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Wahrscheinlichkeitsrechnung im Gerichtssaal Raj Spielmann, Gymnasium Kirchenfeld Kolloquium über Mathematik, Informatik und Unterricht ETH Zürich, Do. 25.10.2018, 17.15-18.15 Uhr

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Wahrscheinlichkeitsrechnung im Gerichtssaal

Raj Spielmann, Gymnasium Kirchenfeld

Kolloquium über Mathematik, Informatik und Unterricht

ETH Zürich, Do. 25.10.2018, 17.15-18.15 Uhr

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«Wir Menschen […] lieben es, unsere Vermutungen Gewissheit zu nennen oder, wenn wir einige Wahrscheinlichkeitsgründe dafür haben, für sicher zu halten; und doch sind manche wahrscheinlichen Dinge unwahr, wie manche unwahrscheinlichen wahr.»

Aurelius Augustinus (354-430) als Bischof von Hippo an einen Strafrichter seiner Diöszese

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Max Hirschberg: Das Fehlurteil im Strafprozess (1962)

«Die meisten Fehlurteile entstehen dadurch, dass der Richter bei der Wahrscheinlichkeit stehenbleibt, statt Gewissheit zu verlangen.»

«Die Evidenz, das Bewusstsein der Gewissheit, ist nicht ein höherer Grad von Wahrscheinlichkeit […]. Gewissheit ist vielmehr die Überzeugung von der […] Unmöglichkeit des Andersseins.»

Diese Überzeugung muss aus der Untersuchung des Tatablaufs stammen (Motiv, logische Nachvollziehbarkeit der Tat, gesicherte Spuren und Aussagen).

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Wie kommen Wahrscheinlichkeiten in den Gerichtssaal?

• Intuitive Benutzung (Plausibilität)

• Als Ergebnis technischer Verfahren, die an eine math. Auswertung gekoppelt sind (z.B. DNA-Tests)

In jedem Fall liegt ein Modell zugrunde.

• Ist es mathematisch korrekt?

• Ist es realitätsnah?

• Welchen Einfluss haben ungenaue Ausgangsdaten?

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Eine komplizierte Schnittstelle

Experte (Anklage/Verteidigung): Daten → Modell → Zahlen Gegenseite (Anklage/Verteidigung): Einwände, Gegenexpertisen? Richter: Sind die Zahlen relevant? Richter/ Jury: Zahlen → Bewertung → Urteil Wie weit können Juristen/ Jury ohne Spezialkenntnisse

• den Argumenten mathematischer Experten logisch folgen, • die Ergebnisse interpretieren? (Vorstellung bei grossen und

kleinen Zahlen.)

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Teil 1: Vier Fallstudien

Beispiel 1: Fall Collins

• Strassenraub, Los Angeles, 1964

• Fakten: Juanita Brooks wurde zu Boden gestossen und bestohlen.

• Angeklagt: Ehepaar Janet und Mark Collins, weil sie den Tätern sehr ähnlich sehen.

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Eine aussergewöhnliche Ähnlichkeit

Das Täterpaar war gemischtrassig, ebenso wie Familie Collins.

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Die Beweislage

• Es gab einen Tatzeugen.

• Weder Opfer noch Zeuge konnten auch nur einen der beiden Beschuldigten identifizieren.

(Der Zeuge erkannte Herrn Collins nur im Gerichtssaal.)

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Die Argumente des Staatsanwalts

Festgestelltes Merkmal Wkt für Paare

M1: blonde jüngere Frau 1/3

M2: jüngere Frau mit 1/10

Pferdeschwanz

M3: gelbes Auto 1/10

M4: Mann mit Schnurrbart 1/4

M5: bärtiger Afroamerikaner 1/10

M6: gemischtrassiges Paar 1/1000

im Auto

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Multiplikation der Wahrscheinlichkeiten

als Wahrscheinlichkeit für ein anderes Täterpaar

Urteil: schuldig

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Einige Kritikpunkte

• Die Wahrscheinlichkeiten sind Schätzwerte und können nicht belegt werden.

• Ihre Multiplikation setzt die Unabhängigkeit voraus.

Doch das ist falsch, z.B. sind M1,M5 und M6 abhängig.

• unsichere Zeugenaussagen → nicht alle Merkmale gesichert

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Hauptkritik: «Trugschluss des Staatsanwalts»

Aus

folgt nicht

Mit seltenen Tätermerkmalen ist man nicht sofort schuldig, weil es viele Menschen gibt.

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Kalifornien um 1964: ca. 24 Mio. Paare im tatverdächtigen Alter

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Ereignisse:

T = «Tätermerkmale treffen zu» Cs = «Collins sind schuldig»

… reicht zur Verurteilung nicht aus.

Verteidigung fordert Revision. Oberstes Gericht von Kalifornien: Freispruch.

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«Trugschluss des Staatsanwalts» - häufigster mathematischer Fehler an Gerichten

Die Datenbank «Bayes and the Law» zählt 27 Beispiele, darunter

• Dreyfuss—Affaire (Frankreich, 1894-1906)

• Birmingham Six (GB, 1991)

• Guilford Four (GB, 1975)

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Beispiel 2: Fall Joe Sneed

• Mord, Silver City (New Mexiko), 1964

• Fakten:

o Joe Sneed kommt von einer Reise zurück.

o Als er seine Eltern zu Hause erschossen vorfindet, benachrichtigt die Polizei.

• Angeklagt: Joe Sneed wegen Ermordung der Eltern

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Verdachtsmomente

• Kugeln stammten aus einem Kaliber 22.

(Revolver blieb verschwunden)

• Ein gewisser «Robert Crosset» hatte am Vortag in der Nachbarstadt einen Revolver dieses Kalibers gekauft.

Verkäufer: weiss, 1,75m, braune Augen und Haar

• In Sneeds Auto findet man eine Hotelquittung auf «Robert Crosset» mit derselben Postadresse.

• Joe Sneed behauptet, den Namen nie benutzt zu haben.

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Der Experte: Edward Thorp

Mathematiker und Hedgefonds-Manager

• Assistent am MIT

• Professor an der New Mexico State University, später University of California in Irvine

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…ein ausgewiesener Spezialist der angewandten Wahrscheinlichkeitsrechnung

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… schon damals Bestseller-Autor

Kartenzählen als

Gewinnstrategie

im Casinospiel Black Jack

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…mit späterer Hollywood-Verfilmung: «21»

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Das Gutachten

Prof. Thorp:

• Der Name «Robert Crosset» ist im Westen der USA selten.

• Wahrscheinlichkeit für zweiten, ähnlichen «Robert Crosset»

Jury: Sneed hat die Waffe unter falschem Namen gekauft

Urteil: schuldig, lebenslange Haft

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mathematische Pseudobeweise und Hypothesen anstelle

juristischer Beweise

Experte:

Obwohl ohne Rechnung klar:

Staatsanwalt: • Diese Person ist Sneed, denn er hat eine Quittung. • Sneed hat auch die Pistole Kaliber 22 gekauft.

Obwohl Beweise fehlen (Weder Waffenhändler noch Hotelpersonal kann ihn identifzieren.) Staatsanwalt: Er hat die Eltern getötet, denn es war dasselbe Kaliber.

Obwohl Beweise fehlen, ob es dieselbe Waffe war.

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Fortsetzung

• Revision

• zweiter Prozess:

o ohne Wahrscheinlichkeiten

o Urteil: schuldig, lebenslänglich

Was sprach gegen ihn?

• Sneed stritt ab, das Pseudonym je benutzt zu haben.

(Es gab tatsächlich keinen Beweis.)

• Das Gericht betrachtete das als Lüge

→ Schuldbeweis?

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Beispiel 3: Der Mordfall Nicole Brown

Nicole Brown: Ex-Frau von O. J. Simpson (Footballstar, Schauspieler, Multimillionär)

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Ausgangslage

• Nicole Brown und ihr Freund Ronald Goldman wurden 1994 in ihrem Haus in Los Angeles ermordet.

• Hauptverdächtigter: O.J.Simpson.

• Belastungsmoment: mehrfache schwere Misshandlungen

• Anklage: Die Misshandlung endete im Mord.

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O.J. Simpsons Verteidigung

«Dream Team» (6 Mio.$):

Beste Verteidiger und Spezialisten, die für Geld erhältlich waren.

Alan Dershowitz: Staranwalt und Havard-Professor

• Die vorherige Misshandlung ist nicht relevant.

• Weniger als 1/2500 aller Schläger gehen später bis zum Mord.

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Der Freispruch

• Das Gericht berücksichtigte die Misshandlung nicht.

• Simpsons DNA-Experten wiesen der Polizei schlampige Arbeit und Verunreinigung der Proben nach.

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Modell von Dershowitz

Ereignisse:

• «P tötet F» Partner bzw. Ex-Partner tötet seine Frau

• «P schlug F» Partner bzw. Ex-Partner misshandelte seine Frau

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Wo steckt der Fehler?

Der Mord wurde begangen, selbst wenn der Täter noch unbekannt ist.

Weiteres Ereignis:

«Mord» Die Frau wurde (von jemandem) ermordet.

Also suchen wir

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Statistische Fakten

Landesweite Mordrate für Frauen =0,005%

Eine misshandelte Frau ist von einem fremden Mörder keinem höheren Risiko ausgesetzt.

(Diese wählen nach günstiger Gelegenheit, ohne die Vorgeschichte zu kennen.)

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Die Misshandlung war relevant!

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Wie hoch wäre die Mordwahrscheinlichkeit ohne Information der Misshandlung?

Daten: Im Jahre 1992 wurden in den USA 4936 Frauen ermordet, davon 1430 von Partnern bzw. Ex-Partnern.

→ höher als die 0,04% der Verteidigung.

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Beispiel 4: Prozess wegen zweifachem Kindsmord

Vorgeschichte:

• Familie Clark (England) verlor im Laufe eines Jahres zwei Kinder.

• Dezember 1996: Tod von Christopher (11 Wochen alt)

• Etwa ein Jahr später: Tod von Harry (8 Wochen alt)

• Arzt stellt keine eindeutige natürliche Todesursache fest.

→Anklage gegen Sally Clark wegen doppeltem Kindsmord.

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Zu klären: SIDS ?

(sudden infant death syndrome, Alter unter 1 Jahr):

• Sammelbegriff: Tod durch mehrere natürliche Faktoren

• Schliesst Todesfälle unbekannter Ursache ein, die nicht vorsätzlich herbeigeführt wurden.

• sehr selten → wenig erforscht

Einflussfaktoren

• Gesundheitszustand des Kindes

• Lebensgewohnheiten der Eltern (z.B. Zigaretten-oder Alkoholkonsum der Eltern)

• Lebensgewohnheiten des Kindes (z.B. Lage beim Schlafen)

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SIDS und Mord sind oft schwer unterscheidbar

Besonderheiten von Säuglingen

• Leichte Verletzbarkeit

• Wichtige Organe/ Immunsystem funktionieren unvollständig

Aspekte bei der Obduktion

• Relevanz vorhandener Erkrankungen

• Relevanz bewusster/ unbewusster Fehlbehandlung

Psychologische Aspekte: Überforderung der Eltern?,…

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SIDS → Unterteilung der Eltern in Risikogruppen

Die Wahrscheinlichkeit eines Babys für SIDS liegt in England zwischen

• 1/1303 (höchste Risikogruppe)

• 1/8500 (niedrigste Risikogruppe)

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Gutachter: Sir Roy Meadow

Renommierter Kinderarzt

• Münchhausen-Stellvertretersyndrom

(subtile Kindesmisshandlung durch ein Elternteil)

• 1980: Professor für Pädiatrie am St James’s University Hospital, Leeds

• 1998: Adelstitel für Verdienste bei der Kindergesundheit

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Das Gutachten: Wie wahrscheinlich wäre SIDS?

Prof. Meadow:

Bei Familie Clark fehlten typische Risikofaktoren.

→ tiefste Risikogruppe

Damit ist die Wahrscheinlichkeit des doppelten Kindstodes

in England nur etwa alle 104 Jahre → Mord ist wahrscheinlich.

Dr. Williams (Pathologe): 2. Kind: Rippenbrüche, Blutungen,

keine Krankheiten festgestellt,

1. Kind: unnatürl. Erstickungstod

→ Jury: lebenslänglich (Doppelmord)

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Kritische Stimmen

Nach der Urteilsverkündung im November 1999 gab es gegen das Gutachten starke Proteste, die von der Presse und Abgeordneten unterstützt wurden.

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Zu den Kritikern gehörten

• der Präsident der Royal Statistical Society (RSS),

• der Präsident der Mathematical Association

• Professoren für Statistik (Oxford, London)

Bemängelt:

• Multiplikation ohne Begründung

• Interpretation

Meadows Law:

"one sudden infant death is a tragedy, two is suspicious and three is murder, unless proven otherwise".

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Prof. Ray Hill, Universität Manchester

Hill’s Modell :

• S1 erster SIDS-Fall

• S2 zweiter SIDS-Fall

S2 und S1 sind abhängig:

Wegen Wiederholung war Risiko im ersten Fall höher :

Wahrscheinlichkeit wiederholter SIDS-Fälle (England, Wales) pro Geschwisterpaar

→ Fast jedes Jahr ein wiederholter SIDS-Fall in England/ Wales

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Konsequenzen

Okt. 2001: öffentliche Stellungnahme der Royal Statistical Society zu " invalid probabilistic reasoning in court ". 2002: wird bekannt, dass der Gerichtsmediziner bei Harry eine Staphylokokken- Infektion verheimlicht hatte. Jan. 2003: Revision und Freispruch für Sally Clark Revision weiterer SIDS-Fälle, bei denen Prof. Meadow zuständig war. (zwei Doppelmorde und ein Dreifachmord) 2005: neue Fakten über den Pathologen: Beim Verschweigen der Staphylokokken-Infektion änderte er auch die Meinung zum ersten Todesfall (von Atemwegsinfekt zu unnatürlichem Erstickungstod). → Dreijährige Berufssperre Aberkennung der ärztlichen Zulassung von Dr. Meadow

2007: Sally Clark stirbt an Alkoholvergiftung

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Sesardic (2007): kritischer Blick auf die Gegengutachten

Datenbasis: CESDI SUDI Studies 1993–1996

Ansatz:

(Verhältnis wiederholter SIDS-Fälle zu wiederholten Morden)

Eingangsparameter:

(Verhältnis SIDS-Fälle zu Morden)

(Verhältnis der Wiederholungs-Wkten)

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Verhältnis SIDS-Fälle zu Morden

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Geringer Umfang der CESDI –Studie 1993–1996:

Bei wenigen falsch zugeordnete Fällen (Mord oder SIDS)

→ Geringe Veränderung der Mordrate

→ stark verfälscht

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Dunkelziffer der Mordrate in CESDI –Studie

10-20% SIDS ist Mord

• Mord relativ leicht als SIDS darstellbar

• Jeder Kindesmörder versucht, SIDS vorzutäuschen, aber SIDS-Eltern behaupten keinen Mord.

• Bei Justizirrtum: SIDS fälschlich als Mord klassifiziert.

Risiko besteht eher im Wiederholungsfall, da Justiz beim ersten Mord selten aktiv wird.

→ CESDI- basierter Wert zu gross?

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Wiederholte Todesfälle

Mord: grosse Wiederholungsgefahr (z.B. überforderte Mütter) → abhängige Ereignisse

SIDS: sich widersprechende Studien und Aussagen Viele behaupten sehr geringe Abhängigkeit bei mehrfachem SIDS, statistisch nahezu Unabhängigkeit

CESDI –Studie: kleiner Datenumfang, Dunkelziffer → zu gross?

Schlussfolgerung von Sesardic

• bei Meadow und Hill unverlässliche Ausgangsdaten • Beide Modelle sind Extremfälle.

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Rückblick im Fall Sally Clark

Ausgangssituation, Faktenlage → Grenzfall

Fehler:

• Pathologe verschweigt von Fakten

• Jury: Fehlinterpretation von Wkt

• Verteidigung: Experte für Statistik wäre notwendig gewesen

Freispruch (Mangel von Beweisen) wäre auch mit Meadows Modell möglich.

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Zusammenfassung der Fallbeispiele

Ursachen der Fehlurteile :

Ausser mathematischen Fehlern wurden noch weitere begangen.

Es fehlten juristische Beweise (z.B. Identifikation in Gegenüberstellungen, pathologisches Gutachten, Spurensicherung)

Wahrscheinlichkeiten wurden missbraucht, um juristische Beweise durch Hypothesen zu ersetzen.

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Wie kann ein Gericht derartige Fehlurteile vermeiden?

Juristen (Richter, Verteidiger, Staatsanwälte) müssen erkennen,

• ob ein zusätzlicher Experte für Statistik benötigt wird (Fall 3,4)

• wenn juristische Beweise durch Zahlenspiele ersetzt werden (Fall 1,2).

→ Grundkenntnisse in Wkt und Interpretation sind unverzichtbar.

Bei Urteilsfindung:

• Gewissheit im konkreten Fall statt Wahrscheinlichkeit eines abstrakten Falles!

• In dubio pro reo

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Teil 2: Zur Beweiskraft von DNA-Tests

Grundbegriffe: 46 Chromosomen (23 vom Vater, 23 von Mutter)

Gen-Ort = spezifischer Chromosomen-Abschnitt

Allele = Gen-Varianten eines Gen-Orts

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Was ist ein DNA-Profil?

• Länderspezifisch werden 11-13 Gen-Orte festgelegt, wo günstig zu zählende Allele vorhanden sind.

• An jedem Gen-Ort werden zwei Allele (mütterlich und väterlich) bestimmt.

• Es wird nur ein Bruchteil der gesamten DNA ausgewertet!

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DNA-Test → Schuld oder Unschuld?

Man vergleicht das Profil des Tatverdächtigen mit den DNA-Spuren vom Tatort.

• mindestens ein Unterschied → Entlastung

• Übereinstimmung → verstärkter Verdacht

• Je seltener das Profil ist, desto verdächtiger

Achtung: verdächtig ist nicht schuldig!

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Wann ist ein Profil selten?

Häufigkeit: aus Ethnie-Teilbestand der Datenbank

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DNA-Profile in der Praxis

Probleme der Spurensicherung:

• Beschädigte Proben → nicht alle Gen-Orte messbar

→ unvollständige Profile

• Oft Vermischung der DNA von Täter und Opfer

• Tatwaffen (Messer usw.) können vorher in den Händen verschiedener Personen gewesen sein.

→ unzuverlässige (verunreinigte) DNA-Proben

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Reale und ideale Profilwahrscheinlichkeiten

• Beim Personentest (13 korrekt bestimmte Gen-Orte) beträgt die Profilwahrscheinlichkeit

• Bei Tatortprofilen liegt p zwischen

• Dadurch werden gleiche Profile für verschiedene Personen wahrscheinlicher.

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Klassisches Geburtstagsparadoxon

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass in einer Gruppe von n Personen mindestens zwei am selben [Tag, Monat] Geburtstag haben? t=365 (Tage im Jahr)

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Das Geburtstagsparadoxon in der DNA-Datenbank

p = Häufigkeit eines DNA-Profils in der Datenbank

n = Anzahl der Profile in der Datenbank

Wahrscheinlichkeit mindestens zweier gleicher Profile

Ein «gutes» Profil in einer kleineren Datenbank:

Für und

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Der Blick des Insiders: Kathryn Troyer

Datenbank des Staates Arizona: n=65.493 Profile

• 122 Profilpaare mit Übereinstimmung in 9 Gen-Orten

• Davon 20 Paare mit Übereinstimmung in 10 Gen-Orten

• 1 Paar mit Übereinstimmung in 11 Gen-Orten

• 1 Paar mit Übereinstimmung in 12 Gen-Orten

→ Je grösser ein Bestand, desto mehr Übereinstimmungen

Nationale Datenbanken enthalten Mio. Profile!

Behörden verweigern Untersuchungen aus Datenschutzgründen!

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Wundersame Zufälle

• 1999/ Bolton (USA): Einbruch →

→ Verdächtiger ist Parkinson-Patient aus England

• 2004/ Chicago: mehrere Raubüberfälle

DNA-Profil mit 6 Genorten → inhaftierte Diane Myers

• 2002/ Italien: Mord → Barmann aus Liverpool, der nie in Italien war

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Der Mordfall Diana Sylvester

1972: Diana Sylvester wird in San Francisco zuhause vergewaltigt und ermordet. Der Fall wird nicht geklärt.

2003: Polizei unternimmt DNA-Analyse alter Fälle.

Die DNA-Spur mit 5 1 2 Gen-Orten wird künstlich um 2 1 2 Orte erweitert, damit sie ins System eingegeben werden kann.

→ Cold Hit: John Puckett (70 Jahre, ehemaliger Sexualverbrecher)

Profilwahrscheinlichkeit:

→ Jury: schuldig, lebenslänglich

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Entlastende Momente

• DNA-Spur: Hohes Risiko der Verunreinigung

• Puckett hat keinen der 28 Fingerabdrücke des Tatorts

• Er beging niemals Morde.

• Sein «Schema» war anders.

• Die einzige Zeugenbeschreibung passt nicht zu Puckett.

• Diese Zeugin ist bereits verstorben.

→ bei Urteilsfindung nicht berücksichtigt

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Zur Aussagekraft des Profils

n= Anzahl Männer gleichen Alters in der Bay Area (n=2 Mio.)

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Nochmals: «Trugschluss des Staatsanwalts»

Ps = Puckett schuldig T = die Person besitzt das Tatprofil

→ Selbst bei Vergewaltigern reicht diese Wahrscheinlichkeit nicht aus, da Entlastungsmomente nicht ignoriert werden dürfen.

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Abschlussbemerkungen

• Schuld oder Unschuld kann nicht allein aus Wahrscheinlichkeiten abgelesen werden.

• Stattdessen dienen Wahrscheinlichkeiten zur gezielten Suche nach Belastungs- und Entlastungsmomenten.

• Nur aus diesen darf ein Schuldspruch (Gewissheit) oder Freispruch (mangels Beweisen) abgeleitet werden.

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Literatur

• Bayes and the Law (Datenbank) https://sites.google.com/site/bayeslegal/home

• Coralie Colmez, Leila Schneps (2013): Wahrscheinlich Mord: Mathematik im Zeugenstand. Carl Hanser Verlag.

• Max Hirschberg (1962): Das Fehlurteil im Strafprozess. Fischer.

• Neven Sesardic: Sudden Infant Death or Murder? A Royal Confusion About Probabilities, Brit. J. Phil. Sci. 58 (2007), 299–329

• Raj Spielmann (2017): Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik: Mathematische Anwendungen in Natur und Gesellschaft. De Gruyter.