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REGISTER- BERICHT 2017 extr em r echt erund diskriminier ender Vorfälle in Char lott enbur g- Wilmersdorf im Jahr 2017 AUSWERTUNG

Register Charlottenburg-Wilmersdorf: Register-Bericht 2017 · 2018. 3. 13. · Charlottenburg-Wilmersdorf solche Vorfälle. Wir sammeln sie, werten sie ausund veröffentlichen sie.Für

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REGISTER-BERICHT

2017

extrem rechter und diskriminierender Vorfälle

in Charlottenburg-Wilmersdorf im Jahr 2017

AUSWERTUNG

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Sie sind herzlichwillkommen!Bei uns haben Sie ‘was zu melden!

Das Register Charlottenburg-Wilmersdorfnimmt Beobachtungen und Erlebnisse auf:Rechte und diskriminierende Angriffe,Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien,Hitlergrüße, Sachbeschädigungen,Veranstaltungen, Kundgebungen, Aufkleber,Sprühereien oder Gräberschändungenregistrieren wir. Bitte nehmen Sie Kontakt zuuns oder einer Anlaufstelle auf bei Erlebnissenund Beobachtungen!

Kontakt zu uns:

E-Mail [email protected] +49 (0)1 577 78304208Web www.berliner-register.de

Wenn Sie Opfer, Angehörige*r oder Zeug*ineines Angriffs wurden, wenden Sie sichbitte direkt an die Berliner Opferberatung„ReachOut“: www.reachoutberlin.de

Über uns:wiewir wirken

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Das Register Charlottenburg-Wilmersdorfwurde im Jahr 201 3 eingerichtet. Kern derArbeit ist rechte und diskriminierende Vorfällezu veröffentlichen auf der Webseitewww.berliner-register.de. Sie werdenrecherchiert und gesammelt, ausgewertet undanalysiert. Die Perspektive der Betroffenensteht im Mittelpunkt unserer Arbeit. UnsereSchwerpunkte im Jahr 2016 waren der Ausbauder Quellen und die analytische Begleitung desWahlkampfs Das Register beriet lokale

Akteur*innen und die Bezirkspolitik. Es gabGespräche mit Jugendgruppen. DiePartnerschaft für Demokratie wurde beraten.Es fand ein inhaltlicher Austausch statt. Allezehn Berliner Registerstellen, dieOpferberatung ReachOut und dieAntisemitismus-Recherche des VdK Berlinsowie Amaro Foro standen in engem fachlichenAustausch. Außerdem gibt es eine gemeinsamePresse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Unsere Anlaufstellen in Charlottenburg

Koordinierungsstelle des RegistersSJ - Die Falken BerlinSchloßstr. 19, 14059 Berlin

Amaro ForoKaiser-Friedrich-Str. 19, 10585 Berlin

AStA-Büro Technische UniversitätStr. des 17. Juni 135, 10623 Berlin

Bezirksbüro Die LinkeBehaimstr. 17, 10585 Berlin

Grünen-Wahlkreisbüro PausWindscheidstr. 16, 10627 Berlin

Interkul. Frauen- u. Mädchentreff LiSASpandauer Damm 65, 14059 Berlin

Jugendklub Schloss19Schloßstr. 1 9, 14059 Berlin

Kiez Büro KlausenerplatzSeelingstraße 14, 14059 Berlin

Kreisbüro SPD im RathausOtto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin

SPD-Wahlkreisbüro RadziwillFriedbergstr. 36, 14057 Berlin

SPD-Wahlkreisbüro VerryckenTauroggener Str. 45, 10589 Berlin

Unsere Anlaufstellen in Wilmersdorf

Jugend- und Kulturzentrum SpiraleWestfälische Str. 16a, 10709 Berlin

SPD-Wahlkreisbüro BeckerFechnerstr. 6a, 10717 Berlin

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Weiter auf hohem Niveau:246 Vorfälle in einem Jahr

Das Register Charlottenburg-Wilmersdorfrecherchierte im Bezirk 246 rechte unddiskriminierende Vorfälle im Jahr 2017,7 Prozent mehr als im Vorjahr (Abb. 1).Der Anstieg der Vorfälle seit 2013 fand fastkomplett im Ortsteil Charlottenburg statt.

Insgesamt setzte sich der Trend fort, dass sichdie „Neue Rechte“ in Charlottenburg festsetzt.Dazu zählen unter anderem die Bibliothek desKonservatismus, die Identitäre Bewegung einFirmennetzwerk und Teile der AfD.

139 Vorfälle ereigneten sich allein im OrtsteilCharlottenburg – wie auch in den letztenJahren mit Abstand die meisten. Im OrtsteilWilmersdorf gab es 31 Vorfälle, gering wenigerals im Vorjahr. Die stärksten Anstiege gab es inHalensee und Schmargendorf (s. Seite 4-5).

Rassismus war das häufigste Motiv (77).Antisemitische Vorfälle gab es amzweitmeisten (67). Sie stiegen stark an. DieVerherrlichung des Nationalsozialismus warnoch selten (16), aber es gab einen deutlichenAnstieg (Abb.2).

Die Zahl der Propaganda-Vorfälle bliebkonstant hoch (102). Veranstaltungen rechterGruppen nahmen zu (52). Angriffe (18) gingenerstmals zurück (Abb. 3). Auch Berlin-weitwurden weniger Angriffe als im Vorjahr erfasst.Angriffe sind meistens rassistisch motiviert.

Im Frühjahr und Sommer gab es die meistenVorfälle. Im 3. Quartal wurden 80 Vorfällegezählt – so viele gab es beim Register in nochkeinem Vierteljahr. Am meisten Vorfälle gab esim September (32) rund um die Bundestags-Wahl. Die wenigsten Vorfälle gab es direktdanach im Oktober. Im Durchschnitt passiertealle 1-2 Tage ein Vorfall.

In Berlin gab es 2800 Fälle. Im BerlinerVergleich stand Charlottenburg-Wilmersdorfan 5. Stelle der Berliner Bezirke. In den meistenBezirken gingen die erfassten Vorfälle zurück –nicht so in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Abb. 1: Vorfälle im Bezirk 2013-2017

Abb. 2: Vorfälle nach Motiven, 2017

Abb. 3: Vorfälle nach Vorfalls-Art, 2017

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Ortsteile:Die Neue Rechte hat ihr Zentrum in CharlottenburgDer Kategorie Internet wurden 16Vorfälle zugeordnet. Der AfD-Bundestags-Kandidat NicolausFest hetzte in seinem Webloggegen Minderheiten: „Wir riefenGastarbeiter, bekamen aberGesindel.“ Die Ehe-für-alle nannteer „Päderastie für alle“.Die NPD verbreitete jeden Monatrassistische Hetze auf Facebook.

4 Vorfälle hatten einebezirksweite Bedeutung.

5-mal blieb der Ort unbekannt.

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In Charlottenburg-Nord gab es2 rassistische Angriffe und NS-verherrlichende Graffitis an derAnna-Freud-Schule. Das RegisterCharlottenburg-Wilmersdorfvermutet hier ein besondersgroßes Dunkelfeld. Denn rechts-populistische und neonazistischeParteien haben dort seit Jahrenhohe Zustimmungswerte.

In Grunewald gab es1 antisemitische Beleidigung.

In Westend gab es 12 Vorfälle.Messen und der Kirchentagwurden zum Anlass fürrassistische und antisemitischeAktionen genutzt. Das häufigsteMotiv war Rassismus.Es gab 2 Angriffe.

Abb. 4: Vorfälle nach Ortsteil, 2017. (Die Balken haben den Umrissdes jeweiligen Charlottenburg-Wilmersdorfer Ortsteils.)

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Ortsteile:Die Neue Rechte hat ihr Zentrum in Charlottenburg

Den Schwerpunkt bildete der Ortsteil Charlottenburgmit 139 Vorfällen. Charlottenburg hat die meisten

Einwohner*innen. Viele Menschen mitMigrationsgeschichte leben dort. Viele jüdische

Einrichtungen sind da. Es ist ein Verkehrs-Knotenpunkt. Als ehemalige Innenstadt West-

Berlins übt es eine hohe Identifikation beirechten Akteur*innen aus.

Der Schwerpunkt lag in den SozialräumenOtto-Suhr-Allee, Kurfürstendamm undKantstraße. Wichtige Räumlichkeiten sind dieBibliothek des Konservatismus in der Fasanen-straße und der Ratskeller in der Otto-Suhr-Allee. Außerdem haben zahlreichen Zeitschrif-ten, Vertriebe und Anwaltskanzleien aus derneurechten Szene hier ihren Sitz. Es handeltsich um ein Demokratie-gefährdendes, mani-festes Netzwerk mit bundesweiter Strahlkraft.In Charlottenburg gab es am meisten rechtePropagandavorfälle zur Selbstdarstellung undsehr viele neurechte Veranstaltungen.Es gab 12 Angriffe.

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In Wilmersdorf war die Mehrzahl der VorfällePropaganda (21). Es gab 2 Angriffe. RechteSelbstdarstellung und Rassismus waren amhäufigsten. Der Schwerpunkt lag rund um denVolkspark.

In Halensee gab es 11 Propagandavorfälle.Vermutlich derselbe Täter klebte selbstausgedruckte, krypto-faschistische Aufkleberim Kiez Katharinenstraße. Das Motiv auf derTitelseite wurde im Juli 2017 in der Georg-Wilhelm-Straße gesichtet.

In Schmargendorf gab es 24 antisemitischeBriefe an die israelische Botschaft.

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Studie zur Raumnahme der Neuen Rechten

Die Studie „Machtergreifung beim Mettbrötchen - Raumnahme der Neuen Rechten in Westberlin“ist im Dezember 2017 bei der SJD - Die Falken LV Berlin erschienen. Sie kann beim RegisterCharlottenburg-Wilmersdorf bestellt werden. Sie ist auch auf www.berliner-register.de undwww.falken-berlin.de online abrufbar.

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Art der Vorfälle:Rechte Propaganda ganz vornPropaganda war mit 102 Vorfällen im Jahr 2017die häufigste Vorgehensweise der extremenund populistischen Rechten (2016: 96, 2015: 55).Der Anteil an allen erfassten Vorfällen lag bei41 Prozent. Zu Propaganda zählten NPD-Sticker, Werbung für den neonazistischenRudolf-Heß-Marsch und Plakat-Aktionen derneurechten Identitären Bewegung.

Es gab 62 Bedrohungen, Beleidigungenund Pöbeleien (2016: 39, 2015: 20).36 Beleidigungen warenantisemitisch motiviert.Der Anstieg gegenüberdem Vorjahr liegt daran,dass zwei Quellenerheblich mehr Vorfällemeldeten. 12 Bedrohungenwaren rassistisch motiviert.In keinem Berliner Bezirkgab es so viele Bedrohungen,Beleidigungen und Pöbeleien wiein Charlottenburg-Wilmersdorf.

Es gab 52 Veranstaltungen populistischer undextrem rechter Gruppierungen. Vorträgefanden vor allem in rechten Einrichtungen undHinterzimmern statt. Die Bibliothek desKonservatismus ist ein Veranstaltungsort derNeuen Rechten mit bundesweiter Bedeutung.Die reichsideologische „Gruppe Blauer HimmelBerlin“ traf sich monatlich. Die vom NPD-Funktionär Pieper seit den 1990ernveranstalteten „Dienstagsgespräche“ fandenwieder statt, in Kooperation mit „Bärgida“.

Abb. 5: Vorfälle nach Vorfalls-Art, 2017

„Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Gesindel.“

Nicolaus Fest, Bundestags-Kandidat der AfD am 23. März 2017in seinem Weblog. Nicolaus Fest wertete Zuwanderer*innenab. Er schrieb ihnen pauschale, negative Eigenschaften zu.Der Spruch stammt ursprünglich von Max Frisch. Der sagte:„Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Menschen.“

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Es gab einige Demonstrationen, u.a. vonBärgida und der neonazistische Gruppe„Hand in Hand / Bürgerbündnis Havelland“.Im Juni fand der Qudstag-Marsch statt -mit 600 Teilnehmenden Berlins größteantisemitische Demo.

Es gab 18 Angriffe. Erstmals waren sierückläufig (Anstieg von 2011: 6 auf 2016: 26). Inganz Berlin gab es 2017 insgesamt 265 Angriffe.Im Bezirksvergleich ereigneten sich inCharlottenburg-Wilmersdorf durchschnittlichviele Angriffe. Die Angriffe im Bezirk geschahenzu allen Tageszeiten: nachts, tagsüber und

abends. 4 Angriffe fanden allein im Juni statt, 3im Mai. In den anderen Monaten fanden 1 bis 2Angriffe statt, im April keiner. 10 Angriffefanden auf offener Straße statt. 4 ereignetensich auf Bahnhöfen oder in der U-Bahn. 1Angriff geschah in einer Schule und 1 in einemLaden. 13 waren rassistisch, 3 antisemitischmotiviert. 1 richtete sich gegen den politischenGegner, 1 gegen einen schwulen Mann.

Die Zahlen wurden mit der Opferberatungs-stelle ReachOut abgeglichen.

Es gab 7 rechtsgerichtete und diskriminierendeSachbeschädigungen (2016: 20, 2015: 8). Davonereigneten sich 4 Sachbeschädigungenwährend des Wahlkampfs.

Abb. 6: Handy-Foto eines NS-verherrlichenden Stickers. In Frakturschriftsteht dort: „Es gibt nur ein Deutschland undda ist für die BRD kein Platz mehr!!“

Abb. 7: Diese Mistforke knüpft an den Songvon Xavier Naidoo „Marionetten“ an, derrechtspopulistische und verschwörungs-ideologische Anleihen nimmt. Im Liedtextgibt es eine Drohung an Politiker*innen:Es „sorgt der wütende Bauermit der Forkedafür, dass ihr einsichtig seid“.

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AfD: Rechtspopulismus inder Bezirksverordneten-VersammlungIn der Auswertungsbroschüre des RegistersCharlottenburg-Wilmersdorf für das Jahr 2016wurde geschildert, dass sich die AfD in derBezirksverordnetenversammlung (BVV) alsPartei „gegen Geflüchtete und Muslime“profilierte, die diese Bevölkerungsgruppenmittels zahlreicher Anfragen und Anträgedurchgängig und ausschließlich als „Problem,Kostenfaktor oder Gefährdung“ darstellte.Diese Vorgehensweise hat die BVV-Fraktion derAfD das ganze Jahr 2017 über beibehalten.Mehr als ein Drittel all ihrer kommunal-politischen Initiativen der seit 2016 beschäftigtsich mit vermeintlichen negativen Aus-wirkungen der Anwesenheit von geflüchtetenund muslimischen Menschen. Keinem anderenThema wird von der AfD auch nur annäherndso viel Aufmerksamkeit gewidmet.

Typisch für die Vorgehensweise der AfD ist,dass sie etwa die finanziellen Aufwendungendes Bezirks für „Unbegleitete minderjährigeAsylbewerber“, für arbeits- undwohnungssuchende Geflüchtete oder fürUnterkünfte von Asylsuchenden aufgreift.Bezirksverordnete der AfD versuchen häufig,den – unzutreffenden – Eindruck einerunverhältnismäßigen Höhe dieser Kosten zuerwecken. Mitunter werden auch dieBedürfnisse gesellschaftlicher Gruppengegeneinander ausgespielt, etwa die vonGeflüchteten gegen die von deutschenWohnungslosen. Nach dem schrecklichendschihadistischen Terroranschlag auf denBerliner Weihnachtsmarkt vom 19. September2016 thematisierte die AfD mehrmals lokaleSicherungsmaßnahmen gegen vergleichbareAnschläge. Die Anfragen oder Anträge zu dengenannten Themen wurden von der AfD alsAnlässe genutzt, um während der Debatten inder BVV gegen die Asyl- und Einwanderungs-politik der Bundesregierung zu agitieren. Nach

Einschätzung der MBR versucht die AfD aufdiese Weise, die für lokale Belange zuständigeBVV zur Bühne einer rhetorischen Selbst-Ins-zenierung um rechtspopulistische Identitäts-Themen wie Migration und Islam zu machen.

Einem ähnlichen Schema folgte 2017 auch dasBestreben der BVV-Fraktion der AfD, sich inmehreren Anfragen, Anträgen undWortbeiträgen als Vorkämpferin gegenAntisemitismus zu inszenieren. DurchFormulierungen wie „islamischer Judenhass“oder „importierter Antisemitismus“ wurdedeutlich, dass Vertreter_innen der AfD dasProblem des Antisemitismus vorrangig beiMenschen muslimischen Glaubens und nicht-deutscher Herkunft verorten. Dies kann sobewertet werden, dass die Charlottenburg-Wilmersdorfer AfD das Thema Antisemitismuslediglich im Sinne ihrer nationalistischen undrassistischen Agenda instrumentalisiert.Untermauern lässt sich diese Bewertung durcheinen Blick auf den Umgang der AfD alsGesamtpartei mit antisemitischen Äußerungeneigener Mitglieder: In keinem einzigen derzahlreichen Fälle führten solche Vorkommnissezu dauerhaften Sanktionen, geschweige dennzu Parteiausschlüssen. Noch schwerer wiegendie fundamentalen Angriffe führender AfD-Vertreter_innen gegen die historisch-politischeAuseinandersetzung mit den antisemitischenVerbrechen des Nationalsozialismus.Besondere Bekanntheit erlangten in diesemZusammenhang die Äußerung des AfD-Spitzenpolitikers Björn Höcke vom Januar 2017über die „dämliche Bewältigungspolitik“ undseine Forderung nach einer„erinnerungspolitischen 180-Grad-Wende“.

Gastbeitrag der Mobilen Beratung gegenRechtsextremismus Berlin (MBR Berlin)www.mbr-berlin.de

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Motive: RassistischeAktionen auf hohem NiveauDas häufigste Motiv rechter und diskriminie-render Gewalt war Rassismus (77 Vorfälle).Davon waren 24 Vorfälle direkt gegen Men-schen muslimischen Glaubens gerichtet. Und10 waren antiziganistisch motiviert, sie richtetsich auf rassistische Weise gegen Romnja undRoma. Am häufigsten in der KategorieRassismus waren Propagandaaktionen (38).Dazu zählten Banneraktionen, Flashmobs undStöraktionen der Identitären Bewegung amBreitscheidplatz und beim EvangelischenKirchentag, rassistische Aufkleber und Hetzeim Internet. Es gab 13 rassistische Angriffe. Esfanden 12 rassistische Bedrohungen undBeleidigungen, teils auch von Behörden.Erstmals seit 3 Jahren waren Geflüchteten-Unterkünfte kaum noch ein Ziel.

Rassismus ist die Abgrenzung vonMenschengruppen durch die Zuschreibungwillkürlich festgelegter sichtbarer,unsichtbarer, behaupteter oder wirklicherbiologischer Merkmale. Den Ausgegrenztenwerden negative, biologische und / oderkulturelle Eigenschaften zugeschrieben.

Antisemitismus war 67-mal der Anlass fürVorfälle. Dabei ging es insbesondere umBedrohungen, Pöbeleien und Beleidigungen

(36), die meisten waren Drohbriefe an dieisraelische Botschaft oder das israelischeVerkehrsbüro. Antisemitismus wurde auch inPropaganda (19) ausgedrückt. Antisemitismusist die pauschale Ablehnung des Judentumsund der Jüdinnen und Juden. Seinen Ausdruckfand und findet Antisemitismus in der Verleum-dung, Ausgrenzung, Diskriminierung, Verfol-gung und Vertreibung bis hin zu Versuchen derVernichtung jüdischer Menschen.

Der selbstdarstellerische Auftritt neo-nazistischer und neurechter Gruppierungenwar das dritthäufigste Motiv (63 Vorfälle).Davon gab es 14 Ereignisse im Wahlkampf.Unter anderem hatte die teils rechts-populistische, teils neurechte AfD rassistischePlakate aufgehängt und verteilt. Die

rechtspopulistische KleinstparteiDeutsche Mitte verbreiteteantisemitische Darstellungen.Darüber hinaus gab esmindestens 30 Veranstaltungen.Sie fanden in der Bibliothek desKonservatismus statt. Siewurden von den neonazistischenGruppen „Blauer Himmel Berlin“„Dienstagsgespräche“ und derneurechten „Identitären Bewe-gung“ ausgerichtet. Außerdemwurden 16-mal Aufkleber-Serienrechter und extrem rechterGruppen gesichtet.

16-mal wurde der Nationalsozialismus verherr-licht oder verharmlost, insbesondere in Formvon Aufklebern. Einige riefen zum neonazi-stischen Rudolf-Heß-Marsch in Spandau auf.15-mal stand der Politische Gegner im Fokus.7-mal wurden Lesben, Schwule, Bisexuelle,Transsexuelle/Transgender, Intersexe oderQueers („LGBTTIQ“) Opfer rechter Gewalt,darunter 4 Beleidigungen und 1 Angriff. DieseKategorie erscheint dem Register als starkesDunkelfeld. Ein weiterer Fall richtete sichgegen Wohnungslose.

Abb. 8: Vorfälle nach Motiven, 2017

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10 Empfehlungen:Handeln Sie jetzt!#1 Der Neuen Rechten den Raum nehmen

Die Neue Rechte hat sich im Bezirk festgesetzt: Junge Freiheit, Bibliothek des Konservatismus,Ratskeller, Veranstaltungsräume. Die antifaschistische Zivilgesellschaft muss Strategien entwickeln,der Neuen Rechten demokratische Strukturen entgegenzustellen.

#2 Die Neue Rechte politisch stellen

Die Bezirkspolitik ist gefordert sich der Raumnahme der Neuen Rechten im Bezirk wirksamentgegenzustellen. Die Veranstaltungs- und Gewerberäume im Bezirk bedürfen klarer undentschlossener Handlungen!

#3 Gaststättenpersonal unterstützen

Rechte Veranstaltungsreihen, Netzwerke und Strukturen sollten Gastwirt*innen im Bezirk erkennenlernen, damit die Anmiete-Versuche aufhören.

#4 Gaststättenpersonal ansprechen

Wenn Sie wissen, dass sich rechte Gruppen in ihrer Nachbarschaft treffen, sprechen Sie dieWirt*innen an. Viele werden Ihren Hinweis dankbar aufnehmen und Hausverbote aussprechen.

#5 Aktivwerden in Charlottenburg

Auf die hohen Angriffs- und Vorfallszahlen in Charlottenburg müssen lokale Akteur*innenAntworten finden. Das Gleiche gilt für Antisemitismus. Gegen den Qudstag-Aufmarsch benötigt esverbesserte Handlungsstrategien – auch staatlicherseits.

#6 Sensibilisierung

Anwohner*innen und politische Akteur*innen sollten für die steigenden Vorfälle, insbesondereAngriffe, sensibilisiert werden und passende Antworten entwickeln können.

#7 Propaganda melden

Aufkleber, Plakate und Schmierereien von rechten Parteien, Gruppen und Einzelakteur*innen solltendem Register gemeldet werden. Dazu müssen rechte Szenecodes erkannt werden können.

# 8 Dunkelfelder erhellen

Vor allem in Charlottenburg-Nord sind lokale, zivile Strukturen vonnöten, die sensibel für rechte unddiskriminierende Ereignisse sind. So kann Diskriminierung aufgezeigt und entgegengewirkt werden.Dies gilt auch für Grunewald und Schmargendorf.

#9 Anlaufstelle des Registers werden

Kiezinitiativen, migrantische Selbstorganisationen, Vereine, Jugendklubs, Abgeordnetenbüros:sie alle können Anlaufstelle des Register Charlottenburg-Wilmersdorf werden, in den Kiez wirkenund zur Erhellung des Dunkelfelds beitragen.

# 10 Register fortsetzen

Das Register Charlottenburg-Wilmersdorf wirkt. Es sollte seine Arbeit fortführen. Es sollte seinNetzwerk aus Anlaufstellen ausbauen. Es bedarf einer hinreichenden Finanzierung des Registers –vom Bezirk und vom Land.

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Unser Dank gilt:

Herausgeber*innen: Register Charlottenburg-Wilmersdorf

Autorin, Redaktion: Lea Lölhöffel

Gastautor*innen: Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

Auflage: 1. Auflage (weboptimiert), 2018

Erscheinungsort: Berlin

Bildnachweis: Abbildungen 1-6 u. 8: eigene Darstellung; Abbildungen 6-7: Privatarchiv

Titelfoto: Privatarchiv

Druck: Flyeralarm, Würzburg

Website: www.falken-berlin.de und www.berliner-register.de

Impressum

Das Register Charlottenburg-Wilmersdorf wird gefördert aus Mitteln des Landesprogramms gegenRechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus der Senatsverwaltung für Justiz,Verbraucherschutz und Antidiskriminierung von Berlin.

Die SJD – Die Falken LV Berlin ist die Trägerin des Projekts.

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Hier gibt es doch kein Nazi-problem… – so lautet eineverbreitete Annahme. Das RegisterCharlottenburg-Wilmersdorf gehtdieser Frage auf den Grund:

Wir dokumentieren und analysierenrechte und diskriminierendeVorfälle im Bezirk. So machen wirAlltags-Diskriminierung sichtbar.Wir nehmen hierzu Vorfälle in eineJahres-Chronik auf, die öffentlichbekannt werden, z.B. durchZeitungen, im Internet oderbei Opferberatungen. Auf derWebsite der Berliner Register(www.berliner-register.de) gibt esunsere aktuelle Liste.

Bürger*innen melden dem RegisterCharlottenburg-Wilmersdorf solcheVorfälle. Wir sammeln sie, wertensie aus und veröffentlichen sie. FürAnwohner*innen sind wir eineAnlaufstelle. Hier können sie auch

Ereignisse melden, die nicht zurAnzeige gebracht werden (sollen).Wir sind Betroffenen ein Sprachrohrund unterstützen sie.

Für demokratische Akteur*innenliefert das Register Charlottenburg-Wilmersdorf Handlungsgrundlagengegen rechte und diskriminierendeStrukturen. Anwohner*innen könnenvon unserer Arbeit profitieren undaktiv werden, wenn Rechte in ihremKiez auftreten oder Diskriminierungverhindert werden kann. DieBezirkspolitik kann unsere Analysenaufnehmen und reagieren.

Wir kooperieren mit den Register-Projekten in den anderen BerlinerBezirken und der OpferberatungReachOut Berlin. Wir arbeiten mitden Fachrecherchestellen RIASund Amoro Foro sowie mit derMobilen Beratung gegenRechtsextremismus zusammen.