5
Qualit¨ atssicherung von Open-Access -Publikationen – ein Problem? Frank Havemann Institut f¨ ur Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universit¨ at zu Berlin Vortrag am 15. November 2006 * Zusammenfassung Weil es m¨ oglich geworden ist, Dokumente in elektronischer Form sehr schnell und billig ¨ uber das Internet zu verteilen, kommunizie- ren Forscher ihre Ergebnisse immer mehr vor und unabh¨ angig von einer Publikation in ei- nem Journal mit peer review, indem sie sie im Netz frei zug¨ anglich machen. Kritiker von Open Access mahnen die dabei fehlende Qua- lit¨ atskontrolle an. Es wird er¨ ortert, inwieweit das tats¨ achlich ein Problem ist und welche neue oglichkeiten sich durch Open Access ur die Qualit¨ atskontrolle bei wissenschaftlichen Publi- kationen ergeben. Dem Netz entspricht Open Access Freier und ungehinderter Zugang zu wissen- schaftlichem Wissen ist noch in allen Bibliothe- ken realisiert, welche keine Benutzungsgeb¨ uhren erheben 1 – die Open-Access -Bewegung hat be- wirkt, dass heute viele wissenschaftliche Doku- mente frei ¨ uber das Internet zug¨ anglich sind. So erlebt das alte, mittlerweile bei manchen in Ver- ruf geratene Ideal des kostenlosen Zugangs zu Bildungsg¨ utern eine Wiederbelebung. Weil das Kopieren von Dateien quasi kosten- frei ist, m¨ ussen gewinnorientierte Verlage heute komplizierte Mechanismen erfinden, um Infor- mation k¨ unstlich zu verknappen. Die Alterna- tive sind Open-Access -Gesch¨ aftsmodelle, die die Kosten hereinbringen, aber wohl nicht so hohe Renditen erm¨ oglichen, wie sie die Marktf¨ uhrer bei wissenschaftlichen Zeitschriften derzeit ein- fahren, sonst w¨ urden sie breiter angewendet. * auf der Fachtagung zum Thema Qualit¨atssicherung und Evaluation von Forschung und Lehre im Bologna- Prozess am Zentrum ur Evaluation und Methoden (ZEM) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universit¨ at Bonn 1 “Within the last twenty years, almost 50% of public libraries in Germany have introduced user fees.“ Locher (2005). Die Verlagslobby verweist auf den hohen Auf- wand, den die Qualit¨ atssicherung f¨ ur Zeitschrif- tenaufs¨ atze mittels peer review verursache, um die starken Preissteigerungen bei wissenschaft- lichen Journalen zu begr¨ unden. Um dieses Ar- gument zu entkr¨ aften, ließe sich zweierlei ein- wenden. Erstens gibt es Open-Access -Journale mit peer review und hoher Qualit¨ at der Artikel. Zweitens z¨ ahlt f¨ ur die Forscher in einem Fach- gebiet fast immer die Geschwindigkeit der Kom- munikation mehr als das Ergebnis der Begutach- tung durch zwei, drei Fachkollegen. Diese kann nach der Kommunikation ¨ uber das Netz bei der Publikation in einer Zeitschrift erfolgen. Beschleunigung der Kommunikation Empirisch wird letzteres durch das Funktio- nieren des arXiv belegt, jenem ¨ uber das Netz abgreifbare Repositorium elektronischer Publikationen, das anfangs vor allem von den Elementarteilchen-Physikern genutzt wur- de, heute auch von vielen anderen Wissenschaft- lern. Sie erfahren durch die dort ohne Qua- lit¨ atskontrolle eingestellten Eprints im Schnitt sieben Monate vor der Journalpublikation von den Ergebnissen ihrer Kollegen. Das ergab ei- ne kleine Studie, die ich zusammen mit Stu- dierenden an einer Auswahl von in anderthalb Jahrg¨ angen von Physical Review D publizier- ten Artikeln zur theoretischen Hochenergiephy- sik durchf¨ uhrte (Havemann 2004). Interessanterweise wurde dieser Zeitgewinn auch sofort in der Forschung genutzt. Das l¨ asst sich daran ablesen, dass drei Viertel der unter- suchten Eprints bereits von anderen Autoren in deren Eprints zitiert worden waren, bevor sie in Physical Review D erschienen. Wenn auch die- ses Verhalten nicht unbedingt auf andere Fach- gebiete ¨ ubertragbar sein d¨ urfte, so haben doch offenbar die theoretischen Elementarteilchen- Physiker keine Scheu, Ergebnisse ihrer Kollegen zu verwenden oder zumindest in ihren Aufs¨ atzen 1

Qualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein ... fileQualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein Problem? Frank Havemann Institut f¨ur Bibliotheks- und

  • Upload
    vanthu

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Qualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein ... fileQualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein Problem? Frank Havemann Institut f¨ur Bibliotheks- und

Qualitatssicherung

von Open-Access-Publikationen – ein Problem?

Frank HavemannInstitut fur Bibliotheks- und Informationswissenschaft

der Humboldt-Universitat zu Berlin

Vortrag am 15. November 2006∗

Zusammenfassung

Weil es moglich geworden ist, Dokumente inelektronischer Form sehr schnell und billiguber das Internet zu verteilen, kommunizie-ren Forscher ihre Ergebnisse immer mehr vorund unabhangig von einer Publikation in ei-nem Journal mit peer review, indem sie sieim Netz frei zuganglich machen. Kritiker vonOpen Access mahnen die dabei fehlende Qua-litatskontrolle an. Es wird erortert, inwieweitdas tatsachlich ein Problem ist und welche neueMoglichkeiten sich durch Open Access fur dieQualitatskontrolle bei wissenschaftlichen Publi-kationen ergeben.

Dem Netz entsprichtOpen Access

Freier und ungehinderter Zugang zu wissen-schaftlichem Wissen ist noch in allen Bibliothe-ken realisiert, welche keine Benutzungsgebuhrenerheben1 – die Open-Access-Bewegung hat be-wirkt, dass heute viele wissenschaftliche Doku-mente frei uber das Internet zuganglich sind. Soerlebt das alte, mittlerweile bei manchen in Ver-ruf geratene Ideal des kostenlosen Zugangs zuBildungsgutern eine Wiederbelebung.

Weil das Kopieren von Dateien quasi kosten-frei ist, mussen gewinnorientierte Verlage heutekomplizierte Mechanismen erfinden, um Infor-mation kunstlich zu verknappen. Die Alterna-tive sind Open-Access-Geschaftsmodelle, die dieKosten hereinbringen, aber wohl nicht so hoheRenditen ermoglichen, wie sie die Marktfuhrerbei wissenschaftlichen Zeitschriften derzeit ein-fahren, sonst wurden sie breiter angewendet.

∗auf der Fachtagung zum Thema Qualitatssicherungund Evaluation von Forschung und Lehre im Bologna-Prozess am Zentrum fur Evaluation und Methoden(ZEM) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-UniversitatBonn

1“Within the last twenty years, almost 50% of publiclibraries in Germany have introduced user fees.“ Locher(2005).

Die Verlagslobby verweist auf den hohen Auf-wand, den die Qualitatssicherung fur Zeitschrif-tenaufsatze mittels peer review verursache, umdie starken Preissteigerungen bei wissenschaft-lichen Journalen zu begrunden. Um dieses Ar-gument zu entkraften, ließe sich zweierlei ein-wenden. Erstens gibt es Open-Access-Journalemit peer review und hoher Qualitat der Artikel.Zweitens zahlt fur die Forscher in einem Fach-gebiet fast immer die Geschwindigkeit der Kom-munikation mehr als das Ergebnis der Begutach-tung durch zwei, drei Fachkollegen. Diese kannnach der Kommunikation uber das Netz bei derPublikation in einer Zeitschrift erfolgen.

Beschleunigungder Kommunikation

Empirisch wird letzteres durch das Funktio-nieren des arXiv belegt, jenem uber dasNetz abgreifbare Repositorium elektronischerPublikationen, das anfangs vor allem vonden Elementarteilchen-Physikern genutzt wur-de, heute auch von vielen anderen Wissenschaft-lern. Sie erfahren durch die dort ohne Qua-litatskontrolle eingestellten Eprints im Schnittsieben Monate vor der Journalpublikation vonden Ergebnissen ihrer Kollegen. Das ergab ei-ne kleine Studie, die ich zusammen mit Stu-dierenden an einer Auswahl von in anderthalbJahrgangen von Physical Review D publizier-ten Artikeln zur theoretischen Hochenergiephy-sik durchfuhrte (Havemann 2004).

Interessanterweise wurde dieser Zeitgewinnauch sofort in der Forschung genutzt. Das lasstsich daran ablesen, dass drei Viertel der unter-suchten Eprints bereits von anderen Autoren inderen Eprints zitiert worden waren, bevor sie inPhysical Review D erschienen. Wenn auch die-ses Verhalten nicht unbedingt auf andere Fach-gebiete ubertragbar sein durfte, so haben dochoffenbar die theoretischen Elementarteilchen-Physiker keine Scheu, Ergebnisse ihrer Kollegenzu verwenden oder zumindest in ihren Aufsatzen

1

Page 2: Qualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein ... fileQualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein Problem? Frank Havemann Institut f¨ur Bibliotheks- und

zu diskutieren, bevor das Ergebnis des peer re-view durch die Veroffentlichung in der Zeitschriftbekannt wird.

Nun wird gesagt, die scientific commu-nity der Elementarteilchen-Theoretiker seiuberschaubar, so dass sehr haufig mindestenseiner der Autoren eines Eprints dem Leser furdie Qualitat des Textes und der darin mitge-teilten Ergebnisse burgt. Dieses Argument lasstsich jedoch auf viele andere Fachgemeinschaftenubertragen. Wenn sie zu groß werden, zerfallensie in spezialisierte Untergruppen. Neulinge ineinem Gebiet publizieren oft zusammen mitrenommierten Forschern. Auch die Reputa-tion der Forschungseinrichtung konnte LeserQualitat vermuten lassen.

Zitationsindikatoren

Die Situation des Lesers andert sich, wenn er Er-gebnisse fremder Spezialgebiete verwenden will.Dort sind ihm Autoren und Institutionen nichtso bekannt wie im eigenen Gebiet. Die Publikati-on in einer renommierten Zeitschrift ist dann einerster Hinweis, dass er dem Inhalt des Aufsatzestrauen kann.

Oft gelangen Resultate und Methoden in an-deren Fachgebieten erst zur Anwendung, wennsie sich im Gebiet ihrer Entstehung selbstgenugend bewahrt haben. Dies außert sich auchfur Außenstehende direkt in der Zahl der Zitie-rungen der entsprechenden Publikationen. Wel-che natur- und technikwissenschaftliche Publi-kation wie oft und von wem zitiert wurde, istseit den 1960er Jahren im von Eugene Garfieldgeschaffenen Science Citation Index nachschlag-bar.

Heute gibt es im wesentlichen drei uber dasNetz zugangliche fachubergreifende Zitations-dienste. Neben den beiden kostenpflichtigen,namlich dem Web of Science von ThomsonScientific und Scopus von Elsevier, steht demLeser Google Scholar zur Verfugung, das alle on-line auffindbaren wissenschaftlichen Publikatio-nen erfasst und deren Referenzenlisten auswer-tet, um Zitationsbeziehungen als Hyperlinks be-reitzustellen.

Uber Google Scholar findet man sehr baldnach dem Hineinstellen ins Netz auch alle Open-Access-Publikationen. In ihnen zitierte Quellenwerden dadurch ebenfalls sichtbar, unabhangigdavon, ob sie selber online verfugbar sind.Hauptmangel dieses Zitationsdienstes ist dienoch relativ hohe Rate an nicht korrekt er-fassten bibliographischen Daten (inklusive derder zitierten Referenzen). Sie werden offenbaruberwiegend automatisch aus den Dokumentenextrahiert und nicht redaktionell bearbeitet.

Die Online-Zitationsdienste CiteSeer und Ci-tebase arbeiten ahnlich wie Google Scholar, sindjedoch fachlich nicht so breit. Citebase zielt auffachubergreifende Erfassung aller Open-Access-Artikel, befindet sich aber noch in der Entwick-lungsphase.

Allen genannten Zitationsdiensten gemeinsamist, dass neben den reinen Zitationszahlen bisherkeine weiteren Zitationsindikatoren von Publika-tionen sichtbar sind.

Was fur Indikatoren sind hier denkbar undwozu waren sie gut? Der Zweck ware, die Nut-zung von Resultaten und Methoden, die in denAufsatzen publik gemacht wurden, besser ver-gleichen zu konnen.

Zuallererst kann man hier an den Vergleichvon Aufsatzen verschiedenen Alters denken.Altere Publikationen haben eine großere Chan-ce, von anderen bereits wahrgenommen und zi-tiert worden zu sein. Aber auch die Aktualitatder Zitierung ist von Interesse. Ein hochzitierterAufsatz kann sich durch einen neueren, besse-ren als uberholt herausstellen und in Vergessen-heit geraten. Ein Zitationsindikator, der sowohldas Alter der zitierten als auch der zitierendenArbeiten einbezieht, wurde den Leser mittels ei-ner aggregierten Zahl eine Information uber denaktuellen Gebrauch der zitierten Ergebnisse ge-ben. Zur Alterung von Literatur gibt es eine Rei-he von bibliometrischen Untersuchungen, derenErgebnisse in die Konstruktion eines solchen In-dikators einfließen sollten.

Denkbar ist auch, einen Indikator zu konstru-ieren, in dem die Zitierung durch selber hoch-zitierte Artikel hoher bewertet wird als durchwenig oder gar nicht zitierte. Damit kame hierein altes Prinzip aus der sozialen Netzwerkana-lyse zur Anwendung, das Bibliometriker schonin den siebziger Jahren auf Journale angewen-det haben, und dessen Implementierung im Pa-gerank wohl der Hauptgrund fur Googles Erfolggewesen ist (Wasserman and Faust 1994; Pin-ski and Narin 1976; Geller 1978; Brin and Page1998).

Die Bedeutung aggregierter Indikatoren er-schließt sich jedoch nicht unmittelbar, beson-ders dann nicht, wenn sie neu sind. Auch kom-men hier die verschiedenen Zitiergewohnheitenin den Fachgebieten ins Spiel. Sozial- und gei-steswissenschaftliche Artikel werden im Mittelweitaus weniger zitiert als z.B. biomedizinische.Das heißt jedoch keineswegs, dass letztere bes-ser als erstere sind. Mittlere Zitierraten werdenunmittelbar durch die mittlere Zahl der zitiertenReferenzen pro Aufsatz und durch die Große desFachgebietes bestimmt.

Die Losung des Problems kann nur darin be-stehen, dass man die Zitierungszahl und jedendenkbaren Zitationsindikator fur einen Aufsatz

2

Page 3: Qualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein ... fileQualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein Problem? Frank Havemann Institut f¨ur Bibliotheks- und

mit denen von fachlich benachbarten Aufsatzenvergleicht.

Die fachlich benachbarten Aufsatze eines re-levanten Artikels sind fur den Nutzer einer bi-bliographischen Datenbank sowieso von Inter-esse und werden von den genannten Zitations-diensten auch bereitgestellt. Dabei kommt vorallem die seit langem in der Bibliometrie be-kannte Methode der bibliographischen Kopp-lung zur Anwendung. Diese Kopplung von zweiArtikeln wird durch die Schnittmenge der bei-den Referenzenlisten definiert. Ist die Schnitt-menge leer, sind die Artikel ungekoppelt, tauchtaber die gleiche zitierte Quelle in beiden Listenauf, spricht man von bibliographischer Kopp-lung (Kessler 1963).

Die Rezeption eines Artikels kann bei Cite-Seer und Citebase anhand eines Diagramms derZeitreihe der Zitationszahlen nachverfolgt wer-den.2 Auch dies ist eine brauchbare Methode,dem Nutzer der Datenbank die Bedeutsamkeitdes Werkes und seiner Autoren zu veranschau-lichen. Beide Zitationsdienste geben auch Linkszu Datenbankeintragen, die zusammen mit demgerade angezeigten Artikel zitiert worden sind.Auch diese Methode, fachliche Nahe von Publi-kationen herauszufinden, kennt man schon lan-ge in der Bibliometrie, und zwar unter demNamen Kozitationsanalyse (Marshakova 1973;Small 1973).

Resumierend kann gesagt werden, dass in derBibliometrie bekannte Konzepte fur die Ent-wicklung zitationsbasierter Nutzungsindikato-ren fur Dokumente noch starker zur Anwendungkommen konnen. Dadurch erhalten die Leser,insbesondere die von Open-Access-Dokumenten,ein Hilfsmittel an die Hand, die Bedeutsamkeitder im Dokument dargestellten Ergebnisse ein-zuschatzen, das aussagekraftiger ist als der be-kannte Journal-Impact-Faktor. Mit ihm kann dieZitierrate einer im jeweiligen Journal publizier-ten Arbeit nicht vorhergesagt werden.

Download-Zahlen

Neben den zitationsbasierten Nutzungsindikato-ren sind fur Open-Access-Dokumente auch sol-che denkbar und bereits in Citebase realisiert,die auf Download -Zahlen beruhen. Hier bestehtdas Problem der Manipulation. Citebase ver-sucht dieser Gefahr entgegenzuwirken, indem diegeographische und institutionelle Verteilung derRechner, auf die heruntergeladen wurde, ange-zeigt wird.

Ein weiteres Problem ist das der Versio-nen von Open-Access-Dokumenten, die auf ver-

2Bei Scopus und dem Web of Science kann man sichmit etwas Aufwand ebenfalls Zeitreihen von Zitations-zahlen anzeigen lassen.

schiedenen Servern bereitgestellt werden. EineDownload -Statistik ist naturlich umso aussage-kraftiger, je mehr Server einbezogen werden. Einmoglichst vollstandiges Netz von institutionel-len und Fachgebiets-Repositorien fur online freizugangliche Dokumente wird diesem Ziel dien-lich sein.

Open Peer Review

Download -Statistiken sind auch bei nicht freizuganglichen Online-Journalen moglich, die offe-ne Begutachtung von Artikeln kann ausschließ-lich bei Open-Access-Journalen erfolgen. Furdiese neue Moglichkeit der Qualitatssicherungbei Publikationen gibt es verschiedene Model-le (Kolbel 2003; Mizzaro 2003; Poschl 2004;Rodriguez et al. 2006). Das von Ulrich Poschlwird seit Jahren erfolgreich bei der von ihm mitherausgegebenen Open-Access-Zeitschrift Atmo-spheric Chemistry and Physics praktisch ange-wendet.3 Alle eingereichten Arbeiten, die vonden Herausgebern als potenziell relevant ange-sehen werden, sind sofort als Diskussionspapieruber das Netz frei zuganglich. Uber eine festeZeitspanne von einigen Wochen kann jeder einenebenfalls frei zuganglichen Kommentar dazu ver-fassen, die bestellten Gutachter mussen dies tun,wobei sie anonym bleiben konnen, wenn sie eswunschen. Am Ende wird entschieden, ob derArtikel, ungeandert oder revidiert, ins Journalaufgenommen wird. Die Diskussion bleibt on-line. Haupteffekt ist neben der Beschleunigungder Kommunikation, dass die Qualitat der ein-gereichten Arbeiten steigt, weil die Autoren ver-meiden wollen, dass sie offentlich kritisiert wer-den. Das verringert den Aufwand (und damitdie Kosten) fur den Peer-Review -Prozess. Atmo-spheric Chemistry and Physics ist seit 2001 imWeb of Science erfasst und hat bis jetzt jedesJahr die Zahl der Artikel erhoht (auf uber 260im Jahr 2006), genauso wie die Zahl der Zitie-rungen und den Impact-Faktor, und ist jetzt dieZeitschrift mit dem hochsten Impact-Faktor inder Kategorie METEOROLOGY & ATMO-SPHERIC SCIENCE, die insgesamt 47 Jour-nale umfasst.

Eines der fruhesten Beispiele fur Open PeerReview ist allerdings die Zeitschrift ElectronicTransactions on Artificial Intelligence, derenModell dem von Poschl ahnelt.4

3s.a. den Beitrag von Thomas Koop und Ul-rich Poschl zur Debatte in Nature: An open, two-stage peer-review journal. doi:10.1038/nature04988,http://www.nature.com / nature / peerreview / deba-te

4s. http://www.etaij.org, und den Beitrag von ErikSandewall zur Debatte in Nature: Opening up the pro-cess. doi:10.1038/nature04994, http://www.nature.com/ nature / peerreview / debate

3

Page 4: Qualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein ... fileQualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein Problem? Frank Havemann Institut f¨ur Bibliotheks- und

Das Modell von Matthias Kolbel (2003) nutztuberdies das oben erwahnte Prinzip aus der so-zialen Netzwerkanalyse: die Bewertung durchGutachter wird mit der Bewertung ihrer eigenenArtikel gewichtet. Marko A. Rodriguez, JohanBollen und Herbert Van de Sompel (2006) ha-ben ebenfalls ein Modell vorgeschlagen, das Er-kenntnisse der sozialen Netzwerkanalyse fur dieWichtung der Urteile aber auch fur das Findengeeigneter Gutachter nutzt.

Fazit und Ausblick

Man kann sich fragen, warum die Hochenergie-physiker noch in Zeitschriften publizieren, wodoch die meisten ihrer Artikel schon vorher imarXiv nachlesbar sind. Die Antwort ist bekannt:das hat nichts mit der Wissenschaftskommuni-kation zu tun, wohl aber damit, wie Wissen-schaftler die fur Ihre Karriere notwendige Repu-tation erwerben. Die Veroffentlichung in einer re-nommierten Zeitschrift ist nur das nachtraglicheGutesiegel fur den Aufsatz, die Anerkennung derRelevanz des Problems und der Angemessenheitder Methode und der Darstellung, welche vonden meisten Lesern des Eprints im arXiv auchselber eingeschatzt werden konnen, nicht abervon jedem Mitglied einer Berufungskommission.

Open-Access-Journale konnen mit Modellender offenen Begutachtung noch einen Schrittweiter gehen und damit oft kritisierte Mangelvon peer review uberwinden.

Online frei verfugbare Artikel in Open-Access-Journalen wie in institutionellen undFachgebiets-Repositorien konnen außerdem mitstandig aktualisierten Indikatoren ihrer Nut-zung versehen werden, wodurch ihre Relevanzund ihr Niveau direkt sichtbar werden, zumin-dest im Vergleich mit fachlich benachbartenAufsatzen. Diese Indikatoren basieren auf Down-load - und auf Zitationsstatistiken. Als Indikato-ren sind bisher jedoch nur einfache Zahlen vonDownloads und Zitierungen in Zitationsdienstenverfugbar, letztere auch fur nicht frei verfugbareDokumente.

Bei der Konstruktion intelligenter Zitations-indikatoren sollten in der Bibliometrie bekanntePrinzipien und Methoden zur Anwendung kom-men. Diese Indikatoren mussen so gebaut sein,dass sie den Informationsbedurfnissen der Nut-zer mehr entsprechen als pure Zitationszahlen.Ein konkreter Vorschlag fur einen solchen In-dikator wird demnachst publiziert (Havemann2007). Das dient als theoretische Vorarbeit fureine spatere Implementation und Erprobung imRahmen eines großeren Projektes, uber dessenBewilligung im April 2007 entschieden werdensoll.

Ein Indikator dieser Art konnte auch fur eingroßeres Interesse von Autoren sorgen, ihre Ar-tikel in institutionelle Repositorien einzustellen.In Fachgebietsrepositorien wie dem arXiv ist dasein nicht so gravierendes Problem. Institutionen,die Aufsatze ihrer Mitarbeiter bereitstellen wol-len, werden aber m. E. nicht darum herumkom-men, auch Personal fur das Fullen der Reposito-rien zu finanzieren, denn Forscher wollen nichtZeit mit unliebsamen Tatigkeiten vertun, die ih-nen nichts einbringen.

Literatur

Brin, S. and L. Page (1998). The anatomy ofa large-scale hypertextual Web search en-gine. Computer Networks and ISDN Sy-stems 30 (1–7), 107–117.

Geller, N. L. (1978). On the citation influ-ence methodology of Pinski and Narin. Inf.Process. Manage. 14 (2), 93–95.

Havemann, F. (2004). Eprints in der wissen-schaftlichen Kommunikation. Vortrag am1. Juni 2004 am Institut fur Bibliotheks-wissenschaft der Humboldt-Universitat imRahmen der Ringvorlesung ”Die Zukunftder Bibliotheken”, Eprint (216 kB, 15Seiten) erreichbar seit 1. 7. 2004 aufder Webseite: www.ib.hu-berlin.de, Ord-ner: ∼fhavem, Datei: E-prints.pdf.

Havemann, F. (2007). An index of vitality ofarticles. unpublished.

Kessler, M. M. (1963). Bibliographic couplingbetween scientific papers. American Docu-mentation 14, 10–25.

Kolbel, M. (2003). FORUMnovum Dyna-mic Publishing. Ein Konzept fur die Zu-kunft des wissenschaftlichen Journals. InH. Parthey and W. Umstatter (Eds.),Wissenschaftliche Zeitschrift und DigitaleBibliothek: Wissenschaftsforschung Jahr-buch 2002, pp. 135–142. Berlin: GeWiF.http://www.wissenschaftsforschung.de.

Locher, L. (2005). Public Library Fees inGermany. Journal of Cultural Econo-mics 29 (4), 313–324.

Marshakova, I. (1973). System of documentconnections based on references. Nauchno-Tekhnicheskaya Informatsiya Seriya 2 –Informatsionnye Protsessy i Sistemy , 3–8.

Mizzaro, S. (2003). Quality control in schol-arly publishing: A new proposal. Journalof the American Society for InformationScience and Technology 54 (11), 989–1005.

Pinski, G. and F. Narin (1976). Citation in-fluence for journal aggregates of scientific

4

Page 5: Qualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein ... fileQualit¨atssicherung von Open-Access-Publikationen – ein Problem? Frank Havemann Institut f¨ur Bibliotheks- und

publications—theory, with application toliterature of physics. Information Proces-sing & Management 12, 297–312.

Poschl, U. (2004). Interactive journal conceptfor improved scientific publishing and qua-lity assurance. Learned Publishing 17 (2),105–113.

Rodriguez, M., J. Bollen, and H. Van de Som-pel (2006). The convergence of digital li-braries and the peer-review process. Jour-nal of Information Science 32 (2), 149.

Small, H. (1973). Cocitation in scientific lite-rature: a new measure of relationship bet-ween two documents. Journal of the Ame-rican Society for Information Science 24,265–269.

Wasserman, S. and K. Faust (1994). SocialNetwork Analysis: Methods and Applica-tions. Cambridge University Press.

5