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Kantsperger | Meyer Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Seite 26-30
26 4|2006
1. Zur steigenden Relevanzvon Customer Interaction-Centern
Die Bedeutung von Customer Inter-
action-Centern (CIC) ist in vielen
Branchen stark gewachsen. Customer
Interaction-Center stellen im Wesent-
lichen eine Weiterentwicklung von klas-
sischen Call-Centern dar, die neben dem
Telefon weitere Medien wie Internet,
E-Mail, Fax oder SMS in einer organisa-
torischen Einheit im Kontakt zum
Kunden bündeln (vgl. Meyer/Kants-
perger 2004). Trotz der zunehmenden
Multimedialität ist gerade in der Praxis
immer noch der Begriff Call-Center weit
verbreitet, so dass beide Begriffe im
Folgenden synonym verwendet werden.
Customer Interaction-Center sind im
Handel, und hier im Besonderen im Ver-
sandhandel, von besonderer Bedeutung,
da im Normalfall alle Informations-, Be-
ratungs-, Kauf- und Nachkaufprozesse
medial gestützt ablaufen.
Die Einrichtung multimedialer Inter-
action-Center ist in vielen Fällen eine
logische Reaktion auf die veränderten
Anforderungen der Kunden. Diese wol-
len zunehmend selbst bestimmen, wann
und über welchen Kanal sie mit ihrem
Unternehmen Kontakt aufnehmen
wollen bzw. welche Medien für eine
unternehmensseitige Ansprache ge-
wünscht sind. Weiter ist zu beobachten,
dass viele Kunden nicht mehr auf einen
Kanal festgelegt sind, sondern in ver-
schiedenen Phasen des Kauf- oder
Beziehungszyklus zwischen unterschied-
lichen Medien wechseln („Channel-
hopping“) (vgl. Schögel et al. 2002).
Hiermit sind für die Unternehmen
eine Reihe von Chancen und Risiken
verbunden. Gelingt es, alle Kommuni-
kationskanäle aufeinander abzustim-
men und informationstechnisch zu
integrieren, so können Interaction-
Center einen wichtigen Beitrag dazu
leisten, langfristige Kundenbeziehungen
aufzubauen und zu pflegen. In vielen
Fällen besteht die Möglichkeit,
Kundenbedürfnisse frühzeitig zu er-
kennen und proaktiv passende An-
gebote zu unterbreiten. Gleichzeitig
kommt es jedoch noch häufig vor, dass
an den Kontaktpunkten nicht die ge-
samte Kundenhistorie vorliegt und der
Mitarbeiter im Call-Center beispiels-
weise nicht weiß, dass der Kunde in
derselben Angelegenheit bereits meh-
rere Briefe oder E-Mails geschickt hat.
Das unter Gesichtspunkten des CRM
proklamierte Ziel einer hohen Bezie-
hungsqualität und eines „one face to the
customer“ wird dann häufig obsolet,
Verärgerung und Unzufriedenheit auf
Seiten der Kunden ist die logische Kon-
sequenz (vgl. Kantsperger/Wilkoszewski
2004).
In Ergänzung zu diesen effektivitäts-
orientierten Maßstäben müssen sich
Interaction-Center zunehmend auch an
effizienzorientierten Zielen wie Kosten
und dem Kundenwert messen lassen.
Während Call-Center früher mehr-
heitlich als reine Cost-Center geführt
wurden, ist mittlerweile eine Organi-
sationsform als Profit-Center üblich und
eine effizienzgetriebene Tendenz zum
Outsourcing an externe Dienstleister fest-
zustellen. Vor dem Hintergrund eines
wertorientierten Kundenmanagements
erscheint es zudem nicht zweckmäßig,
allen Kundengruppen ein identisches
Service- und Betreuungsniveau an-
zubieten. So ist es in vielen Branchen üb-
lich, dass profitable Kunden einen
höheren Servicelevel erhalten und bevor-
zugt beraten werden. Unter Gesichts-
punkten eines wertorientierten Channel-
Managements lässt sich die Wert-
haltigkeit einzelner Kunden zudem
erhöhen, indem diese auf kostengünstige
Medien umgelenkt werden und nur mir
werthaltigen Kunden über kostenintensi-
vere Kanäle kommuniziert wird. Lern-
theoretische Konzepte liefern hierzu
wichtige Anhaltspunkte (vgl. Kantsperger
2004).
Qualitatives Benchmarking von CustomerInteraction-Centern im Handel
Dr. Roland Kantsperger Wissenschaftlicher As-sistent am Institut fürMarketing an derLudwig-Maximilians-Uni-versität, München (D)
Prof. Dr. Anton Meyer Ordinarius für Betriebs-wirtschaftslehre und Vor-stand des Instituts fürMarketing an derLudwig-Maximilians-Uni-versität, München (D)
Die Bedeutung von Customer Interaction-Centern ist im Rahmen vonMehrkanalstrategien in den letzten Jahren stetig gewachsen. ImRahmen eines wertorientierten Channel-Managements stellt sich dieHerausforderung sowohl aus Kundensicht, überlegenen Kunden-nutzen zu generieren als auch aus der Perspektive der Unternehmengrößtmögliche Profitabilitätspotenziale zu realisieren. Ein umfas-sendes qualitatives und branchenübergreifendes Benchmarking kannhierzu wertvolle Ansatzpunkte liefern. Der Beitrag skizziert die Ent-wicklung eines Benchmarking-Instrumentariums für Customer Inter-action-Center, beschreibt dessen Anwendungsweise und präsentiertausgewählte empirische Ergebnisse aus der Branche „Handel undKonsumgüter“.
Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Kantsperger | Meyer
274|2006
2. Entwicklung des Bench-marking-Instrumentariums
Entscheidend für eine qualitativ hoch-
wertige und zugleich effiziente Leis-
tungserstellung des Customer Inter-
action-Centers ist ein systematisches
Benchmarking der eigenen Manage-
ment- und Leistungsprozesse. Der Be-
griff des Benchmarking wird häufig so
inflationär verwendet, dass oftmals gar
nicht klar wird, was sich dahinter wirk-
lich verbirgt. Im Kern meint Bench-
marking nichts anderes, als dass sich ein
Unternehmen mit seinen Produkten,
Prozessen und Geschäftspraktiken kon-
tinuierlich an den jeweils besten und
erfolgreichsten Unternehmen misst.
Zielsetzung ist dann, so genannte
„Benchmarks“ und „best practices“ zu
identifizieren, um hierauf basierend
einen kontinuierlichen Lern- und Ver-
besserungsprozess anhand der drei
Dimensionen Qualität, Zeit und Kosten
zu initiieren (vgl. Voss et al. 1997).
2.1 Internes, wettbewerbs-orientiertes und branchenüber-greifendes BenchmarkingHierbei lassen sich grundsätzlich drei
Arten des Benchmarking unterscheiden.
Von internem Benchmarking spricht
man, wenn Prozesse und Praktiken in-
nerhalb des eigenen Unternehmens
analysiert werden. Betreiber von Call-
Centern können ein internes Bench-
marking durchführen, sofern sie über
eine Mehrzahl von Centern verfügen, die
unterschiedliche Regionen, Kunden,
Produkte oder Marken betreuen. Auf-
grund der ausschließlichen Fokussierung
auf das eigene Unternehmen ist das Ver-
besserungspotenzial des internen Bench-
marking in der Regel begrenzt. Deutlich
weiter geht das wettbewerbsorientierte
Benchmarking, bei dem „best practices“
innerhalb der eigenen Branche als
Referenzpunkt angesetzt werden. Wett-
bewerbsorientiertes Benchmarking stößt
an seine Grenzen, wenn aufgrund des be-
stehenden Konkurrenzverhältnisses die
Kooperationsbereitschaft der Unter-
nehmen nur begrenzt vorhanden ist und
wenn andere Branchen hinsichtlich ihrer
Prozesse und Managementpraktiken
einen grundsätzlichen und häufig his-
torisch gewachsenen Vorsprung besitzen.
Fundamentale Verbesserungen lassen
sich daher häufig nur auf Basis eines
funktionalen oder generischen Bench-
marking erreichen, das einen branchen-
übergreifenden Ansatz wählt und im Be-
sonderen der Tatsache Rechnung trägt,
dass auch die Erwartungen der Kunden
zunehmend branchenübergreifend ent-
stehen (vgl. Meyer/Kantsperger 2005). So
wird beispielsweise ein Kunde kaum
akzeptieren, dass die Freundlichkeit,
Kompetenz oder Zuverlässigkeit in
einem Call-Center aus dem Versand-
handel schlechter ist als bei einem Ener-
gieversorger – auch wenn dieses inner-
halb der Branche noch ganz gut
abschneidet oder sogar Bestleistungen
erreicht.
2.2 Quantitatives Benchmarking aufBasis von KennzahlenEine weitere Unterscheidung bezieht sich
auf die Differenzierung zwischen
quantitativem und qualitativem Bench-
marking. Quantitatives Benchmarking
hat gerade bei Call-Centern eine lange
Tradition, da sich mit Hilfe der ACD-
und CTI-Technologie eine Reihe von
Kennzahlen auf Basis von Routineaus-
wertungen mühelos ausweisen lassen
(vgl. Cleveland et al. 2002). Als ein-
schlägige Kennzahlen sind hier beispiels-
weise die durchschnittliche Callzeit, die
Anzahl der Calls pro Stunde, die First
Call Solution-Rate oder die durchschnitt-
liche Nachbearbeitungsdauer zu nennen,
die einen klaren und gut nachvollzieh-
baren Bezug zu effizienzgerichteten
Zielsetzungen herstellen.
Daneben ist ein rein quantitatives
Benchmarking in hohem Maße kritisch
zu sehen. Zum einen sind die scheinbar
„harten“ Zahlen nicht oder nur mit Ein-
schränkungen über verschiedene Unter-
nehmen und Branchen vergleichbar. So
ist es naheliegend, dass komplexe
Beratungsleistungen in einem Call-
Center der Pharmabranche längere Zeit
in Anspruch nehmen als das Buchen
eines Fluges im Call-Center einer
Fluggesellschaft, oder dass die Nachbear-
beitungszeit eines Gesprächs mit einem
Key Account im Handel höher liegen
wird als nach einem Gespräch mit einem
C-Kunden. Wohlgemeinte Benchmar-
king-Bemühungen geraten so schnell zu
„Zahlenfriedhöfen“, die keinen nennens-
werten Informationsgehalt und Hand-
lungsbezug aufweisen. Ferner führt eine
einseitige Kennzahlenorientierung häufig
auch zu einem schwer auflösbaren Kon-
flikt zwischen Produktivität und Service-
qualität. Werden Mitarbeiter beispiels-
weise einseitig an der durchschnittlichen
Callzeit oder der Zahl der Calls pro
Stunde gemessen, so kann dies zur
schnellen und oberflächlichen Beant-
wortung von Anliegen, zur Vernach-
lässigung von Kundenbedürfnissen, zum
Verzicht auf Cross-Selling-Potenziale bis
hin zur subtilen Manipulation der ACD-
Anlage führen. Gefordert ist daher ein
qualitatives und branchenübergreifend
angelegtes Benchmarking, das im Be-
sonderen auch die weichen Faktoren
berücksichtigt, die letztlich erst heraus-
ragende Leistungen begründen und
branchenübergreifende Verbesserungs-
potenziale sichtbar machen (vgl. Meyer/
Kantsperger 2005).
2.3 Qualitatives Benchmarking aufBasis des modifizierten ISS-ModellsFür ein umfassendes Benchmarking des
Leistungs-, Prozess- und Qualitätsma-
nagements stellen wir im Folgenden das
im Dienstleistungsmanagement bereits
häufig erfolgreich angewandte ISS-
Modell vor, das auf Basis intensiver
Literaturrecherche, einer Reihe von Ex-
perteninterviews und eines Pretests an
die Spezifika der Call-Center-Branche
angepasst wurde (vgl. Voss et al. 1997; vgl.
Abb. 1). Unser Benchmarking-Ansatz ist
theoretisch und konzeptionell durch ver-
schiedene Ansätze der Dienstleistungs-
und Qualitätsforschung fundiert. Im
Einzelnen wurden Elemente der Service-
Profit-Chain (vgl. Heskett et al. 1994), des
SERVQUAL-Ansatzes (vgl. Parasuraman
et al. 1988), des European Quality Award
und des Malcolm Baldridge Award in-
tegriert. Der Ansatz eignet sich zum einen
für ein branchenübergreifendes Bench-
marking und ist zum anderen in der
Lage, konkrete Handlungsfelder zu er-
kennen und Managementimplikationen
für das Call-Center-Management ab-
zuleiten (s. Abschn. 3.3).
Unser Ansatz geht davon aus, dass ver-
schiedene Maßnahmen und Praktiken im
Rahmen des Call-Center-Managements
(Enabler) jeweils unterschiedliche qua-
Kantsperger | Meyer Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel
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litäts- und erfolgsrelevante Ergebnisse
(Results) nach sich ziehen. Manage-
mentmaßnahmen und hieraus resul-
tierende Ergebnisse beziehen sich in
unser Systematik jeweils auf die vier
Unterkategorien Organisation und
Unternehmenskultur, Leistungskonzept-
und -design, Leistungserstellung im
Customer Interaction-Center sowie Leis-
tungsnutzen und -messung. Die
einzelnen Untersuchungsbereiche wer-
den über verschiedene Fragestellungen
operationalisiert, die auf einer fünf-
stufigen Skala verankert sind. Hierbei re-
präsentiert „eins“ den jeweils schlech-
testen und „fünf“ den besten Wert. Ins-
gesamt umfasst das modifizierte
ISS-Modell 66 Items (vgl. Meyer/Kants-
perger 2005).
2.4 Kennzahlen des zugrundeliegenden Benchmarking-ModellsDie Ergebnisse des Benchmarking werden
mittels drei zentraler Kennzahlen ver-
dichtet (vgl. Abb. 2). Der Overall Service
Practice-Index verdichtet die Ein-
stufungen der Erfolgsfaktoren (Enabler)
der vier Untersuchungsbereiche. Der Wert
20 ist das schlechtmöglichste Resultat,
während der Wert 100 das theoretisch bes-
te Ergebnis im Sinne eines vollständigen
Erfüllungsgrades darstellt. Demgegenüber
beinhaltet der Overall Service Per-
formance-Index die Einstufungen der
Ergebnisse (Results) aller vier Unter-
suchungsbereiche. Auch hier stellt der
Wert 20 den schlechtesten und ein Wert
von 100 das höchstmögliche Ergebnis dar.
Als Durchschnitt dieser beiden Werte ist
der Overall Service Score die Kennzahl mit
dem höchsten Aggregationsgrad.
Daneben ist es sinnvoll, die einzelnen
Indizes auch jeweils auf Ebene der
einzelnen Unterkategorien zu berechnen.
Hierdurch kann detailliert beurteilt
werden, wie das eigene Interaction-Center
im Vergleich zu den einzelnen Gebieten
und im Vergleich zu anderen Unter-
nehmen abschneidet und wo sich folglich
der größte Handlungs- und Ver-
änderungsbedarf abzeichnet. Auf Basis
einer weiterführenden Analyse der
einzelnen Fragestellungen innerhalb der
vier Untersuchungsgebiete ist es ferner
möglich, dezidierte Maßnahmen und
Managementimplikationen abzuleiten, die
sich gleichzeitig an Best Practices anderer
Call-Center orientieren. Im Zuge dieses
qualitativen Analyseprozesses werden die
Kennzahlen somit zum Sprechen gebracht
(siehe beispielhaft Abschn. 3.3)
Abb. 1: ISS-Modell zur Erhebung der Managementperspektive
Quelle: In Anlehnung an Voss et. al.1997, S. 20.
Abb. 2: Berechnung und Zusammensetzung der zentralen Indices
Quelle: Meyer/Kantsperger 2005, S. 26.
Erfo
lgsf
akto
ren
/En
able
rOrganisation & Kultur Leistungskonzept & -design Leistungserstellung im CIC Leistungsnutzen & -messung
Geschäftserfolg
Rückkoppelung
Unternehmensführung
Dienstleistungskultur
Mitarbeiterführung
Mitarbeiter-loyalität & -moral
Dienstleistungs-effektivität
Dienstleistungs-qualität
Kundenzufriedenheit
Kundenloyalität & -bindung
Verständnis für Kunden
Dienstleistungsgestaltung
Dienstleistungsprozesse
Qualitätsmanagement
Wiedergutmachung von Fehlern
Flexibilität
Kosten & Nutzen
Dienstleistungsstandards
Leistungsmessung
Erge
bnis
se /
Resu
lts
50%Overall Service Score(arithm. Mittel aus Overall Service Practice und Performance Index)
Overall Service Practice-Index
Enabler(Erfolgsfaktoren)
Overall Service Performance-Index
Results(Ergebnisse)
16 Items
8 Items
12 Items
11 Items
4 Unterkategorien (UK 1-4)
1. Organisation &Unternehmenskultur
2. Leistungskonzept und -design
3. Leistungserstellung im CIC
4. Leistungsnutzen & -messung
50%
16 Items
8 Items
12 Items
11 Items
Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel Kantsperger | Meyer
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3. Anwendung des Bench-marking-Instrumentariums undausgewählte Ergebnisse
Das vorliegende Benchmarking-Modell
wurde im Rahmen eines dreijährigen
Forschungsprojektes des deutschen
Bundesministeriums für Bildung und
Forschung (BMBF) entwickelt und in
insgesamt 58 Customer Interaction-
Centern zum Einsatz gebracht. Im
Folgenden werden kurz die grund-
sätzliche Anwendungsweise des
Benchmarking-Instrumentariums be-
schrieben, einige allgemeine branchen-
übergreifende Ergebnisse vorgestellt
sowie ausgewählte Ergebnisse aus der
Branche Handel und Konsumgüter
präsentiert.
3.1 Grundsätzliche Anwendungs-weiseDas Benchmarking wurde im Rahmen des
Forschungsprojektes in Form von drei- bis
fünfstündigen Interviews durchgeführt
und umfasste neben den 66 Fragen der
vier Untersuchungsbereiche weitere 25
Items eines ergänzenden und quantitativ
ausgerichteten Teils B. Die Befragungen
wurden ausschließlich durch ein bis zwei
diplomierte wissenschaftliche Mitarbeiter
durchgeführt. Befragt wurden grund-
sätzlich nur Personen, die in der Lage
waren, sämtliche Prozesse und Leistungen
des Customer Interaction-Centers um-
fassend zu beurteilen. Hierbei handelte es
sich jeweils um das geschäftsführende
Management, in einzelnen Fällen zu-
sätzlich um einen Qualitätsbeauftragten
des Unternehmens.
Alle Items wurden im Rahmen der
Befragung umfassend diskutiert, um eine
jeweils fundierte Einstufung zu gewähr-
leisten. Hierzu wurde ein ca. 60-seitiger
Interviewleitfaden erarbeitet, der
detailliertes Nachfragen ermöglicht, eine
entsprechende Genauigkeit der Ein-
stufungen sicherstellt und so eine hohe
Objektivität und Durchführungsrelia-
bilität gewährleistet. Aufgrund des frei
zugänglichen Fragebogens und Inter-
viewleitfadens ist das modifizierte ISS-
Modell zudem in besonderem Maße
geeignet, eine umfassende Bestands-
aufnahme und Selbsteinschätzung des ei-
genen Unternehmens durchzuführen.
3.2 Branchenübergreifendeempirische ErgebnisseInsgesamt haben die teilnehmenden
Customer Interaction-Center im Rahmen
des Benchmarking gut abgeschnitten. Die
58 untersuchten Unternehmen erzielten
hinsichtlich des Overall Service Practice-
Index und hinsichtlich des Overall Service
Performance-Index jeweils einen Durch-
schnittswert von 80 Punkten. Im Ver-
gleich zwischen den einzelnen Branchen
ergeben sich kaum größere Unterschiede.
Dies ändert sich, sobald man innerhalb
einer Branche oder sogar branchenüber-
greifend die besten und führenden
Customer Interaction-Center mit den
Nachzüglern vergleicht. Hier ergeben sich
sowohl auf der Ebene der vier Unter-
suchungskategorien als auch auf Basis
der globalen Indizes Unterschiede von
über 30 bis hin zu 40 Punkten, wodurch
große Unterschiede bezüglich eines pro-
fessionellen Prozess- und Qualitäts-
managements zwischen den jeweiligen
Call-Centern angezeigt werden.
3.3 Empirische Ergebnisse aus derBranche Handel und KonsumgüterIm Folgenden werden ausgewählte
Ergebnisse aus der Branche Handel und
Konsumgüter mit acht teilnehmenden
Customer Interaction-Centern vor-
gestellt. Hierbei werden auf der Seite der
Erfolgsfaktoren bzw. Enabler die Resul-
tate, unterteilt nach den jeweiligen
Unterkategorien, vorgestellt und kom-
mentiert. Abbildung 3 zeigt neben dem
durchschnittlichen Branchenwert die
branchenspezifischen Durchschnittswer-
te nach Untersuchungsfeldern sowie die
jeweiligen Spannweiten.
Hierbei zeigt sich, dass die Branche
Handel und Konsumgüter im Unter-
suchungsgebiet Zwei „Leistungskon-
zeption und -gestaltung“ unterdurch-
schnittlich abschneidet und hier auch
die größte Spannweite zwischen dem
besten und schlechtesten Unternehmen
anzutreffen ist. Eine genauere Analyse
zeigt, dass in einigen Interaction-
Centern den Mitarbeitern die Positio-
nierung des eigenen Unternehmens
hinsichtlich Leistungsprogramm, Image,
Preisniveau oder werblicher Maß-
nahmen kaum bekannt ist, und dass
neue Prozesse und Leistungen häufig
ohne hinreichende Integration der
Bedürfnisse und Wünsche des Kunden
entwickelt werden. Auch hinsichtlich der
Anwendung moderner IuK-Technologie
im Sinne einer vollständigen Daten-
integration sowie hinsichtlich der Im-
plementierung eines fortschrittlichen
Kapazitätsmanagements zeigen sich in
der Branche Handel und Konsumgüter
teils noch erhebliche Unterschiede und
Defizite.
Die eben skizzierte Detailanalyse kann
analog auf weitere Untersuchungsgebiete
ausgedehnt werden. So zeigt sich beispiels-
weise auch im Untersuchungsgebiet Vier
„Dienstleistungsnutzen und -messung“
Abb. 3: Enabler-Vergleich Branche „Handel und Konsumgüter“
100
90
80
70
60
50
40
Organisation & Unternehmenskultur
Leistungskon-zeption/-gestaltung
Leistungser-stellung im CIC
Dienstleistungs-nutzen u. Messung
1 2 3 4
Spannweite Enabler
Branchendurchschnitt jeUnterkategorie (1-4)[Enabler]
89
68
79
95
48
71
95
63
81
93
58
78
Branchenscore Enabler = 77
Kantsperger | Meyer Qualitatives Benchmarking von Customer Interaction-Centern im Handel
30 4|2006
ein relativ großer Unterschied zwischen
bestem Unternehmen (93 Punkte) und
dem jeweiligen Schlusslicht (58 Punkte).
Eine vertiefte Analyse zeigt hier, dass bei
den zurückliegenden Unternehmen kaum
Leistungsstandards implementiert sind,
kein ausreichender Bezug zu Kunden-
bedürfnissen hergestellt wird und die vor-
handenen Standards kaum als „gesunde
Herausforderung“ zur Verbesserung der
eigenen Leistungsfähigkeit dienen kön-
nen.
Eine analoge Vorgehensweise ist auch
für die Untersuchungsbereiche Eins und
Drei zweckmäßig. Der Bereich Organi-
sation und Unternehmenskultur adres-
siert beispielsweise, ob ein geteiltes
Unternehmensleitbild vorhanden ist, ob
alle Mitarbeiter eine umfassende Quali-
täts- und Kundenorientierung verinner-
licht haben und ob die Mitarbeiter ein
regelmäßiges und systematisches Feed-
back und Coaching sowie umfassende
und individuelle Schulungs- und
Trainingsmaßnahmen erhalten. Der Be-
reich „Leistungserstellung im Customer
Interaction-Center“ untersucht im Be-
sonderen, ob seitens des Managements
umfassende Qualitätsmanagementmaß-
nahmen initiiert werden, ob ein
systematisches Beschwerdemanagement
implementiert ist oder ob die Mitarbeiter
über ausreichende Befugnisse und Kom-
petenzen verfügen, um auch auf unvor-
hergesehene Zwischenfälle angemessen
reagieren zu können. Im Ergebnis lassen
sich auch in diesen Bereichen grobe
Unterschiede zwischen den Unter-
nehmen feststellen, die in der Branche
Handel und Konsumgüter allerdings
nicht so deutlich wie in den anderen
Untersuchungsgebieten ausfallen.
4. Fazit und ein Ausblick auf weitere Untersuchungsgebiete
Wir haben in diesem Beitrag mit
unserem qualitativen Benchmarking-
Modell einen unseres Erachtens sehr leis-
tungsfähigen und umfassenden Ansatz
zum Benchmarking von Customer Inter-
action-Centern vorgestellt und schlag-
lichtartig ausgewählte empirische Ergeb-
nisse aus der Branche Handel und
Konsumgüter vorgestellt. Viele der aus
dem Benchmarking ableitbaren Verbes-
serungsmaßnahmen würden zwar zu
einer Verbesserung der Qualität und
Kundenzufriedenheit führen, sind jedoch
aus der Perspektive eines wertorientierten
Kanal-Managements kritisch zu hinter-
fragen. Folglich muss das Management
auch unter Effizienzgesichtspunkten ent-
scheiden, welche Kanäle mit welchem
Service- und Ausstattungsgrad den
jeweiligen Kunden angeboten werden.
Eingangs erwähnte, wertorientierte Seg-
mentierungsansätze können hierzu eine
wichtige Hilfestellung leisten.
Da unser Benchmarking-Ansatz auf
die Perspektive des Managements fokus-
siert, werden weitere relevante Ziel-
gruppen wie Mitarbeiter und Kunden
zunächst nicht berücksichtigt. Wir favo-
risieren daher ein 360-Grad-Bench-
marking, das neben der Ebene des Ma-
nagements zusätzlich die Sicht der
Mitarbeiter und Endkunden integriert
(vgl. Meyer/Kantsperger 2005). Dement-
sprechend wurden im Rahmen des zu-
grunde liegenden Forschungsprojektes
auch über 1.500 Mitarbeiter und 3.000
Kunden auf Basis umfangreicher Pri-
märerhebungen befragt. Hierdurch ist es
möglich, einer einseitigen Sichtweise
vorzubeugen, Lücken zwischen den
einzelnen Perspektiven aufzudecken und
prägnante Empfehlungen abzuleiten.
So konnte beispielsweise gezeigt
werden, dass ein kunden- und qualitäts-
orientierter Managementstil nicht direkt
zu einer Verbesserung der Qualität und
Kundenzufriedenheit führt, sondern eine
indirekte Wirkung über den Mitarbeiter
festzustellen ist. Hohe Qualität im
Customer Interaction-Center lässt sich im
Ergebnis nur über zufriedene und moti-
vierte Mitarbeiter erreichen, hierbei kann
ein mitarbeiterorientierter Führungsstil
einen wesentlichen Beitrag leisten (vgl.
Kantsperger/Kunz 2005). Gerade hin-
sichtlich der Mitarbeiterzufriedenheit
besteht in den meisten Customer Inter-
action-Centern noch deutlicher Nach-
holbedarf. Die im Rahmen der Studie
befragten Mitarbeiter zeigen sich im
Durchschnitt deutlich unzufriedener als
die befragten Kunden, dementsprechend
ist in vielen Bereichen auch eine unbe-
friedigende Mitarbeiterbindung zu ver-
zeichnen. Einen Lichtblick bietet die
Branche Handel und Konsumgüter: So-
wohl die Mitarbeiter – als auch die
Kundenzufriedenheit fallen im Vergleich
zu den anderen Branchen deutlich besser
aus.
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