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Auch Einzelkämpfer finden Anschluss W as in Berlin geht, das müsste doch auch in Stuttgart funktionieren: Büros für Einzelkämpfer, die das Alleinsein satthaben und die mehr wollen, als in einem sterilen Gemeinschaftsbüro nur nebeneinanderher zu arbeiten. „Coworking“ heißt das Konzept, das flexibel und billig zu mietende Büroarbeitsplätze mit Fortbil- dungsveranstaltungen und Gelegenheiten zum Netzwerken kombiniert. Vor fünf Jah- ren stieß Harald Amelung, der als Berater und Dienstleister im Internet-Umfeld tätig ist und schon einige Jahre von zu Hause ge- arbeitet hat, auf die Idee, die in Deutschland zuerst im Berliner Start-up Biotop auspro- biert wurde. Als Amelung wegen eines Arbeitsplatzwechsels seiner Frau von Erfurt nach Stuttgart umzog und merkte, dass es dort noch keine solchen Angebote gab, be- schloss er einfach, selbst einen entsprechen- den Büroraum für Coworking anzubieten. „Die wichtigste Investition ist eine gute Kaffeemaschine“, sagt Amelung schmun- zelnd. „Da trifft man sich.“ Das ganze Am- biente in einem Hinterhof im Stuttgarter Westen ist auf eine lockere, entspannte At- mosphäre hin angelegt. Hier gibt es keine Designerstühle, dafür Bio-Snacks. Die Kon- ferenzräume sind in Knall- orange und intensivem Grün gehalten. Wenn die Aushilfs- sekretärinnen nicht da sind, nimmt Amelung persönlich die Päckchen an – schließlich verbringt er ebenfalls viel Zeit im „Cowor- king0711“, um weiterhin seine IT-Aufträge abzuarbeiten. Angefangen hat er mit Unterstützung der Stuttgarter Wirtschaftsförderung, die bei- spielsweise dafür sorgte, dass das neue Ange- bot in Stuttgart bekannt wurde. Doch ökono- misch trägt sich das Konzept selbst. Nach einer Anlaufphase, in der das Angebot erst allmählich an Akzeptanz gewann, steht nun angesichts der gewachsenen Nachfrage ein zweiter Standort im Stuttgarter Osten am Start. Auf dem Ende Juni in der Nähe des Kulturparks Berg eröffneten Start-up Cam- pus entsteht ein weiterer Coworking-Space. Dort kommen zu den 35 Plätzen im Stuttgar- ter Westen weitere zehn dazu. Beim Start-up Campus haben sich Akteu- re der Stuttgarter Gründerszene mit der Merz-Akademie zusammengeschlossen und bieten unabhängig von „Coworking0711“ auf den 600 Quadratmetern auch reguläre Büros an. Ergänzend wird es dort weitere Angebote für Gründer geben, zum Beispiel auf sie zu- geschnittene Veranstaltungen und den mög- lichen Kontakt mit Mentoren. „Die Atmosphäre wird da etwas anders sein“, sagt Amelung. Anstatt städtischem Ambiente gibt es den Blick ins Grüne: „Für mich ist das zunächst ein Testlauf, um zu sehen, ob auch so etwas angenommen wird.“ Die Zielgruppe für Coworking Spaces geht aber über Gründer weit hinaus. Die meisten, die sich in Stuttgart für eine Tages- pauschale von 19 Euro oder eine Monatsmie- te von 239 Euro am alten und 269 Euro am neuen Standort einmieten können, sind etablierte Selbstständige und Freiberufler, denen sozusagen im heimischen Büro die Decke auf den Kopf zu fallen drohte. Den- noch gehören Büros fürs Coworking in je- dem Fall zu einer Gründerkultur: Wer nicht gleich im Team gründet, hat hier nicht nur einen bezahlbaren Anlaufpunkt. Er findet auch die Atmosphäre und das Umfeld, das zu einer modernden Start-up- Kultur gehört: aufgeschlossene Mitmen- schen, die teilweise mit ähnlichen Fragen konfrontiert sind, ein urbanes Umfeld, das nicht nur den mittäglichen Snack zu einer einfacheren Übung macht, sondern auch im- mer wieder dabei hilft, den Kopf frei zu be- kommen. „Als wir noch in der Nähe des Hauptbahnhofs unsere Bürofläche hatten, haben wir schnell gemerkt, dass eine zentra- le Lage nicht alles ist.“ Sich über Mittag im Bahnhof ein Sandwich holen zu müssen, sei nicht jedermanns Sache gewesen. Welche Inspiration ein offenes, lockeres Umfeld bedeuten kann, dafür ist Elisa Eich- ner ein Beispiel. Sie ist insofern eine eher un- gewöhnliche Kundin, weil sie sich zusammen mit einem Kommilitonen in der Schluss- phase ihrer Abschlussarbeit kurzfristig ein- gemietet hat. Zunächst wollte Eichner, die in Schwäbisch-Gmünd Design studiert, sich für einen Monat das Pendeln von ihrem Stutt- garter Wohnort an die Uni sparen. Doch dann merkte sie, wie sie die ringsum konzentriert arbeitenden und dennoch neu- gierigen und kommunikativen Mitnutzer inspirierten – und aus dem einen wurden vier Monate. „Wenn wir zu zweit über etwas dis- kutierten, dann haben unsere Tischnachbarn immer wieder auch interessierte Fragen ge- stellt.“ Die Umgebung voller Menschen, die als Selbstständige und Gründer gerade etwas auf die Beine stellen, habe auch sie inspiriert: „Die Erfahrung hier hat definitiv dazu bei- getragen, dass ich mir auch für mich selbst so etwas vorstellen kann“, sagt sie. age Coworking Ein alternativer Büroanbieter eröffnet in Stuttgart Freiberuflern und Gründern die Chance auf Gemeinschaftsgeist. Turbo-Startrampe mit Sponsorenhilfe N och sind ein paar gelbe Plakate mit aufmunternden Sprüchen das Ein- zige, was im Hinterhof der ehemali- gen Waldbaur-Fabrik am Stuttgarter Feu- ersee an den Gründergeist erinnert, der dort in wenigen Wochen Einzug halten wird. „Start-ups frei!“ oder „Beginn deiner unternehmerischen Freiheit“ ist dort zu lesen. Doch für Johannes Ellenberg von der Start-up-Betreuung Accelerate Stuttgart sind die hinter ihm aufgereihten sieben Büroräume einer der Schlüssel dazu, dass auch in Stuttgart endlich die in vielen Sonntagsreden beschworene neue Grün- derkultur Platz finden kann. Noch sind die Wände weiß und die Zim- mer leer. „Das hier so kreativitätsfördernd wie möglich zu gestalten, ist die nächste Herausforderung für uns“, sagt Ellenberg. Accelerate Stuttgart selbst ist erst 2012 ge- gründet worden. Erstes Standbein waren Start-up-Events im Auftrag von Wirt- schaftsförderern, daraus sind dann als zweiter Pfeiler eigene Fortbildungs- und Netzwerkveranstaltungen zum Thema Gründen hervorgegangen – und nun steht im Stuttgarter Westen ein eigenes, privates Gründerzentrum am Start. Im September sollen die ersten Start-ups einziehen. Auf dem abgegrasten, teuren Stuttgarter Immobilienmarkt tun sich junge Gründer nämlich schwer, preiswerte und flexible Räumlichkeiten zu finden. Aber ihnen fehlt vor allem ein Umfeld, wo sie sich mit ande- ren Firmen in einer ähnlichen Situation austauschen können. Es sind deshalb mehr als nur Büros, die hier entstehen: das Herz des Komplexes ist ein großer Raum, in dem regelmäßig Schulungen, Treffen und Events stattfinden sollen. Accelerate Spaces, das in ehemaligen Büroräumen des Klett-Verlages beheimatet ist, will maximal sieben Start-ups, die in der entscheidenden Anschubphase stecken, kostenlose Büro- räume zur Verfügung stellen. Sie werden von Partnerunternehmen aus der Wirt- schaft finanziert, die sich für die Ideen der Gründer interessieren. Wie sehr die regionale Wirtschaft an der Förderung von mehr Gründergeist in- teressiert ist, zeigt auch die Tatsache, dass der direkt neben der Büroetage tätige Klett-Verlag ebenfalls einen eigenen Start- up-Bereich buchstäblich andocken will. „Hier drüben wird eine Brandschutztür verschoben – und dann landet eine Abtei- lung, die bisher noch Teil der Klett-Büros ist, bei uns“, sagt Ellenberg. Die Geschäfts- idee von Accelerate Spaces ist es, die Brücke zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen zu schlagen, die zunehmend von innova- tiven Ideen junger Firmen profitieren wollen. Große Stuttgarter Konzerne, aber auch mittelständische Be- triebe sollen ausgewählten Start-ups die sechsmonatige Anschubphase in den Acce- lerate Spaces finanzieren. Die Betreiber wollen dabei als Unternehmensscouts fungieren und entsprechen- de Start-ups vorschlagen. El- lenberg: „Unser Netzwerk ist inzwischen so groß, dass wir überall auf neue Geschäfts- ideen stoßen.“ Das „Accelerate“ (Be- schleunigen) im Namen ist Programm: Sechs Monate lang sollen hier vielver- sprechende Start- ups nicht nur Räu- me zur Verfü- gung haben, sondern sie werden auch intensiv bera- ten und be- treut, um kom- merziell auf Tou- ren zu kommen. „Wir wollen den Gründern dabei durchaus auch mal in den Hintern treten“, sagt Ellenberg. „Vielleicht sind ja manche froh, wenn sie nach sechs Monaten hier wieder raus dürfen“, sagt er lä- chelnd. Die sogenannte Beschleunigungs- phase ist beim Gründen nämlich der Schlüs- selmoment, an dem das Tüfteln am Unter- nehmenskonzept ein Ende hat und eine dauerhaft tragfähige Geschäftsidee sich etablieren muss. Schräg gegenüber den Gründerbüros lie- gen separate Räume, in denen Beauftragte der sponsernden Unternehmen unterkom- men sollen, um den täglichen Kontakt zu „ihren“ Start-ups zu pflegen. Diese kurzen, unkomplizierten Wege seien der Schlüssel, um die Eingangshürden für junge Unter- nehmen zu überwinden. Oft verhakten die sich mit ihren Ideen in den bürokratischen Strukturen der etablierten Unternehmen, die ihre potenziellen Kunden sind. „Ein Start-up weiß zum Beispiel nicht, wie die Einkaufsprozesse funktionieren und wer die richtigen Ansprechpartner sind“, sagt Ellenberg. Die sogenannten Mentoren, die direkt im selben Bürogeschoss angesiedelt sind, könnten solche Hürden auf dem kur- zen Dienstweg aus dem Weg räumen: „Wenn Gründer und Mentoren in den sechs Monaten bei uns einige Dutzend Male mit- einander zu Mittag essen gegangen sind, dann entstehen Verbindungen, die für das künftige Geschäft absolut wertvoll sind.“ In einer Art Vorlaufbetrieb betreut Accelerate seit Anfang des Jahres zwei Unterneh- men. Sie werden in Kürze als erste in die neuen Büros ein- ziehen. Michael Bierhahn vom Start-up Exit Games, das sich in Stuttgart bereits mit vier Standorten etabliert hat, in denen Gruppen als Freizeitspaß einen Rät- selparcours absolvieren, sieht in Stuttgart einen wachsenden Bedarf für speziell auf Gründer zugeschnittene Räumlichkeiten. Zentrale Lage, urbanes Umfeld, flexible Mietverträge, seien aber Konditionen, die für Gründer in der Regel nicht zu finden oder nicht bezahlbar seien, sagt er. „Sie brauchen unbedingt den Austausch mit Leuten, die in einer ähnlichen Situation sind wie sie selbst.“ Accelerate stelle nicht nur Büroräume zur Verfügung, sondern schaffe auch das alles entscheidende fach- liche und soziale Umfeld. „In Stuttgart ist zurzeit einiges in Bewegung“, sagt Johan- nes Ellenberg, der optimistisch ist, dass die Aufholjagd der Landeshauptstadt gegen- über bekannten deutschen Gründermet- ropolen wie Berlin, München oder Ham- burg begonnen hat. age Büroprojekt Accelerate Stuttgart will Start-ups in der kommerziellen Anschubphase den richtigen Raum bieten. Der GFT-Chef Ulrich Dietz (l.) bietet offene Räume für Kreativität. Moritz Gräter (r.) ist Geschäftsführer des von Dietz initiierten Start-up-Netzwerks Code-n. Fotos: Lichtgut/Achim Zweygarth Bietet Gründern ein Zuhause: Johannes Ellenberg von der Start-up-Betreuung Accelerate in den neuen Büros im Stuttgarter Westen. Harald Amelung hat sich das Prinzip des sogenannten Coworking in Berlin abgeschaut. Nun will er auf dem neuen Start-up-Campus bei der Merz-Akademie seinen zweiten Standort eröffnen. „Die wichtigste Investition ist eine gute Kaffeemaschine. Da trifft man sich.“ Harald Amelung, Gründer des Büroanbieters Coworking0711 „Gründer brauchen den Austausch mit Leuten, die in einer ähnlichen Situation sind wie sie selbst.“ Michael Bierhahn vom Stuttgarter Start-up Exit Games Offene Spielwiese für innovative Ideen N ein, ein städtebauliches High- light ist das Industriegebiet in Stuttgart-Fasanenhof sicher- lich nicht. Doch wer hinter der schlichten Fassade am Schel- menwasen 34 gleich am Empfang auf das noch nicht ganz fertig gestellte Restaurant namens „SW34“ und auf den großzügigen Innenhof blickt, der ahnt, dass der Firmen- sitz des IT-Dienstleisters GFT mehr sein will als nur ein Bürogebäude. Für Ulrich Dietz, Chef von GFT und kreativer Querdenker, ist das Umfeld kein Nachteil, sondern für sein Start-up-Projekt ein Trumpf. „Wir haben uns bewusst einen gewissen Unort gesucht, der auf den ersten Blick eher langweilig ist: ein Gewerbegebiet aus den achtziger Jahren, das zwei, drei schöne Gebäude hat und sonst aussieht wie die Vereinigten Hüttenwerke“, sagt er. Dass man an der Peripherie liege, sei relativ: „Stuttgart ist ein kleines Städtle.“ Mit dem Umzug seiner Firmenzentrale von einem Gebäude auf dem Gelände der Universität Hohenheim in das Gewerbege- biet am Fasanenhof konnte er eine Vision verwirklichen: ein kreativ gestaltetes Büro- biotop, in dem Menschen in offener Atmo- sphäre arbeiten und zusammenfinden kön- nen. Kombiniert werden soll das mit einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Restau- rant, Netzwerkveranstaltungen, Vorträgen und kulturellen Events. Benannt ist das „Code-n Spaces“ getaufte Konzept nach einem von GFT 2011 angestoßenen Start- up-Wettbewerb, an den die Büros in Stutt- gart und bald auch am großen GFT-Stand- ort Barcelona angedockt werden. Vier Zielgruppen sind im Visier: erstens Menschen, die mit einer Idee ganz am An- fang stehen; zweitens vielversprechende Start-ups, die an der Entwicklung ihres Geschäftsmodells arbeiten. Drittens Inno- vationsteams von Firmen, die in einer offe- nen, weniger hierarchischen Atmosphäre auf neue Ideen kommen sollen. Und vier- tens erfahrene Manager, die beispielsweise ein Start-up als Mentor betreuen. Zwei Etagen mit jeweils 600 Quadrat- metern sind dafür reserviert. Eine mit kon- ventionellen Büroräumen, in denen erfah- rene Manager und Firmenvertreter Platz finden sollen. Der Clou ist aber die Etage darunter, die mit bunten Farben und leicht verschiebbaren, mobilen Papptrennwän- den eine radikal andere Arbeitsatmosphäre ermöglichen soll. „Unsere Besonderheit ist genau diese Mischung, die dazu dienen soll, dass man sich gegenseitig inspiriert“, sagt Dietz: „Wir wollen auch etablierten Firmen den Zugang zu Start-ups ermöglichen.“ GFT wird einen Teil der Firmen etwa durch mietfreie Büros und Gratis-Logistik unterstützen, bei anderen vielleicht als Investor einsteigen und für wieder andere schlicht als Vermieter eines interessanten Büroumfeldes fungieren. Eine Betreuung durch GFT jenseits von logistischer Unterstützung und begleitenden Veran- staltungen wird es nicht geben. Nur wenn der IT-Dienstleister selbst in ein Start-up investiert oder die betreffende Firma als Partner gewinnen möchte, wird GFT als Mentor agieren. Ambiente, persönliche Chemie, offenes Umfeld – das sind Schlüs- selworte für das ungewöhnliche Projekt. Die einzige feste Rahmenbedingung: in der Kreativetage wird es in den Büros Platz für 60 bis 70 Menschen geben. „Es wird Zeit, dass man in Stuttgart Gas gibt“, sagt Dietz, der die anderen in der Stadt laufenden Initiativen als Bereicherung und nicht als Konkurrenz sieht: „Ob wir mit den Code-n Spaces ein paar Euro mehr oder weniger an Miete einnehmen, darauf kommt es uns nicht an.“ Ab sofort kann sich jeder, der an einem Platz auf dem Campus interessiert ist, unter www.code-n.org/spaces direkt be- werben. „Wir sind gespannt, was auf uns zukommt“, sagt Dietz. Die Bewerber könn- ten vom Studenten mit einer kreativen Idee bis zur Innova- tionsabteilung eines etablier- ten Unternehmens reichen. „Sie müssen nicht gleich einen detaillierten Geschäfts- plan vorlegen – wir suchen nach ambitionierten Pionie- ren mit Unternehmergeist.“ Es geht im wahrsten Sinn des Wortes um einen Freiraum, in dem sich Ideen erst einmal entfalten können. Die Rah- menbedingungen sind deshalb bewusst sehr offen gestaltet. Wann werden die Büroräume vergeben sein? „Wir setzen bewusst auf Bewegung und Rotation anstelle eines starren Kon- zepts – einen in Stein gemeißelten Bele- gungsplan wird es nicht geben.“ An wel- chem Punkt des Gründungsprozesses sol- len die Start-ups sein? „Kommt darauf an.“ Wie viele verschiedene Firmen werden in den Büros Platz finden? Wie lange können sie die Büroräume nutzen? „Jetzt gucken wir mal. Es gibt keine starren Fristen. Wenn bei denen nach einem Jahr nicht viel passiert, dann ist das sicher nicht der rich- tige Ort.“ Flexibilität ist der Kern des Kon- zepts: „Innovative Geschäftsmodelle fal- len nicht vom Himmel. Da kann man nicht alles von vorne bis hinten durchplanen“, sagt der GFT-Chef. „Wir haben hier die Ba- sis geschaffen für alle möglichen Konstel- lationen. Nun müssen wir sehen, was sich tut.“ Dietz will in den neuen Büros eine ganz andere, in der digitalen Welt erfolg- reiche Innovationskultur nach Stuttgart bringen. Ihm geht es um neue Geschäfts- modelle. Im Lauf der Zeit ist das Konzept sogar noch offener geworden. Sollte der Campus zunächst ganz unter die Überschrift Mobi- lität gestellt werden, so führten die Diskus- sionen zur Erkenntnis, dass die spannends- ten Innovationen gerade an den Schnitt- stellen stattfinden, die sich solchen thematischen Überschriften entziehen. „Uns geht es um die Persönlichkeiten. Interessante Menschen zusammenbringen ist das Wichtigste“, sagt Dietz. Das ist für manche Firmen und viele Mittelständler aus der Region noch fremd. „Die größeren Unternehmen müssen erst einmal verste- hen, wie sie das nutzen können“, sagt Dietz: „Es ist für die ein ganz neuer Ansatz, Mit- arbeiter einmal für eine gewisse Zeit aus ihren Strukturen herauszulösen, um be- wusst neue Wege einzuschlagen.“ Mit dem Energieunternehmen EnBW ist ein großer Partner schon dabei. Dietz vertraut bei der Auswahl der künf- tigen Bürobewohner auf die Erfahrung sei- nes Teams, das jeden Finalis- ten bei der Auswahl persönlich unter die Lupe nehmen wird. Über den internationalen Start-up-Wettbewerb Code-n , durch den in den vier Jahren seines Bestehens insgesamt 2500 Start-ups durchge- schleust wurden und der jedes Jahr 50 Finalisten zur Endaus- wahl auf die Computermesse Cebit gebracht hat, ist bei GFT ein großer Erfahrungsschatz bei der Bewertung von Innovationen ent- standen. „Aus unserer mehrjährigen Erfah- rung mit dem Wettbewerb Code-n wissen wir, dass am Ende die richtigen Ideen auf uns zukommen. Da muss man ein bisschen Geduld mitbringen,“ sagt der GFT-Chef. Helmut Mahler vom Sicherheitsdienst- leister Code White ist stolz darauf, seit Juni mit zwei anderen Firmen in der Etage mit den konventionelleren Büroräumen die Vorhut des Projekts zu sein. Mit seinen 58 Jahren ist er ein Beispiel dafür, dass es nie zu spät für einen neuen Aufbruch ist. Zehn Jahre lang leitete Mahler zuletzt die IT-Abteilung eines Nutzfahr- zeugherstellers. Seit Anfang Januar ist er sein eigener Chef. „Wir haben gleich gedacht, dass wir hier reinpassen“, sagt er. „Was uns am meisten an- zieht, ist das Netzwerken. Es ist eben hier nicht nur der Raum, sondern das ganze Konzept – die Vorstellung, Ideen gemeinsam zu entwi- ckeln.“ Die besten Begegnun- gen fänden schon jetzt in der Kaffeeküche statt. Er kann es deshalb kaum erwarten, bis wei- ter unten die „Jungen Wilden“ ein- ziehen. „Wir brauchen unbedingt auch den Stockwerkschlüssel für die Etage da unten“, sagt er. age Experiment Der IT-Dienstleister GFT-Technologies wagt ein Campus- Projekt mit sehr offenen Kriterien: Vom kreativen Studenten bis zur Innovationsabteilung eines Konzerns soll jeder eine Chance haben. Unternehmen Die GFT Gruppe mit Sitz in Stuttgart wurde 1987 vom heutigen Vorstandsvorsit- zenden Ulrich Dietz gegründet. Das Unternehmen erzielte 2014 einen Umsatz von 365 Millionen Euro und zählt sich zu den welt- weit führenden IT-Dienstleistern im Finanzsektor. Die Gruppe ist in elf Ländern präsent und hat mehr als 3200 Mitarbeiter, wozu 1200 freiberufliche Spezialisten kom- men. Seit 2011 hat sich die Zahl der Beschäftigten unter anderem auch durch Zukäufe um das Zweieinhalbfache erhöht. Wettbewerb Der den neuen Bü- roräumen in Stuttgart seinen Na- men leihende Wettbewerb Code- n ist eine internationale Initiative, die Pioniere im digitalen Bereich unterstützen soll. Lanciert wurde der Wettbewerb von GFT im Jahr 2011. Er fand bisher auf der Com- putermesse Cebit in Hannover statt und soll den Dialog zwi- schen jungen und etablierten Fir- men intensivieren. 2016 wird er nach einem neuen Konzept und womöglich an einem anderen Ort stattfinden. Details dazu gibt es aber erst im Herbst. age GFT UND DER IT-WETTBEWERB CODE-N Gesucht: ein Platz für Gründer Start-ups Kurze Mietverträge, dünne Kapitaldecke: für kommerzielle Vermieter und Immobilieninvestoren in der Region Stuttgart sind Gründer keine besonders attraktive Klientel. Statt riesiger Bürokomplexe müssten aber mehr flexible Büros angeboten werden, die an die Erfordernisse von jungen Unternehmen mit Wachstumsabsichten angepasst werden können, fordert etwa der Stuttgarter Start-up-Berater Mattias Götz. Doch allmählich etablieren sich auch in der Region innovative Büromodelle für Unternehmens- gründer – mit und ohne damit verbundene Förderkonzepte. Wir stellen drei Anbieter mit unterschiedlichen Ansätzen vor, die teilweise in diesem Sommer ganz neu an den Start gehen. Von Andreas Geldner Detailfotos: Steininger Ein erstes schrilles Graffito ist am Eingang schon einmal auf den Spiegel gesprüht. „Uns geht es um Persönlichkeiten. Interessante Menschen zusammenbringen ist das Wichtigste.“ GFT-Chef Ulrich Dietz über das wichtigste Kriterium bei der Auswahl der Gründer

r Gesucht: ein Platz für Gründer - Johannes Ellenberg · 2020-04-01 · und Dienstleister im InternetUmfeld tätig ist und schon einige Jahre von zu Hause ge arbeitet hat, auf die

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Page 1: r Gesucht: ein Platz für Gründer - Johannes Ellenberg · 2020-04-01 · und Dienstleister im InternetUmfeld tätig ist und schon einige Jahre von zu Hause ge arbeitet hat, auf die

Auch Einzelkämpfer finden Anschluss

Was in Berlin geht, das müsste dochauch in Stuttgart funktionieren:Büros für Einzelkämpfer, die das

Alleinsein satthaben und die mehr wollen,als in einem sterilen Gemeinschaftsbüro nurnebeneinanderher zu arbeiten. „Coworking“heißt das Konzept, das flexibel und billigzu mietende Büroarbeitsplätze mit Fortbil­dungsveranstaltungen und Gelegenheiten zum Netzwerken kombiniert. Vor fünf Jah­ren stieß Harald Amelung, der als Beraterund Dienstleister im Internet­Umfeld tätigist und schon einige Jahre von zu Hause ge­arbeitet hat, auf die Idee, die in Deutschlandzuerst im Berliner Start­up Biotop auspro­biert wurde. Als Amelung wegen einesArbeitsplatzwechsels seiner Frau von Erfurtnach Stuttgart umzog und merkte, dass es dort noch keine solchen Angebote gab, be­schloss er einfach, selbst einen entsprechen­den Büroraum für Coworking anzubieten.

„Die wichtigste Investition ist eine guteKaffeemaschine“, sagt Amelung schmun­zelnd. „Da trifft man sich.“ Das ganze Am­biente in einem Hinterhof im StuttgarterWesten ist auf eine lockere, entspannte At­

mosphäre hin angelegt. Hiergibt es keine Designerstühle,dafür Bio­Snacks. Die Kon­ferenzräume sind in Knall­orange und intensivem Grüngehalten. Wenn die Aushilfs­sekretärinnen nicht da sind,nimmt Amelung persönlichdie Päckchen an – schließlich

verbringt er ebenfalls viel Zeit im „Cowor­king0711“, um weiterhin seine IT­Aufträgeabzuarbeiten.

Angefangen hat er mit Unterstützung derStuttgarter Wirtschaftsförderung, die bei­spielsweise dafür sorgte, dass das neue Ange­bot in Stuttgart bekannt wurde. Doch ökono­misch trägt sich das Konzept selbst. Nacheiner Anlaufphase, in der das Angebot erstallmählich an Akzeptanz gewann, steht nunangesichts der gewachsenen Nachfrage ein zweiter Standort im Stuttgarter Osten am Start. Auf dem Ende Juni in der Nähe des Kulturparks Berg eröffneten Start­up Cam­pus entsteht ein weiterer Coworking­Space.Dort kommen zu den 35 Plätzen im Stuttgar­ter Westen weitere zehn dazu.

Beim Start­up Campus haben sich Akteu­re der Stuttgarter Gründerszene mit der Merz­Akademie zusammengeschlossen und bieten unabhängig von „Coworking0711“ aufden 600 Quadratmetern auch reguläre Bürosan. Ergänzend wird es dort weitere Angebote

für Gründer geben, zum Beispiel auf sie zu­geschnittene Veranstaltungen und den mög­lichen Kontakt mit Mentoren. „DieAtmosphäre wird da etwas anders sein“, sagtAmelung. Anstatt städtischem Ambientegibt es den Blick ins Grüne: „Für mich ist daszunächst ein Testlauf, um zu sehen, ob auchso etwas angenommen wird.“

Die Zielgruppe für Coworking Spacesgeht aber über Gründer weit hinaus. Diemeisten, die sich in Stuttgart für eine Tages­pauschale von 19 Euro oder eine Monatsmie­te von 239 Euro am alten und 269 Euro amneuen Standort einmieten können, sindetablierte Selbstständige und Freiberufler,denen sozusagen im heimischen Büro dieDecke auf den Kopf zu fallen drohte. Den­noch gehören Büros fürs Coworking in je­dem Fall zu einer Gründerkultur: Wer nicht gleich im Team gründet, hat hier nicht nureinen bezahlbaren Anlaufpunkt.

Er findet auch die Atmosphäre und dasUmfeld, das zu einer modernden Start­up­Kultur gehört: aufgeschlossene Mitmen­schen, die teilweise mit ähnlichen Fragenkonfrontiert sind, ein urbanes Umfeld, dasnicht nur den mittäglichen Snack zu einereinfacheren Übung macht, sondern auch im­mer wieder dabei hilft, den Kopf frei zu be­kommen. „Als wir noch in der Nähe desHauptbahnhofs unsere Bürofläche hatten,haben wir schnell gemerkt, dass eine zentra­le Lage nicht alles ist.“ Sich über Mittag imBahnhof ein Sandwich holen zu müssen, sei nicht jedermanns Sache gewesen.

Welche Inspiration ein offenes, lockeresUmfeld bedeuten kann, dafür ist Elisa Eich­ner ein Beispiel. Sie ist insofern eine eher un­gewöhnliche Kundin, weil sie sich zusammenmit einem Kommilitonen in der Schluss­phase ihrer Abschlussarbeit kurzfristig ein­gemietet hat. Zunächst wollte Eichner, die inSchwäbisch­Gmünd Design studiert, sich füreinen Monat das Pendeln von ihrem Stutt­garter Wohnort an die Uni sparen.

Doch dann merkte sie, wie sie die ringsumkonzentriert arbeitenden und dennoch neu­gierigen und kommunikativen Mitnutzerinspirierten – und aus dem einen wurden vierMonate. „Wenn wir zu zweit über etwas dis­kutierten, dann haben unsere Tischnachbarnimmer wieder auch interessierte Fragen ge­stellt.“ Die Umgebung voller Menschen, dieals Selbstständige und Gründer gerade etwasauf die Beine stellen, habe auch sie inspiriert:„Die Erfahrung hier hat definitiv dazu bei­getragen, dass ich mir auch für mich selbstso etwas vorstellen kann“, sagt sie. age

Coworking Ein alternativer Büroanbieter eröffnet in Stuttgart Freiberuflern und Gründern die Chance auf Gemeinschaftsgeist.

Turbo­Startrampemit Sponsorenhilfe

Noch sind ein paar gelbe Plakate mitaufmunternden Sprüchen das Ein­zige, was im Hinterhof der ehemali­

gen Waldbaur­Fabrik am Stuttgarter Feu­ersee an den Gründergeist erinnert, derdort in wenigen Wochen Einzug haltenwird. „Start­ups frei!“ oder „Beginn deinerunternehmerischen Freiheit“ ist dort zulesen. Doch für Johannes Ellenberg von derStart­up­Betreuung Accelerate Stuttgartsind die hinter ihm aufgereihten siebenBüroräume einer der Schlüssel dazu, dassauch in Stuttgart endlich die in vielenSonntagsreden beschworene neue Grün­derkultur Platz finden kann.

Noch sind die Wände weiß und die Zim­mer leer. „Das hier so kreativitätsförderndwie möglich zu gestalten, ist die nächste Herausforderung für uns“, sagt Ellenberg.Accelerate Stuttgart selbst ist erst 2012 ge­gründet worden. Erstes Standbein warenStart­up­Events im Auftrag von Wirt­schaftsförderern, daraus sind dann alszweiter Pfeiler eigene Fortbildungs­ undNetzwerkveranstaltungen zum ThemaGründen hervorgegangen – und nun stehtim Stuttgarter Westen ein eigenes, privatesGründerzentrum am Start. Im Septembersollen die ersten Start­ups einziehen.

Auf dem abgegrasten, teuren StuttgarterImmobilienmarkt tun sich junge Gründernämlich schwer, preiswerte und flexible Räumlichkeiten zu finden. Aber ihnen fehltvor allem ein Umfeld, wo sie sich mit ande­ren Firmen in einer ähnlichen Situationaustauschen können. Es sind deshalb mehrals nur Büros, die hier entstehen: das Herzdes Komplexes ist ein großer Raum, indem regelmäßig Schulungen, Treffenund Events stattfinden sollen. AccelerateSpaces, das in ehemaligen Büroräumen desKlett­Verlages beheimatet ist, will maximalsieben Start­ups, die in der entscheidendenAnschubphase stecken, kostenlose Büro­räume zur Verfügung stellen. Sie werdenvon Partnerunternehmen aus der Wirt­schaft finanziert, die sich für die Ideen derGründer interessieren.

Wie sehr die regionale Wirtschaft ander Förderung von mehr Gründergeist in­teressiert ist, zeigt auch die Tatsache, dassder direkt neben der Büroetage tätige Klett­Verlag ebenfalls einen eigenen Start­up­Bereich buchstäblich andocken will.„Hier drüben wird eine Brandschutztürverschoben – und dann landet eine Abtei­lung, die bisher noch Teil der Klett­Bürosist, bei uns“, sagt Ellenberg. Die Geschäfts­idee von Accelerate Spacesist es, die Brücke zwischenStart­ups und etabliertenUnternehmen zu schlagen,die zunehmend von innova­tiven Ideen junger Firmenprofitieren wollen. GroßeStuttgarter Konzerne, aberauch mittelständische Be­triebe sollen ausgewähltenStart­ups die sechsmonatige Anschubphase in den Acce­lerate Spaces finanzieren. Die Betreiber wollen dabeials Unternehmensscouts fungieren und entsprechen­de Start­ups vorschlagen. El­lenberg: „Unser Netzwerk istinzwischen so groß, dass wirüberall auf neue Geschäfts­ideen stoßen.“

Das „Accelerate“ (Be­schleunigen) im Namen ist

Programm: Sechs Monatelang sollen hier vielver­

sprechende Start­ups nicht nur Räu­

me zur Verfü­gung haben,sondern siewerden auchintensiv bera­ten und be­

treut, um kom­merziell auf Tou­ren zu kommen.

„Wir wollen denGründern dabei

durchaus auch mal inden Hintern treten“,

sagt Ellenberg. „Vielleichtsind ja manche froh, wenn

sie nach sechs Monaten hierwieder raus dürfen“, sagt er lä­

chelnd. Die sogenannte Beschleunigungs­phase ist beim Gründen nämlich der Schlüs­selmoment, an dem das Tüfteln am Unter­nehmenskonzept ein Ende hat und einedauerhaft tragfähige Geschäftsidee sichetablieren muss.

Schräg gegenüber den Gründerbüros lie­gen separate Räume, in denen Beauftragte der sponsernden Unternehmen unterkom­men sollen, um den täglichen Kontakt zu „ihren“ Start­ups zu pflegen. Diese kurzen,unkomplizierten Wege seien der Schlüssel,um die Eingangshürden für junge Unter­nehmen zu überwinden. Oft verhakten die sich mit ihren Ideen in den bürokratischenStrukturen der etablierten Unternehmen, die ihre potenziellen Kunden sind. „EinStart­up weiß zum Beispiel nicht, wie dieEinkaufsprozesse funktionieren und werdie richtigen Ansprechpartner sind“, sagtEllenberg. Die sogenannten Mentoren, diedirekt im selben Bürogeschoss angesiedeltsind, könnten solche Hürden auf dem kur­zen Dienstweg aus dem Weg räumen: „Wenn Gründer und Mentoren in den sechsMonaten bei uns einige Dutzend Male mit­einander zu Mittag essen gegangen sind,dann entstehen Verbindungen,die für das künftige Geschäftabsolut wertvoll sind.“

In einer Art Vorlaufbetriebbetreut Accelerate seit Anfangdes Jahres zwei Unterneh­men. Sie werden in Kürze alserste in die neuen Büros ein­ziehen. Michael Bierhahn vomStart­up Exit Games, das sich in Stuttgartbereits mit vier Standorten etabliert hat, indenen Gruppen als Freizeitspaß einen Rät­selparcours absolvieren, sieht in Stuttgarteinen wachsenden Bedarf für speziell auf Gründer zugeschnittene Räumlichkeiten.Zentrale Lage, urbanes Umfeld, flexibleMietverträge, seien aber Konditionen, die für Gründer in der Regel nicht zu findenoder nicht bezahlbar seien, sagt er. „Sie brauchen unbedingt den Austausch mitLeuten, die in einer ähnlichen Situationsind wie sie selbst.“ Accelerate stelle nichtnur Büroräume zur Verfügung, sondernschaffe auch das alles entscheidende fach­liche und soziale Umfeld. „In Stuttgart istzurzeit einiges in Bewegung“, sagt Johan­nes Ellenberg, der optimistisch ist, dass dieAufholjagd der Landeshauptstadt gegen­über bekannten deutschen Gründermet­ropolen wie Berlin, München oder Ham­burg begonnen hat. age

Büroprojekt Accelerate Stuttgart will Start­ups in der kommerziellen Anschubphase den richtigen Raum bieten.

Der GFT­Chef Ulrich Dietz ( l.) bietet offene Räume für Kreativität. Moritz Gräter (r.) ist Geschäftsführer des von Dietz initiierten Start­up­Netzwerks Code­n. Fotos: Lichtgut/Achim Zweygarth

Bietet Gründern ein Zuhause: Johannes Ellenberg von der Start­up­Betreuung Accelerate in den neuen Büros im Stuttgarter Westen.

Harald Amelung hat sich das Prinzip des sogenannten Coworking in Berlin abgeschaut. Nun will er auf dem neuenStart­up­Campus bei der Merz­Akademie seinen zweiten Standort eröffnen.

„Die wichtigsteInvestition ist einegute Kaffeemaschine.Da trifft man sich.“Harald Amelung, Gründer des Büroanbieters Coworking0711

„Gründer brauchen den Austausch mit Leuten, die in einer ähnlichen Situationsind wie sie selbst.“Michael Bierhahn vom StuttgarterStart­up Exit Games

Offene Spielwiese für innovative Ideen

Nein, ein städtebauliches High­light ist das Industriegebiet inStuttgart­Fasanenhof sicher­lich nicht. Doch wer hinter derschlichten Fassade am Schel­

menwasen 34 gleich am Empfang auf das noch nicht ganz fertig gestellte Restaurantnamens „SW34“ und auf den großzügigen Innenhof blickt, der ahnt, dass der Firmen­sitz des IT­Dienstleisters GFT mehr sein will als nur ein Bürogebäude.

Für Ulrich Dietz, Chef von GFT undkreativer Querdenker, ist das Umfeld keinNachteil, sondern für sein Start­up­Projektein Trumpf. „Wir haben uns bewusst einengewissen Unort gesucht, der auf den erstenBlick eher langweilig ist: ein Gewerbegebietaus den achtziger Jahren, das zwei, dreischöne Gebäude hat und sonst aussieht wiedie Vereinigten Hüttenwerke“, sagt er. Dassman an der Peripherie liege, sei relativ:„Stuttgart ist ein kleines Städtle.“

Mit dem Umzug seiner Firmenzentralevon einem Gebäude auf dem Gelände derUniversität Hohenheim in das Gewerbege­biet am Fasanenhof konnte er eine Vision verwirklichen: ein kreativ gestaltetes Büro­biotop, in dem Menschen in offener Atmo­sphäre arbeiten und zusammenfinden kön­nen. Kombiniert werden soll das mit einemfür die Öffentlichkeit zugänglichen Restau­rant, Netzwerkveranstaltungen, Vorträgen und kulturellen Events. Benannt ist das „Code­n Spaces“ getaufte Konzept nacheinem von GFT 2011 angestoßenen Start­up­Wettbewerb, an den die Büros in Stutt­gart und bald auch am großen GFT­Stand­

ort Barcelona angedockt werden.Vier Zielgruppen sind im Visier: erstens

Menschen, die mit einer Idee ganz am An­fang stehen; zweitens vielversprechendeStart­ups, die an der Entwicklung ihresGeschäftsmodells arbeiten. Drittens Inno­vationsteams von Firmen, die in einer offe­nen, weniger hierarchischen Atmosphäreauf neue Ideen kommen sollen. Und vier­tens erfahrene Manager, die beispielsweiseein Start­up als Mentor betreuen.

Zwei Etagen mit jeweils 600 Quadrat­metern sind dafür reserviert. Eine mit kon­ventionellen Büroräumen, in denen erfah­rene Manager und Firmenvertreter Platz finden sollen. Der Clou ist aber die Etagedarunter, die mit bunten Farben und leichtverschiebbaren, mobilen Papptrennwän­den eine radikal andere Arbeitsatmosphäreermöglichen soll. „Unsere Besonderheit istgenau diese Mischung, die dazu dienen soll,dass man sich gegenseitig inspiriert“, sagtDietz: „Wir wollen auch etablierten Firmenden Zugang zu Start­ups ermöglichen.“

GFT wird einen Teil der Firmen etwadurch mietfreie Büros und Gratis­Logistikunterstützen, bei anderen vielleicht alsInvestor einsteigen und für wieder andereschlicht als Vermieter eines interessantenBüroumfeldes fungieren. Eine Betreuung durch GFT jenseits von logistischerUnterstützung und begleitenden Veran­staltungen wird es nicht geben. Nur wennder IT­Dienstleister selbst in ein Start­upinvestiert oder die betreffende Firma alsPartner gewinnen möchte, wird GFT alsMentor agieren. Ambiente, persönliche

Chemie, offenes Umfeld – das sind Schlüs­selworte für das ungewöhnliche Projekt.Die einzige feste Rahmenbedingung: in der Kreativetage wird es in den Büros Platz für 60 bis 70 Menschen geben. „Eswird Zeit, dass man in Stuttgart Gas gibt“,sagt Dietz, der die anderen in der Stadt laufenden Initiativen als Bereicherungund nicht als Konkurrenz sieht: „Ob wir mit den Code­n Spaces ein paar Euro mehroder weniger an Miete einnehmen, daraufkommt es uns nicht an.“

Ab sofort kann sich jeder, der an einemPlatz auf dem Campus interessiert ist, unter www.code­n.org/spaces direkt be­werben. „Wir sind gespannt, was auf uns zukommt“, sagt Dietz. Die Bewerber könn­ten vom Studenten mit einerkreativen Idee bis zur Innova­tionsabteilung eines etablier­ten Unternehmens reichen.„Sie müssen nicht gleicheinen detaillierten Geschäfts­plan vorlegen – wir suchennach ambitionierten Pionie­ren mit Unternehmergeist.“Es geht im wahrsten Sinn desWortes um einen Freiraum, indem sich Ideen erst einmal entfalten können. Die Rah­menbedingungen sind deshalb bewusst sehr offen gestaltet.

Wann werden die Büroräume vergebensein? „Wir setzen bewusst auf Bewegungund Rotation anstelle eines starren Kon­zepts – einen in Stein gemeißelten Bele­gungsplan wird es nicht geben.“ An wel­chem Punkt des Gründungsprozesses sol­len die Start­ups sein? „Kommt darauf an.“Wie viele verschiedene Firmen werden inden Büros Platz finden? Wie lange könnensie die Büroräume nutzen? „Jetzt guckenwir mal. Es gibt keine starren Fristen.Wenn bei denen nach einem Jahr nicht vielpassiert, dann ist das sicher nicht der rich­tige Ort.“ Flexibilität ist der Kern des Kon­zepts: „Innovative Geschäftsmodelle fal­len nicht vom Himmel. Da kann man nichtalles von vorne bis hinten durchplanen“,sagt der GFT­Chef. „Wir haben hier die Ba­sis geschaffen für alle möglichen Konstel­lationen. Nun müssen wir sehen, was sichtut.“ Dietz will in den neuen Büros eineganz andere, in der digitalen Welt erfolg­reiche Innovationskultur nach Stuttgartbringen. Ihm geht es um neue Geschäfts­modelle.

Im Lauf der Zeit ist das Konzept sogarnoch offener geworden. Sollte der Campuszunächst ganz unter die Überschrift Mobi­lität gestellt werden, so führten die Diskus­sionen zur Erkenntnis, dass die spannends­ten Innovationen gerade an den Schnitt­

stellen stattfinden, die sich solchenthematischen Überschriften entziehen.

„Uns geht es um die Persönlichkeiten.Interessante Menschen zusammenbringenist das Wichtigste“, sagt Dietz. Das ist fürmanche Firmen und viele Mittelständleraus der Region noch fremd. „Die größerenUnternehmen müssen erst einmal verste­hen, wie sie das nutzen können“, sagt Dietz:„Es ist für die ein ganz neuer Ansatz, Mit­arbeiter einmal für eine gewisse Zeit ausihren Strukturen herauszulösen, um be­wusst neue Wege einzuschlagen.“ Mit demEnergieunternehmen EnBW ist ein großer Partner schon dabei.

Dietz vertraut bei der Auswahl der künf­tigen Bürobewohner auf die Erfahrung sei­

nes Teams, das jeden Finalis­ten bei der Auswahl persönlichunter die Lupe nehmen wird.Über den internationalenStart­up­Wettbewerb Code­n ,durch den in den vier Jahrenseines Bestehens insgesamt2500 Start­ups durchge­schleust wurden und der jedesJahr 50 Finalisten zur Endaus­wahl auf die ComputermesseCebit gebracht hat, ist bei GFTein großer Erfahrungsschatz

bei der Bewertung von Innovationen ent­standen. „Aus unserer mehrjährigen Erfah­rung mit dem Wettbewerb Code­n wissenwir, dass am Ende die richtigen Ideen aufuns zukommen. Da muss man ein bisschenGeduld mitbringen,“ sagt der GFT­Chef.

Helmut Mahler vom Sicherheitsdienst­leister Code White ist stolz darauf, seit Junimit zwei anderen Firmen in der Etage mitden konventionelleren Büroräumen dieVorhut des Projekts zu sein. Mit seinen58 Jahren ist er ein Beispiel dafür, dass esnie zu spät für einen neuen Aufbruch ist.Zehn Jahre lang leitete Mahler zuletztdie IT­Abteilung eines Nutzfahr­zeugherstellers. Seit Anfang Januarist er sein eigener Chef.

„Wir haben gleich gedacht,dass wir hier reinpassen“, sagter. „Was uns am meisten an­zieht, ist das Netzwerken. Es ist eben hier nicht nur derRaum, sondern das ganzeKonzept – die Vorstellung,Ideen gemeinsam zu entwi­ckeln.“ Die besten Begegnun­gen fänden schon jetzt in derKaffeeküche statt. Er kann esdeshalb kaum erwarten, bis wei­ter unten die „Jungen Wilden“ ein­ziehen. „Wir brauchen unbedingt auchden Stockwerkschlüssel für die Etage daunten“, sagt er. age

Experiment Der IT­Dienstleister GFT­Technologies wagt ein Campus­Projekt mit sehr offenen Kriterien: Vom kreativen Studenten bis zur Innovationsabteilung eines Konzerns soll jeder eine Chance haben.

Unternehmen Die GFT Gruppe mit Sitz in Stuttgart wurde 1987 vom heutigen Vorstandsvorsit­zenden Ulrich Dietz gegründet. Das Unternehmen erzielte 2014 einen Umsatz von 365 Millionen Euro und zählt sich zu den welt­weit führenden IT­Dienstleistern im Finanzsektor. Die Gruppe ist in elf Ländern präsent und hat mehr als 3200 Mitarbeiter, wozu 1200 freiberufliche Spezialisten kom­men. Seit 2011 hat sich die Zahl der Beschäftigten unter anderem auch durch Zukäufe um das Zweieinhalbfache erhöht.

Wettbewerb Der den neuen Bü­roräumen in Stuttgart seinen Na­men leihende Wettbewerb Code­n ist eine internationale Initiative, die Pioniere im digitalen Bereich unterstützen soll. Lanciert wurde der Wettbewerb von GFT im Jahr 2011. Er fand bisher auf der Com­putermesse Cebit in Hannover statt und soll den Dialog zwi­schen jungen und etablierten Fir­men intensivieren. 2016 wird er nach einem neuen Konzept und womöglich an einem anderen Ort stattfinden. Details dazu gibt es aber erst im Herbst. age

GFT UND DER IT­WETTBEWERB CODE­N

Gesucht: ein Platz für GründerStart­ups Kurze Mietverträge, dünne Kapitaldecke: für kommerzielle Vermieter und Immobilieninvestoren in der Region Stuttgart sind Gründer keine besonders attraktive Klientel. Statt riesiger Bürokomplexe müssten aber mehr flexible Büros angeboten werden, die an die Erfordernisse von jungen Unternehmen mit Wachstumsabsichten angepasst werden können,

fordert etwa der Stuttgarter Start­up­Berater Mattias Götz. Doch allmählich etablieren sich auch in der Region innovative Büromodelle für Unternehmens­gründer – mit und ohne damit verbundene Förderkonzepte. Wir stellen drei Anbieter mit unterschiedlichen Ansätzen vor, die teilweise in diesem Sommer ganz neu an den Start gehen. Von Andreas Geldner

Detailfotos: Steininger

Ein erstes schrilles Graffito ist am Eingangschon einmal auf den Spiegel gesprüht.

„Uns geht es um Persönlichkeiten. Interessante Menschen zusammenbringen ist das Wichtigste.“GFT­Chef Ulrich Dietz über das wichtigste Kriterium bei der Auswahl der Gründer