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Vortrag von Prof. Dr. Rolf-Torsten Kramer auf der Expertenkonferenz "Bildungsübergänge gestalten" am 15.11.12 in Bochum. Die Konferenz „Bildungsübergänge gestalten“ ist ein Projekt der Stiftung Mercator in Kooperation mit der Ruhr Universität Bochum. http://www.stiftung-mercator.de/themencluster/integration/expertenkonferenz-bildungsuebergaenge.html
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28.11.2012 Prof. Dr. Rolf-Torsten Kramer (Universität Kassel) 1
Schulkultur und Bildungshabitus der Schüler
Was eine kulturtheoretische Perspektive zur Klärung des Problems der Bildungsungleichheiten und zur Gestaltung von Übergängen beitragen kann?
1. Bildungsungleichheit und Übergänge im Bildungssystem – Das Problem
• enge Kopplung der Bildungsbeteiligung und des schulischen
Kompetenzerwerbs an die soziale Herkunft (vgl. PISA-Studien)
• besondere Bedeutung der Bildungsübergänge (besonders Übergang von
der Primarstufe in die Sekundarstufe I)
• mit zentraler Referenz auf Entscheidungsmodelle v. a. 2 Mechanismen
(Maaz/Baumert/Trautwein 2010, S. 76f.):
1) Bildungsentscheidungen der Eltern nicht nur die Leistung der
Schülerinnen und Schüler ausschlaggebend
(z. B. Kinder aus oberer Dienstklasse dreimal so hohe Chance, ein
Gymnasium zu besuchen; bei Eltern mit Abitur 8,84-mal so hoch)
2) Schullaufbahnempfehlungen der Grundschullehrer nicht
ausschließlich nach leistungsbezogenen Kriterien
(z. B. 3,92-mal so hohe Wahrscheinlichkeit der
Gymnasialempfehlung), in IGLU 2006 (2,64 zu 3,83)
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1. Bildungsungleichheit und Übergänge im Bildungssystem – Das Problem
• eine Grundschulempfehlung ist damit sozial selektiv, jedoch weniger als
die Bildungsentscheidung der Eltern (sozial korrigierend und sozial
selektiv zugleich)
• tendenziell gilt das auch für andere Übergänge im Bildungssystem
(kumulativer Prozess der Verstärkung von Bildungsungleichheiten)
• Entstehen bzw. verstärken sich Bildungsungleichheiten innerhalb von
Bildungsinstitutionen durch eine unterschiedliche
Wechselwirkung/Passung zwischen Person und Lernangebot?
1) sozial selektive Erwartung- und Anerkennungsstruktur
2) „misfit“ zwischen Habitus und schulischen Verhaltensnormen und
Sprachcodes
3) Unterschiedlich effiziente Nutzung nach Stand der kognitiven und
motivationalen Ressourcen
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1. Bildungsungleichheit und Übergänge im Bildungssystem – Das Problem
• These der Passung wird durch fehlende empirische Evidenz
zurückgewiesen (aber Prozessmerkmale z. B. kulturelles Kapital und
Notwendigkeit der schul- und sogar lehrerbezogenen Differenzierung der
institutionellen Anregung)
• differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus als ungleiche
Entwicklungsförderung je nach sozialer Herkunft:
1) durch soziale Homogenisierung der Schülerschaft
2) und durch spezifische Milieubindungen über die Eltern durch Region
und Einzugsgebiete
• dabei aber große Unterschiede zwischen Schulformen und auf
Einzelschulebene
• institutionelle Effekte durch unterschiedliche Curricula und
Kompositionseffekte durch sozial-kulturelle Zusammensetzung
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2. Schulkultur und Bildungshabitus – die kulturtheoretische Perspektive
• „Schulkultur“ bezeichnet als eigener Ansatz einer Theorie der Institution
Schule die jeweilige Ausprägung und sinnhafte Gestalt einer Schule
(auch symbolische Ordnung)
• Schulkultur wird erzeugt durch die handelnde Auseinandersetzung der
schulischen Akteure mit den Strukturvorgaben des Bildungssystems (z.
B. Schulgesetze, Schulformen) und den Handlungsanforderungen des
pädagogischen Handelns (Vermittlung von Wissen, Normen und Sorge
für persönliche Entwicklung)
• Schulkultur als symbolische Ausprägung institutionalisierter Bildung weist
eine jeweils eigene (Fall-)Geschichte auf
• Schulkultur kann auf verschiedenen Ebenen bestimmt werden (Ebene
der Einzelschule, Ebene der Schulform, Ebene regional übergreifender
historisch spezifischer Schulkultur)
• Schulkultur reproduziert und transformiert sich (kann entwickelt werden)
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2. Schulkultur und Bildungshabitus – die kulturtheoretische Perspektive
• Schulkultur umfasst das Gesamt an pädagogischen Haltungen,
Praktiken, Handlungsmustern und Idealen einer Schule, aber auch deren
spezifische Herausforderungen und Problemlagen (z. B. durch eine
spezifische Schülerklientel)
• dieses Gesamt an pädagogischen Haltungen, Praktiken und Idealen ist
zumeist umstritten (umkämpft)
• dennoch herrscht eine Ausrichtung als dominante Haltung, dominante
Praktik oder dominantes Ideal an einer Schule vor (Hegemonie der
Schulkultur bzw. Dominanzkultur)
• ... und diese vorherrschende Schulkultur bildet den Möglichkeitsraum
und den Handlungsrahmen für alle schulischen Akteure (v. a. für Lehrer
und Schüler)
• dabei entscheidend, ob und wie sie mit ihrer bisherigen Lern- und
Bildungsgeschichte an die Schulkultur anschließen können
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2. Schulkultur und Bildungshabitus – die kulturtheoretische Perspektive
• Bildungshabitus bezeichnet jene impliziten Wahrnehmungs-, Deutungs-
und Handlungsmuster, die auf Bildung (auch in institutionalisierter Form)
bezogen sind
• der Bildungshabitus eines Schülers ist immer Ergebnis seiner bisherigen
Lern- und Bildungsgeschichte (auch der Erfahrungen von
Bildungsinstitutionen), v. a. aber ist er das Resultat der primären
Sozialisation (der Familie und damit des Bezugsmilieus)
• über Bezugsmilieus unterschiedliche Typen des Bildungshabitus
1) Habitus der Bildungsexzellenz und -distinktion
2) Habitus des Bildungsstrebens
3) Habitus der Bildungsnotwendigkeit und -konformität
4) Habitus der Bildungsferne und -hilflosigkeit
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2. Schulkultur und Bildungshabitus – die kulturtheoretische Perspektive
• These von Pierre Bourdieu zur kulturellen Passung als Relation
unterschiedlicher Nähe bzw. Abstände
• zwischen primärem in der Familie erworbenen Habitus und sekundärem
Habitus der Schule
• diese Passungen sind zu einer jeweiligen Schule herzustellen
(Schulkultur)
• … und die Passung spielt gerade beim Übergang in die Sekundarstufe I
eine zentrale Rolle als:
1) differente Wahrnehmung der gegliederten Sekundarstufe I
2) differente Bezugnahme (Anwahl)
3) differente Sicherheit oder Unsicherheit in Bezug auf den Übergang
4) differente Handlungsaktivität oder -passivität
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2. Schulkultur und Bildungshabitus – die kulturtheoretische Perspektive
besondere Problematiken ergeben sich bei:
• stark fremdbestimmten Übergängen (sowohl durch Eltern wie durch
Lehrer)
• stark elterlich geprägten (dominanten) Bildungshabitus (z. B. die
Konstellation des auferlegten Bildungsstrebens)
• deutlicher Fehlplatzierung (die nicht nur die Bereich des Vorwissens, der
Lernformen und er Lernkultur betrifft, sondern auch den Bereich
kultureller Gewohnheiten, Praktiken und Ideale; evt. auch
Passungsprobleme zu den Mitschülern als Peers)
• starker Handlungspassivität (fehlende aktive Auseinandersetzung mit
dem Übergang und Bearbeitung des Übergangsgeschehens)
• insgesamt hoher Unsicherheit und Verunsicherung
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3. Geschärfte Problemperspektive
• Übergang immer ein transformatorisches Geschehen (d. h. mit
Veränderungen in vielen Bereichen)
• Übergangsprobleme aber nicht ausschließlich als fehlende Information
• … oder als etwas, das alleine über monetäre Anreizsysteme und
Unterstützung aufzuheben wäre
• der Übergang in die Sekundarstufe erscheint vielmehr als etwas, das –
in Abhängigkeit von der Schulkultur und dem Bildungshabitus – sehr
unterschiedlich verlaufen kann
• abstrakt betrachtet kann es hier zu einer Kontinuität, einer Verbesserung
oder einer Verschlechterung der kulturellen Passung kommen
• die kulturelle Passung ist dabei mehr als nur eine Relation von kognitiven
Vorwissen und Leistungsanforderungen der Schule
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4. Gestaltungsperspektiven
4. Perspektiven der Gestaltung des Übergangs in die Sekundarstufe I aus kulturtheoretischer Sicht
• Hineinregieren in primäre sozialisatorische Milieus (Familien) ist
unrealistisch; deshalb Gestaltungsperspektiven auf Schule und
schulische Akteure richten
• Unterstützung sozialer Mobilität bei gleichzeitiger Flankierung und
Kompensation kultureller Differenz (d. h. auch Übergänge ermöglichen
durch Reduktion sozialer Kriterien)
• Klärung und Bewusstmachung der symbolischen Ordnung der eigenen
Schule (Schulkultur): Frage nach dominanten pädagogischen Haltungen,
Praktiken und Idealen
• Klärung und Bewusstwerdung zentraler Bezugshabitus‘ mit jeweils
eigenen Übergangsproblemen (z. B. Exzellenz, Distinktion, Streben…)
• besondere Begleitung und Stärkung bei „Fehlplatzierung“,
Fremdbestimmtheit und Passivität (Flankierung bei Transformation)
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Schulkultur und Bildungshabitus der Schüler
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!