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Ralph Dutli · 2016. 5. 8. · Jean Giono Ist das Leben wie ... sie liefern das süßeste Öl. Jean Paul, Titan . 9 1. Olive Sein eigener König I n der Bibel, im Buch der Richter,

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Ralph DutliLiebe Olive

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Ralph Dutli

Liebe OliveEine kleine Kulturgeschichte

Wallstein Verlag

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Für Olivier

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2013www.wallstein-verlag.deVom Verlag gesetzt aus der AldusUmschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf, unter Verwendung eines Gemäldes von Simone Martini: »Verkündigung«Druck und Verarbeitung: Friedrich Pustet, RegensburgISBN (Print) 978-3-8353-1374-3ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2521-0ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-2522-7

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In der allwissenden Ratgeberliteratur und in bunten Re-zeptbüchern wird über das »flüssige Gold« des Olivenöls gejubelt. Das Kulinarische und Gesundheitsfördernde der Olive und ihres Öls hat in zahlreichen Lifestyle-Büchern und Wellness-Bibeln schon öfter seinen modischen Nie-derschlag gefunden.

In diesem Buch geht es um etwas anderes: um die Jahr-tausende umspannende Kulturgeschichte eines erstaun-lichen Baumes und einer besonderen Frucht, um eine Lebenskunst – und Weisheitslehre. Von der Bibel bis zum Science-fiction-Roman des 21. Jahrhunderts reicht die Spannweite der hier versammelten, mit vielen Über-raschungen aufwartenden Quellen.

Kein anderer Baum ist so eng verbunden mit der Ent-wicklung der mediterranen und europäischen Kultur, der Religion und der Demokratie, der Medizin, des interna-tionalen Tauschhandels, des Sportes, der Kunst, der Lite-ratur. Der Olivenbaum ist ein vielverzweigter Urbaum, an dessen luftigen Ästen, wenn nicht alles, so doch vieles von dem hängt, was die menschliche Kultur der letzten Jahrtausende hervorgebracht hat.

Was hat Odysseus’ Ehebett in der Kulturgeschichte der Olive zu suchen? Warum heißt die griechische Haupt-stadt Athen und nicht Poseidonia? Wie kommt der fran-zösische Renaissance-Dichter Joachim Du Bellay dazu, einen ganzen Olivenhain von Sonetten zu dichten? Wes-halb ist auf Ambrogio Lorenzettis Fresken der »Guten Regierung« im Rathaus von Siena die Allegorie des Frie-dens mit so ausgeprägt weiblichen Reizen ausgestattet?

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Irrt sich Shakespeare, wenn er »Oliven von endloser Dauer« verkündet? Was bedeuten »gefüllte Oliven« beim ungarischen Romanschriftsteller Sándor Márai?

Ob wir im Olivenbaum den ersten Demokraten des Abendlandes oder van Goghs letzten Therapeuten ver-muten dürfen, in der Hand des sterbenden Somerset Maugham einen Fetisch für die Sehnsucht nach dem Süden entdecken oder mit dem Philosophen Mark Aurel in der fallenden Olive ein Symbol für das Menschen-leben erkennen – eine Vielzahl amüsanter, Staunen er-regender oder nachdenklich stimmender Geschichten ist aufgehoben in dieser kleinen Frucht mit dem botanischen Namen »Olea europaea sativa«.

In zwanzig Oliven-Kapiteln – zweimal zwei symbo-lische Handvoll Oliven – geht es um Kult und Magie der Olive in Mythos und Moderne, um den ewigen mensch-lichen Traum von Glück und Fülle, um die Zerstörungs-kraft der Zeit und die Beharrlichkeit eines geduldigen Baumes und Überlebenskünstlers. Der englische Schrift-steller Lawrence Durrell fand in der Olive den »Ge-schmack, der älter ist als der des Fleisches und des Wei-nes – so alt wie der des klaren Wassers«. Der französische Dichter René Char entdeckte »die Ewigkeit einer ein-zigen Olive«, und sein Kollege Francis Ponge sah im Olivenöl das geeignete geistige Schmiermittel für eine dumpfe »Epoche der Mechanik« und der »Dürre der Her-zen«. Sein Rezept für geistige Ölung ist auch für unsere Zeit noch immer bedeutsam und notwendig.

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Entkleide mich, sagt der Olivenbaum, ich werde dich kleiden.Mach meinen Fuß fett – ich fette dir den Schnabel.

Provenzalisches Sprichwort

Der Olivenhain ist wie eine Bibliothek,die man besucht, um das Leben zu vergessenoder es besser kennenzulernen.

Jean Giono

Ist das Leben wie eine Olive eine bittere Frucht,so greife nur beide scharf mit der Presse an,sie liefern das süßeste Öl.

Jean Paul, Titan

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1. OliveSein eigener König

In der Bibel, im Buch der Richter, spielt der Olivenbaum sogar eine staatspolitische Rolle. Der machtgierige, ge-

walttätige Abimelech will in der Stadt Sichem Alleinherr-scher werden und lässt mit Hilfe gedungener Mörder kurzerhand seine siebzig Brüder erschlagen. Darauf lässt sich der kaltblütige Abimelech zum König krönen. Nur einer entkommt dem Massaker, weil er sich verstecken konnte. Es ist der jüngste Bruder, Jotam.

Dann aber geschieht Unvorhergesehenes. Jotam steigt auf einen Hügel, ruft die Männer von Sichem zu sich und erzählt ihnen ein Gleichnis. Es ist die Geschichte einer Königswahl: Wie die Bäume einen König suchten. Die Bäume fragten zuerst den Ölbaum, ob er diese Rolle übernehmen wolle. Doch der Ölbaum lehnt ohne lange zu zögern ab, denn er will sich nicht über die anderen Bäume erheben. »Aber der Ölbaum antwortete ihnen: ›Soll ich meine Fettigkeit lassen, die Gott und Menschen an mir preisen, und hingehen, dass ich über den Bäumen schwebe?‹« (Buch der Richter, IX, 9). Danach fragen sie den Feigenbaum und dann den Weinstock, die ebenfalls ablehnen. Schließlich lässt sich der unnütze, sterile Dorn-busch zum König wählen. Und fühlt sich geschmeichelt.

Jotam muss fliehen und sich verstecken, der Mörder Abimelech aber wütet, plündert und massakriert noch eine Weile, bis eine Frau von einem belagerten Turm he-rab einen Mühlstein auf ihn wirft und ihm die Hirnschale zertrümmert. Die Tat wird als Gottes gerechte Strafe be-zeichnet. In der patriarchalischen Welt des Alten Testa-ments stellt es eine äußerst demütigende Schmach dar,

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von der Hand eines »Weibes« und per Mühlstein – kein schneidiges Wurfgeschoss – unehrenhaft außer Gefecht gesetzt zu werden. Abimelech ist nicht sofort tot, er muss seinen Diener – noch eine Demütigung, noch eine Strafe Gottes – um den Gnadenstoß bitten.

Jotams Erzählung ist ein immergültiges Gleichnis auf das dumpfe Wesen brutaler Machtentfaltung, die keine fruchtbare Gemeinschaft begründen kann. Gewalt ist ste-ril wie der nutzlose Dornbusch, sie bringt keine Früchte, weder Freiheit noch Nutzen noch Genuss. Das Gleichnis verwirft die blindwütige Machtgier und lobt ein König-tum, das auf Bescheidenheit und klarer Gelassenheit be-ruht. Der Olivenbaum verzichtet aber nicht einzig aus Demut auf die Macht, sondern auch aus stolzem Selbst-bewusstsein. Er kennt seinen Wert für die Menschen, er braucht keine Königskrone dazu. Er weiß, dass er mehr zu schenken hat als die anderen Bäume, vom Dornbusch ganz zu schweigen. Der Ölbaum ist sein eigener König. Es ist ein Königtum, das nicht auf Machtgier, Egozentrik und Anmaßung beruht, sondern auf Gegenliebe und Großzügigkeit.

Dass der Olivenbaum viel zu bieten hat, ist ein Fak-tum, das zu biblischen Zeiten längst im Gedächtnis der Menschheit verankert war. Er ist keine ganz gewöhnliche Nutzpflanze, kein simpler Lieferant eines Öls und eines Nahrungsmittels. So bescheiden und unscheinbar er da-steht, so kräftig sind seine ausgedehnten Wurzeln im Erdreich der Kultur, das von Zeit zu Zeit aufgelockert werden muss, wenn die Erträge stimmen sollen. Das Wort »Kultur« ist ohnehin wortgeschichtlich verknüpft mit der Urbarmachung der Erde, dem Anbau, dem Hegen und Veredeln, dem Reifenlassen von Pflanzen und deren Säften.

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Kein anderer Baum ist so eng verbunden mit der Ent-wicklung der mediterranen und europäischen Kultur, der Religion und der Demokratie, der Medizin, des interna-tionalen Tauschhandels, des Sportes, der Kunst, der Lite-ratur. Der Olivenbaum ist ein vielverzweigter Urbaum, an dessen luftigen Ästen, wenn nicht alles, so doch vieles von dem hängt, was die menschliche Kultur der letzten Jahrtausende hervorgebracht hat.

Es gibt keine vom Menschen kultivierte Nutzpflanze, die – Verehrer der Weinrebe und ihres Saftes mögen es ihr verzeihen – so vielfältige kulturelle Aspekte vereinigt wie die Olive. Seit der Antike gilt sie als Lieferantin von Nahrung, Licht, Wärme, Arznei, Kosmetik. Oft war sie Inspirationsquelle für Zauber und Magie. Der Oliven-baum ist ein archaischer Zauberer, die zarte Olive eine trickreiche Zauberin. Doch Vorsicht: So viele wunderbare Aspekte haben Baum und Frucht, dass man sich hüten muss, in den Olivenkitsch abzugleiten. Auch von Betrug und Fälschertum, von Panschern und Pfuschern, von der menschlichen Eitelkeit und Habgier, von Gewalt, Ge-meinheit und Anmaßung muss die Rede sein.

Die Olive beflügelt eben die menschliche Phantasie – im guten wie im schlechten. Aber zunächst ein schlichtes Faktum: Der Olivenbaum ist eines der besten, komfor-tabelsten Geschenke der Natur an die Menschheit. Keine faule Gabe, sondern ein kompaktes und vielfältiges Prachtgeschenk.

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2. OliveDer erste Demokrat

Eine der schönsten Geschichten um den Olivenbaum ist die Legende von der Gründung der Stadt Athen.

In der griechischen Mythologie waltet bekanntlich alles andere als souveräne Gelassenheit und götterhafte Ab-geklärtheit. Die Menschen schufen sich einen Götter-himmel, in dem verblüffend ähnliche Verhältnisse wie auf der Erde existierten. Allzu entrückte und perfekte Götter sind fade und langweilig. Der Hellene brauchte Götter, in denen er sich wiedererkennen konnte, auch wenn er weniger Wirkungsmacht, Zauberkraft und tech-nisches Know-how aufbieten konnte, und schon gar nicht Unsterblichkeit. Alles wie auf Erden also, aber mit un-sterblichem Mehrwert.

Der Olymp kennt keine Ruhe. Da spielen sich Dramen um erotische Leidenschaft und Eifersucht ab, um Gier und Lustgewinn, um Frevel und Amtsmissbrauch, Ver-geltung und Rache. Es herrschen öfter krude, unfreund-liche Konkurrenzverhältnisse. Da wird getrickst und be-trogen, überboten und ausgestochen.

Ein Wettstreit von Göttern lag am Ursprung der Stadt Athen. Nach Ratschluss der Zwölfgötter – eine Art himmlisches, göttlich palaverndes Parlament – sollte die Landschaft Attika derjenigen Gottheit gehören, die ihr das wertvollere Geschenk bieten konnte. Um dieses Privi-leg stritten zwei Kandidaten: der Meeresgott Poseidon und Athene, die Göttin der Weisheit, die aber als Kriegs- und Friedensgöttin einen durchaus kämpferischen As-pekt hatte, mit den militärischen Attributen Schild, Speer und Helm dargestellt wurde. Sieger sollte sein, wer etwas