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14. Oktober 2016 Qualität der Lehrerbildung – Was sagt die empirische Forschung dazu? Vortrag auf dem 1. Programmkongress der Qualitätsoffensive Lehrerbildung Berlin 11./12. Oktober 2016 Prof. Dr. Mareike Kunter Goethe-Universität Frankfurt 12. Oktober 2016

Qualität der Lehrerbildung – Was sagt die empirische ... · Goethe-Universität Frankfurt . 12. Oktober 2016 . ... (2005): Starting competence ... Sommerkurse (d = 0,09), Bewegungserziehung

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14. Oktober 2016

Qualität der Lehrerbildung – Was sagt die empirische Forschung

dazu? Vortrag auf dem 1. Programmkongress der Qualitätsoffensive Lehrerbildung

Berlin 11./12. Oktober 2016

Prof. Dr. Mareike Kunter Goethe-Universität Frankfurt

12. Oktober 2016

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Wie sehr stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? 1. Gutes theoretisches Wissen im Fach und darüber hinaus sind eine wichtige

Grundlage für das Unterrichten. 2. Es müssen bessere Selektionskriterien gefunden werden, um den Zugang zum

Lehramtsstudium zu regulieren. 3. Die Universität bereitet die Lehramtsstudierenden nicht ausreichend für die

Praxis vor. 4. Wir brauchen mehr Praxis bereits im Lehramtsstudium. 5. Die Abstimmung zwischen theoretischer Phase und Praxis ist ungenügend.

Eine Umfrage zum Start

stimme nicht zu stimme eher nicht zu

neutral stimme eher zu stimme zu

O O O O O

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Empirische Forschung zu Qualität der Lehrerbildung Überblick über den Vortrag

1. Standortbestimmung − Was heißt Qualität in der (universitären) Lehrerbildung? − Überblick zum Stand der Forschung

2. Hot Topics: Ausgewählte empirische Befunde − Wie wichtig sind Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und bildungswissenschaftliches

Wissen? − Müssen wir besser selektieren, wer Lehrer werden darf? − Führt zu viel Theorie an der Universität zu einem Praxisschock?

3. Abschließendes Fazit und Diskussion

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„Qualität“ der Lehrerbildung – in aller Munde…

https://www.bmbf.de/de/qualitaetspakt-lehre-524.html, http://www.news4teachers.de/2015/09/der-einstudierte-praxisschock-eine-abrechnung-mit-der-lehrerausbildung/, http://www.deutschlandfunk.de/praxis-im-lehramtsstudium-das-simulierte-klassenzimmer.680.de.html?dram:article_id=360678, http://www.sueddeutsche.de/bildung/lehrerausbildung-mehr-klasse-fuer-die-klasse-1.2357043

"Jetzt wird es kompliziert, die Lehramtsstudenten können sich mal eben kurz die Ohren zuhalten." Solche Sätze sind schon in Mathematikvorlesungen gefallen - was der Professor womöglich halb im Scherz gemeint hat, trifft den Kern des Problems.

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Was bedeutet „Qualität“ bezogen auf Lehrkräfte und Lehrerbildung? Berliner (2005): „The near impossibility of testing for teacher quality”

Good teaching Einhaltung normativer Prinzipien

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Normative Vorstellungen über Lehrerbildung: Ein internationales Beispiel

National Board for Professional Teaching Standards (1989): Proposition 1: Teachers are committed to students and their learning. Proposition 2: Teachers know the subjects they teach and how to teach those

subjects to students. Proposition 3: Teachers are responsible for managing and monitoring student

learning. Proposition 4: Teachers think systematically about their practice and learn from

experience. Proposition 5: Teachers are members of learning communities.

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Normative Vorstellungen über Lehrerbildung

Bekannte Zielvorstellungen: Standards für die Lehrerbildung (2006): 1. Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lehren und Lernen. 2. Lehrerinnen und Lehrer sind sich bewusst, dass die Erziehungsaufgabe in der

Schule eng mit dem Unterricht und dem Schulleben verknüpft ist. 3. Lehrerinnen und Lehrer üben ihre Beurteilungs- und Beratungsaufgabe im

kompetent, gerecht und verantwortungsbewusst aus. 4. Lehrerinnen und Lehrer entwickeln ihre Kompetenzen ständig weiter. 5. Lehrerinnen und Lehrer beteiligen sich an der Schulentwicklung. Aufgabe der Lehrerbildung: Diese Kompetenzen aufzubauen

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Was sind realistische Ziele für die Lehrerbildung? Eine wichtige Unterscheidung Brouwer & Korthagen (2005): Starting competence: Die notwendige Grundlage für die professionelle Berufsausübung, die es ermöglicht, weiter zu lernen. In-service competence: Alle Aspekte professioneller Kompetenz, die Lehrkräfte langfristig in ihrem Beruf benötigen. Beispiel: Classroom Management

Matt Groening, 1987

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Wie sollen dieses Ziele erreicht werden? Normative Vorstellungen über die Gestaltung von Lehrerbildung Standards für die Lehrerbildung (2006): „Die Entwicklung der Kompetenzen wird gefördert durch: • die Konkretisierung theoretischer Konzepte an verbal beschriebenen Beispielen • die Demonstration der Konzepte an literarischen oder filmischen Beispielen sowie im Rollenspiel und an Unterrichtssimulationen • die Analyse simulierter, filmisch dargebotener oder tatsächlich beobachteter komplexer Schul- und Unterrichtssituationen und deren methodisch geleitete Interpretation • den Einsatz von Videostudien • die persönliche Erprobung und anschließende Reflexion eines theoretischen Konzepts in schriftlichen Übungen, im Rollenspiel, in simuliertem Unterricht oder in natürlichen Unterrichtssituationen oder an außerschulischen Lernorten • ….“

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Vorstellungen über „gute“ Lehrerbildung in der Qualitätsoffensive

Programmziele a) Profilierung und Optimierung der Strukturen der Lehrerbildung an den Hochschulen, b) Qualitätsverbesserung des Praxisbezugs in der Lehrerbildung, c) Verbesserung der professionsbezogenen Beratung und Begleitung der Studierenden in der Lehrerbildung, d) Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug auf die Anforderungen der Heterogenität und Inklusion, e) Fortentwicklung der Fachlichkeit, Didaktik und Bildungswissenschaften f) Vergleichbarkeit sowie die gegenseitige Anerkennung von lehramtsbezogenen Studienleistungen und Lehramtsabschlüssen/ der gleichberechtigte Zugang/Einstellung

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Wege zur „guten“ Lehrerbildung

„Aus den Mitteln des Programms können (Verbund-)Projekte gefördert werden, die insbesondere a) die Zusammenarbeit von Fachwissenschaften, Fachdidaktiken, Bildungswissenschaften und schulpraktischen Lernorten verbessern b) die Inhalte der Ausbildung stärker aufeinander abstimmen c) das vielfach bestehende Spannungsverhältnis von fachakademischer Ausbildung einerseits und spezifischen professionsorientierten Angeboten für die Lehrerausbildung andererseits auflösen, d) eine Fachdidaktik fördern, die die Schulwirklichkeit in die hochschulische Ausbildung angemessen einbezieht, e) schulpraktische Elemente frühzeitig und zielgerichtet in fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Studienelemente integrieren, f) eine stärkere Verzahnung aller Phasen der Lehramtsausbildung (Lehramtsstudium, Vorbereitungsdienst, Lernen im Beruf) realisieren, (...) n) Verfahren zur gezielten Gewinnung geeigneter Studierender und deren kontinuierlicher Begleitung/Beratung entwickeln“

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Was bedeutet „Qualität“ bezogen auf Lehrkräfte und Lehrerbildung?

Berliner (2005): „The near impossibility of testing for teacher quality”

Good teaching Einhaltung normativer Prinzipien

Effective teaching

Erreichen der Lernziele

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Wie kann die Effektivität von (universitärer) Lehrerbildung ermittelt werden?

Angewandt auf Lehrerbildung nach: Kirkpatrick & Kirkpatrick, 2006; Lipowsky, 2010; Lipowsky & Rzejak, 2012

Welche Auswirkung hat Lehrerbildung auf die Schülerinnen und Schüler?

Wie wirkt sich Lehrerbildung auf das (zukünftige) professionelle Verhalten der Lehrkräfte aus?

Welche Kompetenzen bauen angehende Lehrkräfte im Studium auf?

Wie erleben die Studierenden ihr Studium?

Level 4: Effekte

Level 3: Verhalten

Level 2: Lernen

Level 1: Reaktionen

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Effektive Lehrerbildung? Ein Schock!

Was sagt denn die „Bibel der Effektivität“ zur Lehrerbildung?

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Hattie (2013): Metaanalyse über Faktoren, die das Lernen von Schüler(innen) beeinflussen Lehrerbildung rangiert auf dem vorletzten Platz in der Kategorie „Lehrperson“ (d =0,11) und insgesamt auf Platz 124 von 138. Effekte vergleichbar wie für Ernährung der SuS (d = 0,12), Sommerkurse (d = 0,09), Bewegungserziehung (d = 0,08) oder Fernunterricht (d =0,08).

Aber: vergleichsweise wenige Studien, nur US-basiert und Vergleich Lehrerausbildung vs. alternative Zugänge lässt keine Aussage zu, wie wichtig Gestaltungsmerkmale der Lehrerbildung sind!

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Zum Stand der Forschung zur Lehrerbildung: Wie gut ist die Evidenz?

Cochran-Smith & Zeichner (2006): Experten-Panel zum Stand der Forschung Synthese über empirische Studien zur Lehrerbildung (in den USA) Sichtung und Systematisierung von über tausend Studien Wichtige Themen (u. a.):

• Wer wird Lehrer? • Welche Faktoren sagen Berufserfolg vorher? • Effekte von Curricula, Praxisphasen, Organization, Qualitätssicherung

Fazit: • Sehr unterschiedliche empirische Vorgehensweisen, kaum möglich, ein

kohärentes Bild zu zeichnen • Deutliche Defizite in der Forschungsqualität

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Update: Cochran-Smith et al. (2015) Sichtung und Kategorisierung von mehr als 1,500 Studien zur Teacher Education (2000-2012) Wichtige Themen − Effektivität von Lehrerbildung, Qualitätssicherung, Regularien − Inhalte, Formen, Strukturen der Lehrerbildung − Vorbereitung auf Diversität und Chancengleichheit Fazit − Tendenziell leichte Verbesserung in Designs, Datenquellen und Analysemethoden Aber: − Überwiegend small scale, single site Fallstudien Keine Generalisierbarkeit

möglich − Untersuchung von Effekten auf subjektiver Ebene (Levels 1 und 2 sensu

Kirkpatrick), wenig darüber hinaus − Studien untersuchen meist organisatorische Bedingungen, wenig über Lernprozesse

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Zwischenfazit zur Forschung zur Effektivität der Lehrerbildung

− Erhebliche Forschungsaktivität − Zunehmend Entwicklung von objektiven Maßen zur Erfassung von Wirkungen auf

anderen als subjektiven Ebenen Aber: − Viele einzelne Puzzleteile, kaum möglich, ein Gesamtbild („What works?“) zu

entwerfen − Oft haben Studien eher schwache Designs − Viele Studien in spezifischen Kontexten, schwierig zu vergleichen und zu

generalisieren − Viele Gebiete nicht gut erforscht

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Was bedeutet „Qualität“ bezogen auf Lehrkräfte und Lehrerbildung?

Berliner (2005): „The near impossibility of testing for teacher quality”

Good teaching Einhaltung normativer Prinzipien

Effective teaching

Erreichen der Lernziele

Quality

teaching

Wichtige Aufgabe für alle Beteiligten in der Qualitätsoffensive: Begleitforschung, die die Wirkungen der neuen Konzepte überprüft!

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Empirische Forschung zu Qualität der Lehrerbildung Überblick über den Vortrag

1. Standortbestimmung − Was heißt Qualität in der (universitären) Lehrerbildung? − Überblick zum Stand der Forschung

2. Hot Topics: Ausgewählte empirische Befunde − Wie wichtig sind Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und bildungswissenschaftliches

Wissen? − Müssen wir besser selektieren, wer Lehrer werden darf? − Führt zu viel Theorie an der Universität zu einem Praxisschock?

3. Abschließendes Fazit und Diskussion

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Ausgewählte Befunde zu einigen Bereichen der Qualitätsoffensive

Programmziele a) Profilierung und Optimierung der Strukturen der Lehrerbildung an den Hochschulen, b) Qualitätsverbesserung des Praxisbezugs in der Lehrerbildung, c) Verbesserung der professionsbezogenen Beratung und Begleitung der Studierenden in der Lehrerbildung, d) Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug auf die Anforderungen der Heterogenität und Inklusion, e) Fortentwicklung der Fachlichkeit, Didaktik und Bildungswissenschaften f) Vergleichbarkeit sowie die gegenseitige Anerkennung von lehramtsbezogenen Studienleistungen und Lehramtsabschlüssen/ der gleichberechtigte Zugang/Einstellung

Müssen wir besser selektieren, wer Lehrer werden darf?

Führt zu viel Theorie an der Universität zu einem Praxisschock?

Wie wichtig sind Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und bildungswissenschaftliches Wissen?

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Worum geht es? Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und Bildungswissenschaftliches Wissen

(Artelt & Kunter, im Druck)

* = bildungswissenschaftliches Wissen

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Forschung zur Bedeutung des professionellen Wissens

Forschungszugänge a. Implizite Schlussfolgerung über vorhandenes Wissen anhand belegter Kurse

inkonsistente Befunde

b. Qualitative Zugänge zur Rekonstruktion des Wissens (z. B. durch Diskursanalyse) Tiefes Verständnis der Fachinhalte und fachdidaktisches Wissen erleichtern Umgang mit Schülerfragen, Wahl von Aufgaben,Interpretation von Situationen

c. Quantitative Zugänge durch direkte Erfassung mit Wissenstests Fachdidaktisches Wissen und fachunabhängiges Wissen sagen Unterrichtsqualität und Lernerfolge der Schüler vorher

Siehe z. B. Ball et al., 2001; Baumert et al., 2010; Blömeke et al., 2016; DePaepe et al., 2013; Halim & Meraah 2002; Hill et al., 2007; König & Pflanzl, 2016; König et al., 2014; Kunter et al., 2013; Lange et al., 2012; Ma, 1999; Tiedemann & Billmann-Mahecha, 2007)

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Beispiel 1: Fachdidaktisches Wissen in Mathematik (COACTIV)

T2 10. Klasse

Diverse Kontrollvariablen Leistung T1

9. Klasse

Kognitive Aktivierung

Classroom Management

Klassen/Lehrer Ebene

Schülerebene

Konstruktive Unterstützung

Fachdidaktisches Wissen Schulart

+

+ +

+

+

181 Mathematiklehrkräfte und ihre Klassen, Stichprobe aus PISA 2003/2004

(Baumert, Kunter et al., 2010)

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Beispiel 2: Unterrichtsbezogenes fachunabhängiges Wissen (Pädagogisches-Psychologisches Wissen, PPK)

Voss, Kunter, Seiz, Hoehne, Baumert (2014)

Schulform

Monitoring

Unterrichts-störungen

Kognitive Aktivierung

+

-

+ Konstruktive Unterstützung

PPK

Lernen und Unter-

schiede.

Klassen-führung

Unterrichtsmethoden Beurteilung

209 Lehramtsanwärter(innen) im Vorbereitungsdienst 2008 Unterrichtete Schüler 2010

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Ausgewählte Befunde zu einigen Bereichen der Qualitätsoffensive

Programmziele a) Profilierung und Optimierung der Strukturen der Lehrerbildung an den Hochschulen, b) Qualitätsverbesserung des Praxisbezugs in der Lehrerbildung, c) Verbesserung der professionsbezogenen Beratung und Begleitung der Studierenden in der Lehrerbildung, d) Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug auf die Anforderungen der Heterogenität und Inklusion, e) Fortentwicklung der Fachlichkeit, Didaktik und Bildungswissenschaften f) Vergleichbarkeit sowie die gegenseitige Anerkennung von lehramtsbezogenen Studienleistungen und Lehramtsabschlüssen/ der gleichberechtigte Zugang/Einstellung

Müssen wir besser selektieren, wer Lehrer werden darf?

Wie wichtig sind Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und bildungswissenschaftliches Wissen?

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Müssen wir besser selektieren, wer Lehrer werden darf?

Aus dem so genannten “McKinsey-Report” − “The top performing systems we studied recruit their teachers from the top third of

each cohort graduat[ing] from their school system‟ (Barber and Mourshed (2007) (p.16).

− “ Almost universally, the top school systems do two things: they have developed effective mechanisms for selecting teachers for teacher training, and they pay good starting compensation. These two things have a clear and demonstrable impact on the quality of people who become teachers. These same features are frequently absent in lower-performing systems.

(Barber and Mourshed 2007: 17)” (zitiert nach Hobson et al., 2010)

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Warum könnte eine bessere Eingangskontrolle hilfreich sein ?

Annahme 1: Um erfolgreiche Lehrkraft zu werden, gibt es bestimmte Eingangsvoraussetzungen. Annahme 2: Würden diese Eingangsvoraussetzungen frühzeitig abgeklärt, könnten viele Ungeeignete davon abgehalten werden, Lehramt zu studieren/bzw. Lehrer zu werden Eingangsselektion als Maßnahme zur Erhöhung der Qualität der Lehrerbildung?

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Aktueller Stand in Deutschland zur Selektion ins Lehramt

− Bisher keine Regelung über Verfahren der Eignungsfeststellung (offene Zulassung)

− Aktuell zunehmend: Selbsterkundungsverfahren mit berufsbezogenem, informierenden Charakter (Beispiele FIT, CCT)

− Auch: Verpflichtendes Selbsterkundungspraktikum − Beispiel Hessen: Aktuell Modellversuch mit Praxissemester im 3. und 4. Semester

mit anschließendem verbindlichen Beratungsgespräch bezüglich der Eignung für den Beruf der Lehrerin/des Lehrers

− Weitere Verfahren werden eingesetzt Auch Teil der Qualitätsoffensive: Gefördert werden „Verfahren zur gezielten Gewinnung geeigneter Studierender und deren kontinuierlicher Begleitung/Beratung“

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Die Empirie: Lassen sich Eingangsvoraussetzungen identifizieren, die nachweislich den späteren Berufserfolg vorhersagen?

Kognitive Merkmale − Kognitive Fähigkeiten (Abiturnote, IQ) gelten als gute Prädiktor für Studienerfolg

(fachunabhängig) − Kein Beleg dafür, dass sich späterer Berufserfolg bei Lehrkräften (z. B. gemessen

an Unterrichtsqualität oder Lernerfolg der SuS) direkt durch Schulnoten oder IQ vorhersagen lassen (z. B. Kunter et al., 2013; Wolf, in press, Aloe & Becker, 2009)

Persönlichkeitsmerkmale − Auch hier: Zusammenhänge zwischen Merkmalen wie Gewissenhaftigkeit,

Extraversion und Studienerfolg (fachunabhängig) − Späterer Berufserfolg: Keine konsistenten Befunde zum Zusammenhang

zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Unterrichtsqualität oder Lernerfolg der SuS (z. B. Rockoff et al., 2008; Mayr, 2014; Brookhart & Freeman, 1992; Rushton et al., 2007)

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Empirie: Studieren zu viele Ungeeignete Lehramt?

Beispiel: Henoch, Klusmann, Lüdtke, & Trautwein, 2015 Fragestellung: Weisen Personen, die sich für ein Lehramtsstudium entscheiden, ungünstigere Merkmale auf als andere Studierende? Methode: • Längsschnittstudie mit 1.463 Abiturient(inn)en in Baden-Württemberg • T1: Letztes Jahr Gymnasium, T2: 2 Jahre später • Erfassung von SES, Kognitiven Fähigkeiten (Test), Beruflichen Interessen, Persönlichkeit

(Big Five) zu T1 • Studienwahl zu T2 • Getrennte Auswertung für Naturwissenschaftliche/Mathematische/Technische Fächer

(„science/technical/engineering/math, STEM“)

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Ergebnisse Henoch et al. 2015

* p < .05

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Forschungsstand zur Annahme der der negativen Selektion

Die Studien, die (für Deutschland) die Hypothese der negativen Selektion ins Lehramt untersuchen, kommen sehr einhellig zu dem Schluss: • Keine Unterschiede zwischen Lehramt und anderen Fächer im Hinblick auf

kognitive Merkmale • Keine Hinweise auf erhöhte psychische Labilität der Lehramtsstudierenden • Lehramtsstudierende zeichnen sich durch hohes soziales Interesse aus • Allerdings systematische Unterschiede innerhalb der der Lehramtsstudierenden,

mit Nachteilen für die angehenden Haupt-, Real- und Grundschullehrkräften (Henoch, et al., 2015; Klusmann et al., 2009; Neugebauer, 2013; Gold & Giesen, 1993)

• Geringe Abbruchquoten im Lehramtsstudium im Vergleich zu anderen Fächern;

Heublein et al., 2014

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Ausgewählte Befunde zu einigen Bereichen der Qualitätsoffensive

Programmziele a) Profilierung und Optimierung der Strukturen der Lehrerbildung an den Hochschulen, b) Qualitätsverbesserung des Praxisbezugs in der Lehrerbildung, c) Verbesserung der professionsbezogenen Beratung und Begleitung der Studierenden in der Lehrerbildung, d) Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug auf die Anforderungen der Heterogenität und Inklusion, e) Fortentwicklung der Fachlichkeit, Didaktik und Bildungswissenschaften f) Vergleichbarkeit sowie die gegenseitige Anerkennung von lehramtsbezogenen Studienleistungen und Lehramtsabschlüssen/ der gleichberechtigte Zugang/Einstellung

Müssen wir besser selektieren, wer Lehrer werden darf?

Führt zu viel Theorie an der Universität zu einem Praxisschock?

Wie wichtig sind Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und bildungswissenschaftliches Wissen?

14. Oktober 2016 34

Das alte Thema: Wie viel Theorie braucht die Praxis?

http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/lehramtsstudium-studentin-erzaehlt-wie-wenig-sie-lernte-a-1033194.html

„ Zu Beginn wusste ich über das Studium nicht viel, außer: Lehrer brauchen eine pädagogische Ausbildung und didaktisches Handwerkszeug. Und das lernt man in einem praxisorientierten Studium oder zumindest im Pflichtfach Erziehungswissenschaften, oder? Ich hatte ja keine Ahnung. Ein erziehungswissenschaftliches Seminar beschäftigte sich laut Titel mit der "Psychologie des Lernens". Ich hoffte auf die Vermittlung einiger Methoden, die meinen künftigen Schülern, und vielleicht ja auch mir, das Lernen erleichtern. Memotechniken oder Assoziationsketten vielleicht. Tatsächlich handelte das Seminar vom sensiblen und lernfähigen Nervensystem der Meeresschnecke Aplysia bis hin zum Sabber des Pawlowschen Hundes. Wie ich diese Inhalte mit meiner späteren Lehrtätigkeit in Verbindung bringen soll, kann ich noch nicht sagen.“

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Theorie und Praxis im Konflikt: „Der Praxisschock“

− In der Forschung immer wieder berichtet: Der Praxisschock − Hohe Abbrecherquoten in den ersten 5 Jahren nach Berufseinstieg als Lehrkraft (in

den USA: 42 %; Perda, 2013) − „Konstanzer Wanne“: Bei Eintritt in Praxis Veränderung von Überzeugungen und

Rückfall in direktive Verhaltensweisen (Dann et al., 1978) − Berichte von hohem Stresserleben in den ersten Berufsjahren (Friedman, 2000;

Veenman, 1984)

Bereitet die (universitäre) Lehrerbildung die jungen Lehrkräfte nicht ausreichend auf die Praxis vor?

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Mehr Qualität durch Erhöhung des Praxisanteils in der theoretischen Phase der Lehrerbildung?

Aktuelle Trends:

− Standards für die Lehrerbildung zur Sicherung des Berufsfeldbezugs − Einführung von längeren Praxisphasen während des Studiums (Praxissemester) − Integration von Lehrenden aus der 2. Phase bei der Gestaltung von Lehrangeboten − Nutzung von Unterrichtsvideos, um Praxis erlebbar zu machen Auch Ziel der Qualitätsoffensive: Förderung von Vorhaben, die „schulpraktische Elemente frühzeitig und zielgerichtet in fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Studienelemente integrieren“, „eine stärkere Verzahnung aller Phasen der Lehramtsausbildung (Lehramtsstudium, Vorbereitungsdienst, Lernen im Beruf) realisieren“

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Funktionen von Praxiselementen in der universitären Lehrerbildung

Einfache Erwartung: − „Learning By Doing“ Annahme, dass durch Handeln am besten gelernt wird theoretisch und empirisch kritisch, da komplexe Praxis auch überfordernd wirken kann, wenn keine theoretischen Konzepte zur Einordung der Praxis zur Verfügung stehen (z. B. Tabachnik et al., 1978; Sabers et al., 1991) Differenziertere Erwartungen: − Eignungsprüfung („früher Praxisschock“ Selektion) − Lernen durch die Reflexion beobachteter oder selbsterfahrener Praxis − Einüben von Handlungsroutinen

14. Oktober 2016 38

Kann und sollte Praxis einen Teil der Theorie ersetzen?

Annahme 1: Theorie und Praxis in der Lehrerbildung stehen im Konflikt ein zu hoher Theorieanteil führt später zu einem Praxisschock. Annahme 2: Ein großer Teil der in der universitären Lehrerbildung vermittelten Theorie ist irrelevant für die Praxis . Sollten Theorieanteile zugunsten von mehr Praxiserfahrung ersetzt werden?

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Empirie: Zum vermeintlichen Konflikt zwischen Theorie und Praxis Eigene Studie aus dem Projekt BilWiss (Kunina-Habenicht et al., 2012, Lohse-Bossenz et al., 2013) Experten-Delphi-Studie zur Bedeutung von theoretischen Inhalten in der Lehrerbildung − 48 Experten in der Lehrerbildung beurteilen theoretische Inhalte in den

Bildungswissenschaften im Hinblick auf ihre spätere praktische Relevanz − davon 13 aus der 2. Phase der Lehrerbildung − insgesamt Beurteilung von 213 Themen aus allen Bereichen der

Bildungswissenschaften − mehrere Runden zur Konsensbildung

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Ergebnisse der Delphi-Studie

− Hoher Konsens zwischen den Experten − Sehr hoher Konsens zwischen Experten der ersten und zweiten Phase − Ausbilder(innen) der zweiten Phase bewerten viele Themen noch wichtiger als die

Lehrenden an der Universität − Identifikation von 104 theoretischen Themen, die von der Mehrheit der Experten als

besonders relevant eingeschätzt wurden

(Lohse-Bossenz et al., 2013)

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Empirie: Was wissen wir über den Praxisschock?

Eigene Studien aus den Projekten BilWiss (Dicke et al., 2016; Kunter et al., 2016) und COACTIV-R (Voss et al. 2016) Längsschnittstudien (und Kohortenvergleiche) − große Stichproben von Universitätsabsolventen − Längsschnitt von Beginn des Vorbereitungsdienstes bis Ende/ 2 Jahre nach vollem

Berufseinstieg − Untersuchung von Überzeugungen, Motivation, Erschöpfung Ergebnisse − Kein gravierender Praxisschock zu Beginn des Vorbereitungsdienstes (erster

Praxiskontakt): Hohe Stabilität von Überzeugungen und Motivation, leicht erhöhte Belastung zu Beginn, die aber am Ende des VDs wieder abnimmt.

− Kein Hinweis auf Praxisschock bei Berufseinstieg: Hohe Motivation, moderate Erschöpfung (allerdings: ggf. selektive Studienteilnahme)

14. Oktober 2016 42

Kann und soll Praxis Theorie ersetzen?

Annahme 1: Theorie und Praxis in der Lehrerbildung stehen im Konflikt ein zu hoher Theorieanteil führt später zu einem Praxisschock. Annahme 2: Ein großer Teil der in der universitären Lehrerbildung vermittelten Theorie ist irrelevant für die Praxis . Sollten Theorieanteile zugunsten von mehr Praxiserfahrung ersetzt werden?

14. Oktober 2016 43

Empirie: Nutzt Theorie für die spätere Praxis?

Ingersoll et al. (2014): Studie zum Drop-out aus dem Lehrerberuf (USA) Repräsentative Stichprobe mit 2.651 Lehrkräften im ersten Jahr, weitere Erhebung von Daten nach 1 Jahr Welche Faktoren sagen vorher, wer im Lehrerberuf bleibt?

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Empirie: Nutzt Theorie für die spätere Praxis? Eigene Studien (BilWiss & COACTIV-R) • Messung des pädagogischen/bildungswissenschaftlichen Wissens mit

standardisierten Tests • Sagt das an der Universität vermittelte Wissen berufliche Praxis und

berufliches Erleben vorher?

(Dicke et al., 2015; Klusmann et al., 2012; Lohse-Bossenz et al., 2013; Linninger et al., 2016)

mehr Wissen

geringeres Erleben von Erschöpfung während des Vorbereitungsdiensts und danach

Stärkere Verbesserung der Unterrichtsqualität (im Selbstbericht) während des Vorbereitungsdiensts

Produktivere Reflektion von Unterrichtsvideos

stärkere Beteiligung an der Schulentwicklung nach 2 Jahren im Beruf

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Vorläufiges Fazit zum Theorie-Praxis-Dilemma

- Für das deutsche Lehrerbildungssystem kann ein dramatischer Praxisschock nicht beobachtet werden.

- Entgegen anekdotischer Hinweise besteht kein grundlegender Konflikt zwischen den an der Universität zu vermittelnden Inhalten und den Praxisanforderungen.

- Gutes theoretisches Wissen ist eine gute Vorbereitung auf die Praxis! Theorie und Praxis sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sich ergänzen!

Benötigt werden aber: − Mehr Studien über die Effekte von Praxiselementen in der universitären

Lehrerbildung! − Studien zur verschiedenen Modellen des Praxisbezugs

14. Oktober 2016 46

Empirische Forschung zu Qualität der Lehrerbildung Überblick über den Vortrag

1. Standortbestimmung − Was heißt Qualität in der (universitären) Lehrerbildung? − Überblick zum Stand der Forschung

2. Hot Topics: Ausgewählte empirische Befunde − Wie wichtig sind Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und bildungswissenschaftliches

Wissen? − Müssen wir besser selektieren, wer Lehrer werden darf? − Führt zu viel Theorie an der Universität zu einem Praxisschock?

3. Abschließendes Fazit und Diskussion

14. Oktober 2016 47

Wie sehr stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? 1. Gutes theoretisches Wissen im Fach und darüber hinaus sind eine wichtige

Grundlage für das Unterrichten. 2. Es müssen bessere Selektionskriterien gefunden werden, um den Zugang zum

Lehramtsstudium zu regulieren. 3. Die Universität bereitet die Lehramtsstudierenden nicht ausreichend für die

Praxis vor. 4. Wir brauchen mehr Praxis bereits im Lehramtsstudium. 5. Die Abstimmung zwischen theoretischer Phase und Praxis ist ungenügend.

Eine Umfrage zum Start

stimme nicht zu stimme eher nicht zu

neutral stimme eher zu stimme zu

O O O O O

14. Oktober 2016 48

„Gute“ Lehrerbildung muss nicht effektiv sein Es fehlen Studien zu tatsächlichen Effekten der Lehrerbildung (und der vielen verschiedenen Gestaltungselemente) Bei der Prüfung der Effekte sind verschiedene Zielkriterien zu beachten subjektive Reaktionen, Lerneffekte der Lehrkräfte, Verhalten der Lehrkräfte, Effekte auf SuS; Starting Competence vs. In-service competence Empirische Forschung ist wichtig, um landläufige Annahmen zu überprüfen viele Themen und Ansätze sind nicht hinreichend erforscht, um Handlungsempfehlungen zu formulieren in vielen Fällen entspricht empirisches Bild nicht der populären Diskussion (Eingangsselektion, Praxisschock) Es gibt sehr viel heterogene Forschungsaktivität Aussagekraft vieler Studien eingeschränkt, übergreifende Aussagen schwierig zu treffen Wir brauchen nicht mehr, sondern bessere Studien zur Lehrerbildung

Was sagt die Forschung zu Qualität in der (universitären) Lehrerbildung?

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Wunderbare Gelegenheit, um Veränderungen anzustoßen diese sollten unbedingt wissenschaftlich begleitet werden Wie sollte diese Forschung aussehen? Sorgfältige Studienplanung: − Gute Designs, z. B. Längsschnitt, (Quasi-)experimente − Aussagekräftige Maße, subjektive Einschätzungen mit objektiven Maßen mit guter

Messgüte ergänzen ( Austausch von Instrumenten!) − Think Big: nicht zu viele kleine Einzelstudien, Verbindung von Studien Kommunikation der Ergebnisse: − Genaue Überprüfung; was passiert, wo zeigen sich die erwarteten Effekte, wo nicht − Auch Bericht über erwartungswidrige Effekte − Kommunikation und Austausch zwischen Forschenden innerhalb und zwischen

Standorten Verwendung gemeinsamer Konzepte, Austausch über Ergebnisse!

Was ich mir für die Qualitätsoffensive wünsche

Gelegenheit für den zweiten Programmkongress in 20XX?