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von Heft 2/2012 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Dokumente und Standpunkte Schwerpunktthema: Vogtlandkreis Warum steht Sojus 29 nicht in Morgenröthe-Rautenkanz? Wie geht es der Industrie im Vogtland? Wer stützt die NPD im Landkreis? Wo ist der Musikwinkel? Was sieht der Landesentwicklungsplan fürs Vogtland vor? Weshalb sollen Landesbehörden umziehen? Wogegen hilft Schulsozialarbeit? Wann bekommt Sachsen den Lehrermangel in den Griff?

pvl – parlament von links, Ausgabe 2/2012

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Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

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von

Heft 2/2012

Fraktion DIE LINKEim Sächsischen LandtagDokumente und Standpunkte

Schwerpunktthema:

Vogtlandkreis

Warum steht Sojus 29 nicht in Morgenröthe-Rautenkanz?

Wie geht es der Industrie im Vogtland?

Wer stützt die NPD im Landkreis?

Wo ist der Musikwinkel?

Was sieht der Landesentwicklungsplan

fürs Vogtland vor?

Weshalb sollen Landesbehörden

umziehen?

Wogegen hilft Schulsozialarbeit?

Wann bekommt Sachsen den Lehrermangel in den Griff?

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2 pvl Heft 2/2012

Bernhard-von-Lindenau-Platz 101067 DresdenTelefon: 0351/493 5800Telefax: 0351/493 5460E-Mail: [email protected]://www.linksfraktion-sachsen.de

Parlament von links (pvl) ist das Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Pvl erscheint vier Mal im Jahr und ist kostenlos. Abo unter:

Editorial, Impressum } S. 2Sachsens CDU/FDP-Koalition: In den Kernfächern mangelhaft } S. 3Parlamentarische LINKE Initiativen } S. 3Hochschulstandort Reichenbach } S. 4Graswurzelbewegung(en) in Reichenbach } S. 5Leben im Land der Vuchelbeern } S. 6

Quo vadis Vogtland-Industrie? } S. 7

Wo der Himmel zuhause ist } S. 8/9

Dresden, wir haben ein Problem } S. 9

LINKER politischer Newsticker } S. 9

„Staatsmodernisierung“ ist Etikettenschwindel } S. 10

Dissonanzen im Musikwinkel } S. 11

NPD im Vogtland mit Personalsorgen } Seite 14Graswurzelbewegung(en) in Reichenbach } Seite 6

Vogtland zwischen gestern und morgen – was will und kann der Landesent-wicklungsplan? } S. 12/13

Erstens kommt es anders … } S. 13

NPD im Vogtland mit Personalsorgen – „Freie Kräfte“ fürs Grobe } S. 14

Schulsozialarbeit ist kein Notnagel! } S. 15

Gewinnspiel, Kreuzworträtsel } S. 16

IMPReSSuM:

V.i.S.d.P.: Marcel Braumann

Redaktion: Elke Fahr

Layout: Carola Müller

Druck: DruckHaus Dresden GmbH

Auflage: 129.000 Stück (2. Quartal 2012)

Die mit Namen oder Initialen gekennzeichneten Beiträge geben die Meinung des Autors, jedoch nicht unbedingt die Ansicht des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe. Für Nachdruck signierter Beiträge ist die Genehmi-gung des Verfassers erforderlich.

Diese Publikation dient der Information und darf in einem Wahlkampf nicht zur Parteienwerbung eingesetzt werden.

Bildnachweis: Titel: © Marco Barnebeck (Te-lemarco) / PIXELIO; S. 2, 3, 4, 5, 6: efa; S. 7: Karl-Heinz Laube / PIXELIO; S. 8, 9: efa; S. 10: efa, © flashpics / Fotolia.com, Montage: cam; S. 11: Gerd Altmann / PIXELIO.de, efa; S. 12: Marco Barnebeck (Telemarco) / PIXELIO, Falk Hartenstein / PIXELIO; S. 13: Marco Barne-beck (Telemarco) / PIXELIO; S. 14: efa; S. 15: © Stephanie Hofschlaeger / PIXELIO, © Anja Greiner Adam / Fotolia.com; S. 16: Cartoon: Harm Bengen/toonpool.com, © Petra Hege-wald/PIXELIO, © AAA/Fotolia.com, D. Riedler.

Pvl verpasst? Alle Ausgaben zum Download unter www.linksfraktion-sachsen.de

Titel: Die Göltzschtalbrücke bei Mylau im Vogtland

Wo der Himmel zuhause ist } Seite 8/9

INHALTSVeRzeIcHNIS

Spruch des Monats:Regierungen muss man wechseln wie Windeln – und aus denselben Gründen.

Pete Pampers

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Sachsen werden immer älter und immer weniger. Laut statistischer Prognose wird im Jahr 2030 jeder zweite Sachse über 50 und die Gesamtbevölkerung um mehr als zehn Prozent geschrumpft sein.

Proportional betrachtet wohnen schon heute die ältesten Sachsen im Vogtlandkreis. Bei der Einwohnerzahl fällt der prognostizierte Rückgang hier etwa doppelt so hoch aus wie im Sachsendurchschnitt. Dahinter liegt nur noch der Erzgebirgskreis, dem ein Einwohner-Minus von 22,8 Prozent droht.

Soweit die Statistik und damit die Theorie. In der Praxis halten auch vogtländische Kommunen tapfer gegen und locken bspw. mit Baby-Begrüßungsgeld oder wie Adorf mit attestierter Familienfreundlichkeit. Und auch landschaftlich kann der Vogtland- kreis punkten: viel Wald, viel Wasser, sogar Berge – und jede Menge „Gegend“. Dazu ein Menschenschlag, der immer für Überraschungen gut ist.

Oder hätten Sie den leckersten Weihnachtsstollen im Vogtland vermutet? Ja, der 2011er „Stollen-Oscar“ ging nach Markneukirchen! Auch die weltgrößte Geige kommt aus dem Musikwinkel und die größte und vielleicht schönste Ziegelsteinbrücke überspannt das Tal der Göltzsch – und wo? Im Vogtland!

Diese und weitere Superlative haben uns überzeugt, unsere pvl-Mai- ausgabe dem Vogtlandkreis zu widmen. Viel Spaß beim Lesen wünscht

Ihr pvl-Team

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Schon heute fehlen überall in Sachsen Leh-rerinnen und Lehrer, und der Unterrichts-ausfall nimmt deswegen zu. Darüber besteht Einigkeit unter allen Menschen, die sich in den demokratischen Fraktionen des Säch-sischen Landtags mit Bildungspolitik befas-sen. Keinerlei Parteienstreit gibt es auch über die Anerkennung der Tatsache, dass sich das Problem an Sachsens Schulen angesichts des hohen Altersdurchschnitts des pädagogischen Personals und damit der großen Zahl von neuen Rentnerinnen und Rentnern aus diesem Bereich in den nächsten Jahren noch dramatisch verschär-fen wird. Seit Langem ist der absehbare

Lehrernotstand dank parlamentarischer Initi-ativen der LINKEN Thema im Landtag. Es ist wie mit dem wachsenden Ärztemangel, ins-besondere auf dem Land: Es fehlt nicht an Erkenntnissen über das Problem, sondern an der Kraft der Regierung zum Handeln.

Ich will mich hier gar nicht mit den kost-spieligen Werbemitteln der CDU/FDP-Koa-lition auf Steuerzahler-Kosten abgeben, mit denen man die eigene Halbzeitbilanz seit der letzten Landtagswahl 2009 feiert. Sondern einen sachdienlichen Hinweis geben, worum es in der Landespolitik schwerpunktmäßig geht: Um Bildung, öffentliche Sicherheit und

Kultur. Das sind die Themen, bei denen Lan-desregierungen und Landtage am meisten zu sagen haben. Und genau bei diesen Themen entspricht das Kabinett unter Führung von Ministerpräsident Tillich (CDU) und seinem Stellvertreter, Wirtschaftsminister Morlok (FDP), nicht mal den Minimalanforderungen. Wäre die Halbzeit-Bilanz ein Halbjahreszeug-nis, stünde da drin: Akut versetzungsgefähr-det, weil in den Kernfächern mangelhaft!

Über den Lehrermangel stürzte bereits Kul-tusminister Wöller, der daran zu verzwei-feln schien, dass er den Ministerpräsiden-ten nicht von der Notwendigkeit überzeugen konnte, zusätzliche Mittel für neue Lehrerin-nen und Lehrer bereitzustellen. Auch Innen-minister Ulbig war bisher mit seinem Hilferuf nach einem Abbremsen des Personalabbaus bei der Polizei nicht erfolgreich. Und für die zurzeit vom Untergang bedrohten Theater und Orchester in verschiedenen Regionen kämpft am Kabinettstisch offenbar niemand. Was aber machen Tillich und Morlok? Der Ministerpräsident schweigt im Landtag am liebsten, und sein Stellvertreter verteilt an der Autobahn Eierschecken, um Fernpend-ler dazu zu bewegen, in Sachsen zu arbeiten. Wie dagegen LINKE Politik aussieht – lesen Sie doch einfach in diesem Heft!

MdL Dr. André Hahn Fraktions-vorsitzender

Sachsens CDU/FDP-Koalition: In den Kernfächern mangelhaft

Zwischen Februar und April 2012 hat die Frak-tion DIE LINKE u.a. zwei Große Anfragen, einen Dringlichen Antrag, mehrere Entschließungs-anträge und fast 20 reguläre Anträge in den parlamentarischen Geschäftsgang gebracht.

Über Große Anfragen verlangt DIE LINKE von der Staatsregierung – Antworten zu Lebenslagen von Frauen in Sachsen (Drs 5/8746)– eine Konzeption zur Sicherung und Fortent-wicklung des sächsischen Kleingartenwe-sens (Drs 5/5759)

Über einen Dringlichen Antrag der Fraktionen DIE LINKE, SPD und GRÜNE wurde der 3. Land-tags-Untersuchungsausschusses (UA) der 5. Legislaturperiode eingesetzt. Der UA soll mög-liche Versäumnisse der Staatsregierung und ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unter-liegenden Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und sonstigen Behörden im Freistaat Sachsen beim Umgang mit dem als Nationalsozialistischer

Untergrund (NSU) bekannt gewordenen Terror-netzwerk untersuchen. (Drs 5/8497)

Mit entschließungsanträgen forderte DIE LINKE von der Staatsregierung: – die Arbeitsmarktpolitik in Sachsen zukunfts-gerecht und chancenorientiert zu gestalten und endlich von der Niedriglohnstrategie abzurücken (Drs 5/8781)– eine verlässliche, planungssichere und zukunftsorientierte Förderung der Solarener-gie zu gewährleisten und eine Kürzung der Solarförderung abzulehnen (Drs 5/8622)

Mit weiteren Anträgen fordert die Fraktion DIE LINKE u.a.:– den unterrichtsausfall in Sachsen zu unterbinden (Drs 5/7493)– die Zukunft des Rettungsdienstes in Sach-sen zu sichern und die Kommunalisierung der Aufgaben zu ermöglichen (Drs 5/8715)– die Inanspruchnahme von Bundes-Mitteln aus dem Teilhabepaket für die Schulsozialarbeit und für das Mittagessen im Hort (Drs 5/8748)

– eine einheitliche Anrechnung von drei Jah-ren Kindererziehungszeit auf die gesetzliche Rente (Drs 5/8749)

Weitere Anträge befassten sich u.a. mit den Strukturen von „Blood & Honour“ und der „Hammerskin Nation“ in Sachsen (Drs 5/8218), mit der Terrorgefahr und Sicherheitsmängeln aufgrund militärischer Nutzung des Flughafens Leipzig/Halle (Drs 5/8669), mit der geplanten Demontage der Polizeiliche Präventionsarbeit (Drs 5/8924); mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (Drs 5/8953) sowie mit den Konsequenzen aus dem Bericht des Komitees für Grundrechte „Dresden im Februar 2011 – Eine Untersuchung von Demonstrati-onsrecht und sächsischer Praxis“ (Drs 5/8219).

Drs = Drucksachennummer

Alle Drucksachen sind unter www.linksfraktion-sachsen.de unter „Dokumente“ abrufbar.

Parlamentarische LINKE Initiativen (Auswahl)

Sachsens Musterknaben? Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU, re.) und Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP)

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fügten sich die offiziellen Vertreter Reichen-bachs wie auch die Leitung der WHZ in das vermeintlich Unvermeidliche und stellten ihre Bemühungen zur Erhaltung des Hoch-schulstandorts allmählich ein; der gewählte Reichenbacher CDU-Landtagsabgeordnete sprach sich gar gegen parlamentarische Ret-tungsversuche aus – wohl, weil er der Staats-regierung nicht in den Rücken fallen wollte. Daraufhin nahmen die Reichenbacher die Sache selbst in die Hand und bildeten eine Bürgerinitiative zur Erhaltung des Hochschul-standortes Reichenbach (s. Seite 5).

Unterstützung kam und kommt von den demo-kratischen Oppositionsfraktionen im Landes-Parlament, die aber zumeist an der schwarz-gelben Landtags-Mehrheit scheitern. Ein von meiner Kollegin Andrea Roth initiierter par-teiübergreifender Antrag für ein fünfjähriges Moratorium kam erst gar nicht zustande, da die zur Unterzeichnung eingeladenen vogtlän-dischen MdL von CDU und FDP dies ablehn-ten. Ein gemeinsamer Antrag von LINKEN, SPD und Grünen wurde vom Landtagspräsidium – und damit auch vom Reichenbacher CDU-Abgeordneten Kienzle – nicht für die Tages-ordnung des Septemberplenums zugelassen, und eine seitens der Fraktion DIE LINKE bean-tragte öffentliche Anhörung im Sächsischen Landtag vermochte das Blatt auch nicht mehr zu wenden. Es bleibt abzuwarten, ob es wei-tere Akte derartiger parlamentarischer Trau-erspiele geben wird oder ob die Staatsregie-rung ein stilles Sterben inszenieren kann.

Mitte April 2012 erlebte die Außenstelle der Westsächsischen Hochschule Zwickau (WHZ) in Reichenbach noch einmal eine kurze Hoff-nungsphase. Finanzminister Unland hatte auf einen Brief des Reichenbacher Oberbürger-meisters (OBM) und des Vogtland-Landrats, die um Hilfe für die Nachnutzung der Hoch-schulgebäude baten, geantwortet, die Schlie-ßung des Hochschulstandorts sei lediglich „eine Empfehlung“, Überlegungen für eine Nachnutzung seien daher verfrüht. Kurz dar-auf ließ der Minister freilich verlauten, er habe sich wohl missverständlich ausgedrückt.

Es bleibt also bei der beabsichtigten Schlie-ßung des Hochschulstandorts Reichenbach, obwohl viele Gründe für eine Beibehaltung der beiden Studiengänge sprechen. Das Ins-titut für Textil und Ledertechnik ist einmalig in der Bundesrepublik, verfügt am gegenwär-tigen Standort über ideale Raumverhältnisse und bildet an den dort verfügbaren alten und neuen Maschinen hoch motivierte Fach-leute aus, die besonders in der boomenden Autoindustrie begehrt sind und gut bezahlte Arbeitsstellen erhalten. Die dortige Fakultät für Architektur belegte in internationalen Ran-kings stets vorderste Plätze und hat – nicht zuletzt wegen der guten Relation zwischen Lehrenden und Lernenden – eine sensatio-

nell niedrige Abbre-cher-Quote; alle Absol-venten haben bisher eine gute Anstellung gefunden. Das Institut für Textil und Leder-technik soll an die WHZ „zurückgeführt“ werden, obwohl es dort bisher an räum-lichen Möglichkeiten fehlt und schon jetzt deutlich ist, dass das Institut auf einen Teil seiner Maschinen ver-zichten muss. Die Rei-chenbacher Fakultät

für Architektur soll aufgelöst, das Lehrperso-nal in Leipzig integriert werden. Auch in Leip-zig fehlt es an Räumlichkeiten, und die dortige Fakultät für Architektur wird für viele Jahre keine Neuberufungen mehr vornehmen kön-nen. Unnötige Doppelbesetzungen einerseits und fehlende Fachrichtungen im Studiengang Architektur andererseits sind die Folge.

Über die erhofften Einsparungen gibt es bis-lang keine verlässlichen Zahlen. Sollte es diese überhaupt geben, würden sie erst lang-fristig – also in fünfzehn bis zwanzig Jahren – wirksam werden. Seitens des Wissenschafts-ministeriums kritisiert man die zu geringe Studierenden-Zahl und argumentiert zudem mit „Synergie-Effekten“, die einträten, wenn die beiden Wissenschaftseinheiten in größere Hochschulverbände integriert würden. Außer-dem, so heißt es, müssten 13,2 Mio. Euro in den Standort Reichenbach investiert werden. Wie diese Summe zustande kommt, wurde dem OBM nie erläutert. Die von ihm in Auf-trag gegebene Kostenschätzung liegt bei 6,58 Millionen Euro – ein bescheidener Betrag im Vergleich zu den Kosten, die bei der Verlegung der beiden Einrichtungen anfallen dürften.

Für den Standort Reichenbach wäre die Schließung eine Katastrophe. Die wirtschaft-lichen Auswirkungen sind in dem ohnehin strukturschwachen sächsischen Vogtland kaum aufzufangen, und auch kulturell wird die beabsichtigte Schließung eine schmerzliche Lücke hinterlassen. Darum drängt der OBM auch auf einen Ausgleich – die Ansiedlung einer Landesbehörde des Freistaates.

Das ganze Verfahren ist ein Lehrstück dafür, wie man es nicht macht. Da beiden Einrich-tungen das Aus droht, wird es jetzt kaum mehr gelingen, Studierende für den Studien-ort Reichenbach zu erwärmen. Ein jahrelan-ges, qualvolles Ausbluten wird die Folge sein. Bis zum traurigen Ende des Standorts sind die Lehrenden aufgrund dieser Konstellatio-nen einem wachsenden psychischen Stress ausgesetzt. Nach anfänglichem Widerstreben

MdL Prof. Gerhard BesierSprecher für Hochschulpolitik der Fraktion DIE LINKE,Vorsitzender des Wissenschafts- Ausschusses im Sächsischen Landtag

Hochschulstandort Reichenbach – stilles Sterben wider die Vernunft?

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wurden weder ihre Fragen zum denkmalge-schützten Bauhaus-Gebäudekomplex noch zu kommunalpolitischen Folgen beantwor-tet. Die BITex hat sich darüber beim Land-tagspräsidenten und beim Petitionssau-schuss beschwert und will die Antworten nun einfordern.

Laut Hochschulentwicklungsplan liegt die Verantwortung für die Tex noch bis 2015 bei der WHZ. „Bis dahin müssen wir aufpas-sen, dass mit dem Objekt nicht geschachert wird“, so Dr. Horlbeck. Die 164jährige Tradi-tion der Textilausbildung ist in dieser Form in Deutschland einmalig. Und: Die Tex prägt Reichenbach, die Studierenden sind auch ein Wirtschaftsfaktor, sie beeinflussen u.a. Kultur, Einzelhandel und ÖPNV. Nach einer Studie würde Reichenbach ohne die Tex im Jahr fast eine Mio. Euro verlieren.

Dass selbst das den zur regierungstragen-den Landtagsfraktion der CDU gehörenden Reichenbacher Alfons Kienzle nicht zum Umdenken bewegt, verstehen weder Horl-beck noch Tillack: „Herr Kienzle und die CDU wollen ihre Ruhe. Wir stören und wer-den deshalb als ‚Wutbürger‘ abgetan.“ Das sehen örtliche Unternehmen, Bildungsein-richtungen und die Studierenden selbst anders. Auch der Verband der Nord-Ost-deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie wendet sich gegen die Schließungspläne.

Nein, wie „Wutbürger“ sehen die beiden älte-ren Herren wirklich nicht aus. Da hat sich die Reichenbacher CDU-Stadtratsfraktion wohl geirrt. Wobei es sicher auch ein Stück weit Wut war, was Prof. Dr. Peter Tillack (74) und Dr. Wolfgang Horlbeck (67) vor nicht mal einem Jahr zusammenbrachte und an die Spitze einer Bürgerbewegung mit etwa 700 Menschen spülte, die alle dasselbe wollen: dass Reichenbach Hochschulstandort bleibt.

Wolfgang Horlbeck, pensioniert und als Chor-leiter und Konzertdramaturg im „Un-Ruhe-stand“, lief im Sommer vorigen Jahres wohl einfach das Herz über, als ihm klar wurde, dass Reichenbach das Institut für Textil- und Ledertechnik und die Fakultät für Architektur als Außenstelle der Westsächsischen Hoch-schule Zwickau (WHZ) verlieren sollte. Trotz der Bekenntnisse des Stadt- und Kreista-ges und einer Unterschriftensammlung zum Erhalt der „Tex“, blieb es beim Landes-Plan, die Architektur nach Leipzig und den Textil-bereich nach Zwickau umzusiedeln. „Da habe ich einen Brief an die Freie Presse geschrie-ben und mich an die Reichenbacher gewandt. Ich schrieb, dass mir vor der Vorstellung graust, wie das wohl schönste Baudenk-mal Reichenbachs auf dem Scheiterhaufen der Geschichte entsorgt werden könnte. Die Hochschule prägt seit mehr als 160 Jahren das Gesicht der Stadt. Wenn sie nicht mehr ist, geht ein Stück Reichenbach verloren.“

Horlbecks Zeilen trafen die Seele vor allem der alteingesessenen Reichenbacher. Man redete miteinander, wollte mehr tun – und gründete die Bürgerinitiative BITex. „Weil Politik hier konkret wird. Weil die Fachschule eines der Wahrzeichen der Stadt ist und weil, wer Hand daran legt, die Bürgerschaft angreift“, erklärt Peter Tillack die überra-schende Dynamik. Die BITex versteht sich als Sprachrohr derer, die sich nicht vereinnah-men lassen und die Tex erhalten wollen, aus welchen Gründe auch immer. Für Prof. Tillack ist das der Blick zurück in die 90er Jahre, als er als Dekan die Abwicklung seiner gut aufge-stellten Agrarwissenschaftlichen Fakultät in Leipzig miterleben musste und sich schwor: „So etwas darf nie wieder passieren.“

Seit ihrer Gründung im August 2011 hat die BITex Bürgerforen veranstaltet, einen Rund-gang in der Tex organisiert, viele Gespräche geführt und Briefe geschrieben, an einer Landtags-Anhörung teilgenommen und eine Petition eingereicht. Dass diese fix bear-beitet wurde, freut die BITex nicht, denn es

„Und wir verstehen nicht, dass das Wissen-schaftsministerium die Liquidierung des Hochschulstandortes beschließen kann, ohne auch nur einen Gedanken daran zu ver-schwenden, wie dieser Verlust für die Region ausgeglichen werden soll“, so Horlbeck.

„Wir müssen jetzt die regionale Industrie aktivieren, damit die Bedeutung von Rei-chenbach als Forschungsstandort unterstri-chen wird“, überlegt Peter Tillack. Für eine breitere Bewegung wirbt auch Wolfgang Horlbeck: „Es ist wichtig, dass überall begrif-fen wird: Wenn die Tex nicht mehr ist, ist das ein Verlust für das gesamte Vogtland.“ Für den „Blick über den Tellerrand“ hat die BITex den Kontakt zur Bürgerplattform Plauen hergestellt, denn z.B. beim Landesentwick-lungsplan sehen beide Graswurzelbewegun-gen Schnittmengen.

Dass sie einen langen Atem brauchen, wis-sen Tillack, Horlbeck und der für jedermann offene BITex-Arbeitskreis. Dass sie sich und andere immer wieder werden ermutigen müssen, auch. Dass ihr Weg richtig ist, wis-sen sie spätestens seit die Leser und Lese-rinnen der Freien Presse Wolfgang Horlbeck zum „Vogtländer des Jahres“ machten. Weil sie stolz auf ihn sind. Weil er den Preis der BITex widmet und weil er beteuert, noch immer derselbe zu sein, wie der, dem vorigen Sommer das Herz überlief … efa

Graswurzelbewegung(en)* in Reichenbach

Dr. Wolfgang Horlbeck (li.) und Prof. Dr. Peter Tillack kämpfen mit der BITex für den Erhalt des Hochschul-standortes Reichenbach.

BITex-Aktive im November 2011 vor dem Dresdner Landtag

*Graswurzelbewegung (engl.: grass-roots movement) steht für eine Initiative, die aus der Basis der Bevölkerung entsteht.

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Leben im Land der Vuchelbeern*Der Vogtlandkreis liegt im Südwesten Sachsens und grenzt an Thüringen, Bayern und Tschechien. Knapp 245 Tausend Menschen sind in der land-schaftlich reizvollen Region zuhause, die so klangvolle Ortsnamen wie Mor-genröthe-Rautenkranz aufzubieten hat. Klangvoll auch der „Vuuchtländer“ Zun-genschlag, wo’s „de Leit freid“, dass hier Musik und Winterfreuden Marken-kerne sind. Im Musikwinkel um Klin-genthal und Markneukirchen werden seit 350 Jahren Musikinstrumente gebaut, feinste Spitze ist untrennbar mit Plauen verbunden und nicht nur Touristen sollten Folgendes probie-ren: Pferdeschlitten-Touren rund um Muldenhammer, Skispringer gucken in der Vogtlandarena und Pfunde lassen auf der Kamm-Loipe bei Mühlleiten.

Zu den bekannten Vogtländern vergan-gener Zeit gehören u.a. Porzellanerfin-der Böttger und Theaterreformerin Caroline Neuber. Berühmtheiten der Neuzeit sind der erste deutsche Weltraumfahrer Sigmund Jähn und Volksmusikstar Stefanie Hertel.

All das und mehr weiß Andrea Roth, zuhause in Tannenbergsthal und seit 1994 Landtagsabgeordnete für DIE LINKE. Pvl hat mit ihr gesprochen:

1. Vogtländer – mancher hält sie für ein „kleines zänkisches Bergvolk“…… ja, so steht es im Duden und auch im Vogtländerpass. Vermutlich ist das geschichtlich gewachsen: Die Region zählte schon früher zu den ärmsten Sachsens, die Menschen mussten sich beizeiten gegen ihre Vögte und Landsherren behaupten. Schade, dass der Ruf des Zänkischen prä-senter ist als der des Fleißes, der innigen Heimat- und Naturverbundenheit und der freundlichen Hilfsbereitschaft. Als gebo-rene Dresdnerin bin ich zwar „ne Fremme“ und kann wohl nie den Vogtländerpass erhalten, aber ich erlebe täglich die vogt-ländischen Tugenden und schätze die Men-schen hier sehr.

2. In Dresden geht’s um große Politik, worum geht es im kleinen Tannenbergsthal?Um die Auswirkungen dieser „großen Poli-tik“. Beispiel: Aus „Effizienzgründen“ duldet die Staatsregierung künftig keine Gemein-den mit unter 5.000 Einwohnern mehr. Für die Waldgebietsorte Tannenbergsthal, Ham-merbrücke und Morgenröthe-Rautenkranz bedeutet das den Verlust ihrer Selbststän-digkeit und die Gefahr, in größere Städte eingemeindet zu werden. Bevor andere diese Entscheidungen treffen, haben wir gehandelt und uns 2010 zur Einheitsge-meinde „Muldenhammer“ zusammenge-schlossen. Der Weg dahin war nicht kon-fliktfrei, aber beim „zänkischen“ Völkchen siegten Vernunft und Heimatstolz.

Ich arbeite seit 1994 im Gemeinderat, Kreisrätin war ich bis 2011. Und ich unter-stütze Vereine, wie z.B. den Heimatverein „Topas“‚ Tannenbergsthal, den Förderver-ein Vogtland-Philharmonie Greiz-Reichen-bach, den Tierparkverein Klingenthal oder den Verein Deutsche Raumfahrtausstellung Morgenröthe-Rautenkranz (s. auch S. 8, 9).

3. Wofür bist Du im Landtag und in Deiner Fraktion verantwortlich?Ich bin Mitglied im Landtagspräsidium, im Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft und im Bewertungsausschuss. Im 1. Unter-suchungsausschuss (Abfall-Missstands-Enquete) bin ich stellvertretende Vorsit-zende. Während der Landtagssitzungen arbeite ich als Schriftführerin und Wahl-leiterin. In meiner Fraktion bin ich für die Bereiche Abfall und Abwasser zuständig und als Bürgerbeauftragte auch Sprecherin für direkte Demokratie.

4. Was macht man als „Bürgerbeauftragte“?Pro Monat bitten mich bis zu 40 Bürge-rinnen und Bürger um Hilfe und Beratung. Mal geht es darum, Materialien, wie z.B. Gesetze zuzuarbeiten, dann wieder um Kon-takte und Gesprächstermine. Manchmal ist eine Begleitung für Behördengänge zu organisieren oder bei Streitigkeiten zu ver-mitteln. In St. Egidien zum Beispiel gab es

Diskrepanzen zwischen der Gemeinde und einem privaten Pflegedienst. Ich bemühte mich um eine gütliche Einigung, schrieb an die zuständige Ministerin, stellte Kleine Anfragen und führte Gespräche im Pflege-zentrum und Bürgermeisteramt.

Zu all dem organisiere ich seit 1998 regel-mäßig Treffen der sächsischen „Bürgeriniti-ativen für sozialverträgliche Kommunalab-gaben“ und seit dem Jahr 2000 Treffen der Schulinitiativen des Landes. Hier referieren Fachexperten, werden Erfahrungen ausge-tauscht und Aktionen vereinbart.

5. Bist Du in Sachen Bürgerinitiativen auch im Vogtland aktiv?Natürlich! Ich habe große Hochachtung davor, wie Bürgerinitiativen sich einmi-schen und bewundere, wie BI-Mitglieder wie bei der BITex Reichenbach (S. 5) oder der Bürgerplattform Plauen sich in kür-zester Zeit enormes Fachwissen aneig-nen. Politiker sollten mit Bürgerinitiati-ven zusammenarbeiten, das würde unser Land gerechter, innovativer und reicher machen.

* vogtländisch für Vogelbeeren

Bürgerinnen- und Bürger- büros von MdL Andrea Roth im Vogtlandkreis

08209 AuerbachAlbert-Schweitzer-Straße 34,

+49 (0)3744 224188

08248 KlingenthalLindenstraße 3,

+49 (0)37467 22142

Bürger/innen-Sprechstunden in08523 Plauen, Bahnhofstraße 49(auf Anfrage)

[email protected] [email protected]

(MdL = Mitglied des Landtags)

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Quo vadis Vogtland-Industrie?Plauen macht nicht erst seit Manroland mit Firmenpleiten Schlagzeilen. Ande-ren Firmen erging es ähnlich: Die Wema Plauen, der ehemals bekannte Her-steller von Maschinensystemen, wurde aufgesplittet. Von früher mal 1.200 Arbeitern und Inge-nieuren sind heute noch 165 in Lohn und Brot. Bei MLK, einer international agierenden Stahl-baufirma, die in Brandenburg u.a. die Tropical-Island-Halle baute, sind von ehemals 1.500 Mitarbeitern heute noch 200 beschäftigt. Bushersteller Neo-plan – auch eine Tochter von MAN – hat zwar 200 Arbeits-plätze geschaffen, allerdings erfuhren von den nun insge-samt 500 Beschäftigten 50 Anfang April, dass ihre befris-teten Arbeitsverträge zum Monatsende auslaufen. Leihar-beit ist auch im Vogtland kein Fremdwort …

Plauen mit sächsischem Negativ-Rekord

Plauener Gardine und die Plau-ener Spitze, zwei Unterneh-men mit Weltruf und jeweils 2.000 Arbeitsplätzen, gibt es nur noch in handwerkli-cher Kleinform. Andere Tex-tilfirmen wie Zellwolle und Vowetex, die zusammen über 2.000 Beschäftigte haben, sind aus dem Plauener Stadt-bild gänzlich verschwun-den. Narva ist noch heute ein moderner Leuchtenpro-duzent mit 300 Mitarbeitern von allerdings frührer 1.000 Beschäftigten. Die Aufzäh-lung von Firmenzersplitterun-gen und Schließungen ließe sich sicher beliebig fortset-zen. Fakt ist, Plauen hat seit 1989 ca. 12.500 Industrie-Arbeitsplätze verloren, davon 1.300 allein seit 2008. Das ist sächsischer Rekord! Dem gegenüber stehen ganze

2.300 neu geschaffene Arbeitsplätze – seit der Wende wohlgemerkt.

Jüngst habe ich in Plauen mit ehema-ligen Ingenieuren aus dem Reifen-werk (gibt’s auch nicht mehr) und der

Wema gesprochen. Keiner glaubte noch daran, dass die Geschichte des Plamagwer-kes eine Fortsetzung erfah-ren würde. Manroland galt für die „Älteren“ nur als wei-teres Beispiel für den indust-riellen Abstieg einer ehemals bedeutenden Industriestadt: „Wer keine Hochschule hat, hat keine Zukunft als Indus-triestadt. Und wir haben hier eben auch keine politische Lobby.“ Durch die indus-triellen Einschnitte der ver-gangenen Jahre hat sich bei den Großvätern also Enttäu-schung breit gemacht. Die Plauener Betriebe gehörten für sie zum Leben, prägen sie doch ihre Arbeits- und Lebensgeschichten.

Jüngere sehen das freilich anders. „Plauener pendeln schon seit 1989, die inter-essiert die Industriestruk-tur der Stadt wenig. Hier ist viel gebaut worden, hier lebt sich‘s gut. Große Sorgen mit Arbeitslosigkeit haben wir auch nicht, nur der Verdienst ist leider schlecht.“ Die Nach-wendegeneration weiß, dass in Treuen „Goldbeck“ jetzt der größte gewerbliche Arbeit-geber ist. 715 Leute arbei-ten dort. Bei den Autozulie-ferern Magnetto Automotive Deutschland gibt es 320 und bei Herzer 60 Mitarbeiter. Auch die Sicherheitsglas-technik GmbH in Plauen, wie der Sonnenschutzhersteller Erfal in Falkenstein haben bereits 300 Angestellte. Das sind Neuansiedlungen oder gewachsene moderne mit-telständische Unternehmen. Hier sind wohl nicht die Arbeitsplätze das Problem,

sondern der niedrige Lohn und teils früh-kapitalistische Arbeitsbedingungen, die einem gesunden Familienleben alles andere als gut tun.

Vogtland-Industrie im Sachsentrend

Auch wenn es mitunter so aussieht: Das Vogtland ist nicht de-industrialisiert, es ver-lor „nur“ seine „Leuchttürme“. In Plauen z.B. gibt es heute insgesamt 190 Firmen mit über 50 Beschäftigten, einschließlich der kommunalen Dienstleister. Bedenkt man, dass in ganz Sachsen 3.370 vergleich-bare Firmen existieren, so sind die Wirt-schaftsprobleme Plauens beispielhaft für ganz Sachsen.

Das Vogtland hat seit 2001 ca. 30.000 Einwohner und 10.000 sozialversiche-rungspflichtige Arbeitsplätze verloren. Gegenwärtig gibt es ca. 9.000 Arbeits-Aus-pendler, davon fahren 2.600 nach Bayern, die andern ins Umland. Die Entwicklung Plauens und des gesamten Vogtlands zeigt viele Widersprüchlichkeiten und bedeutet eine enorme Gestaltungsherausforderung für die Zukunft. Wir von der LINKEN plädie-ren für ein Umsteuern in Sachsen. Nach Jahren der finanziellen Förderung versie-gen die Transfermittel, eine Angleichung West, eine selbsttragende Entwicklung hat es bis heute nicht gegeben. Ohne Erfolge zu negieren, heißen die Herausforderungen der Zukunft: Weg von der dominierenden Hoffnung auf Ansiedlungen, weg von der ewigen Investorensuche, von Billiglohn und einem „Nachbau West“. Stattdessen brau-chen die Regionen eigene (!) zukunftsfähige Leitbilder mit einer Balance von Wettbe-werb und Kooperation, die auf Vorhande-nem aufbaut und eine zukunftsfähige, weil nachhaltige, wirtschaftliche Entwicklung hervorbringt. Gleichwertige Lebensver-hältnisse erlangt man zuallererst, indem man Abhängigkeiten abbaut. Das verlangt eigene Konzepte und einen selbst gewollten Aufbruch. Das Gremium, in dem DIE LINKE an alternativen Konzepten arbeitet, ist das Wirtschaftspolitische Forum. Interessierte Mitstreiter sind jederzeit willkommen!

MdL Karl-Friedrich zais Sprecher für Wirtschaftspolitik

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Die Mini-Gemeinde im südlichen Vogtland kurz vorm Übergang nach Tschechien ist ein Novum. Ihr Name ist ein Zungenbre-cher, ihn fehlerfrei auszusprechen, ist Kult: Morgenröthe-Rautenkranz! Der Ort, in dem der erste und einzige Fliegerkosmonaut* der DDR das Licht der Welt erblickte.

Das ist 75 Jahre her. Inzwischen ist viel pas-siert. Heute zählt die hier beheimatete und in dieser Form einzigartige Raumfahrtaus-stellung jährlich rund 60.000 Gäste, darun-ter viele Kinder, die im Waldpark Grünheide Ferien machen. Reisebusse halten, Indivi-dualtouristen schauen rein und erhalten einen Blick auf die garantiert am weitesten gereisten Exponate Deutschlands: Fahnen und Wimpel, die Weltraumstempel tragen, Raumanzüge und technisches Gerät diver-ser Raumfahrtprojekte. Shuttle-Modelle und die Filme von ESA (European Space Agency) und NASA (National Aeronautics an Space Administration) transportieren die „Faszination Weltraum“. Auch inter-essant, aber nichts für Klaustrophobiker: das Original-Trainingsmodul der Raumsta-tion MIR (russ.: Frieden). Trotz ihrer wis-senschaftlichen Ausrichtung ist die Schau auch für Laien spannend.

Das war nicht immer so. Voller Stolz auf den ersten deutschen Weltraumfahrer wuchs Ende der 70er Jahre eine kleine

Bildersammlung im sog. Pionierzimmer des Dorfes. Bald wurde diese erweitert und zog in den alten Bahnhof um. Wobei es dann wohl eher um „Waffenbrüder-Klassen-brüder“ ging, als um Sigmund Jähn. „Also, Marx, Engels und Lenin als Vordenker der Raumfahrt“, witzelt Konrad Stahl, dem nach der Wende als ehrenamtlichem Neu-Bür-germeister die Verantwortung für Haus und Ausstellung übertragen wurde. „Wir haben überlegt, wie wir weitermachen. Die Ideen reichten von Einstampfen bis zur Ossi-Nost-algie-Schau. Beides wollten wir nicht. Dann saßen wir mit Sigmund Jähn und seinen Kol-legen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen und die mein-ten: Arbeitet doch das Thema Raumfahrt mal gesamtdeutsch auf! Das war neu, das war gut, das haben wir gemacht!“ Geboren war das Abenteuer: „Raumfahrt auf dem Dorf.“

1992 gründete sich der Verein Deutsche Raumfahrtausstellung Morgenröthe-Rau-tenkranz. Vorsitzender damals wie heute: Konrad Stahl (58). Berühmtestes Vor-standsmitglied: Dr. Sigmund Jähn (75). Heute sind dem Verein mehr als 250 nicht nur deutsche Mitglieder treu. Die ersten Jahre auf dem Weg zur Raumfahrtausstel-lung indes bestanden vornehmlich aus Klinken putzen. „Bewaffnet“ mit einem Empfehlungsschreiben der DLR und einer Satellitenkarte, auf der er zeigen konnte, wo seine 800-Seelen-Gemeinde vom All aus gesehen liegt, ergatterte Stahl Exponat für Exponat – die meisten als Dauerleihgabe für Deutschlands erste gesamtdeutsche Raumfahrtausstellung.

Mitte der 90er Jahre platzte der marode Bahnhof aus allen Nähten, ein Neubau musste her. Kosten: Eine knappe Million Euro. Die kamen von der EU und aus dem LEADER+Programm. Weitere Geldgeber waren das Land Sachsen, der Vogtland-kreis, die Gemeinde und der Kulturraum

Vogtland-Zwickau. Große Unterstützung gab es von der ESA, dem DLR und dem Deutschen Museum in München, das den Vogtländern bis heute verlässlich zur Seite steht. Für die EU-Förde-rung war es übrigens nicht von Nachteil, dass der erste Kos-monaut Tschechiens, Vladimir Remek, heute Europaabgeordne-ter und erklärter Freund der Vogt-länder ist.

2007 wurde das neue Ausstellungshaus nebst kleinem Planetenpark eröffnet, 2009 folgte ein Besucher-Parkplatz, im Jahr dar-auf der Raumfahrt-Spielplatz. Damit war die „Hülle“ perfekt. Zur Erweiterung des „Inhalts“ tragen schon seit 1997 die „Raumfahrttage“ mit „Kosmonauten zum Anfassen“ bei. Zu die-sen Wochenendver-anstaltungen treffen sich Raumfahrer aus verschiedenen Län-dern, Wissenschaft-ler, Forscher und einfach „nur“ Inter-essierte in Morgen-röthe-Rautenkranz. Sie halten oder hören allgemeinver-ständlich aufbereitete Fachvorträge, knüpfen Kontakte und fachsimpeln. „Oft kommen unsere Gäste in Familie, dann legen wir noch ein Frauen- und Kinderprogramm auf“, ergänzt Stahl. Fachinhalte der Raum-fahrttage sind u.a. in der vereinseigene Schriftenreihen nachzulesen.

Was Besucher und Himmelsflieger sonst noch aus Morgenröthe–Rautenkranz mit-nehmen können, finden sie im Ausstel-lungs-Shop: „Raachermannl“ in Raum-fahrerkluft, original Sigmund-Jähn-Plakate, Weltraumbrot u.a.m. Das hilft wirtschaften, der Verein muss immerhin 90 Prozent sei-ner Kosten selbst „einfahren“. „Das geht nur, weil bei uns viele ehrenamtlich mitma-chen. Alle, die hier arbeiten, gehören zum Verein. Und auf die Uhr guckt hier keiner“, ist Stahl stolz auf seine Mannschaft. Dass der Straußberger Sigmund Jähn, der seine Datsche am Rautenkranzer Waldrand hat, regelmäßig reinschaut, ist für Konrad Stahl selbstverständlich: „Sigmund ist und bleibt einer von uns. Ein ganz feiner Kerl, dem wir viel verdanken und der natürlich in der Aus-stellung besonders gewürdigt wird.“ efa

*Dr. Sigmund Jähn flog am 26. August 1978 gemein-sam mit Waleri Bykowski zur Raumstation Saljut-6, um dort eine Woche lang Experimente durchzuführen.

Wo der Himmel zuhause ist

Konrad Stahl in seinem Element ...

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„Dresden, wir haben ein Problem!“Die Landekapsel Sojus 29, mit der Kos-monaut Sigmund Jähn und sein sowjeti-scher Kollege Waleri Bykowski am 3. Sep-

tember 1978 nach knapp acht Tagen Weltraumaufenthalt zur Erde zurück-kehrten, ist rötlich-schwarz, fast rund – und für die Kosmos-Enthusi-asten der Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz ungefähr so weit weg wie der Mond.

Sehr gern würde der Chef des Ausstel-lungsvereins Konrad Stahl die Kapsel in der auch fürs Land bedeutsamen Raum-fahrtausstellung zeigen. Zu DDR-Zeiten war sie im Dresdner NVA-Militärmuseum

ausgestellt. Nach der Wende lag sie rum und im Weg, bis das Deutsche

Museum in München sich ihrer annahm und „mit viel Liebe

und fachgerecht“ – wie Stahl erzählt – in Bayern präsentierte.

Nach Eröffnung des großzügigen Ausstel-lungs-Neubaus in Mor-genröthe-Rautenkranz wäre gut Platz für den metallenen Zeitzeugen sowjetisch-deutscher

Raumfahrtgeschichte. Eine Anfrage beim Vertei-

digungsminister zur Ausleihe der Kapsel bescherte den

Vogtländern jedoch ein klares

„Nein“. Auch wenn die Bundeswehr sonst nix mit der NVA am Hut hat, mochte sie deren Erbe im Fall von Sojus 29 nicht ausschlagen. Das wäre auch nicht wei-ter schlimm, wüsste sie das „Schätzchen“ auch zu würdigen.

Heute baumelt Sojus 29 in der äußers-ten Spitze des sog. „Liebeskind-Keils“ im Militärhistorischen Museum in Dresden. Wer sucht, der findet sogar ein Täfelchen mit wenig aussagefähigem Text. Schlech-ter wird’s nur noch auf der Museums-Homepage. Dort ist Sojus 29 ein „Run-des Gerät mit kyrillischen Schriftzeichen“ (Screenshot s. oben). Das Militärhisto-rische Museum reagierte nicht auf die Bitte aus Morgenröthe-Rautenkranz, dies zu ändern. Auch das jüngste Angebot der Vogtländer, im Austausch einen Kapsel-Nachbau zu liefern, diesen aufzuhängen und die Original-Kapsel in Morgenröthe-Rautenkranz am Boden aufzustellen und somit einen Blick ins Innere möglich zu machen, lehnte Dresden ab. Dafür wurde

den Dörflern großzügig gestattet, ein Schild aufzustellen und darauf hinzuwei-sen, dass Sojus 29 in Dresden hängt.

„Na wenigstens haben wir die MIG“, trös-tet sich Konrad Stahl. Das originale Jagd-flugzeug Sigmund Jähns hatte die NVA der Gemeinde seinerzeit offiziell geschenkt. An Sojus 29 wollen die Morgenröther Über-flieger dennoch dran bleiben. Die Links-fraktion wird sie dabei auch mit parlamen-tarischen Initiativen unterstützen. efa

Ihre Gesundheit: Weil ein Lohndumping-Wettbewerb beim Rettungsdienst lebensgefähr-lich ist, fordert DIE LINKE, den CDU/FDP-Gesetzentwurf zum Rettungswesen ad acta zu legen und sich stattdessen am Antrag der LINKEN zu orientieren, der die Interessen der Bürger/innen und der im Rettungsdienst Beschäftigten in den Vordergrund stellt. Der Gesetzent-wurf von CDU und FDP gibt vor, Wett-bewerb zu fördern, Rettungsdienst und Katastrophenschutz zu verknüp-fen und für Qualität zu sorgen. Tatsäch-lich führt er jedoch zu Monopolbildung, zur Auflösung von „Blaulicht-Struktu-ren“ und zur Stagnation bei der Quali-tät. DIE LINKE will dagegen das flächen-deckende Netz an Rettungswachen erhalten. Statt eines europaweiten rui-nösen Billigwettbewerbs von Anbietern sollte der Rettungsdienst in kommunaler

Hand und damit bei den Landkreisen und kreisfreien Städten liegen.

Ihr Geld: Die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag fordert die Abschaffung der Praxisgebühr. Aktuelle Zahlen belegen, dass die im vorigen Jahr von den gesetz-lichen Krankenkassen erreichten finan-ziellen Überschüsse ohne weiteres die ersatzlose Streichung der Praxisgebühr ermöglichen würden. Allein die AOK PLUS verbuchte für 2011 einen Überschuss von ca. 364 Mio. Euro, die Praxisgebühr führte in Sachsen im vergangenen Jahr zu Gesamteinnahmen von 111 Mio. Euro. Da inzwischen alle demokratischen Oppo-sitionsparteien im Sächsischen Landtag die ersatzlose Streichung der Praxisge-bühr fordern, ist die Staatsregierung in der Pflicht, diesbezüglich auf Bundesebene endlich initiativ werden.

Ihre Arbeit: Mindestlohn ist ein wichtiges Instru-ment gegen Armut. Nicht nur die derzeit Beschäftigten würden davon profitieren: Jeder zehnte Sachse, der Arbeitslosen-geld I bezieht, muss derzeit aufstocken. Das heißt, dass sein Lohn so gering war, dass er sofort nach Verlust des Arbeits-platzes unter die Armutsgrenze fiel. In Sachsen betrifft das rund 6.000 Men-schen! Ein Drittel aller Hartz-IV-Betroffe-nen sind „Ergänzer“. Das heißt, 35 Prozent der Hartz IV- Empfänger geht regelmäßig arbeiten, um dann von Sozialhilfe zu leben. Der Bundesdurchschnitt liegt bei ca. 30 Prozent. Um dieser Armutsfalle zu entge-hen wäre ein Stundenlohn von zehn Euro nötig. Deshalb fordern wir mit unserem neuen Vergabegesetzentwurf gemeinsam mit der SPD und dem DGB einen einheit-lichen Mindestlohn und dies für alle Berei-che ohne Ausnahme.

*** DIES+DAS - LINKER Politischer Newsticker ***

Deutsche RaumfahrtausstellungMorgenröthe-Rautenkranz

Bahnhofstraße 4 in 08262 MuldenhammerTelefon: 037465 / 2538; E-mail: [email protected]

– täglich von 10.00–17.00 Uhr (behindertengerechte Einrichtung)

– Ausstellungs-Begleitheft in Deutsch, Englisch und Tschechisch

Tipp: „All-Bert’s kleine Spielzeugwelt“ – Sonder-Ausstellung mit Raumfahrt-spielzeug aus fünf Jahrzehnten (noch bis 6. Januar 2013)

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„Staatsmodernisierung“ nennt die sächsi-sche Regierung ihr Gesetz zur Neuordnung von Standorten der Verwaltung und der Jus-tiz im Freistaat Sachsen. Die Bezeichnung Staatsabbau wäre treffender gewesen. Diese „Standorte-Neuordnung“ ist nichts weiter als ein undurchdachter Behörden-wanderzirkus, bei dem etablierte Behörden- und Gerichtsstandorte von A nach B verlegt werden und Arbeitsplätze verloren gehen.

Rochade ohne Plan

Laut der offiziell als „Rochade“ überschrie-benen baulichen Umsetzungskonzeption des sächsischen Standortegesetzes soll bei-spielsweise der heute in Leipzig ansässige Sächsische Rechnungshof in die Räumlich-keiten der Außenstelle des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr in Döbeln umzie-hen, das sich wiederum mit seiner Chem-nitzer Zentrale in das Finanzamt Zschopau zu begeben hat. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Finanzamtes Zschopau sol-len im Amtsgericht Annaberg-Buchholz ein neues Zuhause finden. Das wiederum soll aufgelöst und mit Marienberg fusioniert werden, wobei dann dort ein Erweiterungs-umbau nötig wird. Fusionieren sollen auch die Landgerichte und Staatsanwaltschaf-ten in Görlitz und Bautzen, weitere Amtsge-richte, Finanzämter und Polizeidirektionen werden zusammengelegt.

Wanderzirkus ohne Spareffekt

Für diesen Wanderzirkus gibt es weder eine seriöse Kosten-Analyse noch ein tragfähi-ges Personalentwicklungskonzept. Beides ist aber eine Grund-Vorrausetzung für eine Staatsmodernisierung, die diesen Namen auch verdient. Wer die Modernisierung der staatlichen Verwaltung ernsthaft betreiben will, muss zuvor eine transparente Analyse der derzeitigen Kosten für jeden einzelnen Behördenstandort durchführen, der wiede-rum eine seriöse Prognose der zu erwarten-den Umzugskosten und Einsparungen zu fol-gen hat. Zudem müssen die Aufgaben und Vernetzungen der Verwaltungsstrukturen analysiert werden, bevor man diese grundle-gend umgekrempelt. In Sachsen gab es all dies nicht. Bewährte Standorte werden mit Verweis auf den jeweiligen Standorteaus-gleich, nach der jede Kommune, die eine Behörde verliert, eine neue bekommt, gna-denlos umgesetzt, ohne auch nur im Ansatz nach der Wirtschaftlichkeit zu fragen. Die Staatsregierung hat weder ihre Kostenschät-zung, die insgesamt eine Reformrendite von 800 Mio. Euro verspricht, untersetzt, noch kann nachvollzogen werden, welche Konse-quenzen der vorgesehene Personalabbau von 15.000 Beschäftigten für die Verwal-tungsdienstleistungen haben wird.

Widerstand ohne Folgen

Der Ruf nach Mitbestimmung bei der so genannten Staatsmodernisierung in Sach-sen war laut. Interessenvertreter von Wirt-schaft und Justiz, betroffene Beschäftigte und die Bürgerinnen und Bürger machten ihrem Unmut Luft. Schwarz-Gelb antwortete stets mit Ignoranz und tauben Ohren. All die kritischen Einwände der Fachinstitutionen und sämtliche Mahnungen der zur Sache angehörten Experten wurden „überhört“. Ministerpräsident Tillich verbat sich gar die Positionierung des Rechnungshof-Präsiden-ten, der es „gewagt“ hatte, den Umzugsbe-fehl für die Aufbaubank zu kritisieren.

Auch in Plauen regte sich Widerstand gegen die Schließung der Außenkammern des Landgerichts Zwickau. Anwaltsverein, Jus-tizstelle und die IHK lehnen dies strikt ab, weil sich dadurch Wege und Zeitaufwand für Wirtschaft und Bürger verlängern. Zudem ist die Nähe zu Behörden und Gerichten gerade für Investoren ein bedeutendes Stand-ort-Argument. Mit der Auflösung besagter Außenkammern wird eine weitere Schwä-chung des Wirtschaftsstandortes Vogtland

befürchtet. Schon frühere „Reformen“ lie-ßen Plauen als Verlierer zurück, hier gibt es kein Insolvenzgericht, kein Handelsregister, keine JVA, keine Haftrichterzuständigkeit und kein Vereinsregister mehr. Am Beispiel des Vogtlandkreises wird deutlich, dass die schwarz-gelbe Regierung die Justiz immer mehr aus der Fläche zurückzieht. Ähnliches geschieht bei der Polizei.

Bürger ohne Amt

Dass Sachsens Bevölkerung immer weni-ger und immer älter wird, ist hinlänglich bekannt. Auch wir sehen ein, dass Struk-turanpassungen in den Bereichen der staatlichen Verwaltung nötig sind. Aller-dings sollte dies nach objektiven Kriterien und unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit geschehen. Über 95 Prozent der über die „Staatsmodernisierung“ behaupteten Ein-sparungen sind direkte Folge des im Haus-haltbegleitgesetz beschlossen Personalab-baus. Diese effektiven Minimaleffekte des Standortegesetzes rechtfertigen keinesfalls die wachsende Bürgerferne durch wegfal-lende Behördenstandorte, wie Gerichte, Finanzämter oder Polizeireviere. Bei allen Umstrukturierungsmaßnahmen von Lan-desbehörden sollten die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Bedürfnissen an Dienstleis-tungen sowie die Erfordernisse des Daten-schutzes im Vordergrund stehen. Zudem sollten die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig informiert und in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Durch die so genannte „Staatsmodernisie-rung“ wird es künftig weniger Hilfeleistun-gen vor allem für die älter werdende Bevöl-kerung im Freistaat geben.

„Staatsmodernisierung“ ist Etikettenschwindel

MdL Rico Gebhardt Sprecher für Innenpolitik

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Waren das noch Zeiten, als in den „Tausend Tele-Tipps“ geübte Finger über die Tasten und Knöpfe von Akkordeons glitten, um vor den Scherenschnitt-Kulissen von Buda-pest, Paris und Moskau die Musik für Tän-zer in landesüblichen Kostümen darzubie-ten. Geworben wurde auf diese Weise für „Weltmeister“-Akkordeons aus Klingenthal. Und dass diese Instrumente weltmeisterlich sind, wusste jeder. Die Auftragsbücher der Hersteller aus dem vogtländischen Musik-winkel waren gut gefüllt. Alles lange her.

Es ist eine Herausforderung, einen Pro-duktionszweig hochzuhalten, der in einer Welt billiger Massenproduktion wegen des eigenen Qualitätsanspruchs faktisch dar-auf angewiesen ist, Manufaktur zu blei-ben. Über die Beschäftigtenzahlen aus der Kombinatszeit ist die Zeit hinweggegangen; bezüglich der Nachfrage liefert sich der gesunkene Absatz mit dem gewachsenen Qualitätsanspruch ein immerwährendes Duett.

Tradition vs. Resignation

76 Mitarbeiter und neun Azubis zählt der einzig verbliebene Akkordeonhersteller in Klingenthal – die „Harmona“ – heute noch. Er würde gebraucht für die Harmo-nie im Musikwinkel, der bei realistischer Betrachtung wenig Chancen hat, nennens-werte Investoren aus anderen Branchen anzulocken. Gerade deshalb ist es beson-ders bedauerlich, dass in Sachen Harmona gerade wieder eines dieser miesen ost-deutschen Stücke mit Traditionsbranchen, Immobiliengeschäften und unverständli-cher Lethargie mancher Lokalpolitiker auf-geführt wird. Die Harmona GmbH produ-ziert in angemieteten Räumen, in die der Eigentümer kein Geld steckte. So lief die Entwicklung zwangsäufig auf einen Umzug hinaus. An dieser Stelle hätte die Inszenie-rung immer noch eine Klingenthaler Ein-färbung bekommen können. Andrea Roth, Landtagsabgeordnete der LINKEN, setzte sich mit Nachdruck dafür ein, und Bernd Zabel, der Vorsitzende der Akkordeon-scene Klingenthal e.V. sowieso. Für beide und viele Klingenthaler ist der Akkorde-onbau ein Stück gewachsener Identität – angesichts einer mittlerweile 160jährigen

Tradition des Akkordeonbaus und des Musizierens kein Wunder.

Indes, die Suche nach einer neuen Heim-statt für die Produktion in Klingenthal blieb erfolglos. Im benachbarten Markneukir-chen wurde Harmona-Geschäftsführerin Gabriele S. Herberger dagegen fündig und der Stadtrat in der Klingenthaler Nachbar-schaft jubelte. Hier verstanden die Kommu-nalpolitiker, wie die Musik spielen müsste. SPD-Bürgermeister Bräunig aus Klingenthal drückte pflichtgemäß sein Bedauern über den für Anfang 2013 avisierten Harmona-Wegzug und das nahende Ende des Akkor-deonbaus in seiner Kommune aus und meinte, es sei die Hauptsache, dass das Miteinander im Musikwinkel bliebe. Da macht er es sich allerdings recht einfach. Alle Regionen, in denen die Wirtschaft seit 1990 umgekrempelt wurde, setzen auf gepflegte Identität, auf Publikumsinteresse und Synergien. Es scheint dennoch aus-gemacht, dass in Klingenthal eine Melo-die verklingt, die diesem malerischen Win-kel des Vogtlandes die Musik gleich in den Namen implantierte. Irgendwie schienen hier die Notenzeilen im Himmel zu schwin-gen. Doch gute Töne gehören gepflegt.

Engagement vs. Ignoranz

Der Musikinstrumentenbau ist innovativ und geht mit der Zeit. Auf der Musikmesse in Frankfurt/Main zeigte die Harmona GmbH zusammen mit einem Kooperati-onspartner aus Crailsheim das kleinste Midi-Akkordeon, das ein ganzes Orches-ter erklingen lässt. Festivals, wie „Mitte Europa“, feiern die Musikkultur im Dreilän-dereck Sachsen-Böhmen-Bayern (in die-sem Fall seit 1991 vom unermüdlichen deutsch-tschechischen Musiker-Ehepaar Thomascke-Vondrakova vorangetrieben). Die Akteure werden öffentlich gelobt und wären sicher noch viel erfolgreicher, wenn außer wohl tönender Anerkennung aus der Staatskanzlei beim Wunsch nach finanzi-eller Beteiligung auch die feinen Zwischen-töne verstanden würden.

Apropos Zwischentöne: Der Klingentha-ler Verein Akkordeonscene hatte sich bei Landtagspräsident Rößler (CDU) beworben,

um sich zum Tag der offenen Landtags-Tür am 3. Oktober 2012 vorstellen zu dür-fen. Die Landtagsverwaltung lehnte ab und erklärte wortreich, warum man ihnen den für sie so wichtigen Auftritt „mit freund-lichen Grüßen“ verwehrt. Wer immer den Wohlklang der Musik und die Klangfülle sächsischer Musikinstrumente genießt, sollte wegen der aktuellen Vorgänge im vogtländischen Musikwinkel auf den Nach-klang achten: Mag ja sein, dass die politi-sche Musik in Dresden intoniert wird, die feinen Töne aber kommen noch häufig genug aus dem Vogtland. Wer dem „Pflege-personal der vogtländischen Musikkultur“ einen angemessenen Auftritt im parlamen-tarischen Umfeld in Dresden verweigert, sollte bei der nächsten salbungsvollen Regierungserklärung zur Unterstützung benachteiligter Regionen daran denken, dass sich schnell Misstöne in die Auffüh-rung der scheinbar Mächtigen mischen können. Musikkultur ist Landeskultur, und deshalb hätte der Landesteil, aus dem die Instrumente kommen, besondere Zuwen-dung verdient. Mindestens am Tag der offe-nen Tür im Landtag.

MdL Dr. Volker Külow Sprecher für Kulturpolitik

Dissonanzen im Musikwinkel

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Der „Stern“ hat 170.000 Deutsche via Inter-net zu ihrer Lebens-Zufriedenheit befragt. Bewertet wurden Arbeitsplätze, Umwelt, Bildung, Kinderbetreuung. Das Vogtland landete auf Platz 88 (von 97). Viele andere ostdeutsche Regionen wurden ebenfalls auf hinteren Rängen einsortiert, Oberfran-ken dagegen auf Platz 14. Diese Fakten sind nicht von mir und nicht von heute. Die Freie Presse hatte sie Anfang April in ihrem „Kalenderblatt“ thematisiert – und damit zehn Jahre zurückgeblickt ...

Doch wo steht das Vogtland heute? Wie wird es sich entwickeln, welche Potentiale hat es? All das spielt bei der Fortschreibung des Landesentwicklungsplans 2012 (LEP 2012) auch für die südwestlichste Region Sach-sens eine wichtige Rolle.

Aus landespolitischer Sicht ist die Fort-schreibung des LEP 2012 die zentrale Auf-gabe und der politische Höhepunkt der fünften Legislaturperiode des Landtags mit weitreichender Bedeutung für die Zukunft. In diesem Plan wird ein zusammenfassen-des, überörtliches und fachübergreifen-des landesplanerisches Gesamtkonzept zur räumlichen Ordnung und Entwicklung des

Freistaates Sachsen für das nächste Jahr-zehnt festgeschrieben. Basis und Grundlage der Festlegungen im LEP ist die Bewertung des Zustandes von Natur und Landschaft sowie der Raumentwicklung.

Der LEP-Entwurf der Staatsregierung wurde Ende Dezember 2011 veröffentlicht und jedermann konnte im Anhörungsverfahren, das Ende März dieses Jahres endete, seine Meinung dazu im Innenministerium abge-ben. Auch die Vogtländer haben sich bis nach Dresden hörbar zu Wort gemeldet.

Entwicklungsziele nach unten korrigiert

„Plauen muss seine Rolle finden“, „Gemein-sam für das Vogtland“, „Parteienübergrei-fende Zustimmung aller Kreisräte zur Stel-lungnahme“, „Gilt das Sprichwort doch: „In Chemnitz wird gearbeitet, in Leipzig auf der Messe wird alles versilbert und in Dresden am Hof wird alles verprasst!“? – So einige Zitate aus vogtländischen Medien der jüngs-ten Zeit. Einerseits klingt das alles nicht gerade wie die stolz-hoffnungsvolle Haltung

einer prosperierenden Region; anderseits verwundert es schon, dass sich politische Konkurrenten gegenüber der Staatsregie-rung auf gemeinsame Standpunkte zur regi-onalen Entwicklung einigen.

Was steckt dahinter? Plauen soll doch als Oberzentrum weiterhin festgeschrieben und die Verkehrsinfrastruktur im Vogtland weiter ausgebaut werden? Warum also bäumt man sich auf? Den Plan, das Oberzentrum Plauen zu entwickeln, gibt es eigentlich schon lange und immer wieder wurden neue Entwick-lungsziele für die Zukunft der Stadt festge-schrieben. Dazu zwei Beispiele:

1.: Gab es noch 1994 das Ziel, die Studien- und Forschungskapazität und Plauen zum Wissenschaftszentrum aufzubauen, einigte mach sich 2003 auf einen dauerhaft eta-blierten staatlichen Fachhochschulstand-ort und kann man jetzt nur noch hoffen, dass wenigstens die seit 2006 existierende Berufsakademie von Bestand ist. 2.: 1997, im Zeitalter der „blühenden Land-schaften“, wurde durch Beschluss der Minis-terkonferenz für Raumordnung vollmundig eine Metropolregion „Halle/Leipzig – Sach-sendreieck“ mit den Oberzentren Leipzig, Halle, Dresden, Chemnitz und Zwickau als Europäische Metropolregion aus der Taufe gehoben. Hierzu steht im LEP 1994 folgen-des: „Die vom Sachsendreieck aufgrund sei-ner potentiellen wirtschaftlichen Dynamik ausgehenden Entwicklungsimpulse werden auch die Entwicklung in den anderen Lan-desteilen beschleunigen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Zentralen Orte* als Kristalli-sationskerne für Entwicklung und Versorgung gerade auch in ländlich geprägten und peri-pheren Räumen. Herausragende Bedeutung hierfür kommt der zum Oberzentrum auszu-bauenden Stadt Plauen im Vogtland […] zu.“

2003 rückt man die Entwicklung der Stadt Plauen bereits unter dem Aspekt der Stär-kung historisch gewachsener und neu ent-standener Verflechtungen mit Bayern sowie mit dem ostthüringischen und nordböhmi-schen Raum vom „Sachsendreieck“ weg, versprach aber immerhin noch die Koope-ration mit dem Oberzentrum Plauen. Im Entwurf des LEP 2012 ist nicht mal mehr davon die Rede. Das Oberzentrum Plauen

Vogtland zwischen gestern und morgen – was will und kann der Landesentwicklungsplan?

Blick über das „Vogtlandmeer“ (Talsperre Pöhl)

Abendstimmung am Plauener Rathaus

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… als man zweitens meistens denkt.“ So lässt sich zusammenfassen, wie sehr sich Sachsens Staatsregierung in ihrem Zeitplan zum Landesentwicklungsplan (LEP) vertan hat. Während seiner Pressekonferenz zum weiteren Verfahren beklagte Innenminister Ulbig, dass der Landesverkehrsplan (LVP) in neuer Fassung sehnsüchtig erwartet werde. Dessen Vorgaben seien ja für den LEP erfor-derlich! Genau das hatte meine Fraktion schon vor Wochen angemahnt und gefor-dert, den LEP erst nach vorliegendem LVP im Parlament zu behandeln.

Inhaltlich stößt der LEP-Entwurf landesweit auf großes Interesse. Über 1.200 Stellung-nahmen von Trägern öffentlicher Belange sind dazu eingegangen. Bürger/innen nutz-ten das Portal zur Online-Beteiligung dop-pelt so oft wie beim letzten LEP. Und es sind zumeist sehr kritische Stellungnahmen, die schon jetzt den Minister in eine zweite Plan-Entwurfsrunde zwingen.

So fürchten Kommunen um ihren Status als Grund- oder Mittelzentrum, um Schulstand-orte, um die Anbindung an das ÖPNV-Netz und vieles mehr. Die Staatsregierung ergibt

sich mit ihrem Entwurf einem Planungspes-simismus, der die ihr verbliebene Kreativi-tät in die „Gestaltung des infrastrukturellen Rückbaus“ (Fachchinesisch für Infrastruk-tur-Schrumpfung) investiert. Damit sind in der Reichweite des LEP mit seinen Wei-chenstellungen über 2022 hinaus ländli-che Gebiete und hier vor allem Gemeinden in Randlagen in absehbarer Zeit sich selbst überlassen, wenn es um die Sicherung der Daseinsvorsorge geht.

Die Landtagsfraktion DIE LINKE setzt mit ihrem Leitbild „Daseinsvorsorge heute und morgen – Für ein lebenswertes Sachsen“ dar-auf, die Daseinsvorsorge vor allem auch im ländlichen Raum zu verankern. Zur Stärkung potenziell erodierender Grundzentren sollen sich die Kommunen in regionalen Verantwor-tungsgemeinschaften zusammenschließen und mit starken Kompetenzen ausgestat-tet werden. Damit könnten die Gemeinden gemeinsam entscheiden, welche Einrichtun-gen der Daseinsvorsorge in ihrem gemeinsa-men Gebiet wohin kommen sollen. Ein solida-risches und flexibles Instrument, das selbst gemeinsame Flächennutzungspläne, Ansied-lungen und vieles andere möglich machen

Vogtland zwischen gestern und morgen – was will und kann der Landesentwicklungsplan?

MdL Dr.Jana Pinka Leiterin des Arbeitskreises Umwelt, Land-wirtschaft undLandesentwicklung

MdL enrico Stange Sprecher für Landesent-wicklung und Infrastruktur

und mit ihm eine ganze Region wird in der wirtschaftlichen Anbindung raumordnerisch aufgegeben.

Das sind nur zwei Beispiele, eines aus der Wissenschaft und eines aus der Wirtschaft, bei denen Entwicklungsziele für Plauen und das Vogtland seit 20 Jahren kontinuierlich nach unten korrigiert wurden.

LEP schließt Reihen im Vogtland

Spitzentreffen von Verantwortungsträgern der Parteien CDU, FDP, SPD, Linke und Grüne gibt es sicherlich nicht jede Woche. Die Vor-lage des LEP 2012 hat die Vogtländer Par-teien Ende Februar jedoch zu einer gemein-samen Beratung zusammengebracht und dazu geführt, dass der Kreistag ein geschlos-senes Signal nach Dresden schickte.

Die Vogtländer fordern u.a., dass die Stan-dards der Daseinsvorsorge in der Region erhalten bleiben; dass der Verdichtungsraum Chemnitz/Zwickau um Plauen, Oelsnitz und Weischlitz erweitert wird, statt diese Orte in die Kategorie ländlicher Raum einzusortie-ren; dass Plauen in die Metropolregion Mit-teldeutschland aufgenommen wird; dass der Verlust des Hochschulstandortes Reichen-bach durch eine weitere Forschungseinrich-tung ausgeglichen wird und dass der Vogt-landkreis aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Euregio Egrensis** im LEP 2012 als Modell-region „Raum mit besonderem Handlungs-bedarf“ aufgenommen wird.

„Wir brauchen starke Regionen und leis-tungsfähige Gemeinden, in denen man nicht nur leben, sondern auch arbeiten kann“ ließ sich der für den LEP zuständige Innenminis-ter Markus Ulbig (CDU) am 11. März in der

kann. Zudem wollen wir aus den „zumutba-ren Entfernungen“ im LEP-Entwurf sehr kon-krete ÖPNV-Erreichbarkeitszeiten machen. Daseinsvorsorge auf dem Land muss gestalt-bar sein. Wir stellen uns dem und werden den LEP kritisch weiter begleiten.

Erstens kommt es anders …

Für D. Riedler droht dem Vogtland Ungemach, sollte der LEP in seiner jetzigen Form beschlos-sen werden. Der Leubnitzer hat’s in Reimform gebracht:

Wir das Vogtland Biotop?

Die Zukunft für uns’re Heimat sieht düster aus,bald gehen die letzten Lichter hier aus.Der neue Landesentwicklungsplan zeigt’s an,für unser Vogtland wird nichts mehr getan.

Ins Vogtland kommt immer weniger Geld,bald sind wir in Sachsen der Arsch der Welt.Bei Besuchen glänzen die Minister in Plauen,doch das Volk wird in die Pfanne gehauen.

Bricht die Dresdner Leuchtturmpolitikunserm Vogtland bald das Genick?Zur Arbeit wurden die Jungen fortgetrieben,zurück sind fast nur die Alten geblieben

Der Wirtschaftsminister diese Entwicklung lobt,oder meint er doch schon das neue Biotop?Denn das könnte aus unsrer Heimat werden,zurück kommen wieder der Wölfe Herden …

Leipziger Volkszeitung zitieren. Leere Worte angesichts des aktuellen LEP-Entwurfs! So jedenfalls wird Ulbig ihn nicht belassen können, dafür sind zu viele kritische Stel-lungnahmen aus den Regionen eingegan-gen. Denn nicht nur das Vogtland fühlt sich abgehängt, sondern auch andere sächsi-sche Gebiete. Eigentlich glaubte man, dass das Prinzip der „Leuchttürme“ aufgegeben sei, aber es lebt und zu Recht werden Ent-siedlung und Entwertung ganzer Regionen befürchtet. Daran ändert auch die „Rüge“ Ulbigs nicht, mit der er den parteiübergrei-fenden Unmut aus dem Vogtland zu diskredi-tieren versuchte.

* System „Zentralen Orte“ (Raumordnung), teilt Orte nach ihrer Umlandbedeutung in Bewertungs-klassen ein.

** Euregio = Europäische Region, Egrensis = hist. Bezeichnung flussnaher (Eger) Regionen in Böh-men, Bayern, Sachsen

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14 pvl Heft 2/2012

Gerade für jüngere Neonazis sind jedoch die Initiativen des eher biederen Grett nur wenig attraktiv. Als für den 14. April die „Revolutionäre Nationale Jugend“ (RNJ) zum Jahrestag der Bombardierung Plauens zur Demonstration rief, fand sich unter den ange-kündigten Rednern für die neonazistischen „Freien Kräfte“ auch Nico Döhler, früherer Bundestagskandidat der NPD und kurzzeitig ebenso deren Kreisvorsitzender im Vogtland. Die RNJ, die sich ausgerechnet am 20. April gegründet hat, hat in den zwei Jahren ihres Bestehens weitgehend die Reste der Klein-gruppen der Neonazis im Vogtland aufgesam-melt. Gruppen wie die „Rechte Aktionsfront Reichenbach (RAF), die „Braunen Teufel“ oder der „Schwarze Orden“ existieren entweder nicht mehr oder aber haben ihre Aktivitäten auf Events wie das jährliche Fußballturnier zum Gedenken an Rudolf Hess eingeschränkt.

Nicht viel Licht in der Dunkelheit für die NPD also. Als diese für den 1. Mai zur lan-desweiten Demonstration nach Bautzen lud, konnte sie nicht auf Zulauf aus dem Vogtland hoffen. Vogtländische Neonazis zog es eher nach Hof, wo das „Freie Netz Süd“ demons-trierte. Ihnen gleich taten es übrigens viele Gesinnungsgenossen aus dem Erzgebirge, aus Chemnitz oder Zwickau. Die Reihen um Holger Apfel und Mario Löffler lichten sich. Entspannter wird die Lage dadurch jedoch nicht. Zahlreiche rechte Straftaten im Vogt-land sind ein Beleg dafür.

Wenn die NPD am 20. Mai ihren Landes-parteitag in der Plauener Festhalle abhält, begibt sie sich in ein Gebiet, in dem jener Zustand schon längst Normalität geworden ist, an den sich der Landesverband erst noch gewöhnen muss: die Krise als Dauerzustand. Diese Krise – eine Folgeerscheinung des Kurses von Landtagsfraktionschef Holger Apfel und vom Landesvorsitzenden Mario Löffler – führte zu Rücktritten von Kreisvor-sitzenden wie in Chemnitz, dem Austritt von Funktionären und dem Zerfall von Kreistags-fraktionen wie im Landkreis Leipzig, dem Wegbröckeln des Potentials im Jugendbe-reich und heftigen Zerwürfnissen mit den „Freien Kräften“ wie im Erzgebirge. Das alles hat die NPD im Vogtland schon hinter sich. Wenn also die NPD zu ihrem Treffen nach Plauen ruft, dann kommt sie in die Diaspora.

Daran ändert auch nichts, dass der NPD-Landtagsabgeordnete Arne Schimmer dort inzwischen ein Büro als Anlaufstelle ein-gerichtet hat. Auch die Übernahme des Kreisvorsitzes durch die Plauener Kranken-schwester Beatrix Wolf hat wenig „Besse-rung“ gebracht. Ihre Vorgängerin Nicole Mayer (früher Fortak) hatte die Partei im Streit verlassen, ebenso die beiden anderen Gewählten. Von den einst drei gewählten Kreisräten ist de facto einer übrig geblieben. Ein Mitglied des Trios hatte wohl nicht damit gerechnet, dass so ein Amt auch mit Arbeit verbunden ist und fehlte fast zwei Jahre lang unentschuldigt bei den Sitzungen. Das brachte ihm 250 Euro Ordnungsgeld ein, nun will er, ebenso wie Mayer, seinen Sitz abgeben. Dabei gibt es allerdings ein Prob-lem: Der einzige NPD-Nachrücker sitzt noch für geraume Zeit im Gefängnis – wegen gefährlicher Körperverletzung und anderer Delikte. Der einzige Plauener Stadtrat der

NPD wiederum gab bereits wenige Wochen nach der Wahl sein Mandat wieder zurück.

Man mag in der NPD-Führung über das Aus-scheiden von Mayer und ihrer Gefolgsleute froh gewesen sein. Mayer habe sich „ego-zentrisch in Szene“ gesetzt, warf die Partei der Ex-Vorsitzenden nach und attestierte ihr „persönliche Unreife und Gehässigkeit“. Unter ihrer Führung habe der Kreisverband „mehr Freizeitaktivitäten entwickelt als poli-tische Arbeit geleistet“, so NPD-Landesvor-stand Andreas Storr. Mayer schoss zurück. Wohl in Richtung Holger Apfel gemünzt, erklärte sie: „In Dresden gibt es Obst, wel-ches schon längst überreif ist und aussor-tiert gehört.“

In die Bresche durfte mit dem Plauener Fahrschullehrer Bernd Grett wieder mal ein altgedientes Parteimitglied springen, das trotz seines fast schon notorischen Zwistes mit der Führung des NPD-Landesverbandes über die Jahre fast schon verzweifelt ver-sucht, die Fahne der NPD im Vogtland hoch zu halten. Intern beklagt er, nahezu allein für die Finanzierung der Aktivitäten des Kreis-verbandes aufkommen zu müssen und dass die Aktivsten jene Anhänger seien, die gar nicht in der NPD Mitglied sind.

Bernd Grett, ein ehemaliger Stabsunteroffi-zier der Bundeswehr, war übrigens Mitglied der im Oktober 1972 ausgehobenen Nati-onalsozialistischen Kampfgruppe Groß-deutschland und später Unterführer der Wehrsportgruppe Hoffmann in Ingolstadt. Nach dem Umzug nach Sachsen war er 1999 gemeinsam mit dem ehemaligen ML-Profes-sor Michael Nier (Frankenberg) Sprecher des Arbeitskreises „Sozialisten in der NPD“. Den verstorbenen Rassisten Jürgen Rieger wür-digte er in einem Kondolenzschreiben: „Die erste Begegnung erfolgte beim ‚Marsch auf Bonn‘ 1971. Seine Artikel und sonstigen Ver-lautbarungen gaben uns immer wieder wich-tige Richtlinien für den politischen Kampf.“

NPD im Vogtland mit Personalsorgen – „Freie Kräfte“ fürs Grobe

MdL Kerstin Köditz Sprecherin für antifaschistische Politik

Buchtipp„Made in Thüringen? Naziterror und Verfassungsschutzskandal“Hrsg. MdL Bodo Ramelow; 208 Seiten | Mai 2012; EUR 12,80 ISBN 978-3-89965-521-6

Ein Buch zur Aufarbeitung des Themenkomplexes „Nationalsozialistischen Untergrund“ mit Beiträgen von:

MdL Kerstin Köditz, MdL Katharina König, Aiman A. Mayzek, MdB Petra Pau, Romani Rose, Volkmar Wölk u.a.

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Seit kurzem scheint auch das Sozialmi-nisterium in Sachsen die Bedeutung von Schulsozialarbeit erkannt zu haben. In der Anzahl tatsächlich eingerichteter Stel-len spiegelt sich das allerdings nicht wie-der. Dabei wäre eine flächendeckende und ordentlich ausfinanzierte Schulsozialarbeit enorm wichtig, schafft sie durch ihre spe-zifische Ausrichtung doch einen besonde-ren Zugang zu Schülerinnen und Schülern sowie über das System Schule auch den vereinfachten Kontakt zu den Eltern.

Vor diesem Hintergrund gewinnt insbe-sondere die Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Eltern an Bedeutung. Die Beratung und Begleitung in schwierigen Situationen sind dabei zentrale Aufgaben. Schulsozialarbeit schafft hier Entlastung und trägt durch frühzeitiges Erkennen von Schwierigkeiten und ihren entsprechenden Unterstützungsangeboten zur Reduzierung von Problemlagen bei. Mit ihrem nieder-schwelligen Charakter leistet sie so Prä-ventions- und Interventionsarbeit zugleich. Das gemeinsame Ziel von Kinder- und Jugendhilfe und Schule ist, die Integration von Kindern und Jugendlichen in der Schule und in ihrem sozialen Umfeld zu fördern und Ausgrenzungen entgegenzuwirken.

Die Staatsregierung bestätigte in einer Stellungnahme den grundsätzlichen „Ent-wicklungsbedarf in den benannten Berei-chen“ und dass sie bei der Aufgabenwahr-nehmung des Freistaates im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe ein beson-deres Augenmerk darauf legen werde. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage sieht das Sozialministerium die Schulsozialar-beit dagegen im Zuständigkeitsbereich der öffentlichen Träger, bei den Kommunen und

Landkreisen. Verkannt wird ebenso, wie gravierend sich die Kürzung der Jugend-pauschale auswirkt. Die Landesarbeitsge-meinschaft Schulsozialarbeit wies bereits 2010 auf die bedenklichte Lage einiger Landkreise hin: „Besonders die länd-lichen Räume in Sach-sen stehen durch die umfassenden demogra-fischen und strukturel-len Veränderungen […] vor großen Herausfor-derungen. [Es] bedarf gerade im Bereich der Jugendhilfe guter und langfristiger Konzepte.“

Diese Forderung trifft konkret auch den Bereich der Schulsozi-alarbeit, dem sich das Sozialministerium in seiner Konzeption „Chancengerechte Bildung“ widmet. Darin erkennt das Minis-terium die Notwendigkeit an, die Koopera-tion von Schule und Jugendhilfe qualitativ weiterzuentwickeln. Die Förderpolitik der Staatsregierung spricht allerdings eine andere Sprache. Bis 2011 wurden die Stel-len von Schulsozialarbeitern ausschließlich an Berufsschulzentren eingerichtet und durch das Kultusministerium finanziert. Im Juli 2011 legte das Sozialministerium eine eigene Förderrichtlinie vor, nach der ledig-lich die finanzielle Unterstützung eines neuen Standortes pro Landkreis vorgese-hen ist.

Somit stellt sich die Situation der Schul-sozialarbeit in Sachsen sehr unterschied-lich dar und es ist den Jugendämtern der

Landkreise und kreisfreien Städte zu dan-ken, dass sie den Bedarf nicht nur erkannt, sondern ihn auch finanziell untersetzt und damit Stellen geschaffen haben. Im Land-kreis Leipzig muss eine Vollzeitstelle für 1.227 Schüler/innen ausreichen, in der Stadt Leipzig selbst sogar für 1.246 Schüler/innen. Das klingt viel, jedoch sind die Leipziger damit Vorbild für Land-kreise wie Görlitz (1 Schulsozialarbei-ter für 2.526 Schüler/innen) oder Nord-sachsen (1 Schulsozialarbeiter für 3.597). Noch dramatischer ist die Lage „nur“ noch im Vogtlandkreis: Hier war im Schuljahr 2010/2011 kein einziger Schulsozialarbei-ter für die Schüler/innen da. Ausnahmen bilden nur die Berufsschulzentren in Oels-nitz, Falkenstein, Reichenbach und Plauen, wo das Kultusministerium für die sozialpä-dagogische Betreuung im Berufsvorberei-tungsjahr drei Stellen eingerichtet hatte.

Es besteht also drin-gender Handlungsbe-darf, auch mit Blick auf die Chancengleich-heit aller Schüler/innen in Sachsen. Die Landtagsfraktion DIE LINKE hat die Staats-regierung aufgefordert (Antragsdrucksache 5/5468), eine Kon-zeption zur qualitati-ven Weiterentwicklung

der Schulsozialarbeit zu erarbeiten, denn Schulsozialarbeit ist mehr als ein Notnagel! Nicht zuletzt deshalb muss der Bedarf an den einzelnen Schulstandorten klar defi-niert werden. Dieser Aufgabe dürfen sich die Staatsregierung und die Fachministe-rien auch unter Verweis auf kommunale Zuständigkeiten nicht entziehen.

Schulsozialarbeit ist kein Notnagel!

Schulen im VogtlandkreisIm Vogtlandkreis gibt es ins-gesamt 55 Grund- und 20 Mittelschulen, acht Gymna-sien, sechs Förderschulen und ein Förderschulzentrum. Im Schuljahr 2010/2011 lernten hier knapp 1.800 Schülerinnen und Schüler.

MdL Annekatrin Klepsch Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik und Soziokultur

Termin-TippAm 17. November 2012 reisen Schulinitiativen aus Sachsen auf Einladung der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag nach Plauen. Fachthema des 44. Schul-initiativen-Treffens ist aus aktuel-lem Anlass die Schulsozialarbeit.

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Was denkt ein waschechter Vogtländer, wenn er seine schöne Samtpfote anschaut? Das:

„Greine kennt iech, wenn mer siehtWie itze alles ne Bach no giet.E gunge Katz misst mer halt sei,do wär’s Leem schee, un sorgenfrei!“

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Kennwort: pvl 2-2012einsendeschluss: 29. August 2012

Waagerecht: 1. gefragtes, aber kaum verfüg-bares Gut; im Vogtland trifft dieser Umstand bspw. auf Schulsozialarbeiter zu, 9. großer kasachischer See, 10. angeschaltet, 11. chem. Symbol: Nickel, 12. hin und wieder, zuweilen (3 W.), 15. zoolog. Artunterteilung, 17. Halb-insel im Schwarzen Meer, 18. latein.: Last, Mühe, 19. Abk. Teenager (Jugendlicher), 20. Abk.: Landesentwicklungsplan (muss nach über Tausend kritischen Stellungnahmen aus den Kommunen bis zum Herbst überarbeitet werden), 21. Fernsprecher (Abk.), 22. Staats-kürzel für New Jersey, 24. Grenzsee zw. USA und Kanada, 26. Norwegische Krone (Abk.), 28. Vorrichtung zur Temporeduzierung; im Sächsischen Landtag wollen CDU und FDP sie in die Verfassung schreiben, damit das Land keine Schulden mehr aufnimmt. 31. Stern im Bild Großer Bär, 33. Name der Landtagsabge-ordneten der LINKEN im Vogtland (Andrea),

34. 1979 in Oelsnitz/Vogtl. geb. Sängerin (Stefanie) 35. engl.: an,

Senkrecht: 1. großes Unternehmen in Plauen, durch dessen Insolvenz Arbeitsplätze verlo-ren gingen, 2. europ. Trägerrakete, 3. chem. Zeichen: Natrium, 4. in Klingenthal geb. Ski-sportler und Olympiasieger (Harry †), 5. poet./Fabelname: Löwe, 6. Bez. des Gebie-tes zw. Klingenthal u. Markneukirchen, 7. Vor-name des Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE im Sächs. Landtag Hahn, 8. Abk.: Electronic Numbering, 13. engl.: sein, 14. Metall, des-sen Suche in Südwest-Sachsen vielverspre-chend verläuft, 16. franz.: prächtig, 19. Koh-leprodukt, 21. Hochland in Zentralasien, 23. erster Deutscher im All (Sigmund), 25. latein.: ich liebe, 27. Muttertier bei Rindern, 29. tiro-ler Festspiel-/Kurort, 30. russ.: hundert, 32. Abk.: Herr.

Lösung Rätsel pvl 1-2012: 1. zwei2. Nochten3. Bunter Schall als Widerhall

Unter Ausschluss des Rechtsweges wurden folgende Gewinner ermittelt:F. Thiel aus 02827 Görlitz, OT RauschwaldeG. Sprenger aus 02788 Dittelsdorfch. Räffler aus 02788 Hirschfelde

Herzlichen Glückwunsch!

Mit unserem KReuzWORTRäTSeL grüßen wir heute besonders unsere Rätselfreunde aus Leipzig!