Rechte „Mitte“ – „extreme“ Rechte - #03

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  • 8/3/2019 Rechte Mitte extreme Rechte - #03

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    RechRechte Mite Mittette extr extremeeme Rech Rechtete(A(Ausgabe Nusgabe Nr. 3, 1r. 3, 12. Mai 2011)2. Mai 2011)

    http://anarchosyndikalismus.blogsport.de

    Letztes Wochenende marschierten Anhnger_innen von Pro Kln auf

    jedoch nicht ohne auf Widerstand zu stoen, wie das Bild sichtbar

    macht. Gruppierungen wie die Pro-Parteien werden durch Mainstream-

    Medien und -Expert_innen hug als "Rechtpopulisten" dargestellt.

    "Rechtspopulismus" wird dabei hug als "weiche" Form der extremen

    Rechten prsentiert - oder auch als Scharnier oder Grauzone zwischen

    dem Rechts"extrem"ismus und der demokratischen "Mitte".Trotz einer

    seit dem Jahrtausendwechsel gestiegenen medialen Aufmerksamkeitbezglich der extremen Rechten, trotz beinahe unzhliger Studien

    zur Verankerung rechter Positionen in der Mitte und trotz Thilo

    Sarrazin hlt sich das Gespenst des Rechtsextremismus - auch dank

    der Verknpfung mit dem Extremismuskonstrukt - als Antithese zur

    parlamentarischen Demokratie.

    Die Grenzen sind jedoch nicht nur ieend oder grauzonig, sondern

    wegen der berlappung vieler Themen lediglich durch das

    Hinwegsehen der miteinander verschrnkten Diskurse ziehbar.Dennoch knnen Konzepte und Kategorien wie Rechtspopulismus

    helfen, sich berblicke ber verschiedene Phnomene zu verschaen.

    Denn es bleibt festzuhalten, dass es trotz der Gemeinsamkeiten

    durchaus benennbare Unterschiede zwischen dem gibt, was

    beispielsweise NPD und/oder lose organisierte Neonazis sagen und

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    tun und dem, was Gruppierungen wie Die Freiheit, den Pro-Parteien

    und sozialdemokratische Ex-Bundesbanker wollen und (strategisch)

    propagieren. Wir wollen in dieser Ausgabe schwerpunktmig nicht

    nur die extreme Rechten beleuchten, sondern uns auch mit der

    rechten Mitte auseinandersetzen.

    Zunchst zeigt Ulrich Peters anhand des aktuellen Buchs Deutschlands

    Neue Rechte von Volker Wei auf, wie nah Sarrazin rechten

    Vordenkern wie Spengler ist. Michael Lausberg empehlt sodann den

    bereits 2008 und von Alexander Husler herausgegebenen

    Sammelband Rechtspopulismus als "Brgerbewegung", der laut dem

    Rezensenten auch im Frhjahr 2011 eine grundlegende Einfhrung

    in die Entwicklung und Strategie der Brgerbewegung Pro Kln

    darstellt. Fritz Burschel kritisiert den neuen Rechercheband Heile Welt von Astrid Geisler und Christoph Schultheis und fragt sich: Wozu

    das alles ein weiteres Mal?. Schlielich empehlt Richard Gebhardt

    den umfrangreichen Sammelband zu den Strategien der extremen

    Rechten, der sowohl fr die Theorie und Praxis interessant sein drfte.

    Abgesehen vom Schwerpunkt haben wir auch dieses Mal weitere

    Bcher, die einen Blick wert sein sollten: Fritz Gde zeichnet in seiner

    Rezension zu dem mit dem Bookers-Preis prmierten Roman Wlfe

    eine Verbindungslinie zwischen dem Staatsmann Cromwell unter

    Heinrich VIII. und einem Tony Blair des 21. Jahrhunderts. In ihrer

    Besprechung Natrlichkeit aus feministischer Perspektive lobt die

    Rezensentin Anja Gregor das Bndchen Geschlecht von Heinz-Jrgen

    Vo als gelungene Einfhrung in den medizinisch-biologischen

    Geschlechterdiskurs. Zudem oenbaren wir aus unserem reichhaltigen

    Archiv in dieser Ausgabe passend zum Schwerpunkt den Sammelband

    Analysen und Essays des 2006 verstorbenen Wissenschaftlers und

    Aktivisten Alfred Schobert. Laut Rezensent Sebastian Friedrich sinddie Texte besonders lesenswert, weil Schobert Mitdenken bzw. -

    handeln frdert und fordert und nicht einfach spricht, sondern zum

    Sprechen auordert. Anlsslich der drohenden Beugehaft im

    laufenden Buback-Prozess haben wir auerdem die Besprechung von

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    http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/kontinuitaten-rechter-kulturpessimistenhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/kontinuitaten-rechter-kulturpessimistenhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/rechte-anwalte-des-%E2%80%9Evolkes%E2%80%9C/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/mit-redundanz-gegen-rechts/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/handreichungen-gegen-die-extreme-rechte/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/handreichungen-gegen-die-extreme-rechte/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/das-urbild-des-tony-blair/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/%E2%80%9Anaturlichkeit%E2%80%99-aus-feministischer-perspektive/http://www.kritisch-lesen.de/2010/04/analysen-und-essays/http://www.kritisch-lesen.de/2010/04/analysen-und-essays/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/%E2%80%9Anaturlichkeit%E2%80%99-aus-feministischer-perspektive/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/das-urbild-des-tony-blair/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/handreichungen-gegen-die-extreme-rechte/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/handreichungen-gegen-die-extreme-rechte/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/mit-redundanz-gegen-rechts/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/rechte-anwalte-des-%E2%80%9Evolkes%E2%80%9C/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/kontinuitaten-rechter-kulturpessimistenhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/kontinuitaten-rechter-kulturpessimisten
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    Fritz Gde zu Der zweite Tod meines Vaters von Michael Buback

    ausgesucht.

    Abschlieend sei nochmals auf unseren Newsletter hingewiesen. Wer

    immer rechtzeitig ber die neuesten Ausgaben per Mail informiertwerden will, sollte sich unbedingt mit Email-Adresse bei unserem

    Newsletter anmelden (siehe Spalte rechts).

    Viel Spa beim (kritischen) Lesen!

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    http://www.kritisch-lesen.de/2009/02/der-zweite-tod-meines-vaters/http://www.kritisch-lesen.de/2009/02/der-zweite-tod-meines-vaters/
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    KKoonntintinuiuitten rtten rechechter Kter Kulturpessimistenulturpessimisten

    Volker Wei

    Deutschlands Neue RechteAngriff der Eliten - Von Spengler bis Sarrazin

    Von Ulrich Peters

    Volker Wei zeigt in einem Essay die historischen Vorlufer Sarrazinsund deren Untergangsfantasien auf.

    Sterben die Deutschen aus?, Verdummen die Deutschen? oder

    auch: Wie viel Sozialstaat ist tragbar?. Diese und hnliche Fragen

    geistern seit einiger Zeit durch die Medien und bedienen

    Untergangsszenarien um den Erhalt Deutschlands. Die jngste und

    immer noch anhaltende Debatte dreht sich um das mittlerweile zum

    Bestseller avancierte Elaborat Deutschland schat sich ab vom

    ehemaligen Berliner Finanzsenator und nach wie vor SPD-MitgliedThilo Sarrazin. Das Buch Deutschlands Neue Rechte Angri der

    Eliten Von Spengler bis Sarrazin des Hamburger

    Literaturwissenschaftlers und Historikers Volker Wei widmet sich

    nicht nur der Frage, wieso die sogenannte Sarrazin-Debatte eine

    so groe entliche Resonanz erfahren konnte, sondern auch den

    historischen Vorlufern deutscher Untergangsliteratur.

    Sarrazin, der SozialdemokratSarrazin, der Sozialdemokrat

    Gerade Sarrazin und dem ebenfalls im Band erwhnten Sloterdijk

    gelang es, eine groe entlichkeit zu erreichen, da sie im Gegensatz

    zu den anderen dargestellten Protagonist_innen deutscher

    Untergangsliteratur nicht eindeutig der extremen Rechten zugeordnet

    werden knnen. Sarrazin selbst sieht sein Buch vielmehr in der

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/ulrich-peters/http://www.kritisch-lesen.de/author/ulrich-peters/
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    Tradition des Kritischen Rationalismus und der berprfbaren Fakten.

    Wei hebt dabei hervor, dass sich bei Sarrazin eine Reihe von Aussagen

    nden, die sich tief aus der sozialdemokratischen Denktradition

    speisen (S. 109) und sieht dies in jenen Fllen besttigt, in denen

    konkrete politische Vorschlge dargestellt werden. Da er sich imGegensatz zur NPD nicht als Anwalt des kleinen Mannes inszeniert

    und auch nicht der Abschaung des demokratischen

    Verfassungsstaates das Wort redet, sind seine vertretenen Ansichten

    vielmehr kompatibel mit den Positionen der sogenannten brgerlichen

    Mitte und decken sich mit ihrem Leistungsfetisch. Eine positive

    Bezugnahme der extremen Rechten funktioniert also nur unter

    Ausblendung bestimmter politischer Schlussfolgerungen. Dennoch -

    und das hebt Wei immer wieder hervor - hat Sarrazin den

    Schulterschluss mit der extremen Rechten auf Grund seiner

    sozialdarwinistischen Ausflle und der Bezugnahme auf

    wissenschaftliche Studien aus dem neonazistischen Spektrum selbst

    vollzogen.

    Ein weiterer zentraler Widerspruch, der aber auch fr den

    publizistischen Erfolg Sarrazins und weiterer Untergangsliteraten

    ausschlaggebend ist, ndet sich in der Angst vor der Masse und der

    daraus erwachsenen Notwendigkeit elitrer Fhrer. Das zeigt sichdaran, dass die schrfsten Verknder des angeblichen Kulturverfalls

    ihr Lamento meist selbst uerst massenkompatibel vortragen und

    dabei nicht selten den Beifall des Mobs suchen (S. 128). Gerade hierin

    sieht Wei wesentliche Elemente einer Diskursverschiebung, die sich

    auch im Handeln einer antifaschistischen Linken widerspiegeln muss.

    Der von Autoren wie Sarrazin und Sloterdijk angestoene Diskurs um

    Elite, Leistung und Vererbung hat damit Kreise erreicht, die etwa die

    NPD niemals htte ansprechen knnen. (S. 131)

    Um aufzuzeigen, dass sich die Grundzge der Positionen, wie sie von

    Sarrazin vertreten werden, nicht grundlegend ndern, beginnt das

    Buch von Volker Wei mit der bersicht wichtiger Vertreter der

    Untergangsliteratur unterschiedlichen Epochen. Durch das

    Herausstellen zentraler Argumentationsmuster, die sich auch in den

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    aktuellen Debatten wiedernden, wird deutlich, dass die Objekte

    austauschbar erscheinen, die fr apokalyptische Visionen des

    Untergangs der deutschen Nation oder Kultur verantwortlich

    gemacht werden. In der gelungenen bersicht werden verschiedene

    Anstze beleuchtet, die sich zwar in ihren Erscheinungsformenhistorisch gewandelt haben, aber den gleichen Leitmotiven verhaftet

    sind: das Verhltnis von Masse und Elite, Niedergangsdrohungen und

    Trumen der nationalen Wiedergeburt.

    HistoHistorische Betrachrische Betrachtung vtung voom Um Unntergang der Deutergang der Deutschentschen

    Die Untergangsliteratur beschreibt wiederkehrend vermeintliche

    Zerfallsprozesse dessen, was sie als deutsche Kultur versteht. Die

    ersten Schriften erschienen in Deutschland whrend der ersten Hlftedes 20. Jahrhunderts. Die Autoren formierten sich aus einem

    antidemokratischen Spektrum, das sich insbesondere nach der

    deutschen Kriegsniederlage 1918 radikalisierte. Die bekannteste

    Schrift aus dieser Zeit, Oswald Spenglers Untergang des

    Abendlandes, ist Ausgangsbasis des historischen Streifzuges von

    Volker Wei. Spengler erhob fr sich den Anspruch Nietzsches

    berlegungen zum Zerfall der christlichen Kultur und die Suche nach

    dem aristokratischen Element in der Geschichte zeitgem

    weiterzufhren (S. 15). Wie wichtig diese Schrift fr die

    selbsternannten Kulturpessimist_innen weiterhin ist, zeigt die auch

    heute noch anhaltende Bezugnahme durch die extreme Rechte. Die

    2004 erstmals erschienene Zeitschrift Blaue Narzisse rezensiert in

    regelmigen Abstnden die Schriften Spenglers und stellt sich nur

    allzu gerne in die Traditionslinie der Bewahrer vor dem kulturellen

    Zerfall. Auch Sarrazin versucht in seinem einleitenden Exkurs mit den

    Zyklen von Auf- und Abstieg der Kulturgeschichte in Spenglerscher

    Manier den Untergang der deutschen Nation aufzuzeigen. Einewichtige Schrift der deutschen Rechten im Kampf gegen die Weimarer

    Republik sieht Wei in dem 1927 verentlichten Band Die

    Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablsung von

    Edgar Julius Jung, der dem Umfeld Oswald Spenglers zuzurechnen ist.

    Auch hier werden die Gemeinsamkeiten zur Verentlichung Sarrazins

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    herausgearbeitet. Bleiben u.a. die Schriften Spenglers eher nebuls,

    befasst sich Jung (gleichwohl dem Vorgehen Sarrazins) ausfhrlich

    mit dem demograschen Zustand der Deutschen. Beide bedienen sich

    hierfr empirischer Daten und nutzen diese zur Etablierung einer

    Ideologie der Ungleichheit und der Verknpfung des Wertes und derErbmassedes Menschen (S. 18). Als letztes Beispiel dieser Epoche

    dient das 1929 von Jos Ortega y Gasset geschriebene Buch Der

    Aufstand der Massen. Der Autor beklagt den Verlust der Fhrung

    und, hnlich anderen zeitgenssischen Vertreter_innen, die

    Demokratisierung westlicher Gesellschaften. Gleichzeitig sieht er die

    Welt des 20. Jahrhunderts als Endpunkt einer Vermassung und fhrt

    dies auf dem selbstverschuldeten Fall der alten Eliten zurck.

    Erwhnung durch Volker Wei ndet diese Schrift aber auch deshalb,weil sie eine grere Bekanntheit erst in der frhen Bundesrepublik

    erfahren hat und sich damit deutlich von den Beweggrnden der

    Untergangsliteraten im Nachkriegsdeutschland unterscheidet. Genau

    in dieser Zeit lsst sich auch eine Neuausrichtung in der

    Argumentation feststellen: War es bei den oben genannten

    Protagonist_innen noch die Angst vor dem kulturellen Untergang

    durch die Vermassung der Gesellschaft, wandte man sich nunmehr

    dem Verlust der nationalen Gre und einer Fhrungselite inAnbetracht liberaler und demokratischer Gesellschaftsentwrfe sowie

    eine kritisch werdenden Jugend zu.

    Als einussreicher Vertreter dieser Zeit gilt Wei der Journalist

    Friedrich Sieburg. Dieser war in den 1950er Jahren Chef des

    Literaturressorts der FAZ und im Nationalsozialismus in der

    Informationsabteilung des Auswrtigen Amtes ttig. Fr Sieburg

    begann der Niedergang der Deutschen erst mit der zwischen zwei

    Gromchten eingeklemmten und von ihm als Rumpfdeutschlandgeschmhten Nachkriegsdemokratie. (S. 25) Auch fr den

    Philosophen Arnold Gehlen hatte sich Deutschland bereits mit der

    Kriegsniederlage 1945 abgeschat. Er versucht jedoch seine Kritik

    auf Grundlage einer sich verbreitenden Infragestellung autoritrer

    Herrschaftsformen gerade unter studentischen Jugendlichen noch

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    einen Schritt weiterzufhren. Nicht allein die bundesdeutsche

    Demokratie ist fr den kulturellen Niedergang verantwortlich zu

    machen, vielmehr die humanistische Ethik. Das Ergebnis war fr

    Gehlen die programmatische Aufwertung des Minderwertigen in Form

    einer philosophischen Begrndung der Zugnglichkeit der materiellenund geistigen Lebensgter fr Alle. (S. 35) Daraus erwachsen in

    der Vorstellung Gehlens berzogene Ansprche des Brgers an den

    Staat, die gleichzeitig die Macht der Institutionen beschneiden und

    somit weder Bindung noch Fhrung daran zulassen. Ende der 1970er

    Jahre wandelte sich der eingesetzte Selbstndungsprozess der

    Konservativen in eine Oensive und fhrte zu einer Radikalisierung,

    die Volker Wei u.a. in der Grndung des Studienzentrums

    Weikersheim 1979 als konservativen Thinktank sieht. Der erste

    Vorsitzende Hans Filbinger (CDU) strebte eine Strkung des rechten

    Flges der CDU an. Diese innerparteiliche Rechtsopposition konnte

    sich jedoch nie tatschlich durchsetzen. Allerdings gri in dieser Phase

    der Orientierung eine Rechte, die sich nunmehr auf dem Terrain

    zwischen Konservatismus und Neonazismus bewegte, wieder auf die

    Untergangsrhetorik zurck. Doch ging es ihr diesmal darum, die

    Deutungshoheit ber die deutsche Geschichte zu erlangen und sie um

    den Nationalsozialismus herum zu konstruieren.

    Die NDie Neue Recheue Rechtete

    Dieser jngeren Generation publizistischer Akteure ging es nicht

    mehr [um die] Klage [der] verlorenen imperialen Gre und

    weltpolitische Bedeutung der Deutschen, sondern [um] die

    Normalisierung des deutschen Nationalgefhls und der deutschen

    Identitt (S. 46). Als wichtigste Plattform dieser hug als Neue

    Rechte bezeichneten Strmung gilt Volker Wei die 1986 gegrndete

    Wochenzeitschrift Junge Freiheit sowie der 1994 erschieneneSammelband Die selbstbewusste Nation, in dem sich eine Reihe

    Rechtsintellektueller ber die Wiedergewinnung der nationalen

    Identitt der Deutschen austauscht. Volker Wei zeigt an diesem und

    weiteren Beispielen auf, dass die Fortfhrung des Elite-Masse-Motivs

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    unter nationalistischen Vorzeichen nach 1945 wesentlich im

    publizistisch-knstlerischen Raum stattfand.

    hnlich wie Sarrazin wird auch der Philosoph Peter Sloterdijk im

    Gegensatz zu den anderen vorgestellten Beispielen nicht der extremenRechten zugeschrieben. Allerdings haben auch seine Auslassungen

    ber die Masse ohne Potential, fr die er im Wesentlichen die

    Bildung, die dem Anspruch zur Verbesserung der Vielen diene und

    dementsprechend fr den kulturellen Niedergang mitverantwortlich

    zeichne, groen Zuspruch von Rechts erfahren.

    Die Angst vDie Angst voor der Masser der Masse

    Doch ist allen ein Misstrauen gegen das Zeitalter der Massen zu

    bescheinigen. Dass dieses Zeitalter jedoch zwangslug mit der

    Industrialisierung einsetzte, war bereits im 19. Jahrhundert anerkannt

    und oss auch in Arbeitsbereiche der Wissenschaften ein, wie Wei

    darlegt. Im Zuge dieser Erkenntnis treten aber noch weitere Punkte

    auf. Hervorgehoben wird zum einen die Suche der demokratischen

    Gesellschaft nach dem richtigen Verhltnis von Masse und Elite, die

    immer auch von den Untergangsliteraten genutzt wurde. Zur Abwehr

    der befrchteten Herrschaft der Massen postulierten Elitetheorien

    die Ungleichheit als notwendiges Strukturprinzip der Gesellschaft.(S. 76) Der Anstieg der Bevlkerungszahlen in Europa befeuerte zudem

    die Angst vor einer qualitativen Verschlechterung des hochwertigen

    Menschenmaterials durch die Masse. Auch berbevlkerung bleibt

    ein stndiger Begleiter dieses Phnomens. Wie Volker Wei betont,

    wird Enge bei geopolitischen Autoren wie etwa Hans Grimm in

    seinem Roman Volk ohne Raum zum nationalen Krisensymptom mit

    dem aggressive Expansion begrndet. Diese Ansicht befrdert im

    Wechselspiel die Sorge um die genetische Qualitt der Deutschenaufgrund der Einwanderung von auen. Jetzt hie es bei Edgar J.

    Jung: Die Deutschen sterben aus! (S. 81) Mit der Annahme

    vererbbarer menschlicher Intelligenz ndet sich eine extreme Nhe

    zu den von Sarrazin verbreiteten Thesen. Mit dieser Argumentation

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    verlsst er den rein elitentheoretischen Diskurs und schlgt einen

    Bogen zu den Anfngen des wissenschaftlichen Rassismus. (S. 84)

    Abschlieend zu betrachten ist die Konstante des Sprechers als Opfer

    und Mrtyrer und die daraus erwachsene Wahrnehmung alsTabubrecher. Nach Wei wertet die defensive Pose das imaginre

    Opfer moralisch auf und diese berlegenheit lsst sich wiederum in

    Einklang mit dem Heroismus des Nationalisten bringen. Der Akteur

    wird nicht als Aggressor wahrgenommen, sondern als

    Widerstandskmpfer. Auch Thilo Sarrazin inszenierte sich als

    Aufbegehrender gegen eine repressive bermacht. Sein Gegner war

    das Heer der [] Gutmenschen [], gegen das er [] antrat. (S. 96)

    Um einen eektiven Umgang mit diesem Problem zu entwickeln, istes notwendig, die zum Teil aufgeregte und hug von inhaltlichen

    Schwchen begleitete Diskussion in einen greren Zusammenhang

    zu stellen und so eine wirkungsvolle Strategie gegen eine Rechte zu

    entwickeln, die sich aus Leistungsdruck, Ausgrenzung, Elitedenken

    und Rassismus speist. Die Lektre des Buches von Volker Wei kann

    hier eine sinnvolle Untersttzung bieten, ist sie doch darum bemht,

    die Aussagen Sarrazins und anderer Untergangsliteraten analytisch zu

    erfassen und die notwendige Auseinandersetzung darum dierenziert

    zu begleiten.

    *

    Der Autor ist Mitglied im Redaktionskollektiv des Antifaschistischen

    Infoblattes aus Berlin.

    Volker Wei 2011: Deutschlands Neue Rechte. Angri der Eliten - Von

    Spengler bis Sarrazin. Ferdinand Schningh, Paderborn.

    ISBN: 978-3-506-77111-7. 141 Seiten. 16.90 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 10 von 44

    http://www.nadir.org/nadir/periodika/aibhttp://www.nadir.org/nadir/periodika/aibhttp://www.kritisch-lesen.de/?p=2333http://www.kritisch-lesen.de/?p=2333http://www.nadir.org/nadir/periodika/aibhttp://www.nadir.org/nadir/periodika/aib
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    RechRechte Ante Anwlte des wlte des VVolkolkeses

    Alexander Husler (Hg.)

    Rechtspopulismus als "Brgerbewegung"Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien

    Von Michael Lausberg

    Die rechte Pro-Bewegung arbeitet mit der Instrumentalisierung von

    Schwarz-Wei-Bildern des Politischen. Dabei werden komplexeProbleme in einfache, einprgsame Slogans transformiert.

    Im Gegensatz zu alteingesessenen Parteien wie die NPD, DVUoder Die

    Republikanergelang der rechten Brgerbewegung Pro Kln bei den

    Kommunalwahlen 2004 in Kln ein unerwarteter Wahlerfolg von 4,7 %

    der Stimmen. Ein gro angekndigter Anti-Islamisierungskongress

    auf dem Klner Heumarkt im September 2008 entwickelte sich dank

    eines breiten antifaschistischen Engagements zu einer politischen

    Farce. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 30.

    August 2009 erzielte Pro Kln mit 5,36 % der Stimmen einen

    Achtungserfolg. Mit einem antimuslimischer Rechtspopulismus feierte

    die Brgerbewegung Pro Kln mit lokalen Kampagnen gegen einen

    geplanten Moscheebau in Kln-Ehrenfeld erste kommunalpolitische

    Erfolge. Dieses Modell soll nun sowohl landesweit (Brgerbewegung

    Pro NRW) als auch bundesweit (Brgerbewegung Pro Deutschland)

    ausgebaut werden. Die Brgerbewegung Pro NRWerreichte bei den

    Kommunalwahlen landesweit 46 Mandate in den Kreistagen,Stadtrten und Bezirksvertretungen. Bei der Landtagswahl 2010 in

    Nordrhein-Westfalen erreichte Pro NRW lediglich 1,4% der Stimmen.

    In ihren Schwerpunkten im Rheinland rund um Kln sowie in den

    groen Ruhrgebietsstdten holte Pro NRW jedoch mehr als 3% der

    Stimmen.

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/michael-lausberg/http://www.kritisch-lesen.de/author/michael-lausberg/
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    Unter dem Titel Rechtspopulismus als Brgerbewegung.

    Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale

    Gegenstrategien erschien im Sommer 2008 ein von Alexander

    Husler herausgegebener Sammelband, der den Versuch startet,

    dieses Partei- und Kampagnenmodell im Kontext der Debatten umRechtspopulismus, Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit

    detailliert zu beschreiben und systematisch wie phnomenologisch

    einzuordnen. (S. 12) Dies geschieht in vier analytischen

    Schwerpunktbereichen. Im ersten Teil wird der Begri des

    Rechtspopulismus in den Beitrgen von Karin Priester und Alexander

    Husler unter Heranziehung jngster Forschungsergebnisse der

    Rechtspopulismusforschung nher untersucht. Diese beiden

    Darstellungen gehen jedoch nicht auf die Tatsache ein, dass

    Populismus als Politik und Regierungsstil in westeuropischen

    Parteiendemokratien weit verbreitet ist.

    Der zweite Teil beschftigt sich mit der Organisation sowie Agitation

    der Pro-Bewegung und dem Verhltnis zu anderen extrem rechten

    Organisationen in der BRD. Angesichts der Tatsache, dass die

    Brgerbewegung Pro Kln bei den Kommunalwahlen 2004 ca. 10%

    der Stimmen von ErstwhlerInnen bekam, ist der Beitrag von Hans

    Peter Killguss und Jan Schedler zur Jugendarbeit von Pro Kln und ProNRWaufgrund der inhaltlichen Analyse der Schlerzeitung Objektiv

    erwhnenswert.

    Im dritten Teil werden die rechtspopulistischen Kampagnen in den

    Zusammenhang von Konfrontationen um Islam und Moscheebau in

    der BRD gestellt. Unter den qualizierten Beitrgen ist der Aufsatz

    von Kemal Bozay ber die Auseinandersetzung um den geplanten

    Moscheebau in Kln- Ehrenfeld besonders aufschlussreich. Bozay

    arbeitet eine Ethnisierung des Sozialen heraus und deutet dies alsAusgrenzungsprozess, der in der Gesellschaft Minderheiten herstellt,

    sie negativ beschreibt und dadurch Privilegien der herrschenden

    Mehrheitsgesellschaft festigt.

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    Im vierten Teil werden verschiedene Manahmen und Gegenstrategien

    zu den antimuslimischen Kampagnen in den Kommunen diskutiert.

    Diese Beitrge bieten eine kompetente Orientierung fr die Praxis..

    Eine Darstellung aus internationaler Perspektive wie z.B. sterreich,

    Niederlande, Belgien oder der Schweiz, wo rechtspopulistischeParteien in den letzten Jahren Wahlerfolge feierten, wre

    wnschenswert, da die Pro-Bewegung vor allem von der

    sterreichischen FP und dem belgischen Vlaams Belang

    Strategieelemente und Argumentationsweisen bernahm. Es wird die

    Prventivwirkung einer zivilgesellschaftlichen demokratischen Kultur

    durch Frderung von lokalen Bndnissen gegen Rechts vorgestellt.

    Weiterhin geht es darum, dass in parlamentarischen Gremien die

    demokratischen Parteien gemeinsame Strategien entwickeln mssen,

    um ein einheitliches Vorgehen gegen Pro Kln zu ermglichen.

    Insgesamt gesehen bietet der Sammelband einen ersten Einstieg in

    die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Brgerbewegung

    Pro Kln und ihren landesweiten (Brgerbewegung Pro NRW) und

    bundesweiten (Brgerbewegung Pro Deutschland) Ausdehnungen. Vor

    allem die aufgezeigten Handlungsstrategien gegen die Pro-Bewegung

    in den Kommunen verdient Beachtung. Dies kann jedoch nicht darber

    hinwegtuschen, dass eine intensivere Auseinandersetzung vor allemmit der Brgerbewegung Pro Kln erforderlich ist. Neben der

    antimuslimischen Agitation schaten es Pro Kln und Pro NRW

    besonders mit den Themenbereichen Innere Sicherheit, Korruption,

    Brgernhe und Abwehr des Multikulturalismus bei den

    Kommunal- und Landtagswahlen zu punkten. Selbst im Frhjahr 2011

    bietet der Sammelband eine grundlegende Einfhrung in die

    Entwicklung und Strategie der Brgerbewegung Pro Kln. Dagegen

    sind die kurzen Darstellungen ber die Brgerbewegung Pro NRWund

    die Brgerbewegung Pro Deutschland (logischerweise) nicht mehr aufdem aktuellen Stand.

    Alexander Husler (Hg.) 2008: Rechtspopulismus als

    "Brgerbewegung". Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und

    kommunale Gegenstrategien. Verlag fr Sozialwissenschaften,

    Seite 13 von 44

  • 8/3/2019 Rechte Mitte extreme Rechte - #03

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    Wiesbaden.

    ISBN: 978-3-531-15919-5. 292 Seiten. 29.95 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 14 von 44

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2312http://www.kritisch-lesen.de/?p=2312
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    MiMit Redt Redundanz gegen Rechundanz gegen Rechtsts

    Astrid Geisler / Christoph Schultheis

    Heile WeltenRechter Alltag in Deutschland

    Von Friedrich Burschel

    Das von den Mainstream-Medien allseits gelobte Buch von AstridGeisler und Christoph Schultheis oenbart wenig Neues.

    Man knnte ja wirklich ein Fan von Astrid Geisler sein. Unvergessen

    ihre wirklich schnen, pointierten und entlarvenden Reportagen zum

    Themenfeld rechte Unkultur in der taz: wie sie den Brandenburger

    Verfassungsschutz in dem Beitrag Wie Bin Laden nach Prenzlau kam

    (4.7.2010) hochnimmt oder den wirren Rechtspopulisten und anti-

    islamischen Unkenrufer Udo Ulfkotte demaskiert (Der Kreuzretter,

    17.7.2007). Ganz toll! Ihr neues Buch aber, das sie gemeinsam mit demtaz-Kollegen Christoph Schultheis bei Hanser verentlicht hat, ist in

    mehrfacher Hinsicht rgerlich.

    AltbekannAltbekannte Ite Ideen sind selten odeen sind selten originellriginell

    Das liegt nicht daran, dass die Reportagen nicht handwerklich gut

    wren: durchaus nicht. Das Autor_innenpaar hat neun Orte

    aufgesucht. Zum einen solche, die vor Kurzem noch im medialen

    Rampenlicht standen (z.B. Delmenhorst, Krampfer, Halberstadt), zumanderen solche, an denen sich ein Phnomen aus dem Rechten Alltag

    in Deutschland beleuchten lie (z.B. Neubrandenburg, Kln, Strehla,

    Bargischow). Da geht es um ein kleines soziales Netzwerk in

    Neubrandenburg, in dem sich unter den 140 000 Nutzer_innen vllig

    unbehelligt harte Nazis tummeln wie die Fische im Wasser. Es geht

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/friedrich-burschel/http://www.kritisch-lesen.de/author/friedrich-burschel/
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    um eine wohl situierte Mutter aus Bayern, deren Bub sich nach rechts

    verabschiedet hat; um die nette NPD-Nachbarin, die auch im

    Elternbeirat aktiv ist; um normale Menschen, deren Engagement

    gegen Rechts ihnen das Leben schwer oder zur Hlle macht; um den

    Mann hinter dem rechtspopulistischen Politically Incorrect-Webprojektoder um den Schildbrgerstreich um das Stadthotel in Delmenhorst.

    Bleibt nur die Frage: wozu das alles noch mal, wozu noch mal den

    Gestus der rasenden Reportage-Schreiber_innen, die ach so aufwndig

    vor Ort recherchieren. Noch so ein Buch ber Rechtsextreme also?

    fragen die Autor_innen selbst, um ihr Alleinstellungsmerkmal mit

    Schwung zu prsentieren: Eben nicht. Wir haben uns auf den Weg

    dorthin gemacht, wo sich gerade keine Kamerateams drngen. Das

    wre originell, wenn auf diese Idee nicht auch schon anderegekommen wren. So z.B. Olaf Sundermeyer und Christoph Ruf 2009

    mit In der NPD Reisen in die national befreite Zone, das auch schon

    keinen mehr vom Schlitten gerissen haben drfte. Die Ergebnisse

    lesen sich hnlich und werden mit dem immer gleichen Anspruch auf

    Originalitt und Einzigartigkeit prsentiert. Diesem Anspruch werden

    sie in den seltensten Fllen gerecht und sind einfach nur Sammlungen

    von Reportagen, wie man tglich eine in den Medien lesen kann.

    Auch der vermeintliche Tabu-Bruch, dass mit erklrten Nazis

    gesprochen wird, ist schon lange keiner mehr und kann sptestens

    seit Wiglaf Drostes Glosse Mit Nazis reden (1993/94) als berssig

    erachtet werden.

    Dann darf auch zum x-ten Mal der geradezu antike Hinweis nicht

    fehlen, dass bei Nazis die 88 fr Heil Hitler steht. Und immer wieder

    muss darauf hingewiesen werden, dass die Nazis gar nicht so weit

    weg sind von der Mitte der Gesellschaft und ihre Ideen weit in diesehineinreichen. Da drfen natrlich die einschlgigen Studien etwa

    von der Friedrich Ebert Stiftung nicht unerwhnt bleiben. Es liegt

    auch an diesem immer gleichen ermdenden Strickmuster solcher

    Verentlichungen, dass nichts besser geworden ist seit Kanzler

    Schrders Aufstand der Anstndigen. Pressevertreter_innen, die sich

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    fr irgendwie gerissener und schlauer halten als ihre Leser_innen und

    meinen, ihnen komme eine kardinale Rolle bei der gesellschaftlichen

    Aufklrung zu, wenn sie sich mit jenem Alltag jenseits der

    Schlagzeilen befassen, langweilen einfach nur.

    Der Alltag jenseiDer Alltag jenseits der Schlagzeilents der Schlagzeilen

    Dass ihnen dabei immer noch der Verfassungsschutz als hchste und

    unhinterfragte Referenzquelle etwa fr die Gefhrlichkeit oder

    Wichtigkeit einer bestimmten nazistischen Aktivitt gilt, belegt ihre

    eigene Erstarrung in diesem berheblichen Gestus. Nach einem satten

    Jahr Diskussionen um Linksextremismus und Extremismus-Klauseln

    und angesichts massiver Vorste des Verfassungsschutzes in allen

    gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Wissenschaft, Medien, politischeBildung), erscheint es geradezu rckwrtsgewandt, die zum Teil

    bedenkliche Rolle und fragwrdigen Praktiken des Bundesamtes und

    der Landesmter fr Verfassungsschutz unhinterfragt zu lassen.

    Dazu passt, dass der (Rechts-)Extremismus-Begri gnzlich

    unbeanstandet bleibt oder gar in behrdlicher Diktion einiet,

    whrend unabhngige Rechercheure und Antifa-Gruppen keine

    Erwhnung nden. Doch gerade sie leisten in jenem lndlichen Raum,

    den die beiden Schreiber_innen so wagemutig bereisten, oftunschtzbare Arbeit, obwohl sie isoliert und vom Verfassungsschutz

    kriminalisiert mit dem Rcken zur Wand stehen. Dieses Manko ihrer

    Verentlichung scheint den Autor_innen irgendwie aufgefallen zu

    sein, weshalb sie in einem kurzen Schlusskapitel rasch noch

    nachschieben, es sei ihnen nicht um Tipps und Tricks gegen Rechts

    gegangen, sondern darum die Sinne zu schrfen. Aber die

    Redundanz des Formats Mutige Reportagen aus dem Herz der

    Finsternis verhindert selbst das.

    *

    Die Rezension erschien zuerst am 15. April in Analyse und Kritik(Nr.

    560, S. 12) und wurde uns freundlicherweise vom Autor zur Verfgung

    gestellt (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 5/2011)

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    Astrid Geisler / Christoph Schultheis 2011: Heile Welten. Rechter

    Alltag in Deutschland. Carl Hanser Verlag, Mnchen.

    ISBN: 978-3-446-23578-6. 224 Seiten. 19.90 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 18 von 44

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2315http://www.kritisch-lesen.de/?p=2315
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    HandrHandreicheichungen gegen die extrungen gegen die extreme Recheme Rechtete

    Stephan Braun / Alexander Geisler / Martin Gerster

    (Hg.)Strategien der extremen Rechten

    Hintergrnde Analysen Antworten

    Von Richard Gebhardt

    Der voluminse Sammelband vereint 37 wissenschaftliche und

    journalistische Beitrge, die nicht nur fr Wissenschaftler_inneninteressant sein drften.

    In zahlreichen Medienberichten oder Politikerstatements wird

    Rechtsextremismus immer noch auf ein Problem von Wahlprozenten

    oder auf das vermeintliche Randphnomen depravierter Jugendlicher

    reduziert. Jngere sozialwissenschaftliche Arbeiten betrachten

    Rechtsextremismus jedoch als vielschichtiges Syndrom aus Parteien,

    Netzwerken, Subkulturen, militanten und metapolitischen Strategien

    sowie antidemokratischen Einstellungen auch in der sogenanntenMitte der Gesellschaft. Der von den sozialdemokratischen Landtags-

    bzw. Bundestagsabgeordneten Stephan Braun und Martin Gerster

    sowie dem Politikwissenschaftler Alexander Geisler herausgegebene

    voluminse Sammelband zu den Strategien der extremen Rechten

    bildet diese Vielfalt auf der Hhe des Forschungsstandes ab und

    berzeugt insgesamt als fundierte Handreichung fr die politische

    Bildungsarbeit. Die unterschiedlichen Perspektiven der Autorinnen

    und Autoren des Bandes (darunter prominente Wissenschaftler wieWolfgang Benz und Micha Brumlik sowie Fachjournalisten wie Andreas

    Speit und Patrick Gensing) umfassen diskursanalytische Texte ebenso

    wie Darstellungen, die auf Grundlage des konventionellen

    Extremismusparadigmas argumentieren.

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/richard-gebhardt/http://www.kritisch-lesen.de/author/richard-gebhardt/
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    Die 37 wissenschaftlichen sowie journalistischen Beitrge sind

    innerhalb drei groer Abschnitte zu Strukturen und strategische

    Grundlagen, Strategieanalysen sowie Antworten und Gegenwehr

    plausibel in jeweils einzelne Kapitel zu Politik und Parteien, Kultur

    und Medien, Recht und Verfassung und Internationalaufgegliedert. Der Anhang mit einem Personen- und Sachregister

    erhht den Gebrauchswert als Nachschlagewerk, um z.B. den

    politischen Kontext von neo-nazistischen Aktivisten oder Solitren der

    Neuen Rechten prfen zu knnen. bersichtsdarstellungen wie die

    von Andrea Rpke zu Immobilienkufe durch Rechtsextremisten sind

    nicht nur fr ein akademisches Publikum interessant, sondern gerade

    fr Mitglieder demokratischer Brgerinitiativen gegen entsprechende

    Spekulationsstrategien geeignet. Der Sammelband eignet sich

    vorzglich, um auch jenseits der Seminare einer interessierten

    entlichkeit Grundlagenwissen zu vermitteln. Beitrge exponierter

    Forscher wie der von Gunter A. Pilz zu Rassismus und

    Fremdenfeindlichkeit im Fuballumfeld bieten Kennern zwar

    inhaltlich wenig Neues, liefern aber konzise und anschauliche

    Zusammenfassungen des Forschungsstandes. Die Unterwanderung

    des Fuballs als Strategieelement der extremen Rechten wird

    wiederum von den Herausgebern Geiler und Gerster prgnant

    aufgezeigt. Lesenswert und eine Strke des Bandes sind dieBeitrge zu bislang wenig beachteten Fraktionen der extremen

    Rechten. Helmut Kellershohn vom Duisburger Institut fr Sprach- und

    Sozialforschung (DISS) liefert beispielsweise eine ausfhrliche

    Darstellung des neu-rechten Instituts fr Staatspolitik und sowie

    der Konservativ-subversiven Aktion (KSA), die auf den ersten Blick

    berraschende Anleihen am Agit-Prop der Studentenrevolte von 1968

    nimmt. Kellershohn zeigt, dass ad-hoc-Gruppen wie die KSA qua

    Herausbildung eines jungkonservativen Provokationsstils medial

    eektvoll in die ideenpolitischen Debatten eingreifen wollen. Das

    Institut fr Staatspolitik dient dabei als Reemtsma-Institut von rechts

    der Verbreitung neu-rechter Ideologie. Kellershohn verortet diese

    (bislang nur eingeschrnkt wirkungsmchtigen) Projekte im Umfeld

    der Wochenzeitung Junge Freiheit und zeigt entlang dieser

    Scharnierstelle zwischen Nationalkonservatismus und Neofaschismus

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    materialreich Traditionslinien und Unterschiede im Lager der Neuen

    Rechten auf.

    Thomas Grumke analysiert unter der berschrift Sozialismus ist

    braun die sozialdemagogische Agitation und Globalisierungskritik imRechtsextremismus und bilanziert, dass klassische,

    vergangenheitsbezogene Themen nicht mehr die alte Dominanz

    haben. Stattdessen werden immer huger aktuelle Probleme wie

    Arbeitslosigkeit, prekre Arbeitsverhltnisse, Krzungen im

    Sozialbereich oder die Internationalisierung von Mrkten in den

    Vordergrund gestellt. (S. 159) Jan Schedler beschreibt kenntnisreich

    die bernahme von sthetik und Aktionsformen der radikalen

    Linken durch die relativ neue Subkultur der Autonomen

    Nationalisten (AN), deren Selbstverstndnis sich erheblich vom altenHabitus der Nazi-Skins mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel

    unterscheidet. Schedler zeigt, dass sich der vermeintliche

    Antikapitalismus der AN auf die aus der NS-Ideologie tradierte

    Unterscheidung von schaendem und raendem Kapital (S. 344)

    reduziert. Eine Modernisierung des rechten Lagers sei dies nicht:

    Schon Ernst Bloch habe frh auf die nationalsozialistischen

    Entwendungen aus der Kommune (d. h. bernahme linker

    Symboliken etc.) hingewiesen. Bei diesen informativen Vergleichender antagonistischen Akteure htte die Betonung der inhaltlichen

    Dierenzen zwischen der extremen Rechten und ihrem

    (vermeintlichen) linksradikalen Pendant noch schrfer ausfallen

    knnen. Schlielich bernehmen NPD, AN und Freie

    Kameradschaften jenseits phnomenologischer hnlichkeiten in

    sthetik und Aktionsform nicht blo die linke Phraseologie gegen die

    multinationalen Konzerne des High-Tech-Kapitalismus. Die

    Globalisierungskritik von rechts richtet sich gegen Migranten, speist

    sich wie gezeigt wird aus antisemitischen Quellen und formuliertwider die globale One World eine anti-modernistische Kritik, welche

    die Zersetzung der kulturellen Reinheit beklagt. Universalismus gilt

    als Kategorie des Feindes. Dies kennzeichnet als Pointe des Vergleichs

    aber auch (zumindest idealtypisch) klar die zentralen Unterschiede

    zwischen den politischen Lagern: Die extreme Rechte bernimmt nicht

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    blo taktisch und unvermittelt linke Politiken und Aktionsformen

    sie wandelt diese um und gibt ihnen autoritr-vlkische Inhalte, die

    gleichzeitig konstitutiv fr die Weltanschauung sind. So wre es gem

    dem Weltbild der extremen Rechten nicht mglich, dass linke Postulat

    eines universalistischen Humanismus zu okkupieren. Eine Analyse derAneignungsstrategien von Form und Inhalt ermglicht so eine scharfe

    begriiche Trennung zwischen links und rechts.

    Mager fllt dagegen die theoretische Einleitung der ansonsten

    verdienstvollen Herausgeber aus. Hier werden in Bezug auf

    Terminologie, Konzept und Methodik Ansprche formuliert, die spter

    nicht eingelst werden. Schon angesichts der in diesem Band

    versammelten Vielzahl der Phnomene und Zugnge zum Thema

    scheint eine kohrente Einigung auf eine Begrisbestimmung wieextreme Rechte kaum mglich. Zu wenig ausgearbeitet wird die

    Problematik des Extremismusbegris (S. 14). Auch der nicht nur fr

    die Titelwahl zentrale analytische[n] Mehrwert des Konzepts extreme

    Rechte (S. 15) wird eher deklariert als argumentativ begrndet. Da

    in dieser Publikation jedoch vom unionsnahen Studienzentrum

    Weikersheim bis zur NPD ein breites Tableau an Parteien, Personen

    und Positionen verhandelt wird, wre eine separate und vertiefende

    Klrung des Kontextes sinnvoll gewesen. Ein einziges Schaubild zu denDierenzierungen des rechten Spektrums (ebd.) wird den oenen

    Fragen kaum gerecht. Die Vorzge der Interpretation dieses

    Spektrums im Sinne der Bewegungsforschung (ebd.) werden unter

    Verweis auf die entsprechenden Referenzautoren denn auch zu knapp

    benannt. Auerdem bercksichtigen zahlreiche Autorinnen und

    Autoren die Grundlegung der Herausgeber gar nicht oder verwenden

    Begrie eher beliebig. Da doch gerade das hier gewhlte Konzept

    extreme Rechte unterschiedliche und eben auch nicht explizit

    verfassungsfeindliche Gruppierungen umfasst, herrscht imumkmpften Feld der Begrispolitik weiterhin ein verstrkter

    Klrungsbedarf. Auch deshalb, weil die aktuelle Bundesregierung im

    Rahmen ihrer Programme zur Extremismusbekmpfung Rechts- und

    Linksextremismus sowie Islamismus unter derselben Rubrik

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    subsumiert, die Spezika extrem rechter Inhalte und Gewalttaten

    derart jedoch nivelliert werden.

    *

    Die Rezension erschein zuerst im Dezember 2010 in der Politischen

    Vierteljahresschrift (PVS) (4/2010, S. 759-762) und wurde uns

    freundlicherweise vom Autor zur Verfgung gestellt

    Stephan Braun / Alexander Geisler / Martin Gerster (Hg.) 2009:

    Strategien der extremen Rechten. Hintergrnde Analysen

    Antworten. VS Verlag, Wiesbaden.

    ISBN: 978-3-531-15911-9. 667 Seiten. 39.90 Euro.

    [Link zum Artikel]

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    http://www.vsjournals.de/index.php;do=viewmag/site=pvs/lng=de/area=pol/id=2/alloc=163/sid=a49f74ba797b415516635a425fd515c7http://www.vsjournals.de/index.php;do=viewmag/site=pvs/lng=de/area=pol/id=2/alloc=163/sid=a49f74ba797b415516635a425fd515c7http://www.kritisch-lesen.de/?p=2329http://www.kritisch-lesen.de/?p=2329http://www.vsjournals.de/index.php;do=viewmag/site=pvs/lng=de/area=pol/id=2/alloc=163/sid=a49f74ba797b415516635a425fd515c7http://www.vsjournals.de/index.php;do=viewmag/site=pvs/lng=de/area=pol/id=2/alloc=163/sid=a49f74ba797b415516635a425fd515c7
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    Das UDas Urbrbild des Tild des Toonny By Blairlair

    Hilary Mantel

    Wlfe

    Von Fritz Gde

    Hilary Mantel schildert voll Sympathie die Gestalt des berchtigtenGewaltmenschen Thomas Cromwell zur Zeit Heinrichs VIII. Er tritt

    als Reformer mit Augenma dem "verbissenen Schwrmer" Thomas

    Morus entgegen.

    Keine Geschichte fllt fter den Raum zwischen den Sendungen bei n-

    tv als die der Tudors. Heinrich VIII. als Liebender und Gewalttter, der

    seine erste Ehefrau verbannte, um eine zweite zunchst zu heiraten,

    und sie dann zum Tode verurteilen zu lassen. Das alles ist als

    Gruelgemlde aufzufassen ber die furchtbaren Verheerungen,welche Leidenschaft in den Mchtigen dieser Welt anrichtet. Dass es

    bei all dem nicht nur um Erotik ging, hat man vermutet. Enteignung

    der Klster und Durchsetzung der kniglichen Gewalt gegen die Kirche

    hatten durchaus ihre Grnde - ganz ohne Sinnenglut im Hirn. Was in

    Deutschland zur gleichen Zeit Herzge so gut wie freie Reichsstdte

    betrieben, bekam in England damals andere Motive aufgesetzt. Ziel

    war aber in allen Fllen der Wunsch der reicher gewordenen Brger im

    Verein mit ihren Frsten, sich smtliche Einkommensarten im eigenenTerrain zur Verfgung zu bringen.

    In der mehr katholisch ausgerichteten Literatur der historischen

    Romane kamen beim spteren Brgertum allerdings die Gegner dieser

    Politik weit besser weg als deren damalige Betreiber. So vor allem

    Thomas Morus, der als Kanzler des englischen Reiches zurcktrat

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/
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    und schlielich die Hinrichtung auf sich nahm, nur um der bloen

    Staatsgewalt nicht wehrlos zu Willen sein zu mssen. Ich selbst -

    geboren im Jahr 1935 - bekam meinen zweiten Rufnamen nach Thomas

    Morus, der im gleichen Jahr von Pius XI. heilig gesprochen und zum

    Schutzpatron der Juristen erhoben wurde. Bei uns daheim sammeltensich die Biographien und die Kopien der verschiedenen Portrts, die

    Hans Holbein angefertigt hatte. Als nsterer Knecht kniglicher

    Absichten wurde er in all diesen Bchern immer wieder Thomas

    Cromwell - dem spter Heiliggesprochenen - gegenbergestellt, schon

    von Zeitgenossen "Hammer der Mnche" genannt. Welche

    berraschung, eben diesen Thomas Cromwell, Sohn eines

    trunkschtigen prgelnden Schmieds, im Roman von Hilary Mantel

    wiederzunden als den umsichtigen Mann, der - mit gerade noch

    ausreichender, nie bertriebener Brutalitt - ein modernes England

    herstellt. Nach Mantel diente Cromwell lang und treu dem Kardinal

    Wolsey und lernte bei diesem alle Tricks und Feinheiten der damaligen

    Theologie und vor allem der Juristerei.

    Heinrich VIII. und selbst die Autorin Hilary Mantel rechnen es

    Cormwell hoch an, dass er seinem geistlichen Herrn die Treue hielt,

    selbst nachdem dieser vom Knig seiner mter beraubt worden war

    und von allen verlassen wurde. Gerade wegen solcher Treue darfCromwell dann in die Dienste des kniglichen Frh-Absolutisten

    treten. Aus marxistisch inspirierten Schriften erfahren wir immer

    wieder, wie das kaufmnnische Brgertum sich auf die absoluter

    werdende Gewalt der Knige sttzte, um allmhlich die eigene Macht

    - die des Geldes - gegen die der Geburt und des Landbesitzes der

    Adligen durchzusetzen. Wie das konkret vor sich gegangen sein kann,

    war bisher schwer vorzustellen. Mantel hilft dazu. Sie zeigt die

    Zusammenknfte des - selbst ber Wollhandel reich gewordenen -

    Cromwell mit den Stadtbrgern von London, die ihrerseits zunchstzu Morus als dem allerseits anerkannten gerechten Richter halten.

    Erst in den letzten Kapiteln des Romans wird der Gegensatz zwischen

    Cromwell und Morus scharf herausgearbeitet. Keineswegs ist

    Cromwell auf die Hinrichtung Morus aus. Nur versteht er in keinem

    Augenblick, wie einer Blut, Gut und Ehre opfern mag um einer bloen

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    Eides willen. Morus nmlich weigert sich vor allem, die Vormacht

    des Knigs ber die Kirche und damit die Losreiung von der

    tausendjhrigen Geschichte der Christenheit anzuerkennen. Im letzten

    Gesprch in der Zelle im Tower entspannt sich folgender Dialog

    zwischen Cromwell und Morus:

    "Ich bin froh, dass ich nicht so bin wie sie!"

    "Zweifellos. Denn sonst sen sie hier."

    "Ich meine, dass meine Gedanken nicht auf die nchste

    Welt xiert sind. Ich schliee daraus, dass sie keine

    Mglichkeit sehen, diese zu verbessern."

    "Und sie tun es?" (S.738)

    Die schrfste Verkehrung der bisherigen Vorstellungen. Morus, derAutor von Utopia , galt nach der allgemeinen Meinung gerade als

    Denker des Vernderlichen, einer Welt ohne Privateigentum, in der

    im Kontrast zum vorgestellten klassenlosen Zustand des damaligen

    Englands als besonders unheimlicher Ort der Ausbeutung und der

    Erziehung der Enterbten zum Raub erschien. Jahrhundertelang wurde

    aus Utopia Morus Satz von den menschenfressenden Schafen

    wiederholt, nmlich jener, die - im Besitz der Gutsherren - auf den

    zwangsangeeigneten Gemeindeuren die Kleinbauern vertrieben. Die

    adligen und brgerlichen Besitzer der Schafe und Proteure vom

    Wollhandel waren demnach nicht besser als Wegelagerer.

    Mantel macht den Utopisten im Buch mehr oder weniger verchtlich.

    Auf Folterungen, die Morus in seiner Zeit der Kanzlerschaft

    angeordnet hatte, wird immer wieder hingewiesen. Die viel hugeren,

    die Cromwell geduldet oder angeordnet hatte, werden mehr beilug

    abgehandelt.

    Fr Mantel ist Cromwell der Mann, der zupackend, die

    hochgeschobenen rmel voller Blut, die gegenwrtige Welt wirklichverndert.

    Es kann nicht anders sein. Sie hat bei diesem Kraftprotz brgerlicher

    Frhe an den gleichgesinnten Schwchling der Sptzeit gedacht: an

    Blair und seinesgleichen. An Gewissenlosigkeit steht Blair dem frhen

    Seite 26 von 44

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    Cromwell nicht nach. Er bertrit ihn jedoch an Blindheit - und vor

    allem an Erfolglosigkeit. Er kommt Cromwell in der schamlosen

    Selbstzufriedenheit gleich. Ein Mann, der sich voller Selbstlob - ohne

    Not - an den Verbrechen des Irak-Kriegs beteiligte, um sich nach

    der Aufdeckung smtlicher Schndlichkeiten in den Memoiren seinerUntat noch zu rhmen, stellt den ohnmchtig gewordenen Schatten

    eines bermchtigen Urbilds dar. Cromwell hatte diesem bisher letzten

    seiner Art eines voraus: die Mglichkeit, auf den Aufstiegswillen einer

    geschlossenen brgerlichen Klasse zurckzugreifen. Blair dagegen ist

    zum Hampelmann geworden, der auer ein paar Lohnschreibern und

    Sldnern gar niemanden mehr hinter sich hat.

    Es ist Mantel gelungen, im Rckblick auf das Urbild die Windigkeit des

    letzten Nachfahren (Blair) noch einmal ins schrfste Licht zu stellen.Ob sie das nun beabsichtigte oder nicht. Durchaus mglich, dass

    Mantel, wenn sie sich zu theoretischen Aussagen ber gegenwrtige

    englische Politik hinreien liee, sich nicht weniger antidemokratisch

    und antikommunistisch uern wrde als Herta Mller bei uns. Darauf

    darf es allein bei der literarischen Bewertung beider aber gar nicht

    ankommen. Wichtig ist bei beiden einzig und allein die Kraft der

    Darstellung der Durchhaltefhigkeit eines Charakters, wie sehr diesen

    die moralische Beurteilung nachtrglich auch verurteilen mag.

    PS: Angeblich arbeitet die Autorin an einem zweiten Teil, in dem Glanz

    und Elend des Vorkmpfers der brgerlichen Klasse zur Zeit ihres

    Aufstiegs vorkommen mssten. Einschlielich des Endes. Bekanntlich

    musste der reichgewordene arme Mann am Ende sein Haupt genau so

    auf den Richtblock legen wie einst Thomas Morus. Einem Diktator wie

    Heinrich VIII. konnte keiner auf die Dauer genug tun.

    Hilary Mantel 2010: Wlfe. DuMont Verlag, Kln.ISBN: 978-3-8321-9593-9. 768 Seiten. 22.95 Euro.

    [Link zum Artikel]

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    NNatrlichkatrlichkeieit aus ft aus feministischer Peministischer Perspektierspektivvee

    Heinz-Jrgen Vo

    GeschlechtWider die Natrlichkeit

    Von Anja Gregor

    Heinz-Jrgen Vo greift die Erkenntnisse seiner Dissertation (MakingSex Revisited) noch einmal pointiert auf und nimmt Debatten um

    die Natrlichkeit (vs. gesellschaftliche Herstellung) der

    Geschlechterbinaritt in den Blick.

    Ausgehend von den berlegungen Simone de Beauvoirs in Das andere

    Geschlecht , Judith Butlers Theorem der Konstruktion auch

    krperlicher Zweigeschlechtlichkeit und Karl Marx

    kapitalismuskritische berlegungen zu gesellschaftlichen Einssen

    auf die Entwicklung von Menschen arbeitet sich Vo durch die

    Geschichte der Geschlechtertheorien, um im Anschluss die

    Forschungspraxis biologisch-medizinischer Wissenschaft einer

    eingehenden Kritik zu unterziehen. Schlussendlich pldiert Vo dafr,

    sich berhaupt mit den tatschlichen Lebensrealitten

    von Menschen auseinanderzusetzen, die ber andere

    Lebenserfahrungen verfgen als man selbst. [] Es geht

    darum, Wissenschaft als Teil einer politischen Ttigkeitzu begreifen, die bislang meist auf die Bedrfnisse

    Privilegierter ausgerichtet war. (S. 49)

    Vo vertritt damit die Ansicht, dass Forschung ber und von Menschen

    immer die gesamten Lebensumstnde in den Blick nehmen muss die

    der Forschungssubjekte ebenso wie die eigenen als Forschende_r. In

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    der Studie wird dies geleistet, indem zum einen neben der Kategorie

    Geschlecht immer auch die Kategorien Bildungsmglichkeiten, race

    und Klasse mitgedacht werden; zum anderen stellt Vo alle genannten

    Forscher_innen immer auch in Zusammenhang mit ihren

    Lebensumstnden, indem bedeutsame Aspekte ihrer Biographie in dieTexte einieen. Insbesondere zweites ist eine spannende Art, die

    Texte zu verfassen: Der_die Leser_in wird immer wieder darauf

    aufmerksam, dass es sich auch bei forschenden Personen immer um

    Menschen mit einer gesellschaftlichen Positionierung und daraus

    resultierendem Fokus des Forschungsinteresses handelt.

    FFr eine Nr eine Natrlichkatrlichkeieit zwt zweier Geschlecheier Geschlechter fter fehlen stichhaltigeehlen stichhaltigeBewBeweiseeise

    Im ersten Kapitel stellt er heraus, warum es sich lohnt, die

    Natrlichkeit von Geschlechterdierenzen kritisch zu betrachten:

    Biologie sei ebenso wie Gott eine machtvolle Instanz, die angefhrt

    wird, um Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu belegen.

    Problematisch dabei sei, dass jene Instanzen auerhalb der

    Einussnahme von Mensch und Gesellschaft liegen, als vorgegeben

    und unabnderlich daherkommen und so die Mglichkeiten von

    Menschen unter Berufung auf den Glauben an sie beschrnken (vgl.

    S. 19). Mit bedeutenden Streiterinnen vom 14. bis 17. Jahrhundert Christine de Pizan, Moderata Fonte, Marie le Jars de Gournay stellt

    Vo heraus, dass sich bereits frh gegen biologistische Auassungen

    von Geschlecht gewendet wurde: Jene frhen Feministinnen erstritten

    mit ihrem Einspruch eine bessere gesellschaftliche Position von

    Frauen.

    Vo nimmt im zweiten Kapitel zunchst die Intersektionalitt, also

    die Verschrnkung verschiedener Diskriminierungsformen wie

    Geschlecht, Klasse, Bildungsniveau (und -mglichkeiten) und race in

    den Blick und kritisiert, dass Geschlechterforschung immer eine

    Forschung privilegierter Personen ist:

    So ist es nicht ausschlielich der Quellenlage geschuldet,

    dass arme Menschen kaum im Blick sind und dass

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    beispielsweise die Ansicht verbreitet ist, seit der

    Moderne seien stets Theorien nur zweier Geschlechter

    vertreten worden. In dieser Behauptung spiegelt sich

    vielmehr die Perspektive von jetzt Forschenden,

    eingebunden in ihre Sozialisation und aktuellegesellschaftliche Debatten. (S. 45)

    Im Anschluss an diese Wissenschaftskritik leitet Vo seine Prmisse

    her, dass Menschen gesellschaftliche Wesen sind und zeigt, dass diese

    berzeugung keine neue in der Wissenschaft ist: Lange vor den

    berlegungen zur gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht

    (Baltimorer gender-Theory; nach John Money, Joan G. Hampson und

    John L. Hampson in den 1950er/60er Jahren) stellte bereits Karl Marx

    in seinen Schriften heraus, dass das Individuum [] dasgesellschaftliche Wesen ist. Seine Lebensuerung [] ist daher eine

    uerung und Besttigung des gesellschaftlichen Lebens (Marx 1962

    zit. n. Vo 2011, S. 54). Geschlecht sei, so Vo, ebenso einer genauen

    Analyse zu unterziehen wie Marx dies fr Produktionsweisen bereits

    tat. Dies sei der geeignete Weg, ein gutes Leben fr alle Menschen zu

    erkmpfen, ohne Diskriminierungen und Ungleichbehandlung (vgl. S.

    60).

    In der nun folgenden Diskursanalyse historischer berzeugungen zur

    Geschlechtsentwicklung zeigt Vo, dass es keine eindeutige Linie

    gegeben hat, die schon immer von zwei und nur zwei Geschlechtern

    ausgeht: Auch in Medizin und Biologie gab es sich widersprechende

    Anstze Dierenz der Geschlechter auf der einen Seite, Gleichheit

    auf der anderen.

    Vo stellt immer wieder auch berlegungen verschiedener

    Forscher_innen zum Bildungspotential oder krperlichen Konstitution

    der Geschlechter heraus und zeigt damit, dass diese Anstze stets auchgenutzt wurden, um die gesellschaftliche Stellung der Geschlechter zu

    begrnden oder eine Besserstellung der Frauen zu erstreiten.

    Im letzten Kapitel wendet sich Vo den aktuellen Auassungen zur

    Geschlechtsentwicklung zu und kommt mit Blick auf die eingangs

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    beschriebene Wissenschaftskritik zu dem Schluss, das biologisch-

    medizinische Forschungen eigentlich das Potential htten, den

    Geschlechterdualismus in Frage zu stellen. Mit der Begrndung, die

    Forschung msse weithin verstndlich bleiben, werden veraltete und

    lckenhafte Theorien in populren Medien verentlicht. Die

    Fachwissenschaftler_innen [] sind allerdings oftmals

    der Meinung, der besseren Verstndlichkeit wegen

    vereinfachen zu mssen. Damit hat die biologisch-

    medizinische Wissenschaft selbst auch einen Anteil daran,

    dass sich das populre Wissen ber genetische Ablufe

    nicht aktualisiert, sondern sich ideologisch heute noch in

    vielerlei Hinsicht auf dem Stand des 20. Jahrhunderts

    bendet. (S. 157)

    Die Wissenschaft stellt derartige berlegungen zugunsten ihrer

    Popularitt aufs Abstellgleis und steuert mit veralteten Theorien

    weiterhin gesellschaftliche Anerkennung der Zweigeschlechtlichkeit

    und Pathologisierung weiterer Geschlechter.

    Vo akzentuiert abschlieend mithilfe integrierender, systemischer

    Betrachtungen, dass die Geschlechtsentwicklung kein simpler Ablauf

    sein kann, sondern diverse Faktoren in den Prozess der Entwicklungeinwirken. Neben den Lebensumstnden der Personen, deren Eizelle,

    Spermium und Gebrmutter beteiligt sind, spielen komplexe Ablufe

    auf molekularer Ebene bei der Ausbildung und Spezikation von Zellen

    eine Rolle. Gene und Genprodukte, Chromosomen, Keimdrsen,

    Quantitten und Qualitten der krperlichen Merkmale, Fruchtbarkeit

    alle diese Merkmale zusammen werden bei keinem einzigen

    Menschen in eine eindeutige Richtung weiblich oder mnnlich

    zusammenspielen. (S. 163)

    Eine tatschliche Grundlage fr ausschlieende gesellschaftliche

    Konzepte von Zweigeschlechtlichkeit gebe es damit nicht. Also

    gilt [es], eine gerechte Gesellschaft zu erstreiten, die sich

    an den wirklichen Bedrfnissen der Menschen orientiert

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    und die jeden Tag neu erkmpft und gestaltet werden

    muss, damit nicht ein Zustand entsteht, in dem Menschen

    erneut bedrckt und benachteiligt werden. Fr diese

    gerechte Gesellschaft ist Utopie ntig und eigenes Tun

    gefragt. Fangen wir Du und Du und Du und Du und Ich jetzt damit an! (S. 166)

    VVerstndlich, strerstndlich, streieitbar und gehaltvtbar und gehaltvolloll

    Das Buch ist in sehr verstndlicher und angenehm zu lesender Sprache

    verfasst. Vo nimmt den_die Leser_in mit durch das Buch, indem

    immer wieder Zusammenfassungen gemacht werden und darauf

    verwiesen wird, an welcher Stelle der Argumentation eine_r sich

    gerade bendet. Das Buch ist ein sehr gutes Destillat der Erkenntnisseder oben genannten Dissertation, hier werden die dort ausfhrlich

    und den Umstnden geschuldet hochwissenschaftlich formulierten

    Erkenntnisse fr Menschen formuliert, die sich in der biologisch-

    medizinischen Wissenschaft wenig bis gar nicht auskennen.

    Zum einen ein toller Einstieg fr die Auseinandersetzung mit dem

    biologisch-medizinischen Diskurs, der in der Diskussion um die Kritik

    der Heteronormativitt immer wichtiger werden wird nicht zuletzt

    aufgrund immer populrer werdender biologistischer

    neurowissenschaftlicher Anstze, die den Essentialismus der

    Zweigeschlechtlichkeit versuchen in das Gehirn zu verlagern und

    ihn so weiterhin unzugnglich fr Kritik zu halten. Vo Arbeit bietet

    die Mglichkeit, solchen Anstzen zu widersprechen, auch, indem

    weiterfhrende Werke genannt werden, mit denen eine_r sich in

    diverse Richtungen weiterbilden kann. Zum anderen auch eine

    gelungene integrierende Arbeit: Die Intersektionalitt verschiedener

    Unterdrckungsmechanismen wird im Buch immer wieder

    hervorgehoben, die Lebensumstnde in ihrer Gesamtheit und ihremZusammenspiel als verantwortlich fr die gesellschaftliche Stellung

    einer Person betont. Dieser stark feministisch geprgte Ansatz ist die

    Basis aller berlegungen auch jener zur biologisch-medizinischen

    Neuschreibung von Geschlechtsentwicklung.

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    Insgesamt ein empfehlenswertes Bndchen der theorie-org-Reihe,

    ber das es sich zu unterhalten gilt!

    *

    Die Rezension erschien zuerst im Mrz 2011 auf mdchenblog.de

    (Update: kritisch-lesen.de, lj, 05/2011)

    Heinz-Jrgen Vo 2011: Geschlecht. Wider die Natrlichkeit.

    Schmetterling-Verlag, Stuttgart.

    ISBN: 3-89657-663-1. 180 Seiten. 10.00 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 33 von 44

    http://maedchenblog.blogsport.de/2011/03/24/1211http://www.kritisch-lesen.de/?p=2319http://www.kritisch-lesen.de/?p=2319http://maedchenblog.blogsport.de/2011/03/24/1211
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    AnalAnalysen und Essaysen und Essaysys

    Alfred Schobert

    Analysen und EssaysExtreme Rechte - Geschichtspolitik - Poststrukturalismus

    Von Sebastian Friedrich

    Der Band enthlt 30 posthum verentlichte Texte, die zum

    selbstndigen Denken - und Handeln - einladen.

    Brecht bezeichnete jene Intellektuelle, die sich aus Pragmatismus an

    fetischisierten Sachzwngen orientierten und damit ihre politische

    Emanzipation aufgaben, als Kopangerder herrschenden Klasse. Bei

    der Betrachtung gegenwrtiger Debatten fllt auf, dass Brechts

    Beschreibung nicht nur in Bezug auf Sloterdijk aktuell ist. Mal

    abgesehen von der Frage, was Intellektuelle zu Intellektuellen macht,

    trit sie jedoch nicht auf alle zu. Manche Intellektuelle handeln wider

    vermeintlicher Wahrheiten, sprechen gewissermaen gegen den

    Strich. Einer von ihnen war Alfred Schobert (1963-2006). Beim Unrast

    Verlag (Edition DISS) erschien krzlich ein Sammelband von 30

    ausgewhlten Texten aus dem fulminanten Fundus von etwa 500

    Verentlichungen Schoberts. Die Herausgeber Martin Dietzsch,

    Siegfried Jger und Moshe Zuckermann wollten die Arbeiten zu den

    Themenbereichen Extreme Rechte, Geschichtspolitik und

    Poststrukturalismus einem breiteren Publikum zugnglich machen,

    weil sie in Form und Inhalt mannigfache Denkanste fr einenotwendige intellektuelle Debatte nicht nur in Deutschland zu

    geben versprechen (S. 5). Dies soll anhand einiger exemplarisch

    vorgestellter Analysen verdeutlicht werden, da aus Platzgrnden

    leider nicht auf alle Arbeiten en dtail eingegangen werden kann.

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/sebastian-friedrich/http://www.kritisch-lesen.de/author/sebastian-friedrich/
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    Schobert beschftigt sich nicht nur mit der hiesigen extremen Rechten,

    sondern auch intensiv mit der in Frankreich. Im vorliegenden Buch

    nden sich mehrere Arbeiten, die sich mit der Nouvelle Droite um

    deren Weltanschauungsbastler und Interdiskursproduzenten Alain

    de Benoist befassen. Nicht nur bei diesen Analysen stehen immer dieTexte oder genauer: Diskursfragmente der Untersuchten selbst

    im Mittelpunkt. Dabei richtet sich der kritische Blick stets ber die

    vermeintlich klar abgesteckten Grenzen hinaus, wenn zum Beispiel

    die Allianzen zwischen rechten und angeblich linken

    Globalisierungsgegner_innen genauer beleuchtet werden. Der Schlaf

    der Vernunft zeugt Ungeheuer, wenn nicht notwendige theoretisch-

    analytische Unterscheidungen gezeigt werden (vgl. S. 57). Hier knpft

    auch der Artikel Nothing to worry about? an. Ein nicht autorisiertes

    Interview der National-Zeitung mit Noam Chomsky wird zum Anlass

    genommen, um der Frage auf den Grund zu gehen, was Chomsky

    so attraktiv fr die extreme Rechte macht. Zum einen sei Chomskys

    Engagement gegen den US-Imperialismus und Israels

    Klientelpolitik anschlussfhig, zum anderen falle Chomsky immer

    wieder durch umstrittene Solidarittsbekunden auf - so zum Beispiel

    fr den Holocaust-Leugner Robert Faurisson (vgl. S. 116).

    Dass es sich lohnt, losgetretene Debatten genauer nach derEntstehung und dem Nichtgesagten zu untersuchen, zeigt der

    Artikel In der Mhle der binren Reduktion. Die gezielten

    Missdeutungen einer Rede der indischen Aktivistin und Publizistin

    Arundhati Roy bei Mumbai Resistance 2004 werden nachgezeichnet, in

    der sie angeblich zum bewaneten Widerstand im Irak gegen die USA

    aufgerufen haben soll. Es fllt auf, wie brgerliche und sich als links

    denierende Medien zunchst voneinander abschreiben und spter,

    trotz besseren Wissens, deutliche Klarstellungen Roys ignorieren. Die

    scharfe Kritik des Autors richtet sich dabei nicht nur gegen Teile derJungle World, sondern auch gegen Autoren der Jungen Welt. Da sowohl

    die Positionen der Befrworter_innen von Aktionen wie 10 Euro fr den

    Widerstand im Irak, als auch linker Bellizismus abzulehnen sei, mahnt

    Schobert, sich dieser idiotischen Alternativen zu entziehen (vgl. S.

    102).

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    Einen aktuellen Bezug weist die Arbeit ber Finkelsteins "Holocaust-

    Industrie" auf. Nach der kurzen aber przisen Vorstellung der Thesen

    Finkelsteins kritisiert Schobert dessen drftige Argumentation, die

    hinter Jahrzehnte whrende Debatten zurckfalle. Das wird an der

    przisen Rekapitulation der Diskussionen um die TV-Serie "Holocaust"und Paul Celans Gedicht "Todesfuge" verdeutlicht. Erst gegen Ende

    der Arbeit wird sich wieder dem Titelthema Finkelstein gewidmet.

    Die Genealogie des Begris Holocaust-Industrie zeigt, dass Finkelstein

    den Begri oenbar von Holocaust-Leugner David Irving bernommen

    hat, der bereits im 1990 von einer gigantischen Holocaust-Industrie

    fabuliert haben soll, sptestens aber 1993 in der Nazi-Fernseh-Show

    Race and Reason davon sprach. Nicht nur deshalb sei Finkelstein

    laut Schobert ein Koschermacher der neonazistischen

    Propagandaformel Holocaust-Industrie (S. 260).

    Ein weiterer Schwerpunkt in den Arbeiten Schoberts besteht im

    Aufdecken von Normalisierungsversuchen. Normalisierungen in dem

    Sinne, dass versucht werde, Deutschland nach der Vereinigung wieder

    als ganz normale Nation darzustellen die nun die Geschichte endlich

    ruhen lassen sollte, und sich nach der Wende wieder auf ihre Strke

    rckbesinnen sollte. So etwa Martin Walser mit seiner Friedenspreis-

    Rede 1998. Diese wird von Schobert geschickt in den Kontext desGesamtwerks Walsers gestellt, womit verdeutlicht wird, dass die

    umstrittene Rede Walsers nicht etwa ein Ausrutscher oder gar die

    Folge eines Altersrechtsrucks war, sondern unmittelbar an frhere

    Aussagen anknpft.

    Schoberts Ausfhrungen zur Normalismus-Theorie von Jrgen Link

    bildet einen von drei Schwerpunkten des letzten Kapitels zu

    Poststrukturalismus. Die kritischen Auseinandersetzungen mit Link,

    Foucault und zur Rezeption der Schriften von Derrida eignen sichals Einfhrungen in wissenschaftliche Debatten. Insbesondere die

    Arbeiten zum Politischen bei Derrida sind hier besonders

    hervorzuheben. Gerade weil sich Derrida eiliger Positionierungen

    entziehe und lieber problematisiere, sei eine Auseinandersetzung mit

    dessen Werk sehr ergiebig. Statt dem Registrieren klarer politischer

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    Frontverlufe suchten Derridas Lektren auch nach dem, was die

    Kontrahenten an problematischen Gemeinsamkeiten aufweisen, wo

    und wie sich Positionen austauschen und verkehren usw. (S. 377)

    Analysen und Essays regt zum Denken und vor allem Intervenierenan. Schobert selbst, der von den Herausgebern als eingreifender

    Intellektueller im besten Sinne des Wortes gelobt wird (S. 5), war

    jahrelang wissenschaftlicher Mitarbeiter im Duisburger Insitut fr

    Sprach- und Sozialforschung (DISS), darber hinaus aber immer auch

    in anderen Gruppen und Gebieten aktiv. Nie orientierte er sich nur an

    wissenschaftlichem Fachpublikum.

    Verdeutlicht werden die Verbindungen von [poststrukturalistischer]

    Theorie und [politischer] Praxis. Es werden nicht einfach vermeintlicheWahrheiten den aus Passivitt bald eindsenden Rezipient_innen

    prsentiert, sondern aktives Lesen gefrdert. Schobert kann als

    spezischer Intellektueller (Foucault) bezeichnet werden. Nach

    Foucault komme es nicht darauf an, die Wahrheit von jedem

    Machtsystem zu befreien, sondern die Macht der Wahrheit von den

    Formen der Hegemonie zu befreien, quasi die (sozialen, konomischen

    und institutionellen) Produktionsordnungen der Wahrheit zu

    verndern. Schobert gibt nicht einfach Beispiele fr das Wahre und

    Gerechte und erklrt mit dem universellen Wissen aus erhhter

    Position heraus den subalternen Rezipient_innen die Welt. Vielmehr

    zeigt er die Strukturen auf, frdert und fordert aktives Mitdenken bzw.

    handeln, spricht nicht einfach, sondern fordert zum Sprechen auf.

    **

    Die Rezension erschien zuerst im April 2010 aufstattweb.de (Update:

    kritisch-lesen.de, ast, 01/2011)

    Alfred Schobert 2009: Analysen und Essays. Extreme Rechte -

    Geschichtspolitik - Poststrukturalismus. Unrast Verlag, Mnster.

    ISBN: 978-3-89771-750-3. 500 Seiten. 29.80 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 37 von 44

    http://www.stattweb.de/baseportal/Buecher&zeigen=146http://www.kritisch-lesen.de/?p=289http://www.kritisch-lesen.de/?p=289http://www.stattweb.de/baseportal/Buecher&zeigen=146
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    Der zwDer zweieite Tte Tod meines Vod meines Vatersaters

    Michael Buback

    Der zweite Tod meines Vaters

    Von Fritz Gde

    Michael Bubacks Weg vom Staatsvertrauen zur Erkenntnis bserHintergrnde.

    Schon vor seinem Buch hat Buback Junior viel Aufsehen erregt mit

    seinen Beitrgen im Fernsehen und in Zeitschriften zu den ungeklrten

    Problemen beim Attentat auf seinen Vater Ostern 1977. Sein Auftreten

    wurde aufgegrien und ausgentzt fr eine Kampagne zur restlosen

    Aufklrungspicht der ehemaligen RAF-Angehrigen ber ihre eigenen

    Taten und die aller anderen Angehrigen der RAF. Sonst am besten

    gar keine Haftentlassung zu Lebzeiten. Davon ndet sich im Buchselbst kaum noch etwas. Vielmehr stt Buback junior im Buch zu der

    richtigen Forderung vor, dass die Strafbehrden, wenn sie schon Tter

    verfolgen, das so tun sollten, dass die Vergangenheit erhellt wird, ohne

    dass die Tter eine moralische Super-bung zu absolvieren haben.

    Buback, von Haus aus Naturwissenschaftler, stt am Anfang nur auf

    Ungereimtheiten bei der Darstellung der Vorgnge, die zum Tod seines

    Vater fhrten. Er beteuert zu Beginn immer wieder sein kindliches

    Vertrauen in die Behrde seines Vaters, die Bundesanwaltschaft. Juristische Details sind ihm zu Beginn fremd. So erfhrt er erst im

    Gesprch mit Boock, dass Mord seit mindestens dreiig Jahren nicht

    mehr verjhrt.

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    Die ganze breite Literatur ber RAF und Terrorismus scheint ihm am

    Anfang unbekannt. So kommt er erst im Lauf des Buches darauf, dass

    sein Gewhrsmann Boock sich im grten Konikt bendet mit den

    meisten der brigen Ex-RAF-Mitglieder und als Phantast bis Lgner

    verschrien ist. Nicht zu Unrecht, was natrlich nicht ausschliet, dasser fallweise auch einmal wirkliche Kenntnisse weitergibt.

    Eben dieser Boock verrt Michael Buback, dass gerade Klar wegen

    geringer Schieausbildung gar nicht auf dem Motorrad sitzen durfte,

    sondern allenfalls im Fluchtwagen. Auerdem sei auch der gerichtlich

    verurteilte Knut Folkerts nicht beteiligt gewesen. Dafr nennt Boock

    als wirklichen Tter Wisniewski. Dieser scheidet aber als Schtze aus,

    der vom Soziussitz des Motorrads htte schieen knnen. Etwa auch,

    weil er seiner Statur nach den Zeugenaussagen nicht entspricht.

    Michael Buback durchschaut zunchst nicht das Schema der

    Verurteilungen in Stammheim und anderswo. Nach der Reform des

    Paragraphen 129 zu 129a gengte dem Gericht normalerweise der

    Nachweis, dass jemand in einer terroristischen Vereinigung in

    dem Fall also der RAF ttig geworden war, um dieser einen Person

    vollkommene Mitwisserschaft und ein gemeinsames Wollen jeder

    Straftat zuzuschreiben, die von der Gruppe aus begangen wurde. So

    dass eine Verurteilung immer auch ohne grere Beweismhen

    mglich war und auch erfolgte.

    An dieser Pauschalisierungstechnik stt sich Michael Buback, ohne

    sie genau zu erkennen und zu benennen. Er mchte den bestimmten

    Tter oder die Tterin kennen, der/die auf seinen Vater, Chaueur

    und Beifahrer geschossen hatte. Kam es Polizei, Bundesanwaltschaft

    und den Gerichten wesentlich darauf an, mehr oder weniger

    Verdchtige nachhaltig wegzusperren, so verlangt Bubackaltertmlicherweise einen vollkommenen Wahrheits- und damit

    Schuldbeweis.

    Das wirft ihm Peter Chotjewitz in seiner Besprechung in KONKRET vor

    allem vor:

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    Nur ein Gedanke scheint ihm [Buback] nicht zu kommen.

    Dass es allen schnurzpiepe war, wer die Tat begangen

    hatte. Hauptsache war, dass jeder, der mit der RAF

    irgendwie mageblich verbandelt war, verknackt wurde.

    Nur zu diesem Zweck wurden Indizien geflscht, Beweisegezinkt, Kronzeugen erpresst. (Konkret 2/2009, S. 29)

    Chotjewitz setzt hier als bekannt voraus, was sich einem Buback erst

    mhsam entschlsselt. Insofern enthlt Bubacks umstndliche

    Herangehensweise trotzdem einen eigenen Erkenntniswert. Bubacks

    Buch liee sich als negativer Entwicklungsroman verstehen der

    Verlaufslinie nach etwa wie Flauberts Education sentimentale,

    natrlich nicht nach dem literarischen Niveau.

    Michael Bubacks Ausgang vom vollsten Vertrauen in Papas Behrde

    ber beginnendes Misstrauen zu schlielich trauriger Gewissheit, dass

    nicht alles so rechtlich zugeht, wie er es gern htte, zeichnet denen

    einen Weg vor, die hnlich treuherzig sich in ihrem Staat geborgen

    fhlen mchten, so lange es eben geht.

    Und eines kommt hinzu: Die Pauschalbehandlung aller RAF-

    Angehrigen trit auf eine Person gerade nicht zu Verena Becker. Sie

    wird gestellt in Singen, schiet auf angeblich sechs Polizeibeamte,bekommt zweimal lebenslnglich und wird doch schon nach sechs

    Jahren vom Bundesprsidenten begnadigt. Whrend ein Klar seine 26

    Jahre abbrummt bis zum letzten Tag.

    Bekannt war, dass Verena Becker nach der Verhaftung sich

    ausgerechnet dem Verfassungsschutz an den Hals geworfen haben

    soll. Sie htte erst dann ausgepackt in einer Lebensbeichte und

    bei der Gelegenheit auch Wisniewski als Tter benannt. Nur was

    Buback in einer przisen Feinarbeit herausbekam, schon unmittelbar

    nach der Festnahme in Singen wurde aus den Ermittlungsakten und

    den Ergebnissen der polizeilichen Spurensicherung alles

    herausgenommen, was Verena Becker htte belasten knnen. Die

    Zeugenaussagen, die eher auf eine Frau auf dem Sozius hindeuteten,

    kamen vor Gericht nicht mehr vor. Haar-Untersuchungen unterblieben.

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    Es wrde zu weit fhren, das alles im Einzelnen nachzuerzhlen.

    Genug, dass Michael Buback nach przisestem Quellenstudium zu der

    berzeugung, nein Erkenntnis kam, dass Verena Becker von den

    ermittelnden Behrden systematisch aus der Schusslinie genommen

    wurde, also gedeckt wie der Fachausdruck lautet. Und das alles,bevor sie sich dem Verfassungsschutz in der spter zugegebenen Form

    oenbarte. Also folgert Michael Buback muss Verena Becker als

    V-Frau schon vorher angeworben worden sein. Er ndet auch

    allerdings schwache Beweise dafr in einem Stasi-Vermerk in der

    DDR und einer angeblichen Aussage von Inge Viett (S. 220f.).

    Wenn Bubacks Annahme stimmt, htten die Behrden auch noch ihre

    Teilnahme am Attentat auf Buback senior billigend in Kauf genommen.

    Die Bundesanwaltschaft htte auf Druck oder auf Bitten der Dienstehin die Beweislage nachtrglich bereinigt. Kritiker Michael Bubacks

    waren an dieser Stelle schnell mit der Keule zur Hand:

    Verschwrungstheorie. Wenn es aber geheime Verabredung zwischen

    Behrden gibt, also Verschwrung, wieso soll dann eine Theorie

    unerlaubt sein, die davon ausgeht, dass es diese gibt?

    Methodisch htte Michael Buback einen Vergleich anstellen knnen,

    um zu berprfen, ob es solche Verabredungen zwischen den Diensten

    und der Justiz schon gegeben hat. Das Celler Loch erwhnt er nicht,

    eine Straftat, nur begangen, um einem V-Mann das Vertrauen von

    einsitzenden Staats-Feinden zu gewinnen. Das Zusammenspiel von

    Rebmann, noch vor seiner Zeit als Generalbundesanwalt, in Stuttgart

    mit Diensten, um das Abhren der Zellen der Stammheimer zu

    ermglichen, wird an einer Stelle erwhnt, ohne Folgerungen daraus

    zu ziehen. An den spteren Fall des V-Manns ist zu erinnern, der

    oenbar den Trepunkt in Bad Kleinen verraten und die Festnahmen

    dort ermglicht hat. Dass die diesen V-Mann fhrenden Behrdenziemlich weit gingen, und mglicherweise die Sprengung des neuen

    Knasts in Weiterstadt unter seiner Beteiligung oder zumindest seinem

    Mitwissen in Kauf nahmen, ist bekannt. Warum sollte es da nicht

    einen Deal zwischen Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft zum

    Schutz der V-Frau Verena Becker gegeben haben knnen?

    Seite 41 von 44

  • 8/3/2019 Rechte Mitte extreme Rechte - #03

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    Nchster Einwand gegen Michael Bubacks Vermutungen: Was htte

    der Verfassungsschutz von der Fhrung einer V-Frau gehabt, die nicht

    einmal vor den grten Anschlgen rechtzeitig warnte. Wir wissen

    nicht, was Verena Becker verriet, was nicht. Auf jeden Fall fhlen sich

    die Dienste sicherer, wenn sie auch nur glauben knnen, sie htteneinen Einussagenten, der gewisse Entwicklungen nach Staatswunsch

    hinbiegen knnte. Le Carr, selbst alter Geheimdienstler, schildert in

    seinem letzten Buch genau solche Versuche, die mit riesigem Aufwand

    unternommen werden.

    Chotjewitz hakt sich an einem weiteren Urteil Michael Bubacks fest.

    Wenn nmlich Klar gar nicht beteiligt war, wieso htte er dann

    schweigend seine 26 Jahre abgebrummt? Laut Buback aus Fanatismus.

    Das ist natrlich Unsinn. Nur ist schlielich auch Knut Folkerts erst jetzt mit seinem Alibi aus Amsterdam herausgerckt, und hat doch

    auch die lange Zeit im Knast geschwiegen. Warum? Aus Fanatismus

    freilich nicht. Er sagt: Die Justiz ist denkbar ungeeignet, etwas

    Positives zur Aufarbeitung der Geschichte der RAF beizutragen

    (SPIEGEL-Interview, bei Buback zitiert, S.171). Auerdem ging er nach

    allen Erfahrungen mit Recht davon aus, dass er auf jeden Fall

    verurteilt wrde. In diesem Bewusstsein ist es durchaus mglich, dass

    auch Klar und andere schwiegen: Sie wussten, es wrde keiner denMut haben, ihnen zu glauben. Man vergleiche nur, wie es Irmgard

    Mller ging: Ihre in sich schlssige Darstellung der Todesnacht

    in Stammheim erschtterte nichts und niemand. Sie wurde mit

    Schweigen bergangen.

    Insofern hat Michael Buback das Verdienst, nicht nur zu zeigen, dass

    ohnedies alle in einen Sack gesteckt wurden zu dieser Erkenntnis

    trgt er am wenigsten bei. Er weist gerade umgekehrt nach, dass

    neben die Bekmpfungsmethode des pauschalen Einsackens immerauch die der Spaltung und des subtilen Eindringens in die Strukturen

    der Kmpfenden tritt. Sicher: Jeder htte lieber ein viel krzeres

    Pamphlet gelesen, im Stil von Zolas Ich klage an. Aber es ist nicht

    alles immer zugleich zu haben.

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  • 8/3/2019 Rechte Mitte extreme Rechte - #03

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    In linken und halblinken Kreisen hat sich inzwischen eine Art

    Mdigkeit und Nicht-Wissen-Wollen eingenistet. Nicht, weil viele

    glaubten, es htte sich in Stammheim oder sonstwo alles genau so

    zugetragen, wie entlich dargestellt. Sondern, weil niemand gern

    in einem Staat leben mchte, in welchem die eigene Polizei und dieeigene Staatsanwaltschaft genau das tut, wovon man schaudernd aus

    anderen Lndern liest. Gerade solche stt ein Michael Buback in

    seiner pfotigen, zum Teil ausgesprochen leisetreterischen Gangart auf

    eine Notwendigkeit: Sich vertraut zu machen mit der Erkenntnis, dass

    die Seilsicherungen durch den sogenannten Rechtsstaat nicht

    besonders fest halten. Und dass dahinter von berall her und

    unversehens die Staatsgewalt zuschlagen und zugreifen kann.

    **

    Die Rezension erschien zuerst im Februar 2009 auf stattweb.de

    (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

    Michael Buback 2008: Der zweite Tod meines Vaters. Verlagsgruppe

    Droemer Knaur, Mnchen.

    ISBN: 978-3-426-27489-7. 361 Seiten. 19.95 Euro.

    [Link zum Artikel]

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  • 8/3/2019 Rechte Mitte extreme Rechte - #03

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