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von Heft 4/2012 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Dokumente und Standpunkte Schwerpunktthema: Stadt Leipzig Wann kommt die Ost-West-Renteneinheit? Was sind „herrenlose“ Häuser? Wer stellt sich gegen Neonazis? Woran krankt Sachsens Bildungswesen? Wie viel ist uns die Kultur noch wert? Warum muss Hartz IV noch immer weg? Warum wird Strom immer teurer? Was bewirkt ein wirtschaftlicher Paradigmenwechsel?

pvl – parlament von links, Ausgabe 4/2012

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Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

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von

Heft 4/2012

Fraktion DIE LINKEim Sächsischen LandtagDokumente und Standpunkte

Schwerpunktthema:

Stadt Leipzig

Wann kommt die Ost-West-Renteneinheit?

Was sind „herrenlose“ Häuser?

Wer stellt sich gegen Neonazis?

Woran krankt Sachsens Bildungswesen?

Wie viel ist uns die Kultur

noch wert?

Warum muss Hartz IV noch immer weg?

Warum wird Strom immer teurer?

Was bewirkt ein wirtschaftlicher Paradigmenwechsel?

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2 pvl Heft 4/2012

Bernhard-von-Lindenau-Platz 101067 DresdenTelefon: 0351/493 5800Telefax: 0351/493 5460E-Mail: [email protected]://www.linksfraktion-sachsen.de

Parlament von links (pvl) ist das Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Pvl ist kostenlos.

Editorial, Impressum } S. 2

Schwarz-Gelb in Geberlaune? } S. 3

Kurznachrichten } S. 3

Was ist teurer als Bildung? Keine Bildung! } S. 4

Leipziger Kultur in 3 Akten, mehreren Soli, Chor und einer Tanzeinlage } S. 6

GEMAin – Kulturwirtschaft darf nicht abgezockt werden! } S. 7

Zehn Jahre Hartz-Gesetze – eine Bestandsaufnahme und kritische Bilanz } S. 8

Ein rotes Kleeblatt für „klein Paris“ } S. 10

Kostenfaktor Strom – wer treibt den Preis? } S. 11

Wer klaut der Oma die Butter vom Brot? } S. 12

Innovationspotenziale bündeln = Wirtschaftskraft stärken } S. 13

Rechtsbruch im Rechtsamt: Das Geschäft mit „herrenlosen“ Häusern } S. 14

Heldenstadt mal anders } S. 15

Kreuzworträtsel } S. 16

ImPReSSum:

V.i.S.d.P.: Marcel Braumann

Redaktion: Elke Fahr

Layout: Carola Müller

Druck: DruckHaus Dresden GmbH

Auflage: 240.500 Stück (4. Quartal 2012)

Die mit Namen oder Initialen gekennzeichneten Beiträge geben die Meinung des Autors, jedoch nicht unbedingt die Ansicht des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe. Für Nachdruck signierter Beiträge ist die Genehmi-gung des Verfassers erforderlich.

Diese Publikation dient der Information und darf in einem Wahlkampf nicht zur Parteienwerbung eingesetzt werden.

Bildnachweis: Titelseite: © Marcel Schauer / Fotolia.com; S. 2: © ArVis / Fotolia.com, efa; S. 3: © chnurrli46 / PIXELIO; S. 4: © Dieter Schütz / PIXELIO; S. 5: © Gerd Altmann / PIXELIO; S. 6: DAK; S. 7: © Gerd Altmann / PIXELIO; S. 8/9: Harm Bengen/toonpool.com; S. 10: DAK, www.factory-7.de; S. 11: © Thomas Kruse, © babimu / Fotolia.com; S. 12: © Bernd Kasper / PIXELIO; S. 13: © MP / Fotolia.com; S. 14: © plrang / Fotolia.com; S. 15: DAK; S. 16: Cartoon: Harm Bengen/toonpool.com, © Erik Schumann/Fotolia.com, © Petra Hege-wald/PIXELIO.

Pvl verpasst? Alle Ausgaben zum Download unter www.linksfraktion-sachsen.de

INHALtSVeRzeIcHNIS

In eigener SacheLeben ist Veränderung. Auch Medienprodukte haben ihre Zeit. Und so wie ab kom-mendem Jahr die Zeit des „Parlament von Links“ (pvl) endet, beginnt die Zeit von „Links im Landtag“ (LiL). Ab 2013 werden wir mit LiL – kostenlos und zwei Mal im Jahr – allen Haushalten in Sachsen darüber berichten, was DIE LINKE im Land-tag macht und wofür ihre Abgeordneten gerade auch im Interesse ihrer jeweiligen Heimatregion eintreten. Also: Tschüssi pvl und willkommen LiL!

Man kann niemanden überholen ,wenn man in seine Fußstapfen tritt.

(Francois Truffaut)

Liebe Leserin, lieber Leser,

worin Sie gerade lesen? Im pvl. Das steht für „Parlament von links“ und ist die Zeitschrift der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Langjährige pvl-Leserinnen und -Leser freilich wissen das.

Dass heute ganz Leipzig das pvl im Briefkasten hat, liegt daran, dass das Heft sich in jeder Ausgabe eine andere Stadt oder einen Landkreis näher anschaut. In Ausgabe 4/2012 ist das – Leipzig!

Es gibt viel zu entdecken in der Stadt, die zu den grünsten Deutschlands gehört und wo man sogar auf Wasserwegen unterwegs sein kann. Zum bekömmlichen „Leipziger Allerlei“ gehören sicher Messe, Uni, Media- und Bio-City, Zoo, Oper u.v.a.m. Zur Kehrseite gehören eine hohe Armutsrate, der ewige Kampf um Gelder für Bildung und Kultur oder auch die Ungereimtheiten um den Verkauf vermeintlich „herrenloser“ Häuser. Über diese und andere Themen schreiben – vor allem Leipziger – Landtagsabgeordnete der LINKEN für Sie in diesem Heft.

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Ihr pvl-Team

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Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich stellte unlängst den Bericht zum Stand der deutschen Einheit vor. Danach trennen Ost und West noch Welten. Ein Fakt, mit dem sich gerade Sachsens CDU/FDP-Regierung schwer tut. Schließlich verkündete CDU-Ministerpräsident Tillich noch vor einem dreiviertel Jahr, Sachsen werde ab 2020 im Länderfinanzausgleich bereits ein „Geber“- statt „Nehmerland“ sein. Wirtschaftsminis-ter Morlok von der FDP bekräftigte im Som-mer diese Vision.

Die schlechten Wirtschaftsdaten, die der Friedrich-Bericht auch Sachsen beschei-nigt, erklärt Tillich nun mit dem Rück-gang staatlicher Förderung und sagt, dass es „keinen Grund gibt, Fördermittel aus dem Osten in den Westen umzulei-ten“. Also nichts mehr mit Geberland? Die

Werbeblase der Dresdner schwarz-gelben Koalition ist geplatzt!

Wenn der Osten (ohne Berlin) nach 22 Jah-ren deutscher Einheit nur über ungefähr zwei Drittel der Wirtschaftskraft des Westens ver-fügt und zurzeit weiter zurückfällt, dann müs-sen von Sachsen als größtem ostdeutschem Bundesland die richtigen politischen Signale ausgehen. Als Thüringens Wirtschaftsminis-ter Machnig auf Grundlage einer Expertise vor Stagnation im Osten warnte, tönte das sächsische Wirtschaftsministerium: „Still-stand Ost? Nicht in Sachsen!“ Da wurde der Mund wohl zu voll genommen. Mehr Realis-mus seitens der Sächsischen Staatsregie-rung wäre angebracht.

Die Friedliche Revolution des Jahres 1989 ist von Sachsen, und hier insbesondere

von Leipzig ausgegangen. Hier wurden die Voraussetzungen für den Prozess der deut-schen Einigung geschaffen. Von diesem Einigungsprozess bis zur wirklichen Ein-heit ist es noch ein weiter Weg – das zeigt auch der Bruch des Wahlversprechens von Bundeskanzlerin Merkel, bis 2013 die Ost-West-Angleichung der Renten zu schaffen. Sachsens Bevölkerung ist die deutschland-weit älteste und daher von diesem Unrecht besonders betroffen. Hier besteht ebenso wie beim niedrigeren Lohnniveau dringen-der Handlungsbedarf.

Das Kabinett Tillich/Morlok muss den Son-derweg der Selbstverliebtheit verlassen und Sachsen zum Sprecher ostdeutscher Interessen machen. Dazu haben wir eine Ostdeutschland-Konferenz in Leipzig auf Einladung Sachsens vorgeschlagen, auf der sich Vertreter/innen aller neuen Länder über Wege zu einer konsequenten Lohn- und Rentengerechtigkeit austauschen und beraten. Dabei sollen die spezifischen ost-deutschen Erfahrungen für den sozialöko-logischen Umbau der Gesellschaft nutzbar gemacht werden – der alleinige Nachbau West ist endgültig gescheitert!

Schwarz-Gelb in Geberlaune?

mdL Rico Gebhardt Fraktions-vorsitzender

Weil Kinder zeit brauchen …… unterstützt die Fraktion DIE LINKE die gleichnamige Kampagne der sächsischen Wohlfahrtsverbände zur Verbesserung früh-kindlicher Bildung. Wir fordern, die Kita-Lan-despauschale von derzeit 1.875 Euro auf 2.400 Euro anzuheben und somit den Weg zur Verbesserung des Personalschlüssels frei zu machen. Statistisch betreut in Sach-sen eine Fachkraft heute sechs Krippen- bzw. 13 Kindergartenkinder. In der Praxis liegen die Zahlen deutlich darüber. Wir fordern eine Korrektur auf 1:4 bzw. 1:10!

Weil Bürger mitreden sollen …… hat DIE LINKE ein Gesetz zu Einfüh-rung öffentlicher Petitionen per Inter-net erarbeitet. In Sachsen sind im Unter-schied zu anderen Bundesländern noch keine Online-Massenpetitionen möglich.

Massenpetitionen sind jedoch ein legitimes Mittel politischer Meinungsäußerung, des-halb fordern wir, das Landes-Petitionswe-sen umgehend an den aktuellen digitalen Standard anzupassen und damit die Bür-germitsprache zu erleichtern. (Petition = Gesuch, Eingabe an eine öffentliche Stelle)

Weil mutter sein auch Arbeit ist …… hat DIE LINKE die Staatsregierung aufge-fordert, sich auf Bundesebene dafür einzu-setzen, dass nach der Geburt von Kindern eine einheitliche Anrechnungszeit bei der Berechnung der gesetz lichen Rente berück-sichtigt wird. Derzeit wird für jedes Kind, das vor 1992 geboren wurde, ein Jahr Erzie-hungszeit angerechnet. Für danach gebo-rene Kinder sind es jeweils drei Jahre. Diese Regelung ist ungerecht und widerspricht

dem Gleichheitsgebot des Grundgeset-zes. Wir fordern, dass allen Müttern gleiche Rentenansprüche zugestanden werden.

Weil gute Pflege menschenrecht ist …… fordert DIE LINKE eine Reform der Pfle-gepolitik in Sachsen. Gemeinsam mit SPD und Grünen hat die Linksfraktion bean-tragt, dass die Landesregierung endlich angemessen auf die steigende Zahl an Pfle-gebedürftigen reagiert. Dazu gehört u.a. die Anhebung und Ost-West-Gleichstellung der Löhne im Pflegebereich, der Bau und Betrieb von Alten- und Pflegeheimen in öffentlicher Trägerschaft und die Unterstüt-zung der Menschen, die Angehörige privat pflegen. Um die Finanzierungsgrundlage dafür zu schaffen, bedarf es einer solidari-schen Bürgerversicherung.

+ DIE LINKE +++ Landtag +++ Politik +

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Die Unterstützung der Schüler und Lehr-kräfte durch Schulsozialarbeiter ist in Sach-sen Ausnahme statt Regel. Dabei sind ver-lässliche Unterstützungssysteme in allen Schularten für die Verbesserung des Bil-dungssystems unerlässlich. Jede Schule sollte einen Schulsozialarbeiter haben, Leh-rer und Schüler müssen zudem unkompliziert auf Schulpsychologen zurückgreifen können.

Wo Unterricht ausfällt, findet Bildung nicht statt

Im Freistaat gibt es kaum verlässliche Zah-len zum tatsächlichen Unterrichtsausfall, weshalb wir im vergangenen Schuljahr lan-desweit Schülerinnen und Schüler baten, ihren Unterrichtsausfall zu dokumentieren. Die Ergebnisse waren erschreckend. In der Leipziger Lernförderschule „Fritz Gietzelt“ bspw. fielen in einem Monat 27 Stunden aus. Das ist etwa so, als würde man eine gesamte Klasse eine Woche lang zusätz-lich in die Ferien schicken. Die parallel zu unserer Befragung vom Landesschülerrat zum Unterrichtsausfall erhobenen Zahlen bescheinigten Leipziger Gymnasien eine Ausfallquote von knapp 20 Prozent. An Leipzigs Mittelschulen fällt demnach fast jede zehnte Unterrichtsstunde aus oder wird fachfremd vertreten.

Die Situation wird sich perspektivisch noch verschlimmern, denn den Schulen fehlt es an personellen Reserven. Die Überalterung der Lehrkräfte begünstigt Langzeiterkran-kungen und Ausfallzeit durch Kuren oder Rehabilitation. Aktuell wird auch der „plan-mäßige Ausfall“, also wenn Kolleginnen und Kollegen etwa vorzeitig in Rente oder in Elternzeit gehen, kaum vertreten.

Sachsen setzt mittlerweile nicht nur in Leipzig Rentner ein, um wenigsten etwas vom Unterrichtsausfall aufzufangen. Das mag ja sogar ein Gewinn für beide Seiten sein, eine dauerhafte Lösung aber ist das nicht. Wir fordern einen konstanten „Pool“ an Vertretungslehrkräften, wobei zu beach-ten ist, dass auch Vertretungsunterricht hohe Anforderungen stellt und die Lehr-kräfte in der Lage sein müssen, sich in kur-zer Zeit auf die betreffende Klasse und den Lernstoff einzustellen.

Wer gute Bildung will, muss sie auch bezahlen

Nur in Sachsen und Mecklenburg-Vorpom-mern werden Lehrer nicht verbeamtet, und

Die Situation in Sachsens Bildungsbereich ist seit Jahren katastrophal. Die Staatsre-gierung verweigert sich konsequent nach-haltigen Verbesserungen. Betroffen davon sind Schüler, Studierende, Pädagogen und Eltern in gleichem Maße, und sie erken-nen zunehmend: Der Bogen ist überspannt. Sachsen braucht eine Bildungsreform, die diesen Namen auch verdient. Schluss mit Hinhalten, Aussitzen, Abwarten und Schönreden!

Verweigerung und Sparmodelle sorgen für Frust und Überforderung

Durch die desolate Einstellungspolitik des Freistaates stehen heute immer älter wer-dende Lehrkräfte vor den Klassen. Bis 2030 werden 82 Prozent aller Lehrer in Rente gehen. Schon heute ist der Lehrermangel dramatisch. Wollte man allein das aktu-elle Niveau langfristig halten, müssten pro Jahr 1.000 Lehrkräfte eingestellt werden. Davon jedoch will Kultusministerin Kurth nichts wissen. Nur 655 „Neue“ wurden für dieses Schuljahr eingestellt, 600 Bewer-bungen dagegen abgelehnt. Damit bleiben die Einstellungen weit hinter der Zahl der ausgeschiedenen Lehrkräfte zurück. Auch in Leipzig, wo immer mehr Kinder gebo-ren werden und ein Recht auf gute Bildung

haben. Wie die Lehrergewerkschaft fordern wir LINKE auch, dass ältere Lehrkräfte in Altersteilzeit gehen können. Denn erstens ist es mit 67 kaum noch möglich, den Beruf motiviert auszuüben und zweitens würde so ein Korridor für neue Lehrkräfte eröffnet.

Der Lehrerberuf muss zudem attraktiver werden. Die Zahl der Pflichtstunden gehört abgesenkt, denn die Arbeitsbelastung heu-tiger Lehrer ist nicht mehr mit der vor 20 Jahren zu vergleichen. Und: Wir brauchen kleinere Klassen mit einer Lernatmosphäre, in der jedes Kind Beachtung findet und ungestört lernen kann. Wer in den Lehrer-beruf startet, braucht einen guten Mentor. Heute jedoch werden die Berufsanfänger oft „ins kalte Wasser geworfen“ und fühlen sich allein gelassen.

Es muss auch aufhören, dass in jedem Schuljahr aufs Neue Lehrer versetzt und abgeordnet werden. Vertrauensvolle Bezie-hungen zwischen Lehrern und Schülern aber auch im Team der Pädagogen, sind so kaum möglich. In Sachsen haben zudem zurzeit 144 Schulen keinen Schulleiter. In vielen Fällen sind Schulleiter und Stellver-treter nur amtierend tätig. Das bedeutet, dass sie „nur“ wie Lehrer bezahlt werden, obwohl die Verantwortung für eine ganze Schule auf ihnen lastet. Selbst dass ein Schulleiter parallel zwei Schulen leitet, ist keine Ausnahme mehr.

Was ist teurer als Bildung? Keine Bildung!

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in keinem anderen Bundesland erhalten Lehrer so wenig Geld wie bei uns. In Sach-sen werden die Lehrkräfte zudem nicht nach Tarif bezahlt, sondern nach einer Richtlinie. Das führt zu eklatanten Unter-schieden in der Bezahlung. Die Hälfte aller Grundschullehrer wird nach Entgeltgruppe 10 (E10) bezahlt, die andere Hälfte nach der für Grundschullehrer üblichen E11. Die zwischen 1997 und 2006 erzwungene Teil-zeit für diese Berufsgruppe führt zudem dazu, dass die so Gebeutelten auch noch im Alter „draufzahlen“. Sie erhalten keine Pension wie ihre Kollegen in den anderen 14 Bundesländern.

Ähnlich willkürlich geht es bei den Mittel-schullehrern zu: 35 Prozent von ihnen sind in der E13, die anderen 65 Prozent in der E11. Hintergrund ist, dass es in Sachsen in der Mittelschule den Haupt- und den Real-schulgang gibt. Während sich die Staatsre-gierung stets dafür lobt, beide Schularten in der Mittelschule vereint zu haben, führt das Kultusministerium die Trennung der zwei Schularten bei der Lehrerbezahlung wieder ein, obwohl Mittelschullehrer Schü-ler beider Schularten unterrichten – und im Übrigen auch die gleiche Ausbildung durchlaufen haben. Neu eingestellte Leh-rer werden „natürlich“ in die E11 eingrup-piert, was die Motivation von Lehramts-absolventen, in Sachsen ins Berufsleben einzusteigen, deutlich dämpfen dürfte.

Will der Freistaat seine Bildungsmisere in den Griff bekommen, muss er bei der Bezahlung seiner Lehrkräfte anfangen. Die Landtagsfraktion fordert, dass alle Grundschullehrer sofort in die E11 und alle Mittelschullehrer in die E13 eingrup-piert werden. Langfristig jedoch müssen die Unterschiede zwischen den Schularten ganz aufgehoben werden, wobei bereits bei der Ausbildung der Pädagogen zu begin-nen ist. Soll es irgendwann eine Schule für alle geben, wofür DIE LINKE eintritt, dann braucht es motivierte und qualifizierte Pädagogen, die sich überall gleich gut und unabhängig von der Schulart engagieren.

Zum Lernen braucht es ein Dach überm Kopf

Bis 2020 fehlen in Leipzig 20 Schulen. Die vorhandenen sind oft marode, der Sanierungsstau beläuft sich auf ca. 570 Mio. Euro – auch eine Folge kurzsichti-ger Schulpolitik der Stadt. Jahrelang wur-den Investitionsmittel des Freistaats nicht abgerufen, weil man den jeweils nötigen Eigenanteil nicht bereitstellen konnte oder wollte. Trotz zahlreicher Bedarfsanmeldun-gen seitens der Schulen, der Bürger und der Politik blieben Augen und Stadtsäckel verschlossen. In diesem Schuljahr müssen fast zwanzig Schulen auf regulären Sport-unterricht verzichten, weil „ihre“ Turnhal-len aus Sicherheitsgründen gesperrt sind.

Leipzig hat jetzt endlich ein Schulin-vestitionsprogramm vorgelegt. Das ist immerhin ein Anfang! Landesfinanzmi-nister Unland hat zudem angekündigt, Gelder aus dem Steuerüberschuss in Schulbauvorhaben zu stecken. Inwieweit der enorme Inves-titionsstau damit abgetra-gen werden kann, bleibt abzuwarten.

Gute Bildung lässt keinen zurück

Wenn Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen, hat das Bildungssys-tem versagt. Im Bundesdurchschnitt liegt die Schulabbrecher-Quote bei 6,2 Prozent – Leipzig hat 15,2 Prozent und damit sach-senweit die meisten Schulabgänger ohne Abschluss. Gründe dafür könnten neben den allgemein schlechten Bedingungen lokale Besonderheiten sein: Bis 2005 wur-den in der Messestadt zahlreiche Schulen geschlossen. Die verbleibenden wurden vergrößert, Klassen bis zur Maximalgröße aufgefüllt. Im gerade aufwendig sanier-ten Kant-Gymnasium lernen zzt. 29, 30 und 31 Schüler in den drei fünften Klas-sen. Hält der Trend an, werden Schulen zu unpersönlichen Fabriken und die sozialen Unterschiede verschiedener Stadtbezirke verschärft.

Jedes Kind hat ein Recht darauf, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten unabhängig vom Elternhaus und sozialer Herkunft zu entwickeln. Wo Eltern – aus welchen Grün-den auch immer – überfordert sind, muss die Gesellschaft einspringen. Unterlässt sie das, werden die heute längst sichtba-ren Problemlagen von sozialer Herkunft, mangelnder Bildung, Armut und Ausgren-zung für den Einzelnen und die Gesell-schaft verschärft. Diese Entwicklung kann nur stoppen, wer viel früher anfängt, die Kinder zu fördern. Bildung beginnt in der Krippe, sie läuft über Kindergarten, Hort und Schule bis hin zur beruflichen Aus- und Weiterbildung und zur Hochschule. All das in gute Qualität zu bringen und zu halten, kostet Geld. Es zu unterlassen aber kostet sehr viel mehr.

(Alle Personenbezeichnungen beziehen sich auf Männer und Frauen.)

mdL cornelia Falken Sprecherin für Bildungspolitik

Für mehr Qualität in der Bildung

fordert die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag von der Staatsregierung:

n den Ausbau von Betreuungs-plätzen in Kinderkrippe, Kindergarten und Hort und die Senkung des Betreuungsschlüssels;

n die arbeitszeitliche Anerkennung von Vor- und Nachbereitungszeiten im Erzieherbereich

n die Erhöhung des Betriebskostenzuschusses für Kindertagesstätten

n ein Investitionsprogramm für Schulhausbau und den Neubau von Kindertagesstätten, v. a. für Dresden, Chemnitz und Leipzig

n den Ausbau des Schul- und Kindertagesstätten-Netzes in den Großstädten unter Beachtung sozialräumlicher Besonderheiten und qualitativer Anforderungen (z. B. kleinere Schulen und Klassen, Übergang von Integration zur Inklusion)

n die Ausbildung der Lehrkräfte praxisfester zu machen und den Schulartbezug aufzuheben

n die Aufteilung der Kinder nach der vierten Klasse zu beenden und längeres gemeinsames Lernen zu ermöglichen.

Diese und weitere Forderungen und Anregungen für Sachsens Bildungspolitik hat die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag in den Landtag eingebracht. Denn wir bleiben dabei: Sachsen braucht eine Schule für alle!

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Ouvertüre: Namens- und andere Wandlungen

Die letzten Oktobertage machten es mög-lich: Am berühmten Mendebrunnen auf dem Augustusplatz sitzen Eingeborene, Zugezo-gene oder Touristen. Ganz gleich in welche Richtung sie schauen, Kultur, Geschichte und Politik kommen ins Blickfeld. Unüber-sehbar z.B. das Opernhaus, 1956 als erster Theaterneubau der DDR am historischen Standort errichtet. Seine erste Premiere erlebte es 1960. Mit Wagners „Meistersin-ger“ huldigte die Stadt einem ihrer großen Söhne. Auch 2013 wird ein Wagner-Jahr, Richards 200. Geburtstag steht an ...

Eine Draufsicht auf den Augustusplatz, der früher mal Karl-Marx-Platz hieß, hat, wer im Hotel am Stadtring logiert, das heute Radis-son heißt und 1964 als „Hotel Deutschland“ die ersten Gäste empfing. Das Haus wurde mehrfach umbenannt, kurioserweise auch noch nachdem der Beitritt der DDR zur BRD beschlossen war. Marketing schlug Historie! Nu ja, sogar der Mendebrunnen sollte mal „Gewandhausbrunnen“ heißen, weil er eben vorm Gewandhaus steht. Diese nicht nur bei Leipzigern beliebte Konzerthalle wurde 1981 eröffnet. Hier gastieren nicht nur Welt-klasseorchester, sondern inzwischen hin und wieder Schlagerlegenden, wie der Leip-ziger Frank Schöbel. Selbst Jane Fonda war schon hier. 1989 und inkognito. Unter Sieg-hard Gilles Deckengemälde „Gesang vom Leben“ beobachtete sie eine Montagsdemo. Fotos in amerikanischen Zeitungen hatten

die Schauspielerin neugierig gemacht, die durch das Internationale Festival für Doku-mentar– und Animationsfilme eine Bezie-hung zu dieser Kulturmetropole aufge-baut hatte. Beim Leipziger Dokfilm-Festival waren Jahre zuvor ihre engagierten Viet-nam-Filmproduktionen der Weltöffentlich-keit vorgestellt worden. Anfang November 2012 ging der bereits 55. Dokfilm-Jahrgang mit neuem Besucherrekord zu Ende.

Dicht am Gewandhaus die alma mater lip-siensis, die über die Jahrhunderte Namen, Innensicht, und auch ihre Außenfassade mehrfach änderte. Die aktuellste Verände-rung glänzt in Richtung Augustusplatz: Das neue Uni-Hauptgebäude, das am Standort der 1968 gesprengten Paulinerkirche errich-tet wurde. Zu DDR-Zeiten hatten Studenten hinter der Uni übrigens die „Moritzbastei“ freigelegt und den einzigen erhaltenen Teil der Stadtbefestigung zum angesagten Stu-dententreff gemacht. Auch Angela Merkel, seinerzeit Studentin der Karl-Marx-Universi-tät, soll hier tief gegraben haben …

1. Akt: zoff um städtische Reißbrettmodelle

In Leipziger Ratsversammlungen und Bür-gerforen wird oft, gern und engagiert über Kulturfragen debattiert. Als vor einem Jahr „Zukunftsszenarien für die Oper, das Schau-spiel, das Theater der Jungen Welt und das Gewandhaus“ durch ein vom Oberbürger-meister (OB) bestelltes „actori“-Gutachten hoch- und runtergerechnet und schließlich

der Öffentlichkeit präsentiert wurde, platzte der Saal aufgrund überbordenden Bürger-interesses aus allen Nähten. Die Messe-städter waren sauer, weil unter OB Jung die Musikalische Komödie (MUKO) unter die Räder zu kommen drohte. Dazu hat der Stadtrat im Sommer einen denkwürdigen Beschluss gefasst: Die drei großen Häuser, Oper mit MUKO, Gewandhaus und Central-theater, sollen zu einem Mehrspartenhaus zusammengeführt werden. Stadträtin Jenni-cke von der LINKEN, hatte als einzige darauf verwiesen, dass solche unter ökonomischen und administrativen Gesichtspunkten ange-stellten Gedankenspiele halsbrecherisch und für die Kultur grob fahrlässig sind.

Die LINKE steht nicht nur felsenfest zur MUKO, sondern auch zum „Theater der Jun-gen Welt“. Deutschlands ältestes Kinder- und Jugendtheater hat sich unter Intendant Zielinski zu einem Kulturmagneten entwi-ckelt. Hier findet u.a. die Verleihung des Sächsischen Jugendkunstpreises statt, gas-tiert das Junge Musiktheater Leipzig, führt der Lindenauer Stadtteilverein seine Veran-staltungen durch, gibt es die „Lindenauer Nacht“ mit bis zu 40 mitwirkenden Vereinen und lockt die „Student Performance Night“ unter Beteiligung der HTWK. Und Gesicht zeigt dieses Haus auch, wenn es um seinen unerwünschten Nachbarn, das NPD-Büro in der Odermannstraße, geht.

<Solo>: Viele nehmen es OB Jung übel, dass er sein Versprechen, weitere Kulturdiskus-sionen, unter aller Ohren, stattfinden zu

Leipziger Kultur in 3 Akten, mehreren Soli, Chor und einer Tanzeinlage

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lassen, gebrochen hat. Zwar ist das teure „actori“-Gutachten zzt. aus den Schlag-zeilen, aber „versenkt“ ist es damit nicht.

2. Akt: Politisches Fingerhakeln ums Geld

Neben diesem innerstädtischen Dissens kam es auch zum Krach auf höherer Ebene. Leipzigs Stadtspitze hatte gegen die ange-drohte Kürzung der Kulturraumförderung geklagt. Der Landtag hatte 2010 eine Neu-regelung des Kulturraumgesetzes verab-schiedet. Dabei ging es für Leipzig nicht um „Drei Münzen im Mende-Brunnen“ son-dern um weitaus höhere Beträge. Das Rat-haus verwies auf die Verfassungswidrigkeit der Gesetzes-Novelle und ihre Folgen: Eine Million Euro weniger Förder-Euros für Oper, Gewandhaus und Co.!

<Chor> In seltener Einigkeit standen der Stadtrat, die Hochkultur samt Intendanten und die Sprecher der freien Szene hinter der städtischen Klageschrift. In einer Peti-tion an alle Abgeordneten des Sächsischen Landtags hieß es: „Schützen Sie mit Ihrer Stimme die Kulturräume unseres Landes. Bewahren Sie Sachsen die Möglichkeit, ein Kulturstaat zu bleiben.“

Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat die Klage Leipzigs gegen das geänderte Kulturraumgesetz als unzulässig abge-wiesen. Aber: Der Einspruch Leipzigs war sehr berechtigt! Hier verteidigte sich eine

einmalige Kulturmetropole mit Facetten und Traditionen, die alle zu benennen schier unmöglich ist. Kulturbürgermeister Faber wurde im Rahmen jener Vorgänge von sei-nen Aufgaben für die großen Spielstätten entbunden. <Solo> Eine Entscheidung des OB, die inakzeptabel und selbstherrlich erscheint. Im Januar wird an der Pleiße ein neues Stadtoberhaupt für die kommenden sieben Jahre gewählt. Es gibt Alternativen. Auch von LINKS.

3. Akt: Liebenswertes Leipziger Allerlei

Kultur muss immer hoch hinaus wollen, schon wegen der Perspektive. Steigen wir gedanklich auf den Turm des Neuen Rat-hauses. Von hier aus ist das Völkerschlacht-denkmal nicht zu übersehen. Rekonstruiert, renoviert, bestiegen und bespaßt erwartet es seinen 100. Geburtstag. Über den Sinn-gehalt wird seit Jahrzehnten quer durch alle Schichten gestritten. Ich empfehle dazu ein Interview, das Leipzig-Fernsehen mit dem Koloss führte. Live zu hören im academixer-Programm „Die Rache des Lipsi-Schritts“ <Tanzeinlage>. Da wird zum VÖLKI alles gesagt, in Leipzig, der Lach-messe-Hauptstadt Europas.

Mit Blick nach Süden bietet am Connewit-zer Kreuz das „Werk II“ seit 20 Jahren Alter-nativkultur vom feinsten. Nebenan wurde dank engagierter Leute mit dem Filmthea-ter UT eines der ältesten noch existenten

Kinos Deutschlands vor dem Verfall geret-tet. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz verlieh dem Verein die „Sil-berne Halbkugel“. Sie haben es verdient! Den Blick nach Norden gewandt, entdeckt man den ANKER, das soziokulturelle Zen-trum in Möckern. Auch mithilfe engagier-ter LINKER vor dem Ruin bewahrt. Früher spielte da die RENFT-Kombo, heute ist eine Straße nach Klaus Renft benannt

So schließt sich (unvollständig) der Kultur-kreis (m)einer Stadt mit einem unermess-lichen Radius. Sie werden völlig zu recht bemängeln, dass zur berühmten National-bibliothek, zur „Notenspur“, zu Radio BLAU, zum Naturkundemuseum, zum Zeithisto-rischen Forum, zu/zur/zum ... - nichts in diesem Beitrag steht. Leipzig-Kultur ist und war über alle Maßen vielseitig. Unmöglich, das alles zu beschreiben. Das muss man einfach leben, muss es weitersagen und auch dafür kämpfen. Auf das immer eine <Fortsetzung folgt>!

mdL Dr. Volker Külow Sprecher für Kulturpolitik

GEMAin – Kulturwirtschaft darf nicht abgezockt werden!Die geplante Neuordnung der GEMA-Gebüh-ren ab 2013 bedroht die Clubkultur und soziokulturelle Vielfalt in Sachsen. Mit dem neuen Gebührensystem der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mecha-nische Vervielfältigungsrechte“ wird das Anbieten von Musik jeder Art in den meis-ten Fällen erheblich teurer werden. Statt elf soll es noch zwei Tarife geben, statt der tatsächlichen Besucherzahl soll eine theo-retisch mögliche zur Berechnungsgrundlage werden.

Betroffen davon wäre die gesamte säch-sische Musikwirtschaft, egal, ob es dabei um die Live-Band in der Kneipe geht, um die CD-Musik im Hintergrund, die Ü-30-Party, die Silvestersause oder das beliebte Stadt- oder Straßenfest. Kommen die neuen Tarife, werden die Veranstalter gezwungen, Eintritts- und Geträn-kepreisen zu erhöhen; werden Menschen mit weniger Geld aus der Clubszene

verdrängt. Parallel droht eine kulturelle Ver-armung, denn insbesondere für Newcomer und experimentelle Künstler/innen und für Nachwuchsbands verschlechtern sich die Auftrittsmöglichkeiten.

Die GEMA-Reform ist das Gegenteil pro-gressiver Kulturförderung, deshalb muss Sachsens Staatsregierung handeln! Positiv vorgelegt haben die Landtage in Mecklen-burg-Vorpommern und Berlin, die jeweils Anträge für einen sinnvollen Interessen-ausgleich und akzeptablen Kompromiss für alle Beteiligten eingebracht haben. In Ber-lin haben diesen Antrag sogar fünf Parteien unterschrieben!

Dabei stellt keiner, auch nicht die Fraktion DIE LINKE, die GEMA in Frage. Im Gegen-teil: Sie hilft den Kreativen, von ihrer Arbeit zu leben. Auch halten wir eine Reform der GEMA-Tarife durchaus für zeitgemäß, aber dann muss auch das gesamte System auf den Prüfstand, um die vielen Fallstricke zu beseitigen. Ich nenne nur den Zeitzuschlag nach fünf Stunden oder den bizarren Fakt, dass ein Musiker, der ausschließlich seine eigenen Titel spielt und sogar Veranstalter ist, Gebühren an die GEMA zahlen muss!

Wir fordern Sachsens FDP-Wirtschaftsminis-ter Morlok auf, sich umgehend und konse-

quent bei der Schiedsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes für transparente

und gerechte GEMA-Tarife einsetzen. Unsere Fraktion, die gesamte Musikszene und die

mehr als 230.000 Unterzeichner/innen einer entsprechenden Onlinepetition an

den Deutschen Bundestag, hätte er damit auf seiner Seite…

Dr. Volker Külow

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Es ist merklich stiller geworden um die vor nunmehr zehn Jahren von einer nach dem inzwischen in Ungnade gefallenen Peter Hartz geleiteten Kommission vorgeleg-ten Vorstellungen zur „Reformierung“ des Arbeitsmarktes. Kaum noch jemand dürfte sich daran erinnern, dass dieses Konzept aus 13 so genannten Modulen bestand. Zwar wurden davon lediglich vier umgesetzt, aber schon die hatten es in sich. Vor allem das in die Geschichte eingegangene Modul Hartz IV markierte einen Paradigmenwech-sel in der deutschen Arbeitsmarkt- und Sozi-alpolitik und wurde zum Kernbestandteil der berüchtigten Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder.

Die massiven Protestaktionen der Jahre 2003 und 2004, von denen die größten sächsischen Demonstrationen in Leipzig stattfanden, konnten Hartz IV zwar nicht ver-hindern, hatten aber zumindest zwei Ergeb-nisse von längerfristiger Bedeutung. Zum einen fegten sie die Schröder-Regierung hin-weg. Zum anderen führten sie, insbesondere durch die Abkehr vieler Gewerkschafterin-nen und Gewerkschafter von der SPD, letzt-lich zur Herausbildung der Partei DIE LINKE.

Unterschiedliche Bilanzsicht

Die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Sachsen sah zwar keinen Anlass, des zehn-jährigen Jubiläums der Hartz-Gesetze feierlich zu gedenken, lässt aber kein Landtagsple-num aus, um insbesondere die Segnun-gen von Hartz IV zu preisen, und betont dabei euphorisch ihren eigenen Anteil an der angeblichen Erfolgsgeschichte. In der Tat war es die Merkel-Regie-rung, die durch eine Reihe von Maßnah-men die Daumen-schrauben der von Hartz-IV-Betroffe-nen immer weiter anzog. Und auch die sächsische Staatsregierung sah keinen Anlass zu Veränderungen im Interesse der sozial Ausgegrenz-ten, befleißigte sich vielmehr massiverer Sozialkürzungen und ist gar noch stolz auf Sachsen als DAS Niedrig-lohnland schlechthin.

Die SPD ist in gewissem Sinne in einer stra-tegischen Zwickmühle. Sie muss zwar die gerade in Sachsen durch Hartz IV entstan-denen sozialen Verwerfungen zur Kenntnis

nehmen, tut sich aber schwer, sich von Hartz IV zu distanzieren.

Der LINKEN, die als einzige Hartz IV von Anfang an bekämpft hat, wurde kürzlich in einer Tageszeitung unterstellt, von ihrer Forderung „Hartz IV muss weg“ abgerückt zu sein. Das ist falsch. Es gibt keinen ein-zigen Grund, unsere bisherigen Aussagen zurückzunehmen, denn Hartz IV hat gerade in Sachsen dazu geführt, dass immer mehr Menschen unter Armut leiden. Auch in der Vergangenheit sind wir nie bei der Losung „Hartz IV muss weg“ stehen geblieben, sondern haben gerade im Sächsischen Landtag zahlreiche Vorschläge unterbrei-tet, wie und wodurch Hartz IV zu ersetzen wäre. Als Ausgangspunkt sind wir dabei stets der Frage nachgegangen, welche kon-kreten Auswirkungen Hartz IV auf Sachsen hatte.

Rückgang der sächsischen Bevölkerung

Die Einwohnerzahl Sachsens ist seit 1989 insgesamt um mehr als 800.000 auf nun-mehr 4,1 Millionen geschrumpft. Dazu hat auch die Abwanderung vor allem junger Menschen beigetragen, die im Freistaat keine Perspektive mehr sahen.

Dass sich der Rückgang der sächsischen Bevölkerung in den letzten Jahren verlang-samte, ist angesichts der voran gegangenen Massenabwanderung erklärbar. Nichtsdes-totrotz ging die Einwohnerzahl in den letz-

ten zehn Jahren um ca. 200.000 zurück und stieg das Durchschnittsalter in Sachsen auf 46,2 Jahre.

Wäre Hartz IV im Freistaat wirk-lich so erfolgreich gewesen, hätte es wenigstens zu einer Stagnation der Bevölkerungs-zahl kommen müs-sen. Stattdessen besagen offizielle Prognosen, dass

der Schrumpfungsprozess der sächsischen Bevölkerung weiterhin anhalten wird.

Statistische Manipulationen

Glaubt man der offiziellen Statistik, so ist die Zahl der Arbeitslosen in den letzten Jahren in Sachsen kontinuierlich zurückgegangen.

Dennoch hat sich zwischen den jeweiligen Landkreisen und kreisfreien Städten wenig geändert. Nach wie vor ist Leipzig die säch-sische Großstadt mit der höchsten Arbeits-losenquote. Gleiches gilt für die Zahl der Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften und deren Mitglieder. Allerdings ist der Rückgang hier wesentlich geringer als bei den Arbeitslo-sen insgesamt. Hartz IV hat zu einem hohen „Sockel“ an Langzeitarbeitslosen geführt mit deutlichen Signalen für spätere Alters-armut, zumal Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II inzwischen keinerlei Anwartschaften für die spätere Rente mehr erwerben.

Der leichte Rückgang der von Hartz IV betroffenen Personen hat weitere Ursachen. So werden Leistungsberechtigte nach Voll-endung des 58. Lebensjahres nicht mehr als arbeitslos registriert. Gleiches gilt für jene, die in einer arbeitsmarktpolitischen Maß-nahme stecken, dazu gehören bspw. Wei-terbildungs- und Trainingsmaßnahmen und 1-Euro-Jobs. Der Arbeitsmarkt wurde auch dadurch „entlastet“, dass allein im vergan-genen Jahr 81 Prozent der Menschen, die in Altersrente gingen, das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, was im Übrigen die Rente mit 67 nachdrücklich in Frage stellt. Schließlich dürfte die Dunkelziffer derer, die die Suche nach Arbeit aufgegeben haben, weil sie wegen der Abhängigkeit in einer Bedarfsgemeinschaft keinerlei Leistungen

Zehn Jahre Hartz-Gesetze – eine Bestandsaufnahme und kritische Bilanz

Bis Oktober 2012 hat die Arbeitsagen-tur gebraucht, um auf ihrer Home-page einen Musterbescheid und eine Erklärungshilfe zur Grundsicherung für Hartz-IV-Empfänger anzubieten. Damit soll es für Betroffene leichter werden, hinter den Inhalt der Begriffe zu kommen. Das ist auch dringend nötig, um die komplizierten Bescheide nachvollziehen und ggf. auch bean-standen zu können. Die Initiative ist begrüßenswert – kommt aber min-destens sieben Jahre zu spät …

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Zehn Jahre Hartz-Gesetze – eine Bestandsaufnahme und kritische Bilanz

vom Amt erhalten, relativ hoch sein. Dies betrifft überwiegend Frauen, wie aus Stu-dien hervorgeht. Allerdings gibt es dazu keine offiziellen Zahlen.

Niedriglohn und prekärer Beschäftigung

Hartz IV hat zu einem beträchtlichen Anstieg der Zahl derer geführt, die auf zusätzliche Leistungen vom Staat angewiesen sind, weil ihr Einkommen zu niedrig ist. Im Dezem-ber 2011 waren das in Sachsen 114.000 Personen und damit 35,4 Prozent aller auf Arbeitslosengeld II Angewiesener. Fast 53 Prozent dieser so genannten Aufstocker hat-ten einen Minijob und 47 Prozent eine sozi-alversicherungspflichtige Tätigkeit. Mehr als 12.000 Personen galten als Selbstständige.

Gerade der Anstieg der prekären Beschäf-tigungsverhältnisse hat nicht nur zur Ver-nichtung Existenz sichernder Arbeitsplätze geführt, sondern ist letztlich mit dafür ver-antwortlich, dass Hartz IV generell zu einer Stagnation des allgemeinen Lohnniveaus gerade in Sachsen geführt hat. In den letz-ten zehn Jahren hat sich der Lohnabstand Sachsens zu den alten Bundesländern wie-der vergrößert. Und auch im Vergleich mit den neuen Bundesländern liegt Sachsen hinsichtlich des Lohnniveaus unter dem Durchschnitt.

Frauen besonders betroffen

Obwohl in Sachsen weit weniger Frauen erwerbstätig sind als Männer, macht ihr Anteil an den offiziell registrierten Arbeitslo-sen dennoch 47 Prozent aus. Frauen erhal-ten in Sachsen für die gleiche Arbeit neun Prozent weniger Lohn als Männer, was sich erheblich auf die spätere Rentenhöhe aus-wirkt. Die gesetzliche Monats-Rente für Frauen liegt in Sachsen schon heute um 200 Euro unter der der Männer.

Besonders hart betroffen ist die Gruppe der Alleinerziehenden mit Kindern unter 15 Jah-ren. Fast 38.000 dieser alleinerziehenden Frauen sind auf volles Arbeits losengeld II angewiesen oder müssen ihr Einkommen aufstocken. Das sind nahezu 60 Prozent aller hier lebenden Alleinerziehenden.

Kosten der Unterkunft (KdU)

Nach wie vor ist der größte Streitpunkt in den sächsischen Jobcentern die Frage nach der Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU). In vielen Fällen haben die völlig überlasteten sächsischen Sozial-gerichte die in den Kommunen geltenden Richtwerte für KdU als zu niedrig angesehen und den Klägern in vielen Fällen Recht gege-ben. Das hat in Leipzig innerhalb nur eines Jahres zum zweiten Mal dazu geführt, dass der Richtwert für KdU angehoben wurde, ohne dass dem eine fundierte Analyse des Wohnungsmarktes zu Grunde gelegen hätte.

Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Richt-werte vor den Gerichten Bestand haben werden. Zweifel sind erneut gegeben, denn es zeichnet sich immer mehr ab, dass es vor allem in städtischen Ballungszentren immer weniger Wohnraum im Preissegment der KdU-Richtwerte gibt. Das wird in sol-chen Kommunen besonders dramatisch, die kaum noch über Wohnungen mit sozialer Belegungs- und Mietpreisbindung verfügen. Vor allem in Dresden scheint sich der Ver-kauf des städtischen Wohnungsunterneh-mens bitter zu rächen, weil die Kommune so kaum noch Einfluss auf die Mietpreisent-wicklung hat und bei Bedarf so wesentlich höhere Kosten für KdU entstehen.

Die Strompreise werden zunehmend zum Problem für Menschen mit niedrigem Ein-kommen, immer öfter kommt es zu Strom-abschaltungen, weil die betroffenen Mie-ter die Rechnungen nicht mehr zahlen können. Wir von der LINKEN fordern deshalb schon lange einen Sozialtarif für Strom, der bekanntlich nicht zu den KdU zählt, sondern aus dem Regelsatz zu bezahlen ist.

Vorschläge & Kontroversen: LINKE Alternativen zu Hartz IV

In der LINKEN wurde und wird kontro-vers über ein so genanntes bedingungslo-ses Grundeinkommen als die Alternative zu Hartz IV gestritten. So sehr man auch das Für und Wider oder gar die Möglichkeiten der Finanzierung eines bedingungslosen Grund-einkommens diskutieren kann – eine tragfä-hige Alternative zu Hartz IV ist es in abseh-barer Zeit nicht!

Es gibt heute keine politischen Mehrheiten zur Überwindung von Hartz IV. Die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag konzen-triert sich deshalb darauf, was in einem überschaubaren Zeitraum zur Verbesserung der Lebenslage Betroffener realisiert werden kann. Gemeinsam mit den Gewerkschaften treten wir dafür ein,

n dass es zum flächendeckenden gesetz-lichen mindestlohn kommt, Leiharbeit und minijobs abgeschafft werden,

n dass ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor entsteht, der vor allem Langzeitarbeitslose in Existenz sichernde, tariflich gebundene Arbeits-verhältnisse integriert,

n dass die trennung zwischen Arbeitslo-sengeld I und II aufgehoben und die so genannten Bedarfsgemeinschaften aufgelöst werden;

n dass es am Bedarf orientierte soziale Leistungen für Arbeitslose gibt, die sanktionsfrei sein müssen,

n dass für Arbeitslose in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt und damit Altersarmut verhindert wird,

n dass eine eigene Grundsicherung für Kinder entsteht.

Diese Forderungen umzusetzen, wäre in relativ kurzem Zeitraum möglich. Zögen alle sozial gesellschaftlichen Kräfte an einem Strang, könnte Hartz IV beerdigt werden. Alternativen sind möglich. Ein reiches Land wie Deutschland muss seinen Bürgern Exis-tenz sichernde Arbeitsverhältnisse anbie-ten können.

mdL Dr. Dietmar Pellmann Sprecher für Sozialpolitik

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Ein rotes Kleeblatt für „klein Paris“„Mein Leipzig lob’ ich mir! Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.“ So steht’s in Goethes „Faust I“, wenn auch mit leicht iro-nischem Unterton. Dennoch: Deutschlands größten Dichter und „klein Paris“ verband viel – und auch über 200 Jahre nach dem historischen Zitat wäre Goethe der Halb-millionenstadt sicher immer noch gewo-gen. Leipzig versteht sich als Buch-, Messe- und Musikstadt, als Stadt des Kabaretts und Films – und vieles mehr. Mit „Leipzig kommt“ hob sie Anfang der 90er ab, mit „Leipziger Freiheit“ floppte sie. Jetzt wird ein neues Leitmotiv gesucht und mancher glaubt fest an „Das bessere Berlin“. Zugege-ben, Gondwana-Land und die neu erblühte Wasserstadt liefern gute Argumente. Um starke Argumente bemüht sind auch die vier Landespolitiker der LINKEN, die sich in Dresden für Leipziger Interessen stark machen. Pvl stellt sie hier vor.

mdL-Wahlkreis- und Bürgerbüros in Leipzig

mdL cornelia Falken

Coppistraße 63, 04157 Leipzig

+49 (0)341 2114140 +49 (0)341 2460021

[email protected]

mdL Dr. Volker Külow

Georg-Schwarz-Str. 8, 04177 Leipzig

+49 (0)341 9750466 +49 (0)341 9748540

Liebknecht-HausBraustraße 15, 04107 Leipzig

+49 (0)341 14064413 +49 (0)341 14064418

[email protected]

mdL Dr. Dietmar Pellmann

Stuttgarter Allee 16, 04209 Leipzig

+49 (0)341 2318440 +49 (0)341 2318444

[email protected]

mdL Dr. monika Runge

Gorkistraße 120, 04347 Leipzig

+49 (0)341 5297400 +49 (0)341 5297401 [email protected]

(MdL = Mitglied des Landtags)

mdL cornelia Falken:„Seit 1977 bin ich in Leipzig zuhause, hier sind meine Kinder geboren und bin ich mei-nen Weg als Lehrerin und Gewerkschafterin gegangen. Aus meiner praktischen Erfah-rung heraus weiß ich: Wir brauchen drin-gend bessere Bedingungen im Bildungsbe-reich. Täglich aufs Neue motiviert mich der Kontakt mit Lehrenden und Lernenden, um für diese Verbesserungen im Landtag und als Kreisvorsitzende der GEW in Leipzig zu streiten. Nachhaltige und wirksame Verän-derungen im Bereich Bildung sind möglich. Voraussetzung dafür ist jedoch ein Regie-rungswechsel in Sachsen. DIE LINKE ist vorbereitet.“

mdL Dr. Dietmar Pellmann: „Die Stadt Leipzig mit ihren reichen Traditi-onen, aber vor allem mit den hier lebenden Menschen ist mir Heimat geworden. Das gilt insbesondere für mein unmittelbares Umfeld in Grünau, dem Stadtteil, der nach der Wende wie kaum ein zweiter von gesell-schaftlichen Veränderungen betroffen war. Dass dieser Wandel durch massenhaften Abriss intakter Wohnsubstanz oder eine hohe Zahl an Arbeitslosen keineswegs nur positive Seiten hat(te), erlebe ich gerade als Sozialpolitiker täglich. Als LINKER ist es für mich Selbstverständnis und Verpflich-tung, mich den Sorgen und Nöten der Men-schen vor Ort anzunehmen.“

mdL Dr. Volker Külow:„Mein Geburtsort Leipzig ist eine lie-bens- und lebenswerte Wohlfühlstadt mit einer tausendjährigen Geschichte und einer bemerkenswerten kulturellen Viel-falt. Zugleich gilt die Stadt am Flüsschen Pleiße als bundesweite Armutshauptstadt, statistisch wächst hier jedes dritte Kind in armutsgefährdeten Verhältnissen auf. Als LINKER Landtagsabgeordneter und Kultur-politiker versuche ich, gegen diese bedrü-ckende Entwicklung anzukämpfen. Zudem liegt mir die aktive Auseinandersetzung mit dem „Nationalen Zentrum“ der NPD, das sich unweit meines Bürgerbüros in Lindenau eingerichtet hat, besonders am Herzen.

mdL Dr. monika Runge:„Leipzig ist seit 43 Jahren meine Heimat-stadt. Mein Streben als LINKE Politikerin ist darauf gerichtet, den Messestädtern gute Arbeit und ein gutes Leben zu ermög-lichen. Auch deshalb setze ich mich u.a. für den Verbleib des Firmensitzes der Ver-bundnetz Gas AG in Leipzig ein, da hiervon die Finanzkraft der Stadt in erheblichem Umfang abhängt. Es kommt für mich künftig vor allem darauf an, dass hiesige Unterneh-men bezüglich ihrer Betriebsgröße weiter wachsen und sich vor allem neue, technolo-gieorientierte und forschungsstarke Unter-nehmen ansiedeln, damit in und für Leipzig viele gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen.“

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Kostenfaktor Strom – wer treibt den Preis?Im Jahr 2010 wurden in Chemnitz, Dresden und Leipzig insgesamt 10.460 Privathaus-halten der Strom abgeschaltet, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen konnten. Der Energiepreis kennt schon lange nur eine Rich-tung: nach oben. Schuld daran soll die Ener-giewende sein. Pvl wollte es genauer wissen und fragte nach bei Dr. Jana Pinka, umwelt- und technologieexpertin der Fraktion DIe LINKe im Sächsischen Landtag.

Frau Dr. Pinka, ist Strom schon ein Luxusgut?

Dr. Jana Pinka: Die Gefahr, dass Strom für immer mehr Menschen unbezahlbar wird, besteht tatsächlich. Wir bezahlen heute 25,74 Cent pro Kilowattstunde, 2007 waren es noch ca. fünf Cent weniger. Im gleichen Zeitraum jedoch sanken die Strompreise für die Industrie, und zwar von 0,0946 auf 0,0895 Cent pro Kilowattstunde*. Aktuell werden in Deutschland Unternehmen mit insgesamt 9 Milliarden Euro entlastet, dar-unter sind große Braunkohleunternehmen, aber auch z.B. kleine Saunabetriebe.

Welchen Anteil hat das Erneuerbare- Energie-Gesetz (EEG) an der Strompreis- entwicklung?

Dr. Jana Pinka: Fragt man nach dem Grund der drohenden immensen Strompreiserhö-hung ab 2013, bekommt man fast immer zu hören, die angekündigte Erhöhung der EEG-Umlage von derzeit 3,59 auf 5,277 Cent pro Kilowattstunde sei schuld. Das ist absurd, denn der Strompreis setzt sich wie folgt zusammen: 54,4 Prozent aus der Strom-lieferung (davon für Stromerzeugung 34,4 Prozent und Netznutzung 20 Prozent), 21,6 Prozent aus Abgaben und Umlagen (inkl. 14 Prozent EEG-Umlage) und 24 Prozent aus Steuern**. Neben der EEG-Umlage haben sich auch die anderen Preisbestandteile erhöht, vor allem die für Kohle, Erdöl und Erdgas, die heute 50 bis 100 Prozent mehr kosten als noch vor zehn Jahren.

Warum redet eigentlich keiner über den preissenkenden (!) Effekt der Erneuerbaren Energien? Steigt bspw. über Mittag die Pro-duktion von Solar- oder Windstrom, sinkt an der Leipziger Strombörse durch das hohe Angebot der Preis für konventionel-len Strom. Da aber stromintensive Unter-nehmen per Gesetz von der EEG-Umlage, von Netzentgelten, Stromsteuer, Konzes-sionsabgaben etc. befreit sind, vom sin-kenden Börsenstrompreis aber profitieren, ziehen sie im Saldo wirtschaftliche Vorteile

aus der Energiewende – nur dass sie diese Gewinne bislang nicht an die Stromkunden weitergegeben haben.

Zur Dämpfung des Strompreises wirbt Sachsens CDU/FDP-Regierung dafür, die Stromsteuer zu senken und ein Quo-tenmodell einzuführen. Was halten Sie davon?

Dr. Jana Pinka: Nicht viel. Die Stromsteuer macht acht Prozent der Energiepreise aus. Und wir haben wie gesagt die Stromsteuer-Ausnahmen für Unternehmen des pro-duzierenden Gewerbes. Die zahlen keine Steuer – und mit der Absenkung der Strom-steuer bezahlen sie die immer noch nicht.

Bei den Netzentgelten sieht das schon anders aus, denn diese tragen mit durch-schnittlich 23 Prozent zum Strompreis bei. Das wäre für mich ein Handlungsansatz, da würden dezentrale Netzstrukturen also schon mal weiterhelfen. Aktuell aber wird lieber darüber dis-kutiert, wie die Energie aus großen Offshore-Windkraftan-lagen im Norden Deutsch-lands zu den Abneh-mern in den Süden der Bundesre-publik kommt. Dreimal dürfen Sie raten, wer das bezahlen soll…

Die Krönung in diesem Zusam-menhang ist übrigens, dass die Bun-desregierung gerade beabsichtigt, das Abschalten systemrelevanter, aber unren-tabler Kraftwerke im Winter zu verhindern. Das könnte bis zu 287 Mio. Euro kosten. Zahlbar vom Verbraucher, unter anderem über die Netzentgelte.

Zum Quotenmodell: Hier wird suggeriert, dass Strom aus erneuerbaren Quellen die Netze überfluten würde und man dem begegnen müsse. In Sachsen ist es aber eher der Braunkohlestrom, der die Netze

verstopft. Denn etwa ein Drittel der netto in Sachsen erzeugten Mengen an elektri-scher Energie – und damit überwiegend Braunkohlestrom – werden gar nicht hier verbraucht, sondern exportiert. Wohl auch deshalb hält Ministerpräsident Tillich am Braunkohleabbau fest und befördert das ungehinderte Abbaggern weiterer sorbi-scher Dörfer in der sächsischen Lausitz und von Landstrichen im Leipziger Südraum. Dazu muss man wissen, dass Braunkohle-abbau in Sachsen massiv subventioniert wird – nach unseren Berechnungen jährlich mit etwa 34,8 Mio. Euro! Zudem wird weder Förder- und Feldesabgabe erhoben, noch ist Wasserentnahmeentgelt zu zahlen.

Nein, Schwarz-Gelb geht es offenbar gar nicht um die Strompreisentwicklung. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll schlicht abgewürgt werden. Wie anders lässt sich sonst begründen, dass das seit langem

angekündigte Energie- und Klimakonzept der Staats-regierung bis heute nicht verabschiedet wurde.

Was will die Fraktion DIE LINKE im Landtag?

Dr. Jana Pinka: Wir wol-len die zusätzliche und ungerechte Belastung

der privaten Haushalte, des Handwerks und des Mit-

telstands durch die Strompreistrei-ber verhindern. Unsere Bundestags-

fraktion hat bereits im September einen Antrag zur sozialen Gestaltung der Energie-wende und der Gewährleistung bezahlbaren Stroms gestellt. Wir fordern u.a., eine bun-deseinheitliche staatliche Strompreisauf-sicht zu installieren, die Marktmachtmiss-brauch und Manipulationen am Strommarkt verhindert. Zudem müssen Sockeltarifmo-delle bei Energieversorgern entwickelt und die Privilegierung großer Unternehmen beim Strompreis beendet werden.

* Quelle: Eurostat, ** Quelle: BDEW

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Rentenhöhe und Altersarmut haben direkt miteinander zu tun. Das ist im Osten Deutschlands und gerade in Sach-sen längst kein Geheimnis mehr. In Ost-deutschland leben mehr als 90 Prozent der Seniorinnen und Senioren ausschließlich von ihrer gesetzlichen Rente. Im Westen sind das nicht mal zwei Drittel, weshalb die gesamten Alterseinkünfte in den alten Bun-desländern um mehr als ein Fünftel über denen Ostdeutschlands liegen. Dafür sor-gen Pensionsansprüche, höhere Vermögen oder Betriebsrenten. Diese Rentenlücke hat sich in den letzten Jahren vergrößert und eine Umkehr ist nicht absehbar. Politi-sches Handeln ist also dringend geboten.

Versprochen – gebrochen

Es war 2009 in Leipzig, als Bundeskanz-lerin Merkel im Rahmen des Seniorenta-ges verkündete, bis 2013 die deutsche Renteneinheit herstellen zu wollen, was die Angleichung des aktuellen Rentenwer-tes Ost an den aktuellen Rentenwert West bedeutet hätte. Dieses Versprechen wurde sogar in den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP aufgenommen. Inzwischen ist sicher: Die Ost-West Renteneinheit wird es in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr geben. 22 Jahre nach der Wiederver-einigung gibt es in Ostdeutschland für die gleiche Lebensleistung elf Prozent weniger Rente als im Westen.

DIE LINKE hat in Bund und Land, anknüp-fend an entsprechende Konzepte von Gewerkschaften und Sozialverbänden, mehrfach konkrete Vorschläge unterbrei-tet, wie in einem Stufenprozess die Ren-tenangleichung erzielt werden könnte. All

unsere Initiativen wurden bislang abge-lehnt, ohne dass die Regierenden selbst Lösungsansätze angeboten hätten. Zu den Hauptbremsern gehört auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), der in Sachen Rente mehrfach vor „übereil-ten Schritten“ warnte. So wird es wohl erst eines grundlegenden Regierungs- und Poli-tikwechsels bedürfen, um endlich die Ren-tenmauer in Deutschland niederzureißen.

Diffuse Ablenkungsmanöver

Statt die Renten für überall in Deutsch-land Lebende gerecht und armutsfest zu machen, bastelt Schwarz-Gelb immer wie-der an diffusen Ablenkungsmanövern oder präsentiert Fehlentscheidungen. Eine sol-che ist die vor allem für Ostrentner mit fast unerfüllbar hohen Hürden versehene Lebensleistungsrente. Und auch die ab Januar angekündigte Senkung des Beitrags-satzes zur gesetzlichen Rentenversicherung auf 18,9 Prozent ist ein vergiftetes Wahlge-schenk, weil damit die Reserven der Ren-tenkassen aufgebraucht werden, was dann – natürlich nach der Bundestagswahl – eine happige Beitragsanhebung vermuten lässt. Viel vorausschauender wäre gewesen, wie vom DGB und der LINKEN gefordert, auf die Beitragsreduzierung zu verzichten und eine Demografiereserve aufzubauen. Aber auch der Aufschlag auf die Renten in Höhe von 0,4 Prozent im kommenden Jahr – übrigens der erste seit zehn Jahren – ist nur bedingt eine Segnung, denn die faktischen Renten-kürzungen der vergangenen Jahre kann er keinesfalls ausgleichen. Nullrunden, feh-lende Inflationsausgleiche und stetig wach-sende Lebenshaltungskosten haben viel mehr gekostet, als jetzt draufgelegt wird.

Selbst der SPD scheint zumindest zu däm-mern, dass sie durch die Agenda-Politik ihres Ex-Kanzlers Schröder die Senkung des realen Rentenniveaus seit 2000 um etwa 15 Prozent wesentlich mit zu verant-worten hat. Die Sozialdemokraten wären erst wieder glaubwürdig, wenn sie sich klar gegen die Rente mit 67 entscheiden und ihr Ziel, das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Pro-zent des letzten Nettolohnes abzusenken, aufgeben würden. DIE LINKE ist die einzige politische Kraft, die konsequent fordert, zur Rente mit 65 und einem Rentenniveau von 53 Prozent zurückzukehren.

Altersarmut abwenden!

Ein Aufschrei ging durchs Land, als die Bun-desagentur für Arbeit kürzlich prognosti-zierte, dass alle, die ein Arbeitseinkommen unter 2.500 Euro haben, künftig von Alters-armut betroffen sind. Selbst in konservati-ven Politik-Kreisen Sachsens wurde bejam-mert, wie schlimm das doch alles sei. Als die Linksfraktion im Landtag die Staatsre-gierung jedoch aufforderte, sofort politisch aktiv zu werden, um die drohende Altersar-mut abzuwenden, wurden wir als Schwarz-maler verlacht. Erst in der Plenarsitzung im September forderten wir ein Aktionspro-gramm gegen Altersarmut und präsentier-ten dafür einen Maßnahmenkatalog, der an den Ursachen für Altersarmut ansetzt.

Die Ursachen für Altersarmut liegen weit vor dem Eintritt in das Rentenalter. Des-halb fordern wir neben einer gerechten, auf Wohlstandssicherung abgestellten Renten-politik einen flächendeckenden gesetzli-chen Mindestlohn von 10 Euro. Wobei die von den Gewerkschaften genannten 8,50 Euro von uns als erster Schritt in die rich-tige Richtung mitgetragen werden. Bis es ein Bundesgesetz für Mindestlöhne gibt, können und müssen über ein entspre-chendes sächsisches Vergabegesetz, für das LINKE und SPD bereits einen Entwurf vorgelegt haben, „Pflöcke eingerammt“ werden. Gleiches gilt für die Verankerung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, denn die Lohnlücke zum Nach-teil von Frauen ist in Sachsen noch größer als im Durchschnitt der neuen Bundeslän-der. Und: Minijobs und Leiharbeit gehören abgeschafft, denn sie führen zu Renten, die den Ruheständlern kaum mehr die Butter auf dem Brot belässt.

Wer klaut der Oma die Butter vom Brot?

mdL Dr. Dietmar Pellmann Sprecher für Sozialpolitik

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Vergleicht man die beiden größten Städte Sachsens Dresden und Leipzig hinsicht-lich ihrer Wirtschafts- und Sozialkraft und bezieht dabei wichtige Indikatoren, wie den Anteil von Firmen im verarbeitenden Gewerbe, die Firmengrößen, das Brutto-inlandsprodukt je Einwohner, den Brutto-verdienst pro Erwerbstätigen, die Arbeits-losenquote und den Anteil von Hartz IV- Beziehern ein, dann hat Leipzig im Ver-gleich zu Dresden wohl das Nachsehen. Und bei aller Sympathie für die Messestadt bleibt festzustellen: Leipzig weist nicht nur im Vergleich mit Dresden, sondern auch mit Chemnitz die größte soziale Spaltung auf. Wir als Landespolitikerinnen und -poli-tiker müssen uns fragen, woran liegt das und was ist dagegen zu tun?

Betrachtet man die historisch gewachse-nen Ausgangsbedingungen nicht nur der drei sächsischen Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz, gibt es gravierende Unterschiede. Die insgesamt geringen For-schungs- und Entwicklungsaktivitäten im Wirtschaftssektor Ostdeutschlands ins-gesamt sind Folge der Transformation der Wirtschaft durch die Treuhand. In Folge dessen sind heute gerade im verarbei-tenden Gewerbe die Unternehmen i.d.R. zu klein (Betriebsgrößenstruktur). Dafür haben sich in großem Maße verlängerte Werkbänke ohne forschungsstarke Firmen-zentralen angesiedelt. Hinzu kommen regi-onal bedingte strukturelle Unterschiede.

Die industrielle Struktur Leipzigs mit Schwerpunkt in der polygraphischen Industrie ist mit der „digitalen Revolu-tion“ seit 1990 weitgehend verschwun-den. Anders in Dresden: Hier wurde das noch in der DDR geschaffene Zentrum für Mikroelektronik Dresden nach 1990 mit milliardenschweren Subventionen geför-dert, als zukunftsfähige High-Tech-Indus-trie bewahrt und durch weitere Unterneh-mensansiedlungen zum industriellen Kern ausgebaut. Dass sich in der Elbestadt ein europäisches Zentrum für Mikroelektronik etablieren konnte, hat zuvörderst damit zu tun, dass es in Dresden eine große Techni-sche Universität gibt, die erst kürzlich zur Exzellenzuniversität aufgestiegen ist.

Gleichzeitig haben sich in Dresden deut-lich mehr außeruniversitäre, anwendungs-orientierte Forschungseinrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) angesie-delt als in Leipzig. 13 Institute der FhG in Dresden stehen lediglich zwei Instituten der FhG in Leipzig gegenüber. Das Fehlen einer großen technischen Universität mit

einer breiten ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung kann weder durch die Leip-ziger Hochschule für Technik, Wirt-schaft und Kultur (HTWK) noch durch die Handelshochschule oder gar durch die Leipziger Universität kompensiert werden, deren aktuel-ler Inves-titions-

bedarf mit über 75 Mio. Euro angege-ben wird und die bei der angekündigten „Ver-teilung“ der Steuermehreinnahmen durch Finanzminister Unland erneut leer auszuge-hen droht.

Die Forschungs- und Entwicklungspoten-ziale Sachsens konzentrieren sich auf die drei großstädtischen Direktionsbezirke Dresden, Chemnitz und Leipzig. Allerdings sind im Dresdner Bezirk 56 Prozent, in Chemnitz 32 und im Direktionsbezirk Leip-zig nur zwölf Prozent des Forschungs- und Entwicklungspotenzials angesiedelt. Das bestimmt die Aufnahmefähigkeit und die Höhe staatlicher Finanzmittel zur Förde-rung innovativer technologieorientierter Projekte zur Entwicklung neuer Produkte und Verfahren. Folglich fließen 75 Prozent der staatlichen Fördergelder in die Direkti-onsbezirke Dresden und Chemnitz.

Die innovativen Firmen in Sachsen sind in der Herstellung von Datenverarbeitungs-geräten, von elektronischen und opti-schen Erzeugnissen sowie im Maschinen-bau zu finden. Während die dominanten Dienstleistungs- und Logistikunternehmen in Leipzig hingegen eine geringe Affinität zu Forschung und Entwicklung haben. So werden die starken Regionen immer stär-ker und die schwachen immer schwächer. Das ist eine Fehlentwicklung, der man etwas entgegensetzen muss.

Als Mitglied der Landtags-Enquete-Kom-mission zur Zukunft der Technologiepolitik, kann ich Großstädten wie Leipzig nur raten,

ihre Wirtschafts-

politik schwer-punktmäßig so aus-

zurichten, dass lokale Technologie- und Dienst-

leistungsunternehmen Netz-werke und Kooperationsprojekte

mit den Hochschulen und außeruni-versitären Forschungseinrichtungen und deren Technologietransferzentren auf-bauen. Das innovative Potenzial in der Stadt und der Region sollte so gebündelt werden, dass förderfähige Verbundinitia-tiven für strategische Schlüsselindustrien, wie die Autozulieferer, den Maschinenbau, die Bahntechnik, die Luftfahrt- und Raum-fahrtindustrie und die erneuerbaren Ener-gien entstehen.

Hochschulabsolventen, die Unternehmen gründen, müssen mit allen Kompetenzen unterstützt werden, dazu gehört auch die Beschaffung von Risikokapital. Die Stadt, und hier konkret das Wirtschaftsdezer-nat, müssen diesen Prozess moderieren und befördern. Jährliche Innovationsgipfel könnten Akteure zusammenbringen und Synergien auslösen. Ich meine, für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik für Leipzig und die Region führt kein Weg daran vor-bei, das innovative Potenzial von Hoch-schulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu bündeln.

Innovationspotenziale bündeln = Wirtschaftskraft stärken

mdL Dr. monika Runge Mitglied der Enquete-Kommission des Sächsischen Landtags zur Zukunft der Technologiepolitik

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Landtag schaltete sich ein

Seit sich auch der Landtags-Untersuchungs-ausschuss (UA) zur Aufdeckung korrupti-ver Netzwerke mit den Leipziger Vorgängen befasst, wähnt man OB Jung zunehmend in einer Abwehrschlacht. So bestellte er ein Rechtsgutachten beim früheren Ver-fassungsrichter Hans-Peter Schneider, der untersuchen sollte, inwieweit der Landtags-untersuchungsausschuss berechtigt sei, Akten anzufordern. Schneider ist seit den 60er Jahren SPD-Mitglied und arbeitete in den 90er Jahren am Sächsischen Verfas-sungsgerichtshof mit Heide Boysen-Tilly, ebenfalls SPD, zusammen. Frau Boysen-Tilly wiederum leitete genau in jener Zeit das Leipziger Rechtsamt, als die Ungereimthei-ten beim Verkauf der vermeintlich „herrenlo-sen“ Häuser so richtig an Fahrt aufnahmen. Es überrascht daher kaum, dass Schneider in seinem Gutachten zu der Schlussfolge-rung gelangt, dass Jung die Akten nicht an Dresden schicken müsse.

Ob das rechtlich haltbar ist, wird sich noch zeigen müssen. Vielleicht aber ließe sich Jungs Verweigerungsverhalten auch damit erklären, dass er zu diversen Nutznießern des Skandals – darunter ein prominen-ter Rechtanwalt, der allein 107 Grundstü-cke veräußerte – persönliche Beziehungen pflegt und damit subjektiv eigentlich gar nicht in der Lage sein dürfte, rückhaltlos aufzuklären.

Frau Boysen-Tilly, zwei Rechtsamts-Mit-arbeiter und drei weitere Personen sind inzwischen wegen „Untreue in bis zu 222 Fällen“ angeklagt. Wann der Prozess vor dem Landgericht Leipzig aber beginnt, steht in den Sternen (Stand: November 2012). Der zuständige Richter hat sich wegen seiner SPD-Mitgliedschaft für befan-gen erklärt. Der für das Strafverfahren zuständige Staatsanwalt wurde wiederum „im Rahmen des Personalentwicklungs-konzepts des Ministeriums“ mit einer ande-ren Aufgabe betraut. Ein Schelm, der Arges dabei denkt …

Seit über einem Jahr sorgt der rechts-widrige Verkauf angeblich „herrenloser“ Leipziger Häuser und Grundstücke für Schlagzeilen. Getan hat sich in der Aufar-beitung des vermutlich größten ostdeut-schen Immobilienskandals, der das Image Leipzigs inzwischen bundesweit schädigt, bislang leider recht wenig.

Zwischen 1990 und 2011 wurden für 754 Leipziger Grundstücke und Gebäude nie-dergelassene Rechtsanwälte als gesetz-liche Vertreter bestellt, wenn sich dafür Kaufinteressenten bei der Stadt gemel-det hatten. Unglaublich, aber wahr – das Rechtsamt berief dann ohne Prüfung der konkreten Eigentumsverhältnisse und oft innerhalb weniger Tage die gesetzlichen Vertreter, die wiederum die Grundstücke auffällig schnell gegen überhöhte Hono-rare verkauften. Insgesamt 411 Objekte wurden in o.g. Zeitraum veräußert und den beteiligten Rechtsanwälten in 227 Fällen „falsche“ Vergütungen gezahlt.

Das Rechtsamt und die kalte Enteignung

Mitte 2011 deckten MDR-Fernsehjourna-listen den systematischen Rechtsbruch

mdL Dr. Volker Külow stellv. Mitglied im 2. UA des 5. Säch-sischen Landtagszur Aufdeckung korruptiver Netzwerke

auf. Mit Wolfgang Lehmann, Eigner des Grundstücks Lionstraße 7 und vor reich-lich fünf Jahren kalt enteignet, kam erst-mals ein Betroffener öffentlich zu Wort. Bis heute kämpft der Maschineningenieur allerdings vergeblich vor Gericht um die Annullierung des Kaufvertrages. „Ich habe gedacht, dass wir jetzt in einem Rechts-staat leben, doch dieser Glaube ist bei mir passé“, so Lehmann. Auch bei weiteren Grundstücksverkäufen haben die Betrof-fenen oft resigniert. Einer der hingegen unverdrossen für seine Mandanten kämpft – es geht um einen Entschädigungsan-

spruch von mindes-tens 550.000 Euro – ist Rechtsan-walt Gerd Rohde, der die Erben des Hauses in der Pfaffendor-fer Straße 1 ver-tritt. Die Immo-

bilie in bester Innenstadtlage war als „Gast-

mahl des Meeres“ früher stadtbekannt

und gehörte einst der Familie Ariowitsch. Die jüdischen Pelzhändler

gingen nach 1933 in die USA und wurden dort amerikanische Staatsbürger. „Selbst unter den Nazis und in der DDR blieb der Besitz der Familie unangetastet“, sagte Anwalt Rohde gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ und ergänzte: „Erst im demo-kratischen Deutschland wurden sie ent-eignet. Es ist unfassbar.“

Für den Rechtsbruch beim Verkauf von über 400 Häusern aus Privatbesitz trägt der Bürgermeister für Allgemeine Verwal-tung, Andreas Müller, einen Großteil der fachlichen und damit auch politischen Ver-antwortung. Ihm war und ist bis heute das Rechtsamt unterstellt, das über viele Jahre von der Amtspitze her den widerrecht-lichen Umgang mit Grundstücken und Häusern betrieb. Müller jetzt abwählen zu wollen, ist in der Sache zwar gerecht-fertigt, würde aber aus unserer Sicht nur bedeuten, dass ein „Bauernopfer“ geht und damit von der zentralen politischen Verantwortung des Leipziger Oberbürger-meisters Burkhard Jung abgelenkt wird. Jung ist die völlig ungenügende personelle und juristische Aufarbeitung des Gesamt-komplexes anzulasten. Seit dem Bekannt-werden des ersten Falles vor knapp anderthalb Jahren wird die rückhaltlose Aufklärung des Skandals vom OB verzö-gert und blockiert. Selbst die Entschädi-gung der Opfer wird verschleppt!

Rechtsbruch im Rechtsamt: Das Geschäft mit „herrenlosen“ Häusern

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Ich bin in Leipzig geboren und aufgewach-sen. Für mich hat diese Stadt noch immer etwas Besonderes. Nicht nur wegen ihres „Heldenmythos“, wobei auch ich `89 gemeinsam mit tausenden anderen um den Ring marschiert bin. Nein, dass sich Leipzig für mich mit dem Wort „Widerstand“ verbin-det, das hat gänzlich andere Gründe.

Wenn ich mit dem Zug nach Leipzig fahre, stoße ich im Hauptbahnhof auf ein schlich-tes Denkmal. Auf einem Metallpodest steht ein Koffer, dessen Nummer an den ers-ten Transport Leipziger Juden nach There-sienstadt im Jahr 1942 erinnern soll. Das Denkmal wurde am 27. Januar dieses Jah-res eingeweiht, dem internationalen Tag zur Erinnerung an den Holocaust. Vergan-genheit und Gegenwart wurden bei der Veranstaltung miteinander verknüpft: Par-allel zeigte die Initiative „Kein Mensch ist illegal“ eine Ausstellung zum Leben in Abschiebehaft.

Das Koffer-Denkmal erinnert auch an einen dunklen Fleck in der Geschichte der Bahn. Als wenige Jahre zuvor der „Zug der Erin-nerung“ auf dem Hauptbahnhof hielt und auch auf die Rolle der Bahn bei der Depor-tation der Jüdinnen und Juden aufmerk-sam machte, stieß das seitens der Bahn AG keineswegs auf Wohlwollen. Auch gegen das Koffer-Denkmal gab es lange Wider-stand des Bahnhofseigners. Und als die-ser schließlich einlenkte, spielte die Stadt-verwaltung nicht mit. Aber die Aktiven vom Friedenszentrum blieben hartnäckig, sam-melt Spenden, führt Verhandlungen und hat-ten endlich Erfolg: Erfolg beim Kampf um die Erinnerung und im Kampf gegen rechts. Das unterscheidet Leipzig von den meisten anderen sächsischen Städten.

Beharrlichkeit hatte hier zum Ziel geführt. Ein anderer Weg zum Erfolg erwächst aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher politi-scher Spektren, die sonst viel voneinander trennt. Wenn vom Völkerschlachtdenkmal

(Völki) ein riesiges Transparent herabhängt, auf dem ein Hakenkreuz im Papierkorb lan-det, dann ist das „typisch Leipzig“. Wenn auf dem Platz vor dem Denkmalskoloss aus dem gleichen Grund eine Straßenma-laktion gegen rechts stattfindet, obwohl diese eigentlich verboten worden war, dann ist auch das – Leipzig! Ziviler Ungehorsam gegen rechts? In Leipzig eine Selbstver-ständlichkeit mit Tradition.Christian Worch, langjähriger Neonazi-Füh-rer, der immer wieder vergeblich versuchte, seine Gefolgsleute bis an das „Völki“ zu füh-ren, bekam das zu spüren. Ausgangspunkt seiner Aufmärsche war immer die Ostseite des Hauptbahnhofs. Wenn er kam, stand – bzw. saß – bereits die erste Blockade, den Weg in Richtung Augustusplatz ver-sperrend. Wenn mal der Weg in die andere Richtung führte, dann endete nach wenige hundert Metern die Demonstration am List-Platz. Wenn ich an Demonstrationen in Leip-zig denke, sehe ich Bilder von fast 2.000 im Regen tanzenden Menschen, die sich darü-ber freuen, dass „No pasaran!“ funktioniert, dass sie „nicht durchkommen!“. Und mit Vergnügen sehen ich die jungen Leute der „Apfel-Front“ in ihren Parodie-Uniformen, die Nazis veräppelnd und mit dem Schlachtruf: „Was gibt deutscher Jugend Kraft? Apfelsaft, Apfelsaft!“ Hohn, Spott und Witz als Waffen im Kampf gegen rechts einsetzen.

Aber natürlich sehe ich auch die andere Seite: Sinnlos auf friedliche Demonstran-ten einknüppelnde Polizisten. Das war zum Glück nicht immer so. Bevor Horst Wawrzyn-ski zum CDU-OB-Kandidaten und nach einer überzogenen Razzia zum „Kindergarten-schreck“ mutierte, leistete er auch richtige Polizei arbeit und leitete ein Verfahren gegen genau 1.423 Neonazis wegen Landfriedens-bruchs ein.

Es brauchte einen langen Atem, Worch für immer aus Leipzig zu vertreiben. Ähnlich

lange brauchte es, die Dinge endlich beim Namen zu nennen. Nämlich dass ein rassisti-scher Mord auch als solcher bezeichnet wird. Gut zwei Jahre ist es her, dass Kamal Kilade vorm Hauptbahnhof von zwei Neonazis ermordet wurde. Ermittlungsfehler der Polizei wurden durch eine Staatsanwaltschaft fort-geführt, die alle politischen Aspekte ausblen-den wollte und zeitweise wie die Verteidigung der Angeklagten wirkte. Ohne die Öffentlich-keitsarbeit antirassistischer Gruppen, ohne die Demonstrationen und die Recherchen zu den Tätern hätte sich daran nichts geändert. Und es gab eine engagierte Nebenklage, einen mutigen Richter und dann das richtige Urteil. Leipzig eben! Und zu diesem Leipzig gehört auch, dass heuer und damit zwei Jahre danach eine Demonstration zur Erinnerung an den Ermordeten und alle Opfer rassisti-scher Gewalt stattfinden konnte.

Leipzig – Eine Erfolgsgeschichte. Aber leider nicht nur. Noch immer werden hier im Sach-senvergleich die meisten Neonazis gezählt. Noch immer gibt es besonders im Fußball erhebliche Probleme mit Nazi-Hooligans. Und noch immer gibt es das NPD-Zentrum in der Odermannstraße. Aber es gibt auch die Bürgerinitiative dagegen und eine Viel-zahl antirassistischer und antifaschistischer Gruppen. Es gibt hervorragende Recher-chearbeit, die die Nazis aus der Anonymität reißt. Es gibt wahrlich noch viel zu tun. Aber wer Worch geschafft hat …

mdL Kerstin Köditz Sprecherin für antifaschistische Politik

Heldenstadt mal anders

Page 16: pvl – parlament von links, Ausgabe 4/2012

pvl Heft 4/2012

Sommerzeit? Winterzeit? Uhr vor- oder zurückstellen? Spart das wirklich Energie oder kostet’s doch nur Ner-ven? Pünktchen (vorn) und Kike aus Grimma ist der ganze Uhrenzirkus herzlich egal: Hauptsache der zweibeinige „Dosenöffner“ spurt und stört nicht beim Mittagsschlaf…

Wissen & Gewinnen

Waagerecht: 1. Kosename Guevaras †1967, 4. Leipzigerin und Bildungsexpertin der Frak-tion DIE LINKE im Sächsischen Landtag (MdL Cornelia), 9. Vorname des Sprechers für Innen-politik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag (Dr. Hahn), die Dresdner Staatsanwalt-schaft hatte ihn aufgrund seiner Teilnahme an der Anti-Nazi-Demonstration 2010 in Dresden angeklagt, das Verfahren wurde eingestellt; 11. Vereinte Nationen (Abk.), 12. Kinderbuch-Bär von Alan Alexander Milne, 13. Hühnerprodukt, 14. norddt.: Schilf, Röhricht, 15. Europäische Weltraumorganisation (Abk.), 17. 6. UN-Gene-ralsekretär (Boutros Boutros-), 19. südameri-kanischer Stachelrochen, 20. Bruder von Fafnir (germanische Sage), 22. Abk.: laufende Meter (Maßangabe bei Stoffen), 24. englisch: zeich-nen, 26. lateinisch: mein, 27. Abk.: Terrabyte, 28. Kfz-Z. Bonn, 29. Wesen, botanische Rang-stufe, 30. Initialen Zolas †1902, 31. Gesetz zur

Handhabung der Erneuerbaren Energien, 32. Abk.: Nummer, 33. Abk.: Romanum Imperium (Römisches Reich), 34. Teilzahlungsbetrag, 35. 5,4 km lange Strecke durch Leipzigs City, sie verbindet Wohn- und Schaffensstätten bedeu-tender Musiker und Komponisten wie Telemann, Bach, Mendelssohn und Schumann über Wag-ner, Grieg und Mahler bis zu Reger – sie alle hin-terließen „Spuren“ in Leipzig,

Senkrecht: 2. Gebäude, in Leipzig in meh-reren Fällen als „herrenlos“ deklariert und als Spekulationsobjekt missbraucht, 3. frz./span.: in, 4. gefühllos, gefühlskalt, 5. Initialen Einsteins, 6. Leipziger und Sprecher für Kultur-politik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag (MdL Dr. Volker), 7. Epos von Heinrich von Veldeke † ca. 1200, 8. sozialer Missstand, Armut; in Sachsen sind oft Jugendliche, Allein-erziehende und zunehmend auch Rentnerinnen

und Rentner betroffen; 10. Internetkennzei-chen: Deutschland, 12. Leipziger (überzeug-ter Grünauer) und Sozialexperte der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag (MdL Dr. Dietmar), 14. altägyptischer Sonnengott, 16. Besitz-/Mittellosigkeit; Leipzig gilt aufgrund der hohen Betroffenenzahlen als „...shaupt-stadt“ Sachsens, 18. deutscher Professor, ent-wickelte die nach ihm benannte Arbeitsmarkt-regelung – für viele Menschen bedeutet diese dauerhaft in Armut und unter Repressionen zu leben, 21. Leipzigerin und Sprecherin für Ener-gie- und Klimapolitik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag (MdL Dr. Monika), 23. Freilichtmuseum östlich von Dessau „... polis, die Stadt aus Eisen“, 25. nicht mehr dran, weg, 28. Abk.: betreffend, 30. angeschaltet, 31. franz.: Wasser, 33. Antwort auf Kontra (Skat), 34. Alte schweizerische Münze; Rappen (Abk.).

Lösung Rätsel pvl 3-2012:

1. Zschopautaler2. Mittweida, Freiberg3. Regenbogenhaus

Aus allen Einsendungen und unter Aus-schluss des Rechtsweges wurde folgen-der Gewinner ermittelt:

S. Rietzschel aus 09600 Hetzdorf

MdL Dr. Jana Pinka und Falk Neubert laden die Gewinnerfamilie zu einem span-nenden Unter-Tage-Ausflug ins Freiberger Besucherbergwerk „Reiche Zeche“ und zu einer zünftigen Bergmannsmahlzeit ein.

Herzlichen Glückwunsch!