonzept entstehen können, über das die Region des Dreiländerecks zur prosperierenden und mithin wirklichen Euro-Region werden könnte.

Der trinationale Entwicklungsraum Lau-sitz und seine auch touristischen Poten-ziale werden nach wie vor nicht beherzt angegangen. Bereits 2009 wies DIE LINKE in ihrem Lausitzforum darauf hin, dass bis zu 50 Prozent aller Touristen aus der Slo-wakei, Tschechien und Polen kommen. Die Hochschullandschaft der Region reagierte und legte Schwerpunkte u. a. im Bereich des Tourismus fest. Mit den hochschulpo-litischen Entwicklungen der jüngsten Zeit wird jedoch auch dies negativ beeinflusst. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens Projekte wie die Brücke über die Neiße bei Zittau zu Ende gebracht werden, zumindest die Aus-finanzierung des Nahverkehrssektors in der Region sichergestellt ist und das länderü-bergreifende Erfolgsprojekt „Trilex-Bahn“ vor dem Hintergrund der Preisentwicklung im Bereich der Schienenverkehrsentgelte nicht im Stich gelassen wird.

MdL enrico Stange Sprecher für Infrastrukturpolitik

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Die Zeit der Einwände gegen die Auswei-tung des Braunkohletagebaus Nochten ist vorbei. Anfang 2013 wird darüber entschie-den. Geht der „Daumen hoch“, senkt er sich über 1.550 Menschen, die dann Haus, Hof und Heimat verlieren. Erneut müsste die Gemeinde Schleife (sorbisch: Slepo) sorbi-sches Siedlungsgebiet hergeben. Und mit dem „Urwald Weißwasser“ fiele eines der ältesten und artenreichsten Waldgebiete Sachsens dem Bergbau zum Opfer.

„Das geht an die Grundfesten der Lebensgestaltung“, sagt Manfred Her-masch, Gemein-derat , Sorben -beauftragter des Landkreises Görlitz und Domowina-Ver-treter des Regional-verbands Weißwas-ser/Niesky – und Einwohner von Rohne und damit selbst davon bedroht, sein Zuhause zu ver-lieren. Der Gemeinderat hat sich mehrfach gegen die Abbaggerung des sog. Planungs-feldes II ausgesprochen. Kommen die Bag-ger dennoch, will man aber vorbereitet sein: „Wir richten uns auf beides ein. Fällt die Entscheidung zu bleiben, dann bleiben wir. Aber gleichzeitig müssen wir die Zeit, die wir jetzt haben, dafür nutzen, dann ohne große Schwierigkeiten neu anfangen zu können.“

Besser aktiv vorsorgen, statt passiv abwarten.

Für Privatmann Hermasch heißt das, seine Familie darauf vorzubereiten, woanders neu anzufangen, und zu schauen, wie sich das Leben als Großfamilie künftig regeln

lässt. Heute leben die Hermaschs in drei Generationen auf einem Grundstück. Für Gemeindevertreter Hermasch heißt das, das Dorf für potentielle Umsiedler sowie für Alteingesessene attraktiv zu machen. Wird abgebaggert, soll bspw. der sorbi-sche WITAJ-Kindergarten von Rohne nach Schleife ziehen. Werden die WITAJ-Kinder „flügge“, steht ihnen dann in Schleife ein zweizügiger deutsch-sorbischer Schulkom-plex mit Grund- und Mittelschule zur Verfü-

gung. Diesen dafür „fit“ zum machen, wurden Ende 2011 schon mal 8 Mio. Euro Fördermittel zugesagt. Viele der von Abbaggerung bedrohten Men-schen sind fortge-schrittenen Alters, auch für sie baut Schleife ein gene-rationsübergreifen-des Wohnprojekt, das auf bis zu 120

Wohneinheiten aufgestockt werden kann. „Die Menschen sollen zuhause in Schleife alt werden können“, sagt Hermasch und macht für dort zu beschäftigende Betreuungskräfte sorbische Sprachkenntnisse zur Bedingung.

Vattenfall lässt sich die Landnahme eini-ges kosten. Basis für den Geldfluss Rich-tung Gemeinde ist der Braunkohlevertrag von 2009. Schleife versucht damit u.a., den Verlust an Heimat für mögliche Umsied-ler erträglicher zu gestalten und sorbi-sche Traditionen zu bewahren. Zwei Stif-tungen wurden gegründet: „Zu Hause in Schleife, Rohne, Mulkwitz“ und „Zukunft für Schleife“. Davon wiederum profitieren die Ortsvereine und werden gemeindliche Vor-haben realisiert. Auf sozialer Ebene wurden ein Konfliktmanagement und eine über-kirchliche Seelsorge eingerichtet.

Vattenfall ändert Abbauplan, Politik lässt Dörfer im Stich

Manfred Nickel wohnt schon immer in Rohne, und so lange er denken kann, war hier die Kohle: „Nochten läuft seit 1973. Bei uns war das nicht wie in Heuersdorf oder Wel-zow. Wir tragen das Ganze, auch weil viele von uns dort arbeiten“, so der 68-Jährige. 2009 jedoch kippte die Stimmung, man sah sich von Vattenfall getäuscht. „Der Abbau-plan von 1994 war richtig. Nach der Umset-zung dieses Planes sollte dann Schluss sein. Jetzt aber haben die das damalige Vorrang-gebiet in Abbaugebiet II umbenannt und wollen es wegbaggern! Das darf auf keinen Fall passieren“, ist Nickel entsetzt.

Neben den traditionellen Vierseitenhöfen in den schmuck hergerichteten Dörfern ist es die historische Heimstatt des legendären sorbischen Volksschriftstellers Hanzo Nje-pila, der im 18. Jahrhundert hier lebte und dessen Erbe Nickel sehr am Herzen liegt. Erst 2006 wurde der „Njepila-Hof“ in Rohne liebevoll rekonstruiert und gibt heute Ein-blicke in das frühere sorbische Bauernle-ben und in die Besonderheiten der Schleifer Tracht, Sprache und Tradition. Zudem dient die Anlage als Ortszentrum und Sitz des För-dervereins Njepila-Hof.

Manfred Nickel hadert damit, dass es nicht mehr Widerstand im Ort gibt. „Ein Teil der Leute will lieber heute als morgen weg. Die Alten wollen hier bleiben und hier sterben und die Jüngeren wollen endlich wissen, ob sie nun weg müssen oder nicht, damit sie sich anderswo eine Existenz aufbauen kön-nen. Mit dem Verlust unserer Höfe verlieren wir unsere Tradition. Niemand wird unsere Geschichte weitertragen“, bedauert Nickel und sieht die Schuld nicht nur bei Vattenfall: „Das ist ein Wirtschafts-Unternehmen, da geht es ums Geld, das ist nun mal so. Es ist die Politik, die uns im Stich gelassen hat.“

Heiko Kosel, Landtagsabgeordneter der LINKEN hat bereits 2006, als die CDU den Bau des 4. Boxberger Kraftwerksblocks durchs Parlament peitschte, auf die Ver-letzung des Sorbengesetzes aufmerksam gemacht und fragte: „Was ist Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 unserer Verfassung noch wert, in dem es heißt, dass der deutsch-sorbi-sche Charakter des sorbischen Siedlungs-gebietes zu bewahren ist, wenn gerade die Region, die diesen speziellen Charak-ter mit am originellsten prägt, in die Grube fährt?“ Kosel sprach damals konkret den Umweltminister Sachsens an: Stanislaw Tillich, Sorbe und heute Ministerpräsident im Freistaat Sachsen.

Der Herrgott schuf die schöne Lausitz, und der Teufel vergrub die Kohle unter ihr.(Sorbisches Sprichwort)

Vattenfall will den Tagebau Noch-ten (Oberlausitz) erweitern. Ab 2015 würden damit weitere Ortschaf-ten im Sorbischen Siedlungsgebiet der Braunkohle geopfert: Mühlrose, Mulkwitz, Schleife-Süd, Rohne und Klein-Trebendorf. 1.550 Menschen verlören ihr Zuhause. Vattenfall rech-net mit weiteren 300 Mio. t Braun-kohle für das Kraftwerk Boxberg.

Manfred Hermasch zeigt Modelle der sorbischen Christkinder von Schleife und Umgebung

Manfred Nickel befürchtet, sein Heimatdorf Rohne an die Kohle zu verlieren.

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Der Herrgott schuf die schöne Lausitz, und der Teufel vergrub die Kohle unter ihr.Leben im Dienst der Natur, eine Familie lehnt sich auf

An eben jenen Ministerpräsidenten hat auch Edith Penk geschrieben. Die 73-Jäh-rige ist in großer Sorge um den „Urwald Weißwasser“. Das deutschlandweit einma-lige Wald-Areal zwischen Weißwasser, Tre-bendorf und Mühlrose wird sukzessive der antiquiertesten Form der Energiegewinnung geopfert. Werden die Bagger nicht gestoppt, sind bis zu 400 Jahre alte Bäume und hun-derte bedrohte Pflanzenarten – darunter viele wilde Orchideen – für immer verlo-ren. Die einzelnen Naturschutzgebiete des Urwaldes Weißwasser wurden durch das Land entwidmet. Seit 2002 ist der Wald im Besitz des Bergbauunternehmens, bis 2015 will Vattenfall das Areal überbaggern.

Edith Penk ist mit dem Waldgebiet groß geworden. Die Natur hat sie geprägt, von ihrem beeindruckenden „grünen Wissen“ profitierten vor allem ihr Sohn und die von ihr betreuten Hortkinder. Dem märchen-haften Wald tatenlos beim Sterben zuzu-sehen, kam für sie nie in Frage. Seit Jahren kämpft sie um die Rettung des über Jahr-hunderte naturbelassenen früheren Jagd-gebiets Pücklers und macht unermüdlich auf den skandalösen Umweltfrevel auf-merksam. Mal steht sie mit einem Trans-parent am Rande eines Staatsbesuches, mal schreibt sie Protestnoten oder geht mit Filmleuten in den Wald und gibt Interviews. Sogar die Washington Post hat schon über die Beharrlichkeit der zierlichen Sorbin berichtet. Nicht jedem im Ort gefällt das: „Ich werde auch schon mal gefragt, ob ich denn ohne Strom sein wolle. Dabei geht es doch gar nicht darum! Der Mensch braucht die Natur, doch die Natur braucht den Men-schen nicht. Häuser kann man ersetzen, aber diesen Wald, oder auch nur einen ein-zigen Baum davon, den kann kein Mensch jemals nachbauen“, verteidigt Edith Penk ihr Tun.

Gemeinsam mit Sohn Christian (39) lädt die Rohnerin regelmäßig interessierte Men-schen ein, die Magie des ehemaligen Jagd-parks kennenzulernen. Immer dabei: ein

Abstecher zur Jagdschlosswiese. Hier kann jeder lesen, wie nah den Waldbesuchern das Sterben des grünen Refugiums geht. Am Wiesensaum unter der gewaltigen Blut-buche – ihr Stammumfang misst 620 Zen-timeter – haben die Penks Stift und Heft deponiert und wer möchte, kann aufschrei-ben, was ihn bewegt. Fast 30 Büchlein sind im Lauf der Jahre schon zusammengekom-men. Die Einträge malen ein eindrucksvol-les Bild von Bewunderung für die Kunst der Natur bis zur tiefen Trauer über den drohen-den Verlust. „Schade, wie lange noch?“, fragt eine Waldbesucherin und eine andere beklagt, dass sie nicht vermag, ihrem Kind die Unsinnigkeit der Rodungen zu erklären. Die Wald-Gästebücher sind zu Kondolenz-büchern geworden.

Mit Bildern und Worten im Wettlauf mit der Zeit

Neben den in Buchstaben gegossenen Gedanken aus den Waldbüchern konservie-ren die Penks den malerischen ehemaligen Tiergarten noch auf andere Weise. Christian Penk fotodokumentiert hier nahezu jedes noch intakte Fleckchen. Seine erste Foto-Ausstellung 2008 im Schleifer Kulturzentrum bot den Besuchern betörend schöne Natur-studien. Der Exposition folgte ein kleiner Bild-band mit Gedichten und Kurzbeschreibungen historischer Art. Unterdessen gibt es auch einen im Eigenverlag hergestellten großen Bildband (→ S. 16), der in Momentaufnah-men festhält, was der Mensch offenbar nicht zu bewahren im Stande ist.

„Ich hoffe immer noch, dass der liebe Gott mit uns ein Einsehen hat“, will Edith Penk nicht aufgeben und erinnert an die Kraft der Natur, die einst mit Wucht den Urstrom durch die Region geleitet hat: „Wer weiß denn, ob der nicht noch mal ausbricht? Die Politik wird’s schließlich nicht richten.“ Womit sich der Kreis zu Stanislaw Tillich schließt, der den Brief Edith Penks beantwortete und ihr sein Verständnis für Natur und Umwelt darin dokumentierte, dass er hervorhob, der Baumbestand des Urwaldes zu Weißwas-ser würde immerhin ökologisch korrekt zu Biomasse verhäckselt. efa

(Sorbisches Sprichwort)

Christian und Edith Penk kämpfen gegen die Vernichtung des Weißwasseraner Urwaldes

„Der Schutz und die Entwicklung der natürlichen Ressourcen erfolgt im Einklang mit den Interessen von Bür-gern und Wirtschaft. (…) Das Leit-bild der Nachhaltigkeit, mit dem Ziel die Schöpfung zu bewahren, ist die Grundlage unserer Politik.“

aus dem Koalitionsvertrag von CDU & FDP in Sachsen (Auszug)

Der Friedhof wird jetzt umverlegt,ein letzter Baum wird abgesägt,Leichenteile fressen Rabenvon dem, was wurde einst vergraben.Und stell Dir vor – ist dies nicht krank – man sagt Dir: Nimm die Grabeinfassungdoch als Fensterbank!Ruhe sanft, oh Heimatort.Bald bist Du für immer fort.

Text & Bild: Ch. Penk

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Energiewende? Nicht mit Tillich & Co.

2012 wurde von den Vereinten Nationen zum „Internationalen Jahr der nachhaltigen Energie für Alle“ erklärt. Während weltweit um regenerative Energien gerungen wird, klammert sich Sachsen an die Braunkohle und schreckt – wie jetzt in der Oberlausitz zu sehen – auch vor der Abbaggerung länd-licher Siedlungs- und Naturräume nicht zurück. Warum das so ist, fragte pvl die energie-expertin der Landtagsfraktion DIe LINKe, Dr. Monika Runge.

pvl: Frau Runge, wissen Sie, woher der Strom stammt, der bei Ihnen zuhause aus der Steck-dose kommt?

Dr. Monika Runge: Zunächst bin ich mit meiner Kom-mune solidarisch und beziehe den Strom von den kom-munalen Stadtwer-ken Leipzig, denn aus deren Gewinnen wird der Öffentliche Personennahver-kehr subventioniert. Beim Strom-Mix dominiert der Braun-kohlestrom, dann kommt der aus dem stadteigenen Gasturbi-nenkraftwerk und dann der Strom aus den Erneuerbaren.

Warum hält Sachsen an der Verstromung von Braunkohle fest und verzichtet darauf, Kohle-förderer mit der Feldesabgabe zu belegen?

Dr. Monika Runge: In den nächsten zehn Jahren kann auf Braunkohleverstromung zur Grundlastversorgung sicher nicht verzichtet

werden. Nach unserer Ansicht aber muss ab 2020 bis Mitte des Jahrhunderts der Aus-stieg in den Blick genommen werden. Auch, weil das Bundeskonzept vorsieht, dass Strom bis dahin zu fast 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu gewinnen ist.

Dass seit 1990 keine Feldesabgabe verlangt wird, wurde im Einigungsvertrag festgelegt. Wir denken aber, dass das nach mehr als 20 Jahren nicht mehr zeitgemäß ist. Zumal die Kosten zur Regulierung des Wasserhaushal-tes in diesen Regionen enorm hoch sind.

Ab 2013 steigen die Kosten für CO2-Emmissi-ons-Zertifikate. Die CO2-Verpressung im Erd-

reich ist noch nicht erlaubt. Kraftwerk-betreiber denken angesichts dessen schon mal laut über Stil l legung oder Verkauf ihrer Koh-lekraftwerke nach. Warum wird vor die-sem Hintergrund die geplante Tagebau-erweiterung in der Oberlausitz weiter vorangetrieben?

Dr. Monika Runge: Die relativ neuen Kraft-werke und vor allem der neue Block in Box-berg müssen, damit sich die Investition für Vattenfall rentiert, ausgelastet werden. Wie der zuständige Planungsverband mit-teilte, reichen die Kohlevorkommen in dieser Region mit der Tagebauerweiterung bis 2045.

Die Kosten zur Erzeugung von Braunkoh-lestrom werden in der CO2-Emissionshan-delsperiode ab 2013 steigen, weil die CO2-Verschmutzungsrechte zu 100 Prozent an

die Unternehmen versteigert werden. Alle Hoffnung lag auf der rechtlichen Zulassung der CO2-Speicherung unter der Erde. Die Anwendung der CCS-Technologie zur CO2-Abscheidung und unterirdischen Verpres-sung des klimaschädlichen CO2 wäre dann als CO2-neutral anerkannt worden. Es sieht aber nicht danach aus, dass das entspre-chende Gesetz den Bundesrat passiert.

Die CO2-Lagerstätten in Deutschland rei-chen nicht, um große Mengen CO2 zu spei-chern. Die Nordsee käme zwar in Frage, dagegen aber wehrt sich Schleswig-Hol-stein zu Recht. Auch ist nicht klar, wer und für wie lange die rechtliche Verantwortung für die CO2-Lagerstätten tragen soll. Vatten-fall hat sein CCS-Demonstrationskraftwerk in Jänsch walde abgesagt und ich denke, in Sachsen und Brandenburg wird die CCS-Technologie nicht zur großtechnischen Anwendung kommen. Auch wenn Minister-präsident Tillich unterdessen meint, man könne das abgeschiedene CO2 mit Schiffen in die Golfstaaten verschicken…

Welche Energiestrategie verfolgt DIE LINKE?

Dr. Monika Runge: Wir fordern von der Staatsregierung ein Konzept für den Braun-kohle-Ausstieg bis spätestens 2040, der mit den betroffenen Unternehmen und Gewerk-schaften ausgehandelt werden muss und langfristig Planungssicherheit garantieren soll. Auch damit sich betreffende Unterneh-men auf andere Geschäftsfelder orientieren können und Arbeitsplätze erhalten bleiben. Zugleich soll sich die Region mit Hilfe der Staatsregierung um alternative Ansiedlun-gen von Unternehmen kümmern und dort bereits tätige Unternehmen stärken.

Um den Umbau des Energieversorgungssys-tems zu gestalten, ist zunächst eine Energie-Einspar- und Effizienzstrategie zu verfolgen sowie der zügige Ausbau vor allem der Wind-kraft und der Wärmeerzeugung aus Erdwärme und Biomasse. Die Verbrennung von Biomasse darf aber nicht zu Lasten des Lebensmittel-Anbaus gehen. Für den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien sind die dafür notwen-digen zusätzlichen Investitionen in Netze und Speicher voranzutreiben. Selbstredend muss der Transformationsprozess des Energiesys-tems für alle bezahlbar bleiben. Konkrete Schritte hierfür haben wir in unserem Energie- und Klimaprogramm zusammengefasst, das bei politischem Willen rasch umsetzbar wäre.

Aktuelle Anträge der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag zum Thema Energie, Umwelt & Rohstoffe: „Bodenschatz- und Rohstoffstrate-gie Sachsen“ (Drs 5/7984), Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2020 (Drs 5/7778) und „Nutzung der Potenziale untertägiger Stromspei-cherung zum weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien“ (5/8035)

Drs = Drucksache

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Vom 6. bis 13. Mai 2012 wird die Grenz-

region der Oberlausitz nach dem OFF-Treffen der professio-

nellen freien Theater in Zittau Ende Januar bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr Mittelpunkt der sächsischen Theaterkunst sein. Anlässlich des 150. Geburtstages und des 100. Jahrestages der Nobelpreis-verleihung an Gerhart Hauptmann treffen sich hier im gleichnamigen Theater alle sächsischen Spielstätten von Annaberg bis Zwickau, um unter dem Motto „Vor Son-nenaufgang“ die thematische Auseinan-dersetzung mit dem sozialen Drama im Spannungsfeld von Tradition und Moderne weiterzuentwickeln.

Die Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zit-tau GmbH – das als Vierspartenhaus Musik-theater, Tanz, Schauspiel und die Konzerte der Neuen Lausitzer Philharmonie vereint – kann dabei eine ganz eigene Sichtweise einbringen, ist sie doch mittlerweile selbst Austragungsort handfester Konflikte und dramatischer Konstellationen. Vor allem die

in Zittau befindliche Schauspielsparte sieht sich großen Gefahren ausgesetzt. Nach einem vorliegenden „Konsolidierungskon-zept 2011–2016“ soll sie in den nächsten Jahren den Löwenanteil der vorgesehe-nen Einsparung in Höhe von 1,6 Mio. Euro leisten. Inzwischen haben mehr als 6.000 Unterstützer die Online-Petition „Theater Zittau muss bleiben!“ unterschrieben und klar gemacht, sich „den Repressalien auf finanzpolitischem Gebiet durch den Frei-staat Sachsen zu widersetzen“. Gemeint ist damit die Kürzung der Kulturraummit-tel für das Theater, die allein durch die Auf-nahme der Landesbühnen Sachsen in den Förderbereich des Kulturraumgesetzes im Jahr 2012 satte 160.000 Euro beträgt.

Das empört auch DIE LINKE, die sich Anfang Januar mit einer gemeinsamen Erklärung des Kreisverbandes Görlitz, der Kreistags-fraktion, den beiden Stadtratsfraktionen aus Görlitz und Zittau sowie den regiona-len Abgeordneten des Bundes- und Land-tages öffentlich zu Wort meldete. Neben der berechtigten Kritik an der „verfehlten

Politik auf Landes-ebene“ forderte die lokale LINKE die Gesell-schafter auf, gemeinsam nach Lösungen zum Erhalt der Gerhart Haupt-mann-Theater GmbH Görlitz/Zittau ohne Einschränkungen und unter Wahrung der Inszenierungs- und Spielstätten Zittau und Görlitz zu suchen. Möge dieser Appell im Interesse sowohl der ostsächsischen The-aterkultur als auch der hier Beschäftigten, die seit Jahren bis zu 25 Prozent unter Tarif verdienen, recht bald auf offene Ohren stoßen!

MdL Dr. Volker Külow Sprecher für Kulturpolitik

Theater Zittau: Sonnenauf- oder Untergang?

Sachsens Hochschullandschaft verliert FarbeIm Dezember 2011 verabschiedete die Regie-rung des Freistaates Sachsen seinen Hoch-schulentwicklungsplan (HEP), demzufolge eine Reihe von Hochschul-einrichtungen geschlossen oder mit anderen Hoch-schulen fusioniert werden soll. Auch das Internationale Hochschulinstitut Zittau (IHI) ist davon betroffen.

Im Wintersemester 2010/11 waren am IHI neben 113 deutschen 53 polnische und 32 tschechische Studierende eingeschrieben, hinzu kamen Studierende aus 14 weiteren Nationen – insgesamt 245 junge Leute. Mit 132 Aus-ländern besitzt das IHI den höchsten Anteil an „Bil-dungsausländern“ in der säch-sischen Hochschullandschaft!

So sehr die Landesregierung das Bild vom „weltoffenen Sachsen“ auch pflegen möchte, so wenig wertschätzt sie den Modell-Bei-trag des IHI zu einem grenzüberschreiten-den Lern- und Arbeitsprozess mit Sprach-ausbildung und dem Erwerb interkultureller Kompetenz. Allein die „Strukturdaten“ der

MdL prof.Dr. Dr. Dr. h.c. Gerhard BesierSprecher für Hochschulpolitik

Einrichtung sollen für die Bewertung des Instituts ausschlaggebend sein, nachzule-sen im HEP ab Seite 189:

„Die derzeitige Struktur, mit sechs vergleichsweise kleinen Professuren und einer Stiftungsprofessur unterschiedlicher fachli-cher Ausrichtung sowie die seit Jahren nicht aus-gelasteten Kapazitäten lassen […] Zweifel an der Zukunftsfähigkeit aufkom-men und haben zu einer lang anhaltenden Diskus-sion um eine mögliche Schließung der Einrichtung geführt. Die mit der Grün-dung des IHI verbundene Intention der Integration der sächsischen Nach-

barn im Hochschulraum der EU hat spätestens mit der EU-Osterweiterung an Bedeutung verloren. Im Rahmen des Bolo-gna-Prozesses ist es zudem eine Aufgabe aller Hochschulen in der EU geworden, die Mobilität der Studierenden zu fördern und bedarf keiner speziell darauf ausgerichte-ten Einrichtung. […] Mit der Integration des IHI in eine größere Universität wird das

Forschungspotenzial erhöht, die internatio-nalen Partnerschaften bleiben erhalten und werden im Bewusstsein der veränderten Rahmenbedingungen fortentwickelt.“

Das Zitat belegt, wie holprig die Argumenta-tion ist: Wenn die Intentionen, die zur Grün-dung des IHI geführt haben, durch EU-Ost-erweiterung und Bologna-Prozess überholt sind, warum soll das IHI dann überhaupt noch in eine Universität integriert werden? Klartext: Es geht um nichts anderes als um Einsparungen, denen ambitionierte Modell-projekte zum Opfer fallen, weil sie sich nicht „rechnen“. Es geht um schmerzhafte Amputationen, die das Profil der sächsi-schen Hochschulen nachhaltig beschädi-gen werden.

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Weniger Zuweisungen vom Land, Anstieg der Sozialausgaben und Mehrausgaben für zusätzlich übertragene Aufgaben. So lassen sich die Ergebnisse der CDU/FDP-Haus-haltspolitik in Sachsen zusammen-fassen. Hauptopfer sind dabei die Landkreise. Auch im Haus-haltsentwurf des Landkrei-ses Görlitz klafft derzeit ein Loch von rund 15 Mio. Euro. Selbst die im Vorjahr von der Landesdirektion gegen den Willen des Görlitzer Kreistages erzwun-gene Erhöhung der Kreisumlage von 29,5 auf 31,5 Prozent hat an der strukturellen Schieflage des Haushaltes nichts verändert und beweist: Der Weg der Staats regierung, die Finanznot der Landkreise durch erhöhte Kreisumlagen auf die Gemeinden zu übertra-gen, führt in eine Sackgasse! Statt dessen muss das Land die Verfassungsverpflichtung erfüllen und den Kommunen eine angemes-sene Finanzausstattung gewährleisten.

Dies hat jetzt die Landesregierung offenbar erkannt und mit dem Kommunalpaket gegen-gesteuert. 21 Mio. Euro werden zusätzlich für kommunale Investitionen zur Verfügung

gestellt. Weitere 10 Mio. Euro werden als Vorgriff auf 2013 an die Landkreise aus-gezahlt. Damit endet dann allerdings die Unterstützung durch die Staatsregierung. Der Finanzminister stellt den Kommunen nur 1,5 Prozent der 1.500 Mio. Euro Steuer-

mehreinnahmen zur Verfügung. Der Rest fließt in verschiedene Rücklagen. So also

sieht schwarz-gelbe Finanzpolitik aus. Während in den Bereichen Soziales,

Jugend, Kultur, ÖPNV und kom-

munale Infrastruktur völlig überzogene Haushaltskürzungen durchgesetzt werden, sieht der Freistaat seine Haushaltsrisiken durch die Mehreinnahmen gegenfinan-ziert. Die Haushaltsrisiken der kommunalen Ebene bleiben ungedeckt.

Die Fraktion DIE LINKE hat ein Kommunal-paket in den Landtag eingebracht, über das die Finanzkraft der Kommunen langfristig gestärkt werden könnte. Wir fordern eine Verdoppelung der Investitionspauschale von 51 auf 102 Mio. Euro, die Zahlung eines vor-fristigen Abschlags aus der FAG-Rücklage

von 100 Mio. Euro sowie den frühzeitigen Einstieg in die Debatten zur Ausgestaltung des Finanzausgleichs ab 2013. Landräte, Bürgermeister und Gemeinderäte können die Landespolitik erheblich beeinflussen, wenn sie gemeinsam gegen die jetzige Finanz-politik der Landesregierung aufbegehren, Hilfen zur Wiedererlangung der finanziellen Leistungsfähigkeit einfordern und – wie in Görlitz geschehen – nicht weitere Lastenver-schiebungen zu ungunsten der Kommunen hinnehmen. Das Land wollte Görlitz zwingen, seine Gemeinden deutlich stärker zur Kasse zu bitten und drohte mit Zwangsvollzug. Dagegen wehrte sich der Kreistag lange und geschlossen. Auch wenn der letztendliche „Finanz-Kompromiss“ nicht optimal ist – was wäre, wenn alle Kommunen den Aufstand a la Görlitz probten?

Görlitzer Courage sollte Schule machen!

Keine neuen AKW zulassen! Nirgends!Kürzlich regte ein Wirtschaftsforscher aus Dresden via Zeitungsinterview an, zur wirt-schaftlichen Belebung der Oberlausitz sollte man „unbeliebte Industrien“ wie Schweine-mast- oder Müllverbrennungsanlagen anlo-cken. Nun, ein übergroßer Müllofen steht bereits in Lauta und verursacht steigende Gemeinkosten für die ohnehin gebeutelte Region. Eine andere „unbeliebte Industrie“ sollte nach christdemokratischen Tagträu-men vor einigen Jahren an der Neiße ange-siedelt werden: ein Atomkraftwerk. Der Vorschlag, der damals zwischen Spott und Kritik unterging und nach dem deutschen Atom-Ausstiegsbeschluss gänzlich beerdigt wurde, feiert nun offenbar in Polen Aufer-stehung. Unser Nachbar plant die CO2-arme Zukunft seiner Energieversorgung ausge-rechnet mit Atomenergie, die gerade durch den Supergau in Fukushima ihre Unbe-herrschbarkeit gezeigt hat.

Deutschland hat sich im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umweltverträg-lichkeitsprüfung positioniert, Bürger und Umweltverbände haben sich bis Januar 2012 zehntausendfach geäußert und haupt-sächlich die Qualität des Umwelt-Prüfver-fahrens bemängelt. Selbst von Sachsens

MdL Marion Junge Sprecherin für Kommunalpolitik

der Moldau setzt. Mit dem Zubau zwei wei-terer Reaktoren soll hier jetzt einer der welt-größten Atommeiler mit einer Leistung von 5400 MW entstehen! Die bisherige Stel-lungnahme des sächsischen Umweltminis-teriums dazu ist mehr als dünn und reicht für DIE LINKE bei weitem nicht aus. Der Ausstieg aus der Atompolitik muss euro-päisch diskutiert werden. Ein Festhalten an der Energiegewinnung aus Uran ist hoch-gefährlich und weder in Deutschland noch in Tschechien ist die Endlagerfrage geklärt. Außerdem wird die notwendige Energie-wende in Europa blockiert.

Bis 2020 sollen nach EU-Richtlinien 20 Prozent der Primärenergie aus erneuerba-ren Quellen stammen. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verfügen schon heute über die höchste Dichte an Photovoltaikun-ternehmen in Europa. Mit Forschung, Ent-wicklung und Export von Produkten und Pro-duktionstechnologien der Solarenergie kann also direkt Wirtschaftsförderung für Sach-sen betrieben werden. Ein doppelter Grund, Atomkraftpläne deutlich abzulehnen.

Kathrin Kagelmann Landtagsabgeordnete DIE LINKE aus Niesky

Umweltminister hört man vorsichtige Kritik am polnischen Kernenergieprogramm.

Inzwischen hat Polen die Liste der poten-tiellen Standorte für ein zu errichtendes Kernkraftwerk erweitert.

Doch den Fokus nur darauf zu richten, wäre fahrlässig, denn auch im tschechischen Temelin – ca. 200 km Luftlinie von Dresden entfernt – läuft seit Jahren ein sehr stör-anfälliges AKW, das noch dazu auf die ris-kante Konzeption der Wasserkühlung aus

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Festlich ging es zu, als im Dezember 2007 europäische Staatsoberhäupter im Dreieck Zittau, Porajów, und Hradek die Einstellung der Grenzkontrollen feierten, wohl davon überzeugt, nun werde sich alles von selber richten. Sie hätten es aber wissen müssen: Das Zusammenleben in Europa, die europä-ische Integration ergibt sich nie von selbst. Auch nicht im Dreiländereck zwischen Polen, Tschechien und Deutschland, wo drei verschiedene Kulturen, drei unterschied-liche Sprachen (mit der sorbischen Sprache und Kultur eigentlich vier) und noch mehr Multikulturelles aufeinandertreffen.

Diese spannende Konstellation zu gestal-ten, wäre Aufgabe der Politik gewesen. Dazu hätte die deutsch-sorbische Nachbar-schaft in der Oberlausitz als „Laboratorium“ für gleichberechtigte Partnerschaft ohne trennende Grenzen profiliert werden kön-nen. Erfahrungen aus DDR-Zeiten – gute wie schlechte – in der Zusammenarbeit mit Polen und Tschechen hätten vorurteilsfrei ausgewertet und nutzbar gemacht werden können. Nichts dergleichen hat die säch-sische Staatsregierung getan. Dabei hat es im Landkreis und in der Stadt Görlitz an Impulsen mit hoher Symbolik wahrlich nicht gefehlt: 1995 Regierungsabkommen, seit 1998 Europastadt oder 1999 die Grund-lagengestaltung für die Zusammenarbeit Sachsens und der Wojewodschaft Dolny Śląsk. Symbolik allein aber ist nichts wert, wenn ihr nicht Taten folgen, die das Zusam-menwachsen im Dreiländer eck befördern.

Eine wesentliche Herausforderung ist die Sprachbarriere: Die Zahl der die Nachbar-sprachen beherrschenden Oberlausitzer ist nicht gewachsen, die sich aus Zwei- oder Dreisprachigkeit ergebenden Chan-cen schon. Nun fährt gar die Polizeischule in Rothenburg seinen Polnischunterricht für angehende Polizisten so weit zurück, dass er statistisch kaum mehr erfassbar ist. Eng-lisch soll es nun richten. Mit Englisch kann

man bei internationalen Polizeikongres-sen bestehen, nicht aber in der unmittel-baren grenzüberschreitenden Polizeiarbeit vor Ort. Auch die Zahl der Schüler/innen, die Polnisch oder Tschechisch lernen, wächst nur minimal und macht sich schon jetzt negativ, bspw. beim Jugendaustausch bemerkbar. Hier stehen andere Länder, wie Niedersachsen, Baden-Württemberg oder Bayern deutlich besser da.

Das hatten sich die Gründer der Euroregion Neiße anders vorgestellt, als sie im Dezem-ber 1991 ein Gebiet, in dem anderthalb Mio. Menschen wohnen, zur Euroregion auser-koren. Gedacht war die baldige Beseitigung aller Hindernisse für das Zusammenkom-men von Menschen, Sprache, Kultur, Wirt-schaft und auch Politik. Gut, einige Hin-dernisse sind tatsächliche verschwunden, doch Anlass zu eitel Freude herrschte beim Jubiläum zum 20. Gründungstag der Euro-region nicht. Auch weil sich die mangelnde Wertschätzung der Euroregionen darin zeigte, dass kein einziges Mitglied der säch-sischen Staatsregierung anwesend war!

Gutes leistet hingegen der Verkehrsverband ZVON, indem er u.a. mit der polnischen PKS und dem tschechischen ČSAD zusam-menarbeitet und es für Reisende ein Euro-Neiße-Ticket gibt. Möchte man jedoch per Taxi von Görlitz nach Polen fahren, wird es schwierig, denn dafür sollen sich Taxifahrer aus Deutschland beim polnischen Finanz-amt registrieren lassen und dort (auch) Steuern zahlen …

Defizite gibt es auch bei der Gestaltung des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes. Anders als vermutet, wurde der sächsische Arbeitsmarkt übrigens nicht von Arbeitneh-mern aus unseren Nachbarstaaten „überflu-tet“. Woran liegt’s? Daran, dass Menschen aus Polen oder Tschechien eher nicht nach Sachsen kommen, sondern in Regionen mit anständigen Löhnen gehen.

Ein weiteres Problem und Aufgabenfeld im Dreiländereck ist die Grenzkriminalität. Vor Jahresfrist kamen Polizeiverantwortliche in Zgorzelec zusammen, sächsische wie pol-nische. Aufschlussreich waren die Gesprä-che, zufrieden ist man mit den bisherigen Lösungen nicht. Dabei ist der Autodiebstahl in Polen, noch vor Jahren dort ein riesiges Kriminalitätsfeld, durch neue Ermittlungs-methoden und Anklagestrategien der pol-nischen Justiz erheblich zurückgedrängt wurden. Kfz-Zulassungsbehörden und Versi-cherer haben dort ihren Beitrag dazu geleis-tet. Statt dass Sachsen nun versucht, diese Erfahrungen aufzugreifen, werden zusätzli-che Probleme geschaffen, indem die säch-sische Staatsregierung erklärt, sie wolle die Polizei „reformieren“, indem sie Stellen bei den Ordnungshütern strecht.

„Der Weg nach Europa führt über Sachsen“, dozierte in den 90er Jahren vollmundig der damalige Ministerpräsident Kurt Bieden-kopf. Heute besteht teilweise die Gefahr, dass die Wege nach Europa an Sachsen vorbei führen. Es bedarf dringend neuer europapolitischer Akzente, um die Chancen im Dreiländereck zu nutzen.

PS: Die Landtagsfraktion DIE LINKE erfüllt bereits seit 2004 eine vertraglich besiegelte Kooperation mit linken Fraktionen in polni-schen Wojwodschafts-Parlamenten und tsche-chischen Bezirkstagen mit Leben. Gemein-sam beraten wir u.a. Fragen des gemeinsamen Arbeitsmarktes, der grenzüberschreitenden Gesundheits- und Fördermittelpolitik sowie der Regionalplanung.

Anecken im Dreiländereck

MdL Heiko Kosel Sprecher für Europa- und Minderheitenpolitik

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setze sie sich für Flutopfer und gegen Hartz IV, gegen Einbruch, Diebstahl und Raub-überfälle ein, was laut NNO den „Alltag in der Oberlausitz-Niederschlesien“ aus-macht. Kriminalität durch Deutsche spielt natürlich keine Rolle. Hiekischs Anträge im Stadtrat suggerieren, es handele sich um Taten von Tschechen. Das Material für die rassistischen Unterstellungen stammt dabei i.d.R. vom regionalen NPD-Landtags-abgeordneten Andreas Storr.

Berlin-Import bereitet Feld für NPD

Storr ist aus Berlin zugezogen und hat vor einigen Jahren den NPD-Kreisverband über-nommen, über den der Landesvorstand den organisatorischen Notstand verhängt hatte. Nur wenige Getreue waren verblieben, nachdem der ehemalige Kreisvorsitzende Krumpholz die Partei verlassen hatte. Der frühere Sprecher der „Revolutionären Platt-form“ in der NPD wechselte ausgerechnet in die bürgerlich-biedere Deutsche Soziale Union und hat es dort inzwischen zum Mit-glied des Landesvorstandes gebracht. Mit Storr kam nicht nur „frischer Wind“ in die lichten Reihen der NPD, sondern auch das notwendige Geld zur Bezahlung von Haupt-amtlichen. Auf diese Weise wurde aus dem Kreisverbands-Sorgenkind ein Vorzeigepro-jekt. Und so verwundert es kaum, dass der Landkreis Görlitz inzwischen zum Schwer-punkt für neofaschistische Konzerte gewor-den ist und hier immer wieder NPD-Groß-veranstaltungen stattfinden.

Bunt gegen braune Begehrlichkeiten

Trübe Aussichten für den Kreis Görlitz? Nein. Denn der Widerstand vor Ort ist beträchtlich! Ob es die Initiative „Augen auf“ ist, die seit Jahren beharrlich gegen rechte Bestrebun-gen kämpft, das Bündnis „Bunter Schall als Widerhall“ (S. 15), das seinen Protest in die Gesellschaft trägt, oder der Tamara-Bunke-Verein, der Spielzeug für die Roma-Kinder in Šluknovský výběžek sammelt. Sie alle sor-gen täglich dafür, dass die Bäume der Neo-nazis nicht in den Himmel wachsen.

„Šluknovský výběžek“ schafft es eher selten in die hiesigen Medien. Selbst unter dem deut-schen Namen „Schlu-ckenauer Zipfel“ nicht. Die so bezeichnete Gegend gehört ja auch nicht zu Sachsen. Aber sie grenzt an den Frei-staat. Die tschechische

Region gehörte einst zum Sudetenland und war bis 1945 vorwiegend von Deut-schen besiedelt. Tschechen waren in der Minderheit.

Pogrome in Grenznähe

Heute gibt es hier wieder eine Minderheit: die Roma. Die Auseinandersetzungen um eben jene rund zwanzig Prozent starke Min-derheit schaffen es dann gelegentlich doch, dass „Šluknovský výběžek“ für deutsche Medien interessant wird. Wegen „sozia-ler Unruhen“, so die Sächsische Zeitung (SZ), werde im dortigen Varnsdorf eine 170 Beamte zählende Spezialeinheit aufgestellt. Bis April sollen die ersten 50 Polizisten sta-tioniert sein, und diese müssten „den kör-perlich sehr anspruchsvollen Aufgaben gewachsen sein“, schreibt die SZ.

Soziale Unruhen? Beobachter der Vorgänge, die sich seit letztem Herbst zuspitzen, spre-chen weniger zurückhaltend von rassisti-schen Pogromen. Federführend dabei ist die „Arbeiterpartei der sozialen Gerechtig-keit“ (DSSS), die als Nachfolgerin die vor anderthalb Jahren verbotenen DS (Arbei-terpartei) beerbte. Der DSSS gelingt es zunehmend, die zunächst unorganisierten Ausschreitungen gegen die Roma zu kana-lisieren und zu lenken. Ein Prinzip, das wir aus Ostdeutschland gut kennen: Menschen,

die sozial stark benachteiligt sind, machen für ihr Elend nicht die wirklichen Verursa-cher verantwortlich, sondern ausgerechnet jene, die noch weniger haben. In Deutsch-land war und ist es die NPD, die diesen sozial begründeten Rassismus für sich aus-nutzt, im Nachbarland Tschechien ist es die DSSS.

„Nachbarschaftshilfe“ marschiert

Der Kreis Görlitz grenzt an den Schlucke-nauer Zipfel, mit der Bahn kann man von Zittau nach Varnsdorf fahren. Da man sich unter Nachbarn hilft, wollte auch die NPD am letzten Januarwochenende „helfen“. Natürlich den Rassisten, die unter Führung der DSSS wieder eine Demo gegen Roma durchführten. Es sei für sie eine Selbstver-ständlichkeit, gemeinsam mit den Opfern von Kriminalität auf die Straße zu gehen, erklärte Zittaus NPD-Stadträtin Antje Hiekisch. Ausgerechnet die NPD, deren wichtigstes Thema im Kreis die angeblich ausufernde Grenzkriminalität ist, entdeckt die „rechtschaffene Varnsdorfer Bevölke-rung“ als Verbündeten. Das Gerede von massenhaftem Autoklau im grenznahen Raum spielte plötzlich keine Rolle mehr. Wenn es gegen die Roma (im Nazi-Jargon: Zigeuner) geht, ist man sich schnell mit denen einig, die man ansonsten auch für „slawische Untermenschen“ hält.

NPD-Stadträtin Hiekisch ist bei solchen Gelegenheiten nie allein. In ihrem Gefolge sind stets ihr Mann, der NPD-Ortsvorsit-zende und – eine Videokamera. Gefilmt wird alles, was die braune Frontfrau macht und anschließend als „Nachrichten aus Nieder-schlesien und der Oberlausitz“ (NNO) ins Netz gestellt. So wird aus wenig viel. Frau Hiekisch erscheint aktiv und bürgernah, als

Braune Grenzgänger stützen Rassisten

MdL Kerstin Köditz Sprecherin für antifaschistische PolitikErinnerungs-Stelen für die von Nazis ermordeten Sinti und Roma im KZ Buchenwald

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Bunter Schall als Widerhall – dieses Wort-spiel ist in der Oberlausitz längst zum Begriff geworden. Im Sommer 2011 war es beispielsweise auf Plakaten und Faltblät-tern zu lesen, als es darum ging, gegen das so genannte Pressefest der „Deutschen Stimme“ in Quitzdorf mobil zu machen. Mitte Januar tauchte es erneut auf, diesmal in und um Ostritz. Hier hatte sich die säch-sische NPD einquartiert, um ihren Parteitag abzuhalten. Mehr als 400 Demonstrantin-nen und Demons tranten aller Altersgrup-pen hatten was dagegen, bezogen auf dem Ostritzer Marktplatz Stellung und protestie-ren gegen den ungebetenen „Besuch.“

Dass Ostritz NPD-Tagungsort werden würde, war erst wenige Tage zuvor bekannt geworden. Dass dennoch so viele Men-schen an der Neiße zusammenkamen, um gegen die Braunen Gesicht zu zeigen, sorgte allseits für anerkennende Verwun-derung. Schließlich ist Ostritz nicht Dres-den, in der „Provinz“ in so kurzer Zeit einen so großen und effektiven Protest organi-sieren zu können, schien manchem kaum machbar. Dabei ist das Geheimnis des Erfolgs gar keins. Die Initiative „Bunter Schall als Widerhall“, die den Protest initi-iert und koordiniert hatte, ist sachsenweit bekannt. Erst im November 2011 wurde sie mit einem Anerkennungspreis des Sächsi-schen Förderpreises für Demokratie aus-gezeichnet. Die Mitglieder des bunten Zusammenschlusses – das sind Parteien, Gewerkschaften, Vereine und Einzelper-sonen – sind in ständiger Verbindung und sehr schnell zu aktivieren. Nicht die Frage „Woher kommst du?“ oder „Welche Organi-sation vertrittst du?“, steht im Vordergrund, sondern das alle einende Ziel: Der Kampf gegen rechts.

Wenn eine Information wichtig erscheint, sei es ein in Ostsachsen angekündigter

Naziaufmarsch, ein Konzert von Nazi-Bands oder eine andere Aktion der extre-men Rechten, wird das Netzwerk aktiviert. Wer gerade ansprechbar ist, nimmt die Organisation in die Hand. Gegenseitiges Vertrauen ist das Fundament, auf dem das Netzwerk steht. Die Initiative basiert auf gleichberechtigtem Miteinander und pflegt keine starren Hierarchien.

Demokratische Initiativen für Engagement geehrt

Der „Bunte Schall“ arbeitet eng mit dem Verein „Augen auf – Zivilcourage zeigen e.V.“ zusammen. „Augen auf“ ist beson-ders im Altkreis Löbau-Zittau aktiv und hat sich zum festen Bestandteil des Wider-standes gegen die rechte Szene im Kreis Görlitz und darüber hinaus entwickelt. Die Wurzeln von „Augen auf“ reichen bis 2001 zurück, als es in Zittau ein großes Festival gab. Bis heute sind z.B. die Errichtung des Denkmals für die Zusammenarbeit im Drei-ländereck, die drei Granitsäulen vor dem Zittauer Theater und auch der Steinkreis im kleinen Park auf dem Weg nach Löbau-Ost mit Aktionen und Veranstaltungen des Ver-eins „Augen auf“ verbunden. Regelmäßig unterstützt der Verein die Initiative „Kein Mensch ist illegal“, die im Dreiländereck

mehrfach Station machte. Unbedingt erwähnenswert sind auch die bunt besetz-ten antirassistischen, internationalen Fuß-ballturniere in Kittlitz, die gerade in den letzten Jahren einen erfreulichen Zulauf erleben. Hier treffen sich Mannschaften aus den Nachbarländern Polen und Tsche-chien, aus dem Asylbewerberheim und dem Aussiedlerverein „Neue Heimat Ober-lausitz“ mit verschiedenen Vereinen aus Orten im gesamten Landkreis zum sport-lichen Wettkampf, zu vielen guten Gesprä-chen und lustigen Aktionen. So schafft man Vorurteile ab und integriert! Der Ver-ein „Augen auf – Zivilcourage zeigen“ wurde im vergangenen Jahr für sein Enga-gement in Sachen Toleranz und Courage völlig zu Recht mit den Sächsischen För-derpreis für Demokratie ausgezeichnet.

Preis gegen Bekenntnis?Demokraten lehnen ab.

Seit sich die Staatsregierung vorigen Som-mer von der Demokratie-Preisverleihung zurückgezogen hat, liegt die Ehrung demo-kratisch aktiver Initiativen in den Händen der Amadeu-Antonio-Stiftung, der Freuden-berg-Stiftung und der Sebastian-Cobler-Stiftung. Hintergrund des Trägerwechsels ist, dass die Staatsregierung ihre Preis-verleihung an die Unterzeichnung der so genannten „Demokratieerklärung“ knüpft. Sachsen verlangt damit als einziges Bun-desland ein schriftliches Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung von den staatlich geförderten Initiativen, die zur Auszeichnung vorgeschlagen wer-den. Mit der Erklärung verpflichten sich die Vereine zugleich dafür Sorge zu tragen, dass sich ihre sämtlichen Projektpartner ebenfalls zum Grundgesetz bekennen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung lehnt ebenso wie die demokratischen Oppositionsfrakti-onen von LINKEN, SPD und Grünen sowie viele Vereine und Initiativen diese Erklä-rung als Ausdruck staatlichen Misstrauens gegen zivilgesellschaftliche Initiativen ab.

Bunter Schall als Widerhall

Mirko Schultze Stadtrat DIE LINKE, Große Kreisstadt Görlitz,Vorsitzender Orts- und Kreisverband DIE LINKE Görlitz

MdL Heiderose Gläß Landtagsabge- ordnete aus Löbau,Fraktionssprecherin für Gleichstellungs-politik

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Der Njepila-Hof (S. 8) im Schleifer Ortsteil Rohne (Landkreis Görlitz), ist zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Besonders die nach historischem Vor-bild und mit original sorbischen Utensilien ausge-stattete Heimatstube bietet Einblicke in sorbische Bräuche und den Alltag der Heidebauern. Neben einer Sammlung sorbischer Trachten gibt es in dem Haus eine Nachbildung der Schlaf- und Arbeitstube Hanzo Njepilas. Gern bietet der Njepila Hof Rohne e.V. sachkundige Führungen an.

Anmeldungen unter: E-Mail: [email protected]: 035773/70616, Fax.: 035773/73422, Handy: 0177/3119719Njepila-Hof, Dorfstraße 48, 02959 Rohne, www.jepila-hof-rohne.de

Der Urwald Weißwasser im Norden des Landkreises Görlitz geht in dem Maße dahin, in dem die Bagger des Tagebaus Nochten näher rücken. Dem jahrhunderte-alten Holz läuten Motorsägen und Holzhäcksler die Totenglocken. In Bildbänden und Texten dokumentieren Christian und Edith Penk (S. 9) in „Ansichten aus der Niederen Muskauer Heide – Teil I – Ausgabe 2010“, was der Braunkohle geopfert wird. Der Bildband enthält ca. 400 Farbaufnahmen auf 138 Seiten aus dem

Tiergarten Trebendorf und dem Urwald Weißwasser. Fotodokumentiert sind u.a. Wege und interessante Stellen des Waldes. Zudem gibt es einen historischen Abriss zum Gebiet, werden alte sorbische Flurnamen der Bauernwälder erklärt und gibt es einen Überblick über die Flora und Fauna anhand von Fotos, die an den konkreter Auffind-Stellen entstanden. Diese unter weitere Foto- und Textdokumentationen zur Region gibt es unter: www.rohne.info (Souvenirshop)

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n 1. Wie viel Abgeordnete der Fraktion DIe LINKe im Sächsischen Landtag leben und arbeiten im Landkreis Görlitz?

n 2. Wie heißt der Tagebau, zu dessen Gunsten der Urwald Weißwasser überbaggert werden soll?

n 3. Wie heißt die Initiative aus dem Landkreis Görlitz, die im November 2011 mit einem Anerkennungspreis des Sächsischen Förderpreises für Demokratie ausgezeichnet wurde? (vier Worte)

Machen Sie mit! Antworten und gewinnen!Einfach die gesuchten Antworten auf eine Postkarte schreiben und an folgende Adresse senden:

Fraktion DIe LINKe im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-platz 101067 Dresden

Oder Sie schreiben eine E-Mail an: [email protected]. Absender nicht vergessen!

Kennwort: pvl 1-2012einsendeschluss: 20. April 2012

Cliptipp

Lesetipp

Zum Urwald Weißwasser gibt es viele, nicht nur deutschsprachige Filmclips, zumeist auf youtube oder hier: http://tagebauwald.natur-talente.de (Projekt von Julia Jaro Oberer, Berlin)