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Kantsperger | Meyer Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Seite 26-30 26 4|2006 1. Zur steigenden Relevanz von Customer Interaction- Centern Die Bedeutung von Customer Inter- action-Centern (CIC) ist in vielen Branchen stark gewachsen. Customer Interaction-Center stellen im Wesent- lichen eine Weiterentwicklung von klas- sischen Call-Centern dar, die neben dem Telefon weitere Medien wie Internet, E-Mail, Fax oder SMS in einer organisa- torischen Einheit im Kontakt zum Kunden bündeln (vgl. Meyer/Kants- perger 2004). Trotz der zunehmenden Multimedialität ist gerade in der Praxis immer noch der Begriff Call-Center weit verbreitet, so dass beide Begriffe im Folgenden synonym verwendet werden. Customer Interaction-Center sind im Handel, und hier im Besonderen im Ver- sandhandel, von besonderer Bedeutung, da im Normalfall alle Informations-, Be- ratungs-, Kauf- und Nachkaufprozesse medial gestützt ablaufen. Die Einrichtung multimedialer Inter- action-Center ist in vielen Fällen eine logische Reaktion auf die veränderten Anforderungen der Kunden. Diese wol- len zunehmend selbst bestimmen, wann und über welchen Kanal sie mit ihrem Unternehmen Kontakt aufnehmen wollen bzw. welche Medien für eine unternehmensseitige Ansprache ge- wünscht sind. Weiter ist zu beobachten, dass viele Kunden nicht mehr auf einen Kanal festgelegt sind, sondern in ver- schiedenen Phasen des Kauf- oder Beziehungszyklus zwischen unterschied- lichen Medien wechseln („Channel- hopping“) (vgl. Schögel et al. 2002). Hiermit sind für die Unternehmen eine Reihe von Chancen und Risiken verbunden. Gelingt es, alle Kommuni- kationskanäle aufeinander abzustim- men und informationstechnisch zu integrieren, so können Interaction- Center einen wichtigen Beitrag dazu leisten, langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen. In vielen Fällen besteht die Möglichkeit, Kundenbedürfnisse frühzeitig zu er- kennen und proaktiv passende An- gebote zu unterbreiten. Gleichzeitig kommt es jedoch noch häufig vor, dass an den Kontaktpunkten nicht die ge- samte Kundenhistorie vorliegt und der Mitarbeiter im Call-Center beispiels- weise nicht weiß, dass der Kunde in derselben Angelegenheit bereits meh- rere Briefe oder E-Mails geschickt hat. Das unter Gesichtspunkten des CRM proklamierte Ziel einer hohen Bezie- hungsqualität und eines „one face to the customer“ wird dann häufig obsolet, Verärgerung und Unzufriedenheit auf Seiten der Kunden ist die logische Kon- sequenz (vgl. Kantsperger/Wilkoszewski 2004). In Ergänzung zu diesen effektivitäts- orientierten Maßstäben müssen sich Interaction-Center zunehmend auch an effizienzorientierten Zielen wie Kosten und dem Kundenwert messen lassen. Während Call-Center früher mehr- heitlich als reine Cost-Center geführt wurden, ist mittlerweile eine Organi- sationsform als Profit-Center üblich und eine effizienzgetriebene Tendenz zum Outsourcing an externe Dienstleister fest- zustellen. Vor dem Hintergrund eines wertorientierten Kundenmanagements erscheint es zudem nicht zweckmäßig, allen Kundengruppen ein identisches Service- und Betreuungsniveau an- zubieten. So ist es in vielen Branchen üb- lich, dass profitable Kunden einen höheren Servicelevel erhalten und bevor- zugt beraten werden. Unter Gesichts- punkten eines wertorientierten Channel- Managements lässt sich die Wert- haltigkeit einzelner Kunden zudem erhöhen, indem diese auf kostengünstige Medien umgelenkt werden und nur mir werthaltigen Kunden über kostenintensi- vere Kanäle kommuniziert wird. Lern- theoretische Konzepte liefern hierzu wichtige Anhaltspunkte (vgl. Kantsperger 2004). Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Dr. Roland Kantsperger Wissenschaftlicher As- sistent am Institut für Marketing an der Ludwig-Maximilians-Uni- versität, München (D) Prof. Dr.Anton Meyer Ordinarius für Betriebs- wirtschaftslehre und Vor- stand des Instituts für Marketing an der Ludwig-Maximilians-Uni- versität, München (D) Die Bedeutung von Customer Interaction-Centern ist im Rahmen von Mehrkanalstrategien in den letzten Jahren stetig gewachsen. Im Rahmen eines wertorientierten Channel-Managements stellt sich die Herausforderung sowohl aus Kundensicht, überlegenen Kunden- nutzen zu generieren als auch aus der Perspektive der Unternehmen größtmögliche Profitabilitätspotenziale zu realisieren. Ein umfas- sendes qualitatives und branchenübergreifendes Benchmarking kann hierzu wertvolle Ansatzpunkte liefern. Der Beitrag skizziert die Ent- wicklung eines Benchmarking-Instrumentariums für Customer Inter- action-Center, beschreibt dessen Anwendungsweise und präsentiert ausgewählte empirische Ergebnisse aus der Branche „Handel und Konsumgüter“.

Qualitatives benchmarking von customer interaction-centern im Handel

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Kantsperger | Meyer Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Seite 26-30

26 4|2006

1. Zur steigenden Relevanzvon Customer Interaction-Centern

Die Bedeutung von Customer Inter-

action-Centern (CIC) ist in vielen

Branchen stark gewachsen. Customer

Interaction-Center stellen im Wesent-

lichen eine Weiterentwicklung von klas-

sischen Call-Centern dar, die neben dem

Telefon weitere Medien wie Internet,

E-Mail, Fax oder SMS in einer organisa-

torischen Einheit im Kontakt zum

Kunden bündeln (vgl. Meyer/Kants-

perger 2004). Trotz der zunehmenden

Multimedialität ist gerade in der Praxis

immer noch der Begriff Call-Center weit

verbreitet, so dass beide Begriffe im

Folgenden synonym verwendet werden.

Customer Interaction-Center sind im

Handel, und hier im Besonderen im Ver-

sandhandel, von besonderer Bedeutung,

da im Normalfall alle Informations-, Be-

ratungs-, Kauf- und Nachkaufprozesse

medial gestützt ablaufen.

Die Einrichtung multimedialer Inter-

action-Center ist in vielen Fällen eine

logische Reaktion auf die veränderten

Anforderungen der Kunden. Diese wol-

len zunehmend selbst bestimmen, wann

und über welchen Kanal sie mit ihrem

Unternehmen Kontakt aufnehmen

wollen bzw. welche Medien für eine

unternehmensseitige Ansprache ge-

wünscht sind. Weiter ist zu beobachten,

dass viele Kunden nicht mehr auf einen

Kanal festgelegt sind, sondern in ver-

schiedenen Phasen des Kauf- oder

Beziehungszyklus zwischen unterschied-

lichen Medien wechseln („Channel-

hopping“) (vgl. Schögel et al. 2002).

Hiermit sind für die Unternehmen

eine Reihe von Chancen und Risiken

verbunden. Gelingt es, alle Kommuni-

kationskanäle aufeinander abzustim-

men und informationstechnisch zu

integrieren, so können Interaction-

Center einen wichtigen Beitrag dazu

leisten, langfristige Kundenbeziehungen

aufzubauen und zu pflegen. In vielen

Fällen besteht die Möglichkeit,

Kundenbedürfnisse frühzeitig zu er-

kennen und proaktiv passende An-

gebote zu unterbreiten. Gleichzeitig

kommt es jedoch noch häufig vor, dass

an den Kontaktpunkten nicht die ge-

samte Kundenhistorie vorliegt und der

Mitarbeiter im Call-Center beispiels-

weise nicht weiß, dass der Kunde in

derselben Angelegenheit bereits meh-

rere Briefe oder E-Mails geschickt hat.

Das unter Gesichtspunkten des CRM

proklamierte Ziel einer hohen Bezie-

hungsqualität und eines „one face to the

customer“ wird dann häufig obsolet,

Verärgerung und Unzufriedenheit auf

Seiten der Kunden ist die logische Kon-

sequenz (vgl. Kantsperger/Wilkoszewski

2004).

In Ergänzung zu diesen effektivitäts-

orientierten Maßstäben müssen sich

Interaction-Center zunehmend auch an

effizienzorientierten Zielen wie Kosten

und dem Kundenwert messen lassen.

Während Call-Center früher mehr-

heitlich als reine Cost-Center geführt

wurden, ist mittlerweile eine Organi-

sationsform als Profit-Center üblich und

eine effizienzgetriebene Tendenz zum

Outsourcing an externe Dienstleister fest-

zustellen. Vor dem Hintergrund eines

wertorientierten Kundenmanagements

erscheint es zudem nicht zweckmäßig,

allen Kundengruppen ein identisches

Service- und Betreuungsniveau an-

zubieten. So ist es in vielen Branchen üb-

lich, dass profitable Kunden einen

höheren Servicelevel erhalten und bevor-

zugt beraten werden. Unter Gesichts-

punkten eines wertorientierten Channel-

Managements lässt sich die Wert-

haltigkeit einzelner Kunden zudem

erhöhen, indem diese auf kostengünstige

Medien umgelenkt werden und nur mir

werthaltigen Kunden über kostenintensi-

vere Kanäle kommuniziert wird. Lern-

theoretische Konzepte liefern hierzu

wichtige Anhaltspunkte (vgl. Kantsperger

2004).

Qualitatives Benchmarking von CustomerInteraction-Centern im Handel

Dr. Roland Kantsperger Wissenschaftlicher As-sistent am Institut fürMarketing an derLudwig-Maximilians-Uni-versität, München (D)

Prof. Dr. Anton Meyer Ordinarius für Betriebs-wirtschaftslehre und Vor-stand des Instituts fürMarketing an derLudwig-Maximilians-Uni-versität, München (D)

Die Bedeutung von Customer Interaction-Centern ist im Rahmen vonMehrkanalstrategien in den letzten Jahren stetig gewachsen. ImRahmen eines wertorientierten Channel-Managements stellt sich dieHerausforderung sowohl aus Kundensicht, überlegenen Kunden-nutzen zu generieren als auch aus der Perspektive der Unternehmengrößtmögliche Profitabilitätspotenziale zu realisieren. Ein umfas-sendes qualitatives und branchenübergreifendes Benchmarking kannhierzu wertvolle Ansatzpunkte liefern. Der Beitrag skizziert die Ent-wicklung eines Benchmarking-Instrumentariums für Customer Inter-action-Center, beschreibt dessen Anwendungsweise und präsentiertausgewählte empirische Ergebnisse aus der Branche „Handel undKonsumgüter“.

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Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Kantsperger | Meyer

274|2006

2. Entwicklung des Bench-marking-Instrumentariums

Entscheidend für eine qualitativ hoch-

wertige und zugleich effiziente Leis-

tungserstellung des Customer Inter-

action-Centers ist ein systematisches

Benchmarking der eigenen Manage-

ment- und Leistungsprozesse. Der Be-

griff des Benchmarking wird häufig so

inflationär verwendet, dass oftmals gar

nicht klar wird, was sich dahinter wirk-

lich verbirgt. Im Kern meint Bench-

marking nichts anderes, als dass sich ein

Unternehmen mit seinen Produkten,

Prozessen und Geschäftspraktiken kon-

tinuierlich an den jeweils besten und

erfolgreichsten Unternehmen misst.

Zielsetzung ist dann, so genannte

„Benchmarks“ und „best practices“ zu

identifizieren, um hierauf basierend

einen kontinuierlichen Lern- und Ver-

besserungsprozess anhand der drei

Dimensionen Qualität, Zeit und Kosten

zu initiieren (vgl. Voss et al. 1997).

2.1 Internes, wettbewerbs-orientiertes und branchenüber-greifendes BenchmarkingHierbei lassen sich grundsätzlich drei

Arten des Benchmarking unterscheiden.

Von internem Benchmarking spricht

man, wenn Prozesse und Praktiken in-

nerhalb des eigenen Unternehmens

analysiert werden. Betreiber von Call-

Centern können ein internes Bench-

marking durchführen, sofern sie über

eine Mehrzahl von Centern verfügen, die

unterschiedliche Regionen, Kunden,

Produkte oder Marken betreuen. Auf-

grund der ausschließlichen Fokussierung

auf das eigene Unternehmen ist das Ver-

besserungspotenzial des internen Bench-

marking in der Regel begrenzt. Deutlich

weiter geht das wettbewerbsorientierte

Benchmarking, bei dem „best practices“

innerhalb der eigenen Branche als

Referenzpunkt angesetzt werden. Wett-

bewerbsorientiertes Benchmarking stößt

an seine Grenzen, wenn aufgrund des be-

stehenden Konkurrenzverhältnisses die

Kooperationsbereitschaft der Unter-

nehmen nur begrenzt vorhanden ist und

wenn andere Branchen hinsichtlich ihrer

Prozesse und Managementpraktiken

einen grundsätzlichen und häufig his-

torisch gewachsenen Vorsprung besitzen.

Fundamentale Verbesserungen lassen

sich daher häufig nur auf Basis eines

funktionalen oder generischen Bench-

marking erreichen, das einen branchen-

übergreifenden Ansatz wählt und im Be-

sonderen der Tatsache Rechnung trägt,

dass auch die Erwartungen der Kunden

zunehmend branchenübergreifend ent-

stehen (vgl. Meyer/Kantsperger 2005). So

wird beispielsweise ein Kunde kaum

akzeptieren, dass die Freundlichkeit,

Kompetenz oder Zuverlässigkeit in

einem Call-Center aus dem Versand-

handel schlechter ist als bei einem Ener-

gieversorger – auch wenn dieses inner-

halb der Branche noch ganz gut

abschneidet oder sogar Bestleistungen

erreicht.

2.2 Quantitatives Benchmarking aufBasis von KennzahlenEine weitere Unterscheidung bezieht sich

auf die Differenzierung zwischen

quantitativem und qualitativem Bench-

marking. Quantitatives Benchmarking

hat gerade bei Call-Centern eine lange

Tradition, da sich mit Hilfe der ACD-

und CTI-Technologie eine Reihe von

Kennzahlen auf Basis von Routineaus-

wertungen mühelos ausweisen lassen

(vgl. Cleveland et al. 2002). Als ein-

schlägige Kennzahlen sind hier beispiels-

weise die durchschnittliche Callzeit, die

Anzahl der Calls pro Stunde, die First

Call Solution-Rate oder die durchschnitt-

liche Nachbearbeitungsdauer zu nennen,

die einen klaren und gut nachvollzieh-

baren Bezug zu effizienzgerichteten

Zielsetzungen herstellen.

Daneben ist ein rein quantitatives

Benchmarking in hohem Maße kritisch

zu sehen. Zum einen sind die scheinbar

„harten“ Zahlen nicht oder nur mit Ein-

schränkungen über verschiedene Unter-

nehmen und Branchen vergleichbar. So

ist es naheliegend, dass komplexe

Beratungsleistungen in einem Call-

Center der Pharmabranche längere Zeit

in Anspruch nehmen als das Buchen

eines Fluges im Call-Center einer

Fluggesellschaft, oder dass die Nachbear-

beitungszeit eines Gesprächs mit einem

Key Account im Handel höher liegen

wird als nach einem Gespräch mit einem

C-Kunden. Wohlgemeinte Benchmar-

king-Bemühungen geraten so schnell zu

„Zahlenfriedhöfen“, die keinen nennens-

werten Informationsgehalt und Hand-

lungsbezug aufweisen. Ferner führt eine

einseitige Kennzahlenorientierung häufig

auch zu einem schwer auflösbaren Kon-

flikt zwischen Produktivität und Service-

qualität. Werden Mitarbeiter beispiels-

weise einseitig an der durchschnittlichen

Callzeit oder der Zahl der Calls pro

Stunde gemessen, so kann dies zur

schnellen und oberflächlichen Beant-

wortung von Anliegen, zur Vernach-

lässigung von Kundenbedürfnissen, zum

Verzicht auf Cross-Selling-Potenziale bis

hin zur subtilen Manipulation der ACD-

Anlage führen. Gefordert ist daher ein

qualitatives und branchenübergreifend

angelegtes Benchmarking, das im Be-

sonderen auch die weichen Faktoren

berücksichtigt, die letztlich erst heraus-

ragende Leistungen begründen und

branchenübergreifende Verbesserungs-

potenziale sichtbar machen (vgl. Meyer/

Kantsperger 2005).

2.3 Qualitatives Benchmarking aufBasis des modifizierten ISS-ModellsFür ein umfassendes Benchmarking des

Leistungs-, Prozess- und Qualitätsma-

nagements stellen wir im Folgenden das

im Dienstleistungsmanagement bereits

häufig erfolgreich angewandte ISS-

Modell vor, das auf Basis intensiver

Literaturrecherche, einer Reihe von Ex-

perteninterviews und eines Pretests an

die Spezifika der Call-Center-Branche

angepasst wurde (vgl. Voss et al. 1997; vgl.

Abb. 1). Unser Benchmarking-Ansatz ist

theoretisch und konzeptionell durch ver-

schiedene Ansätze der Dienstleistungs-

und Qualitätsforschung fundiert. Im

Einzelnen wurden Elemente der Service-

Profit-Chain (vgl. Heskett et al. 1994), des

SERVQUAL-Ansatzes (vgl. Parasuraman

et al. 1988), des European Quality Award

und des Malcolm Baldridge Award in-

tegriert. Der Ansatz eignet sich zum einen

für ein branchenübergreifendes Bench-

marking und ist zum anderen in der

Lage, konkrete Handlungsfelder zu er-

kennen und Managementimplikationen

für das Call-Center-Management ab-

zuleiten (s. Abschn. 3.3).

Unser Ansatz geht davon aus, dass ver-

schiedene Maßnahmen und Praktiken im

Rahmen des Call-Center-Managements

(Enabler) jeweils unterschiedliche qua-

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Kantsperger | Meyer Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel

28 4|2006

litäts- und erfolgsrelevante Ergebnisse

(Results) nach sich ziehen. Manage-

mentmaßnahmen und hieraus resul-

tierende Ergebnisse beziehen sich in

unser Systematik jeweils auf die vier

Unterkategorien Organisation und

Unternehmenskultur, Leistungskonzept-

und -design, Leistungserstellung im

Customer Interaction-Center sowie Leis-

tungsnutzen und -messung. Die

einzelnen Untersuchungsbereiche wer-

den über verschiedene Fragestellungen

operationalisiert, die auf einer fünf-

stufigen Skala verankert sind. Hierbei re-

präsentiert „eins“ den jeweils schlech-

testen und „fünf“ den besten Wert. Ins-

gesamt umfasst das modifizierte

ISS-Modell 66 Items (vgl. Meyer/Kants-

perger 2005).

2.4 Kennzahlen des zugrundeliegenden Benchmarking-ModellsDie Ergebnisse des Benchmarking werden

mittels drei zentraler Kennzahlen ver-

dichtet (vgl. Abb. 2). Der Overall Service

Practice-Index verdichtet die Ein-

stufungen der Erfolgsfaktoren (Enabler)

der vier Untersuchungsbereiche. Der Wert

20 ist das schlechtmöglichste Resultat,

während der Wert 100 das theoretisch bes-

te Ergebnis im Sinne eines vollständigen

Erfüllungsgrades darstellt. Demgegenüber

beinhaltet der Overall Service Per-

formance-Index die Einstufungen der

Ergebnisse (Results) aller vier Unter-

suchungsbereiche. Auch hier stellt der

Wert 20 den schlechtesten und ein Wert

von 100 das höchstmögliche Ergebnis dar.

Als Durchschnitt dieser beiden Werte ist

der Overall Service Score die Kennzahl mit

dem höchsten Aggregationsgrad.

Daneben ist es sinnvoll, die einzelnen

Indizes auch jeweils auf Ebene der

einzelnen Unterkategorien zu berechnen.

Hierdurch kann detailliert beurteilt

werden, wie das eigene Interaction-Center

im Vergleich zu den einzelnen Gebieten

und im Vergleich zu anderen Unter-

nehmen abschneidet und wo sich folglich

der größte Handlungs- und Ver-

änderungsbedarf abzeichnet. Auf Basis

einer weiterführenden Analyse der

einzelnen Fragestellungen innerhalb der

vier Untersuchungsgebiete ist es ferner

möglich, dezidierte Maßnahmen und

Managementimplikationen abzuleiten, die

sich gleichzeitig an Best Practices anderer

Call-Center orientieren. Im Zuge dieses

qualitativen Analyseprozesses werden die

Kennzahlen somit zum Sprechen gebracht

(siehe beispielhaft Abschn. 3.3)

Abb. 1: ISS-Modell zur Erhebung der Managementperspektive

Quelle: In Anlehnung an Voss et. al.1997, S. 20.

Abb. 2: Berechnung und Zusammensetzung der zentralen Indices

Quelle: Meyer/Kantsperger 2005, S. 26.

Erfo

lgsf

akto

ren

/En

able

rOrganisation & Kultur Leistungskonzept & -design Leistungserstellung im CIC Leistungsnutzen & -messung

Geschäftserfolg

Rückkoppelung

Unternehmensführung

Dienstleistungskultur

Mitarbeiterführung

Mitarbeiter-loyalität & -moral

Dienstleistungs-effektivität

Dienstleistungs-qualität

Kundenzufriedenheit

Kundenloyalität & -bindung

Verständnis für Kunden

Dienstleistungsgestaltung

Dienstleistungsprozesse

Qualitätsmanagement

Wiedergutmachung von Fehlern

Flexibilität

Kosten & Nutzen

Dienstleistungsstandards

Leistungsmessung

Erge

bnis

se /

Resu

lts

50%Overall Service Score(arithm. Mittel aus Overall Service Practice und Performance Index)

Overall Service Practice-Index

Enabler(Erfolgsfaktoren)

Overall Service Performance-Index

Results(Ergebnisse)

16 Items

8 Items

12 Items

11 Items

4 Unterkategorien (UK 1-4)

1. Organisation &Unternehmenskultur

2. Leistungskonzept und -design

3. Leistungserstellung im CIC

4. Leistungsnutzen & -messung

50%

16 Items

8 Items

12 Items

11 Items

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Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Kantsperger | Meyer

294|2006

3. Anwendung des Bench-marking-Instrumentariums undausgewählte Ergebnisse

Das vorliegende Benchmarking-Modell

wurde im Rahmen eines dreijährigen

Forschungsprojektes des deutschen

Bundesministeriums für Bildung und

Forschung (BMBF) entwickelt und in

insgesamt 58 Customer Interaction-

Centern zum Einsatz gebracht. Im

Folgenden werden kurz die grund-

sätzliche Anwendungsweise des

Benchmarking-Instrumentariums be-

schrieben, einige allgemeine branchen-

übergreifende Ergebnisse vorgestellt

sowie ausgewählte Ergebnisse aus der

Branche Handel und Konsumgüter

präsentiert.

3.1 Grundsätzliche Anwendungs-weiseDas Benchmarking wurde im Rahmen des

Forschungsprojektes in Form von drei- bis

fünfstündigen Interviews durchgeführt

und umfasste neben den 66 Fragen der

vier Untersuchungsbereiche weitere 25

Items eines ergänzenden und quantitativ

ausgerichteten Teils B. Die Befragungen

wurden ausschließlich durch ein bis zwei

diplomierte wissenschaftliche Mitarbeiter

durchgeführt. Befragt wurden grund-

sätzlich nur Personen, die in der Lage

waren, sämtliche Prozesse und Leistungen

des Customer Interaction-Centers um-

fassend zu beurteilen. Hierbei handelte es

sich jeweils um das geschäftsführende

Management, in einzelnen Fällen zu-

sätzlich um einen Qualitätsbeauftragten

des Unternehmens.

Alle Items wurden im Rahmen der

Befragung umfassend diskutiert, um eine

jeweils fundierte Einstufung zu gewähr-

leisten. Hierzu wurde ein ca. 60-seitiger

Interviewleitfaden erarbeitet, der

detailliertes Nachfragen ermöglicht, eine

entsprechende Genauigkeit der Ein-

stufungen sicherstellt und so eine hohe

Objektivität und Durchführungsrelia-

bilität gewährleistet. Aufgrund des frei

zugänglichen Fragebogens und Inter-

viewleitfadens ist das modifizierte ISS-

Modell zudem in besonderem Maße

geeignet, eine umfassende Bestands-

aufnahme und Selbsteinschätzung des ei-

genen Unternehmens durchzuführen.

3.2 Branchenübergreifendeempirische ErgebnisseInsgesamt haben die teilnehmenden

Customer Interaction-Center im Rahmen

des Benchmarking gut abgeschnitten. Die

58 untersuchten Unternehmen erzielten

hinsichtlich des Overall Service Practice-

Index und hinsichtlich des Overall Service

Performance-Index jeweils einen Durch-

schnittswert von 80 Punkten. Im Ver-

gleich zwischen den einzelnen Branchen

ergeben sich kaum größere Unterschiede.

Dies ändert sich, sobald man innerhalb

einer Branche oder sogar branchenüber-

greifend die besten und führenden

Customer Interaction-Center mit den

Nachzüglern vergleicht. Hier ergeben sich

sowohl auf der Ebene der vier Unter-

suchungskategorien als auch auf Basis

der globalen Indizes Unterschiede von

über 30 bis hin zu 40 Punkten, wodurch

große Unterschiede bezüglich eines pro-

fessionellen Prozess- und Qualitäts-

managements zwischen den jeweiligen

Call-Centern angezeigt werden.

3.3 Empirische Ergebnisse aus derBranche Handel und KonsumgüterIm Folgenden werden ausgewählte

Ergebnisse aus der Branche Handel und

Konsumgüter mit acht teilnehmenden

Customer Interaction-Centern vor-

gestellt. Hierbei werden auf der Seite der

Erfolgsfaktoren bzw. Enabler die Resul-

tate, unterteilt nach den jeweiligen

Unterkategorien, vorgestellt und kom-

mentiert. Abbildung 3 zeigt neben dem

durchschnittlichen Branchenwert die

branchenspezifischen Durchschnittswer-

te nach Untersuchungsfeldern sowie die

jeweiligen Spannweiten.

Hierbei zeigt sich, dass die Branche

Handel und Konsumgüter im Unter-

suchungsgebiet Zwei „Leistungskon-

zeption und -gestaltung“ unterdurch-

schnittlich abschneidet und hier auch

die größte Spannweite zwischen dem

besten und schlechtesten Unternehmen

anzutreffen ist. Eine genauere Analyse

zeigt, dass in einigen Interaction-

Centern den Mitarbeitern die Positio-

nierung des eigenen Unternehmens

hinsichtlich Leistungsprogramm, Image,

Preisniveau oder werblicher Maß-

nahmen kaum bekannt ist, und dass

neue Prozesse und Leistungen häufig

ohne hinreichende Integration der

Bedürfnisse und Wünsche des Kunden

entwickelt werden. Auch hinsichtlich der

Anwendung moderner IuK-Technologie

im Sinne einer vollständigen Daten-

integration sowie hinsichtlich der Im-

plementierung eines fortschrittlichen

Kapazitätsmanagements zeigen sich in

der Branche Handel und Konsumgüter

teils noch erhebliche Unterschiede und

Defizite.

Die eben skizzierte Detailanalyse kann

analog auf weitere Untersuchungsgebiete

ausgedehnt werden. So zeigt sich beispiels-

weise auch im Untersuchungsgebiet Vier

„Dienstleistungsnutzen und -messung“

Abb. 3: Enabler-Vergleich Branche „Handel und Konsumgüter“

100

90

80

70

60

50

40

Organisation & Unternehmenskultur

Leistungskon-zeption/-gestaltung

Leistungser-stellung im CIC

Dienstleistungs-nutzen u. Messung

1 2 3 4

Spannweite Enabler

Branchendurchschnitt jeUnterkategorie (1-4)[Enabler]

89

68

79

95

48

71

95

63

81

93

58

78

Branchenscore Enabler = 77

Page 5: Qualitatives benchmarking von customer interaction-centern im Handel

Kantsperger | Meyer Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel

30 4|2006

ein relativ großer Unterschied zwischen

bestem Unternehmen (93 Punkte) und

dem jeweiligen Schlusslicht (58 Punkte).

Eine vertiefte Analyse zeigt hier, dass bei

den zurückliegenden Unternehmen kaum

Leistungsstandards implementiert sind,

kein ausreichender Bezug zu Kunden-

bedürfnissen hergestellt wird und die vor-

handenen Standards kaum als „gesunde

Herausforderung“ zur Verbesserung der

eigenen Leistungsfähigkeit dienen kön-

nen.

Eine analoge Vorgehensweise ist auch

für die Untersuchungsbereiche Eins und

Drei zweckmäßig. Der Bereich Organi-

sation und Unternehmenskultur adres-

siert beispielsweise, ob ein geteiltes

Unternehmensleitbild vorhanden ist, ob

alle Mitarbeiter eine umfassende Quali-

täts- und Kundenorientierung verinner-

licht haben und ob die Mitarbeiter ein

regelmäßiges und systematisches Feed-

back und Coaching sowie umfassende

und individuelle Schulungs- und

Trainingsmaßnahmen erhalten. Der Be-

reich „Leistungserstellung im Customer

Interaction-Center“ untersucht im Be-

sonderen, ob seitens des Managements

umfassende Qualitätsmanagementmaß-

nahmen initiiert werden, ob ein

systematisches Beschwerdemanagement

implementiert ist oder ob die Mitarbeiter

über ausreichende Befugnisse und Kom-

petenzen verfügen, um auch auf unvor-

hergesehene Zwischenfälle angemessen

reagieren zu können. Im Ergebnis lassen

sich auch in diesen Bereichen grobe

Unterschiede zwischen den Unter-

nehmen feststellen, die in der Branche

Handel und Konsumgüter allerdings

nicht so deutlich wie in den anderen

Untersuchungsgebieten ausfallen.

4. Fazit und ein Ausblick auf weitere Untersuchungsgebiete

Wir haben in diesem Beitrag mit

unserem qualitativen Benchmarking-

Modell einen unseres Erachtens sehr leis-

tungsfähigen und umfassenden Ansatz

zum Benchmarking von Customer Inter-

action-Centern vorgestellt und schlag-

lichtartig ausgewählte empirische Ergeb-

nisse aus der Branche Handel und

Konsumgüter vorgestellt. Viele der aus

dem Benchmarking ableitbaren Verbes-

serungsmaßnahmen würden zwar zu

einer Verbesserung der Qualität und

Kundenzufriedenheit führen, sind jedoch

aus der Perspektive eines wertorientierten

Kanal-Managements kritisch zu hinter-

fragen. Folglich muss das Management

auch unter Effizienzgesichtspunkten ent-

scheiden, welche Kanäle mit welchem

Service- und Ausstattungsgrad den

jeweiligen Kunden angeboten werden.

Eingangs erwähnte, wertorientierte Seg-

mentierungsansätze können hierzu eine

wichtige Hilfestellung leisten.

Da unser Benchmarking-Ansatz auf

die Perspektive des Managements fokus-

siert, werden weitere relevante Ziel-

gruppen wie Mitarbeiter und Kunden

zunächst nicht berücksichtigt. Wir favo-

risieren daher ein 360-Grad-Bench-

marking, das neben der Ebene des Ma-

nagements zusätzlich die Sicht der

Mitarbeiter und Endkunden integriert

(vgl. Meyer/Kantsperger 2005). Dement-

sprechend wurden im Rahmen des zu-

grunde liegenden Forschungsprojektes

auch über 1.500 Mitarbeiter und 3.000

Kunden auf Basis umfangreicher Pri-

märerhebungen befragt. Hierdurch ist es

möglich, einer einseitigen Sichtweise

vorzubeugen, Lücken zwischen den

einzelnen Perspektiven aufzudecken und

prägnante Empfehlungen abzuleiten.

So konnte beispielsweise gezeigt

werden, dass ein kunden- und qualitäts-

orientierter Managementstil nicht direkt

zu einer Verbesserung der Qualität und

Kundenzufriedenheit führt, sondern eine

indirekte Wirkung über den Mitarbeiter

festzustellen ist. Hohe Qualität im

Customer Interaction-Center lässt sich im

Ergebnis nur über zufriedene und moti-

vierte Mitarbeiter erreichen, hierbei kann

ein mitarbeiterorientierter Führungsstil

einen wesentlichen Beitrag leisten (vgl.

Kantsperger/Kunz 2005). Gerade hin-

sichtlich der Mitarbeiterzufriedenheit

besteht in den meisten Customer Inter-

action-Centern noch deutlicher Nach-

holbedarf. Die im Rahmen der Studie

befragten Mitarbeiter zeigen sich im

Durchschnitt deutlich unzufriedener als

die befragten Kunden, dementsprechend

ist in vielen Bereichen auch eine unbe-

friedigende Mitarbeiterbindung zu ver-

zeichnen. Einen Lichtblick bietet die

Branche Handel und Konsumgüter: So-

wohl die Mitarbeiter – als auch die

Kundenzufriedenheit fallen im Vergleich

zu den anderen Branchen deutlich besser

aus.

Literatur

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