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Ralf Dombrowski Portrait Saxofon Kultur Praxis Repertoire Interpreten Bärenreiter Kassel Basel London New York Praha

Ralf Dombrowski Portrait Saxofon - Amazon S3...Inhalt Vorwort 7 Eine Kulturgeschichte des Saxofons 9 Die Klarinette 9 Die Klangvorstellung der Romantik 11 Die Erfindung des Saxofons

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Ralf Dombrowski

Portrait Saxofon

Kultur Praxis Repertoire Interpreten

Bärenreiter Kassel Basel London New York Praha

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

© 2010 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, KasselUmschlaggestaltung: www.takeoff-ks.de, christowzik + scheuch, kassel, unter Verwendung eines Fotos von vieraugenLektorat: Diana RothaugKorrektorat: Juliane Bergmeier, BerlinInnengestaltung und Satz: Dorothea WillerdingDruck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalzaisbn 978-3-7618-1840-4www.baerenreiter.com

Inhalt

Vorwort 7

Eine Kulturgeschichte des Saxofons 9

Die Klarinette 9 Die Klangvorstellung der Romantik 11 Die Erfindung des Saxofons 13 Frühe Jahre des Saxofons 15 Der amerikanische Weg 17 Story-ville – Weltkrieg und Aufbruch 19 Die Goldenen Zwanziger – Sidney Bechet und Marcel Mule 20 Sigurd Raschèr 22 Duke Ellington, Big Band Swing und Bläsersatz 24 Coleman Hawkins und Lester Young 29 Charlie Parker und das Ende des Swing 32 Screamin’ & Honkin’: Das Saxofon im Rhythm & Blues 35 Halbstarkenkanne und Sax-Appeal: Das Rock ’n’ Roll-Saxofon 39 Von der Coolness zur Spiritualität: Lee Konitz, Sonny Rollins, John Coltrane 42 Mit Plastik-Sax und System: Ornette Coleman 45 Albert Ayler und andere Avantgardisten 46 Horn Sections in Soul und Funk 47 Exot Bariton 49 Stimmen Europas: Von Peter Brötzmann bis Jan Garbarek 51 Raschèrianer und Mulisten 53 Saxofonensembles 56 Nebenschauplatz Pop 57 Wayne Shorter, Michael Brecker und die Achtziger 59 John Zorn und das urbane Saxofon 61 Branford Marsalis und die Rückkehr der Vergangenheit 62 Alles ist möglich: Der Weg in die Gegenwart 62

Höhepunkte des Repertoires 65

Das Saxofonrepertoire im Jazz 65 Das Saxofonrepertoire in Pop und Rock 79 Das klassische Saxofonrepertoire 81

Aufnahmen und Künstler – die Top Ten 85

Coleman Hawkins: Body And Soul 85 Charlie Parker: Ornithology 87 Sonny Rollins: Saxophone Colossus 90 Ornette Coleman: Free Jazz 94 John Coltrane: A Love Supreme 95 Peter Brötzmann: For Adolphe Sax 98 Wayne Shorter:

Native Dancer 100 Jan Garbarek: Officium 102 Alexander Glasunow: Kon-zert für Altsaxofon und Streichorchester op. 109 (1934) 104 Edison Denissow: Sonate für Altsaxofon und Klavier op. 37 (1970) 106

Konstruktion und Bauformen 110

Tonerzeugung und Atmung 110 Das Mundstück 112 Korpus und Mecha-nik 115 Die Instrumentenfamilie 121 Akustische Verwandte 130 Elektronische Verwandte 133 Hersteller 134

Ausbildung und Kompetenzen 140

Saxofon studieren 140 Hochschulen und Studiengänge 142 Saxofon im Selbst studium – Grundlagen 144 Die Intonation 147 Der eigene Sound 151 Arrangement und Solistik 156

Weiterführende Literatur 159 Personenregister 160 Abbildungsnachweis 166

Vorwort

Saxofonschulen gibt es viele. Das ist nicht zuletzt eine Folge der Musikpädagogik der vergangenen drei bis vier Jahrzehnte, die weltweit zu einem Boom der Studiengänge, Schulen, Notenwerke, Transkriptionen geführt hat. Bücher, die sich einführend des Instruments in seiner Gesamtheit annehmen, sind hingegen rar. Die Idee hinter dieser Darstellung ist daher ein die einzelnen Bereiche übergreifender Einstieg in die Materie, der sowohl die Kulturgeschichte des Saxofons als auch seine wichtigsten Vertreter und Aufnahmen, seine grundlegende Funktionsweise und nützliche Hinweise umfasst, wie man sich als Schüler, Student und interessierter Laie dem Sujet nähern kann.

Die Herausforderung der inhaltlichen Gliederung besteht darin, sowohl einen Überblick zu bieten, der bereits eine konkrete Vorstellung davon entwirft, wie das Saxofon zu dem markanten Instrument wurde, das es heute ist, als auch Wege in eine vertiefende Beschäftigung mit dem Thema zu weisen. Aus diesem Grund sind der eigentlichen Darstellung viele weiterführende CD-Tipps und Hinweise, Anekdoten und Ausblicke, Interviews und Quellen beigefügt, die als kommentierende Illustra-tionen ebenso wie als Links zu ergänzenden Inhalten dienen. Ein didaktischer Teil wurde bewusst ausgespart, denn dieser Part ist bereits durch Schulwerke ausführlich behandelt. Dafür nimmt die Kulturgeschichte eine wichtige Stellung ein. Denn wer die Entwicklung des Saxofons kennt, wird auch leichter eine persönliche Beziehung dazu aufbauen können.

Überhaupt geht es im »Portrait Saxofon« im Kern um Neugier, für den Leser ebenso wie für mich als Autor. Denn ich wollte dem Mythos auf die Schliche kommen, der das Instrument umgibt. Dafür hieß es, manches Archiv umzupflügen und vor allem auf den Langmut einiger Menschen zu vertrauen, die geduldig den Prozess der inhaltlichen Bewusstwerdung und Verschriftung begleiteten. Mein Dank gilt da zu-nächst meiner Familie für die Kraft im Hintergrund und Freunden, die mit Rat und Tat zur Seite standen, allen voran die Fotografen Oskar Henn, Thomas J. Krebs und Sepp Werkmeister, deren jahrelange Arbeit die Bebilderung des Buchs erheblich erleich-terte. Wertvolle Tipps und Hinweise kamen außerdem von Kollegen und Musikern wie Arend Hastedt, Jean-Marie Londeix, Hans-Jürgen Schaal, Hugo Siegmeth und Michael Wüst, die mir über manche Unsicherheit hinweghalfen. Und nicht zuletzt haben auch Diana Rothaug als Lektorin mit der richtigen Mischung nachhaltiger Be-harrlichkeit und Dorothea Willerding mit dem gelungenen Layout einen wichtigen Teil zum Gelingen des Buchs beigetragen. So kam es dazu, und ich hoffe, dass viele Leser ihren Spaß damit haben und ihren Nutzen daraus ziehen.

München, im Juli 2010

7|Vorwort

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war vor allem Ornithology von 1946, dessen elegant verspieltes Thema sich derart intensiv im kollektiven Klanggedächtnis der Ära einbrannte, dass es quasi als Parade-beispiel für Charlie Parkers Gestaltungskunst stehen kann.

Charlie Parkers kreativste Jahre fielen noch in die ausgehende Schellack-Ära. Er kümmerte sich allerdings nie groß darum, was tatsächlich mit den Platten, Masters oder unzähligen Livemitschnitten passierte, die von seiner Musik gemacht wurden. Dementsprechend unübersichtlich ist daher die diskografische Situation. Schon vier Jahre nach Parkers Tod erwähnte der Rezensent Erik Wiedemann in einem Artikel in der Zeitschrift Jazz Review 393 veröffentliche Aufnahmen des Saxofonisten. Da in-zwischen mehr als 50 Jahre nach dem Tod des Künstlers nahezu jedes Ton dokument rechtefrei zur Verfügung steht, ist das Angebot schier endlos. Neben umfassenden Zusammenstellungen wie »The Complete Verve Master-Takes« und »The Complete Savoy Session Master« sind auch die Alben »Now’s The Time (Verve Originals Serie)« und die »Charlie Parker With Strings« empfehlenswert. Letzteres ragt als experi-mentelles Album mit Streichquartett, Oboe und French horn aus seinem Schall-plattenwerk heraus und war 1950 als Impuls gedacht, dem ein wenig aus der Mode gekommenen Bebop-Star ein überraschendes Klangambiente zu verordnen und ihm gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, kompositorisch den bisherigen Rahmen seiner Kunst zu verlassen.

Komponieren und Improvisieren waren für Charlie Parker keine grundlegend verschiedenen Tätigkeiten. Viele seiner bekanntesten Stücke entstanden im Studio, als Einfall zwischendurch im Taxi, an der Bar auf einen Zettel notiert oder spontan auf der Bühne. Deshalb griff er gerne auf bekannte Strukturen, Blues und Standards wie Gershwins I Got Rhythm oder beliebte Harmoniefolgen wie aus dem Stück Indiana zurück. Auch Ornithology macht da keine Ausnahme. Akkordgrundlage war der Song How High The Moon, eine der inoffiziellen Hymnen des Bebop, die Charlie Parker mit einer neuen Melodie versah, die er zum Teil von einem seiner ehemaligen Orchester-partner bei Earl Hines, dem Trompeter Benny Harris, übernahm.

Aus der getragenen Melodie des Originals wurde eine flinke, in einzelne Patterns aufgeteilte Linie, die mit reichhaltigem rhythmischem, akzentsetzendem, dialogisch aufgebautem Innenleben die 32-taktige Form mit AA’-Struktur ausfüllt. Von 1946 an existieren allein von Charlie Parker über ein Dutzend Aufnahmen, immer variiert, aber

Schlager und StrawinskyCharlie Parkers Hörgewohnheiten waren sehr speziell. Freunde erzählten, er habe einfache Schlager, aber auch komplexe klassische Musik geliebt. Einem Journalisten offenbarte er in den späten Vierzigern: »Vor sieben oder acht Jahren habe ich angefangen, wirklich zu hören. Zuerst hörte ich Strawinskys Feuervogel. Um es umgangssprachlich auszudrücken: Ich ippte völlig aus. Bartók ist, glaube ich, mein Lieblingsmusiker geworden. Ich mag die ganze Moderne. Aber auch die Klassiker: Bach, Beethoven und so weiter.« (Wilson: Charlie Parker, S. 42)

89|Aufnahmen und Künstler – die Top Ten

keine notierte Fassung, sodass es keine endgültige Version der Komposition gibt. Trotzdem wurde Ornithology – der Titel war übrigens sowohl eine Anspielung auf Parkers Spitznamen »Bird« als auch auf dessen Kunst, musikalisch abzuheben – vor allem in der Fassung der berühmten Dial-Sessions mit Lucky Thompson und Miles Davis zu einer Grundlagenaufnahme des Bebop, in der der neue Geist der möglichst frei schweifenden Improvisation beispielhaft festgehalten wurde.

Benannt nach Charlie »Bird« Parker: der New Yorker Club »Birdland«

90

Sonny Rollins: Saxophone Colossus

Manche Spitznamen wird man nicht mehr los. Im Juni 1956 nahm Sonny Rollins ein Quartettalbum auf, das wenig später unter dem griffigen Titel »Saxophone Colossus« veröffentlicht wurde. Es machte schnell als eines der besten die Runde, das der Star des Hardbop je eingespielt hatte, und gilt bis heute neben »The Bridge« (1962) als

sein Meisterstück. Vor allem aber verhalf es dem Newcomer, der als eine der wenigen Koryphäen der Ära noch keinen Spitznamen hatte, zu einer Art Ehrentitel, mit dem er sich auch noch nach Jahrzehnten gerne von Fans und gewogenen Journalisten schmücken ließ.

Das Album »Saxophone Colossus« entstand am 22. Juni 1956 im Rudy van Gelder Studio in Hackensack, New Jersey. Neben Sonny Rollins waren der Pianist Tommy Flanagan, der Bassist Doug Watkins und Max Roach am Schlagzeug mit von der Partie. Gespielt wurden fünf Stücke: die Standard-Ballade You Don’t Know What Love Is, außerdem St. Thomas, die erste vom Calypso inspirierte Komposi-tion, mit der sich Sonny Rollins zu seinen karibischen Wurzeln bekannte, darüber hinaus die thematisch elegante und zugleich ausgefallene Hardbop-Nummer Strode Rode, der motivisch überzeugend stringent gestaltete Blues Blue Seven und die pfiffig swingende Verarbeitung des Brecht / Weill-Klassikers Mackie Messer, die in diesem Fall den Titel Moritat bekam.

Nun präsentierte sich der Tenorist bei diesem Studiotermin nicht etwa als stilistisch gewandelter oder inhaltlich revolutionärer Bilderstürmer. Aber er schaffte es, in fünf Stücken auf den Punkt zu bringen, was ihn als Künstler in diesen Jahren ausmachte, angefangen von der frechen Bearbeitung eines Musical-Klassikers über das exotische Element des Karibischen und die Fähigkeit, unkonventionelle Themen zu entwickeln, bis hin zu einer Balladenkunst, die durch pointierte Rubati, flexible Tempogestaltung und einen ungemein betörenden Sound faszinierte.

Nicht zuletzt der Blues Blue Seven aber war es, der den Musikwissenschaftler Gunther Schuller zwei Jahre später in einer Analyse in der Zeitschrift Jazz Review dazu verleitete, Sonny Rollins als »zentrale Figur der gegenwärtigen Erneuerung« zu bezeichnen. Im Rahmen dieses Essays hieß es außerdem: »Was Sonny Rollins schlüs-sig zum Spektrum der Jazzimprovisation beigesteuert hat, ist die Idee, ein Haupt-thema zu entwickeln und zu variieren, nicht bloß ein sekundäres Motiv, auf das der Spieler zufällig im Lauf seiner Improvisation stößt und das an sich nicht zum Thema

Buch-Tipp Peter Niklas Wilson: Sonny Rollins. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten, Waakirchen 1991Obwohl schon zwei Jahrzehnte alt, noch immer eine grundlegende und spannend lesbare Biograe mit ausführlichem musikologischem und diskograschem Teil.

91|Aufnahmen und Künstler – die Top Ten

in Bezug steht« (zitiert nach Wilson: Sonny Rollins, S. 78). Auch wenn diese These des »thematischen Improvisierens« im Laufe der Zeit doch erheblich modifiziert wurde, wirkt sie im Zusammenhang mit »Saxophone Colossus« durchaus schlüssig. Denn hier war ein großer Erzähler am Werk, der die Tradition von Coleman Hawkins mit der Spielhaltung von Charlie Parker in eine Ära weiterführte, die mit dem For-malen kämpfen sollte und Rollins dazu bewog, sich im August 1959 für zwei Jahre aus der Musikwelt zurückzuziehen, um sein melodisch-thematisches Konzept bis zu »The Bridge« grundlegend zu überdenken.

Interview mit Sonny Rollins (Bilbao, Sommer 2008)

Ralf Dombrowski: Herr Rollins, was zieht Sie noch immer auf die Bühne?

Sonny Rollins: Ich habe ein gewisses Talent, und es ist mein Job, es so weit auszubeuten,

dass etwas dabei herauskommt. Live spielen gibt mir die Möglichkeit, das direkt unter

realistischen Bedingungen zu versuchen.

RD: Worin bestehen denn die Herausforderungen für einen Musiker, der eigentlich alles

schon erreicht hat?

Rollins: Musik an sich hat kein Ende. Ich denke, in meinem Alter gibt es zwei Sorten

von Musikern. Die einen bleiben stehen und sind zufrieden mit Plattitüden. Ich aber

Sonny Rollins in den achtziger Jahren