39

Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend
Page 2: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

Reform der Gemeindefinanzen –ein Vorschlag der Bertelsmann Stiftung

Bertelsmann Stiftung

Gütersloh im Februar 2003

Page 3: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

3

Inhalt

Executive Summary .............................................................................. 4

1 Demokratie fängt in der Gemeinde an.............................................. 9

2 Finanzpolitische Leitlinien für die Gemeindefinanzreform............... 11

3 Kommunale Einnahmen ................................................................. 16

3.1 Eine kommunale Steuer auf das Einkommen derBürger1: Die Bürgersteuer ................................................... 16

3.2 Eine kommunale Steuer für die lokale Wirtschaft: DieWirtschaftsteuer ................................................................... 23

3.3 Eine kommunale Steuer auf Grundstücke undImmobilien: Die Grundsteuer ............................................ 27

4 Kommunale Aufgaben und Ausgaben ............................................ 29

5 Finanzausgleich ............................................................................. 33

6 Gesamtkonzept und Reformperspektive ........................................ 35

7 Bürgergesellschaft und Gemeindefinanzen.................................... 36

1 Diese Publikation verwendet vorwiegend die männliche Sprachform. Bei allen männli-

chen Funktionsbezeichnungen sind stets auch Frauen gemeint.

Page 4: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

4

Executive Summary

Die deutschen Kommunen befinden sich seit über 20 Jahren in einemkrisenhaften Entwicklungsprozess, der unter den aktuellen Bedingungeneinem Höhepunkt zustrebt. Die Krise ist vielschichtig und strukturellerNatur. Sie steht im Zusammenhang mit

� starken Einnahmeverlusten (Finanzkrise),

� wachsenden Aufgaben und steigenden Ausgabenbelastungen(Aufgabenkrise),

� einer unflexiblen Organisation mit intransparenten Kostenstruktu-ren (Organisationskrise) sowie

� einer mangelhaften Beteiligung der Bürger an der politischen Wil-lensbildung in den Gemeinden und Gemeindeverbänden (Demo-kratiekrise).

Diese Krisen sind nicht durch ein kurzfristiges finanzielles Notprogrammfür die Kommunen zu meistern, sondern müssen durch die Behebungihrer Ursachen überwunden werden. Zentraler Ansatzpunkt ist dabei dasGemeindefinanzsystem. Es weist schwerwiegende Mängel auf, ist durchzahlreiche Fehlentwicklungen in eine Schieflage geraten und hat damitwesentlich zur Krise beigetragen.

Die fünf Grundforderungen der Bertelsmann Stiftung an ein Gemeinde-finanzsystem sind:

� Das Gemeindefinanzsystem hat Bürgerinnen, Bürgern und Unter-nehmern vor Ort zu dienen. Mehr noch: Bürger und Wirtschaftsollten sich in diesem System wiederfinden und es verstehen. Ih-nen ist die Möglichkeit zur Mitentscheidung über kommunale Poli-tik zu geben. Von der Funktion einer solchen Klammer ist dasGemeindefinanzsystem derzeit weit entfernt.

� Das Gemeindefinanzsystem muss allen Kommunen eine aufga-bengerechte Finanzierungsbasis sichern. Entsprechend der unter-schiedlichen Größe und Funktion muss es für eine ausreichende

Page 5: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

5

Ausstattungs- und Verteilungsgerechtigkeit der Finanzmittelbereit-stellung unter den Kommunen sorgen.

� Das Gemeindefinanzsystem muss Anreize zu wirtschaftlichemVerhalten in den Kommunen bieten. Dazu es muss Elemente desWettbewerbs aufgreifen, die sowohl einen sparsamen Umgang mitden Steuergeldern und Abgaben der Bürger bewirken als auch zuinnovativen und verbesserten Formen kommunaler Aufgabener-füllung ermutigen.

� Das Gemeindefinanzsystem muss ein hohes Maß an autonomerAnpassungsfähigkeit besitzen, um zukunftsfähig zu sein, d.h. esmuss Anpassungsmechanismen enthalten, die auf eine Verände-rung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen zügig reagieren.

� Das Gemeindefinanzsystem muss die Anforderungen an ein ins-gesamt wettbewerbsfähiges Gesamtsteuersystem beachten. Auf-gaben und Einnahmemöglichkeiten sind aufeinander abzustim-men.

Zentral für einen nachhaltigen Reformprozess ist, dass finanzwissen-schaftliche Grundsätze wieder beachtet werden:

� Ausgabenwirksame Entscheidungen von Europäischer Union,Bund und Ländern dürfen für die Kommunen nur bei gleichzeitigerKlärung der Finanzierungsfrage getroffen werden: Wer bestellt,bezahlt! Dieser Grundsatz ist umso enger zu fassen, je detaillierterder Vollzug geregelt und ausgabenwirksame Leistungen an Drittefestgelegt sind. (Prinzip der Konnexität von Aufgaben und Ausga-ben)

� Von Bund und Ländern auf die Gemeinden und Gemeindeverbän-de übertragene Aufgaben dürfen nur in ihrer Grundstruktur ein-heitlich geregelt werden. In Detailfragen der Ausführung sind denKommunen eigenverantwortliche, effizienzfördernde Handlungs-spielräume zu gewährleisten. (Prinzip der Autonomie der Kommu-nalverwaltung)

� Bürger, die lokale Wirtschaft sowie die Eigentümer von Grund,Boden und Immobilien als Nutzer kommunaler Leistungen müssenfühlbar an der Finanzierung kommunaler Leistungen beteiligt wer-den. (Prinzip der fiskalischen Gruppenäquivalenz).

Page 6: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

6

� Die kommunale Wirtschaftssteuer ist von der gesamten ortsan-sässigen Wirtschaft zu tragen. (Prinzip der Allgemeinheit und Ge-rechtigkeit des Steuersystems)

� Gemeinden und Gemeindeverbände müssen über autonom be-stimmbare Besteuerungsgrundlagen verfügen, und somit ihreverfassungsrechtlich garantierte Stellung im föderalen Staat si-chern. (Prinzip der Finanzautonomie)

Im Einzelnen sind kurz- und mittelfristig folgende Reformen anzustre-ben:

� Der Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommensteuer sowiedie Kompensationszahlungen im Familienleistungsausgleich sindabzuschaffen. An ihre Stelle ist eine im Gesamtvolumen gleichhohe kommunale Bürgersteuer einzuführen. Sie ist von denKommunen direkt zu erheben. Die Steuerfestsetzung erfolgt ober-halb des steuerfreien Existenzminimums mit einem proportionalenSteuersatz auf das bundeseinheitlich nach dem Einkommensteu-errecht ermittelte zu versteuernde Einkommen.

� Die Gewerbesteuer ist in ihrer jetzigen Form nicht weiterzuführen.Vielmehr ist eine kommunale Wirtschaftssteuer einzuführen, diealle lokalen Unternehmen und wirtschaftlich tätigen Personen er-fasst, d.h. auch Freiberufler sowie die Land- und Forstwirtschaft.Je umfassender die Nutzer kommunaler Leistungen erfasst wer-den und je breiter die Bemessungsgrundlage ist, desto niedrigerkönnen die Steuersätze sein.

� Die Grundsteuer B ist auf ein einfacheres und zeitnäheres Be-messungsverfahren umzustellen, das an den tatsächlichen Wer-ten von Grundstücken und Immobilien anknüpft.

� Die Grundsteuer A ist abzuschaffen. Die Besteuerung der Land-und Forstwirtschaft ist in die kommunale Wirtschaftssteuer zu in-tegrieren.

� Aufgabenübertragungen von Bund und Ländern an die Kommu-nen dürfen nur unter gleichzeitiger Entscheidung über die Kosten-trägerschaft getroffen werden. Ferner dürfen nur unbedingt not-wendige Rahmenrichtlinien vorgegeben werden, um kommunaleHandlungsspielräume in der Ausführung zu erhalten.

Page 7: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

7

� Für bereits bestehende an die Kommunen übertragene Aufgabensind die Gesetze und Verordnungen von Bund, Ländern und Eu-ropäischer Union zu überprüfen und kommunale Handlungsspiel-räume durch eine Entfrachtung der Vorgaben von Detailregelun-gen zu erweitern.

Als Ergänzung der Reform des Gemeindefinanzsystems sind Reformenin zwei weiteren Bereichen notwendig.

� Das kommunale Dienst- und Arbeitsrecht ist flexibler auszuges-talten, um kommunale Handlungsspielräume zur Organisations-anpassung zu erweitern und weitere Leistungsanreize für die Mit-arbeiter zu schaffen.

� Mit einem neuen kommunalen Finanzmanagement ist Kosten-transparenz und damit auch Kostenverantwortung herzustellen.

Von der Umsetzung der Vorschläge erwartet die Bertelsmann Stiftungvor allem eine kontinuierlichere Entwicklung der kommunalen Steuer-einnahmen, ein bedarfsgerechteres Einnahmenniveau, eine grundsätzli-che Verringerung der interkommunalen Einnahmendisparitäten, einegrößere Autonomie der Kommunen und eine direktere Beteiligung derBürger.

Die Vorschläge bilden einen Gesamtzusammenhang. Sie können nichtisoliert gesehen werden, denn sie bauen aufeinander auf und sind auf-einander bezogen. Jedes Herausbrechen einzelner Teile unterläuft dieLogik des Gesamtwerks und führt zu Verwerfungen.

Eine umfassende und grundsätzliche Reform ist nicht in nur einemSchritt umzusetzen. Hierfür ist der Reformbedarf sowohl auf der kom-munalen Ebene selbst als auch in den finanziellen Beziehungen zuBund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend dazu die Reform deskommunalen Dienst- und Arbeitsrechts sowie das Neue Kommunale Fi-nanzmanagement - als einen längerfristigen und vielschichtigen Pro-zess, in dem schrittweise die einzelnen Probleme aufgegriffen und ab-gearbeitet werden müssen.

Die anstehende Gemeindefinanzreform kann nur ein erster Schritt sein.Doch selbst hierzu ist der Ansatz der von der Bundesregierung im Jahr

Page 8: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

8

2002 eingesetzten Reformkommission zu eng gefasst; zu viele Fragenwurden ausgeklammert. Mit der jetzt diskutierten Reform muss aber ei-ne grundlegende Kurskorrektur vorgenommen werden. Die Gemeindefi-nanzreform muss zudem entscheidende Abhilfe für die kommunalenProbleme schaffen. Halbherzige Reformansätze können dies nicht leis-ten. Auch können die Gemeinden und Gemeindeverbände nicht mehrauf die Ergebnisse einer Reform der deutschen und der europäischenFinanzverfassung warten, deren Vollendung ungewiss ist.

Die von der Bertelsmann Stiftung vorgeschlagene Reform erfordert beijedem Schritt einen fairen Interessenausgleich sowie Offenheit und An-passungsbereitschaft. Eine weitere Erstarrung der Partikularinteressen,welche die Fehlentwicklungen verstärkt hat, wäre für alle Beteiligten vongroßem Schaden.

Unternehmen, die nicht bereit sind, sich im Wettbewerb anzupassen, ü-berleben nicht. Gesellschaften, die im Streit divergierender Interessenerstarren und nicht die Kraft und den Mut finden, notwendige Anpas-sungen und Weiterentwicklungen vorzunehmen, setzen ihren erreichtenWohlstand aufs Spiel. Dabei gibt es keine Gewinner.

Page 9: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

9

1 Demokratie fängt in der Gemeinde an

Die Gemeinden bilden die unterste Stufe im deutschen Staatsaufbau:

� In der Gemeinde erfahren Bürger unmittelbar die Auswirkungender Staatstätigkeit, denn hier prägt die Bereitstellung öffentlicherLeistungen in z.B. Kindergärten, Schulen, Sozialeinrichtungen o-der Theatern ihre Lebensgestaltung, hier nutzen sie das Infra-strukturangebot (Straßen, ÖPNV, Energie, Wasser, Entsorgungetc.) und haben unmittelbaren Behördenkontakt.

� In der Gemeinde haben Bürger die Möglichkeit, „ihren“ Staat, d.h.ihr Gemeinwesen, unmittelbar mitzugestalten.

Die Gemeinde ist für Bürger ein elementarer Bestandteil ihres gesell-schaftlichen Lebens.

Die Gemeinde ist auch der Ort, an dem die Entscheidungen über In-frastrukturen die lokale Grundlage für den Erfolg der Wirtschaft bilden.Die Kombination von privatem Kapital, unternehmerischem Know-howund qualifizierten Arbeitnehmern sowie öffentlichen Infrastrukturleistun-gen bilden - im Rahmen der globalen Wettbewerbsbedingungen - dieBasis regionalen und lokalen Wohlstands. Somit liegen die Möglichkei-ten der - individuellen wie kollektiven - Lebensgestaltung auch in denwirtschaftlichen Aktivitäten und deren Erfolg in den Gemeinden begrün-det. Daraus resultierende Steuerleistungen bestimmen wiederum dasAngebot an öffentlichen Gütern und Dienstleistungen - für Bürger undWirtschaft.

Repräsentative Demokratie und soziale Marktwirtschaft haben sich imWettbewerb der Ordnungssysteme bewährt. Es ist jedoch ein Verdienstder föderalen Verfassung mit starken Kommunen und einem begrenztenWettbewerb derselben untereinander, eine Balance zwischen gleich-wertigen Lebensverhältnissen auf der einen Seite und lokaler wie regio-naler Vielfalt, eigenverantwortlicher Initiative und Kreativität auf der an-deren Seite erzeugt zu haben.

Die Erfolgsgeschichte der deutschen Kommunen hat jedoch einen deut-lichen Einbruch erlitten.

Page 10: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

10

� Die Gemeinden befinden sich offensichtlich in einer Finanzkrise.Ihre Einnahmen erodieren nicht erst seit den Steuerausfällen derJahre 2001 und 2002; der Anteil autonom bestimmbarer Steuer-einnahmen sinkt kontinuierlich, und Bund und Länder belasten dieGemeinden und Gemeindeverbände durch Eingriffe in die kom-munalen Steuergrundlagen immer stärker mit den Folgen ihrerPolitik. Auf der Ausgabenseite belasten vor allem unflexible Per-sonalbudgets und hohe Sozialausgaben die Haushalte. Fernerverschärft ein schleichender Prozess der Aufgabenübertragungvon Bund und Ländern auf die Kommunen die Belastungen. DieSchere zwischen Einnahmen und Ausgaben konnte deshalb seit1980 nur in sieben Jahren geschlossen werden; überwiegendblieben die kommunalen Haushalte bei teilweise hohen Defizitenunausgeglichen. Die - auch durch erhebliche Vermögensveräuße-rungen - erzielten Überschüsse der Jahre 1998 bis 2000 verde-cken die andauernden strukturellen Defizite der Verwaltungshaus-halte. Disparitäten des wirtschaftlichen Wachstums zwischen denKommunen führen allerdings dazu, dass die Finanzkrise kommu-nale und regionale Unterschiede aufweist. Insbesondere diestrukturschwachen Kommunen befinden sich in einer fast aus-weglosen finanziellen Situation.

� Das wachsende Ungleichgewicht zwischen mittlerweile fast aus-schließlich fremdbestimmten Aufgaben und sinkenden sowie in-stabilen Einnahmen hat zu einer Aufgabenkrise geführt. Notwen-dige Einsparungen treffen vor allem die freiwilligen Aufgaben, dieein zentraler Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung sind,sowie die Investitionen. Die Aufgabenkrise wird dadurch ver-schärft, dass inputorientierte Verwaltungsstrukturen, stark von ge-setzlichen Regelungen geprägtes Verwaltungshandeln und einunflexibles Dienstrecht verhindern, dass die Kommunen den ge-sellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel vor Ort adäquat be-gleiten und ihre Aufgaben erfüllen können.

� Derzeit können die Bürger (sowie die Wirtschaft) nur sehr be-grenzt an der politischen Willensbildung in den Gemeinden mitwir-ken. Wollen sie sich nicht in den Parteien engagieren, verbleibenihnen - neben aktivem und passivem Kommunalwahlrecht, Anhö-rungen und Bürgeranträgen - lediglich Bürgerbegehren oder Bür

Page 11: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

11

gerentscheide, die offensichtlich mehr als Abwehr-, denn alsGestaltungsmittel zum Einsatz kommen. Positive Mitwirkungs-möglichkeiten sind rar. Die Unkenntnis der meisten Bürger dar-über, dass 15 % ihrer Lohn- bzw. Einkommensteuer in den Ge-meinden und Gemeindeverbänden verausgabt werden, ist dabeimit ein Grund für das meist geringe Interesse an lokaler Politik. Inder Konsequenz ist auf der lokalen Ebene eine zunehmende Ent-fremdung zwischen Bürgern und kommunaler Politik festzustellen(Politik- bzw. Parteienverdrossenheit). Langfristig kann sich dar-aus eine Demokratiekrise mit schädlichen Folgen für die Gesell-schaft entwickeln.

Wesentliche Ursachen der Probleme liegen nach Auffassung der Ber-telsmann Stiftung in Fehlentwicklungen des Gemeindefinanzsystemssowie in einer Erstarrung der kommunalen Politik und Organisation.

Notwendige Reformen wurden in den neunziger Jahren in Teilen be-gonnen. Sie betreffen vor allem die Organisationsreform sowie die Auf-gabenkritik. Mit der neuerlichen Talfahrt der Einnahmen und den wiederwachsenden Problemen bei den Sozialausgaben wird aber eines immerdeutlicher: Alle Einsparbemühungen der letzten Jahre und alle effizienz-steigernden Verwaltungsreformen verlieren ihre Wirkung, wenn diemühsam erarbeiteten finanziellen Handlungsspielräume durch Einnah-menerosion und/oder von den Kommunen nicht zu verantwortendewachsende Soziallasten wieder aufgefressen werden.

2 Finanzpolitische Leitlinien für die Gemeinde-

finanzreform

Die Bertelsmann Stiftung schlägt vor, dass im Zuge der Gemeindefi-nanzreform die Gemeindesteuern wieder stärker an bewährte finanzpo-litische Prinzipien gebunden werden.

Die Gemeindesteuern müssen - neben den allgemeinen Anforderungenan Steuern - folgende Bedingungen erfüllen, um den Kommunen eineaufgabenangemessene, effizienzfördernde und an unterschiedlichekommunale Aufgaben anpassbare Finanzierungsbasis zu sichern.

� Sie müssen für Niveaugerechtigkeit sorgen, indem sie

Page 12: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

12

� abgestimmt mit den Ausgleichsleistungen des kommunalen Fi-nanzausgleichs ein bedarfsgerechtes Aufkommen sichern,

� zur Stetigkeit des Steueraufkommens beitragen, um eine konti-nuierliche Kommunalentwicklung sicherzustellen,

� eine proportionale Wachstumsreagibilität aufweisen, um dieKommunen am Wohlstandszuwachs angemessen zu beteiligenund

� eine geringe Konjunkturreagibilität besitzen, um den hohenAnteil konjunkturunabhängiger laufender Ausgaben finanzierenzu können.

� Sie müssen zur Strukturgerechtigkeit beitragen, indem sie

� zur Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse dieVerteilung der Steuerkraft stärker am Bedarf orientieren unddamit zugleich den kommunalen Finanzausgleich als nachge-lagertes Instrument entlasten und

� eine Abhängigkeit von einer einseitigen lokalen Wirtschafts-struktur vermeiden.

� Sie müssen die politische Eigenverantwortung in den Kommunenstärken, indem sie

� die Finanzierungsbasis im wesentlichen sichern,

� eine begrenzte örtliche Anpassungsfähigkeit besitzen, um dasSteueraufkommen an den lokalen Präferenzen ausrichten zukönnen,

� einen örtlichen Bezug zu den Nutzern lokaler Leistungen auf-weisen und einen Interessenausgleich unter diesen herbeifüh-ren,

� für Bürger sowie die Wirtschaft direkt fühlbar sein, um der An-spruchsinflation entgegenzuwirken und das Interesse an kom-munaler Politik und der Beteiligung daran im Rahmen der Bür-gergesellschaft zu stärken.

Aus der Verletzung finanzpolitischer Prinzipien leiten wir folgende Vor-schläge für die Reform des Gemeindefinanzsystems ab:

Page 13: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

13

� Bürger und Wirtschaft als Nutzer kommunaler Leistungen nehmendiese oftmals ohne einen spürbaren Finanzierungsbeitrag in An-spruch; zumindest ist er ihnen vielfach nicht bewusst:

� Gebühren werden nur begrenzt als Finanzierungsinstrumentgenutzt,

� die Grundsteuer ist sehr niedrig und taucht für viele nur alsPosten in der Nebenkostenabrechnung des Vermieters auf,

� die Gewerbesteuer wird nur von wenigen Unternehmen ge-zahlt: angesichts knapp 2,9 Mill. umsatzsteuerpflichtiger Unter-nehmen (1999) und weiterer von der Umsatzsteuer befreiterBerufe (z.B. niedergelassene Anwälte und Ärzte) bzw. 2,1 Mill.Gewerbesteuerpflichtiger (1995) stellen rd. 951.000 Gewerbe-steuerzahler eine deutliche Minderheit dar; dabei entrichtenwiederum 22 533 Gewerbebetriebe allein 73,4 % des Gewer-besteueraufkommens;

� Bürgern ist nicht bewusst, dass 15 % ihrer Lohn- und Einkom-mensteuer an die Kommunen fließen.

Diese Intransparenz zwischen Nutzung einer kommunalen Leis-tung und ihrer Bezahlung verletzt die Prinzipen der fiskalischenGruppenäquivalenz und der Fühlbarkeit. Damit tendiert das Sys-tem zur Anspruchsinflation von Bürgern und Wirtschaft gegen-über der Kommune (es fehlt der Bezug zur Zahlung) sowie zurVernachlässigung von lokalen Präferenzen und Wirtschaftlichkeitdurch Politik und Kommunalverwaltung (es fehlt der Bezug zumZahler). Die Konzentration der Gewerbesteuer auf nur wenigeSteuerzahler verstößt zudem in Bezug auf die Zahler gegen diePrinzipien der Allgemeinheit und der Gerechtigkeit des Steuer-systems. Darüber hinaus beinhaltet diese Konzentration für dieGemeinden als Zahlungsempfänger große Risiken, weil einestetige und wirtschaftsstrukturell unabhängige Einnah-menerzielung nicht gewährleistet ist.

� Die fiskalische Äquivalenz ist durch eine enge Verzahnungvon Zahlern und Nutzern kommunaler Leistungen sowie denkommunalen Entscheidungsträgern herzustellen.

Page 14: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

14

� Aus Gründen der Steuergerechtigkeit sind die verschiedenenNutzergruppen kommunaler Leistungen (Bürger, Unternehmerund Freiberufler sowie Grund- und Immobilienbesitzer) an denFinanzierungskosten des Gemeinwesens zu beteiligen. Bei je-der einzelnen Steuerquelle sind die Prinzipien der Allgemein-heit, der Steuergerechtigkeit und der Leistungsfähigkeit zu be-rücksichtigen.

� Für die Kommunen ausgabenwirksame Bestimmungen von Euro-päischer Union, Bund und Ländern werden oftmals ohne die not-wendigen Entscheidungen über die Finanzierungsfrage getroffen.Die Verletzung des Konnexitätsprinzips mindert aber die Wirt-schaftlichkeit staatlichen Handelns. Insbesondere im Bereich dersozialen Leistungen wird dieses Missverhältnis deutlich. Währendder Bund die Entscheidungskompetenz für die sozialen Siche-rungssysteme trägt, finanzieren die Kommunen die seit den sieb-ziger Jahren weit überdurchschnittlich angestiegenen Sozialhilfe-ausgaben aus ihren eigenen Mitteln. Weder können die Kommu-nen auf die aufgrund überregionaler wirtschaftlicher Entwicklun-gen entstehenden Sozialhilfebedarfe nachhaltig einwirken, nochhaben sie Einfluss auf die für die Sozialhilfe ebenfalls relevantenanderen Bereiche der sozialen Sicherung wie z.B. Arbeitslosen-versicherung, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgesetze.

� Die Konnexität ist bei allen ausgabenwirksamen Entscheidun-gen institutionell zu verankern. Einer klaren Aufgabenverteilungmuss eine klare Ausgabenverantwortung folgen: Wer bestellt,bezahlt.

� Nur noch begrenzt wird über Art und Intensität der kommunalenAufgabenerfüllung tatsächlich in den Kommunen entschieden.Zwar verpflichtet der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebens-verhältnisse Bundes- und Landesgesetzgeber dazu, viele Aufga-ben einheitlich zu regeln, um, wie z.B. im Sozialbereich und beiKindergartenplätzen, ein bundesweit gleichwertiges Versorgungs-niveau bei öffentliche Leistungen zu gewährleisten. Die Rege-lungsdichte durch Bundes- und Landesgesetze und -verordnun-gen und ihr Detailgrad wie auch ein einheitliches, unflexiblesDienstrecht drohen aber die Vorteile des föderalen Staatsaufbaus

Page 15: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

15

in Deutschland zu ersticken und bedeuten eine Verletzung desPrinzips der Autonomie der Kommunalverwaltung.

� Durch die Rücknahme von Regelungsdichte und Detailvorga-ben sind die Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnisse in denKommunen zu stärken. Mehr lokale und regionale Eigenstän-digkeit sind Grundlage für mehr bürgernahe und präferenzge-rechte Entscheidungen wie auch für mehr Wettbewerb als Vor-aussetzung für einen kreativen und innovativen Entwicklungs-prozess in der Gesellschaft. Die Regelungen sind, soweit dasverfassungsrechtlich möglich ist, auf ein Mindestversorgungsni-veau zu beziehen (Welche Aufgabe soll geleistet werden?). DieKommunen müssen die Aufgaben in Eigenverantwortung er-füllen (Wie soll die Aufgabe erbracht werden?). Die Zahlungs-bereitschaft der Nutzer soll schließlich das Niveau kommunalerLeistungen mitbestimmen (Welcher Standard soll zu welchemPreis erfüllt werden?).

� Durch die Eingriffe von Bund und Ländern in die kommunalenSteuern sind in der Vergangenheit die autonom bestimmbarenBesteuerungsgrundlagen der Kommunen immer weiter eingeengtworden. Damit ist ihre verfassungsrechtlich garantierte Finanzau-tonomie und damit auch ihre Funktionsfähigkeit in Frage gestellt.Die Einengung der Gewerbesteuer auf die BemessungsgrundlageGewinn, die Ausweitung der Gewerbesteuerumlage, auch dieEinführung einer separaten, in die Entscheidungsfreiheit der Län-der und nicht der Kommunen fallenden Kompensationszahlungzum Familienleistungsausgleich und die Beteiligung der Gemein-den an den steuerpolitischen Beschlüssen des Bundes und derLänder (z.B. Kindergeld) sind Beispiele föderalismusfeindlicherEingriffe.

� Die Finanzautonomie der Gemeinden und Gemeindeverbändemuss durch eine Verbreiterung autonom bestimmbarer Besteu-erungsgrundlagen gestärkt werden, damit sie ihre verfassungs-rechtlich garantierte Stellung im föderalen Staat erhalten kön-nen.

Page 16: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

16

3 Kommunale Einnahmen

3.1 Eine kommunale Steuer auf das Einkommen derBürger: Die Bürgersteuer

Die Bertelsmann Stiftung schlägt eine direkte kommunale Bürgersteueranstelle des Gemeindeanteils an der Lohn- und Einkommensteuer vor.

Bürger tragen - in der Regel ohne es zu wissen - mit 15 % ihrer Lohn-und Einkommensteuer (und 12 % der Zinsabschlagsteuer) zur Finanzie-rung kommunaler Aufgaben bei. Dieser kommunale Anteil am Aufkom-men fließt den Gemeinden nach einem bundeseinheitlichen Schlüsselals eigene Einnahme von den Ländern zu. Die Städte und Gemeindenerhalten somit lediglich eine zuweisungsähnliche Beteiligung an einerVerbundsteuer ohne lokale Steuerungsmöglichkeiten.

Darüber hinaus erhalten die Gemeinden als Ausgleich für Einnahmen-einbußen beim Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommensteuerdurch den Familienleistungsausgleich (Kindergeld) - anstelle einer sys-temgerechten Erhöhung ihres Steueranteils - seit 1996 eine gesonderteKompensationszahlung aus dem Umsatzsteueranteil der Länder. DieMehrzahl der Länder verteilt diese Finanzmittel nach dem Verteilungs-schlüssel des Gemeindeanteils an der Lohn- und Einkommensteuer unddamit als eigene Einnahmen der Gemeinden. Einzelne Bundesländerhaben diese Finanzmittel aber in den kommunalen Finanzausgleich in-tegriert und damit zweckentfremdet. Die ursprünglich kommunale Steu-erbeteiligung ist so zur Landeszuweisung an die Kommunen degene-riert.

Die Bertelsmann Stiftung bewertet die „Verteilungspraxis“ beim Ge-meindeanteil an der Lohn- und Einkommensteuer als einen gravieren-den Verstoß gegen das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz. Die Aus-gestaltung dieser Einnahmequelle stellt in den Gemeinden keine Bezie-hung zwischen dem Leistungsangebot, der Leistungsinanspruchnahmeund der Zahlungsverantwortung her. Die Konsequenzen daraus scha-den einer nachhaltigen und bürgerschaftlichen Kommunalpolitik:

Page 17: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

17

� Die fehlende Fühlbarkeit und daraus resultierend das unzurei-chende Bewusstsein für Kosten und Finanzierungslasten kommu-naler Leistungen auf Seiten der Bürger

� mindern das Interesse an Kommunalpolitik, bürgerschaftlichemEngagement sowie das Verantwortungsgefühl für das eigenelokale Lebensumfeld und

� fördern die Anspruchsmentalität gegenüber kommunalen Leis-tungen.

� Die fehlende Beziehung der kommunalpolitischen Akteure zumkommunalen Steuerzahler begünstigt auf Seiten der Kommunal-politik und der Verwaltung

� eine Missachtung der lokalen Präferenzen der Bürger und

� unwirtschaftliches Verhalten,

� weil der Sachzusammenhang von Aufgabenwahrnehmung,Ausgabenbelastung und finanzieller Deckung aus Steuermittelnweitgehend verloren geht. Schließlich hat

� die demokratisch bestimmte Rechenschaftspflicht der Politikkeine vollständige Basis und ist mithin nur unvollkommen mög-lich.

� Die fehlende Beeinflussbarkeit der Höhe des Gemeindeanteils ander Lohn- und Einkommensteuer durch die Gemeinden hat zurFolge, dass die kommunalpolitischen Akteure den Bürgern keinealternativen Angebote über Art, Umfang und Intensität - und damitKosten - kommunaler Leistungen unterbreiten können und diesekeine Möglichkeit haben, ihre Präferenzen durch eine unterschied-liche Zahlungsbereitschaft stärker zum Ausdruck zu bringen.

Die Kompensationszahlung für den Familienleistungsausgleich verstärktdiese Mängel. Mit ihr steigt die Komplexität des Gemeindefinanzsystemsin unnötiger Weise und die Intransparenz der föderalen Finanzbezie-hungen nimmt zu. Zusammen mit dem zusätzlichen und in Teilen auchrealisierten Einfluss der Länder auf den Verteilungsmodus stellt dieKompensationszahlung folglich eine weitere gravierende Fehlentwick-lung im Gemeindefinanzsystem dar. Gerade dort, wo der Bürger der

Page 18: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

18

Verausgabung seines Geldes am nächsten ist, fehlt ein wesentlichesElement zur Weiterentwicklung eines Bürgerstaates.

Vor diesem Hintergrund plädiert die Bertelsmann Stiftung für eine Ab-kehr vom seit mehr als 30 Jahren praktizierten Gemeindeanteil an derLohn- und Einkommensteuer. Wir bevorzugen eine direkte kommunaleBürgersteuer.

Im internationalen Vergleich ist die deutsche Art der intransparentensteuerlichen Beteiligung der Bürger an den kommunalen Aufgaben eherdie Ausnahme. In anderen Ländern wird auf die direkte Steuerquellemehr Wert gelegt:

� Schweiz: Die Kommunen erheben entsprechend ihren Ausgabeneinen von ihnen selbst festzulegenden Zuschlag auf die progressi-ven kantonalen Einkommenssteuern der natürlichen Personen.Auf gleiche Weise besteuern sie deren Vermögen.

� Belgien: Die Kommunen erheben einen Zuschlag auf die progres-sive staatliche Einkommensteuer.

� Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland: Die Kommunenerheben einen proportionalen Steuersatz auf das Einkommen;diese Einnahmequelle bildet das Rückgrat der Gemeindefinanzie-rung.

� Japan: In der als Trennsystem eingerichteten Einkommensbe-steuerung können die Kommunen auf der Grundlage einer für allestaatlichen Ebenen einheitlichen Bemessungsgrundlage eigeneSteuern erheben.

� USA: Es besteht kein bundesweit einheitliches System. Die Be-steuerung der Einkommen von Bürgern durch die Kommunen istindividuell und ausdifferenziert, im Volumen und Verbreitung ehervon geringer, aber langsam zunehmender Bedeutung.

Eine direkt erhobene kommunale Bürgersteuer wird von den Betroffe-nen nicht zwangsläufig als Belastung empfunden. Sie kann sogar miteiner hohen Zustimmung zum demokratischen System verbunden sein.In Dänemark z.B., einem Land mit einer direkten lokalen Bürgersteuerund vergleichsweise hohen Steuersätzen, sind rd. 75 % der Bevölke

Page 19: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

19

rung mit dem demokratischen System zufrieden, während es inDeutschland derzeit lediglich rd. 50 % sind.

Die Bertelsmann Stiftung befürwortet eine direkt am zu versteuerndenEinkommen der Bürger ansetzende kommunale Bürgersteuer. JedemSteuerpflichtigen soll dabei - wie jetzt bei der Gewerbesteuer - ein Steu-erbescheid von der Gemeinde zugesandt werden, der ihm verdeutlicht,mit welchem Betrag er zur Finanzierung kommunaler Leistungen heran-gezogen wird. Dies stärkt die Wahrnehmung der Bürger für die Kostenkommunaler Dienstleistungen und lässt das Interesse an der kommu-nalen Politik wachsen. Mit ihrer Wahlentscheidung könnten die Bürgerdann bei jeder Kommunalwahl zusammen mit ihrem Votum für eines dervon den Parteien und Wählervereinigungen vorgestellten Pakete auchdie Höhe der Steuerbelastung mitbestimmen und innerhalb der Legis-laturperioden unter Nutzung verschiedener Beteiligungsformen Prioritä-ten für den Einsatz der Mittel setzen. Auch Politik und Verwaltungmüssten so im Umgang mit den Steuergeldern der Bürger transparenterund damit sensibler und verantwortungsvoller werden.

Da auf der kommunalen Ebene der Gedanke der gruppenmäßigen Ä-quivalenz im Vordergrund steht, ist für die Bürgersteuer ein proportio-naler, d.h. für alle Bürger gleicher Steuersatz auf die Bemessungs-grundlage anzusetzen. Das Existenzminimum bleibt auch hierbei steu-erfrei. Der progressive, die Leistungsfähigkeit berücksichtigende Steu-ertarif ist allein der Bundesebene vorbehalten. Der Bundestarif würde,wie in der folgenden Abbildung schematisch dargestellt, auf den kom-munalen Tarif aufsetzen.

Page 20: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

20

Gre

nzst

euer

sätz

e

Bemessungsgrundlage zu versteuerndes Einkommen

kommunaler Steueranteil (ca. 3,5 %)

Steueranteil des Bundes und der Länder

steuerfreies Existenzminimum

Ein progressiver Steuertarif auf der kommunalen Ebene ist in einem fö-deralen System nicht sachgerecht:

� Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben die Aufgabe, lo-kale Güter und Dienstleistungen kontinuierlich bereitzustellen. Ei-ne interregional einheitliche, sozial- bzw. gesellschaftspolitischmotivierte Umverteilung von Einkommen ist dagegen Aufgabe derzentralen Staatsebene.

� Ein progressiver Steuersatz auf der kommunalen Ebene würde dieAufkommensdisparitäten zwischen den Gemeinden wegen derStreuung des steuerbaren Einkommens deutlich verstärken unddamit den Finanzausgleichsbedarf erhöhen.

Die Einführung der Bürgersteuer soll im Volumen aufkommensneutralden Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommensteuer und die Kom-pensationszahlung im Familienleistungsausgleich ersetzen. Hierfür wäreein Steuersatz von ca. 3,5 % notwendig. Dementsprechend ist einegleichwertige Senkung des Einkommensteuertarifs für Bund und Ländervorzunehmen. Die neu eröffnete Möglichkeit der kommunalen Einfluss-nahme auf den Steuersatz wird im Weiteren zu lokalen Differenzierun-gen der Steuersätze führen. Maßgebend ist dabei die Abstimmung zwi-schen den kommunalen Aufgaben und den dazu notwendigen Steuer-einnahmen entsprechend den lokalen Prioritäten und Wünschen. DieÖffnung des Steuersatzrechts für die Landkreise ist vor diesem Hinter-grund ebenfalls zu prüfen!

Page 21: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

21

Grundsätzlich sollte für die Erhebung der Steuer das Wohnortprinzipgelten. Für betriebliche Einkommen aus Personengesellschaften, beidenen keine Identität von Wohn- und Arbeitsort vorliegt, ist im Sinne ei-nes Interessenausgleichs zwischen Arbeits- und Wohnort eine Auftei-lung des Steuerbetrages abzuwägen. Hierüber kann allerdings nur inKenntnis der tatsächlichen Reform der kommunalen Wirtschaftssteuerund der daraus resultierenden Wirkungen entschieden werden.

Der Verwaltungsaufwand für die Bürgersteuer dürfte angesichts fort-schreitender Möglichkeiten der Datenverarbeitung gering sein und inkeinem Verhältnis zu den gewonnenen Vorteilen stehen.

Die direkte lokale Besteuerung der Löhne und Einkommen wird eine et-was größere Streuung des Steueraufkommens unter den Gemeindenhervorrufen als der Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommensteu-er, einschließlich der Kompensationszahlung für den Familienleistungs-ausgleich (derzeitiges System). Diese Streuung liegt aber deutlich unterderjenigen, die sich beim kommunalen Hebesatzrecht auf die durch denprogressiven Tarif bestimmte Lohn- und Einkommensteuerschuld ein-stellen würde (einer der aktuellen Reformvorschlag). Auch für vieleKommunen in Ostdeutschland dürfte sich eine Verbesserung gegenüberdem Status Quo einstellen.

Wenn allein die Bürgersteuer eingeführt würde, verbliebe jedoch einZielkonflikt zwischen einer bedarfsgerechten interkommunalen Steuer-verteilung und den allokativen Vorzügen einer kommunalen Bürgersteu-er mit Hebesatzrecht. Gerade den besonders strukturschwachen Ge-meinden und Regionen, die über viele Jahre durch die zunehmendeVerengung der Gewerbesteuer auf den Gewinn und durch die gleichzei-tig wachsenden Sozialausgaben benachteiligt wurden, würden weitereBelastungen auf der Einnahmenseite zugemutet werden. Zumindestdort würde sich kurzfristig die kommunale Finanzkrise verstärken. Die i-solierte Einführung einer kommunalen Bürgersteuer ist deshalb kein Zielder Bertelsmann Stiftung. Der übliche Verweis auf die Ausgleichsfunkti-on des Finanzausgleichs würde als Lösung des Problems hier nur wenigüberzeugen. Schon heute ist die Ausgleichsintensität in den kommuna-len Finanzausgleichssystemen der Bundesländer sehr hoch. SteigendeEinnahmendisparitäten würden letztlich den Druck auf den kommunalenFinanzausgleich nur weiter erhöhen. Damit würde auch die gewollt stär

Page 22: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

22

kere Effizienzorientierung des Steuersystems durch den kommunalenFinanzausgleich unterlaufen werden. Die Einführung der kommunalenBürgersteuer ist deshalb aus Sicht der Bertelsmann Stiftung nur sinnvollund zulässig, wenn sie im Verbund mit der Umsetzung der anderenReformmaßnahmen erfolgt, insbesondere der kommunalen Wirtschafts-steuer. Der Streuungszunahme durch die Bürgersteuer steht eine Ver-ringerung der Streuung durch die in diesem Papier vorgeschlageneEinführung einer breit angelegten kommunalen Wirtschaftssteuer ge-genüber. Die Entlastung der Kommunen von hohen Sozialausgabendurch die geforderte konsequente Berücksichtigung des Konnexi-tätsprinzips führt ebenfalls zu einer weiteren Entlastung im Gesamtsys-tem der Gemeindefinanzen und insbesondere in strukturschwachenKommunen (etwa in Ostdeutschland und im Ruhrgebiet).

Unter dieser Prämisse geht die Bertelsmann Stiftung auch davon aus,dass es nur begrenzt zu steuerlich motivierten Stadt-Umland-Wande-rungen kommen wird. Die gewollte Fühlbarkeit der Bürgersteuer wirdunzweifelhaft das Verhalten der Bürger beeinflussen. Eine Wande-rungsentscheidung wird aber - wie im Fall von Wirtschaft und Gewerbe-steuer - nicht allein auf einen Steuersatz gegründet. Sie erfolgt in derAbwägung verschiedener Faktoren wie Arbeitsplatzpotenzial, Wohnort-zufriedenheit, Wunsch nach einem Eigenheim, Versorgung mit öffentli-chen Infrastrukturen etc. Zu diesem Kanon fügt sich der Steuersatz derBürgersteuer hinzu. Dabei spricht der eher niedrige kommunale Steuer-satz von 3-4 % und daraus resultierenden geringen interkommunalenDifferenzen gegen einen wesentlichen Einfluss. Der Steuersatz kann a-ber das Zünglein an der Waage sein, wenn alternative Standorte einegleichwertige Attraktivität aufweisen. Dies sollte für die Kommunen einAnreiz sein, gleichartige öffentliche Güter möglichst effizient zu erstel-len.

Page 23: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

23

3.2 Eine kommunale Steuer für die lokale Wirtschaft:Die Wirtschaftsteuer

Die Bertelsmann Stiftung schlägt eine kommunale Wirtschaftssteuervor, die auch Freiberufler sowie die Land- und Forstwirtschaft erfasst.

Derzeit wird die Wirtschaft im Rahmen der kommunalen Steuergesetz-gebung nur über die Gewerbesteuer fühlbar zur Finanzierung kommu-naler Leistungen herangezogen. Als wirtschaftsbezogene Kommunal-steuer ist sie jedoch mittlerweile vollkommen degeneriert:

� sie weist regional große Aufkommensunterschiede auf;

� ihr Aufkommen schwankt periodisch sehr stark;

� sie wird nur von einer geringen Zahl von Unternehmen getragen,die deshalb umso stärker belastet werden;

� mit der Gewerbesteuerumlage besteht für Bund und die Länderein Instrument, mit dem sie - wie sich immer wieder gezeigt hat -zur Sicherung ihrer eigenen Haushalte in den kommunalen Steu-ertopf greifen.

Die Bertelsmann Stiftung ist deshalb der Auffassung, dass die Gewer-besteuer in ihrer jetzigen Form nicht weitergeführt werden darf.

Ebenso darf der erst 1998 eingeführte Gemeindeanteil an der Umsatz-steuer nicht als Ersatz für eine Gewerbesteuer ausgebaut werden. Die-ser wird zwar nach wirtschaftsbezogenen Kriterien verteilt, kann abernicht als originärer Steuerbeitrag der Wirtschaft aufgefasst werden.Wegen fehlender lokaler Fühlbarkeit bei den Unternehmen (keine Inte-ressenklammer) wie auch mangelnder Beeinflussbarkeit durch dieKommunen (kein Hebesatzrecht) eignet er sich nicht als wirtschaftsbe-zogene Kommunalsteuer.

Im internationalen Vergleich ist eine kommunale Wirtschaftssteuer inunterschiedlicher Ausprägung anzutreffen:

� Österreich: Als betriebliche Kommunalsteuer wird eine Lohnsum-mensteuer erhoben. Steuerpflichtig sind Gewerbetreibende, Frei-berufler, Land- und Forstwirte und Vermieter. Die Kommunen ha-ben allerdings kein Hebesatzrecht.

Page 24: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

24

� Frankreich: Es besteht eine Gemeindewirtschaftsteuer für Gewer-betreibende und Freiberufler (taxe professionnelle). Besteuertwerden der Katastermietwert (tatsächlicher oder fiktiver Miet- oderPachtzins der Wirtschaftsgüter) und 18 % der Lohnsumme. DieBesteuerung der Lohnsumme ist seit 1999 gemindert und wird ab2003 entfallen.

� Italien: Es besteht eine Steuer auf produktive Tätigkeiten (IRAP).Besteuert wird die Wertschöpfung (Betriebserfolg) laut Handels-bilanz im Inland.

� Großbritannien: Für eine lokale Wirtschaftssteuer wird der fiktiveNettojahresmietwert der betrieblich genutzten Grundstücke, derMaschinen und des Inventars als Besteuerungsgrundlage heran-gezogen (business rate).

� Norwegen: Es wird eine Investitionssteuer für die Inbetriebnahmedauerhafter Betriebsmittel erhoben.

� USA: Es bestehen in einigen Bundesstaaten gewerbesteuerähnli-che Steuern, bei denen der Gewinn, Kapital, Art des konzessio-nierten Geschäftsbetriebs und die Lohnsumme, teilweise differen-ziert nach Unternehmensarten, besteuert werden.

Die ausgewählten Beispiele belegen, dass kommunale Wirtschaftsteu-ern keine deutsche Ausnahme darstellen, sondern lediglich in unter-schiedlicher Ausprägung existieren. Dabei werden auch Besteuerungs-tatbestände mit Bezügen zu gewinnunabhängigen Komponenten defi-niert (z.B. Investitionen), die in Deutschland bisher nicht zum Einsatzkamen. Auch Gliedstaaten (z.B. in Kanada und Australien) greifen aufgewinnunabhängige Besteuerungselemente zu.

Die kommunale Wirtschaftsteuer ist als kollektive Gegenleistung derUnternehmen für die Bereitstellung der kommunalen Infrastruktur sinn-voll. Schließlich fließt die Infrastruktur als Vorleistung in die Produktionder Unternehmen ein und trägt damit zur Erzeugung privater Wert-schöpfung und zur Erzielung von Gewinnen bei. Wie andere betrieblicheVorleistungen können aber auch kommunale Leistungen nicht zumNulltarif bereitgestellt werden. Das Interesse der Unternehmen an einerdauerhaft funktionsfähigen Infrastruktur muss deshalb sein Gegenstückin einem kontinuierlichen Finanzierungsbeitrag finden. Die Gewerbe

Page 25: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

25

steuer ist i.d.R. kein zentraler Hinderungsgrund für die Ansiedlung vonUnternehmen. Standortfaktoren wie Arbeitskräfte, lokale und regionaleInfrastrukturen, Bildung u.ä., sowie deren Qualität sind für Unternehmenvon deutlich größerer Bedeutung als die Gewerbesteuer.

Verschiedene Reformmodelle sind derzeit als Alternativen in der Dis-kussion. Sie reichen von allein gewinnorientierten Steuern bis hin zuSteuervorschlägen, die sich an die Wertschöpfungssteuer anlehnen, a-ber versuchen, deren Nachteile hinsichtlich der internationalen Steuer-konkurrenz auszugleichen. Der Bertelsmann Stiftung ist wichtig, dassder Ersatz für die derzeitige Gewerbesteuer wieder bewährten finanz-wissenschaftlichen Prinzipien folgt:

� Der Kreis der Steuerpflichtigen muss unter Beibehaltung einer di-rekten Besteuerung auf die breite Basis aller Nutzer kommunalerLeistungen aus der Wirtschaft (Unternehmen, Freiberufler etc.)gestellt werden. Das

� stärkt durch eine breite Fühlbarkeit das Band zwischen Wirt-schaft und Kommune (Prinzip der Gruppenäquivalenz und derdemokratische Partizipation),

� senkt die Steuerlast der derzeit wenigen tatsächlichen Steuer-zahler (Steuergerechtigkeit, Allgemeinheit der Besteuerung)und führt zu einer die internationale Wettbewerbsfähigkeitkaum belastenden niedrigen durchschnittlichen Besteuerungder einzelnen Steuerpflichtigen,

� verringert die Streuung des Steueraufkommens zwischen denKommunen und senkt damit den horizontalen Ausgleichsbedarfdes kommunalen Finanzausgleichs,

� sichert den Kommunen eine Verstetigung der Einnahmen durchMinderung des Ausfallrisikos auch bei konjunkturellen Schwan-kungen und

� bietet eine stabilere Absicherung gegen die lokale Abhängigkeitvon einer einseitigen Wirtschaftsstruktur.

� Hinsichtlich der Bemessungsgrundlage ist eine Entscheidung zwi-schen dem alleinigen Bezug auf den Gewinn bzw. das Einkom

Page 26: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

26

men und der Einbeziehung gewinnunabhängiger Wertschöp-fungsbestandteile zu treffen.

� Der alleinige Bezug auf den Gewinn bzw. das Einkommen dientnur oberflächlich den Interessen der Wirtschaft und insbeson-dere exportorientierten Unternehmen. Die damit verbundeneZunahme der Konjunkturreagibilität des kommunalen Steuer-aufkommens führt zur Unsicherheit der Finanzierung der kom-munalen Infrastruktur, an der die Unternehmen wiederum einInteresse haben. Das Beispiel der Körperschaftsteuer, derenAufkommen im Jahr 2001 um 24 Mrd. Euro auf einen Minusbe-trag abgerutscht ist, zeigt, welche Einschnitte Kommunen imschlimmsten Fall erwarten müssen. Der einseitige Bezug aufden Gewinn kann deshalb keine hinreichende Basis für einekommunale Wirtschaftsteuer sein.

� Gewinnunabhängige Wertschöpfungsbestandteile sind als Be-steuerungsgrundlagen für eine stetige Finanzierung der Kom-munen von größerem Vorteil. Der vergleichsweise feste Aufga-benkanon der Kommunen lässt - im Gegensatz zu Bund undLändern - nur eine begrenzte Ausgabenflexibilität zu.

Vor dem Hintergrund eines beide Seiten berücksichtigenden Interes-senausgleichs präferiert die Bertelsmann Stiftung diejenigen Modelle,die die kommunale Wirtschaftsteuer auf eine breite, wertschöpfungsori-entierte Grundlage stellen. Je umfassender die Nutzer kommunalerLeistungen erfasst werden (Unternehmen, Freiberufler, Land- undForstwirtschaft etc.) und je breiter die Bemessungsgrundlage ist, destoniedriger kann der Steuersatz angesetzt und damit die Steuerbelastungbegrenzt werden.

Page 27: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

27

3.3 Eine kommunale Steuer auf Grundstücke undImmobilien:Die Grundsteuer

Die Bertelsmann Stiftung schlägt ein einfaches und an den tatsächlichenWerten orientiertes Bemessungsverfahren der Grundsteuer B sowie de-ren Ausdehnung auf öffentliche Einrichtungen vor.

- Grundsteuer B -

Die Grundsteuer B bildet zur Zeit die dritte, quantitativ aber weniger be-deutsame Säule der Kommunalsteuern. Das lokale Aufkommen dieserKommunalsteuer kann von den Kommunen durch die Möglichkeit derHebesatzvariation autonom bestimmt werden. Angesichts der Immobili-tät des Steuergegenstands sind Hebesatzfestlegungen vergleichsweiseunproblematisch für die Kommunen. Dieses haben sie in der Vergan-genheit durch deutliche Hebesatzerhöhungen reichlich genutzt. Ange-sichts der bereits Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts er-reichten und nicht mehr weiter zu erhöhenden steuerlichen Belastungder Gewerbebetriebe mit der Gewerbesteuer und der fehlenden Ein-flussmöglichkeiten auf den kommunalen Einkommensteueranteilverblieb den Kommunen allein die Grundsteuer B – die Grundsteuer Awar kaum von Bedeutung – als steuerpolitisches Instrument zur Ein-nahmenerhöhung.

Die Grundsteuer B ist wegen der Immobilität des Steuergegenstandeseine ideale Kommunalsteuer. Zugleich weist sie einen spezifischen Zu-sammenhang zwischen kommunaler Leistung und ihrer Finanzierungauf, zumal auch Volumen und Struktur kommunaler Infrastrukturleistun-gen den wirtschaftlichen Wert des Grundvermögens entscheidend mit-bestimmen. Die derzeitige Ausgestaltung der Grundsteuer B ist jedochin mehrfacher Hinsicht zu kritisieren.

� Sie beinhaltet Mängel in der monetären Bewertung des Steuerge-genstandes (z.B. die aufwändige Einheitsbewertung bei der Erst-einstufung der Bemessungsgrundlage, die veraltete Bewertungs-grundlage).

Page 28: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

28

� Sie belastet Miethäuser höher als Ein- und Zweifamilienhäuser(Tarifungleichheit).

� Sie gibt den Kommunen Anreize zum Freiflächenverbrauch durchBaulandausweisungen, was angesichts der bestehenden hohenSiedlungsdichte und nichtvermehrbarer Boden- und Naturressour-cen immer problematischer wird.

Eine Grundsteuer wird in fast allen Industriestaaten erhoben, z.B.:

� USA und Kanada: property tax,

� Australien: rates,

� Großbritannien: council tax auf privat genutzte Grundstücke undbusiness tax auf gewerbliche Grundstücke,

� Frankreich: taxe foncière und taxe d’habitation,

� Dänemark: Bodenwertsteuer,

� Norwegen: Grundsteuer.

In allen Fällen ist die Bewertung von Grundstücken bzw. Gebäudenproblematisch und eine Lösung scheint nirgends vollständig überzeu-gend gelungen.

Die Besteuerung der Flächennutzung soll nach Meinung der Bertels-mann Stiftung erhalten bleiben. Die Immobilität des Steuergegenstandist Grundlage für eine äquivalenzbezogene Besteuerung und eine steti-ge Einnahme (fiskalisches Ziel). Eine Reform soll die Bewertungs- undTarifgerechtigkeit stärken und durch die Einführung pauschalierter Ver-fahren den Verwaltungsaufwand bei der Bewertung vereinfachen.

� Die Bewertung der Grundstücke soll sich an den tatsächlichenaktuellen Werten orientieren. Hierzu können die Bodenrichtwerteder Gutachterausschüsse herangezogen werden. Alle fünf Jahrewäre dann eine vergleichsweise problemlose Aktualisierung aufder Basis des Liegenschaftskatasters vorzunehmen.

Es ist sicherzustellen, dass bei gravierenden Änderungen der Flä-chennutzungsausweisung bestehende Nutzungen durch Wertstei-gerungen und damit Erhöhungen der Steuer nicht verdrängt wer-den. Stadtentwicklungspolitische Ziele dürfen nicht über die

Page 29: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

29

Grundsteuer B verfolgt werden. Hierfür sind Instrumente des Bau-rechts heranzuziehen.

� Die Bewertung der Gebäude soll sich an der tatsächlichen Nut-zung orientieren. Hierzu können vereinfachte Ertragswerte heran-gezogen werden.

� Auf die Bewertungen sollen zur rechtlichen Absicherung Sicher-heitsabschläge von mindestens 10 % gewährt werden.

- Grundsteuer A -

Die Grundsteuer A wird in ihrer bisherigen Form abgeschafft. Die Be-steuerung der Land- und Forstwirtschaft wird in die kommunale Wirt-schaftsteuer eingebunden.

4 Kommunale Aufgaben und Ausgaben

Die Bertelsmann Stiftung schlägt die verbindliche Einführung des Kon-nexitätsprinzips sowie die Flexibilisierung der gesetzlich vorgegebenenRahmenbedingungen für die kommunale Aufgabenerfüllung vor.

Die Krise der Gemeindefinanzen ist nicht allein eine Krise der Einnah-men. Das Gemeindefinanzsystem steht auch auf der Aufgabenseiteunter hohem Anpassungsdruck. Dieser resultiert aus

� der andauernden Übertragung von Aufgaben durch Bund undLänder an die Kommunen, ohne die Kostenfrage zu regeln,

� der schnellen Veränderung der Lebens- und Arbeitswelt, die andie Kommunen neue Anforderungen stellen,

� dem in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten kaum noch abzu-wendenden erheblichen Bevölkerungsrückgang und den Ver-schiebungen in der Altersstruktur, wodurch es im Niveau wie auchin der Struktur zu Bedarfsverschiebungen bei kommunalen Leis-tungen kommen wird,

� der allgemein hohen Steuer- und Abgabenbelastung in Deutsch-land, die eine Erhöhung der Abgabenquote nicht erlaubt und ehereine Senkung und damit eine Reduktion von Aufgaben nahe legt.

Page 30: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

30

Den Anpassungserfordernissen stehen jedoch erhebliche Hemmnissegegenüber:

� Die Aufgaben sind den Kommunen zum weitaus überwiegendenTeil gesetzlich vorgegeben. Lediglich bei freiwilligen Aufgabenverfügen sie - sofern es die Finanzen erlauben - über echte Ges-taltungsmöglichkeiten.

� Neben den aufgabenbezogenen Einengungen der kommunalenHandlungsspielräume hindert ein unflexibles Dienstrecht die Ge-meinden und Gemeindeverbände zudem daran,

� ihre Organisationsstruktur den neuen Anforderungen zügig an-zupassen,

� die Motivation der Mitarbeiter durch Leistungsanreize zu stei-gern und

� insgesamt die Effizienz der Aufgabenwahrnehmung zu erhö-hen.

� Letztlich führt auch das kameralistische Haushaltsrecht der Kom-munen zu einem intransparenten Mitteleinsatz mit der Folge, dasssowohl die Grundlage für eine effiziente Aufgabenwahrnehmungals auch eine individuelle Kostenverantwortung fehlt.

Die Reform des Gemeindefinanzsystems muss folglich auch auf derAufgabenseite einen Kurswechsel einleiten:

� Für die Aufgabenübertragung an die Kommunen muss das Kon-nexitätsprinzip bestimmend sein, d.h. dass für von Bund und Län-dern „verordnete“ Aufgaben auch eine entsprechende Finanzie-rung sichergestellt sein muss. Wer eine Aufgabe oder Ausgabeprägt, steht auch an erster Stelle bei der Finanzierungsverant-wortung. Um eine wirtschaftliche Aufgabenerfüllung durch dieKommunen sicherzustellen, sind sie aber an den Kosten zu betei-ligen. Die Aufgabenübertragung sollte nur mit einem Minimum an(Durchführungs-)Regelungen für die Kommunen erfolgen. Die Si-cherstellung eines ausreichenden Gestaltungsspielraumes soll dieKreativität und Effizienz in den Kommunen fördern.

Die diesbezüglich wohl größte Korrektur bei übertragenen Aufga-ben besteht im Sozial- und Jugendhilfebereich. Fiskalisch bindet

Page 31: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

31

er in den alten Bundesländern knapp 20 % in den neuen Bundes-ländern knapp 16 % der bereinigten Ausgaben (ohne besondereFinanzierungsvorgänge), Tendenz steigend. Aufgrund der Kon-zentration sozialer Problemlagen vor allem in den Kernstädten fin-den sich hier die höchsten finanziellen Belastungen. Aber auch inregionaler Hinsicht lassen sich große Disparitäten erkennen, sodass die Belastung in strukturschwachen Gebieten auf bis zu23 % ansteigt. Dies liegt vor allem an der mit den wirtschaftlichenProblemen regional differierenden Anzahl von Empfängern derHilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) und der Jugendhilfe.

Die Kommunen sind bei der Sozialhilfe lediglich ausführende undzahlende Organe der Bundes- und Landesgesetzgebung. Ihr Ein-fluss auf die wirtschaftliche Entwicklung und damit auf die Sozial-hilfe wie auch auf die demographische und gesundheitliche Ent-wicklung der Bevölkerung ist begrenzt. Wenngleich in einzelnenProjekten gezeigt werden konnte, dass Kommunen und anderelokale Akteure durch innovative Strategien und Konzepte Erfolgebei der Eingliederung von Empfängern von Sozialhilfe in den ers-ten oder zweiten Arbeitsmarkt erzielen können, liegt die grund-sätzliche Verantwortung und Entscheidungskompetenz beimBund. Solange dieser aber nicht von den finanziellen Folgen sei-ner Entscheidungen (direkt) betroffen ist, sind die Anreize zur Er-arbeitung innovativer Lösungen und grundsätzlicher Reformen fürdie strukturellen Grundprobleme eher gering einzustufen.

Dass derartige Lösungen möglich sind, zeigen die Entwicklungenin anderen Staaten: die Umsetzung des Prinzips „Fördern undFordern“, der Systemwandel der arbeitsmarkt- und sozialpoliti-schen Institutionen durch Verringerung der Schnittstellen der Teil-systeme und Flexibilisierung, die Integration von Leistungen oderauch die Einführung neuer Managementmethoden. Dabei setzendie Staaten unterschiedliche Instrumente ein bzw. kombinierendas arbeitsmarkt- und sozialpolitische Instrumentarium entspre-chend den nationalen Rahmenbedingungen auf verschiedeneWeise. Beispielhaft sei verwiesen auf:

� Niederlande: u.a. Privatisierung der Arbeitsvermittlung,

Page 32: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

32

� Dänemark: u.a. Verkürzung der Bezugszeiten von Hilfeleistun-gen,

� Spanien: Stärkung des Versicherungssystems,

� Schweiz, Großbritannien, USA: u.a. Kombilohnmodelle,

� Singapur: Weiterbildungsfonds

� Österreich: Drei-Zonen-Modell der Betreuung - Kunden(strom)-Management (Selbstinformation der Kunden, Normalbetreuungund -beratung, Betreuung von Problemkunden).

Die Bertelsmann Stiftung stellt fest, dass das originäre Hartz-Papier in die richtige Richtung weist. Diesbezüglich hat die Ber-telsmann Stiftung ein eigenständiges Positionspapier vorgelegt,auf das hier verwiesen werden kann.2 Die ausländischen Bei-spiele zeigen, dass die Reform ein langwieriger Prozess mit vie-len Hindernissen ist. Nachhaltige Erfolge benötigen Jahre.Deutschland steht hier noch am Anfang.

� Hinsichtlich der Aufgabenverteilung in einem föderativen Bundes-staat mit fiskalisch verwobenen Staatsebenen ist grundsätzlich ei-ne stärkere Einbindung der kommunalen Ebene in die Entschei-dung über die Aufgabenverteilung notwendig. Die derzeitige Re-gelung, die den Kommunen lediglich begrenzte Anhörungsrechtegewährt, wird deren Stellung und Aufgabenverantwortung nichtgerecht. Hier ist ein Konsultationsausschuss, wie er z.B. in Öster-reich besteht, eine sinnvolle und notwendige Weiterentwicklungdes staatlichen Abstimmungsprozesses.

� Wesentliches Element für eine Reform der Verwaltungsstrukturenist die Einführung einer dezentralen Ressourcenverantwortung.Dazu gehört eine Verringerung der Regelungsdichte und eineVerkürzung der Entscheidungswege. Die Kommunen müssen denWandel vom aufgabenorientierten Denken zum zielorientiertenHandeln massiv vorantreiben.

� Die Reform des kommunalen Finanzmanagements muss die Re-form der Verwaltungsstrukturen ergänzen und unterstützen. Dazu

2 Bertelsmann Stiftung: Eckpunkte einer Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe

(Positionspapier). Gütersloh, Juni 2002.

Page 33: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

33

ist ein Rechnungswesen einzuführen, dass den Ressourcen-verbrauch offen legt und damit ineffizientes Verwaltungshandelnsichtbar macht.

� Letztendlich ist das Dienstrecht zu flexibilisieren. Es muss Ände-rungen in der Verwaltungsorganisation unterstützen statt sie zublockieren. Ferner sind Elemente einzuführen, die die Motivationund Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter fördern.

5 Finanzausgleich

Die Realisierung der Reformvorschläge verändert die Finanzkraft derKommunen nicht nur absolut, sondern auch relativ untereinander. Inso-fern hat die Reform der Kommunalfinanzen Auswirkungen auf die Fi-nanzmittelverteilung zwischen den Gebietskörperschaften. Sie wirkt ü-ber den bundesstaatlichen Finanzausgleich, wo den Ländern die kom-munale Finanzkraft ihrer Gemeinden teilweise angerechnet wird, auf dieFinanzkraftverteilung zwischen den Ländern. Über den obligatorischenund den fakultativen Steuerverbund sind die Kommunen überdies ander Finanzkraft ihrer Länder beteiligt, so dass es zu weiteren Rückwir-kungen auf die Finanzausstattung der Kommunen kommt. Vor allem a-ber wirkt die Reform auf die Steuerkraftverteilung und die Bedarfsansät-ze (Sozialbereich) zwischen den Gemeinden und Gemeindeverbändenund damit auf ihre Position im Steuerkraft-Bedarfs-Ausgleich der jewei-ligen kommunalen Finanzausgleichssysteme der Länder. Die Umset-zung der Reformvorschläge wird folglich automatisch Reaktionen derkommunalen Finanzausgleichssysteme hervorrufen.

Es ist schlechterdings keine Zuteilung von Steuerquellen denkbar, dieden Gemeinden und Gemeindeverbänden eine bedarfsgerechte Fi-nanzausstattung aus einem „Guss" gewährleistet und damit einenkommunalen Finanzausgleich erübrigt. Neben seiner Funktion der wei-teren Mittelaufstockung wird nach einer Reform der Gemeindesteuernund der Aufgaben- und Ausgabenverteilung der mehrstufige Finanzaus-gleich ein notwendiges ergänzendes Instrument der interkommunalenSolidarität und zur Sicherstellung eines bedarfsgerechten kommunalenLeistungsangebots darstellen. Es wird jedoch noch zu untersuchen sein,wie groß der Ausgleichsbedarf dann sein wird, ob der Finanzausgleich

Page 34: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

34

diese Ausgleichsaufgabe erfüllen kann und ob er die Ziele der Gemein-definanzreform unterstützt oder ihre Wirkung unverhältnismäßig ab-schwächt.

Die derzeitige Steuerausstattung der Kommunen wie auch die sozio-ökonomisch bedingten Bedarfsunterschiede überfordern das Systemdes bundesstaatlichen Finanzausgleichs zunehmend. Gerade als Folgeder Steuerreformen der letzten Jahre divergiert die kommunale Steuer-kraft immer stärker, was das Ausgleichsvolumen zwischen den Kommu-nen, aber auch zwischen den Ländern aufgebläht hat.

Die Bertelsmann Stiftung erwartet, dass die umfassende Umsetzung ih-rer Vorschläge zu den Gemeindesteuern und der Aufgaben- und Aus-gabenverteilung den kommunalen Finanzausgleich - aber auch denLänderfinanzausgleich - generell entlasten wird. Insgesamt sollte dieStreuung der Steuerkraft abnehmen und ihre Entwicklung an Kontinuitätgewinnen.

Leicht benachteiligt würden von einer veränderten Steuerausstattungallerdings diejenigen Kommunen, in denen ein längerfristiger Struktur-wandel stattfindet (z.B. ganze Industriezweige wegbrechen). In diesenStädten und Gemeinden gehen die Steuereinnahmen aufgrund nach-lassender Wirtschaftskraft zurück bzw. stagnieren, während gleichzeitigdie Ausgabenbelastung insbesondere durch wachsende soziale Belas-tungen zunehmen und damit für den Strukturwandel notwendige Investi-tionsmittel binden. Die Transferzahlungen der Länder verdecken oft nurmühsam die prekäre Finanzlage dieser Gemeinden und Gemeindever-bände. Hier könnte sich für einen Teil der Kommunen eine Erhöhungdes Ausgleichsbedarfs einstellen.

Eine Möglichkeit, diese Gefahr eines erhöhten Ausgleichsbedarfs zuverringern, besteht darin, den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer, derfinanzgeschichtlich als Ersatz für die Gewerbekapitalsteuer entstandenist, als niveau- und strukturstabilisierendes Element im Rahmen derGemeindefinanzreform umzubauen. Die Entlastung des kommunalenFinanzausgleichs durch eine tendenziell bedarfsorientierte Umsatz-steuerverteilung (nicht nach wirtschaftsbezogenen Kriterien) verringertdie Gefahr der Pervertierung des Gesamtsystems durch eine zu hoheAusgleichsintensität des Finanzausgleichs. Die Anreizeffekte der drei

Page 35: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

35

vorgeschlagenen kommunalen Kernsteuern würden dadurch nicht ge-schwächt, weil der Finanzausgleich die Ausgleichsintensität nicht erhö-hen sondern sogar senken könnte. Damit könnte auch der kommunaleFinanzausgleich die Ziele der Gemeindefinanzreform unterstützen.

Diese Vorschläge sind kurzfristig mit komplexen Folgen für die Finanz-ausstattung der Kommunen, aber auch der Länder verbunden. Mittel-und langfristig erwarten wir erhebliche Vorteile in Form höherer Eigen-verantwortlichkeit und Bürgernähe der kommunalen Politik sowie einerinsgesamt wirtschaftlicheren und präferenzgerechteren Verwendung derMittel der lokalen Steuerzahler.

6 Gesamtkonzept und Reformperspektive

Die Vorschläge der Bertelsmann Stiftung sind derart angelegt, dass siezielgerecht auf den komplexen Systemzusammenhang eingehen undfolglich eine Einheit bilden. Nur in dieser sind sie logisch. Einzelne Teileder empfohlenen Reform können nicht isoliert gesehen werden, dennsie bauen aufeinander auf und sind aufeinander bezogen. Jedes Her-ausbrechen einzelner Teile unterläuft die Logik des Gesamtvorschlagesund führt zu neuen Verwerfungen. Es darf nicht zu Detailinterventionis-mus kommen, der Systemzusammenhänge ignoriert.

So ist es z.B. wenig sinnvoll, eine kommunale Bürgersteuer einzuführen,die zu einer etwas stärkeren Streuung der kommunalen Steuereinnah-men als der derzeitige Verteilungsmodus führen dürfte, wenn nichtgleichzeitig eine kommunale Wirtschaftssteuer mit breiter Bemessungs-grundlage und umfassendem Kreis der Steuerpflichtigen eingeführtwird, die zu einer Minderung der Streuung beiträgt und damit diesenEffekt kompensiert. Zumindest die Bürgersteuer ist an die umfassendeReform der Wirtschaftssteuer zwingend gekoppelt. Ferner ist einekommunale Bürgersteuer kaum sinnvoll, wenn nicht ebenfalls das Kon-nexitätsprinzip auf der Aufgabenseite umgesetzt wird und damit diekommunalen Aufgaben und Ausgaben weit weniger fremdbestimmtwerden. Die Bürgersteuer würde im Durchschnitt einen Anteil von rd.16-17 % an den kommunalen Einnahmen insgesamt haben. Damit die-ser Anteil nicht allein der Deckung kommunaler Pflichtaufgaben dient,

Page 36: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

36

müssen die kommunalen Handlungsspielräume folglich auch auf derAufgaben- und Ausgabenseite größer werden.

Von der kompletten Umsetzung der Vorschläge erwartet die Bertels-mann Stiftung eine kontinuierlichere Entwicklung der kommunalenSteuereinnahmen, ein bedarfsgerechteres Einnahmenniveau, einegrundsätzliche Verringerung der interkommunalen Einnah-mendisparitäten, eine größere Autonomie der Kommunen und eine di-rektere Beteiligung der Bürger. Aufgrund der Komplexität des Gemein-definanzsystems sowie seiner Rückkopplung mit anderen, z.T. ebenfallsim Reformprozess befindlichen Systemen (Reform der Einkommen- undUnternehmenssteuern, Reform der Rentenbesteuerung, Reform der Ar-beitslosenfinanzierung etc.) ist eine umfassende Bewertung der Wir-kungen nicht möglich.

Die Bertelsmann Stiftung begreift die Gemeindefinanzreform als einenlängerfristigen Prozess, in dem die Beteiligten bereit sein müssen, imVerfahren zu lernen und gegebenenfalls nachzujustieren. Die anstehen-de Gemeindefinanzreform kann nach Meinung der Bertelsmann Stiftungnur ein erster Schritt sein. Sie ist mit weiteren Reformbausteinen zu ver-knüpfen.

7 Bürgergesellschaft und Gemeindefinanzen

In den letzten Jahren ist es zunehmend zu einer Entfremdung zwischenPolitik und Bürgern in Deutschland gekommen. Die repräsentative De-mokratie, unzweifelhaft die erfolgreichste Gesellschaftsform in der Ge-schichte, zeigt in ihrer realen Ausprägung deutliche Schrammen. Einesinkende Wahlbeteiligung - insbesondere auf kommunaler Ebene - istAusdruck der Abkehr vieler von der Politik und eines Misstrauens in dieLösungskompetenz der Politik. Dies ist nicht zu verwechseln mit einemzunehmenden Desinteresse an der Gesellschaft. Nicht zuletzt die großeSolidarität während der Flutkatastrophe im August 2002, belegt, dassdie Menschen in Deutschland eine Gemeinschaft bilden und für sie ein-stehen können - wenn sie dazu eine Gelegenheit bekommen.

Sieht man davon ab, dass es vielfältige, sicherlich auch kontrovers zudiskutierende Ursachen für die Politikentfremdung und Parteienverdros

Page 37: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

37

senheit gibt, so ist der Mangel an Mitwirkungsmöglichkeiten an politi-schen Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen wohl von zentralerBedeutung für die Entfremdung. Wer nicht mitwirken kann, verliert nachdem Interesse auch das Gespür für Verantwortung in der Gesellschaft.Dieser Trend ist umso stärker, je hilfloser sich Bürger gegenüber den zulösenden Problemen fühlen.

Die Gemeindefinanzreform bietet die Gelegenheit, das entstandeneDemokratiedefizit zu mildern. Die direkt am Bürger ansetzende kommu-nale Bürgersteuer ist dazu ein wesentlicher Ansatz. Unabhängig von derAusgestaltung dieser Steuer stärkt ihre Fühlbarkeit das Band zwischenBürgern und Gemeinde bzw. Politik. Die miteinander um die politischeMacht konkurrierenden Parteien könnten ihre kommunalpolitischen Pro-gramme zusammen mit den dafür notwendigen Finanzierungskonzeptendem Bürger zur Entscheidung vorlegen. Dieser stünde dann in der Ver-antwortung, sich mit seiner Wahl auch für die Höhe seines Finanzie-rungsbeitrags zu entscheiden. Hierfür ist es notwendig, die gesetzlichenVorgaben kommunalen Handelns deutlich zu verringern und Hand-lungsspielräume zu schaffen, die Alternativen überhaupt zulassen.

Auf diese Weise wird die in der jüngeren Vergangenheit schon durchElemente wie Bürgerbegehren und Bürgerentscheide erweiterte Beteili-gung der Bürger am kommunalen Willensbildungsprozess nicht nur umeine Finanzkomponente ergänzt. Damit verbunden ist vielmehr der Be-ginn einer ausführlicheren Debatte über die Frage, welche öffentlichenLeistungen in welcher Qualität die Gemeinden aus der Sicht der Bürgerüberhaupt bereitstellen sollen. Dies führt letztlich zur Diskussion überdas Selbstverständnis von Gemeinden und ihrer Einwohner.

Am Wandel des Staatsverständnisses vom alles regelnden zum aktivie-renden Staat sind die Bürger derzeit nur als Zuschauer beteiligt. DieserWandel wird seitens der Akteure in Politik und Verwaltung insbesonderevor dem Hintergrund der erkannten Grenzen der staatlichen Leistungs-fähigkeit betrieben. Der Staat muss nun aber auch den nächsten Schrittwagen. Er muss Beteiligung und Mitsprache in neuen Formen zulassen.Das heißt auch, dass er konkrete Alternativen zur Abstimmung stellt undfragt: „Was soll öffentliche Leistung sein?“. Die Beantwortung dieserFrage prägt das Lebensumfeld jedes einzelnen Bürgers. Die Bürger

Page 38: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

38

sollen und können in Freiheit und Eigenverantwortung in die künftigeEntwicklung ihrer Kommune stärker einbezogen werden.

Damit wird nicht das Prinzip der repräsentativen Demokratie aufgeho-ben, sondern um kooperative und direkte Elemente ergänzt und Demo-kratie wieder gestärkt und belebt.

Demokratie fängt in der Gemeinde an.

Page 39: Reform der Gemeindefinanzen - Bertelsmann Stiftung · 2014-09-13 · Bund, Ländern und EU zu umfangreich. Die Bertelsmann Stiftung be-greift die Gemeindefinanzreform - und ergänzend

39

Impressum

© Bertelsmann Stiftung 2003

Prof. Dr. Marga Pröhl, Birgit Stach, Günter Tebbe, Bertelsmann Stiftung

Redaktion: Gerhard Micosatt

www.bertelsmann-stiftung.de