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read.me Seite 1 Auf Wohnungssuche in Berlin Fortsetzung auf Seite 2 Seite 2 Seite 3 Seite 4 www.gew-bass.de Zeitung für Studierende Sommersemester 2013 Auf Wohnungssuche in Berlin Fortsetzung von Seite 1 Jeder hat das Recht auf ein Studium. Aber viele können es nicht einlösen. Seite 5 Seite 6 Seite 8 Eine Rankingkritik Niedersachsen wählt ab, Bayern begehrt auf www.gew.de Seite 7 CHE-Hochschul-Ranking boykottieren? Ein dunkles Kapitel – auch der Studierendenschaften Termine des freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften Finanz- und Wirtschaftskrise Mit einem Stadtplan und einem Zettel voller Adressen, Weg- beschreibungen und Telefonnum- mern in der Hand laufe ich durch Berlin. Der Stadtplan fällt auseinander und wird ein biss- chen nass. Hauptsächlich vom Regen. Es könnten auch Tränen sein. Die Wohnungssuche ist nämlich zum Heulen. V or ein paar Wochen bekam ich den Zulassungsbescheid für mein Masterstudium an der Freien Universität Berlin: ein weiterführender Studiengang mit Zulassungsbeschränkung, nur 20 Bewerberinnen und Bewerber werden jedes Jahr angenommen. Ich hatte ein Motivationsschreiben verfasst, Nachweise über die ge- wünschten Praxiserfahrungen er- bracht und in der zweiten Runde in einem persönlichen Bewerbungs- gespräch überzeugt. All das klappte viel besser als erwartet. Ich bekam einen Studienplatz und plante meinen Umzug von Bremen in die Hauptstadt. „In Berlin findet man schnell ‘ne Wohnung. Ist auch echt günstig“, sagten Bekannte, die vor zehn Jahren das letzte Mal in dieser Stadt gewesen waren. Ihre er- munternden Worte stellten sich auf dem momentanen Wohnungs- markt leider schnell als ungültig heraus. Nicht nur in Berlin, in vielen Städten herrscht Woh- nungsmangel. Mir scheint, es ist heutzutage fast einfacher, die Zu- lassung zum Wunschstudiengang zu bekommen, als eine geeignete Bleibe in der Stadt zu finden, in der diese Uni steht. Im vergangenen Wintersemester haben sich etwa eine halbe Millionen Studierende neu imma- trikuliert; durch doppelte Abitur- jahrgänge, die abgeschaffte Wehr- pflicht und geburtenstarke Jahr- gänge sind das so viele wie noch nie. Viele Städte und Universitä- ten sehen sich vor ein Problem ge- stellt: Wo sollen die alle wohnen? In Freiburg riefen Transparente auf Bussen und Straßenbahnen dazu auf, leerstehende Zimmer an Stu- dierende zu vermieten. Heidelberg druckte diesen Appell auf Bröt- chentüten. An der Universität Kas- sel bauten Studierende kürzlich Häuser aus Styropor und in Kon- stanz schliefen sie demonstrativ in einem Schaufenster, um auf die Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Franziska studiert an der Univer- sität Konstanz und hatte das Glück, bei einer befreundeten Wohngemeinschaft einziehen zu dürfen. „Sie hatten die WG ei- gentlich als Dreier-WG gegründet und das vierte Zimmer als Wohn- zimmer benutzt. So bin ich erst mal vorläufig ins Wohnzimmer gezogen, und da wir uns alle sehr gut verstanden haben, hat sich schnell geklärt, dass ich ganz bleiben kann.“ Die Wohnungsnot Auf Wohnungssuche in Berlin Suche Wohnung, nehme alles! Jura auf der Bank lernen oder doch lieber ein Philosophiestudium in der Tonne? Foto: dpa

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GEW - Zeitung für Studierende Sommersemester 2013 www.gew-bass.de

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www.gew-bass.deZeitung für Studierende Sommersemester 2013

Auf Wohnungssuche in BerlinFortsetzung von Seite 1

Jeder hat das Recht auf ein Studium. Aber viele können es nicht einlösen.

Seite 5 Seite 6 Seite 8Eine Rankingkritik

Niedersachsen wählt ab, Bayern begehrt auf

www.gew.de

Seite 7CHE-Hochschul-Ranking boykottieren? Ein dunkles Kapitel – auch der Studierendenschaften

Termine des freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften

Finanz- und Wirtschaftskrise

Mit einem Stadtplan und einemZettel voller Adressen, Weg-beschreibungen und Telefonnum-mern in der Hand laufe ichdurch Berlin. Der Stadtplan fälltauseinander und wird ein biss-chen nass. Hauptsächlich vomRegen. Es könnten auch Tränensein. Die Wohnungssuche istnämlich zum Heulen.

Vor ein paar Wochen bekamich den Zulassungsbescheidfür mein Masterstudium an

der Freien Universität Berlin: einweiterführender Studiengang mit

Zulassungsbeschränkung, nur 20Be werberinnen und Bewerberwerden jedes Jahr angenommen.Ich hatte ein Motivationsschreibenverfasst, Nachweise über die ge -wünschten Praxiserfahrungen er-bracht und in der zweiten Rundein einem persönlichen Be wer bungs - gespräch überzeugt. All das klappteviel besser als erwartet. Ich bekameinen Studienplatz und plantemeinen Umzug von Bremen in dieHauptstadt.„In Berlin findet man schnell ‘neWohnung. Ist auch echt günstig“,sagten Bekannte, die vor zehn

Jahren das letzte Mal in dieserStadt gewesen waren. Ihre er-munternden Worte stellten sichauf dem momentanen Wohnungs-markt leider schnell als ungültigheraus. Nicht nur in Berlin, invielen Städten herrscht Woh -nungs mangel. Mir scheint, es istheutzutage fast einfacher, die Zu-lassung zum Wunschstudiengangzu bekommen, als eine geeigneteBleibe in der Stadt zu finden, inder diese Uni steht.Im vergangenen Wintersemesterhaben sich etwa eine halbeMillionen Studierende neu im ma -

tri kuliert; durch doppelte Abitur-jahrgänge, die abgeschaffte Wehr-pflicht und geburtenstarke Jahr-gänge sind das so viele wie nochnie. Viele Städte und Universi tä -ten sehen sich vor ein Problem ge-stellt: Wo sollen die alle wohnen? In Freiburg riefen Transparente aufBussen und Straßenbahnen dazuauf, leerstehende Zimmer an Stu -dierende zu vermieten. Heidelbergdruckte diesen Appell auf Bröt - chen tüten. An der Universität Kas -sel bauten Studierende kürzlichHäuser aus Styropor und in Kon-stanz schliefen sie demonstrativ in

ein em Schaufenster, um auf dieWohnungsnot aufmerksam zumachen.Franziska studiert an der Univer-sität Konstanz und hatte dasGlück, bei einer befreundetenWohngemeinschaft einziehen zudürfen. „Sie hatten die WG ei-gentlich als Dreier-WG gegründetund das vierte Zimmer als Wohn-zimmer benutzt. So bin ich erstmal vorläufig ins Wohnzimmergezogen, und da wir uns alle sehrgut verstanden haben, hat sichschnell geklärt, dass ich ganzbleiben kann.“ Die Wohnungsnot

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Philosophiestudium in der Tonne?

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bekommt sie trotzdem zu spüren:„Aber ich weiß, dass es sehr sehrschwer sein kann, hier ein Zimmerzu bekommen, das nicht völligüberteuert ist. Wir merken dasimmer, wenn wir selber neue Mit-bewohnerinnen und Mitbewohnersuchen. Da bekommen wir un-glaublich viele Anfragen, weilunsere Wohnung eben auch ver-gleichsweise billig ist.“ Inklusivealler Nebenkosten zahlen Fran zis kaund ihre Mitbewohner umge-rechnet nur 250 Euro im Monat.Umgerechnet, denn die deutschenStudierenden haben zum Wohnendas Land verlassen. Sie zahlen ihreMiete in Schweizer Franken. Kon-stanz und Kreuzlingen (CH) sindnicht mal einen Katzensprungvoneinander entfernt. Franziskabraucht mit dem Fahrrad dreiMinuten zum Bodensee und fünfin die Konstanzer Innenstadt.Dabei überquert sie an manchenTagen mehrmals eine Landes-grenze und reist in die EU ein undaus. Meistens problemlos, nurmanchmal macht sie sich Sorgen:„Gerade wenn wir eine Partyhaben und ein bisschen mehrAlkohol einkaufen, habe ich im -mer Angst, angehalten zu werden.Oder auch wenn man Milchpro-dukte kauft. Oder nachts am Fahr-rad mal kein Licht hat…“ An dieEinfuhrbestimmungen muss siesich halten. Das Leben in derSchweiz hat in diesem Zusammen-hang aber auch einen ange neh menVorteil: „Man bekommt die Mehr-wertsteuer zurückerstattet, wennman in Deutschland ein kauft undin der Schweiz wohnt. Das kannsich man ch mal ganz schönlohnen.“Die Universität Konstanz rät aufihrer Internetseite den Stu die ren -den, einen Umzug ins Nachbar-land in Betracht zu ziehen. Dortstehen Tipps und Voraussetzungenzum Auswandern. Als EU-Bürgerbraucht man in der Schweiz eineAufenthaltsbewilligung, die derKanton ausstellt.

„Erst schimpft ihrjahrelang über Neukölln,und jetzt wollt ihr alle hier wohnen!“ Für mich kommt das nicht inFrage, ich brauche eine Wohnungin Berlin. Nach mehrerenWohnungsbesichtigungen stapfeich missmutig durch die Stadt.Indem ich extra hart auftrete, ver-suche ich meinem Frust Luft zumachen. Gerade habe ich eineheruntergekommene Zweizimmer-wohnung in Neukölln besichtigt.Zusammen mit zirka 70 anderenInteressenten und Interessen tin nen.Alle ungefähr in meinem Alter,alle schon mehr oder weniger ver-zweifelt. „Am besten, Sie teilensich auf“, sagte der Makler miteinem Grinsen. „Sonst sehen Sievor lauter Leuten die Wohnungnicht.“ Er hat gut lachen. Ver-mutlich hat er eine Maisonette-wohnung im Prenzlauer Berg. So-wohl er als auch die Hausver-waltung und der Vermieter dieserWohnung dürfen sich freuen: Siewerden die Neuköllner Wohnungloswerden, völlig egal, in wel chemschäbigen Zustand sie sich be fin -det. Im Nebenhaus be findet sich einKiosk. „Was wollt ihr alle hier?“ruft der Besitzer durch die geöff-nete Tür. „Erst schimpft ihr jahre-lang über Neu kölln und jetzt wolltihr alle hier woh nen?“

Wir wollen überhaupt irgendwowohnen, denke ich. Mittlerweilehabe ich mich von all den im Vor-feld gemachten Wünschen ge-trennt. Balkon? Brauche ich nichtunbedingt. Schöner Altbau mithohen Decken? Schnickschnack.Ruhige Lage zum Hinterhof? Gut,dann eben Oropax kaufen. Zen-tral? Ach, dann fahr ich eben ein-einhalb Stunden S-Bahn. Pro-visionsfrei? Kann ich nicht mehrberücksichtigen. So schrauben sichmeine Vorstellungen in einer Ab-wärtsspirale nach unten. Das Pro-blem: Es hilft nichts.

Ich beobachte, wie sich meineMitbewerberinnen und Mitbe wer -ber in der Neuköllner Wohnungauf den Makler stürzen, ihn mitBewerbungsunterlagen überschüt -ten und ihren Datenstripteasetanzen. Man muss sich hier aufWohnungen bewerben wie aufeinen Job. Auch ich habe eineSCHUFA-Auskunft, eine Per-sonalausweiskopie, die Gehalts-nachweise meines Studijobs, denNachweis über ein Stipendiumund eine Mietschuldenfreiheits-bescheinigung vom früheren Ver-mieter. Dass ich so etwas be-kommen habe, ist Glück. Ver-mieterinnen und Vermieter sindgesetzlich nicht dazu verpflichtet,eine solche Bescheinigung aus-zustellen, aber jeder möchte siehaben. Einige Hausverwaltungennutzen das aus und lassen sich dasSchreiben dieser Zweizeiler teuerbezahlen. Als Studentin ohnefestes Einkommen brauche ich fürdie Wohnungsbewerbung all dieseUnterlagen auch von meinemBürgen. Ich habe aber nur einevon meinem Vater verfasste Bürg-schaftserklärung sowie die Kopieseines Ausweises dabei. Zusätzlichwerden seine letzten drei Gehalts-nachweise verlangt, aber die darfmein Vater laut Arbeitsvertrag garnicht weiter geben. Auch eine ak-tuelle SCHUFA-Auskunft hat ernicht, da er seit zehn Jahren in derSchweiz lebt. Später stellt sichheraus, dass dadurch auch seineBürgschaftserklärung völlig wert-los ist und keine Hausverwaltungsie akzeptiert. „Anderes Rechts-system, zu kompliziert, machenwir nicht“, sagt die eben noch sofreundliche Mitarbeiterin einerHausverwaltung, verzieht dasGesicht und gibt mir meine Unter -lagen zurück. Das erste Mal binich über den Schritt der Woh -nungsbesichtigung hi naus ge-kommen und stehe im Büro einerHaus verwal tung, da werde ichgleich wieder rausgeschmissen,weil meine Familie vor Jahren in

die Schweiz ausgewandert ist.Auch den Mietvertrag für michunterschreiben darf mein Vaternicht. „Er muss in Deutschlandwohnhaft sein“, höre ich immerwieder. Mein Vater lässt sich nichtdazu überreden, nach Deutsch-land zurück zu ziehen. Das Landsei ihm zu bürokratisch, sagt er.Vermieter und Hausverwaltungsitzen bei der Wohnungssuche aneinem unendlich langen Hebel.Irgendeiner meiner 70 Mitbe wer -berinnen und Mitbewerber wirdseine Gehaltsnachweise einrei chen,einen in Deutschland lebendenBürgen mit aktueller SCHUFAhaben und vielleicht noch eineNiere auf den Tisch legen. Undwer bekommt dann die Woh nung?Ich nicht.Ich frage mich: Wie finden nur alldie Studierenden aus anderenLändern eine Bleibe in dieserStadt? Die Antwort lautet: Wohn-gemeinschaft.

Norman schleppt sich seit dreiMonaten von WG-Casting zuWG-Casting. „Ich lese mir täglich50 Anzeigen durch, schreibe un-gefähr zehn davon an und wennich Glück habe, schreibt einer zu-rück.“ Er zieht ebenfalls vonBremen nach Berlin, „weil ich hierendlich den perfekten Studien-gang für mich gefunden habe“.Während der Wohnungssuche ister bei seiner Schwester unterge-kommen. Die hat jedoch langsamgenug von ihrem „Mietnorman“.So nennt sie ihren kleinen Brudermittlerweile, mal mehr oder malweniger liebevoll. In Bremen hatNorman drei Jahre lang imStudierendenwohnheim gelebt.„Das wurde damals gerade neu ge-baut. Ich und ein Kumpel sind daeingezogen, allerdings jeder ineine Einzelwohnung. Das wartotal praktisch, alle waren neudort, man hat sich schnell gut ver-standen. Außerdem ist das direktan der Uni, ich habe total vielUnisport gemacht, und in dieStadt braucht man ja auch nur so12 bis 15 Minuten.“ Nach dieserpositiven Erfahrung hat sichNorman auch in Berlin auf einenWohnheimplatz beworben. „Aberdie sind alle belegt und das, wasich bisher gesehen und gehörthabe, war furchtbar. Da müssensich teilweise 18 Leute eine ver-schimmelte Gemeinschaftskücheteilen.“ Trotzdem steht Normanseit Monaten auf der Warteliste.Ab und zu bekommt er eine E-Mail. „Ist die Wohnungsnotnoch akut?“ wird er gefragt undklickt „Ja“ an. Passiert ist bishernichts.

„Man kommt an denPunkt, an dem manausprobiert, wie bequemParkbänke sind.“Mir scheint, es ist mittlerweile fastnormal, nach der Zulassung zumStudium ein paar Wochen oderMonate durch die „Wohnungs-suchhölle“ zu wandern, beiFreunden auf der Couch zu über-nachten, sich im Hostel ein-zunisten und sich aus Verzweif-lung ein Schild um den Hals zu hängen: „Hallo, ich suche

dringend eine Wohnung!“. Mankommt an den Punkt, an demman ausprobiert, wie bequemParkbänke sind. Selbst derStrandkorb vor einem Deko- undMöbelgeschäft sieht irgendwannaus wie ein potenzielles Zuhause.Gerade als ich mich hineinsetze,ruft Norman an.„Ich habe eben ein Zweizimmer-wohnung in Kreuzberg angeguckt,die ist super schön und wenn ichsie will, kann ich sie haben“, er-zählt er. „Cool, freut mich fürdich“, sage ich. „Es ist eine ZWEI-zimmerwohnung“, betont er. Esdauerte noch eine Sekunde bis ichverstehe, was gerade passiert. Ein paar Tage später zeigt Normanmir die Wohnung. Die mo men ta neMieterin ist die Freundin einer Ar-beitskollegin seiner Schwester. Siezieht vor der dreimonatigen Kün -di gungsfrist um und sucht Nach-mieter. Die Wohnung steht wederim Internet noch in irgendeinerZeitung. Wir haben keine Mitbe -werber und unfassbar viel Glück.Eine große, gemütliche Wohn-küche, zwei schöne, helle Zimmer,ein kleines Bad, Altbau, hoheDecken mit Stuck in ruhiger,dennoch sehr zentraler Lage inBerlin-Kreuzberg. Jackpot! Wirmüssen nicht lange überlegen undsammeln unsere Unterlagen ein.Normans Eltern füllen die Bürg-schaft aus und wir reichen allesein. Als die Vormieterin sagt, siewisse nicht, wie die Hausver-waltung einer WG gegenüberstehen würde, rücken wir einStückchen dichter zusammen undziehen als Pärchen ein. Daran solles nun wirklich nicht scheitern.

„Da muss ganz klar die Politik eingreifen und den Wohnraumfinanzieren.“In vielen Städten hilft beimmomentan herrschenden Woh -nungs mangel nur eins: Glück.Man muss zur richtigen Zeit amrichtigen Ort sein und dierichtigen Leute kennen. Was auchhelfen würde, wäre mehr Wohn-raum für Studierende. Das Stu -dentenwerk fordert seit Jahren imRahmen des Hochschulpakts zu-sätzliche Wohnheimplätze. DieGEW unterstützt diese Forderung:„Da muss ganz klar die Politik ein-greifen und diesen Wohnraum fi-nanzieren“, so Andreas Keller.„Auch das BAföG reicht nicht aus.Wir unterstützen die Pläne zur Er-höhung des BAföGs. Bei den stei -gen den Mieten muss das an -gepasst werden, damit Studierendeihren Lebensunterhalt auch finan -zieren können.“ Hat man in Berlin erst einmal eineWohnung, kommt der Besuch, dersich kein Hotel finanzierenmöchte, gern, um die Couch zubelagern. Wenn meine Freundemir zum Abschied meinen Stadt-plan zurückgeben und sagen:„Berlin ist ja ganz nett. So zu Be-such. Aber wohnen könnte ichhier nicht“, bin ich immer einwenig erleichtert, denn ich wüssteauch nicht wo.

Insa Kohler, freie Journalistin,

Studium der LiteraturwissenschaftWer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan? Schön wär‘s!

Foto: dpa

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33.600 Schulabgängerinnen und-abgänger haben sich im letztenSemester für einen Bachelor-studiengang an der Humboldt-Universität zu Berlin beworben.29.600 von ihnen haben eine Absage erhalten. Denn Studien-plätze gibt es nur 4.000 – dasreicht nicht einmal für jedenAchten der Bewerber/innen.

Nicht überall sind dieZahlen so dramatisch wiein der Mitte von Berlin,

aber das Problem besteht bundes-weit: Immer mehr junge Men -schen wollen studieren, doch zig-tausende Studienplätze fehlen unddie Hochschulen platzen aus allenNähten. Für viele Studiengängehat man ohne Einser-Abitur kaummehr eine Chance. Wer an Uniswie Göttingen, Münster oderHeidelberg Medizin studierendarf, das wird schon mal zwischenBewerber/innen mit einem Abi-Schnitt von 1,0 gelost. Die Suchenach einem Studienplatz – einGlücksspiel?

Immer mehr Studierende„Jeder hat das Recht auf Bildung“,so sagt es die Allgemeine Er-klärung der Menschenrechte. „DieHochschulen (sollen) auf jede ge-eignete Weise (…) jedermanngleich ermaßen entsprechend seinenFähigkeiten zugänglich gemachtwerden“, bekräftigt der UN-Sozialpakt. Soweit die Theorie. Inder Realität überschlagen sich

jedes Semester die Nachrichtenüber Schulabgänger/innen, diekeinen Studienplatz finden, überjunge Menschen, die ins Auslandgehen, weil sie hier keine Chancehaben, über Studierende, die imHörsaal auf der Fensterbank sitzenoder die erst gar nicht in dieSeminare reinkommen, die sie ei-gentlich belegen sollen.

Im vergangenen Wintersemesterlag die Zahl der Studierenden bun -desweit erstmals über 2,5 Millio -nen. Und sie könnte noch deutlichhöher liegen, wenn alle, die stu -dieren wollen und sich hierfürqualifiziert haben, auch studierenkönnten. Doch die Hochschulensind auf den Ansturm nicht vor-bereitet. 2009 sagte die Kultusmi -nisterkonferenz voraus, es werdezwischen 2011 und 2015 rund275.000 zusätzliche Studienan -fänger/innen geben, für die folg-lich neue Studienplätze geschaffenwerden müssten. Viele vermutetenschon damals, dass die Zahl deut -lich zu niedrig gegriffen ist. 2012rechnete die KMK noch einmalnach und stellte fest, dass es mehrals doppelt so viele Studienan -fänger/innen gibt.

Hochschulpakt – oderHochschulpäckchen?Ob die neuen Prognosen jetztrealistisch sind, darüber kann mansich streiten. Klar ist dagegenschon jetzt: Auch für die von denKultusminister/innen eingeplan ten

zusätzlichen Studierenden reichtdas Geld hinten und vorne nicht.Um sich für den Ansturm auf dieHochschulen zu wappnen, habenBund und Länder den „Hoch-schulpakt 2020“ geschlossen. Dasist gut – aber bei weitem nicht ausreichend. Der Hochschulpaktsollte eigentlich dafür sorgen, dassdie Hochschulen für alle neuenStudienplätze eine gesicherte Finanzierung haben. Hierfür sieht er bis 2015 aber höchstens 327.000neue Studienplätze vor – diese Zahl wird absehbar schon imkommen den Wintersemester über-schritten. Noch schlechter sieht es mit denFinanzen aus: Ohnehin ist proStudienplatz zu wenig Geld einge-plant. 6.500 Euro jährlich bekom -men die Hochschulen für jede/nzusätzliche/n Studierende/n, dieHälfte der Kosten trägt der Bund,die andere Hälfte das jeweiligeBun desland. Wollte man für jede/nStudierenden so viel ausgeben wienoch im Jahr 2000, müssten es (in-flationsbereinigt) dagegen deutlichüber 7.000 Euro sein. Außerdemgibt es das Geld nur für vier Jahre– wenn die meisten Studierendennach dem Bachelor noch einenMaster anschließen, reicht die Fi-nanzierung also auch in der Dauernicht aus. Und selbst für diesen –ohnehin schon niedrig ange -setzten – Satz für neue Studien-plätze ist der Finanztopf nicht ausreichend. 2014, so lässt sich un-schwer erkennen, wird dem Hoch -

schulpakt das Geld ausgehen.Fazit: Der Hochschulpakt ist eherein Hochschulpäckchen und mussnoch deutlich wachsen, um seineZiele erreichen zu können.

ZulassungschaosWährend unzählige Bewerbe-rinnen und Bewerber um einenStudienplatz leer ausgehen, blei -ben gleichzeitig Semester für Se-mester tausende Studienplätze un -besetzt. Denn weil es zu wenigStudienplätze gibt, bewerben sichdie Schulabgänger/innen an meh -reren Hochschulen gleichzeitig –we nigstens die zweite, dritte odervierte Präferenz wird dann viel leichtklappen, so die Hoffnung. DieHochschulen aber sind mit denvielen Parallelbewerbungen hoff-nungslos überfordert. Und die alteZVS – die Zentralstelle für die Ver-gabe von Studienplätzen – wurdevon der Bun desregierung auf-gelöst. An ihre Stelle sollte ein mo dernes,dialogorientiertes Ser vice verfahren– kurz: DoSV – treten; so solltealles flexibler, besser und schnellerwerden. Mit der Programmierungwur den die Hochschulinfor ma -tions-GmbH (HIS) und T-Systemsbeauftragt, letztere hatten sichscheinbar gerade mit der ge-scheiterten LKW-Maut für weitereAufgaben empfohlen. Und einScheitern in Serie ist bis heuteauch das Zulassungsverfahren,eine Pannenmeldung jagt dieandere. Obwohl das neue Ver-

fahren 2011 in Betrieb gehen soll-te, hat es bis heute die Arbeit nurin kleinen Pilotbereichen auf-genommen. Auch hierfür zahlendie Schulabgänger/innen, derenZukunftspläne zerplatzen.

Soziale Hürden abbauenWer studieren will, braucht nichtnur einen Studienplatz, sondernmuss das Studium auch fi-nanzieren können. Dies trauensich nach wie vor viele nicht zu.Die Angst davor, das Geld nichtzusammen zu bekommen, sich für das Studium zu verschuldenund/oder Studiengebühren nichtbezahlen zu können und derWunsch, lieber möglichst bald eigenes Geld zu verdienen sind diehäufigsten Gründe, warum jungeMenschen auf ein Studium ver-zichten. Gerade wer aus einem fi-nanzschwachen Elternhaus kommt,ist auf eine gute Ausbildungsför-derung angewiesen.

Trotzdem hat sich ausgerechnetdas BAföG (Bundesausbildungs-förderungsgesetz) immer wiederals Stiefkind von Bund und Län -dern erwiesen. Das Deutsche Stu -dentenwerk hat kürzlich deutlichgemacht, dass die Bedarfssätzeund Freibeträge allein zur De -ckung gestiegener Lebenshaltungs-kosten im kommenden Jahr be-reits um mindestens zehn Prozentangehoben werden müssten. Hiermuss spätestens nach der Bundes-tagswahl unmittelbar gehandeltwerden. Die GEW fordert außer -dem die Abschaffung des Dar -lehens anteils des BAföG, der nachdem Studium zurückgezahlt wer -den muss. Es kann nicht sein, dassjunge Menschen aus finanz-schwachen Elternhäusern miteinem Schuldenberg ins Berufs-leben starten müssen.

Ohne mehr Geld geht es nicht! Nach wie vor sprechen Politiker/innen davon, man müsse denStudierendenberg untertunneln –als würden die heftig gestiegenenStudierendenzahlen in absehbarerZeit von allein wieder sinken.Doch der Ansturm auf die Hoch-schulen ist nicht nur die Folge vondoppelten Abiturjahrgängen. ImGegenteil: Immer mehr jungeMenschen eines Jahrganges wollenstudieren; die Tendenz gibt es seitvielen Jahren, sie wird bleiben,und das ist auch gut so. Wirsollten endlich aufhören, die po-tentiellen Studierenden zu ver-graulen – und stattdessen dieHochschulen verlässlich unddauer haft so ausstatten, dass alle,die dies wollen, unter gutenBedingungen studieren können.

Sonja Staack,

Referentin für Hochschule und Forschung

beim GEW-Hauptvorstand

Die Studienplatz-Lotterie

Jeder hat das Recht auf ein Studium.Aber viele können es nicht einlösen.

Gastgeber oder Gatekeeper?

Wilhelm vor der Humboldt-Uni

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Mission erledigt und alleStudiengebühren abgeschafft?Philipp Wilhelm Kranemannund Matthias Schröder verlierenbeim Blick auf soziale Kämpfeauch jene Studiengebühren nichtaus den Augen, die andere oftvergessen.

Bayern begehrt auf undNiedersachsen wählt ab – sokönnte man die tektoni -

schen Großverschiebungen imhoch schulpolitischen Kampf ge genStudiengebühren ins Bild fassenund auf eine geographische For -mel bringen. Der eine Punkt im -merhin wäre damit benannt: dassdie letzten beiden großen Fläch en -länder gekippt wurden, derenLand esregierungen sich eine Ge-bührenpolitik als offene politischeAgenda auf die Fahnen schrieben– ohne damit „Mehrheiten“ beiWahlen zu gefährden. Als imgesellschaftlichen Konsens durch-setzungsfähige Position sind sieaktuell gescheitert. Über einenanderen Punkt aber ist damit nochnichts gesagt: ihr Scheitern alsAgendapolitik heißt nämlich nochlange nicht, dass sie auch als po li ti -sches Mittel verschwunden wären.Auf den zweiten Blick zeigt sich,dass es noch eine ganze Reihe vonStudiengebühren gibt – und Pro-test notwendig ist, der auf breitersolidarischer Basis ansetzt.

Politische Manöver in NiedersachsenIn Niedersachsen wurden die all-gemeinen Studiengebühren vor ei-nigen Jahren von der CDU-/FDP-Koalition eingeführt. Mit der

letzten Landtagswahl wurde derWeg für eine rot-grüne Koalitionfrei gemacht. In ihrem Koalitions-vertrag halten SPD und Grünefest, dass sie die Studiengebührenalsbald abschaffen wollen. Sieschreiben, dass sie „auf bessereBildungsstrukturen und zielge-richtete Bildungsinvestitionen“setzen werden und „Bildungshür -den – etwa die Studiengebühren –im Sinne von Chancengleichheitüberwinden“ wollen. Bedauer lich -er weise wollen Sozialdemo kra t/en/innen und Grüne an Langzeitstu -diengebühren festhalten. Wenigs-tens sollen die sozialen Belangeder Studierenden dabei berück-sichtigt werden. Wer also aus einerFamilie stammt, die dank Rot-Grün Hartz 4 bezieht, darf nochein paar Semester länger umsonststudieren. Ansonsten können inNiedersachsen auch in Zukunftnur diejenigen ohne finanzielleSorgen studieren, die sich inner-halb der Regelstudienzeit durch-schleusen lassen. Darüber hinauswill die neue Landesregierung dieallgemeinen Studiengebühren erst2014 abschaffen. Protest gegen dieCampusmaut gab es in Nieder-sachsen nur im eher kleinenRahmen. In Hannover fand nochim Januar eine Demonstrationstatt. 2.000 Menschen folgten demgemeinsamen Aufruf von Stu dien -vertretungen, Gewerkschaften, Ba -sis gruppen und Jugendorga nisa tio -nen. Die zentralen Forderungenwaren nicht nur kostenlose Bil -dung in allen Bereichen, sondernauch die Demokratisierung allerBildungseinrichtungen und faireAusbildungsverhältnisse.

Bayerns Koalition übt den OpportunismusAuch in Bayern waren vieleMenschen auf der Straße. Nicht nurzur Demonstration, sondern zurEintragung für ein Volksbegehren,und dies mit begrüßenswertemErgebnis. Über eine MillionMenschen gaben ihre Stimme füreine Volksabstimmung überStudiengebühren ab. Dies löste of-fenbar innerhalb der CSU Angstvor der kommenden Bun des- undLandtagswahl aus, weswegen siesich mit ihrer Koalitionspartnerin,der FDP, zu Verhandlungen traf.Wollte die FDP ursprünglich anStudiengebühren festhalten, ent-schloss sie sich nun dazu, den Land-tagsabgeordneten die Möglichkeitzu geben, für die Abschaffung derStudiengebühren zu stimmen undsomit keinen Koalitionsbruchherbeizuführen. Würde der Land-tag das Begehren ablehnen, müssteeine Volksab stim mung durch-geführt werden. Da eine Mehrheitder bayerischen BevölkerungStudiengebühren ablehnt, wäre diesfatal für die Lan desregierung.Forderungen nach einer VerfasstenStudieren den schaft und Beteiligungbei der Mittelvergabe werden wohlleider nicht erfüllt.Die Auseinandersetzungen umStudiengebühren scheinen inletzter Zeit an Fahrt verloren zuhaben: Wurde im Rahmen des Ak-tionsbündnisses gegen Studien-gebühren (ABS) noch vermehrtund in breiten Bündnissen zu Aktionen aufgerufen, ist es inzwi - schen ruhiger geworden. Tatsächlich gibt es aber mehr alsgenug Grund, sich an Protesten

gegen die Bildungsgebühren zu be -teiligen. Trotz der mehrheit lichenAbschaffung allgemeiner Studien-gebühren gibt es immer noch Ge-bühren, die an verschiedenen Or -ten oder von bestimmten Grup penverlangt werden, die einfach andersbenannt sind, oder auch Gebühren,die z.B. „übersehen“ werden, weildie betreffende Personengruppe imBild, das die „Mehrheitsgesell-schaft“ von Stu dierenden hat, nichtso richtig vorkommt.

Gebühren für ausländische StudierendeHinlänglich bekannt und fast nurnoch von Befürwortern aus denHochschulleitungen bestritten, de -nen die Gebühren mehr Macht inihrer Hochschule sichern, ist derFakt, dass Studiengebühren sozialselektiv wirken. Dies trifft auslän-dische Studierende besonders hart,da gerade in Deutschland vieleStudierende an die Hochschulenkommen, die Deutschland wegender Kosten auswählen. „Sprachlichwerden Hochschulen aus demangloamerikanischen Bereich starkbevorzugt – in Deutschland kön -nen sich aber auch Studierende ausder Mittelschicht ärmerer Ländernoch ein Studium leisten, wenn dieFamilien für die Zukunft ihrerKinder zusammenlegen. DieseStudierenden treffen Gebühren be-sonders hart, und diese Stu -dierenden werden mit steigendenKosten immer weniger nachDeutschland kommen“, so Jo-hannes Glembek vom Bundesver-band ausländischer Studierender.Dabei sind diese Studierenden an-geblich gewollt, zumindest wird

dies immer wieder beteuert. Dochhier zeigt sich auch die Kehrseite: inregelmäßigen Abständen wer den regional oder national höhereStudiengebühren für ausländischeStudierende gefordert. Die Ideenreichen von Sondergebühren überhöhere Verwaltungsgebühren bishin zu gesonderten Betreuungs-gebühren. Eins eint sie: auslän-dische Studierende sollen die fi-nanziellen Löcher im Bildungs-system stopfen. Dabei zahlen siebereits heute deutlich mehr: für dieVorbereitung auf das Studium anStudienkollegs und Sprachkursen,die immer seltener kostenfrei oderwenigstens nicht gewinnorientiertangeboten werden, für die Zu-lassung zum Studium, für Überset-zungen und Beglau bi gun gen, fürzusätzlich benötigte (Sprach-)Kurseund Korrekturen. Bevor auslän-dische Studierende ein Studium inDeutschland aufnehmen können,müssen sie für Tests, Sprachkurseoder die i. d.R. kostenpflichtigeBewerbung einen erheblichen Be-trag zahlen. Zudem dauert einStudium im Ausland mit allenHerausforderungen länger als in derMuttersprache und -kultur, auchwenn meist überdurchschnittlichgute Studierende den Weg nachDeutschland fin den. Das bedeutetgleichzeitig einen länger zu fi-nanzierenden Lebensunterhalt,aber auch höhere Betroffenheit z.B.von Langzeitstudiengebühren. Washäufig in der Diskussion vergessenwird: die Studierenden merken sehrwohl die Willkommenskultur inDeutsch land und werden für ihrLeben geprägt. Im Positiven wie imNegativen.

Studiengebühren sind politisch gekippt, praktisch sind sie dennoch vorhanden

Niedersachsen wählt ab, Bayern begehrt auf

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Ameisenfleißig zum

Volksbegehren –

Marienplatz in München

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read.me – Zeitung für Studierende 5

Wer erinnert sich nicht? ImSeptember 2008 wurde eineamerikanische Investmentbankschlagartig in der ganzen Weltbekannt – als sie zusammen-brach. Was war geschehen?

Bereits in den Jahren davorwar es in der Finanzwelt zuVerwerfungen gekommen.

Immer mehr Geld – gespeist ausder zunehmenden Umverteilungvon unten nach oben – wurde inspekulative Finanzobjekte ge-steckt („investiert“?). In den USAwur den Häuser auf Pump gekauft,und als der Wert der Häuser stieg,wurden mit diesem Gegenwertweitere Kredite aufgenommen.Diese Immobilienblase platzte, alsdie Nachfrage nach den Häusernund damit ihr Wert wieder zu-rückging. Damit platzten aberauch die Kredite. Das Besondere:die Ban ken hatten die von ihnenverge be nen Kredite längst weiter-verkauft. Was eigentlich der Risi-kostreuung und damit Risikomin-derung die nen sollte, entpupptesich als Irrsinn. Denn jetzt hattenunglaublich viele Banken „faule“Kredite, die nicht oder nur teil-weise zurückgezahlt wurden, inihren Büchern stehen. Das heißt,die Banken konnten ihre eigenenSchulden nicht zurückzahlen. Bei Lehman Brothers wurde einExempel statuiert: Die US-ame-rikanische Regierung hat die Banknicht gestützt – sie ging pleite. Fastalle Banken hatten Schwierigkeitenund waren jetzt nicht mehr sicher,ob nicht weitere Institute pleitegehen könnten – und hörtenpraktisch über Nacht auf, sichgegenseitig Geld zu leihen. DerSchmierstoff der Wirtschaft gingplötzlich aus. In Europa hat die Eu-ropäische Zentralbank ein ge griffenund den Banken Geld zur Ver-fügung gestellt – die meis tenhatten dadurch erst malZeit gewonnen.

Verlustevergesellschaften…Für einige Banken aberreichte das nicht: siebrauchten zusätzliche(Rettungs-)Gelder vomStaat. Das geschah prak -tisch in allen euro pä i -schen Ländern – mal mehr(Irland, Griechenland,Spanien), mal we niger.Auch in Deutschland retteteder Staat Banken wie dieCommerzbank oder dieHypo RealEstate-Bank mitMil liardenbeträgen. Die Staa -ten musste das notwendigeGeld in kurzer Zeit aufbringen –ihre Schulden stiegen stark an.Das bedeute nicht, dass auchdie Staaten gleich bankrottgehen konnten – sie mussten„nur“ höhere Kredite aufnehmen

und dafür i. d. R. höhere Zinsenzah len. Hier kommen die„Märkte“ ins Spiel. Wenn sich aufden Märkten der Eindruck durch-setzt, dass ein Staat seine Kreditevielleicht gar nicht oder nur teil-weise zurückzahlen kann, dannkann er sich neues Geld nur fürhöhere Zinsen leihen. Das führtaber wieder zu steigenden Aus-gaben. Um die Kreditwürdigkeitder Staaten aufrechtzuerhalten,wurden in Europa nach und nach„Rettungsschirme“ erfunden.Diese funktionieren in der Regelso, dass die (solventen) Ländersich – ge gen geringe Zinsen –Geld leihen und dieses denKrisenländern – gegen etwashöhere Zinsen – weitergeben. (Dasheißt übrigens auch, dass beidieser Art von „Staatenrettung“erst mal keine Kosten entstehen,sondern sogar leichte Zins-gewinne erzielt werden.)Die „Geldgeber“ – repräsentiertdurch die „Troika“ (EuropäischeKommission, Europäische Zen-tralbank und InternationalerWäh rungs fonds) – machten denKri sen ländern strenge Auflagen.Ge mäß dem neoliberalen Credo,dass die Wirtschaft am bestenfunktioniert, wenn sich der Staataus der Wirtschaft heraushält unddie Unternehmen nur gute Rah-menbedingungen vorfinden müs -sen, wurden in den Krisenländernöffentliche Leistungen, Gehälter,Mindestlöhne, Renten u. a.m. ge -kürzt – und Arbeitskräfte entlas -sen. Man müsse nur „sparen“ (= kürzen), und dann würde sichdie Lage der Staatsfinanzenwieder stabilisieren – so die neo-liberale Idee dahinter.

…und verschieben?Falsch gedacht (oder war das Absicht?): Zunächst brachen z. B. in Griechenland in Folge der ge-schrumpften Wirtschaft die Steu er -einnahmen ein – womit die Staats-schuldenquote weiter anstieg. Ausder Krise heraus„sparen“ – dasfunktioniert nicht und geht aufKosten der einfachen Bürge rin nenund Bürger. Gerettet wer den nurdie Banken und damit die Ver-mögen der Reichen (und derKreditgeber bspw. in Deutschland).Aber es gibt andere Lösungen.Dazu gehört die Verge mein schaf -tung der staatlichen Schulden (z.B.über Eurobonds), zusätzlicheAusgaben, um die Wirtschaft derKrisenländer anzukurbeln, eineVerringerung deutscher Export-überschüsse z.B. durch die Stär -kung der Binnennachfrage inDeutschland, eine strenge Regu -lierung der Finanzmärkte undweiteres mehr. Vor allem abermuss dies solide finanziert werden– wozu neben einer Finanztrans-aktionssteuer eine Vermögen-steuer und eine Vermögensabgabegehö ren. Damit kann die Wirt-schafts- und Finanzkrise bekämpftwerden und die „Lasten“ tragendann diejenigen, die von derRettung in erster Linie profitierthaben: die Vermögenden.

Gunter Quaißer,

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

Das MEMORANDUM 2013 der

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik,

in dem umfassende Lösungsvorschläge

detailliert erläutert werden, erscheint am

1. Mai. Weitere Informationen:

http://www.alternative-wirtschaftspolitik.de

Finanz- undWirtschaftskrise

Ein kurzer Rückblick und alternative Lösungen

Foto: zplusz

VersteckteStudiengebührenOftmals treten Bildungsgebührenauch versteckt auf. So zum Bei-spiel unter dem Begriff „Rück-meldegebühr“, die zwischen 1996und 2004 in Höhe von 51,13 €von den Studierenden in Berlingezahlt werden musste. Anfang2013 entschied das Bundesver-fassungsgericht aufgrund der Klagevon zwei ehemaligen Studier en -den, dass diese Gebühren unrecht-mäßig erhoben wurden. In der Ur-teilsbegründung war zu lesen, dassdie tatsächliche Höhe der auf-getretenen Kosten für die Rück-meldung wesentlich geringer war.Außerdem war nicht ersichtlich,wofür das Geld eigentlich ge-braucht wurde. Die Gebühren hatdas Land Berlin 1996 eingeführt,obwohl sich sogar die Landes-rektorenkonferenz (die Zusam -menkunft der Rektor/en/innenund Präsident/innen der BerlinerHochschulen) dagegen aussprach.Offensichtlich dienten die Ge-bühren also nur zur Konso li -dierung des Landeshaushaltes.Massenhafte Proteste, Klagen undBoykottaufrufe konnten die Ge-bühren nicht verhindern, denn dasLand drohte mit Exma tri ku la tionbei ausbleibender Zahlung. Auchdie Gewerkschaft Erziehung undWissenschaft (GEW) kam durchein Gutachten damals zu demSchluss, dass die Gebühren rechts-widrig sind. Diese Rechtswidrig-keit hat das Bundesverfassungs-gericht nun endgültig bestätigt,was die Chance für Rückfor de run -gen eröffnet. Jedoch bezieht sichdas Urteil nur auf den Zeitraumbis 2004. Danach wurde das Ge -setz so geändert, dass Verwen -dungs zwecke für das erhobeneGeld genannt sind.

Ausblick und Fazit Wie nun stellt sich die allgemeineEntwicklung um abgeschaffte,umbenannte und beibehalteneGebühren dar? Beginnen wir mitder Entwicklung um die Ab-schaffung:In vielen Bundesländern, in denendie Kämpfe gegen die Gebührenerfolgreich waren, wurden dieMittel durchs Land ersetzt, soetwa in Hessen. Als dort vor ei-nigen Jahren die Studiengebührenabgeschafft wurden (andere Ge-bühren waren davon nicht be-troffen), wurden die QSL-Geldereingeführt. QSL steht fürQualitätssicherung in der Lehre.Dieses Geld stammt aus demLandeshaushalt und wird an dieHochschulen als Ausgleich für dieweggefallenen Studiengebührengezahlt. Der Anteil für dieeinzelnen Hochschulen ergibt sichaus einem Verteilungsschlüssel,der die Anzahl der Studierendenan den jeweiligen Hochschulenberücksichtigen soll. Die Stu die -ren den, die damals die Abschaf -fung der Studiengebühren erreichthaben, konnten auch durchsetzen,dass diese Gelder dann von Kom -missionen der Hochschulen ver-teilt werden, die paritätisch besetztsind. Sie setzen sich also zur Hälfteaus Studierenden zusammen. Esgibt dabei zentrale und dezentrale

Kommissionen, die unter schied -liche Schwerpunkte haben. Diedezentralen Kommissionen sollenAnträgen, welche auf die Ebeneeines einzelnen Fachbereicheszielen, Rechnung tragen, die zen-trale Kommission darüber hinausnoch auf universitätsweiter Ebene.Leider driften auch hier Scheinund Sein auseinander. Die QSL-Gelder sollen eine Verbesserungder Lehre darstellen. Manchmal istdies auch der Fall. Dann könnenbeispielsweise zusätzliche Gastpro-fessuren bezahlt werden. In derRegel ist die Grundfinanzierungder Hochschulen aber so gering,dass einfach weitere Haushalts-löcher gestopft werden. Der größteHaken jedoch: die einzige Fi-nanzierungsquelle, die Stu dier en -den Mitspracherechte garantiert,ist auf eine feste Summe pro Jahrgedeckelt. Ansteigende Studieren -den zahlen haben also nicht fürmehr Mittel gesorgt, die durch diegrößte Gruppe an den Universi tä -ten mitverwaltet werden können. Als faktisches Instrument aberwurden Studiengebühren, wie ein-gangs bereits erwähnt, in vielenBundesländern beibehalten: Rück-melde- und Langzeitstudienge büh -ren werden heute in der Mehrzahlder Bundesländer eingezo gen. Ob-wohl in den Gesetzen fest gehaltenist, wozu die Gebühren unteranderem verbraucht werden dürfen,ist keine genaue Verwendung nach-vollziehbar. Die Universitäten sinddurch die Lan desgesetzgebungeneinfach ver pflich tet, die Gebühreneinzu ziehen. Das Budget derUniversi täten wird durch diese Artvon Bildungsgebühren erhöht,wäh rend die Länder entlastetwerden. Verfechter/innen vonBildungsgebühren führen dabeimeistens an, dass es sich ja um Ge-bühren handle, weil diese Leis-tungen nur von Studierenden wahr-genommen werden und sie dadurchspäter höhere Verdienstmöglich-keiten hätten. Dabei wird ignoriert,dass Bildungsgebühren – in jederForm – bereits vor der Aufnahmeeines Studiums sozial selektivwirken. Auch ist nicht gesichert,dass alle Studierenden später einhohes Einkommen erzielen. Wennes also darum gehen soll, dass Vor-und Nachteile eines Studiumssolidarisch in der Gesellschaftgeteilt werden, kann die einzigeLösung eine gesellschaftlich fi-nanzierte und verantwortete Bil -dungspolitik sein. Das funktio niertnur über eine steuerbasierte Fi-nanzierung, und die Profiteure dergesellschaftlichen Verhältnissemüssen der Gesellschaft auch ent-sprechend mehr zurückgeben.Gerade die in der Krise gemachtenGewinne zeigen, dass es viele Mittelgibt, um Bildungsein rich tungen sozu finanzieren, dass sie kostenlosund zugänglich für alle wären.Dieses Ziel ist noch lange nichterreicht.

Philipp Wilhelm Kranemann

und Matthias Schröder,

Landesausschuss der Studentinnen

und Studenten (LASS) Hessen,

haben den Artikel mit freundlicher

Unterstützung des Bundesverbands

ausländischer Studierender (BAS) verfasst.

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read.me – Zeitung für Studierende6

Irreführend, selektiv und ideologisch

Rankings, Reihenfolgen undRanglisten gibt es allerorten.Aber muss, was als TOP-Hochschule oder Bestseller-Studiengang angepriesen wird,unbedingt gut sein, oder ist es vielleicht nur gut verkauft?Torsten Bultmann skizziert, warum der offensichtliche Ver-gleich von Äpfel und Birnen einlukratives Geschäft sein kann.

Seit Ende der 1990er-Jahrefolgt der Hochschulumbauin Deutschland dem Muster

der Entstaatlichung zugunsten einergrößeren (unterneh me ri schen) „Au -tonomie“ der Einzelhochschule.Dadurch ist die Hochschulland-schaft zunächst unübersichtlichergeworden. Man denke nur an diekaum noch überschaubaren Bin -de strich-Studiengänge infolge derBologna-Reform und nach Wegfallder staatlichen Rahmenprüfungs-ordnungen. Dies erklärt auch dieKonjunktur von Rankinglisten, dadiese den Anschein von Übersicht-lichkeit und Transparenz in einerSituation vorher absichtsvoll ge-schaffener Unübersichtlichkeit her -stellen. Signifikanterweise wollenuns die gleichen Deregulierungs-akteure, die zuvor politikberatenddiese Unübersichtlichkeit mit pro-duziert haben, heute an Rankingsgewöhnen.Es gibt sicher unterschiedlicheRan kings. Ihnen allen ist aber ge-meinsam, dass sie die Leistungvon Hochschulen in Form vonKennziffern messen wollen unddiese dann in auf- bzw. abstei -gender Reihenfolge präsentieren.An den einflussreichen interna-tionalen Rankings ist viel Kritiklaut geworden, weil diese sich aus-schließlich auf sog. Spitzenfor -schung gemessen an Publikations-oder Zitationshäufigkeit in (zu 90Prozent) englischsprachigen Fach-

zeitschriften konzentrieren. Allean deren Wissenschaftssprachenund Publikationsformen (Bücher,Sammelbände) werden weitge -hend ignoriert. Diese Kritik machtsich etwa das CHE zunutze, in -dem es beansprucht, ein we sent -lich differenzierteres Ranking ent-wickelt zu haben, in welchem etwaauch die Meinung von Stu die ren -den über ihre fachspezifischen Stu -d ienbedingungen abgefragt wird.Aber allein die Diskussion, ob es auch „gute“ Rankings gebenkönne, führt in eine politischeSackgasse, weil sie das gemeinsamProblematische aller dieser Ver-fahren unterschlägt.

Der schöne Schein:Neutrale Zahlen?Alle Rankings sind dem Prinzipdes Wettbewerbs verpflichtet.Dieser setzt jedoch Ungleichheitvoraus und verstärkt diese noch.Das hat auch verteilungspolitischeKonsequenzen. Hochschulen, diehoch platziert sind, bauen in derRegel gerade deshalb ihre Positionin künftigen Verteilungskämpfenum knappe Mittel aus. Verdecktwird dieser Sachverhalt durch dieSuggestivität und Schein-Neu-tralität von Zahlen, die sich weit-gehend selbst zu interpretierenscheinen: unterschiedliche Wertegelten als Unterschiede zwischen„besser“ und „schlechter“. Dieswird dann „in den Köpfen“ als einGefälle an subjektiver Leistungs-fähigkeit einzelner Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler anden unterschiedlichen Hochschul-standorten interpretiert. Die un -terschiedlichen sozialen und ma -teriellen Kontexte, überhaupt etwasleisten zu können, etwa Un -terschiede in der Finanzausstat -tung der Fachbereiche, werden so

unter den Teppich gekehrt. DerPunktestand in der Fußballbun -desliga sagt zweifelsfrei etwas übersportliche Spielstärke einer Mann-schaft aus. Dieses Alltagsbewusst-sein lässt sich allerdings nicht aufHochschulen übertragen. Im ein-flussreichen Forschungsrankingder Deutschen Forschungsge mein -schaft (DFG) etwa wird „For-schungsstärke“ gleichgesetzt mitUmfang der Drittmittel und Ex-zellenzförderung. Da die letztge -nannten Haushaltstitel aber erheb-lich gewachsen sind (in den letztenzehn Jahren etwa um 100 Prozent),während die Grundfinanzierungder Hochschulen seit mehr alszwei Jahrzehnten stagniert, stehenlogischerweise die relativ reichstenHochschulen uneinholbar an derSpitze – und bauen diese Positionnach dem viel zitierten Matthäus-Prinzip weiter aus.

Projekt Ungleichheit Der politische Gebrauchswert vonRankinglisten besteht darin, einenideologischen Blick auf die ge-nannten Sachverhalte zu produ -zieren: Die extreme Ungleichheitin den materiellen Produktionsbe -dingungen von Wissenschaft wirdvernebelt, indem eine Interpre ta -tion dieser Ungleichheit als perso -nifizierte Leistungsverschie den heitsuggeriert wird. Dies entlastet zu-gleich die Politik von ihrer Verant-wortung für eine angemessene Finanzierung aller Hochschulbe -reiche. Ranking-Listen sind daherdas Problem – und keine Lösungfür auch nur irgendetwas.

Torsten Bultmann,

Politischer Geschäftsführer des Bundes

demokratischer Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftler (BdWi)

Eine Rankingkritik

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem ThemaRankings ist im Forum Wissenschaft Nr. 4/2012 dokumentiert.

Das Forum Wissenschaft ist die Viertelsjahreszeitschrift des BdWi. Es bietet pro Ausgabe einen Themenschwerpunktund Beiträge zu wechselnden Rubriken und bewegt sich imKräftefeld von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. ForumWissenschaft ist interdisziplinär, streitbar, unbestreitbar links.

Weitere Informationen: http://www.bdwi.de/forum

Foto: zplusz

GEW_read_me_04_2013_Druck_GEW_read_me 08.04.13 12:12 Seite 6

Page 7: read me - Sommersemester 2013

read.me – Zeitung für Studierende 7

Gerade in den letzten Monatenhäufte sich die Kritik am CHE-Ranking. Diverse Fachgesell-schaften rufen zum Boykott desRankings auf. Aber auch vonStudierenden wird ein Boykottimmer wieder gefordert. Wassteckt dahinter?

Gemacht wird das Rankingvom Centrum für Hoch-schulentwicklung (CHE).

Das CHE ist eine gemeinsameGründung von Hochschul rek to -ren konferenz und Bertelsmann-Stif tung. Der mittlerweile ver-storbene Reinhart Mohn, Mehr-heitseigner der Bertelsmann AG,hatte persönlich die Gründung ini-tiiert. Auch in den Hochschulensollte so mehr Wettbewerb undControlling, wie in Wirtschafts-unternehmen üblich, einziehen.Dass das CHE schon immer fürStudiengebühren ist und statteiner demokratischen Hochschuleauf starke Leitungsebenen setzt,dürfte nicht weiter verwundern.Auch das Hochschul-Ranking wirddaher dem Ziel dienen, Wettbe -werb zwischen den Hochschulenzu befeuern und die Hochschul-landschaft immer mehr auszu dif -fe renzieren – Elite auf der einenSeite, Massenabfertigung auf deranderen.

Auch wenn das CHE-Rankingstatt eines echten Rankings nurRanggruppen bildet: diese wirkenletztlich wie ein klassisches Ran -king. Spätestens in der öffentli -chen Wahrnehmung gibt es Siegerund Verlierer – die mit den meis -ten grünen bzw. blauen Punkten(so die farbliche Markierung für„Spitzengruppe“ bzw. „Schluss-gruppe“). In der Online-Fassungdes Rankings kann schließlich fastganz normal gerankt werden, dortwerden neben den Farben auchkonkrete Werte angezeigt, die mansortieren könnte (das Tool sortiertallerdings nur nach Ranggruppenund dann alphabetisch nach demNamen der Hochschule).

Qualität versus QuantitätQualität – gerade der Lehre – lässtsich aber schwer in Zahlen fassen.Rankings – auch in der vermeint -lich abgeschwächten Form desCHE- HochschulRankings – leis tendem Controlling durch ZahlenVorschub; wer sich am besten demDiktat der Messkriterien anpasst,gewinnt.

Die konkreten Boykott-Aufrufekritisieren meist Details der Er-hebung, Auswertung und Ge -wichtung der Daten.

Auch wenn es dafür genügend An-haltspunkte gibt und diese Be-gründung möglicherweise z. B.Pro fessor/innen überzeugt, diekeine grundlegende (gar „poli ti -sche“) Ranking-Kritik mittragenwollen, sollte die Kritik nicht da-mit aufhören. Denn mit dieserDetailkritik kann auch das CHEbisher ganz gut leben – es ändertvon Jahr zu Jahr mal da ein Detail,mal dort und erzeugt damit auchimmer wieder den Eindruck, mankönne das Ranking doch verbes-sern und dann wäre alles gut. Sohat sich bspw. die Uni Bonn nachzwei Jahren Nicht-Teilnahme undeinigen Änderungen des CHE beider Gewichtung und Darstellungder Ergebnisse inzwischen wiederdazu bewegen lassen, am Rankingteilzunehmen.

Nur teilnehmen, um sichtbar zu sein?Interessant ist übrigens zu wissen,dass immer wieder Fakultäten, diesich durchaus mit dem Gedankengetragen hatten, ihre Studiengängenicht mehr ranken zu lassen, vonder Leistungsebene der Hochschu -len zu einer Teilnahme gedrängtwurden. Hintergrund dürfte sein,dass die Leitungsebene um die„Sichtbarkeit“ der jeweiligen Fa -

kultät fürchtet.

Dazu kommt: die Rektoren alsTeil der HRK haben letztlich dasCHE mitbegründet und sehendessen Arbeit insofern möglicher-weise weniger kritisch als andere.Das CHE will ja u. a. auch stärkereLeitungsebenen ...

Wer nicht am Ranking teilnimmt,kommt in ihm tatsächlich nicht sorichtig vor. Vor einigen Jahrenwaren Nicht-Teilnehmer selbst inder Online-Fassung nicht vor-handen, wenn man die Liste derHochschulen eines Studienfachsanzeigen ließ. Inzwischen erschei -nen sie wenigstens mit weißenKreisen (anstelle der farbigenRang gruppen). In der Druckver-sion (im ZEIT-Studienführer)bleiben Nicht-Teilnehmer aberweiterhin unerwähnt.

Umgekehrt gibt es aber auch ei-nige Hochschulpräsidenten, dieihre ganze Universität zur Nicht-teilnahme am CHE-Ranking ge-bracht haben: Die Uni Kölnnimmt seit mehreren Jahren nichtteil, die Uni Hamburg hat letztesJahr verkündet, an Rankings nichtmehr teilzunehmen.

Alternativen?Die Deutsche Gesellschaft fürSoziologie (DGS) hatte 2012 miteiner scharfen Kritik am CHE-Ranking und dem Aufruf zum

Ausstieg einiges losgetreten.

Ne ben diverser Detailkritik amRan king machte sie auch einenVorschlag: Das CHE solle auf seinRanking in der bisherigen Formverzichten und die vorhandenRessourcen lieber dafür nutzen,eine rein qualitative Darstellungder Studiengänge eines Fachs anden verschiedenen Hochschulenzu machen. Auch Zahlen zurGröße der Hochschule/Fakultätsind dabei natürlich sinnvoll, allesaber ohne Rankings. Bedarf anInformationen für die Studien-wahl gibt es, doch Rankings len -ken die Interessierten vom Kernder Sache ab: Wo wird das Fachfür den jeweiligen Studierendeninhaltlich am besten angeboten,also mit den passendsten Schwer-punkten und in einer geeignetenAtmosphäre?

An einer solchen Informations-Alternative, die wirklich vieleStudiengänge abdeckt, fehlt esbisher leider noch. Auch die vereinzelten Versuche von Fach -gesellschaften, Angebote für ihrFach zu installieren, sind bishermeist auf halber Strecke stecken-geblieben.

Oliver Iost,

Herausgeber und Betreiber des Webportals

Studis-Online.de, beschäftigt sich u.a.

seit Jahren mit Uni-Rankings

Weitere Informationen:

www.studis-online.de

CHE-Hochschul-Ranking boykottieren?Bertelsmann und das Centrum für Hochschulentwicklung

Sozialwissenschaft mit

Fingerspitzengefühl?

GEW_read_me_04_2013_Druck_GEW_read_me 08.04.13 12:12 Seite 7

Page 8: read me - Sommersemester 2013

read.me – Zeitung für Studierende8

LASS Baden-Wü[email protected]/Studium_4.html

LASS [email protected]/index.php?id=348

LASS [email protected]/lass.htm

LASS Brandenburglass@studiberatung-potsdam.dewww.studiberatung-potsdam.de

LASS Bremengewstudishb.blogspot.comwww.gew-hb.de/Studierende.html

LASS [email protected]

LASS [email protected]/index.php?id=571

LASS Mecklenburg-Vorpommern(über den Landesvorstand)[email protected]

LASS [email protected]/lass

LASS [email protected]

LASS [email protected]/html/arbeits_personengruppen/studierende.php

LASS [email protected]

LASS [email protected]/node/7

LASS [email protected]/index.php?menuid=96

LASS [email protected]

LASS Thü[email protected]/Studierende_LASS.html

Herausgeber:Gewerkschaft Erziehung und WissenschaftHauptvorstandPostfach 90040960444 Frankfurt am MainTel.: 069/78973-0 Fax.: 069/78973-201 [email protected] www.gew.de

Redaktion:Dr. Andreas Keller (verantwortlich),Marius Klein, Philipp Kranemann,Sven Lehmann, Sonja Staack, Marco Unger

Lektorat: Andrea Vath

Gestaltung:Werbeagentur Zimmermann, Heddernheimer Landstraße 144 60439 Frankfurt am Main

Druck: apm AG, Darmstadt

April 2013

Impressum Kontakt zu den GEW-Studis in Deinem Bundesland

Am Abend des 10. Mai 1933wurden in zahlreichen deutschenUniversitätsstädten tonnenweiseBücher von mehr als 400 Autor/inn/en verbrannt, darunter eingroßer Teil der zeitgenössischenLiteratur von Rang und Namen.Alexandra Kurth informiert über ein dunkles Kapitel der Ge-schichte der Studierenden schaf ten.

Die studentische „Aktionwider den undeutschenGeist“ richtete sich gegen

jüdische, marxistische und pa zi fis -tische Autor/innen, gegen Schriftenaus der Arbeiter-, Friedens- undFrauenbewegung. Verbrannt wur -den liberale, sozialdemokratische,sozialistische, anarchistische undkommunistische Bücher. Wis sen -schaft liche, politische und lite ra ri -sche Werke waren gleichermaßenbetroffen, wobei die „schwarzenListen“ der zu verbrennenden, als„undeutsch“ und „entartet“ klas si -fi zierten Bücher nicht an allenOrten gleich waren.

Kein Betriebsunfall ...Koordiniert wurde die „Aktion“vom Anfang April 1933 neu ge-gründeten Hauptamt für Presseund Propaganda bei der Deut schenStudentenschaft (DSt). Diese war1919 als privatrechtlicher Zusam-menschluss der Allgemeinen Stu -dentenausschüsse der Universi tä tenentstanden und hatte bereits seit1931 einen NS-Vorsitzenden. Ab

dem 6. April 1933 wurden die Ein -zelstudentenschaften vom Leiterdes neuen Hauptamtes, Hans KarlLeistritz, der als Vertreter des kor -po rationsstudentischen Dachver-bandes Akademischer Turnbund(ATB) in die Reichsstudentenver-tretung eingezogen war, in meh re -ren Rundschreiben über die großangelegte antisemitische „Aktion“informiert und instruiert: JederStudent sollte seine eigenen Buch-bestände sowie die seiner Be kann -ten durchsehen und „säubern“und die Studentenschaft vor Ortdafür Sorge tragen, dass die öffent-lichen Büchereien von den inkri mi -nierten Büchern „befreit“ wür den.Ab Mitte April 1933 wurde dasantisemitische Pamphlet „ZwölfThesen wider den undeutschenGeist“ plakatiert, um auf die „Ak-tion“ aufmerksam zu machen, abAnfang Mai wurden die zur Ver-brennung bestimmten Bücher inden örtlichen Büchereien undBuchhandlungen eingesammelt.Staats- und Universitätsbibliothe -ken waren hiervon explizit ausge -nommen. Für den 10. Mai hattedas Hauptamt schließlich folgendeChoreographie vorgeschlagen: Zu-nächst Kundgebung der Studen -ten schaft, dann Fackelzug durchden Ort und schließlich ab 23.00Uhr der Akt der Verbrennungselbst. Mit neun von Studentenver lesenen Feuersprüchen „GegenKlassenkampf und Materialismus,für Volksgemeinschaft und idea lis -

ti sche Lebenshaltung“, „GegenDekadenz und moralischen Ver-fall, für Zucht und Sitte in Familieund Staat“, „Gegen Gesinnungs-lumperei und politischen Verrat,für Hingabe an Volk und Staat“,„Gegen seelenzerfasernde Über-schätzung des Trieblebens, für denAdel der menschlichen Seele“,„Gegen Verfälschung unserer Ge-schichte und Herabwürdigungihrer großen Gestalten, für Ehr-furcht vor unserer Vergangenheit“,„Gegen volksfremden Journalis musdemokratisch-jüdischer Prägung,für verantwortungsbewusste Mitar -beit am Werk des nationalen Auf-baus“, „Gegen literarischen Verratam Soldaten des Weltkrieges, fürErziehung des Volkes im Geist derWehrhaftigkeit“, „Gegen dünkel -haf te Verhunzung der deutschenSprache, für Pflege des kostbarstenGutes unseres Volkes“, „GegenFrechheit und Anmaßung, fürAchtung und Ehrfurcht vor demunsterblichen deutschen Volksgeist“wurden zunächst die Schriften von15 besonders geächteten Autorenins Feuer geworden, die restlichenBücher folgten. Menschenmassenumstanden im weiten Bogen dieScheiterhaufen und sangen nebendem Horst-Wessel-Lied und an de -ren NS-Liedern auch alte Bur -schen lieder, bewusst anknüpfendan die Bücherverbrennung beimWartburgfest der Burschenschaf ten1817. Ganz vorne dabei dieChargierten der studentischen

Kor porationen, die inden Jahren zuvorvieles getan hatten,um den begin nen den„Zivilisationsbruch“(Dan Diner) mit vor-zubereiten.

…sondern organisierteKatastropheDie Bücherverbrennung wurdehauptsächlich von der seit 1931nationalsozialistisch dominiertenDSt organisiert, ebenso wie derVorlesungs- und Seminarboykottvon jüdischen und anderen miss-liebigen Lehrenden, der parallel zuden Entlassungswellen aufgrunddes Gesetzes zur Wiederherstel -lung des Berufsbeamtentums ver-lief. Unterstützt wurde die Aktionder Studentenschaften von Minis -terien, Polizeibehörden, NS-Orga -nisationen (SA, SS, HJ), von Bur -schenschaften und anderen stu -den tischen Korporationen undauch von Professoren. Sympto ma -tisch waren die Ereignisse inBerlin: Dort bildete die Antritts-vorlesung des auf den neu einge-richteten Lehrstuhl für PolitischePädagogik berufenen Männer -bund-Ideologen Alfred Bäumlerden Auftakt zur dortigen Bücher-verbrennung. Nach der Vorlesungmarschierte Bäumler an der Spitzedes Fackelzuges, der laut Neu -köllner Tageblatt „uniformierteStudenten, Chargierte der Verbin -dungen, Couleur-Studenten und

Freistudenten in großer Zahl“ ver-einigte, zum Opernplatz, wo mehrals 20.000 „undeutsche“ Bücherverbrannt wurden.

Dr. Alexandra Kurth,

Institut für Politikwissenschaft

der Universität Gießen

80 Jahre Bücherverbrennung

„Die versunkene Bibliothek“ auf dem

Bebelplatz in Berlin erinnert an den

10. Mai 1933, als Studenten des Na-

tionalsozialistischen Studentenbundes

und Professoren der Humboldt-Univer-

sität vor zahlreichen Schaulustigen

unter der musikalischen Begleitung von

SA und SS über 20.000 Bücher aus der

Bibliothek der Universität holten und

verbrannten.

Das Denkmal ist ein unterirdischer

Raum, nur eine Glasplatte in der

Pflasterung des Platzes ermöglicht Be-

suchern den Einblick. An den Wänden

befinden sich leere Regale für 20.000

Bände. Zwei Bronzeplatten informieren

über das Denkmal. Sie beginnen mit

einem Zitat von Heinrich Heine:

„Das war ein Vorspiel nur,

dort wo man Bücher verbrennt,

verbrennt man am Ende auch

Menschen.“ Heinrich Heine 1820

Termine 04./05.05. – Rankinglisten als Steuerungsmedium von Hochschulpolitik – Fachseminar

von Böckler-Stiftung, fzs und BdWi, Tagungsort: Jugendgästehaus Bielefeld.

04./05.05. – Vollversammlung des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (Jena)

17.–20.05. – Bundeskongress studentische Sozialpolitik – Kongressveranstaltung des

fzs in der Jugendherberge Hannover.

03.–14.06. – festival contre le racisme – www.contre-le-racisme.de

20.–22.06. – List auf Sylt, GEW-Seminar für Doktorandinnen, Doktoranden

und Promotionsinteressierte

28./29.06. – Studieren mit Behinderung. fzs-Seminar in der Jugendherberge Bochum

31.07.– 02.08. – Nachhaltige Hochschule. fzs-Seminar in der Jugendherberge Fulda

28.08.–01.09. – Hochschulpolitische Sommerschule des fzs (Wismar)

09.–12.10. – Berlin (Müggelsee), 7. GEW-Wissenschaftskonferenz

„Zwischen Doktorhut und Katheder“

Ein dunkles Kapitel – auch der Studierendenschaften

Foto: Charlotte Nordahl [CC-BY-SA-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

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