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Reddition - Zeitschrift für Graphische Literatur # 53

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Will Eisner, Schöpfer des auch heute noch sehr populären The Spirit, gilt gemeinhin als "Vater" oder "Erfinder" der Graphic Novel. Warum der 1917 in den USA geborene Zeichner und Autor aber nicht nur mit dem Spirit Herausragendes geleistet hat und wie das wirklich mit den Anfängen einer neuen Erzählweise im Comic gewesen ist, erfährt der Leser in Ausgabe 53 der Reddition. In unserem umfangreichen Dossier über Will Eisner gibt es neben einer ausführlichen Bio- und Bibliographie auch Wissenswertes über die Entstehung der comic book-Industrie in den 1930er Jahren, über Eisners Arbeit an den Educational Comics für das Pentagon, seine autobiographischen Comics und literarische Einflüsse in seinem Werk zu lesen...

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InhaltEinleitung.

Von Andreas C.Knigge .................................3Biographie Will Eisner.

Von Marcus Czerwionka ................................6The Spirit.

Von Günter Krenn...................................26Eisner und P«S Magazine.

Von Cat Yronwode...................................32Will Eisner und der autobiographische Comic.

Von Klaus Schikowski ...............................40Life on another Planet.

Von Thomas Ballhausen ..............................46Eisners Zeichentheorie.

Von Jens R. Nielsen................................50Literarische Einflüsse im Spätwerk Eisners.

Von Clemens Heydenreich............................56Der jüdische Aspekt in Eisners Werk.

Von Ole Frahm......................................62Bibliographie Will Eisner.

Von Volker Hamann..................................66

ImpressumREDDITION erscheint als Fachpublikation für den Comic im Verlag Volker Hamann, Edition Alfons, Heeder-brook 4 e, 25355 Barmstedt, Tel.04123-921033, [email protected], www.reddition.de. Herausgeber und leitender Redakteur: Volker Hamann. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Thomas Ballhausen,Marcus Czerwionka, Ole Frahm, Clemens Heydenreich, Andreas C.Knigge, Günter Krenn, Jens R. Nielsenund Klaus Schikowski. Satz und Layout: Volker Hamann. Gesamtherstellung: Westermann Druck, Zwickau.Bankverbindung: Konto 2122083 bei der Sparkasse Südholstein (BLZ 230 510 30). Cover © Will Eisner Stu-dios, Inc., mit freundlicher Genehmigung von Denis Kitchen. Das © der Abbildungen liegt bei den jeweili-gen Autoren bzw. Verlagen. Die in namentlich gekennzeichneten Artikeln vertretenen Meinungen werdennicht unbedingt von der Redaktion mitgetragen. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 20. November 2010.Auflage 1.500 Exemplare. Händlervertrieb in Deutschland: Medienservice, Linde 72-74, 42287 Wuppertal.Schweiz: kaktus verlagsauslieferung, Langfeldstr. 54, CH-8501 Frauenfeld. Mit Dank an Yves Kerremans, Andreas C. Knigge, Eckart Schott, Denis Kitchen, Sandy Resnick, Georg Tem-pel, Kristian Mahnke, Walter Truck, Ralf Keiser, Tobias Schwarz, Arnim Kranz und Etienne Hauwaerts.

RedditionZeitschrift für Graphische Literatur

27. Jahrgang, Ausgabe 53:

Dossier Will Eisner

edi_vorwort_53_neu_reddition_layout_neu 24.11.2010 00:17 Seite 2

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Willie und Buck sind zusammen durch dick unddünn gegangen. Begonnen hatte es mit einer derüblichen Prügeleien auf der Straße. Buck war derGrößere damals. Und er hat die anderen Kidsauf seiner Seite. „Mach ihn fertig, Buck!“, feuerndie ihn an. „Du bist stärker!“ Denn Willie ist Judeund damit Außenseiter in der New Yorker Bronx,ein Prügelknabe. Doch er schlägt sich wacker. Ei-nen Sieger allerdings gibt es an diesem Nachmit-tag nicht, denn plötzlich taucht Willies Mutter aufund setzt der Rauferei ein Ende. „Um HimmelsWillen, Ma“, mault Willie. „Wegen dir muss ichmich schämen!“ Keineswegs, denn Buck istschwer beeindruckt von Willies Schneid. Und sowerden aus den Widersachern Freunde, dickeFreunde. Das war 1933, Amerika ächzt unter derDepression, im fernen Deutschland kommt eingewisser Adolf Hitler die Macht. Und dann verliertWillies Vater auch noch seinen Job und die Fami-lie muss umziehen. Die Jungs verlieren sich ausden Augen.Will Eisner hat die Geschichte seiner ebenso un-bekümmerten wie innigen Freundschaft mit Buckin seiner autobiografischen Graphic Novel To the

Heart of the Storm erzählt. Sie lag ihm offensicht-lich sehr am Herzen, denn er hat dieser Episodeseiner Jugend breiten Raum gewidmet. Und sie istmit Willies Wegzug auch noch nicht erledigt,Jahre später begegnen er und Buck sich zufälligwieder. „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!“Aus den beiden Jungs sind junge Männer gewor-den. In Europa herrscht inzwischen Krieg. „Seitder Schulzeit nicht!“, pflichtet Will bei. „He, esfängt an zu regnen! Gehen wir einen Kaffee trin-

ken und plaudern über die alten Zeiten!“„Was hatten wir für ‘ne gute Zeit damals“, gerätWill alsdann ins nostalgische Schwärmen. „Wirwaren die dicksten Freunde“, bestätigt Buck.„Seufz ** Scheint als wären wir über Nacht er-wachsen geworden!“ Buck ist mittlerweile verhei-ratet, hat ein Kind, Will konnte seine Leidenschaftzum Beruf machen und zeichnet jetzt Comics.Doch nicht nur ihre Lebensumstände haben sichverändert, auch die Gedanken. „Die Juden trei-ben Amerika in den Krieg in Deutschland, einPlan, den die jüdischen Bankiers ausgeheckt ha-ben“, schwadroniert Buck, als sie unvermeidlichauf die dramatischen Entwicklungen in Europa zusprechen kommen. Wills religiöse Wurzeln hat ervöllig vergessen, denn Glaube hatte in ihrerFreundschaft nie eine Rolle gespielt. „Eins will ichdir sagen“, redet sich Buck in Rage. „Die Juden indiesem Land machen’s nicht mehr lange! Baldsind sie aufgespürt, und dann …“ Er dreht sich zuWill, doch der ist verschwunden, sein Stuhl ist leer.Diese Szene fast am Schluss von Zum Herzen des

Sturms ist eine der bewegendsten in Eisners Er-zählung. In ihr scheint ein Motiv auf, das sich wieein roter Faden durch sein gesamtes Werk zieht.Am Ende steht Will, eine Silhouette nur, im pras-selnden Regen auf der Straße, allein; eine Zeich-nung, die die ganze Verlorenheit einfängt, die erin diesem Moment empfand. Waren die Protago-nisten lustiger Zeitungsstrips und Comic-Hefte ge-wöhnlich ebenso so schmerzimmun wie die spä-teren Helden und Superhelden, so sind Eisners Fi-guren verletzliche Wesen, die unter der Dummheitund Ignoranz ihrer Umwelt leiden ...

Lebensprinzip: WürdeEine Annäherung an das Menschliche bei Will Eisner

Von Andreas C. Knigge

Oben:Aus Zum Herzendes Sturms, 1991.© Will Eisner Studios, Inc.

edi_vorwort_53_neu_reddition_layout_neu 24.11.2010 00:17 Seite 3

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Die Anfänge: DeWitt Clinton HighWilliam Erwin Eisner kam am 6. März 1917 inNew York City zur Welt. Seine Eltern waren deraus Wien stammende Bühnenbildner und Schil-dermaler Samuel Eisner und die auf der Über-fahrt von Rumänien in die USA geborene FannieIngber. Eisner beschrieb seinen Vater als künstle-risch orientierten, aber nicht sonderlich gebilde-ten, etwas verträumten Menschen, dem mit seinerFrau eine Person mit ausgeprägtem Gespür fürwirtschaftliche Notwendigkeiten zur Seite stand.Der Vater schlug sich in den USA in diversen Be-rufen durch, zunächst bei jüdischen Theatern,später als Anstreicher, nach einer Krankheit ver-suchte er sich schließlich als Kleinfabrikant in derPelzbranche. 1929 kam für ihn jedoch das wirt-schaftliche Aus, von dem er sich nicht mehr er-holte. Eisners Mutter war bis zu ihrer Heirat alsFabrikarbeiterin tätig. Seine Kindheit verbrachteEisner mit seinen beiden Geschwistern, einerSchwester und seinem Bruder Julian, genannt

„Pete“, in den ärmeren Bezirken New Yorks. Ertrug als Zeitungsverkäufer zum Familieneinkom-men bei, seine Lektüre bestand aus den eskapisti-schen Werken Horatio Algers, in denen derkleine Tellerwäscher regelmäßig zum großen Mil-lionär wird. Nebenher las er aber auch E.C. Se-

gars „Thimble Theatre“ (später „Popeye“) in denZeitungen, die er verkaufte und, gegen den aus-drücklichen Willen seines Vaters, Pulphefte. Letz-tere sollten seine frühen Werke prägen, insbeson-dere den naiven Piraten-Comic „Hawks of the

Seas“.William besuchte die DeWitt Clinton High School

und parallel dazu, in den Sommerferien, die Art

Students League, wo er aufgrund seines Talentseinen Freiplatz erhielt und u.a. von George

Bridgman unterrichtet wurde. In der Zeitung derSchule, dem DeWitt Clintonian, veröffentlichteer, im Stile seines Vorbildes Segar, einen wöchent-lichen Strip über Menschen in einer Zeitungsre-daktion. Auch im Magpie, dem Jahrbuch derSchule, publizierte er; das literarische MagazinThe Medallion sah ihn gar als künstlerischen Di-rektor. Das ebenfalls literarische Magazin The

Lion and the Unicorn (man publizierte „mo-derne“ Franzosen und „Erotisches“) wurde vonihm gemeinsam mit einem Freund herausgege-ben. Schon während seiner letzten Jahre an derSchule war er art director des (nicht mit der De-

Witt in Verbindung stehenden) Magazins Eve, dassich an die „moderne amerikanische Jüdin“ rich-

Dossier

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Von Marcus Czerwionka

Oben:Will Eisner imJahre 1941.

© Will Eisner Studios, Inc.

Rechts:Die erste veröf-fentlichte Zeich-nung Eisners in

der Schülerzeitungder DeWitt Clinton

High, 1933.© Will Eisner Studios, Inc.

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tete. Wegen künstlerischer Differenzen wurde Eis-ner aber gefeuert, das Magazin selbst dann nachnicht allzu vielen Ausgaben eingestellt. Für einigeArbeiten jedoch fand er zu dieser Zeit noch keinePublikationsmöglichkeit, so für seine beiden De-tektivstrips „Harry Carey“, „The Flame“ und ei-nen Strip über die Boy Scouts of America. Eisnersfrüheste Arbeiten sind inhaltlich und formal starkvon zeitgenössischen Vorbildern beeinflusst undnoch wenig aufsehenerregend, zeigen jedoch be-reits sein großes technisches Können. Er be-herrschte Malerei, Zeichnung, Holz- und Linol-schnitt gleichermaßen, die formale Ausbildungbei der Art Students League half ihm, sein ange-borenes Talent zu vervollkommnen.

Von Wow! zum ersten StudioMit neunzehn verließ Eisner die Schule, da einCollege-Besuch für ihn aus finanziellen Gründennicht in Frage kam. Er arbeitete kurzzeitig als As-sistent in der Werbeabteilung des New York Ame-

rican, anschließend als Gehilfe in einer Druckerei.Über diesen Job fand er Kontakt zur Werbebran-che und erhielt einige kleinere Aufträge. Seineerste bezahlte Arbeit lieferte er für die Firma Gre-Solvent ab, für die er eine vierseitige Packungs-beilage gestaltete, deren innere zwei Seiten achtCartoons enthielten, die vom Gebrauch der Gre-Solvent Seife handelten. Den wirklichen Einstiegins Feld der Berufszeichner bedeutete jedoch erstder Kontakt zu John Henle, der die Herausgabedes Magazins Wow! What a Magazine plante.Eisner wurde für dieses Hybridgeschöpf des Pres-sewesens tätig, in dem gleichzeitig Comics, Arti-kel, Kurzgeschichten und Hobby-Kolumnen ihrenPlatz hatten. Zu den nur vier 1936 erschienenenAusgaben steuerte er die Comics „Harry Karry“,„The Flame“ und „Captain Scott Dalton“ bei.Ersterer basierte auf dem in der DeWitt-Zeit nichtpublizierten Detektivstrip und war, um Schwierig-keiten mit einem gleichnamigen zeitgenössischenSchauspieler zu vermeiden, umbenannt worden.„The Flame“ übernahm den Namen des zweitenseiner bislang unveröffentlichten Strips, erzähltenun aber Seeräubergeschichten. „Cpt. Scott Dal-ton“ war ein klassischer Abenteuerstreifen.Wichtiger als seine Arbeit an diesem wenig er-folgreichen Magazin war jedoch, dass er dort aufSamuel „Jerry“ Iger traf, der als Redakteur vonWow! fungierte. Nach der Einstellung arbeitslosgeworden, schlug Eisner vor, ein gemeinsames

Studio zu gründen, in dem sie Originalmaterialfür die damals aufkommenden Comic Books pro-duzieren wollten. Das Comic Book also das Heft,gab es zwar schon seit Jahrzehnten, der Ge-danke, anstelle von Zeitungsstrip-Nachdruckenauch extra für die Hefte angefertigtes Material zupräsentieren, war jedoch neu. Gleichzeitig erleb-ten die Pulps ihren Niedergang und fast alle Ver-leger, die ihr Ohr am Gleis der Zeit hatten, ver-suchten den Wechsel. Eisner selbst kannte die Si-tuation aus seiner kurzzeitigen Tätigkeit als Pulp-Illustrator. Der Bedarf an neu produziertem Mate-rial stieg in wenigen Jahren ins Enorme und botZeichnern, kurze Zeit nach der Depression, unge-ahnte Möglichkeiten. Eisners und Igers Studiowurde 1936, nur kurze Zeit nach dem im glei-chen Jahr entstandenen von Harry Chesler, ge-

Dossier

Oben:Der erste veröf-fentlichte Comicin der Schülerzei-tung der DeWittClinton High,1935.© Will Eisner Studios, Inc.

Unten:Cover von DickBriefer für die er-ste Ausgabe vonWow! What A Ma-gazine Nr. 1, Juli1936.© Dick Briefer

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gründet und war somit das zweite größere seinerArt in den USA. Der neunzehnjährige Eisner undder mehr als ein Jahrzehnt ältere Iger, den Eisnerzunächst über sein wahres Alter im Unklaren ließ,mieteten mit von Eisner vorgestreckten fünfund-dreißig Dollar Räumlichkeiten in der 40th Streetin New York, ihre Nachbarn in dem Bürohaus be-standen aus zwielichtigen Buchmachern und un-sauberen Geschäftsleuten. Unter den Mitarbei-tern, die sie schon bald anwarben, befanden sichu.a. der mit Eisner aus seiner High- School Zeitbefreundete Bob Kane, Lou Fine, Jack Kirby,George Tuska und Bob Powell, die später ihrer-seits mit jeweils eigenen Schöpfungen Comic-Ge-schichte schrieben. Zunächst jedoch bestand dasStudio aus zwei Mitarbeitern.Einen der ersten größeren Aufträge zogen Eisnerund Iger an Land, als der auf überseeische Publi-kationen spezialisierte Joshua B. Powers an Ma-terialmangel litt. Powers war Mitte der 1930erJahre auf die Idee verfallen, sich nicht der inner-amerikanischen Konkurrenz auszusetzen, sondernzwar in den Staaten zu produzieren, jedoch inÜbersee, vor allem in den Ländern des britischenEmpires, zu verkaufen. So rief er Wags ins Leben,ein tabloidformatiges, wöchentlich erscheinendesHeft, das diverse amerikanische Zeitungs-Comicsnachdruckte, aber auch neues Material brachte.

Die Nr. 1 erschien am 8. September 1936 inAustralien, die erste Ausgabe der britischen Ver-sion, mit doppeltem Umfang, am 1. Januar1937. Beide Ausgaben verkauften sich gut, aller-dings verlor Powers nach der Trennung von sei-nem Partner in Großbritannien die Rechte an eini-gen der Zeitungsstrips. Um sein Magazin weiterpublizieren zu können, musste er den freigewor-denen Platz mit anderem Material auffüllen. Erwandte sich an Iger und Eisner, die er noch vonderen Zeit bei Wow! her kannte, und wurde, ent-sprechend seinen Wünschen, mit Comics belie-fert. Eisners Beiträge bestanden in den Geschich-ten um den Zauberer „Yarko the Great“,„Scrappy“ (nach dem gleichnamigen Cartoon)und den heute zum Klassiker gewordenen Pira-tenstrip „Hawks of the Seas“. Letzterer erschienin Wags von der Nummer 16 an bis zum Endedes Magazins in England, wo es mit Nr. 88 am 4.November 1938 eingestellt wurde (in Australienverkaufte es sich noch einige Jahre länger). Umzwischen den anderen Zeitungsstripnachdruckenin Wags nicht aufzufallen, wurden Eisners Comicsebenfalls in der Gestalt von Sonntagsseiten pro-duziert, obwohl ein Abdruck in dieser Form niegeplant war. Iger und Eisner hatten für ihre über-seeischen Geschäfte eigens ein Syndikat, das Uni-

versal Phoenix Features, gegründet, durch das dieComics vertrieben wurden.Ein anderer Kunde des Studios war Victor Fox,eine auch als Person nicht unproblematische Figurder Comic-Geschichte (Eisner: „Fox was a thief ina very actual sense“). Als tüchtiger Verleger hatteer wenig Skrupel, und für Diskussionen um Be-griffe wie „Urheberrecht“ oder „geistiges Eigen-tum“ war er nicht zu erwärmen. Aber er war einzahlungskräftiger Klient: Hatten Iger und Eisnerbislang noch fünf Dollar pro Seite von den Verla-gen kassiert, bot Fox für die Lieferung von vier-

Dossier

Rechts:Aus Yarko in Won-der Comics, 1939.

© Will Eisner Studios, Inc.

Unten:Das Cover der

dritten und letztenAusgabe von

Wow! What A Ma-gazine, Septem-

ber 1936.© Will Eisner Studios, Inc.

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undsechzig druckfertigen Seiten, d.h. einem kom-pletten Heft, tausend Dollar. Bekannt wurde ausdieser Zeit vor allem Eisners „Wonder Man“, derin Wonder Comics lief, allerdings nur in der ers-ten Ausgabe. Danach ließ der National-Verlagdas ausgesprochen plumpe Superman-Plagiatgerichtlich verbieten. In dem Prozess, der um dieFigur geführt wurde, sagte Eisner aus, er selbsthabe nichts plagiiert, er sei lediglich Fox’ sehr ge-nauen Beschreibungen und Anweisungen nach-gekommen. Fox wurde aufgrund dieser Aussageverurteilt und verzichtete im Gegenzug darauf,Iger und Eisner die noch ausstehenden dreitau-send Dollar Honorar zu zahlen.Weitere Auftraggeber waren die Verlage Quality

und Fiction House. Für Fiction Houses Flagschiff,Jumbo Comics, griff man auf älteres Materialaus Wags zurück. Hier wurden dem amerikani-schen Publikum unter anderem die „Hawks of theSeas“ präsentiert. An neuem Material gab es „ZX-

5/Spies in Action“, die Eisner absichtlich krudezeichnete, um die Tatsache, das sein Studio per-sonell dem Arbeitsaufkommen kaum noch ge-wachsen war und er Jumbo Comics mehr oderweniger alleine versorgte, zu vertuschen. Außerdem Agentenstrip zeichnete er für Jumbo Comics

„Uncle Otto“, einen Funny, die „Sports Shorts“,eine Daily-ähnliche Serie, in dem über Ereignisseaus der Sportwelt berichtet wurde, die SF-Serie„The Diary of Dr. Hayward“, den Kriminal-Co-mic „Inspector Drayton“, zusätzlich noch weitereSerien und die Begleitmaterialien.Für Quality entstanden u.a. die Serien „Espio-

nage, Starring the Black Ace“ (später „Black

X“), ein Detektivstrip, „Doll Man“, die Abenteuereines däumlingshaften Superhelden, „Uncle

Sam“, ein patriotischer Abenteuerstreifen mit im

zweiten Weltkrieg angesiedelter Handlung, sowiedie Flieger/Abenteuerserie „Blackhawk“ und derDetektivstreifen „X-5/Secret Agents“, den er vonseinem eigenen „ZX-5/Spies in Action“ kopierthatte.Von seinen wenigen Arbeiten für Centaur hat esnur „Muss ‘Em Up“ zu Ruhm gebracht, die Kurz-geschichte, erstveröffentlicht in Detective Picture

Stories Nr. 4, wurde schon in den 1940er Jahrendrei Mal nachgedruckt und durch Jules FeiffersBuch The Great Comic Book Heroes in den1960er Jahren dem Publikum wieder in Erinne-rung gebracht. Eisner erzählte in ihr die Erleb-nisse des Ex-Polizisten Donovan, der wegen seinerrauhen Umgangsweise mit Verbrechern in denRuhestand geschickt worden war und die Maß-nahmen seiner Ex-Kollegen während einer Ver-brechenswelle aus dem Untergrund flankierendbegleitet. Am Ende der Geschichte erhält Dono-van dann seinen Job wieder. Andere Serien fürCentaur sind die Western-Geschichten um „Wild

Tex Martin“ und die Fremdenlegionärserzählung„The Brothers Three“.Typisch für die Arbeitsweise im Studio und für dievon Eisner im Besonderen sind mehrere Merk-male. Zum einen die beginnende Arbeitsteiligkeit:Jerry Iger leitete die geschäftliche Seite des Unter-nehmens und letterte die Comics.

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Oben:Von Eisner gestal-tetes Cover fürJumbo Comics Nr.6, Februar 1939.© Will Eisner Studios, Inc.

Links:Eisners SerieHawks of the Seaswurde ab 1938auch im französi-schen MagazinBilboquet veröf-fentlicht.© Will Eisner Studios, Inc.

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Es ist häufig zu lesen, dass das Spätwerk von WillEisner – die Graphic Novels – stark autobiogra-phisch sei. Allen voran seine berühmten „Miets-haus-Stories“ werden dafür gerühmt, auf persön-lichen Erlebnissen Eisners zu beruhen, schließlichhat der Zeichner in der Nachbarschaft der Bronxin den 1930er Jahren gelebt. Sie als autobiogra-phische Comics zu bezeichnen, wäre allerdingsfalsch, denn allenfalls waren einige dieser Bücherpersönlich motiviert bzw. von Erinnerungen ge-prägt, aber von reinen Autobiografien kann mannur bei wenigen Werken sprechen. Der BandLife, in Pictures (der bei Carlsen als Lebensbilder

angekündigt wird), versammelt die vermeintlichautobiographischen Comic-Geschichten Eisners.Diese fünf Geschichten (Untertitel des Bandes:

„Autobiographical Stories“) sind mal kürzer undmal ausführlicher, und in einer von ihnen trittauch Eisner als Erzähler auf. Allerdings sagt dieFrage, inwieweit Eisner sein eigenes Leben in Co-micform umgewandelt hat, viel über das Selbst-verständnis von Eisners Spätwerk aus.

Es lässt sich heutzutage bei der ganzen Tragweiteum den Begriff der Graphic Novel kaum noch er-messen, ob es eigentlich Eisners Geschichten wa-ren, die dafür sorgten, dass A Contract with

God eine solche Zäsur innerhalb der Comic-His-torie darstellt, oder ob es nicht doch der Begriffist, der alles andere überschattet. Eisners ersteGraphic Novel kam selbstverständlich aus Neu-gierde an der Form – allerdings auch aufgrundpersönlicher Erfahrungen zustande. Der Zeichnerverschleiert nur alles Persönliche der Story undbeschreibt die Geschichten aus der Sicht eines all-wissenden Erzählers. Eisner macht also nur be-dingt Gebrauch vom Stilmittel des autobiographi-schen Erzählens im Comic. Er inszeniert sich nichtals Comicfigur (auch wenn man ihn als Willie inder dritten Geschichte erkannt haben will) und ergibt auch nicht vor, die Story habe einen authenti-schen Hintergrund. Viel mehr zeigt sich Eisner alsBeobachter. Ein möglicher Grund dafür könnte,wie er im späteren Vorwort preis gibt, die Verar-beitung des Todes seiner Tochter sein, die Endeder 1960er Jahre an einer schweren Blutkrankheitverstorben war. Wenn also Frimme Hersh, derProtagonist, einen Vertrag mit Gott machenmöchte, und diesen nach einem schweren Schick-salsschlag bricht, dann spielt die private Tragödievon Eisner mit hinein. So verlockend es ist, solcheInformationen auf Eisners erste Graphic Novel

anzuwenden, wäre es falsch, solcherlei Wissenauch mit einfließen zu lassen, wenn es um dieAutobiografie geht. Eine ähnliche Umwertung hat beispielsweise auchim Werk des Peanuts-Schöpfers Charles M.

Schulz stattgefunden, spätestens nach dem peni-bel-detaillierten Buch von David Michaelis kommtman kaum noch umher, den persönlichen Hinter-grund mancher Strips zu verkennen, aber selbst-verständlich wird es sich bei den Peanuts niemalsum einen autobiographischen Comicstrip han-deln, es ist ein Strip über Kinder und ihre Umwelt.Nichts weiter als das. Für den autobiographischenComic herrschen ganz andere Parameter.

Dossier

Unten:Cover der

aktuellen Ausgabeder „autobiogra-

phischen“ Comicsvon Will Eisner bei

W.W. Norton,2007.

© Will Eisner Studios, Inc./W.W. Norton

“I can,t let it allhang out like Crumb“Will Eisner und der autobiographische Comic

Von Klaus Schikowski

eisner_autobio_reddition_layout_neu 23.11.2010 23:45 Seite 40

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Als Will Eisner 1978 A Contract with God veröf-fentlichte, da hatte der autobiographische Comicin Amerika schon die ersten wichtigen Werke ge-sehen. Die Katharsis des gezeichneten autobio-graphischen Comics geschah etwa mit dem Endeder Underground-Ära im Jahre 1972 und es war,wie Andreas Platthaus auf der Comicseite desGoethe-Instituts schreibt, „ein ästhetisches Eman-zipationssignal“, was für alle gezeichneten Auto-biografien in den jeweiligen Comic-Kulturen gilt.Es war in diesem Fall die Abkehr von eskapisti-schen Superheldengeschichten im amerikani-schen Mainstream-Comic hin zu einer persönli-chen und direkteren Form in den Underground-Comix. 1972 erschienen drei wichtige Werke desautobiographischen Comics in den USA: die pro-grammatische Kurzgeschichte „The confessions

of Robert Crumb“, der zwar auch schon zuvormit der eigenen Person im Comic herumexperi-mentierte, der aber ab diesem Zeitpunkt verstärktdie Möglichkeiten des Einsatzes der eigenen Per-son im Comic deklinierte; das stark allegorischeWerk „Binky Brown Meets the Holy Virgin

Mary“ von Justin Green, der sich an einer län-geren Geschichte (oder was man damals davonhielt; die Erzählung umfasst knapp 40 Seiten)über seine streng religiöse Erziehung versuchte,die er verantwortlich für seine Zwangsneurosenmachte und so die erste bekenntnishafte Coming-of-Age-Geschichte des Comics schuf; und dieerste Version von „Maus“ von Art Spiegelman,

womit der Boden bereitet war für eine Auseinan-dersetzung des Einzelnen mit historischen Ereig-nissen. Ein Jahr später verarbeitete Spiegelmandann mit „Prisoner on the Hell Planet“ den Selbst-mord seiner Mutter, der ihn selbst in die Psychia-trie gebracht hatte.

Diese Seite:Ankündigung desBuches A Contractwith God im WillEisner's Spirit-Ma-gazin, Septemberund November1978.© Will Eisner Studios, Inc.

eisner_autobio_reddition_layout_neu 23.11.2010 23:45 Seite 41