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2 Lösungshinweise zur Klausur v. 10.11.2018 (Rückgabe 28.11.2018) Disclaimer: Die Ausführlichkeit der Lösungshinweise übersteigt das in der Klausur zu leistende Maß zum Teil erheblich. Soweit darin auf Meinungsstreite verwiesen wird, sind die entsprechenden Hinweise aber zu Vertiefung beibehalten worden. ___________________________________________________________________________________ Aufgabe 1: Anspruch des A auf Schaden sersatz in Höhe von 100.000,- gegen die Bundesrepublik Deutschland I. Anspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV? Der Anspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV ist kurz anzusprechen. Da aber kein Unionsorgan oder -bediensteter betroffen ist, konnte diese Frage auch kurz abgehandelt warden. II. Staatshaftungsanspruch wegen eines Unionsrechtsverstoßes Ein Staatshaftungsanspruch des Einzelnen gegen den Mitgliedstaat wegen eines Unionsrechtsver- stoßes des Mitgliedstaates ist nicht ausdrücklich im Unionsrecht (insbesondere im EUV/AEUV) geregelt. Die Notwendigkeit eines solchen Anspruchs ist gleichwohl seit der EuGH-Entscheidung in der Rs. Francovich anerkannt, in der die unionsrechtliche Staatshaftung als allgemeiner Rechtsgrundsatz richterrechtlich entwickelt wurde. 1 Die Notwendigkeit dieses Haftungsinstituts ergibt sich aus der Tatsache, dass die volle Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) gerade hinsichtlich der Gewährung von subjektiven Rechten für den Einzelnen nicht beeinträchtigt werden darf; dies gilt umso mehr, wenn allein ein Mitgliedstaat durch sein hoheitliches Handeln dafür verantwortlich ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen. 4 Ferner verpflichtet das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV) die Mitgliedstaaten zum Ergreifen aller geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen, worunter auch die Beseitigung rechtswidriger Folgen von Unionsrechtsverstößen zählen. 5 Schließlich beruft sich der EuGH auch auf eine Parallele zur Haftung der Union gem. Art. 340 Abs. 2 AEUV (Einheit der Rechtsordnung). 6 2. Rechtsnatur und Anspruchsgrundlage Hinsichtlich der Rechtsnatur des vom EuGH entwickelten Staatshaftungsanspruchs bzw. der genau- en Anspruchsgrundlage bestehen zwei Ansichten. - Die h.M., insbesondere der BGH 7 , betrachtet den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch als unionsrechtliches Institut und geht dabei von einem Anspruch sui generis aus. Sie folgt damit der Wertung des EuGH, nach dessen st. Rspr. die unionsrechtliche Staatshaftung ihre Grundlage un- mittelbar im Unionsrecht“ 8 findet. Folge hiervon ist, dass die vom EuGH entwickelten anspruchs- begründenden Voraussetzungen unmittelbar im nationalen Recht zu prüfen sind. Anderes gilt für 1 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 32 ff. Francovich; Slg. 1996, 1029 Rn. 17 Brasserie du Pêcheur. 2 Vgl. stellv. Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn. 458 ff. 3 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 33 Francovich. 4 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 34 Francovich. 5 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 36 Francovich. Slg. 2003, I-10239, Rn. 30 Köbler. 6 EuGH, Slg. 1996, 1029 Rn. 27 Brasserie du Pêcheur. 7 Vgl. BGHZ 134, 30 (32 ff. [36]); BGH, NVwZ 2001, 466; zustimmend in der Literatur z.B. Ruffert, in: Calliess/ders. (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 70; Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 2009, Rn. 286; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 2012, § 28 Rn. 1311; Hellwig/Moos, JA 2011, 196 (198); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 494, 522 ff. 8 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 41 Francovich; Slg. 1996, I-1029, Rn. 67 Brasserie du Pêcheur.

(R ückgabe 28.11.2018) - jura.uni-konstanz.de · Voraussetzung der Francovich-Doktrin zuerkennt, wird zwar vereinzelt vertreten29 und kann daher auch vorliegend nicht als falsch

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2Lösungshinweise zur Klausur v. 10.11.2018

(Rückgabe 28.11.2018)

Disclaimer: Die Ausführlichkeit der Lösungshinweise übersteigt das in der Klausur zu leistende Maßzum Teil erheblich. Soweit darin auf Meinungsstreite verwiesen wird, sind die entsprechendenHinweise aber zu Vertiefung beibehalten worden.___________________________________________________________________________________

Aufgabe 1:Anspruch des A auf Schaden sersatz in Höhe von € 100.000,- gegen die BundesrepublikDeutschland

I. Anspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV?Der Anspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV ist kurz anzusprechen. Da aber kein Unionsorganoder -bediensteter betroffen ist, konnte diese Frage auch kurz abgehandelt warden.

II. Staatshaftungsanspruch wegen eines Unionsrechtsverstoßes

Ein Staatshaftungsanspruch des Einzelnen gegen den Mitgliedstaat wegen eines Unionsrechtsver-stoßes des Mitgliedstaates ist nicht ausdrücklich im Unionsrecht (insbesondere im EUV/AEUV)geregelt. Die Notwendigkeit eines solchen Anspruchs ist gleichwohl seit der EuGH-Entscheidung inder Rs. Francovich anerkannt, in der die unionsrechtliche Staatshaftung als allgemeinerRechtsgrundsatz richterrechtlich entwickelt wurde.1 Die Notwendigkeit dieses Haftungsinstitutsergibt sich aus der Tatsache, dass die volle Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) – geradehinsichtlich der Gewährung von subjektiven Rechten für den Einzelnen – nicht beeinträchtigtwerden darf; dies gilt umso mehr, wenn allein ein Mitgliedstaat durch sein hoheitliches Handelndafür verantwortlich ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen.4

Ferner verpflichtet das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV) dieMitgliedstaaten zum Ergreifen aller geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen ausden Verträgen, worunter auch die Beseitigung rechtswidriger Folgen von Unionsrechtsverstößenzählen.5 Schließlich beruft sich der EuGH auch auf eine Parallele zur Haftung der Union gem.Art. 340 Abs. 2 AEUV (Einheit der Rechtsordnung).6

2. Rechtsnatur und AnspruchsgrundlageHinsichtlich der Rechtsnatur des vom EuGH entwickelten Staatshaftungsanspruchs bzw. der genau-en Anspruchsgrundlage bestehen zwei Ansichten.

- Die h.M., insbesondere der BGH7, betrachtet den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch alsunionsrechtliches Institut und geht dabei von einem Anspruch sui generis aus. Sie folgt damit derWertung des EuGH, nach dessen st. Rspr. die unionsrechtliche Staatshaftung ihre Grundlage „un-mittelbar im Unionsrecht“8 findet. Folge hiervon ist, dass die vom EuGH entwickelten anspruchs-begründenden Voraussetzungen unmittelbar im nationalen Recht zu prüfen sind. Anderes gilt für

1 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 32 ff. – Francovich; Slg. 1996, 1029 Rn. 17 – Brasserie du Pêcheur.2 Vgl. stellv. Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn. 458 ff.3 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 33 – Francovich.4 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 34 – Francovich.5 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 36 – Francovich. Slg. 2003, I-10239, Rn. 30 – Köbler.6 EuGH, Slg. 1996, 1029 Rn. 27 – Brasserie du Pêcheur.7 Vgl. BGHZ 134, 30 (32 ff. [36]); BGH, NVwZ 2001, 466; zustimmend in der Literatur z.B. Ruffert, in: Calliess/ders.(Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 70; Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl.2009, Rn. 286; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 2012, § 28 Rn. 1311; Hellwig/Moos, JA 2011, 196(198); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 494, 522 ff.8 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 41 – Francovich; Slg. 1996, I-1029, Rn. 67 – Brasserie du Pêcheur.

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die Behebung der „Folgen des verursachten Schadens“9, da hierfür keine unionsrechtlichen Rege-lungen existieren10. Mit anderen Worten: Nationales Recht ist – in unionsrechtskonformer Ausle-gung – bei Fragen bezüglich des Umfangs des Schadensersatzanspruchs11 oder der Verfahrensge-staltung12 anzuwenden. Dabei dürfen die nationalrechtlichen Voraussetzungen allerdings nicht un-günstiger sein, als bei vergleichbaren Rechtsbehelfen mit ausschließlichem Inlandsbezug(Äquivalenzgrundsatz).13 Auch darf die Erlangung der Entschädigung durch Heranziehung der nati-onalen Normen nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (Effektivi-tätsgrundsatz).14

- Eine Gegenansicht im Schrifttum geht von einem unionsrechtlich nur geforderten nationalenAnspruch aus und sieht dessen Rechtsgrundlage im nationalrechtlichen Amtshaftungsanspruch ge-mäß Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB (in unionsrechtskonformer Auslegung sowie unter Beachtungdes o.g. Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes). Die Verankerung des Anspruchs im nationalenRecht entspreche dem Grundsatz des indirekten Unionsrechtsvollzugs und ebne nationale Staatshaf-tungsstrukturen nicht unnötig ein. Zur Vereinbarkeit dieser Ansicht mit der EuGH-Rspr. wird aufdas Konle-Urteil des EuGH verwiesen. Danach sei den Erfordernissen des Unionsrechts auch dannGenüge getan, wenn nationale Verfahrensregelungen einen wirksamen Schutz der Rechte, die demEinzelnen nach Unionsrecht zustehen, ermöglichen.16

- Stellungnahme: Die Bearbeiter können insoweit mit guten Gründen jeder der beiden Ansichtenfolgen. Allerdings bietet sich die h.M. letztlich doch als die überzeugendere an

3. Anwendbarkeit des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs auf Fälle judikativen Un-rechtsFraglich ist, ob der allgemeine Rechtsgrundsatz der unionsrechtlichen Staatshaftung auch in Fällenvon Unionrechtsverstößen, die – wie vorliegend – auf einem Urteil eines letztinstanzlichen nationa-len Gerichts beruhen (sog. judikatives Unrecht) überhaupt zur Anwendung kommt.

Hiergegen wurde von Seiten der Mitgliedstaaten zum Teil eingewandt, eine solche Haftung sei mitder Funktion der Gerichte unvereinbar. Ihr stünden insbesondere die Grundsätze der Rechtssicher-heit, der Rechtskraft, der richterlichen Unabhängigkeit und Autorität entgegen.19

Demgegenüber hat der EuGH im Fall Köbler entschieden, dass der unionsrechtliche Staatshaf-tungsanspruch auch im Fall judikativen Unrechts zur Anwendung gelangt.20 Er begründet diesdamit, dass der Staat im Völkerrecht und damit erst recht im Unionsrecht als Einheit betrachtetwerde, so dass es keine Rolle spiele, welche der staatlichen Gewalten gehandelt habe. Die vonden Mitgliedstaaten angeführtenGefahren für die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung bestünden nicht. Vielmehr würden derRechtsschutz des Einzelnen und die Autorität des Rechts durch die Staatshaftung sogar gestärkt; dieRechtskraft werde nicht Frage gestellt. Die richterliche Unabhängigkeit werde schon deswegennicht beeinträchtigt, weil nicht der Richter persönlich, sondern der Mitgliedstaat hafte. Auch derEGMR könne auf der Grundlage von Art. 41 EMRK Entschädigungen selbst dann zusprechen,wenn die Verletzung der Konvention auf der Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts beruhe.Die Literatur folgt dem mit Recht ganz überwiegend,21 denn aus Sicht der Union kann es für dieBegründung mitgliedstaatlicher Haftung keinen Unterschied machen, welches innerstaatliche Organgehandelt hat. Wirksamkeit und Einheit des Unionsrechts sind in jedem Fall gleichermaßen bedroht.

9 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 42 – Francovich; ausführlicher hierzu EuGH, Slg. 1996, I-1029, Rn. 81 ff. – Brasseriedu Pêcheur.10 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 42 – Francovich.11 EuGH, Slg. 1996, I-1029, Rn. 83 – Brasserie du Pêcheur.12 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 42 – Francovich.13 EuGH, Slg. 2010, I-635, Rn. 31 – Transportes Urbanos y Servicios Generales.14 EuGH, Slg. 2010, I-635, Rn. 31 – Transportes Urbanos y Servicios Generales.16 EuGH, Slg. 1999, I-3099, Rn. 63 – Konle.17 Wie hier Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1311 m. Fn. 10.18 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 42 – Francovich.

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Den berechtigen Belangen eines Schutzes der Unabhängigkeit der Richter sowie der Sicherung derRechtskraft kann durch eine restriktive Anwendung der Anspruchsvoraussetzungen, insbesonderedurch eine enge Auslegung der Voraussetzung eines „hinreichend qualifizierten Verstoßes“Rechnung getragen werden. Der Gerichtshof hat sich jedoch – anders als einzelne nationaleRechtsordnungen (vgl. z.B. § 839 Abs. 3 BGB) – gegen die Anerkennung eines generellenRichterprivilegs im Unionsrecht ausgesprochen.22

4. Voraussetzungen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchsa) Verstoß gegen eine dem Einzelnen subjektive Rechte verleihende Norm des UnionsrechtsDas BVerwG müsste mit seinem Urteil von 2008 gegen eine Norm des Unionsrechts verstoßen ha-ben, die bezweckt, dem Einzelnen subjektive Rechte zu verleihen. Im Weiteren verstößt asUrteil des BVerwG gegen Art. 34, 56 AEUV und damit gegen zwei unmittelbar anwendbare,25

mit Anwendungsvorrang ausgestattete Grundfreiheiten, die dem Einzelnen unstreitig subjektiveöffentliche Rechte verleihen.26

Wichtig ist, dass die Bearbeiter erkennen, dass ein etwaiger Verstoß gegen die aus Art. 267 Abs. 3AEUV folgende Bindungswirkung des Vorabscheidungsurteils bzw. Vorlagepflicht keinen Rechts-verstoß darstellt, der für die Annahme einer Staatshaftung Deutschlands ausreichen würde, da Art.

Art. 267 Abs. 3 AEUV rein objektiv-rechtlicher Natur ist und kein subjektives Recht desEinzelnen begründet.

Begündung: Das Vorabentscheidungsverfahren dient jedenfalls im Schwerpunkt der imAllgemeininteresse liegenden Sicherung der unionsweiten einheitlichen Auslegung des Unionsrechtsund richterlichen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten sowie dem EuGH. Zwarbesteht auch ein Bezug des Art. 267 AEUV zum Individualrechtsschutz (Art. 47 GRCh), dieser istaber nur mittelbar-faktischer (Rechtsreflex), nicht – wie bei Art. 263 Abs. 4 AEUV – unmittelbar-rechtlicher Natur. Dies zeigt sich nicht daran, dass der Einzelne im Rahmen von Art. 267 AEUVkeinen Anspruch auf Vorlage an den EuGH hat; er kann eine Vorlage nur (rechtlich unverbindlich)anregen, aber nicht erzwingen (ihm bleibt im Falle letztinstanzlicher Gerichte nur die starkeingeschränkte nachträgliche Kontrolle anhand der sog. Willkürformel durch das BVerfG gem.Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a i.V.m. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Alleinige Vorlageberechtigte im Rahmen vonArt. 267 AEVU sind dagegen „Gerichte eines Mitgliedstaats“ i.S.v. Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV, denendabei grds. ein Ermessen zukommt (vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV).

Eine gegenteilige Ansicht, die Art. 267 AEUV subjektiv-rechtliche Qualität im Sinne der ersten

Voraussetzung der Francovich-Doktrin zuerkennt, wird zwar vereinzelt vertreten29 und kann daherauch vorliegend nicht als falsch bewertet werden, sie ist aber aufgrund der o.g. Argumente in derSache problematisch und bedarf jedenfalls des Problembewusstseins sowie einer guten,differenzierten Begründung in Auseinandersetzung mit der gegenteiligen h.M.

19 Zit. nach EuGH, Slg. 2003, I-10239 Rn. 37 – Köbler.20 EuGH, Slg. 2003, I-10239 Rn. 53 ff. – Köbler; Slg. 2006, I-5177 Rn. 43 – Traghetti.21 Siehe stellv. Streinz (Fn. 2), Rn. 461 f.22 Ehricke, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 267 AEUV Rn. 50.24 EuGH, Slg. 1996, I-1029, Rn. 74 – Brasserie du Pêcheur.25 EuGH, Slg. 1977, 557 Rn. 13 – Iannelli/Meroni; Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 34AEUV Rn. 24.26 EuGH, Slg. 1977, 557, Rn. 13 – Iannelli/Meroni; Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011,Art. 36 AEUV Rn. 9.

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b) Hinreichend qualifizierter Verstoßaa) Voraussetzungen und AnknüpfungspunktNach dem EuGH genügt nicht jeder Rechtsverstoß, sondern dieser muss „hinreichend qualifiziert“sein. Zur Konkretisierung dieses der Haftungsbegrenzung dienenden Erfordernisses hat der EuGHeine Reihe von – nicht abschließenden – Gesichtspunkten entwickelt, die als Leitlinien bzw. Hilfs-kriterien dienen können. Maßgeblich sind u.a.: das Maß an Klarheit und Präzision der verletztenVorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes, die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, ggf. die Stel-lungnahme eines Unionsorgans und die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3AEUV.30 Im Falle judikativen Unrechts wird ein hinreichend qualifizierter Verstoß überdies – ein-schränkend – nur dann angenommen, wenn „das Gericht offenkundig gegen das geltende Recht ver-stoßen hat“31.

Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich im Umkehrschluss: Für die Annahme eines hinreichend qua-lifizierten Verstoßes genügt jedenfalls der (vorliegend gegebene; s.o.) Verstoß gegen Art. 36, 54AEUV alleine nicht. Andernfalls wäre die Haftungslimitierungsfunktion, welche als Kompensationfür das im Unionsrecht fehlende generelle Richterspruchprivileg unverzichtbar ist, um die im Pri-märrechtsschutz getroffene Entscheidung zu stabilisieren (s.o. III. 3. a.E.), auf die Souveränität derMitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen und dem Erforderlichkeitsprinzip sowie dem Gedanken der

27 So die ganz h.M., vgl. nur Wegener, EuR 2002, 785 (788); ders./Held, JURA 2004, 479 (484); Obwexer, EuZW2003, 726 (727); Beul, EuZW 1996, 748 (748 f.); Schöndorf-Haubold, JuS 2006, 112 (113 f.); Gundel, EWS 2004, 8 (9)m.w.N. Auch der EuGH prüft im Fall „Köbler“ (Slg. 2003, I-10239) die Frage, ob eine Unionsrechtsnorm verletztwurde, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, nur anhand der Sachnorm (in concreto: Art. 39 EG [jetzt:Art. 45 AEUV]).28 Wegener/Held, JURA 2004, 479 (483).29 Epiney, NVwZ 2004, 1067 (1068); wohl auch Generalanwalt Léger, Schlussanträge, EuGH, Slg. 2003, I-10239 Tz.144 ff.30 Vgl. hierzu EuGH, Slg. 2003, I-10239, Rn. 55 – Köbler; Slg. 2006, I-5177 Rn. 32 – Traghetti.31 Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-10239, Rn. 53 – Köbler; Slg. 2006, I-5177 Rn. 31 – Traghetti; vgl. auch BGH, NJW 2005,747; Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 298; Streinz (Fn. 2), Rn. 462. Zum Teil wird insoweit eine nur reduzierteKontrolldichte angenommen und eine Parallele zu der Rechtsprechung des BVerfG zur Verletzung von Art. 101 Abs. 1S. 2 GG wegen Nichtvorlage an den EuGH als gesetzlicher Richter (berichtend hierzu: Streinz, ebd., Rn. 709 ff.) gezo-gen (vgl. Streinz, ebd., Rn. 462). Es ist zwar zweifelhaft, dass der EuGH sich bei der Frage, wie genau er das Vorliegeneines „offenkundigen“ Verstoßes eines letztinstanzlichen nationalen Gerichts gegen Unionsrecht kontrolliert, gerade ander deutschen Dogmatik zu Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (oder einer sonstigen Dogmatik des nationalen Rechts einesbestimmten Mitgliedstaates) orientieren wird, zumal diese uneinheitlich ist und zum Teil (Willkürformel des 2. Senatsdes BVerfG) im deutschen Schrifttum und selbst innerhalb des BVerfG (1. Senat) auch als zu restriktiv kritisiert wird.Gleichwohl ist es ein brauchbarer und insgesamt positiv zu bewertender Gedanke, wenn Bearbeiter diese Paralleleziehen.

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loyalen Zusammenarbeit der Gerichte (Art. 4 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, Art. 267AEUV) zu entsprechen, nicht mehr gewährleistet.32 Konsequent verneinte auch der EuGH im FallKöbler im Ergebnis – zutreffend – einen hinreichend qualifizierten (offenkundigen) Rechtsverstoß,obgleich eine Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG [jetzt: Art. 45 AEUV]) unstrei-tig vorlag.33

Ein hinreichend qualifizierter Unionsrechtsverstoß könnte vorliegend aber – entweder allein oder inZusammenschau mit anderen Hilfskriterien – gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV aus der Nichtbeachtungder vom EuGH in seinem Vorabentscheidungsurteil von 2004 gegebenen Auslegung des Unions-rechts (Art. 34, 56 AEUV) im vorliegenden Fall (dazu: bb) oder aus der vom BVerwG unterlasse-nen Vorlage an den EuGH (dazu: cc) folgen.34

bb) Hinreichend qualifizierter Verstoß durch Nichtbeachtung der vom EuGH im Vorabent-scheidungsurteil von 2004 vorgegebenen Auslegung

(1) Umfang der Bindungswirkung des EuGH-Urteils aus dem Jahr 2004Das BVerwG hat das AWVG angewandt, obgleich der EuGH im Urteil von 2004 festgestellt hatte,dass Art. 34, 56 AEUV einem grenzüberschreitenden Alkoholwerbeverbot auf körperlichen Werbe-trägern entgegenstünden. Der EuGH hat mit diesem im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfah-rens auf Vorlage des VGH Baden-Württemberg ergangenen Urteil über die Auslegung von Unions-recht entschieden, nicht – wozu er im Rahmen von Art. 267 AEUV gar nicht befugt wäre – über dieAuslegung des nationalen Rechts (hier: AWVG). Die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit demvom EuGH ausgelegten Unionsrecht beurteilt sodann das nationale Gericht. Ob das EuGH-Urteilzur Auslegung des Unionsrechts im Rahmen von Art. 267 AEUV über die Bindungswirkung zwi-schen den Parteien des Ausgangsverfahrens im Jahre 2004 („inter partes“) hinaus eine Bindungs-wirkung „inter omnes“, d.h. auch gegenüber anderen Gerichten (hier: BVerwG), entfaltet, ist um-stritten.35 Von der heute ganz h.M. wird dies zutreffend bejaht und von einer allgemeinen rechtli-chen Bindungswirkung jedenfalls für letztinstanzliche Gerichte ausgegangen. Zur Begründung wirdauf die Sicherung der praktischen Wirksamkeit und Einheit des Unionsrechts (insbesondere mitBlick auf den europäischen Binnenmarkt) hingewiesen: „Weil die Auslegungsentscheidung die Be-deutung der Norm klärt, die ihr von Anfang an zukam, müssen die Gerichte und Behörden der Mit-gliedstaaten sowie die Gemeinschaftsorgane diese in der vorgegebenen Weise anwenden.“36 Hierinliegt letztlich eine Ausprägung des Gebots zur loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 AEUV, 19Abs. 1 UAbs. 2 EUV), welches in Art. 267 AEUV eine spezialgesetzliche Konkretisierung für denBereich der europäischen Gerichtsbarkeit erfahren hat, sowie des Anwendungsvorrangs des Unions-rechts. Das BVerwG musste daher aus dem Urteil des EuGH in dem Vorabentscheidungsverfahrenvon 2004 grundsätzlich die Konsequenz ziehen, von der damaligen Auslegung des EuGH auch indem bei ihm anhängigen Verfahren auszugehen und das AWVG wegen Verstoßes gegen Art. 34, 56

32 Vgl. Wegener/Held, JURA 2004, 479 (482); Ossenbühl (Fn. 7), S. 514; Schöndorf-Haubold, JuS 2006, 112 (113)33 EuGH, Slg. 2003, I-10239 Rn. 102 f., 120 ff. – Köbler; Schöndorf-Haubold, JuS 2006, 112 (114).34 Vgl. Ehricke (Fn. 22), Art. 267 AEUV Rn. 50; Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 267AEUV Rn. 53.35 Zum Meinungsstand: Ehricke (Fn. 22), Art. 267 AEUV Rn. 69, auch mit Nachw. auf die (ältere) Gegenansicht(ebd., Fn. 297), die eine allgemeine rechtliche Bindungswirkung verneint (bloße „inter partes“-Wirkung).36 Wernsmann, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2009, § 11 Rn. 43 unter Hinweis u.a. aufEuGH, Slg. 1988, 355 Rn. 11 – Barra; vgl. ferner EuGH, Slg. 1980, 1237 Rn. 9 – Amministratione delle Finanze delloStato/Salumi u.a,; Ehricke (Fn. 22), Art. 267 AEUV Rn. 69; ders., Die Bindungswirkung von Urteilen des EuGH imVorabentscheidungsverfahren, nach deutschem Zivilprozessrecht und nach Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 46 ff.;Schwarze (Fn. 34), Art. 267 AEUV Rn. 68 ff. (71); Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011,Art. 267 AEUV Rn. 48 f.

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AEUV (auch) im Fall der grenzüberschreitenden Internetwerbung des A unangewendet zu lassen(oder bei Zweifeln dem Gerichtshof vorzulegen).37

(2) Verfassungsrechtlicher Ausschluss der Pflicht zur Nichtanwendung des AWVG?Eine Ausnahme von der Pflicht des BVerwG zur Nichtanwendung könnte eingreifen, wenn dasBVerwG – wie von diesem und von dem Vertreter der Bundesregierung laut Sachverhalt behauptet– nach dem Grundgesetz an der Nichtanwendung eines zwar unionsrechtswidrigen, aber verfas-sungskonformen und geltenden nationalen Gesetzes gehindert wäre.

Eine Ansicht im Schrifttum sieht durch die „Verwerfung“ (genauer: Nichtanwendung) unions-rechtswidriger nationaler Parlamentsgesetze durch „jedes“ Fachgericht in der Tat das diesbezügli-che Verwerfungsmonopol des BVerfG verletzt und plädiert für eine direkte38 oder zumindest analo-ge39 Anwendung des Art. 100 Abs. 1 GG. Hiernach dürfte ausschließlich das BVerfG mit der Fragebefasst werden, ob ein unionsrechtswidriges nationales Parlamentsgesetz – das stets zugleich einenVerstoß gegen Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG darstelle – nicht angewendet werden darf. Zur Begründungwird auf den Schutz des Parlamentsgesetzgebers, auf die Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art.20 Abs. 3 GG) und auf den Gewaltenteilungsgrundsatz verwiesen.

Die besseren Argumente sprechen indes für die h.M., die eine (uneingeschränkte) Nichtanwen-dungsbefugnis und -pflicht der nationalen Gerichte im Falle von unionsrechtswidrigen nationalenNormen bejaht, sofern eine unionsrechtskonforme Auslegung ausscheidet.40 Ein Verstoß gegen dieGesetzesbindung der Rechtsprechung liegt schon deshalb nicht vor, weil die Wendung „Recht undGesetz“ i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG das unmittelbar anwendbare Unionsrecht als integrativen Be-standteil mit umfasst. Daher ist das Fachgericht auch an den Anwendungsvorrang des Unionsrechtsgebunden, der einen Teil des Unionsrechts (ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz) bildet.41

Auch verstößt das Fachgericht bei Nichtanwendung einer unionsrechtswidrigen Norm nicht gegendie Autonomie des Gesetzgebers. Jener war zwar in Ausübung seiner demokratischen Legitimationfür das Zustandekommen der Vorschrift verantwortlich, doch bewirkt die Nichtanwendung nur eineSuspendierung der Anwendung der Norm, nicht etwa eine Nichtigkeitserklärung.42 Letztere kannunstreitig nur vom BVerfG ausgesprochen werden. Im Falle der Nichtanwendung hat der Gesetzge-ber aber auch die Möglichkeit zur „Nachbesserung“, indem er das unionsrechtswidrige Gesetz da-hingehend modifiziert, dass es wieder angewandt werden darf. Die bloße Nichtanwendung des nati-onalen Rechts ist auch der Grund, warum Art. 100 Abs. 1 GG nicht zur Anwendung kommt, undzwar weder unmittelbar (dem steht bereits der Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 GG entgegen), nochanalog oder – wie die Bundesregierung laut Sachverhalt vorträgt – als „allgemeiner Rechtsgedan-ke“. Es wird ja gerade kein Gesetz verworfen und der Monopolbereich des BVerfG daher nicht be-rührt.43 Im Gegenteil: Die Nichtanwendung kann gerade als Konsequenz parlamentarischen Han-delns angesehen werden. Indem ein Mitgliedstaat im Rahmen des Staatsziels europäischer Integra-tion gem. Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG Kompetenzen an die EU überträgt, unterwirft er sich den in denVerträgen niedergelegten Prinzipien und hat insbesondere den Anwendungsvorrang zu beachten.44

Auch das BVerfG hat als Folge der „sachgerechten Auslegung“ der Ermächtigung zur Übertragungvon Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG) auf die EU die Verwerfungskompetenz aller nationa-

37 So unter Hinweis auf die C.I.L.F.I.T.-Doktrin Ehricke (Fn. 22), Art. 267 AEUV Rn. 72 m.w.N.38 Vgl. Di Fabio, NJW 1990, 947 (953).39 Vgl. Huber, AöR 1991, 201 (248); Pagenkopf, NVwZ 1993, 216 (223).40 EuGH, Slg. 1989, 1839, Rn. 33 – Costanzo; Slg. 2007, I-181, Rn. 68 f. – ITC.41 Vgl. Burger, DVBl. 2011, 985 (986).42 Vgl. Burger, DVBl. 2011, 985 (986).43 Vgl. Burger, DVBl. 2011, 985 (986).44 Vgl. Burger, DVBl. 2011, 985 (986).

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len Gerichte ausdrücklich anerkannt und eine Monopolisierung der Verwerfungskompetenz analogArt. 100 Abs. 1 GG ausdrücklich abgelehnt.45

(3) Vorliegen eines anders gelagerten FallesDas BVerwG wäre jedoch nicht gehalten, die vom EuGH in dessen Urteil von 2004 gegebene Aus-legung von Art. 34, 56 AEUV auch im Fall der Alkoholinternetwerbung anzuwenden, wenn es sichhierbei um einen anders gelagerten Fall handelte, der durch das Urteil von 2004 folglich nicht er-fasst wäre.

Das Urteil von 2004 bezog sich (nur) auf die – im damaligen nationalen Ausgangsverfahren streit-gegenständliche – grenzüberschreitende Alkoholwerbung für körperliche Werbeträger (Plakate,Sonnenschirme, Schilder, öffentliche Verkehrsmittel u. dgl.). Vorliegend geht es jedoch um Alko-holwerbung im Internet. Hierbei handelt es sich um ein Aliud, denn insbesondere die Wirkungswei-se und -breite beider Werbeformen ist unterschiedlich. Gerade Jugendliche und Alkoholabhängigefinden mit dem Internet ein viel größeres Forum als die „Öffentlichkeit auf der Straße“ vor, inner-halb dessen sie schädlicher Werbung ausgesetzt sind. Beim Anklicken des von A geplanten Werbe-banner würde Nutzer zudem auf die Homepage der Brauereien gelangen, auf der sodann diverseAlkoholprodukte in aller Ausführlichkeit angepriesen werden und Nutzer sogar die Möglichkeithaben, an interaktiven (Gewinn-)Spielen teilzunehmen, die ihr Verlangen nach den beworbenenProdukten weiter steigern. Im Vergleich zur traditionellen Plakatwerbung oder dem – kaum wahr-genommenen – Aufdruck von Schriftzügen auf einem Sonnenschirm u. dgl. kann man hierin einequalitativ andere Stufe von Werbung sehen

Mithin bestand keine Pflicht des BVerwG zur Anwendung der vom EuGH 2004 gegebenen Ausle-gung im (anders gelagerten) Fall des A.

(cc) Hinreichend qualifizierter Verstoß durch Verletzung der Vorlagepflicht (Art. 267 Abs. 3AEUV)An sich war das BVerwG damit zur Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflich-tet. Ein letztinstanzliches Gericht kann nach der sog. C.I.L.F.I.T.-Doktrin des EuGH lediglich dannausnahmsweise von einer Vorlage gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV absehen, wenn(1) der EuGH eine sachgleiche Frage bereits entschieden hat oder(2) die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für ver-nünftige Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt und die Gerichte der übrigen Mit-gliedstaaten und der EuGH keine Zweifel an dieser Auslegung haben würden (sog. acte-claire-Doktrin).46

Die erste Ausnahme liegt hier nicht vor, da – wie gesehen – die Fälle der Alkoholwerbung auf kör-perlichen Gegenständen einerseits und im Internet andererseits gerade keine gleichgelagerten Fra-

45 BVerfGE 31, 145 (174 f.).46 EuGH, Slg. 1982, 3415, Rn. 13 ff. (13, 16) – C.I.L.F.I.T.; dazu Ehricke (Fn. 22), Art. 267 AEUV Rn. 47; Wernsmann(Fn. 36), § 11 Rn. 48; ausf. Herrmann, EuZW 2006, 231 ff.

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gen betreffen (s.o.). Auch die zweite Ausnahme ist vorliegend nicht gegeben: Die Unionsrechtskon-formität von Alkohol-Werbeverboten ist laut Sachverhalt auch in den anderen Mitgliedstaaten um-stritten. Das BVerwG konnte vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen, die Gerichte der ande-ren Staaten würden keine Zweifel an seiner Auslegung haben. Das BVerwG konnte auch vor demHintergrund des EuGH-Urteils von 2004 (und der sonstigen EuGH-Judikatur zu Werbeverboten)nicht annehmen, der EuGH werde keine vernünftigen Zweifel an der von ihm (BVerwG) in 2008vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts haben. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt,dass die Ausnahmen nach der sog. acte-claire-Doktrin restriktiv auszulegen sind, um eine Umge-hung der Pflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV zu vermeiden.47

Das BVerwG hätte somit als Folge der C.I.L.F.I.T.-Doktrin dem EuGH vorlegen müssen48, undzwar die Frage, ob die Art. 34, 56 AEUV so auszulegen sind, dass sie auch nationalen Vorschriftenentgegenstehen, die ein Verbot grenzüberschreitender Alkoholwerbung im Internet statuieren.

(dd) Weitere Voraussetzungen für das Vorliegen eines „hinreichend qualifizierten Verstoßes“Fraglich ist, ob bereits die Verletzung der Vorlagepflicht alleine ausreicht, um einen hinreichendqualifizierten Verstoß zu begründen.

Dies wird überwiegend mit Recht verneint.49 Die Nichtvorlage an den EuGH ist nur ein, wenn-gleich gewichtiges Hilfskriterium im Rahmen einer umfassenden Gesamtbewertung, ob ein offen-kundiger Verstoß des nationalen Gerichts vorliegt. Der besonderen Stellung des Richters soll näm-lich gerade durch eine restriktive Auslegung des „hinreichend qualifizierten Verstoßes“ Rechnunggetragen werden, um auf diese Weise einen angemessenen Ausgleich zwischen der Unabhängigkeitder Justiz sowie der Rechtskraft von Urteilen einerseits und einem möglichst effektivem Rechts-schutz des Einzelnen andererseits zu gewährleisten. Dieses Ziel wäre gefährdet, wenn bereits jedeunionsrechtswidrige Nichtvorlage an den EuGH als solche zu einem Staatshaftungsanspruch führte.

Die Gegenmeinung, die bereits die Nichtvorlage als solche für einen hinreichend qualifiziertenVerstoß genügen lässt, zieht vor allem in Betracht, dass der Kläger in seinem Recht auf Gerichtszu-gang (vgl. Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 47 S. 1 EU-GRCh) verletzt wird.50 Gleichwohl konkretisierenauch die Vertreter dieser Ansicht den hinreichend qualifizierten Verstoß auf die Fälle von willkürli-cher Nichtvorlage51, was im Ergebnis einer Heranziehung der vom EuGH aufgestellten Hilfskriteri-en (Vorsatz oder zumindest Fahrlässigkeit) entsprechen oder jedenfalls nahe kommen dürfte.

Vorliegend könnte die Frage im Ergebnis dahinstehen, falls auch weitere Hilfskriterien für einenhinreichend qualifizierten Verstoß erfüllt wären. Zunächst könnte das BVerwG (grob) fahrlässiggehandelt haben.52 Mit dem Urteil von 2008 setzte sich das Gericht über das Urteil des EuGH von2004 mit dem schlichten Hinweis hinweg, „an die in Deutschland geltende Rechtslage gebunden zusein“ und erwog in keiner Weise die unionsrechtlich grundsätzlich gebotene Nichtanwendung desAWVG (Bindungswirkung des Vorabentscheidungsurteils von 2004) bzw. ggf. die Frage einer Vor-lagepflicht an den EuGH. Das Gericht lieferte insbesondere keine im Lichte der C.I.L.F.I.T.-Doktrin tragfähige Begründung, warum es (möglicherweise) meinte, ausnahmsweise von seinerVorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV absehen zu können. Auch wenn „vorsätzliches Han-

47 Wernsmann, ebd.48 EuGH, Slg. 1982, 3415, Rn. 21 – C.I.L.F.I.T.; Ehricke (Fn. 22), Art. 267 Rn. 72 m. Fn. 309 f.; allg. Schwarze (Fn.34), Art. 267 AEUV Rn. 71.49 Vgl. m.w.N. Ehricke (Fn. 22), Art. 267 AEUV Rn. 50; Schöndorf-Haubold, JuS 2006, 112 (114); Wegener (Fn. 36),Art. 267 AEUV Rn. 39; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, 2010, Rn. 3325.50 Vgl. GA Léger (Fn. 29), Tz. 146 f., 148; Haratsch, EuR Beiheft 3 2008, 81 (97).51 Vgl. GA Léger (Fn. 29), Tz. 147: „insbesondere wenn eine solche Weigerung willkürlich erscheint“.52 Bearb. müssen erkennen, dass die Frage des Vorsatzes bzw. der Fahrlässigkeit nur ein inzidentes Hilfskriterium imRahmen der Prüfung des hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes, der Anspruch selbst aber verschuldensunabhängigist; vgl. Maurer (Fn. 15), § 31 Rn. 13 f.

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deln“ im Rahmen richterlicher Tätigkeit ein im Einzelfall schwer nachweisbares Kriterium ist53, sokann bei einer derart zu kurz greifenden Urteilsbegründung angenommen werden, dass sich die na-tionalen Richter zumindest grob fahrlässig über mit Anwendungsvorrang ausgestattetes Unionsrechthinweggesetzt haben, dessen genaue Kenntnis (einschließlich der Reichweite der Pflicht zur Nicht-anwendung unionsrechtswidriger nationaler Normen) von nationalen Richtern – zumal des BVerwG– erwartet werden kann. Das BVerwG hat, mit anderen Worten, das einschlägige Unionsrecht (ein-schließlich des Richterrechts des EuGH) leichtfertig ignoriert; ihm fällt insoweit hinsichtlich desVerstoßes Fahrlässigkeit zur Last.

Aus denselben Gründen ist der Rechtsirrtum des BVerwG auch nicht entschuldbar. Bereits bei kur-sorischer Konsultation der GG- bzw. EUV/AEUV-Kommentare, vor allem aber bei Beachtung dereinschlägigen Rechtsprechung des EuGH (Stichworte: Costanzo-Doktrin; C.I.L.F.I.T.-Doktrin) hät-te sich für das BVerwG unschwer ergeben, dass seine Rechtsauffassung auf einer offenkundigenVerkennung der einschlägigen Judikatur des EuGH beruht.54

Schließlich hat auch kein Verhalten eines Unionsorgans zu dem Verstoß durch den Mitgliedstaatbeigetragen. Im Gegenteil: Das Vorabentscheidungsurteil des EuGH aus dem Jahr 2004 wies zu-mindest tendenziell eher in die Richtung einer Nichtanwendbarkeit des AWVG auch im vorliegen-den Fall und musste dem BVerwG als Anlass dienen, entweder die damalige Auslegung der Grund-freiheiten durch den EuGH auch seinem Urteil aus dem Jahre 2008 zugrunde zu legen oder abereine weitere Vorlage an den EuGH ins Auge zu fassen.

Damit sind vorliegend mehrere weitere Hilfskriterien für die Bejahung eines hinreichend qualifi-zierten Verstoßes erfüllt. Der Streit, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß allein mit einer Nicht-vorlage begründet werden kann, kann somit dahinstehen, da auch bei umfassender Gesamtbewer-tung aller Hilfskriterien von einem solchen Verstoß auszugehen ist.

Ein hinreichend qualifizierter Verstoß ist mithin gegeben.55

c) SchadenA sind € 100.000 Gewinn entgangen. Jedoch ist fraglich, ob der entgangene Gewinn überhaupt ei-nen ersatzfähigen Schaden darstellt. Der EuGH bejaht dies unter Rekurs auf das Effektivitätsprin-zip. Würde nämlich der entgangene Gewinn (vollständig) vom ersatzfähigen Schaden ausgeschlos-sen, bestünde insbesondere bei wirtschaftlichen oder kommerziellen Rechtsstreitigkeiten die Mög-lichkeit, dass der Geschädigte nichts erhält. Dies käme einer vollständigen Vereitelung der Erlan-gung des Schadensersatzes gleich und verstieße daher gegen das Effektivitätsprinzip.56

53 Vgl. die diesbzgl. Bedenken von GA Léger (Fn. 29), Tz. 154 ff.54 Hierauf – mit Blick auf die Offenkundigkeit des Verstoßes insgesamt – abstellend: Gellermann, in: Streinz (Hrsg.),EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 51 a.E. unter Hinweis auf EuGH, Slg. 2003, I-10239 Rn. 56 – Köbler.55 Eine andere Ansicht erscheint insoweit noch vertretbar, aber eher wenig überzeugend. Bearbeiter, die gleichwohleine hinreichend qualifizierten Verstoß verneinen, könnten u.a. damit argumentieren, dass das KriteriumFahrlässigkeit/Vorsatz bereits wg. seiner Subjektivität/Unbestimmtheit für einen verschuldensunabhängigen Anspruchproblematisch und zudem vorliegend nicht mit hinreichender Sicherheit nachweisbar ist. Vor allem ließe sich aberargumentieren, dass die Reichweite der Bindungswirkung von Vorabentscheidungsurteilen (Stichworte: „erga omnes“oder nur „inter partes“?) umstritten und höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt ist. Die Rechtslage istinsoweit weniger „offenkundig“ als sie im Falle eines Art. 258, 260 Abs. 1 AEUV-Urteils des EuGH wäre, mit dem dieUnrechtswidrigkeit des AWVG festgestellt würde. Bearbeiter, die einen hinreichend qualifizierten Verstoß verneinen,müssen die nachfolgenden Aspekte hilfsgutachterlich prüfen.56 Vgl. EuGH, Slg. 1996, I-1029, Rn. 87 – Brasserie du Pêcheur; Slg. 2006, I-6619, Rn. 96 – Manfredi; Maurer (Fn.15), § 31 Rn. 16.

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d) Unmittelbare Kausalität zwischen dem Rechtsverstoß und dem SchadenDurch den Rechtsverstoß muss es unmittelbar kausal zu einem Schaden gekommen sein;57 derSchadenseintritt darf zudem nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen (Adäquanztheorie)58.

Vorliegend konnte A aufgrund der letztinstanzlichen Bestätigung der Untersagung der Alkoholwer-bung durch das BVerwG-Urteil von 2008 die von ihm geplanten Bierwerbungen im Internet nichtschalten. Hierdurch entstand ihm, aufgrund bereits im Voraus abgeschlossener Vermittlungsverträ-ge, unmittelbar ein Schaden in Höhe von € 100.000. Dieser Schadenseintritt war auch objektiv vor-hersehbar und lag nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit59, das Kausalitätskriterium ist mithinerfüllt.

e) Anspruchsgegner (Passivlegitimation)Auch der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch ist gegen die Körperschaft zu richten, die nachArt. 34 S. 1 GG für Amtspflichtverletzungen ihrer Beamten einzustehen hat. Nach der insoweitherrschenden Anvertrauenstheorie haftet somit vorliegend die Bundesrepublik Deutschland, da sieden Amtswaltern (Richter des BVerwG) die Aufgaben übertragen hat, bei deren Wahrnehmung eszu der Amtspflichtverletzung kam.

5. Einflüsse des deutschen Staatshaftungsrechts auf Ebene der HaftungsfolgenZwar findet der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch seine Grundlage unmittelbar im Unions-recht selbst. Der EuGH sieht es aber – mangels entsprechender unionsrechtlicher Regelungen – alsgrundsätzlich zulässig an, dass das nationale Staatshaftungsrecht den unionsrechtlichen Staatshaf-tungsanspruch bezüglich der Abwicklung von Haftungsfolgen im Sinne einer dualistischen Konzep-tion ergänzt, wobei die Grenzen jeweils durch den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz mar-kiert werden (s.o. 2.).

a) Haftungsausschluss aufgrund des Spruchrichterprivilegs (§ 839 Abs. 2 S. 1 BGB)?Eine unmittelbare Anwendung des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB würde dazu führen, dass das Handeln derRichter des BVerwG den Tatbestand der Bestechlichkeit (§ 332 StGB) oder der Rechtsbeugung(§ 339 StGB) erfüllen müsste, um den Staatshaftungsanspruch zu bejahen.60 Fraglich ist, ob diesauch für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gelten kann. Dieser ist gerade verschuldens-unabhängig, verlangt insbesondere kein subjektives Vorsatzerfordernis.61 Der hinreichend qualifi-zierte Rechtsverstoß muss dem letztinstanzlichen Gericht allein objektiv zurechenbar sein; etwaigesubjektiv geprägte Interpretationsmaßstäbe (v.a. der vorsätzliche Rechtsverstoß) sind allein Hilfs-kriterien zur Feststellung eines objektiven, hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes (s.o.). Mit derAnwendung des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB würde daher die Erlangung von unionsrechtlichem Scha-densersatz wesentlich erschwert und damit der Effektivitätsgrundsatz beeinträchtigt.62 § 839 Abs. 2S. 1 BGB kommt daher auf den vorliegenden Fall nicht zur Anwendung; das Unionsrecht kennt –im Gegensatz zu einzelnen nationalen Rechtsordnungen – kein generelles Richterprivileg.63

57 Vgl. EuGH, Slg. 1996, I-1029, Rn. 51 – Brasserie du Pêcheur; Slg. 2003, I-10239, Rn. 51 – Köbler.58 Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1315; Maurer (Fn. 15), § 31 Rn. 12.59 Vgl. Frenz/Götzkes, JA 2009, 759 (763).60 Vgl. Hellwig/Moos, JA 2011, 196 (200).61 Streinz (Fn. 2), Rn. 461.62 Vgl. v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 34 Rn. 144; Streinz (Fn. 2), Rn. 461;Schöndorf-Haubold, JuS 2006, 112 (114).63 EuGH, Slg. 2006, I-5177 Rn. 44 – Traghetti; Ehricke (Fn. 22), Art. 267 AEUV Rn. 50; Gundel, EWS 2004, 8 (9).

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b) Möglichkeit sonstiger Haftungsbeschränkungen speziell bei judikativem Unrecht?Nach der von der deutschen Bundesregierung in der Rechtssache Köbler sowie von Teilen desSchrifttums vorgetragenen Ansicht sollte es im Falle judikativen Unrechts noch zusätzliche, in denInstituten der Rechtskraft nationaler Urteilen sowie der Rechtssicherheit bzw. des Rechtsfriedenswurzelnde Haftungsbeschränkungen (außerhalb von § 839 BGB) geben. Auch ein Teil der Literaturbetrachtet zusätzliche Haftungsbeschränkungen in den Fällen judikativen Unrechts als einen – imWege der Rechtsvergleichung zu gewinnenden – allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts. Inallen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gebe es Haftungsbeschränkungen für judikatives Un-recht, die mehr oder weniger dem deutschen Spruchrichterprivileg entsprechen.64 Bei Nichtaner-kennung derartiger Beschränkungen bestehe die Gefahr von Folgeprozessen: Das mit der Haftungs-klage befasste Landgericht überprüft das letztinstanzliche (BVerwG-)Urteil auf seine inhaltlicheRichtigkeit. Zwar wird das Ausgangsurteil nicht in seiner Rechtskraft berührt, das Landgerichtsur-teil stellt aber ein erneut mit Rechtsmitteln angreifbares Urteil dar. Die Staatshaftungsklage könnteso als „Hintertür“ zu einem neuen Instanzenzug missbraucht werden.65

Der EuGH lehnte diese Argumentation in der Entscheidung Köbler jedoch ab.66 Zur Begründungführte er an, dass ein Staatshaftungsanspruch die Rechtskraft und die Rechtssicherheit eines letztin-stanzlichen Urteils gar nicht beeinträchtige. Das für die Entscheidung über den Staatshaftungsan-spruch zuständige Landgericht greift das Urteil (hier des BVerwG) nicht in seinem Bestand an,sondern gibt in begründeten Fällen lediglich dem Anspruch des Geschädigten statt.

Stellungnahme: Der Gegenmeinung ist zuzugeben, dass die Rechtskraft in der Tat nicht völlig be-rührungsfrei bleibt, wenn judikatives Unrecht ohne weitere Haftungsbeschränkungen einem Staats-haftungsanspruch zugänglich gemacht wird. Jedoch ist die Vorstellung eines Prozesszirkels der sichtheoretisch unendlich fortsetzen könnte, eher hypothetischer Natur. Präzedenzfälle existieren inso-fern keine und auch Kostenerwägungen sprechen praktisch gegen eine solche Annahme. Schließlichübernimmt der Kläger bis zu seinem Obsiegen zunächst das volle Prozesskostenrisiko. Weitere na-tionale Haftungsbeschränkungen sind daher – mit dem EuGH – unionsrechtlich nicht gefordert, einallgemeiner Rechtsgrundsatz in diesem Sinne besteht nicht (a.A. gut vertretbar).

c) Haftungsbeschränkung wegen vorwerfbarer Rechtsmittelversäumung (§ 839 Abs. 3 BGB)?Die Bundesregierung wendet ein, dass A den Schaden nicht ersetzt bekommt, da er den Rechtswegnicht erschöpft habe und verweist hierfür auf die Möglichkeit der Erhebung einer Verfassungsbe-schwerde zum BVerfG.

Im deutschen Recht kommt an dieser Stelle § 839 Abs. 3 BGB zum Tragen. Es ist fraglich, ob dieseNorm im Rahmen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs unmittelbar anwendbar ist. Auchder EuGH erkennt es an, dass die nationalen Gerichte überprüfen können, ob der Geschädigte„rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch ge-macht“67 und sich „in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs“68 bemüht hat.Schließlich zählt die Verfahrensgestaltung auch nicht mehr zum haftungsbegründenden „Kernbe-reich“ unionsrechtlicher Staatshaftung, sondern zu den „Haftungsfolgen“, deren Behandlung vonden Mitgliedstaaten eigenmächtig geregelt werden darf.69 Als Grenze fungieren wiederum das

64 Vgl. Wegener/Held, JURA 2004, 479 (483) m.w.N.65 Vgl. Hellwig/Moos, JA 2011, 196 (201); Wegener/Held, JURA 2004, 479 (483).66 EuGH, Slg. 2003, I-10239, Rn. 39 – Köbler.67 EuGH, Slg. 1996, I-1029, Rn. 84 – Brasserie du Pêcheur.68 EuGH, Slg. 1996, I-1029, Rn. 85 – Brasserie du Pêcheur.69 EuGH, Slg. 1991, I-5357, Rn. 42 – Francovich; Slg. 1996, I-1029, Rn. 81 ff. – Brasserie du Pêcheur; Slg. 2009, I-2119, Rn. 59 – Danske Slagterier.

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Äquivalenz- und das Effektivitätsprinzip70. In der Rechtssache Danske Slagterier entschied derEuGH, dass § 839 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet, wenn der Gebrauch des in Fragestehenden Rechtsmittels dem Geschädigten zumutbar ist.71

Bei der Beurteilung der Frage, ob der A vorrangig eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzungdes Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (Recht auf den gesetzlichen Richter) hätte erheben müssen, ist proble-matisch, ob jene ein Rechtsmittel i.S.d. § 839 Abs. 3 BGB darstellt. Während der BGH dies bei reinnationalen Sachverhalten verneint72, könnte sich ein anderes Ergebnis bezüglich grenzüberschrei-tender Sachverhalte ergeben.

Eine Ansicht erweitert den Kreis der Rechtsmittel in der Tat um die Verfassungsbeschwerde mitder Begründung, dass Unionsrechtsverstöße nach völkerrechtlichen Grundsätzen einem Staat inseiner Gesamtheit zugerechnet werden. Es handelt sich demnach um einen Fall der Staatenverant-wortlichkeit, in dessen Rahmen es nicht mehr auf dogmatische Ausdifferenzierungen (Stichwort:„keine Superrevisionsinstanz“) ankomme. Vielmehr muss der Staat mit all seinen Organen versu-chen, die Durchsetzung des Unionsrechts zu erreichen, was auch die Inanspruchnahme der Verfas-sungsbeschwerde verlange.73

Anderer Ansicht zufolge wird auch bei unionsrechtlichen Staatshaftungsansprüchen die Verfas-sungsbeschwerde nicht in den Rechtsmittelkreis des § 839 Abs. 3 BGB mit einbezogen.74 Der Ge-schädigte muss zwar alles in seiner Macht stehende tun, um den ihm zur Verfügung stehendenRechtsweg auszuschöpfen und den Schaden zu vermeiden oder zumindest möglichst gering zu hal-ten.

Stellungnahme: Der zuletzt genannten Ansicht ist zu folgen, da unionsrechtliche Staatshaftungs-verstöße nicht nur im Verhältnis EU-Deutschland, sondern auch im Verhältnis der EU zu den sons-tigen Mitgliedstaaten eine Rolle spielen. In zahlreichen anderen Mitgliedstaaten existiert aber keineVerfassungsbeschwerde, so dass es zu einer uneinheitlichen Rechtsanwendung und einem Verstoßgegen den Effektivitätsgrundsatz kommen würde, wenn man für deutsche Kläger das zusätzlicheErfordernis der vorherigen Erhebung der Verfassungsbeschwerde aufstellte.

Der Einwand der Bundesregierung, der A hätte zuvor eine Verfassungsbeschwerde erheben müssen,ist somit unerheblich; § 839 Abs. 3 BGB ist vorliegend – trotz Nichterhebung der Verfassungsbe-schwerde – beachtet worden.75

d) VerjährungA hat die Schadensersatzklage im Jahre 2012, d.h. (ca.) vier Jahre nach der Kenntnisnahme vondem Schaden (2008) erhoben. Die Bundesregierung hat daher die Einrede der Verjährung erhoben.Diese hätte Erfolg, wenn für unionsrechtliche Staatshaftungsprozesse die regelmäßige Verjährungs-frist der §§ 195, 199 BGB76 (3 Jahre) Anwendung findet. Anderer Ansicht zufolge77 beträgt dieVerjährungsfrist aber fünf Jahre. Begründet wird dies mit Art. 46 S. 1 EuGH-Satzung (analog)i.V.m. der analogen Anwendung von Art. 340 Abs. 2 AEUV. Nur auf diese Weise könne eine ein-heitliche Rechtsanwendung im gesamten EU-Raum erreicht werden, unabhängig davon, ob scha-

70 Vgl. EuGH, Slg. 2009, I-2119, Rn. 59 – Danske Slagterier; Slg. 2010, I-635, Rn. 31 – Transportes Urbanos y Servi-cios Generales.71 EuGH, Slg. 2009, I-2119, Rn. 64 – Danske Slagterier.72 BGHZ 30, 19 (28).73 Vgl. Wolf, WM 2005, 1345 (1349); Gundel, EWS 2004, 8 (15).74 Vgl. Hellwig/Moos, JA 2011, 196 (201); Schöndorf-Haubold, JuS 2006, 112 (115).75 Die Annahme der Gegenmeinung ist mit entsprechender Begründung ebenfalls gut vertretbar. In diesem Fallmüssen Bearbeiter in die hilfsgutachterliche Prüfung eintreten.76 So auch Deckert, EuR 1997, 203 (233); Streinz, JURA 1995, 6 (12).77 Vgl. etwa Detterbeck, AöR 125 (2000), 202 (249); Prieß, NVwZ 1993, 118 (124).

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densverursachendes Organ ein solches der EU oder eines Mitgliedstaates ist.78 Stellungnahme:Gegen die zuletzt genannte Ansicht ist mit dem EuGH festzustellen, dass es sich bei Verjährungsre-gelungen um eine Ausgestaltung des Verfahrens der unionsrechtlichen Staatshaftungsklage handelt,die – unter Berücksichtigung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes – der Verantwortung derMitgliedstaaten obliegt.79 Die Bundesrepublik Deutschland ist daher grundsätzlich berechtigt, eige-ne Verjährungsfristen für solche Fälle bereitzustellen. Eine Ungleichbehandlung gegenüber ver-gleichbaren nationalen Sachverhalten findet nicht statt (Äquivalenzgebot). Eine Frist von drei Jah-ren ist auch nicht geeignet, die Ausübung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs übermäßigzu erschweren oder gar praktisch unmöglich zu machen (Effektivitätsgrundsatz).80 Sie erscheintdaher nicht als unangemessen.81 Damit ist die von der Bundesregierung erhobene Einrede der Ver-jährung begründet.

6. ErgebnisA hatte zwar einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutsch-land auf Schadensersatz (Ersatz seines entgangenen Gewinns) in Höhe von € 100.000. Dieser istjedoch verjährt und kann folglich nicht mehr durchgesetzt werden.

78 Vgl. Prieß, NVwZ 1993, 118 (124); überblicksartig Frenz/Götzkes, JA 2009, 759 (767).79 Vgl. EuGH, Slg. 2009, I-2119, Rn. 31 – Danske Slagterier.80 Vgl. EuGH, Slg. 2009, I-2119, Rn. 32 – Danske Slagterier.81 Vgl. BGHZ 181, 199 (219, Rn. 40 ff.); Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 307; a.A. mit entsprechenderBegründung vertretbar.

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Aufgabe 2: Anspruch des B auf Schadensersatz i. H. v. € 30.000,-

I. Anspruch aus schuldhafter Pflichtverletzung eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis-ses (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB analog)

1. AnwendbarkeitDie §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB müssten (zumindest analog) anwendbar sein. Sollte zwischenB und G ein privatrechtliches Schuldverhältnis bestehen, so wären die §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2BGB unproblematisch unmittelbar anwendbar. Zwischen B und G könnte aber auch ein öffentlich-rechtliches (genauer: verwaltungsrechtliches) Schuldverhältnis bestehen (was noch genauer zu prü-fen sein wird; s. dazu unten). Fraglich ist, ob die Vorschriften des BGB über Leistungsstörungen imSchuldverhältnis82 auch in diesem Fall zur Anwendung kommen. Ihre unmittelbare Anwendung aufein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis scheidet aus. In Betracht kommt eine analoge Anwen-dung, wenn mangels ausdrücklicher öffentlich-rechtlicher Sonderregelung ein Bedürfnis hierfürbesteht (planwidrige Gesetzeslücke) und wenn die öffentlich-rechtliche Sonderverbindung ihrerStruktur und ihrem Gegenstand nach Leistungsbeziehungen nach dem BGB vergleichbar ist (ver-gleichbare Interessenlage).83 Vorliegend enthält die Entwässerungssatzung von G keine Regelungenfür den Fall etwaiger Leistungsstörungen. Damit besteht ein Bedürfnis, die Leistungsstörungsrege-lungen des BGB analog anzuwenden. Die öffentlich-rechtliche Sonderverbindung ist ihrer Strukturund ihrem Gegenstand nach bürgerlich-rechtlichen Leistungsbeziehungen vergleichbar, wenn einbesonderes Näheverhältnis zwischen B und G besteht. Dies ist bei der Benutzung der kommunalenAbwasserkanalisation anerkanntermaßen der Fall,84 da hier zwischen Bürger und Verwaltung – ineinem engen, synallagmatischen Verhältnis zueinander stehende – Leistungen (Anschluss und Be-nutzung gegen Gebührenzahlung) wie in einem schuldrechtlichen Vertrag ausgetauscht werden.Damit liegt ein vertragsähnliches Näheverhältnis zwischen B und G und mithin eine vergleichbareInteressenlage vor. Folglich kommen die §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB jedenfalls analog zurAnwendung.

2. Voraussetzungena) Öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis zwischen B und GAufgrund des durch die Entwässerungssatzung angeordneten Anschluss- und Benutzungszwangsbesteht ein Schuldverhältnis zwischen B und G. Fraglich ist, ob dieses öffentlich-rechtlich ist. Hier-für spricht die Regelung des Anschlusses und der Benutzung in der öffentlich-rechtlichen Hand-lungsform der Satzung gem. § 11 Abs. 1 S. 1 GemO als Sonderrecht des Staates (nicht: AGB)85 so-wie die Erhebung von Gebühren (nicht: privatrechtliches Benutzungsentgelt). Bereits diese beidenIndizien sprechen maßgeblich für das Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses.86

Im Übrigen gilt die sog. Vermutungsformel: Danach ist ein Handeln der Verwaltung im Zweifel alsöffentlich-rechtlich anzusehen, sofern nicht der Wille der Behörde, privatrechtlich zu handeln, un-zweideutig erkennbar wird (str.).87 Hier trat ein etwaiger Wille der G, das Benutzungsverhältnis derAbwasserkanalisation privatrechtlich zu regeln, jedenfalls nicht hervor. Aus der Zusammenschauder genannten Aspekte ergibt sich damit der öffentlich-rechtliche Gesamtzusammenhang der Rege-

82 Zu den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften, um die es dabei konkret geht, vgl. im Überblick: Detterbeck (Fn. 7), Rn.1265.83 BGHZ 21, 214 (218); 61, 7 (7 ff.); VGH Mannheim, NJW 2003, 1066 (1067); Brinktrine/Kastner, Fallsammlung zumVerwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 265; Maurer (Fn. 15), § 29 Rn. 2, 4 f.84 BGHZ 54, 299 (302 ff.); 109, 8 (9); 115, 141 (146); 166, 268 (276 f.); BGH, NJW 2007, 1061 (1062); NVwZ 2008,238 (239); VGH Mannheim, NJW 2003, 1066 (1067); Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 229.85 BVerwG DVBl 1993, 1295; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 40 Rn. 17.86 Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1269; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 1999, § 21 Rn. 10.87 BVerwG, NJW 1990, 1435 (1436); OVG Münster, OVGE 24, 175 (179 f.); Brinktrine/Kastner (Fn. 83), S. 268; a.A.(im Zweifel privatrechtlich): BGH 41, 264; einschränkend und maßgeblich auf den engen Zusammenhang mit eineröffentlich-rechtlichen Regelung eines Sachverhalts abstellend Kopp/Schenke (Fn. 85), § 40 Rn. 13

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lung.88 Somit ist ein öffentlich-rechtliches (genauer: verwaltungsrechtliches)89 Schuldverhältnis inder Variante eines öffentlich-rechtlichen (verwaltungsrechtlichen) Benutzungs- und Leistungsver-hältnisses90 gegeben.

Nicht ausreichend ist es dagegen, für die Begründung der öffentlich-rechtlichen Natur des Schuldverhältnisses allein aufdas Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung (§ 10 Abs. 2 S. 1 GemO), die Beteiligung von G als juristischer Persondes öffentlichen Rechts (Gebietskörperschaft, § 1 Abs. 2 GemO) oder die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe „Abwas-serbeseitigung“ („ihrer Natur nach hoheitliche Aufgabe(n) aus dem Bereich der Daseinsvorsorge“91; Pflichtaufgabe derGemeinde [§§ 45a, 45b WG BW]) abzustellen. Hierin können arrondierende Indizien zu den o.g. Hauptindizien gesehenwerden. Begr.: Das Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers als solches führt noch nicht zwingend zu demSchluss, dass dieser tatsächlich öffentlich-rechtlich gehandelt hat.92 Öffentliche Aufgaben können auch in den Formendes Privatrechts erfüllt werden (Verwaltungsprivatrecht).93 Auch das Bestehen eines Anschluss- und Benutzungszwangsist nur ein nachrangiges Indiz; es bedeutet nicht zwingend, dass auch das Benutzungsverhältnis im Übrigen öffentlich-rechtlich sein müsste.94

Das öffentlich-rechtliche Schuldverhältnis kann nicht mit dem Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung (§ 10 Abs. 2 S.1 GemO) begründet werden, da die Qualifikation als „öffentliche“ Einrichtung noch nichts darüber aussagt, in welcherRechtsform diese organisiert (Grundsatz der Wahlfreiheit der Verwaltung) bzw. das Benutzungs- und Leistungsverhält-nis ausgestaltet ist.95 Auch die Zwei-Stufen-Theorie (an die einzelne Bearbeiter aufgrund des Stichwortes „öffentlicheEinrichtung“ möglicherweise denken könnten), hilft vorliegend nicht weiter: Zwar ist hier – da der Sachverhalt keineHinweise auf eine (Organisations-)Privatisierung der Abwasserbeseitigung (vgl. § 45c WG BW) enthält – von der öf-fentlich-rechtlichen Organisation der öffentlichen Einrichtung auszugehen. In diesem Fall besagt die Zwei-Stufen-Theorie aber nur, dass die 1. Stufe („Ob“ der Benutzung) stets öffentlich-rechtlicher Natur ist und die 2. Stufe („Wie“der Benutzung) privatrechtlich geregelt werden kann. Ob letzteres tatsächlich der Fall ist, ist hier gerade das Problem,das es zu klären gilt. Hierfür kommt es auf die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, sprich die konkreterechtliche Ausgestaltung des Benutzungs- und Leistungsverhältnisses, an.96 Insofern sprechen aber die o.g. Gründe(Satzung, Gebühr, Vermutungsformel) gerade für eine öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses.Eine zweistufige Ausgestaltung i.S.d. Zwei-Stufen-Theorie liegt damit gerade nicht vor.

b) Objektive PflichtverletzungG müsste eine aus dem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis (Benutzungsverhältnis) folgendePflicht verletzt haben (frühere sog. positive Vertragsverletzung – p.V.V.). In Betracht kommt hiereine Verletzung der allgemeinen Schutzpflicht (vertragliche Nebenpflicht), bei der Abwicklungeines Schuldverhältnisses alles zu tun und zu unterlassen, damit Rechtsgüter des Nutzers (hier: desEinleiters B), wie insbesondere Leben, Gesundheit, Eigentum und Vermögen, nicht verletzt werden.Diese Pflicht hat G objektiv verletzt, indem sie die Abwasserkanalisation in Relation zur Zahl derangeschlossenen Einleiter unzureichend dimensioniert, was zu dem Rückstau des deshalb nichtmehr ordnungsgemäß abzuleitenden Wassers geführt hat.

Möglicherweise liegt die Pflichtverletzung vorliegend jedoch außerhalb des (sachlichen) Schutz-zwecks (Schutzbereichs) der allgemeinen Schutzpflicht.97

88 Maßgeblich auf den Gesamtzusammenhang der Regelung abstellend BGH DVBl 1978, 108; Kopp/Schenke (Fn. 85),§ 40 Rn. 17; vgl. auch Brinktrine/Kastner, ebd.89 Das Nichtvorliegen eines verfassungsrechtlichen Schuldverhältnisses ist hier so offensichtlich, dass es keinerErörterung bedarf.90 Hierzu und zu den sonstigen Fallgruppen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses unter ausdrücklicherErwähnung der Unterfallgruppe „Anschluss an kommunale Kanalisation“ Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1269 ff.91 BGH, NJW 1984, 615 (617); 1985, 496 Rn. 14; 1996, 3208 Rn. 16; BGHZ 158, 263 Rn. 11; OLG Brandenburg, LKV2008, 190 (191); OLG Bamberg, BayVBl. 2008, 766 (767).92 Kopp/Schenke (Fn. 85), § 40 Rn. 13.93 Kopp/Schenke (Fn. 85), § 40 Rn. 12.94 BGH, MDR 1984, 558; Kopp/Schenke (Fn. 85), § 40 Rn. 17 a.E.95 Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1269.96 Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1269; Kopp/Schenke (Fn. 85), § 40 Rn. 17.97 Vgl. BGH, NVwZ 1998, 1218 (1219); OLG Köln, NVwZ-RR 2000, 651 (651); vgl. auch ebenso dazu und zumFolgenden Brinktrine/Kastner (Fn. 83), S. 269 f. Aufbautechnisch ist es gut vertretbar, das Problem nicht bereits imZusammenhang mit der Schutzpflicht, sondern erst im Rahmen der Kausalität der objektiven Pflichtverletzung für deneingetretenen Schaden oder der Rechtsfolge/Schadenshöhe zu prüfen.

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Vorliegend handelt es sich laut Sachverhalt um einen sog. Rückstauschaden. Bei Rückstauschädennimmt die neuere Rechtsprechung (anders als bei Überschwemmungsschäden98) in Übereinstim-mung mit der im Sachverhalt referierten Position von G in der Tat an, dass Schäden, die dadurcheintreten, dass der Grundstückseigentümer (hier: B) nicht alle dem Stand der Technik entsprechen-den Vorkehrungen (hier: vorschriftsmäßige Abdichtung des Rohres) getroffen hat, um sein Anwe-sen gegen einen Rückstau bis zur Rückstauebene (Straßenoberkante) zu sichern, und ein vorgeschä-digtes Rohr benutzte, bereits aus dem sachlichen Schutzzweck der allgemeinen Schutzpflichtherausfallen.99 Die ältere Rechtsprechung vertritt demgegenüber eine „eigentümerfreundlichere“Ansicht, der auch Teile des Schrifttums folgen. Diese Ansicht lehnt einen vollständigen Haftungs-ausschluss über den Schutzzweckgedanken als zu einseitig ab.100 Stellungnahme: Die zuletzt ge-nannte Ansicht überzeugt. Andernfalls käme es zu einer „weitgehenden Freizeichnung der öffentli-chen Hand in Benutzungsverhältnissen trotz gröbster Planungs- und Betriebsmängel […] Das Risi-ko von Fehlfunktionen unzureichend konzipierter […] Anlagen wird auf diese Weise nahezu voll-ständig auf den dem Anschluß- und Benutzungszwang unterworfenen Bürger überbürdet. Dies ent-spricht aber nicht dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Gedanken, daß inverwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen eine gerechte Verteilung des Schadensrisikos zwischenBetreiber und Anschlussnehmer vorzunehmen ist.“ Der für eine Berücksichtigung der Schadens-mitverantwortlichkeit des B ausreichende und zudem systematisch überzeugendere, da differenzier-tere Lösungen (Einzelfallgerechtigkeit) ermöglichende Ort für einen Ausgleich der beiderseitigenRisikobeiträge ist daher – wie sonst auch im Schadensersatzrecht – das Institut des Mitverschuldens(§ 254 BGB analog).101 Es sind keine hinreichenden dogmatischen Gründe ersichtlich, von der Ver-ortung des Problems im Bereich des Mitverschuldens vorliegend eine Ausnahme zu machen.

Der Schaden liegt vorliegend auch nicht deshalb außerhalb des Schutzzwecks der allgemeinenSchutzpflicht, weil es sich um einen Fall haftungsausschließender „höherer Gewalt“ handeln wür-de.102 Höhere Gewalt kann höchstens bei ganz außergewöhnlichem, sog. Katastrophenregen ange-nommen werden. Hier handelt es sich um „gewöhnlichen“, innerhalb der letzten Jahre wiederholtaufgetretenen Starkregen. Es ist G aber möglich und zumutbar, ihr Kanalnetz auf den sog. Berech-nungsregen (Starkregen) auszulegen. Dies gilt erst recht, wenn die Kanalisation als solche unterdi-mensioniert ist und es daher bereits – wie hier – wiederholt zu Abflussproblemen kam.

98 Ein Überschwemmungsschaden, bei dem das infolge der unzureichenden Dimensionierung der Kanalisationsanlagenicht aufgenommene Wasser von außen in das Haus eindringt, lag hier nicht vor. Überschwemmungsschäden werdenstets unter den Schutzbereich der allgemeinen Schutzpflicht gefasst; vgl. stellv. und m.w.N. auf die insoweiteinschlägige Rspr. BGH, NVwZ 2004, 1018; 2001, 1448. Freilich kann die Kenntnis der Differenzierung zwischenRückstau- und Überschwemmungsschäden von den Bearbeitern in keinem Fall erwartet werden!99 BGH, NVwZ 1998, 1218 (1219); OLG Köln, NVwZ-RR 2000, 651 (651).100 BGH, NJW 1984, 615 (617); OLG Düsseldorf, NVwZ-RR 1994, 627 (627 f.); OLG München, NVwZ 1992, 1125(1125); Brinktrine/Kastner (Fn. 83), S. 270.101 Gleichsinnig die in Fn. 95 zit. Gerichte und Autoren; i. Erg. ferner wie hier (Lösung über § 254 BGB) BGH, NJW1983, 622.102 Die Annahme von „höherer Gewalt“ (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG analog) dürfte vorliegend kaum mehr vertretbarsein (vgl. aber zu der grds. Möglichkeit einer Gemeinde, sich hierauf zu berufen, und den Voraussetzungen hierfür:BGHZ 159, 19 [23]; 166, 137 Rn. 8), denn laut Sachverhalt handelte es sich „nur“ um einen Starkregen, wie er sich in Gin den letzten Jahren wiederholt ereignet hatte. Eine Gemeinde muss jedoch ihr – zumal bereits an sichtunterdimensioniertes – Kanalnetz auf den sog. Berechnungsregen (Starkregen) auslegen. Für einen darüberhinausgehenden, von der Gemeinde bei der Konzeption ihres Kanalnetzes möglicherweise nicht in Rechnung zustellenden sog. Katastrophenregen enthält der Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Die Einzelheiten sind in derRechtsprechung insoweit nach wie vor ungeklärt; vgl. berichtend und m.w.N. Queitsch, UPR 2011, 130 (136 f.). Vgl.auch – eine kommunale Haftung (enteignender Eingriff) sogar bei Katastrophenregen bejahend – BGH, NVwZ 2006,1086; OLG Karlsruhe, NVwZ-RR 2001, 147.

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Ausführungen zum Problem der höheren Gewalt konnten vorliegend nicht erwartet werden; dies gilt erst recht für dieUnterscheidung zwischen Stark- und Katastrophenregen (s. Fn. 102) und – schon aufgrund des Bearbeitervermerks zurAufgabe 2 – für die Herleitung des Haftungsausschlusses bei höherer Gewalt gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG analog.Höchstens gute oder sehr gute Bearbeiter werden überhaupt an die Problematik „höhere Gewalt“ denken. VertretbareAusführungen hierzu sind in jedem Fall positiv zu honorieren, auch wenn dabei für die Erörterung des Problems – gutvertretbar – ein anderer Prüfungsstandort (z.B. Kausalität) gewählt oder das Problem erst im Zusammenhang mit demAmtshaftungsanspruchs erörtert werden sollte.

Eine objektive Pflichtverletzung von G liegt somit vor.

c) VertretenmüssenG müsste die Pflichtverletzung zu vertreten haben. Dies bestimmt sich nach §§ 276, 278 BGB ana-log.103 Die jahrelange Kapazitätserweiterung ohne vorhergehende Kapazitätsprüfung haben die ge-setzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen von G die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet(§ 276 Abs. 2 analog) und somit fahrlässig gehandelt. Ein der G zurechenbares Verschulden liegtsomit vor. G hat die Pflichtverletzung somit zu vertreten.

d) SchadenEin Schaden am Eigentum des B ist eingetreten.

e) KausalitätFraglich ist, ob die objektive Pflichtverletzung von G auch kausal für den Schadenseintritt war(falls man eine solche Voraussetzung überhaupt verlangt104). Kausalität liegt vor, wenn die Pflicht-verletzung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der eingetretene Erfolg entfiele. Vorlie-gend können die Unterdimensionierung des Abwassernetzes und der hierdurch herbeigeführteRückstau nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Schaden am Eigentum des B entfiele.Mitursächlichkeit reicht dabei zur Haftungsbegründung aus.105 Der Schadenseintritt steht auch ineinem inneren Zusammenhang mit dem Anschluss, d.h. der Abwasserentsorgung des Hausgrund-stücks des B.106 Er liegt nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung (Adäquanztheorie). Es entspricht derLebenserfahrung (gerade der letzten Jahre), dass es auf dem Gebiet von G zu heftigen Unwetternmit Starkregen kommen kann; ein völlig außergewöhnliches Ereignis mit einer Wiederkehrzeit von100 Jahren (Katastrophenregen) liegt hier, wie gesehen (s.o. I. 2. b), nicht vor.

Die Pflichtverletzung war somit kausal für den Schaden.107

3. Rechtsfolgea) SchadensumfangDer Gesamtschadensumfang beträgt € 30.000,-.108

103 Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 232; Maurer (Fn. 15), § 29 Rn. 6.104 Hierfür wohl (wenngleich eher inzident als Unterpunkt der Voraussetzung „Pflichtverletzung“) OLG Brandenburg,LKV 2008, 190 (192). Das Erfordernis der Kausalität dagegen nicht prüfend z.B. Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7),Rn. 227 ff.105 So – im Rahmen der Amtshaftung – BGH, NJW 2000, 3423 (3424); OLG Brandenburg, LKV 2008, 190 (191).106 Zu diesem Erfordernis: OLG Brandenburg, LKV 2008, 190 (192).107 Hier ist mit Blick auf die von B unterlassenen bautechnischen Vorrichtung (Einbau der korrekten Abdichtungen) amFallrohr und aufgrund der Vorschädigung des Rohres i. Erg. auch eine a.A. (Verneinung der Kausalität) mitentsprechender Begründung (noch) vertretbar. Die Kausalität in einem ähnlichen Fall verneinend OLG München,NVwZ 1992, 1124 (1124); a.A. aber mit Recht – im Rahmen der Amtshaftung – OLG München, NVwZ 1992, 1125(1125); OLG Düsseldorf, NVwZ-RR 1994, 627 (627).108 Vertretbar ist auch, die Problematik einer Begrenzung der Haftung unter dem Aspekt des Schutzzweckes der Normerst an dieser Stelle anzusprechen.

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b) Haftungsausschluss oder -minderungIn Betracht kommt ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsminderung aufgrund von § 15 derEntwässerungssatzung bzw. § 254 Abs. 1 BGB analog.

aa) Haftungsausschluss durch § 15 der EntwässerungssatzungFraglich ist, ob der Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit, wie ihn § 15 der Entwässerungs-satzung vorsieht, zulässig ist. Nach der ganz h.M. ist dies der Fall, vorausgesetzt dass die Haf-tungsbeschränkung sachlich gerechtfertigt ist und den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Ver-hältnismäßigkeit entspricht109. Vorliegend handelt es sich um einen Ausschluss nur für leichte Fahr-lässigkeit. Dieser ist sachlich gerechtfertigt, wie sich allgemein aus einem Umkehrschluss aus § 276Abs. 3 BGB analog und einem Erst-Recht-Schluss aus § 278 S. 2 BGB analog ergibt. Daneben kannauf den allgemeinen Rechtsgedanken des § 309 Nr. 7b BGB (bzw. auf § 309 Nr. 7b BGB analog110)verwiesen werden.111 Die Haftungsbeschränkung ist auch erforderlich, um eine „exzessive“, diefinanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinde überfordernde Haftung in Bereichen der „Massenver-waltung“ zu vermeiden, in denen es erfahrungsgemäß schnell zu leichten fahrlässigen Pflichtverlet-zungen kommen kann. Er ist schließlich auch angemessen; es liegt insbesondere kein Widerspruchzu den allgemeinen fürsorgerischen Aufgaben der Verwaltung vor112. Damit ist die Haftungsbe-grenzung vorliegend zulässig.

Die kommunalen Bediensteten von G könnten jedoch grob fahrlässig gehandelt haben. Vorausset-zung hierfür ist, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auf besonders schwere Weise missachtetwird, was der Fall ist, wenn bereits ganz nahe liegende und einfachste Überlegungen nicht ange-stellt worden sind.113 Die Bediensteten von G haben doppelt so viele Einleiter an die Abwasserka-nalisation angeschlossen, als die Kapazität nach den ursprünglichen Berechnungen von Sachver-ständigen zulässt. Sie haben dies getan, ohne, was ein völlig nahe liegender Gedanke gewesen wäre,die Kapazität der Anlage neu zu berechnen. Stattdessen haben Sie „blind“ darauf vertraut, dassnichts passieren werde. Dies haben sie selbst dann noch getan, als es in den Jahren 2008 und 2009bereits wiederholt zu Rückstauungen im Kanal kam. Damit haben sie die verkehrserforderlicheSorgfalt sträflich vernachlässigt und grob fahrlässig gehandelt. Die Haftung von G ist damit nichtgem. § 15 der Entwässerungssatzung ausgeschlossen.

bb) Mitverschulden, § 254 Abs. 1 BGB analogDie Haftung von G könnte aufgrund eines Mitverschuldens von B gemindert oder ausgeschlossensein (§ 254 Abs. 1 BGB analog), da das Rohr – laut Sachverständigengutachten – bereits eine Vor-schädigung und nicht die bautechnisch vorgeschriebenen Abdichtungen aufwies. Jeder Anschluss-nehmer muss damit rechnen, dass von Zeit zu Zeit aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse(Unwetter, Starkregen) ein Rückstau in der Abwasserkanalisation eintreten kann. Er muss für diesenFall alle gegen den Rückstau zu ergreifenden und zumutbaren Vorkehrungen treffen. Indem B eintechnisch nicht intaktes Fallrohr benutzt hat, das eine Vorschädigung aufwies und bei dem die vor-geschriebenen Abdichtungen fehlten, hat er einen doppelten, substantiellen Beitrag zur Schadens-

109 BGHZ 61, 7 (12 f.); BGH, NJW 1984, 615 (617); NVwZ 2008, 238 (239); Heintzen, NVwZ 1992, 857 ff.; Maurer(Fn. 15), § 29 Rn. 7; Ossenbühl (Fn. 7), S. 358 ff. Nach der zit. Rspr. sind satzungsmäßige Haftungsausschlussklauselnin Fällen der vorliegenden Art aber eng auszulegen. So hat der BGH z.B. den satzungsmäßigen Haftungsausschluss fürRückstauschäden nicht auf einen durch eine schuldhaft fehlerhafte Erstellung der Anschlussleitung entstehendenSchaden bezogen. Unter Betonung dieser restriktiven Handhabung und der groben Fahrlässigkeit von G (s.u.) erscheintes (noch) vertretbar, wenn Bearbeiter die Wirksamkeit des Haftungsausschlusses verneinen.110 Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 240. Zur Frage der analogen Geltung der §§ 305 ff. BGB im öffentlichenRecht Geis, NVwZ 2002, 386.111 Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1271.112 Zu diesem Kriterium: Detterbeck, ebd..113 BGH, NJW 2011, 2092 (2093); Brinktrine/Kastner (Fn. 83), S. 272.

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verursachung geleistet. Bei wertender Betrachtung ist dieser Beitrag mit 50 Prozent anzusetzen undder Schadensersatzanspruch des B daher in dieser Höhe zu mindern.114

c) VerjährungVerjährung (§ 195 BGB analog: 3 Jahre; Fristbeginn: § 199 Abs. 1 BGB analog) ist vorliegendnoch nicht eingetreten.

4. ErgebnisB hat einen Anspruch gegen G auf Schadensersatz in Höhe von € 15.000,- aus schuldhafter Pflicht-verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ana-log).

II. Anspruch aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG)

1. AnwendbarkeitDer Amtshaftungsanspruch kommt neben dem Anspruch wegen objektiver Pflichtverletzung einesöffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses zur Anwendung.115

2. Voraussetzungena) Ausübung eines öffentlichen AmtesDie kommunalen Bediensteten von G sind Beamte im weiten (haftungsrechtlichen) Sinne.116 Siehaben bei der Zulassung der Einleiter zur Abwasserkanalisation (bzw. beim Unterlassen der Kapa-zitätsprüfung) die Entwässerungssatzung von G vollzogen und mithin ein öffentliches Amt ausge-übt. Ihre Vollzugstätigkeit geschah auch „in Ausübung“ des öffentlichen Amtes, nicht nur bei Gele-genheit.

b) Verletzung einer AmtspflichtDie Amtswalter von G traf die Amtspflicht, neue Einleiter nur im Rahmen der von sachverständigerSeite „bescheinigten“ Kapazitätsgrenze zuzulassen und bei Kapazitätsüberschreitung eine Kapazi-tätsprüfung vorzunehmen.117 Indem sie das Kanalnetz über Jahre hinweg deutlich überlasteten, ohneeine erneute Kapazitätsprüfung vorzunehmen, haben sie diese Amtspflicht verletzt.

c) Drittbezogenheit der AmtspflichtVoraussetzung für die Drittbezogenheit der Amtspflicht ist, dass- die Amtspflicht überhaupt drittbezogen ist,- der Geschädigte von dem personalen Schutzbereich der Amtspflicht erfasst wird und- der Schaden unter den sachlichen Schutzbereich der Amtspflicht fällt.118

114 Brinktrine/Kastner (Fn. 83), S. 273; in einem ähnlichen Fall für eine hälftige Minderung OLG München, NVwZ1992, 1125 (1125). Die Rspr. schwankt insoweit zwischen Minderung um 1/4 (so BGH, NJW 1983, 622) und völligemAusschluss des Schadensersatzanspruchs. Letzteres dürfte vorliegend in Anbetracht der mehrjährigen, (sehr) grobenFahrlässigkeit von G vorliegend aber nicht überzeugend sein; ebenso Brinktrine/Kastner, a.a.O.115 BGHZ 13, 88 (93 ff.); 63, 167 (172); BGH, NJW 2004, 615 (617); 2007, 1061 (1062); Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1160;Maurer (Fn. 15), § 26 Rn. 46; § 27 Rn. 104; vgl. auch Detterbeck/Windthorst/Sproll (Fn. 86), § 11 Rn. 33.116 Zur Voraussetzung der Ausübung eines öffentlichen Amts, speziell zum haftungsrechtlichen Beamtenbegriff:Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 101 ff.; Schoch, JURA 1988, 585 (586 ff.).117 Zur Amtspflicht der Gemeinde zur Erstellung einer ausreichend dimensionierten Kanalisation: OLG München, NVwZ1992, 1124 (1124); 1992, 1125 (1125). Vertretbar ist es auch, auf die allgemeine Amtspflicht zur Unterlassung vondeliktischen Handlungen gegenüber Dritten (hier: Eigentumsverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB) abzustellen.118 Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 124 ff.; Schoch, JURA 1988, 585 (589 ff.).

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Eine Amtspflicht ist drittschützend, wenn sie nicht nur dem Allgemeininteresse, sondern zumindestauch dem Individualinteresse zu dienen bestimmt ist. Dies ist hier der Fall. Die Amtspflicht, Ab-wasserkanalanlagen ordnungsgemäß zu betreiben und zu warten (prüfen), dient nicht nur dem All-gemeininteresse von G (Vermeidung von – kostenintensiven – Reparaturen bzw. Ersatzmaßnahmeninfolge von Beschädigung des Kanalnetzes), sondern auch dem Individualinteresse der Einleiter(Schutz vor Eigentums- und Vermögensbeeinträchtigungen infolge von Rückstau- oder Über-schwemmungsschäden). Sie ist damit als solche drittschützend.

Vom personalen Schutzbereich dieser Amtspflicht wird auch B, der als Einleiter im Geltungsbe-reich der Entwässerungssatzung von G an die Abwasserkanalisation von G angeschlossen ist unddiese benutzt.

Problematisch ist, ob der Rückstauschaden im konkreten Fall unter den sachlichen Schutzbereichder Amtspflicht fällt. Dieser ist durch die Ermittlung des Schutzzwecks der Norm zu bestimmen.119

Die Frage ist parallel zur Frage der Einschlägigkeit der allgemeinen Schutzpflicht im Rahmen desAnspruchs wegen schuldhafter Pflichtverletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisseszu beurteilen (s.o.). Aus den dort ausgeführten Gründen sind auch im Rahmen des Amtshaftungsan-spruchs Rückstauschäden als vom sachlichen Schutzbereich der Amtspflicht mitumfasst anzuse-hen.120

Die Drittbezogenheit der Amtspflicht ist somit gegeben.

d) VerschuldenNach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB müssten die Amtsträger schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) gegenihre Amtspflicht verstoßen haben. Wie oben dargelegt, handelten die Bediensteten von G hinsicht-lich ihrer Amtspflicht zur Beachtung der Kapazitätsgrenze der Abwasserkanalisation grob fahrläs-sig, da sie die an einen pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten (objektivierter Verschuldensmaßstabdes § 276 II BGB) zu stellenden Anforderungen eklatant verletzt und sich über die Kapazitätsgrenzeder Kanalisation im „blindem Vertrauen“, „es werde nichts passieren“, hinweggesetzt haben. Ver-schulden liegt damit vor.

e) SchadenEin (Eigentums)Schaden ist dem B entstanden.

f) KausalitätDie Amtspflichtverletzung war – nach hier vertretener Ansicht – auch kausal für den Schaden (s.o.I. 2. e).121 Der Schaden wäre bei pflichtgemäßem Verhalten der Amtsträger nicht eingetreten. DerSchadenseintritt liegt auch nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung (Adäquanztheorie)122.

g) AnspruchsgegnerDie Frage des richtigen Anspruchsgegners richtet sich nach der Anvertrauenstheorie (h.M.). Da-nach haftet vorliegend G, da sie den Amtswaltern die Aufgaben, bei deren Wahrnehmung es zu derAmtspflichtverletzung kam, übertragen hat. Nach einer Mindermeinung (Anstellungstheorie)haftet der Rechtsträger, der die Bediensteten angestellt hat.123 Dies ist hier gleichfalls G. Damitkann der Streit hier dahinstehen. Richtiger Anspruchsgegner ist G.

119 Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 138.120 Ebenso Brinktrine/Kastner (Fn. 83), S. 284 f.121 Eine a.A. (Verneinung der Kausalität) ist auch hier mit einem Teil der Rspr. (noch) vertretbar.122 Vgl. zu diesem – allein zu prüfenden – Erfordernis der haftungsausfüllenden Kausalität bei der Amtshaftung Schoch,JURA 1988, 585 (592 f.).123 Zu dem „Theorienstreit“: Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 211 ff. m.w.N.

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3. Rechtsfolgea) SchadenshöheDer Schaden beträgt € 30.000,-.

b) Haftungsausschluss oder -minderungaa) Verweisungsprivileg (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB)Es könnte ein Haftungsausschluss gem. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegen. Fraglich ist, ob G dasVerweisungsprivileg in der vorliegenden Fallkonstellation überhaupt in Anspruch nehmen kann.Zwar hat der BGH die Subsidiaritätsklausel zunehmend eingeschränkt und für bestimmte einzelneFallgestaltungen Ausnahmen von ihrer Anwendbarkeit begründet.124 Ein solcher Ausnahmefall liegtindes hier nicht vor. Es handelt sich insbesondere nicht um eine mit der Verletzung der allgemeinenStraßenverkehrssicherungspflicht vergleichbare Fallgestaltung.125 Deren tragender Grundgedanke(Deckungsgleichheit der dem Amtsträger als hoheitliche Aufgabe obliegenden Pflichten mit derallgemeinen Verkehrsicherungspflicht, die jedermann trifft, sofern er nur einen Verkehr eröffnet)passt hier nicht. Die Pflichten der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit der Sammlung undBeseitigung von Abwässern sind „ihrer Natur nach hoheitliche Aufgaben aus dem Bereich der Da-seinsvorsorge“, weshalb „kein vernünftiger Grund besteht, diese aus dem Anwendungsbereich des§ 839 I 2 BGB herauszunehmen“.126

Vorliegend kommt ein Haftungsausschluss auf Grund des Verweisungsprivilegs gem. § 839 Abs. 1S. 2 BGB zunächst deshalb in Betracht, da B einen Schadensersatzanspruch gegen seine Gebäude-versicherung hat. Nach der Rechtsprechung gilt § 839 Abs. 1 S. 2 BGB aber nicht (teleologischeReduktion), wenn es sich bei dem anderweitigen Anspruch um einen Anspruch gegen eine gesetzli-che oder private Versicherung handelt, da es Sinn und Zweck derartiger Versicherungsansprüche,die der Geschädigte durch eigene Leistung erworben hat, den Geschädigten abzusichern, nicht aberden Schädiger (Staat) zu begünstigen.127

Der anderweitige Ersatzanspruch des B gegen G aufgrund sonstiger Anspruchsgrundlage (hier:§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB analog; s.o. I.) fällt nicht unter § 839 Abs. 1 S. 2 BGB, da er gegendenselben Hoheitsträger (G) gerichtet ist.128

bb) Vorwerfbare Rechtsmittelversäumung (§ 839 Abs. 3 BGB)Ein Fall von § 839 Abs. 3 BGB ist nicht gegeben, da B den Eintritt des Schadens nicht durch Einle-gung eines Rechtsbehelfs hätte vermeiden können (s.o.).

cc) Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB)Da B zur Hälfte für den Schaden selbst verantwortlich ist (s.o.), ist sein Anspruch in dieser Höhegem. § 254 Abs. 1 BGB129 zu mindern.

dd) Haftungsbeschränkung gem. § 15 der EntwässerungssatzungEs ist umstritten, ob im Rahmen der Amtshaftung eine Beschränkung der Haftung auf Vorsatz undgrobe Fahrlässigkeit erfolgen darf. Die h.M. lehnt dies ab,130 eine Mindermeinung hält dies dage-

124 BGHZ 123, 102.125 Zu dieser Fallgestaltung Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1087.126 OLG Brandenburg, LKV 2008, 190 (191); OLG Karlsruhe, NVwZ-RR 2001, 147.127 BGHZ 62, 380 (383 f.); 79, 26 (31 ff.); 85, 230 (232 ff.); Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1087; Maurer (Fn. 15), § 26 Rn.31.128 Maurer (Fn. 15), § 26 Rn. 31; § 27 Rn. 104; Detterbeck, ebd.129 Zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift: Baldus/Grzeszick/Wienhues (Fn. 7), Rn. 202 ff.130 BGHZ 61, 7 (14); BGH, NJW 1984, 615 (617); Detterbeck (Fn. 7), Rn. 1271; Maurer (Fn. 15), § 26 Rn. 39;Ossenbühl (Fn. 7), S. 96. Die h.M. begründet dies damit, das die nach Art. 34 S. 1 „grundsätzlich“ bestehendeAmtshaftung nur durch formelles Gesetz oder aufgrund eines besonderen formellen Gesetzes beschränkt werden könne,der Gemeinde insoweit aber die Regelungskompetenz fehle. Insbesondere reiche § 11 Abs. 1 S. 1 GemO nicht aus.

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gen für zulässig131. Vorliegend kann der Streit aber dahinstehen, da grobe Fahrlässigkeit von Gvorliegt (s.o.) und die Haftungsbeschränkung daher nicht eingreift.

c) VerjährungVerjährung (§ 195 BGB) ist nicht eingetreten (s.o.).

4. ErgebnisB hat einen Anspruch gegen G auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von € 15.000,- aus § 839Abs. 1 BGB, Art. 34 S. 1 GG.

III. GesamtergebnisB hat einen Anspruch gegen G auf Schadensersatz in Höhe von € 15.000,- aus §§ 280 Abs. 1, 241Abs. 2 BGB analog wegen schuldhafter Verletzung der aus einem verwaltungsrechtlichen Schuld-verhältnis folgenden Pflichten und aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG.132

131 VGH München, DVBl 1985, 903 f.; Rüfner, DÖV 1973, 808 ff.; differenzierend Reiter, BayVBl 1990, 771 ff.132 Eine a.A. ist – aus den o.g. Gründen – hinsichtlich des Bestehens des Anspruchs sowohl dem Grunde als auch derHöhe nach gut vertretbar.

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A. Aufgabe 1I. Anspruch aus Art. 340 AEUVII. Staatshaftung nach nationalem Recht

1. Existenz eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanpruchs2. Rechtsnatur und Anspruchsgrundlage3. Anwendbarkeit auf Fälle judikativen Unrechts4. Voraussetzungen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs

a. Verstoß gegen eine dem Einzelnen subjektive Rechte verleihende Normdes Unionsrechts

b. Hinreichend qualifizierter Verstoßaa. Voraussetzungen und Anknüpfungspunktbb. Nichtbeachtung der Auslegung des EuGHcc. Verletzung der Vorlagepflichtdd. Weitere Voraussetzungen

c. Schadend. Unmittelbare Kausalitäte. Anspruchsgegner (Passivlegitimation)

5. Einflüsse des deutschen Staatshaftungsrechts auf Ebene der Haftungsfolgena. Spruchrichterprivileg, § 839 Abs. 1 S. 1 BGBb. Spezifische Einschränkungen bei judikativem Unrechtc. Vorwerfbare Rechtsmittelversäumung, § 839 Abs. 3 BGBd. Verjährung

B. Aufgabe 2I. Anspruch aus schuldhafter Pflichtverletzung eines öffentlich-rechtlichen

Schuldverhältnisses, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB analog1. Anwendbarkeit2. Haftungsvoraussetzungen

a. Öffentlich-rechtliches Schuldverhältnisb. Objektive Pflichtverletzungc. Vertretenmüssend. Schadene. Kausalität

3. Rechtsfolgea. Schadensumfangb. Haftungsausschluss/ -minderung

aa. Haftungsausschluss durch § 15 Entwässerungssatzungbb. Mitverschulden, § 254 Abs. 1 BGB analogcc. Verjährung, § 195 BGB analog

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II. Anspruch aus Amtshaftung1. Anwendbarkeit2. Haftungsvoraussetzungen

a. Ausübung eines öffentlichen Amtsb. Amtspflichtverletzungc. Drittbezogenheit der Amtspflichtd. Verschuldene. Schadenf. Kausalitätg. Anspruchsgegner (Passivlegitimation)

3. Rechtsfolgea. Anspruch auf Schadensersatzb. Haftungsausschluss/ -minderung

aa. Verweisungsprivileg, § 839 Abs. 1 S. 2 BGBbb. Vorwerfbare Rechtsmittelversäumung, § 839 Abs. 3 BGBcc. Mitverschulden, § 254 Abs. 1 BGBdd. Haftungsausschluss durch § 15 Entwässerungssatzungee. Verjährung, § 195 BGB