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werte entwickeln 02.2015 Das Fachmagazin für die Wohnungswirtschaft o-ton Vorbild Zwanzigerjahrebauten . fallbeispiel Der Sanierungsfahrplan eines Wohnungsriesen . immobilien- porträts Besenstrichputz und revitalisierte vertikale Wohnwelten . weltweit Porphyrroter Wohnblock in Sterzing Regulieren oder liberalisieren?

Regulieren oder liberalisieren? - Deutschland · 2017-05-08 · 20 gestaltung „Grün, grün, grün ist alles, was ich habe.” ... in Deutschland, sondern auch bei unseren Nachbarn

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werte entwickeln 02.2015

D a s F a c h m a g a z i n f ü r d i e W o h n u n g s w i r t s c h a f t

o-ton Vorbild Zwanzigerjahrebauten . fallbeispiel Der Sanierungsfahrplan eines Wohnungsriesen . immobilien-

porträts Besenstrichputz und revitalisierte vertikale Wohnwelten . weltweit Porphyrroter Wohnblock in Sterzing

Regulieren oder liberalisieren?

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Die drei Bauten an der Voßstraße in Halle bieten nicht nur Wohnungen, sondern auchKunst. Die nahe der Altstadt und oberhalb derFranckeschen Stiftungen gelegenen Elfgeschosseraus den Siebzigerjahren hat die Hallesche Wohnungs-genossenschaft „Freiheit“ eG kürzlich saniert undindividuell gestaltet. Dazu kooperierte sie mit Stu-denten der Kunsthochschule Burg Giebichenstein,die zum Beispiel in der Voßstraße 5 eine Gebäude-begrünung mal anders umsetzten. Sie machten Moosdurch Schockfrosten haltbar und verlegten es unterrunden Glasplatten im Hausflur. Die Floristin VictoriaSalomon brachte dazu passend an den Wänden Betongefäße an, die sie mit unterschiedlichen Lilien-arten bepflanzte. „Bei jeder unserer Modernisierungenversuchen wir, Kunst in den Bau zu integrieren. Dasist eines unserer Alleinstellungsmerkmale und kommtbei den Mietern gut an“, betont Dirk Neumann,Vorstand der „Freiheit“. Seit der Sanierung seien dieje 43 Wohnungen in den Hochhäusern alle vermietet.Das einheitliche Farbkonzept der Hausfassaden –dominiert von den Farben Rot und Grün – wurde inZusammenarbeit mit der Stadt Halle entwickelt. Rotsteht für das Wappen der Stadt Halle, das Grün fürdie Maulbeerbäume, die einst in den Gärten an derVoßstraße wuchsen. Insgesamt vier Millionen Eurohat sich die Genossenschaft die Sanierung der drei„Francke-Tower“ kosten lassen. Dafür erhielten alleWohnungen einen Balkon mit Westausrichtung.Zudem wurden die Fenster und Türen erneuert undeine Wärmedämmung angebracht. „Diese spartzwischen 10 und 20 Prozent Heizkosten“, sagtNeumann. Die Miete sei dennoch nicht erheblichgestiegen. Sie liege bei etwa fünf Euro der Quadrat-meter.

B a u h e r r :Hallesche Wohnungsgenossenschaft „Freiheit” eG,HalleS t a n d o r t :Voßstraße 5, Halle A r c h i t e k t :Euen, Wolf und Winter GmbH, Halle S t o - L e i s t u n g e n :Fassadendämmsystem StoTherm MineralF a c h h a n d w e r k e r :Drescher Bausanierung Taucha GmbH, Taucha

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06 schwerpunktIm Großraum Wien lebt rund ein Viertel der österreichischen Bevölkerung. Nicht wenige von ihnen leben hier auf einer Insel der Glückseligen – zumindest wenn sie Mieter einer Gemeindewohnung sind. Mit Blick auf einen Mietpreis von durch-schnittlich 3,70 Euro pro Quadratmeter ist es daher wenig überraschend, dass die Fluktuationsquote in dem öffentlichen Bestand sehr gering ausfällt. Das Wiener Modell gilt als Erfolgsmodell, ist aufgrund seiner komplexen Regelungen allerdings nicht unumstritten. Auch in den Niederlanden war der Wohnungsmarkt streng geregelt. Das soll sich jetzt ändern.

11 o-tonPreisgünstiger Wohnraum gilt zwar als Wachstumsmarkt. Doch die Investitionen in dieses Marktsegment bleiben in Deutschland bislang hinter der Nachfrage zurück. Dabei muss das Wohnen keineswegs neu erfunden werden. „Von den Grundrissen der Zwanzigerjahrebauten kann man eine Menge lernen”, sagt das Architekten-DuoOliver Scheifinger und Otto Höller.

14 fallbeispielDie Deutsche Annington hat sich viel vorgenommen. Nicht nur die Übernahme der GAGFAH soll gut gelingen. Auch der Imagewandel will vollzogen werden. Ein von Spezialisten entwickelter Modernisierungsfahrplan soll den angestrebten Transfor-mationsprozess glaubwürdig unterstützen.

18 immobilienporträtsAugsburger Straße, StuttgartCarl-Hagenbeck-Straße, Stendal

20 gestaltung „Grün, grün, grün ist alles, was ich habe.” Acht Mehrfamilienhäuser in Wiesbaden bilden zusammen ein bundesweit einmaliges Modellprojekt.

23 technikStoSilco blue: Neuer Oberputz erhält Auszeichnung Blauer EngelStoCalce Functio: Einfach trocken

26 weltweitPfarrmesnerhaus in Sterzing, Italien

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HerausgeberSto SE & Co. KGaA Ehrenbachstraße 1 DE-79780 Stühlingen T 07744 57-0 F 07744 57-2178 [email protected] www.sto.de

Redaktion Anne BambauerSabine BörchersMarkus GerharzChristian HunzikerJörg KlausAlexandra MayTill StahlbuschCarolin Löffler

Verlag Alexandra May Investor + Public RelationsStrohschnitterweg 1f DE-65203 Wiesbaden www.alexandra-may.com

Diese Veröffentlichung sowie alle in ihr enthaltenen Artikel und Bilder sind urheberrechtlich geschützt. Herausgeberin, Redaktion oder Verlagübernehmen keine Verantwortung für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Illustrationen.

Printed in Germany

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Ostdeutsche Wohnungsunternehmen haben über die Jahre konsequenter in ihre Bestände investiert, als ihre westdeutschenPendants das bislang getan haben. Mehr als 86 Prozent der Gebäude ostdeutscher Wohnungsunternehmen sind seit 1990energetisch entweder voll oder teilmodernisiert worden. Nacheiner Analyse des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs-und Immobilienunternehmen kommen die westdeutschen Unter-nehmen im gleichen Zeitraum hingegen nur auf eine Quote von50 Prozent.

Das Ost-West-Gefälle muss aber nicht auf Dauer so bleiben!

So ermittelte die Scope Ratings AG, Berlin, dass die 20 größtendeutschen Wohnungsunternehmen, die zusammen etwa 1,55Millionen Wohnungen bewirtschaften, in den vergangenen fünfJahren ihre Aufwendungen für die Optimierung ihrer Portfoliosdeutlich erhöht haben. 2009 investierten die „Big 20” rund 1,2Milliarden Euro, 2014 waren es bereits 50 Prozent mehr. DieErklärung für diese Entwicklung lieferte das Analysehaus gleichmit: Es liegt schlichtweg an der Rendite! Denn mit Investitionenin das eigene Portfolio erzielten die „Big 20” im Schnitt eineRendite, die mit 5,3 Prozent um 100 Basispunkte über der durch-schnittlichen Ankaufsrendite bei Portfoliozukäufen liegt. Mit anderen Worten: Investitionen in den Wohnungsbestand sindrentierlicher als der Erwerb von Wohnungsbeständen. „Moder-nisierungsinvestitionen erhöhen nachhaltig die Ertragskraft vonWohnungsunternehmen”, heißt es dazu in der Scope-Studie. Dassdabei auch börsennotierte Wohnungsunternehmen durchauslangfristige Ziele verfolgen, verdeutlicht das Fallbeispiel DeutscheAnnington, deren strategischen Investitionsansatz wir Ihnen inder vorliegenden Ausgabe vorstellen.

Es grüßt Sie herzlich Ihr

Michael Keller Leiter Inlandsgeschäfte /Generalbevollmächtigter Sto SE & Co. KGaA

„Ostdeutschland hat die Nase vorn – noch“

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Stef Blok,WohnungsbauministerNiederlande

Alexander Tschäppät,Stadtpräsident Bern

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Für deutsche Ohren klingt die Forderung vertraut: Bei größerenWohnungsbauvorhaben müsse die Kommune einen Mindestanteilan preisgünstigem Wohnraum festlegen. Doch die Rede ist nicht vonKöln, München oder Berlin, sondern von der Schweizer Wirtschafts-metropole Zürich. 58 Prozent der Züricherinnen und Züricher stimmtenim vergangenen September einer Änderung des Planungs- und Bau-gesetzes zu, das Investoren zum Bau günstiger Wohnungen ver-pflichtet. Noch größer war im Mutterland der direkten Demokratiedie Zustimmung zu einem ähnlichen Vorschlag in Bern: Dort stimmtensogar 72 Prozent der Bürger für eine Initiative mit dem Titel „Fürbezahlbare Wohnungen“, die vorschreibt, dass in neuen Wohnzonenmindestens ein Drittel des Wohnraums dem preisgünstigen Segmentangehören muss. „Die Bernerinnen und Berner möchten, dass die Preisspirale der Woh-nungskosten nach oben gestoppt wird“, sagte der sozialdemokratischeStadtpräsident Alexander Tschäppät zum Ergebnis der Abstimmung.Nicht nur die Bewohner der behäbigen Schweizer Bundesstadtmöchten das, sondern auch die Bürger zahlreicher anderer euro-päischer Städte, die sich mit steigenden Mieten konfrontiert sehen.

Doch die Strategien, mit denen die Verantwortlichen auf die wach-sende Bevölkerungszahl und die Wohnungsknappheit reagieren,sind in den einzelnen Ländern äußerst unterschiedlich. Wie vielEinfluss soll der Staat auf den Wohnungsmarkt nehmen? WelcheBedeutung kommt privaten Investoren zu? Und wie kann derWohnungsbau angekurbelt werden? Das sind Fragen, die nicht nurin Deutschland, sondern auch bei unseren Nachbarn kontroversdiskutiert werden.

Wien: Die starke öffentliche Hand

Eine klare Antwort darauf gibt Österreich: Die öffentliche Hand solles richten. Besonders in der Hauptstadt Wien ist der öffentlicheEinfluss auf den Wohnungsmarkt so groß wie kaum irgendwo sonstin Europa. Mehr als jeder vierte Wiener wohnt in einer der 220.000Gemeindewohnungen. „Gemeinsam mit dem großen Anteil angeförderten Wohnungen bieten die Gemeindewohnungen für rund60 Prozent der Wienerinnen und Wiener ein erschwingliches Zu-hause“, sagt der sozialdemokratische Wohnbaustadtrat Dr. Michael

Die Gretchenfrage: Lieber mehr regulieren oder eher liberalisieren?

Urbanisierung, Wohnungsknappheit, steigende Mieten undWohnungspreise – das sind Themen, die Deutschland bewegen.Nur Deutschland? Nein: Unsere Nachbarländer stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Ein Blick auf Österreich, die Niederlande und die Schweiz zeigt, mit welch unterschiedlichenKonzepten sich unsere Nachbarn dem Thema nähern.

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Ludwig. Und seine Parteifreundin, die Europaabgeordnete EvelynRegner, sekundiert: „Der Wiener Wohnbau gilt europaweit als Vor-zeigebeispiel für eine gelungene Wohnungspolitik, die für sozialenAusgleich steht.“Diese Politik geht auf die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhundertszurück. Damals lancierte die sozialdemokratische Stadtregierungein umfangreiches Bauprogramm der öffentlichen Hand, dessenbekanntestes Ergebnis der 1927–30 errichtete Karl-Marx-Hof ist.Finanziert wurden die Bauaktivitäten durch die 1923 eingeführteWohnbausteuer, die Wohnimmobilien umso stärker besteuerte, je gehobener ihr Standard war. Nach dem Zweiten Weltkrieg ent-standen weitere große Wohnsiedlungen. Und auch in jüngsterZeit, als – erst wenige Jahre ist es her – europaweit die Privatisie-rung öffentlichen Eigentums das Gebot der Stunde schien, entzogsich die österreichische Hauptstadt diesem Trend: „Wir“, betontStadtrat Ludwig, „sind nicht den Verlockungen des Neoliberalismuserlegen.“Das zeigt sich auch daran, dass die Stadt über gewaltige Grund-stücksreserven, insgesamt 2,3 Millionen Quadratmeter, verfügt.

Außerdem hat sie einen Großteil des Mietwohnungsbestands denMarktmechanismen entzogen. Stattdessen ist die Miethöhe staatlichvorgegeben. Die Werte sind dabei aus Sicht deutscher Großstädterextrem niedrig: Selbst in der höchsten Wohnwertkategorie beträgt dieDurchschnittsmiete der Wiener Gemeindewohnungen gerade mal3,70 Euro pro Quadratmeter.„Allerdings bauen wir seit 2004 nicht mehr selber Wohnungen“,sagt Josef Neumayer, Direktor des städtischen WohnungskonzernsWiener Wohnen. Stattdessen ersann die Stadt ein System, das beimNeubau auf gemeinnützige Bauträger setzt (anders als in Deutschlandgilt in Österreich noch immer das Wohngemeinnützigkeitsgesetz).Eine zentrale Rolle spielen dabei Bauträgerwettbewerbe, in derenRahmen die Stadt ihre größeren Wohnungsbaugrundstücke zumFestpreis vergibt. Entscheidend ist also nicht das finanzielle Gebotder Investoren, sondern ihr Konzept, das ein Auswahlgremium nachvier Kriterien (ökonomische, ökologische und architektonischeQualität sowie soziale Nachhaltigkeit) beurteilt. Immer muss dabeiein hoher Anteil an geförderten Wohnungen mit Mietpreisbindungentstehen.

10.500 Wohnungen wird es künftig in der Seestadt Aspern in Wien geben. Zentrum des neuen Stadtteils ist ein künstlicher See.

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Kompliziertes Fördergeflecht

Mit dieser Politik ist die Stadt Wien durchaus erfolgreich: 2014wurden knapp 7.300 Wohnungen fertiggestellt. Zum Vergleich:Das praktisch gleich große Hamburg, dessen Senat die Wohnungs-bauförderung ebenfalls zum politischen Schwerpunkt gemacht hat,kam auf gut 6.000 Einheiten. Allerdings ist die Systematik der Förderung in Wien deutlich komplexer als in deutschen Städten:Es gibt die normale Förderung, die Superförderung, das SMART-Wohnbauprogramm und die Wohnbauinitiative 2011, um nur einige Förderwege zu nennen. In der Regel liegt die Miete der geförderten Neubauwohnungen beirund sieben Euro pro Quadratmeter (inklusive kalter Betriebskostenund der in Österreich auch auf Mieten erhobenen Umsatzsteuer,aber ohne Heizung und Warmwasser). Dafür müssen sich die Mieter –äußerst ungewohnt aus deutscher Sicht – mit einem Eigenmittel-beitrag beteiligen. Und der hat es in sich: Im Normalfall beträgt er500 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche – für eine 70-Quadratmeter-Wohnung werden also 35.000 Euro fällig, die der Mieter an den

gemeinnützigen Bauträger überweisen muss. Ähnlich wie bei dendeutschen Genossenschaften erhält er diesen Betrag beim Auszugzurück.Weil auch in Wien nicht jeder Haushalt eine so hohe Summe auf-bringen kann, hat die Stadt die SMART-Wohnungen ersonnen. Hierist der Eigenmittelbeitrag mit 60 Euro pro Quadratmeter deutlichgeringer. Außerdem sind die SMART-Wohnungen sehr kompaktgeschnitten: Eine Zweizimmerwohnung darf höchstens 55 Quadrat-meter groß sein, eine Dreizimmerwohnung nicht mehr als 70 Quadrat-meter aufweisen. Bei der Förderung im Rahmen der Wohnbau-initiative 2011 hingegen darf der Vermieter die Miethöhe nach zehnJahren frei festlegen – allerdings nur dann, wenn es zu einem Mieter-wechsel kommt. Und das ist selten der Fall. Denn wer in Wien einmal eine günstige Wohnung ergattert hat, bleibt darin wohnen.Von den 220.000 Gemeindewohnungen werden jährlich nur 10.000frei, was einer Fluktuationsquote von 4,5 Prozent entspricht. Demstehen 30.000 Interessenten gegenüber.

„Eklatante Zweiklassengesellschaft“

Genau hier setzt die Kritik an. „Bemerkenswert ist die eklatante Zwei-klassengesellschaft im streng regulierten österreichischen Miet-wohnungsmarkt“, schreiben Dr. Philipp Geymüller und Michael Christlvon der Denkfabrik Agenda Austria in ihrer Studie „Teurer Wohnen“.„Während die einkommensschwächeren Neuankömmlinge aufdem Wohnungsmarkt signifikante Preissteigerungen hinzunehmenhaben, werden die in bestehenden Mietverträgen lebenden Haus-halte durch den rigiden Mieterschutz weitgehend vor höheren Preisengeschützt.“Tatsächlich sind Neubürger auf den freien Wohnungsmarkt ange-wiesen, auf dem – in begehrten Wiener Wohnlagen – schon malQuadratmetermieten von über 12 Euro aufgerufen werden. Derregulierte Bereich bleibt Neuwienern verschlossen: Eine der Voraus-setzungen für einen Vormerkschein, der zum Bezug einer Gemeinde-wohnung berechtigt, ist nämlich, dass der Bewerber seinen Wohnsitzseit mindestens zwei Jahren in der Stadt hat. Außerdem darf erbestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten. Diese sind allerdings sehr großzügig festgelegt: Ein Einpersonenhaushalt darfjährlich rund 40.000 Euro verdienen, um in den Genuss einergünstigen Mietwohnung zu kommen, ein Dreipersonenhaushalt umdie 70.000 Euro. Wenn die Mieter später einmal ein noch höheresEinkommen haben, dürfen sie ganz legal weiter in der Wohnungbleiben.Daraus resultiert laut den Experten von Agenda Austria ein enormesVerharrungsvermögen: „Die Altmieter können und wollen sich einenUmzug zugunsten von noch wachsenden Familien nicht leisten.“Die Folge: Die über 85-Jährigen haben mit 65 Quadratmeter diegrößten Wohnungen, obwohl die Haushalte in dieser Altersgruppein der Regel klein sind. Die Befürworter der geltenden Regelungargumentieren hingegen mit der Verhinderung von Segregation:„Ein wesentlicher Erfolg der Wiener Wohnbaupolitik ist, dass in dergesamten Stadt Durchmischung stattfindet“, sagt Stadtrat Ludwig.„Wir wollen keine Siedlungen nur für Arme oder nur für Reiche,wie wir sie aus den Vororten von anderen Städten kennen.“ Dafürist die Stadtregierung bereit, einen hohen Preis zu zahlen: 2014gab sie 655 Millionen Euro für Wohnungsbauförderung aus, wassechs Prozent des städtischen Budgets entspricht.

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Wiener Stadterweiterung

Nicht nur Hamburg, München und Berlin wachsen,sondern auch Wien: Während heute rund 1,8 MillionenMenschen in der Donaumetropole wohnen, wird voraus-sichtlich 2029 die Zweimillionenschwelle überschrittenwerden.Auf diese Entwicklung reagiert die Stadt mit dem Bauneuer Stadtviertel, die hauptsächlich auf früherenVerkehrsflächen Gestalt annehmen und immer einenhohen Anteil an geförderten Wohnungen aufweisen.Die wichtigsten sind:

Seestadt Aspern: Auf dem 240 Hektar großen Arealeines ehemaligen Flugfeldes sind 10.500 Wohnungenund 20.000 Arbeitsplätze geplant. Bereits jetzt wohnenmehrere Hundert Menschen im neuen Stadtviertel,dessen Attraktion ein künstlicher See sein wird. Be-sonders bemerkenswert: Bevor auch nur ein einzigerMensch in die Seestadt zog, nahm bereits die neueU-Bahn-Linie ihren Betrieb auf. www.aspern-seestadt.at

Sonnwendviertel: In unmittelbarer Nähe zum neuenHauptbahnhof entstehen bis 2019 etwa 5.000 Woh-nungen für 13.000 Menschen. www.sonnwendviertel.at

Nordbahnhof: An diesem zentralen, 85 Hektar großenStandort ist bis zum Jahr 2025 der Bau von bis zu10.000 Wohnungen geplant. https://goo.gl/oPWRo5

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Niederlande: Der Markt wird liberalisiert

Eine starke Stellung im Wohnungsmarkt hat die öffentliche Handauch in den Niederlanden. Doch anders als in Österreich will dieRegierung in Den Haag diesen staatlichen Einfluss reduzieren. Deut-liches Zeichen dafür: Im Oktober vergangenen Jahres besuchte derniederländische Wohnungsbauminister Stef Blok die internationaleGewerbeimmobilienmesse Expo Real in München, um Investoren fürein Engagement in seinem Heimatland zu gewinnen. „Der niederländische Wohnungsmarkt durchläuft einen Übergangs-prozess, der ausländischen Investoren wachsende Chancen bietet“,sagte Blok bei dieser Gelegenheit. Tatsächlich arbeitet die Regierungdaran, die rigiden Vorschriften im Wohnungssegment zu lockern unddie Bedeutung des freien Mietmarkts zu erhöhen. Diese ist bislangdenkbar gering: Nach Angaben der Beratungsgesellschaft PantarheiAdvisors gehören nur 12 Prozent aller Wohnungen privaten Eigen-tümern, während sich 31 Prozent im Eigentum der Woningcorporatiesbefinden – gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die sich amehesten mit Stiftungen vergleichen lassen. Die Mehrheit der Nieder-länder (57 Prozent) lebt in den eigenen vier Wänden. Obwohl die Wohnungen der Woningcorporaties nicht der öffentlichenHand gehören, sind sie strengen Regeln unterworfen. Es gibt festeEinkommensgrenzen und fixe Mieten – und manche Besonderheit:„Ob eine Wohneinheit dem sozialen oder dem freien Markt zuge-führt werden kann, entscheidet ein Punktesystem“, erläutert HendrikCornehl, Projektleiter Consulting Internationale Kunden beim Bau-geldvermittler Dr. Klein. Dieses System berücksichtigt beispielsweiseBaujahr, Energieeffizienz und Ausstattung. Ab einer Punktzahl von 143dürfen die Eigentümer die Wohnungen zum Marktpreis vermieten;darunter gelten die staatlichen Vorgaben. Viele der vergünstigtenWohnungen sind, ganz ähnlich wie in Wien, von gut verdienenden

Haushalten bewohnt. „Dafür“, sagt Minister Blok, „sind die Warte-listen für Sozialwohnungen in den großen Städten so lang, dassjunge Menschen bis zu zehn Jahre auf eine Wohnung warten.“Dass die Regierung die gebundenen Mieten dem Niveau des freienMarkts annähern und die Einkommensgrenzen stärker kontrollierenwill, hat mit den Erfahrungen der letzten Zeit zu tun. Denn dieWoningcorporaties haben sich nicht immer mit Ruhm bekleckert –viele haben mit Misswirtschaft und hoher Verschuldung zu kämpfen.Verschärft werden diese Probleme durch eine neue Immobilienbe-standssteuer, mit der die Regierung Bestandshalter zum Verkauf vonWohnhäusern motivieren will. Tatsächlich veräußerte 2014 Vestia,eine der größten Wohnungsbaugesellschaften, 5.500 Wohneinheitenan die Augsburger Investmentgesellschaft Patrizia. Auch andereInvestoren wie BNP Paribas REIM Germany und LaSalle InvestmentManagement haben sich bereits größere Wohnungspakete gesichert.Die Rahmenbedingungen für dieses Engagement sind aus Sicht der

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Diese beiden Wohnanlagen in Montfoort beziehungsweise Harderwijk gehören zu einem Portfolio von 5.500 Wohnungen, das die Investmentgesellschaft Patrizia 2014von der niederländischen Wohnungsbaugesellschaft Vestia erworben hat.

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Das österreichische Modell

Eine kritische Würdigung der österreichischen Woh-nungsbaupolitik aus liberaler Sicht bietet die Studie„Teurer Wohnen. Wie Politik und Mietrecht denWohnungsmarkt außer Kraft setzen“ der DenkfabrikAgenda Austria.

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Investoren günstig. „Dank Geburten- und Wanderungsüberschussheben sich die niederländischen Bevölkerungsprognosen positiv abvon denen anderer EU-Staaten“, sagt Andreas Pohl, Sprecher desVorstands der Deutschen Hypo. „Wir gehen daher auch für die Zu-kunft von einer anhaltend hohen Nachfrage nach Wohnraum in denNiederlanden aus.“ Zudem, stellt Dr. Marcus Cieleback, Chef-Re-searcher bei der Patrizia Immobilien AG, fest, seien die Einstiegsbe-dingungen als Folge eines Rückgangs der Immobilienpreise nach derKrise von 2008/09 für Investoren wieder „interessant“ geworden.

Schweiz: Genossenschaften sollen es richten

Noch einmal ganz anders ist die Situation in der Schweiz. Der Anteilder Wohnungen im Eigentum der öffentlichen Hand ist in der Alpen-republik äußerst gering und der Bundesrat (die Landesregierung in Bern) hält sich aus der Wohnungspolitik weitgehend zurück. DieVerantwortung dafür liegt bei den Kantonen und den Kommunen.Entsprechend vielfältig sind die Ansätze. „Wir sind vor Jahren von derObjekt- zur Subjektförderung übergegangen“, sagt beispielsweiseAndreas Kressler, Geschäftsleiter des kantonalen Immobilienver-walters Immobilien Basel-Stadt. Finanziell unterstützt werden alsohilfsbedürftige Haushalte und nicht der Bau von Wohnungen. Dabeiist auch in Basel „günstiges Wohnen ein Riesenthema“, wie Kresslersagt – kein Wunder angesichts einer offiziellen Leerstandsquotevon gerade mal 0,2 Prozent.Vielerorts in der Eidgenossenschaft greifen die Verantwortlichenhingegen zu einer indirekten Förderung des Baus günstiger Woh-nungen, indem sie Grundstücke nur unter Auflagen im Erbbaurecht(in der Schweiz Baurecht genannt) vergeben. Davon profitiereninsbesondere Genossenschaften, die auf diese Weise eine Art Ersatz-funktion für den sozialen Wohnungsbau übernehmen. „Die Mehr-heit aller Wohnbaugenossenschaften in der Schweiz, nämlich überzwei Drittel, wendet gemäß einer Studie freiwillig Belegungsvor-schriften an“, erläutert Rebecca Omoregie, Vizedirektorin von Wohn-baugenossenschaften Schweiz – Verband der gemeinnützigenWohnbauträger.Bei der Mietpreisgestaltung orientieren sich die Genossenschaften ander sogenannten Kostenmiete. Diese berücksichtigt die Investitions-kosten, die Rückstellungen für Instandhaltung und die Abschrei-bungen. Eine solche Kostenmiete – in diesem Fall inklusive „einerangemessenen Rendite“ – soll auch für die preisgünstigen Woh-nungen gelten, die nach dem unlängst von den Züricher Stimmbe-rechtigten genehmigten neuen Planungs- und Baugesetzbuchentstehen sollen. Dabei zeigt sich, dass die Fronten in den europäischen Ländernmanchmal doch ganz ähnlich verlaufen. Denn die Argumente, mitdenen der Hauseigentümerverband (HEV) Zürich gegen die Neurege-lung angeht, erinnern sehr an die Diskussion, die in Deutschlandin Bezug auf Mietpreisbremse und Vorgaben für günstige Neubau-wohnungen geführt wird: „Wer“, fragt der Interessenverband derZüricher Immobilieneigentümer, „will schon in den Wohnungsbauinvestieren, wenn der Staat faktisch über Boden- und Mietpreise dieHöhe der Rendite von Liegenschaften bestimmt?“ Deshalb würdenweniger Wohnungen gebaut, „was zu einer Verminderung desWohnungsangebots führt und in der Folge die Mietzinsen auf demfreien Markt ansteigen lässt – also genau das Gegenteil von dembewirkt, was die Vorlage zu erreichen vorgibt“.

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In den obersten Etagen des Mobimo-Hochhauses in Zürich sind äußerstteure und exklusive Eigentumswohnungen entstanden. In vielen Städtenund Kantonen der Schweiz gibt es hingegen Bestrebungen, verstärktgünstigen Wohnraum zu schaffen.

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Von anderen lernen

Im März dieses Jahres reiste Kristina Jahn, Mitglied desVorstands des landeseigenen Berliner Wohnungsunter-nehmens degewo, mit Mitarbeitern ihrer Planungs- undBauabteilung nach Wien, um sich zu informieren, wiedie österreichischen Wohnungsbaugesellschaften undPlaner preiswerten Wohnungsbau realisieren. „Wirmüssen das Rad nicht immer neu erfinden“, begründetJahn die Informationsreise. „Wien verfügt ja über einejahrzehntelange Erfahrung beim Bau von Sozialwoh-nungen. Deshalb können wir unsere Lernkurve beschleu-nigen, wenn wir uns das anschauen, was anderegemacht haben, und einiges davon auf unsere Ver-hältnisse übertragen.“Jahn strebt an, bei den degewo-Neubauprojekten diereinen Baukosten auf 1.400 Euro pro QuadratmeterWohnfläche zu drücken. Zudem will sie die Bauneben-kosten gering halten, indem sie Planungsleistungen inner-halb des Unternehmens erbringen lässt. So könne esgelingen, inklusive Grundstücks- und Baunebenkostenbei maximal 1.900 Euro pro Quadratmeter zu landen.Dafür seien allerdings „kompakte, gut nutzbare undfunktionale Baukörper und Grundrisse“ erforderlich.Für neue Wege im Wohnungsbau spricht sich auchJahns Kollegin Stefanie Frensch aus, Geschäftsführerinder ebenfalls landeseigenen HOWOGE in Berlin. „Wirmüssen modulares Bauen prüfen“, fordert sie. Genaudas tut auch die kommunale WohnungsbaugesellschaftKOWO in Erfurt: Sie beteiligt sich an der InternationalenBauausstellung (IBA) Thüringen mit einem Forschungs-projekt, das ausloten will, wie Wohnhäuser für ver-schiedene Bedürfnisse auf standardisierten Plattformenin Großserie gefertigt werden können.

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„Man kann von den Zwanzigerjahrebauten eine Menge lernen“

In vielen europäischen Städten befassen sich Wohnungsunternehmen mit der Frage, wie sichpreisgünstiger Wohnungsbau realisieren lässt. Dabei verfügt die Stadt Wien über besondersgroße Erfahrungen in diesem Bereich. Die beiden Wiener Architekten Otto Höller und OliverScheifinger erklären, warum die Weichen bereits in der Planungsphase gestellt werden, weshalbes ohne effiziente Erschließung keinen günstigen Wohnraum gibt und worin sich die Ansprücheder Wiener und der Berliner Mieter unterscheiden.

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Auf den ersten Blick gibt es keinen Unterschied zu einer deutschen Metropole … doch in Österreich pflegt man eine völlig andere Wohnkultur.

Die beiden Architekten Otto Höller (links) und Oliver Scheifinger kennen sowohl den Wienerals auch den Berliner Wohnungsmarkt gut. Sie sind überzeugt, dass die Weichen für günstigenWohnungsbau bereits in der Planungsphase gestellt werden.

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Herr Höller, Herr Scheifinger, was können deutsche Groß-städte in Bezug auf preisgünstigen Wohnungsbau von Wienlernen?

Höller: Die Baukosten, also die Preise der Baumaterialien unddie Arbeitskosten, sind in Wien ähnlich wie in deutschen Groß-städten. Das macht also nicht den Unterschied aus. Entscheidendist es vielmehr, effizient und nahe an der Realität zu planen. Esgeht darum, so zu arbeiten, dass die Planung wirtschaftlich um-setzbar ist – also zum Beispiel Spannweiten zu planen, die sechs-einhalb Meter nicht überschreiten. Und es geht darum, aus demBauvolumen möglichst viel Wohnnutzfläche herauszubekommen.

Das bedeutet, an der Erschließungsfläche zu sparen. Wirddas von deutschen Bauherren und Mietern akzeptiert?

Scheifinger: Die Wiener Erfahrungen lassen sich sicher nichteins zu eins auf deutsche Verhältnisse übertragen. Dafür ist die jeweilige Baukultur zu unterschiedlich. Grundsätzlich aber gelten diePrinzipien der effizienten Planung und der kompakten Baukörperüberall. Auch in deutschen Städten gewinnt das Thema der Er-schließungsflächen an Bedeutung, da die innerstädtischen Baugrund-stücke begrenzt sind. Wie wichtig die Erschließung ist, zeigt folgendeRechnung: Der Unterschied zwischen der erzielbaren Wohnnutz-fläche eines Sechsspänners und der eines Zwei- oder Dreispänners,wie er in Deutschland noch oft gebaut wird, beträgt bis zu 20Prozent.

Höller: Kulturelle Unterschiede gibt es durchaus. Wir werdenzum Beispiel in Deutschland mit dem Wunsch konfrontiert, Bädermit Tageslicht sowie abgetrennte Küchen zu planen. Das verlangtin Wien niemand. Umgekehrt wäre es in Wien undenkbar, ein Badmit einem WC zu kombinieren.

Was in Wien auffällt, ist der große Anteil der Gemeinschafts-flächen in Mietshäusern – zum Beispiel gemeinschaftlicheWaschküchen und Veranstaltungsräume. Lässt sich das aufdeutsche Verhältnisse übertragen?

Höller: Grundsätzlich ist es auch in Wien gar nicht so einfach,die Gemeinschaftsflächen so zu gestalten, dass sie von den Mieternangenommen werden. Unsere Erfahrung ist, dass dieser Prozessbegleitet werden muss. Dabei spielt auch die Lage im Baukörpereine Rolle. Man kann nicht Gemeinschaftsflächen in unbelichtetenKellern unterbringen und dann erwarten, dass die Mieter sie gernnutzen.

Scheifinger: Diese Themen müssen gelernt werden. Deshalbist es entscheidend, dass der Vermieter sie mitträgt. Denn viele Mieterkommen aus Wohnformen, die diese Angebote nicht kennen. UnsereErfahrung zeigt aber, dass diese gemeinschaftlichen Angebote zueinem unglaublich hohen Grad angenommen werden, wenn mansie richtig plant und den Prozess intensiv begleitet.

Eine weitere Besonderheit in Wien ist die Dichte der Bebau-ung. Würde eine solch hohe Dichte auch in deutschen Städtenakzeptiert?

Scheifinger: Städte wie Rom, Neapel und Venedig, die alleTouristen toll finden, sind enorm dicht bebaut. Dichte kann alsodurchaus attraktiv sein. Denn Dichte ermöglicht es, dass sich Men-schen treffen und dass sich eine urbane Atmosphäre entfaltet.Was hingegen eine Katastrophe ist, ist monostrukturierte Dichte.Der Schlüssel zum Erfolg liegt also nicht darin, die Ausnutzungder Bauplätze zu maximieren. Nein, entscheidend ist, sich zu fragen,welche Funktionen man vergemeinschaftlichen kann, und zwarnicht irgendwo, sondern an attraktiven Lagen im Quartier. Auf diese

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STAR22 heißt ein 2014 fertiggestellter geförderter Wohnkomplex mit 218 Wohnungen im 22. Wiener Gemeindebezirk. Wie auch bei vielen anderen Projekten dessozialen Wohnungsbaus in der österreichischen Hauptstadt erfolgt die Erschließung über Laubengänge. Außerdem gibt es umfangreiche Gemeinschaftsflächen – nichtnur Erholungsräume im Hof, sondern auch gemeinschaftliche Waschküchen und sogar ein Schwimmbad auf dem Dach.

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Weise schafft man bisher fehlende infrastrukturelle Komponentenund trägt zur Urbanität bei.

In vielen deutschen Großstädten gibt es Nachkriegssiedlungenmit großen Freiflächen. Wenn darauf Neubauten errichtetwerden sollen, regt sich sehr oft Protest der Bestandsmieter.Wie gelingt es, diese von der Notwendigkeit des Neubauszu überzeugen?

Scheifinger: Wir sehen diese Flächen in der Tat als eine großeChance. Denn nicht jede Kommune kann es sich leisten, eine kom-plett neue Infrastruktur zu schaffen und eine U-Bahn-Linie aufsfreie Feld zu bauen, wie es Wien in der Seestadt Aspern getan hat.Die von Ihnen erwähnten Quartiere sind bereits ins städtische Ge-webe eingebunden. Von daher ist es für die Kommune effizienter,der Nachverdichtung Vorrang zu geben vor der Realisierung großerStadterweiterungen an der Peripherie.

Höller: Gewiss, das Not-in-my-Backyard-Phänomen hat manam Anfang immer. Die Antwort darauf lautet Bürgerbeteiligung.Diese muss großgeschrieben werden. Allerdings darf die Frage dabeinicht lauten: Wollt ihr, dass wir etwas bauen? Vielmehr lautet dierichtige Frage: Was braucht ihr? Was sind eure Bedürfnisse? WelchenMehrwert kann der Neubau für euch bringen? Dann gelingt es, dieBestandsmieter zu überzeugen.

Sind die Protestbewegungen gegen Wohnungsbauprojektein Wien auch so groß, wie man sie zum Beispiel in Berlin beider geplanten Randbebauung des ehemaligen FlughafensTempelhof gesehen hat?

Höller: Die Diskussionen gibt es natürlich auch in Wien, aller-dings nicht in der Heftigkeit wie in Berlin. Da sind die Zivilgesell-

schaften schon sehr unterschiedlich.Scheifinger: Das hängt damit zusammen, dass in Wien seit

Jahrzehnten kontinuierlich Wohnungsbauten errichtet werden. Esist also sozusagen ein gelernter Prozess. Von daher wird der Neubauin Wien nicht als Bedrohung wahrgenommen.

Bemühungen, preisgünstigen Wohnungsbau zu realisieren,gab es auch schon in der Zwischenkriegszeit und dann wiederin der Nachkriegszeit. Kann man heute von den damaligenProjekten lernen?

Höller: Da gibt es wesentliche Unterschiede. Die Bauten ausden Zwanzigerjahren haben eine viel höhere Qualität als die Nach-kriegssiedlungen. Vor allem in Bezug auf die Grundrisse kann manvon den Zwanzigerjahrebauten eine Menge lernen. Die Fehler derNachkriegssiedlungen, insbesondere ihre Monotonie, dürfen wirhingegen nicht wiederholen. Deshalb ist das Viersäulenmodellder Nachhaltigkeit, das bei den Bauträgerwettbewerben in Wienangewandt wird, so sinnvoll: Es gilt, die ökonomische, die ökolo-gische, die soziale und die architektonische Qualität von Projektengleichgewichtig zu berücksichtigen.

Die Stadt Wien gibt sehr viel Geld für den sozialen Wohnungs-bau aus. Nun vertreten manche Experten die Ansicht, dieSubjektförderung sei zielführender als die Objektförderung,da das öffentliche Geld dann denjenigen Menschen zugute-komme, die wirklich Unterstützung benötigen. Wie sehenSie das?

Scheifinger: Wir reden hier über soziale Nachhaltigkeit. Wienhat die Entscheidung getroffen, viel Geld in Wohnungen – undübrigens auch in Bildung – zu investieren. Die Rechnung ist aufge-gangen: Der Großteil der Wiener lebt in guten Wohnungen unddie Wohnviertel sind sozial durchmischt. Ein Porsche kann zweiWochen in einem Wiener Quartier mit Sozialwohnungen geparktsein, ohne dass er beschädigt wird. Ob das in Berlin auch so wäre,bezweifle ich. Deshalb halte ich den Wiener Weg für richtig, wonachman auch dann in Sozialwohnungen bleiben darf, wenn man gutverdient. Die Alternative wäre, die gewachsene Struktur zu zer-stören und Menschen aus ihrem Viertel zu vertreiben.

Herr Scheifinger, Herr Höller, vielen Dank für das Gespräch.

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Das Büro

Oliver Scheifinger (44) und Otto Höller (45) sind Partnerder tafkaoo architects gmbh mit Sitz in Wien und Berlin.In Wien haben sie zahlreiche Projekte des sozialenWohnungsbaus realisiert. In Berlin beraten sie unteranderem die landeseigene Wohnungsbaugesellschaftdegewo bei ihren Wohnungsbauprojekten.

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Auf der ordentlichen Hauptversammlung am 30. April 2015 stimmten die Aktionäre der Umbenennung zu. Ab Herbst firmieren die Deutsche Annington und dieGAGFAH unter VONOVIA.

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Ein Modernisierungsfahrplan für eine mittelgroße deutsche Stadt

Die größte private Wohnungsgesellschaft Deutschlands will Hunderte Millionen Euro in die energetische Sanierung ihrer Bestände investieren. Damit kämpft sie nicht nur gegen Schimmel und kalte Wände, sondern auch gegen ihre Kritiker. Den Plan dazu haben Spezialisten erarbeitet.Das bundesweit in dieser Form bislang einmalige Sanierungskonzept könnte Vorbild für anderegroße Wohnungsunternehmen sein.

2015 steht bei dem im MDax notierten Wohnungsunternehmen im Zeichen der Investitionen.

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Als Rolf Buch im April 2013 in den Vorstand der Deutschen Anning-ton wechselte, verschwendete er keine Zeit und machte sich gleichan eines der drängendsten Probleme des größten privaten Woh-nungsunternehmens in Deutschland: die Modernisierung der Be-stände. Aus gutem Grund. Denn das Portfolio umfasst rund 203.000Wohnungen, die im Schnitt 57 Jahre alt sind. Mit der Integration der GAGFAH wächst der Bestand auf insgesamt 350.000 Einheitenan. Ob mit oder ohne erfolgreiche Übernahme, das Portfolio ist umeiniges größer als der Wohnungsbestand der einen oder anderenmittelgroßen deutschen Stadt. So kommt beispielsweise die hessischeLandeshauptstadt Wiesbaden bei rund 278.000 Einwohnern nurauf 140.000 Wohnungen, in der ehemaligen BundeshauptstadtBonn verteilen sich mehr als 327.000 Einwohner auf etwa 168.000Wohnungen und in Münster zählt man bei etwas mehr als 291.000Einwohnern knapp 155.000 Wohnungen. Die Krux des DA-Portfolios:Seine Wohnungen verteilen sich über die gesamte Republik. Dahersind mehr als 3.850 Mitarbeiter an insgesamt 550 Standorten aktiv.

Zwar wurden bei der Deutschen Annington auch schon vor demVorstandswechsel regelmäßig Arbeiten an den Wohnungen durch-geführt. Doch die Modernisierung eines derart großen Portfolios isteigentlich zu keinem Zeitpunkt zu 100 Prozent abgeschlossen – esist vielmehr ein ständiger Prozess. Erst recht dann, wenn man einelangfristig orientierte Strategie verfolgt und wachsen will.

Ein Investitionsvolumen von 2,8 Milliarden Euro ermittelt

Gleichwohl wurde an Kritik selten gespart. Wie auch andere größereprivate Wohnungsgesellschaften sah sich das börsennotierte Unter-nehmen landauf, landab immer wieder mit den immer gleichlauten-den Vorwürfen konfrontiert: Zu langsam würde saniert, zu weniginvestiert, so die Stimmen aus der Mieterschaft. Die DeutscheAnnington sah Handlungsbedarf und entschied sich, die DeutscheEnergie-Agentur GmbH (dena) damit zu beauftragen, ein Sanie-rungskonzept für ihren Wohnungsbestand zu erarbeiten. Das Ziel:mit wirtschaftlich effizientem Einsatz der Mittel einen möglichsthohen Wirkungsgrad der energetischen Sanierung erreichen. Heraus-gekommen ist ein Modernisierungsfahrplan, der aufzeigt, wiemöglichst viele der Gebäude wirtschaftlich tragfähig zukunftsfähiggemacht werden können. Danach können bis 2050 in zwei Drittelndes Portfolios Primärenergieeinsparungen um bis zu 70 Prozent erreichtwerden. Doch nicht nur das Einsparpotenzial ist bemerkenswert,sondern vor allem das Konzept an sich. Denn es ist das erste seinerArt in der privaten deutschen Wohnungswirtschaft, weil es sich aufmehr als 20.000 Gebäude mit etwa 150.000 Wohnungen bezieht.Die Kosten für die vorgeschlagenen Effizienzmaßnahmen würdensich auf insgesamt 2,8 Milliarden Euro belaufen. Das entspricht einerInvestition von 318 Euro je Quadratmeter Wohnfläche.

Erfolgsfaktoren: Technik und Fassade

Der Löwenanteil der Energieeinsparungen entfällt auf den Austauschvon strombetriebenen Nachtspeicherheizungen. Bis 2020 könnte alleindurch diese Maßnahme der Primärenergieverbrauch um 20 Prozentgesenkt werden. „Durch die Sanierungsstrategie erhalten wir lang-fristig den Wert unserer Wohnungen“, erklärt Pressesprecher PhilippSchmitz-Waters und ergänzt: „Unsere Sanierungsquote ist dreimal

„Wir tragen Verantwortung dafür, dass sich unsere Mieter ihre Mieteleisten können. Vor und nach einer Modernisierung”, so das Unter-nehmenscredo.

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so hoch wie der Bundesdurchschnitt.“ Der liegt laut dem Bundes-ministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit(BMUB) bei einem Prozent – Eigenheimbesitzer sind in dieser Rech-nung bereits mit berücksichtigt. 2013 hat die Deutsche Anningtonrund 20 Euro pro Quadratmeter in die Instandhaltung und Moder-nisierung investiert. 2014 waren es mit 29 Euro schon 45 Prozentmehr und 2015 sollen die Investitionen abermals steigen. So sindfür die kommenden fünf Jahre 800 Millionen Euro für energetischeSanierungen und seniorengerechte Umbauten budgetiert.

Abgesehen vom Austausch der strombetriebenen Heizungen, zählenvor allem die Arbeiten an den Fassaden zu den Erfolgsfaktoren. DieAußenwände werden gedämmt und „zusätzlich werden viele Ge-bäude mit neuen Geschossdeckendämmungen versehen“, erläutertSchmitz-Waters das Vorgehen. Je nach Bedarf sollen außerdem ener-giesparende Fenster eingebaut werden und mancher Mieter wirdsich zudem über einen neuen Balkon freuen können. Für die dazu-gehörende Kosmetik sorgen neue Briefkastenanlagen und ebenfallsneu angelegte Treppenhäuser.

Gesichert ist: Mieterverbände werden genau hinschauen, ob undinwieweit die angekündigten Modernisierungen auch tatsächlichumgesetzt werden. Allerdings räumen selbst kritische Mieterver-eine ein, dass schlecht erhaltene Wohnungen bei der DeutschenAnnington doch „eher eine Ausnahme” darstellen. Wie geht mandamit um, wenn die scheinbar gern verbreitete mediale Scheltedennoch nicht abklingen will? „Wir nehmen das sehr ernst undsuchen immer eine Lösung“, erklärt der Pressesprecher. Dafür mussallerdings erst einmal die Ursache für die Missstände gefundenwerden. Deshalb werden in den „Schimmel-Fällen” zunächst unter-schiedliche Messungen durchgeführt, um die Raumtemperatur, dieLuftfeuchtigkeit, die Feuchte an der Wandoberfläche oder auch desPutzes zu ermitteln. Denn nicht immer liegt der Grund im Gebäudeselbst. Und nicht selten ist die Schimmelpilzbildung auf ein falschesLüftungs- und Heizverhalten des Mieters zurückzuführen. Dann aberist Aufklärungsarbeit gefragt. „Vielen Mietern ist nicht bewusst,dass ein Vierpersonenhaushalt durch Baden, Kochen und Atemluftrund 14 Liter Feuchtigkeit am Tag produziert.“

Barrierearm statt barrierefrei

Das Wohnungsunternehmen will allerdings seine Bestände nicht nurin energetischen Belangen auf einen zeitgemäßen Stand bringen.Auch mit Blick auf die demografische Veränderung sind zielgerichteteInvestitionen geplant. „Wir wollen kontinuierlich rund 10.000 Woh-nungen barrierearm umrüsten“, sagt Schmitz-Waters. Dabei liegtdas Hauptaugenmerk auf dem Badezimmer. Denn dort reichen oftschon kleinere Maßnahmen aus, die den älteren Mietern den Alltagerleichtern können: rutschfeste Fliesen, erhöhte WCs und unterfahr-bare Waschtische sowie Steckdosen und Schalter in angemessenerHöhe. Geprüft werde zudem auch der Einbau einer ebenerdigenDusche.

Netzwerkstrategie: lokale Kooperationen

Barrierearme Maßnahmen seien kostengünstiger und schneller imBestand umzusetzen als ein barrierefreier Umbau. Gleichzeitig würden

sie dazu beitragen, den Mietern die Bewerkstelligung des Alltagsspürbar zu erleichtern. Um die Lebensqualität der Mieter insgesamtzu verbessern, kooperiert die Deutsche Annington auf lokaler Ebeneauch mit sozialen Trägern wie zum Beispiel dem Arbeiter-Samariter-Bund oder der Caritas, die hilfsbedürftige Mieter beraten und sichum Einkaufs-, Pflege- und Hilfsdienste kümmern.

Eigene Handwerker – schneller und günstiger

Bei der Durchführung der Instandhaltungsarbeiten kommt der Woh-nungsriese fast gänzlich ohne Partner beziehungsweise die Beauftra-gung von Drittfirmen aus. Hier setzt man auf die eigenen Ressourcenund hat dazu die Deutsche Technische Gebäudeservice GmbH (TGS)gegründet. Die Tochtergesellschaft beschäftigt mittlerweile 1.800Mitarbeiter und „arbeitet schneller und günstiger, als es freie Hand-werker können“, erklärt Schmitz-Waters. Außerdem ergeben sichVorteile durch den Einkauf und die Standardisierung. Die Zeichenwerden auch bei der TGS auf Wachstum stehen, wenn sie zukünftigalle Bestände in Schuss halten will. Denn mit der Integration derGAGFAH steigt der Wohnungsbestand auf etwa 350.000 Einheitenan. Der Wert dieses Portfolios: rund 21 Milliarden Euro.

Die Deutsche Annington vor der GAGFAH-Übernahme

• größte private Wohnungsgesellschaft Deutschlands

• seit 2013 börsennotiert, seit 2014 im MDax gelistet

• 203.000 Wohnungen im Bestand• Wert: 12,7 Milliarden Euro• 3.850 Mitarbeiter• rund 550 Standorte

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Wer in Stuttgart die Augsburger Straße stadteinwärts entlang-fährt, kommt an einigen Häusern vorbei, die um das Jahr 1900entstanden sind. Auch die Gebäude mit den Nummern 247 und249 stammen aus dieser Zeit und sind mit Sandsteingesimsensowie einem ausgeprägten Sockelgeschoss gestaltet. Bei derenergetischen Sanierung der beiden Häuser achtete die Landes-Bau-Genossenschaft Württemberg eG deshalb besonders darauf,den ursprünglichen Charme wieder aufleben zu lassen und sichauch farblich an die Nachbarhäuser mit Sandsteinfassaden undZiegelelementen anzulehnen. „Wir haben auf die dreidimensio-nale Gestaltung der Fassade starken Wert gelegt und mit Fenster-rahmungen, Putzstrukturen und unterschiedlichen Materialiengearbeitet“, erläutert die technische Leiterin Antje Durach dasVorgehen. Die Simse an den Fenstern wurden nach der Däm-

mung der Fassaden durch umlaufende, massive Ornamentprofileersetzt. Der Sockel des Hauses erhielt einen dunkleren, prägnantenBesenstrichputz. Die im charakteristischen Sockelgeschoss liegen-den Kellerfenster wurden bei der Neugestaltung bewusst akzen-tuiert. Die Eingänge beider Häuser wurden als Gegensatz zurhellen Fassadenfarbe in Rotbraun hervorgehoben und korrespon-dieren mit dem historischen Gebäude nebenan. Mit hochwertigenHolztüren und Natursandsteinplatten im Erdgeschoss wurden dieEingänge zusätzlich betont. Auch die Vorstellbalkone, die an derRückseite neu angebracht wurden, nehmen diesen rotbraunenFarbton auf. Energetisch wurden die Häuser durch die Dämmungsowie durch neue Fenster erheblich aufgewertet. „Bei den Heiz-kosten rechnen wir mit Einsparungen in Höhe von circa 50 Prozent“,betont Antje Durach.

Augsburger Straße, Stuttgart

Dreidimensionale Fassadenoptik gewahrt

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Bauherr: Landes-Bau-Genossenschaft Württemberg eG, Stuttgart . Standort: AugsburgerStraße 247 und 249, Stuttgart . Sto-Leistungen: Fassadendämmsystem (StoTherm Classic)mit massiven Rahmenprofilen (StoDeco Frame) und teilweise mit Natursteinbekleidung (Sto-Fossil) . Fachhandwerker: Hörz Stuckateurbetrieb GmbH, Stuttgart

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Carl-Hagenbeck-Straße, Stendal

Wohnfläche: Weniger ist mehr

Innerhalb von drei Jahren hat die Stendaler Wohnungsbaugesell-schaft (SWG) aus einem alten Plattenbauviertel ein schickes Wohn-quartier gemacht. „Es ist uns ein Imagewandel geglückt“, betontder Geschäftsführer der SWG, Daniel Jircik. Vor der Sanierung desTiergartenviertels, die zum Teil auf Rückbau, zum Teil auf Aufwertungsetzte, habe es dort einen Leerstand von mehr als 40 Prozent ge-geben. Die Nachfrage sei nun viel höher und die Wohnungen fastkomplett belegt. Neun Millionen Euro hat das kommunale Unter-nehmen dafür investiert. Eines der zentralen Projekte war der Elf-geschosser mit 240 Wohnungen in der Carl-Hagenbeck-Straße. Beider Sanierung erhielten diese zusätzlich zur Wärmedämmung ver-glaste Loggien auf der Südseite. Sechs neue Fahrstühle wurdeneingebaut. Um den Mietern mehr Sicherheit zu bieten, verändertedie SWG die Eingangssituation. Statt der vormals sechs Zugänge gibtes nun einen zentralen, rot gestrichenen Eingangsbau, der mit einemConcierge besetzt ist. Dieser hat ein Auge darauf, wer ins Hauskommt, und ist Ansprechpartner bei Problemen. Allein fünf MillionenEuro hat der Umbau des Plattenbaus gekostet, der auch die Um-gestaltung der Wohnflächen vorsah. Aus vorher Vier- wurden Drei-zimmerwohnungen, weil die Vierzimmerwohnungen heute nichtmehr so nachgefragt werden, wie Jircik betont. Dabei könne sichdie Miete durchaus sehen lassen: 76 Quadratmeter würden ca. 500Euro warm kosten, und das bei der Nähe zur Innenstadt und zumTiergarten. Vor dem Haus sind zudem 80 Parkplätze für die An-wohner entstanden, dazu Grünflächen mit Bänken und einemBrunnen. Ein Chamäleon auf der Seitenwand des Hauses soll sym-bolisch auch künftig an den Wandel des Viertels erinnern.

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Bauherr: Stendaler Wohnungsbaugesellschaft mbH, Stendal . Stand-ort: Carl-Hagenbeck-Straße 21–25, Stendal . Architekt: Artus GmbH,Berlin . Sto-Leistungen: Fassadendämmsystem (StoTherm Classic S1) .Fachhandwerker: Sven Sabitzer Hochbau, Osterburg

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B a u h e r r :GWW Wiesbadener Wohnbaugesell-schaft mbH, WiesbadenS t a n d o r t :Rüthstraße 7 und 9, WiesbadenA r c h i t e k t :Bitsch + Bienstein, WiesbadenStädtebaul icher Rahmenplan:Planergruppe HTWW GmbH, WiesbadenS t o - L e i s t u n g e n :Fassadendämmsysteme (StoThermClassic), Farb- und Materialberatung(StoDesign)

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Die GWW Wiesbadener Wohnbaugesellschaft stemmt im Südosten der Stadt nicht nur ein veritablesGroßprojekt – zwischen 2009 und 2017 werden in der Siedlung Weidenborn 650 Wohnungen ab-gerissen und 850 neue errichtet –, sondern sie führt zudem noch eine spannende Untersuchung zurWirtschaftlichkeit von Passivhäusern durch. Bei der Gestaltung zweier Gebäude im Quartier F derSiedlung hat das Wiesbadener Architekturbüro BITSCH + BIENSTEIN eng mit den Farb- und Material-spezialisten von StoDesign zusammengearbeitet.Die Gartenstadtbewegung des frühen 20. Jahrhunderts hat ihre Ziele nicht erreicht; was ihr jedochunwiderruflich gelang, war die gedankliche Verknüpfung von städtischem Wohnen und Naturerlebnis.Während sich die Städte von der Antike bis zur frühen Moderne ausdrücklich als Gegenpol zur „Land-schaft“ verstanden, wurde nun das Haus im Garten beziehungsweise das Viertel im Park zu einer be-gehrten Wohnform. Und weil Grün auch heute noch hoch im Kurs steht, war von Anfang an klar, dassder gewachsene Baumbestand der in den Fünfziger- und Sechzigerjahren errichteten Siedlung Weiden-born erhalten bleiben soll. Die mit der Stadt im Jahr 2010 abgestimmte Rahmenplanung definiert dieBegrünung des achteinhalb Hektar großen Stadtteils und ihren Anschluss an bestehende Grünzügeals zentrales Element des Projekts.Massive Bauschäden wegen Veränderungen in der Gründungsebene machen es unumgänglich, die 650Wohnungen nach und nach abzureißen und durch Neubauten mit 50.500 Quadratmetern Wohnfläche zuersetzen. Die GWW setzt dabei auf eine Mischung von Miet- und Eigentumswohnungen, um einerseitsdie soziale Durchmischung zu fördern und andererseits mit dem Verkauf der Eigentumswohnungendas Projekt zumindest teilweise zu finanzieren. Bisherige Bewohner der Siedlung genießen bei Neu-vermietung oder Kauf ein Vorrecht.Die ganze Siedlung wird in einem zukunftsweisenden Energiestandard errichtet. Im Quartier F spielt dasThema jedoch eine ganz besondere Rolle. Die dort gelegenen acht mehrgeschossigen Punkthäusermit 74 Wohneinheiten (9.600 qm Wohnfläche) und zwei Tiefgaragen wurden vom Wiesbadener Ar-chitekturbüro BITSCH + BIENSTEIN entworfen. Im Rahmen dieses 9,45 Millionen Euro teuren Teilprojektswurde „ein bundesweit einmaliger Modellversuch“ realisiert, bei dem die Bau-, Betriebs- und Instand-haltungskosten zweier Energiestandards über einen Zeitraum von drei Jahren miteinander verglichenwerden. Hierzu wurden zwei der Häuser im Passivhausstandard und zwei gemäß den Vorgaben derEnergieeinsparverordnung (EnEV 2009) ausgeführt. Die anderen vier Gebäude im Quartier F wurdenals KfW-Effizienzhäuser 55 gebaut. Je ein Passiv- und ein EnEV-2009-Haus (Rüthstraße 9 und 7) wurdemit dem Wärmedämm-Verbundsystem StoTherm Classic ausgestattet.Für die farbliche Gestaltung der Häuser, deren großzügige Balkone von markanten Rahmen eingefasstund teilweise überdeckt werden, haben sich die Architekten die Unterstützung der Farb- und Material-berater von StoDesign gesichert. Im Rahmen der für das Quartier F vorgegebenen Akzentfarbe Grünwählten die Designer einzelne Farbnuancen, Anordnungen sowie Muster und visualisierten die Ent-würfe. Während die Baukörper möglichst hell und neutral bleiben sollten, strukturiert das Farbthema dieFensterachsen, sowohl horizontal als auch vertikal. Vier unterschiedliche Grüntöne individualisieren dieGebäude, indem sie die Akzentflächen in unregelmäßiger Rhythmik gliedern und von angrenzendenFassadenflächen absetzen.

Wohnsiedlung Weidenborn in Wiesbaden

Grün, grün, grün ist alles, was ich habe

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Weiterführende Informationen zum Thema StoDesign erhalten Sie unter www.stodesign.de

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Burkhard Bienstein, Dipl.-Ing. Architekt, Büro BITSCH + BIENSTEIN Architekten GbR BDA

3 Fragen an ...

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Ihr Büro wurde damit beauftragt, das Quartier F im Weiden-born (Wiesbaden-Südost) zu entwickeln. Es handelt sich dabeium eine bundesweit bislang einmalige „Versuchsanordnung”:Der Bauherr wollte auf diesem Baufeld zwar nahezu gleicheMehrfamilienwohnhäuser errichtet haben, allerdings in unter-schiedlichen Energieeffizienzstandards, um diese hinsichtlichder Baukosten, des Energieverbrauchs sowie der Wartungs-und Instandhaltungskosten im laufenden Betrieb miteinandervergleichen zu können. Was war bei dieser Aufgabenstellungdie größte Herausforderung?

Burkhard Bienstein: Insgesamt wurden acht Häuser mit dreiunterschiedlichen Energiestandards geplant. Je zweimal nach EnEV-und Passivhausstandard und die vier anderen Häuser im KfW-70-Effizienzhausstandard. Um Lage- und Besonnungsunterschiede aus-zugleichen, wurden die EnEV- und Passivhäuser übrigens „überKreuz“, also versetzt angeordnet. Die Rahmenbedingungen musstengenau vergleichbar sein, die Besonderheit des Modellprojekts istder zeitgleiche Bau auf einem Grundstück, unter genau gleichenBedingungen. Die verschiedenen Energiestandards planerisch sauberumzusetzen, ohne dass diese nach außen erkennbar werden, warselbstverständlich eine größere Herausforderung. Insgesamt warnatürlich trotz der verschiedenen Energiestandards eine durchgän-gige Gestaltung gewünscht.

Welche zentralen Erkenntnisse haben Sie aus diesem Projekt

gewinnen können?Dass die Planung von zertifizierten beziehungsweise zu zerti-

fizierenden Passivhäusern schon erheblich aufwendiger ist – alleBauteile, Übergänge und Anschlüsse und natürlich auch die Haus-technik müssen schon im Vorfeld genau betrachtet, aufeinanderabgestimmt und dann planerisch mit großer Sorgfalt umgesetztwerden. Für jedes Detail/Bauteil muss der Wärmedurchgang einzelnnachgewiesen werden. Um die erforderlichen Dämmwerte zu er-reichen, waren für große Teile der Gebäudehülle Sonderkonstruk-tionen notwendig.

Welche Gestaltungsaufgabe war zu lösen?Wir wollten die für Passivhäuser typischen Lochfassaden auf

den nördlichen Seiten nicht zu monoton erscheinen lassen undhaben die dort kleineren Fensterformate scheinbar „spielerisch“versetzt beziehungsweise „in Bewegung“ gesetzt und zumindestfür die Treppenhäuser größere Verglasungen sowie – städtebaulichbegründet – eine Arkade eingeplant. Die Süd-Südwest-Seiten solltenim Gegensatz dazu elementartig, offen und großzügig, zum Beispielmit durchgängig bodentiefen Fenstern und mit Farbnuancierungenin Grüntönen, strukturiert werden. Besonderes Highlight sind diegroßzügigen Balkone, welche durch architektonische „Rahmen“eingefasst und teilweise überdeckt wurden. Die Balkonzone wurdedadurch zu einer lebendigen und gestalterisch prägenden Raum-komposition zwischen „innen und außen“.

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Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Mengebiozider Filmschutzmittel, die aus Fassaden ausgewaschen wird, beiWeitem nicht so hoch ist, wie in der Vergangenheit geschätzt wurde1

und dass diese deutlich geringere Menge durch das industrielleVerkapseln der Wirkstoffe noch weiter vermindert wird.2 Dennochist das Interesse an Fassadenoberflächen ohne Filmkonservierunggroß. Darum gibt es von Sto ab 2015 zusätzlich zu den bewährtenwirkstofffreien Silikatprodukten (StoSil OF und StoColor Sil) aucheinen hochwertigen Silikonharzputz ohne biozide Filmausrüstung:StoSilco blue. Den neuen Oberputz für das mit dem Blauen Engelausgezeichnete Wärmedämm-Verbundsystem (WDVS) StoThermClassic S1 gibt es in einer Kratzputz- und einer Modellierputzvariante.Er ist – ebenso wie das gesamte Fassadendämmsystem – nicht brenn-bar (A2,s1-d0) und frei von sämtlichen Lösemitteln und Weichma-chern. Der echte Silikonharzputz nach DIN EN 15824 schützt mitnatürlichen Wirkprinzipien vor Algen und Pilzen. Diese vorbeugendeund verzögernde Hemmung gegenüber Mikroorganismen beruhtauf physikalischen Abläufen (Wasserhaushalt) sowie auf Aspektender Bioverfügbarkeit und kann sich nicht erschöpfen.

Die Gefahr eines Algen- oder Pilzbefalls sinkt dann erheblich, wennkein Wasser auf der Fassade „steht“ und sich vor allem auch keinWasser im System staut. Im Gegensatz zu hydrophilen, saugendenPutzen, die innerhalb von nur zwei Stunden bis zu 1,5 Liter Wasseraufnehmen können, setzt StoSilco blue auf einen optimiertenFeuchtehaushalt, der Wasser möglichst rasch ablaufen beziehungs-weise rücktrocknen lässt, kaum Feuchtigkeit aufnimmt und kein

Wasser speichert. Er erspart der Fassade dadurch lange Trockenzeiten,vor allem an Wetterseiten und in Spritzwasserzonen, er verhindert,dass Schadstoffe und Schmutzpartikel mit dem Wasser ins Systemtransportiert werden, und er sorgt für eine ungeschmälerte Lang-lebigkeit des Oberputzes, dessen Bindemittel und Pigmente nichtmit ständigen Nass- und Trockenzyklen oder sogar Frost- und Tau-zyklen zu kämpfen haben.

Die zweite Grundvoraussetzung für das Leben von Mikroorganismenauf Fassaden ist die „Bioverfügbarkeit“, kurz: das Nahrungsangebot.Der natürliche Schutz durch StoSilco blue kommt auch hier zumTragen, da erstens die ausgewählten Rohstoffe des Putzes kaum alsNährstoffe zur Verfügung stehen und zweitens die sehr geringeVerschmutzungsneigung dafür sorgt, dass auch von außen heran-getragene Nahrung für Algen oder Pilze kaum Halt an der Fassadefindet.

StoSilco blue ist hoch wasserabweisend, aber dennoch von ausge-zeichneter Durchlässigkeit für Wasserdampf und CO2. Der sehr witte-rungsbeständige Oberputz ist – eingeschränkt – nach dem StoColor-System tönbar. Zu allen Systemen und Produkten von Sto, die ohnebiozide Filmschutzmittel angeboten werden, existieren Nachhaltig-keitsdatenblätter, welche die ökologischen Fakten verständlich zusammenfassen. Dies gilt sowohl für StoSilco blue als auch für diebewährten Silikatprodukte und es gilt auch für das nicht brennbareWDVS StoTherm Classic S1, das als besonders umweltfreundlichesSystem mit dem Blauen Engel (RAL-UZ 140) ausgezeichnet wurde.

Schutz vor Algen und Pilzen an der Fassade ohne biozide Filmschutzmittel wird zunehmend nachgefragt.Der neue Oberputz StoSilco blue für das mit dem Blauen Engel ausgezeichnete, nicht brennbare WDVSStoTherm Classic trägt diesem Trend Rechnung. Er hemmt den Befall durch Mikroorganismen mitnatürlichen Wirkprinzipien, ohne die Produkteigenschaften echter Silikonharzputze zu beeinträchtigen.

StoSilco blue: neuer Oberputz für StoTherm Classic S1

Grüne Technologie mit Blauem Engel

1Burkhardt, M., et al.: Mengenabschätzung von Bioziden in Schutzmitteln in der Schweiz, Rapperswil 2013.2Breuer, K., et al.: Wirkstoffauswaschung aus hydrophoben Fassadenbeschichtungen: verkapselte versus unverkapselte Biozidsysteme. In: Bauphysik 34 (2012), Heft 1, S. 19–23.

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Feuchtigkeitsaufnahme im Langzeittest

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Dipl.-Ing. Andreas Oberle, Produktmanagement Deutschland,Sto SE & Co. KGaA, Stühlingen

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Zu viel Wasser in Wohnräumen schadet Mensch und Bausubstanz. Darum muss überhöhteLuftfeuchte, die unvermeidlich durch Kochen, Duschen oder Waschen entsteht, regelmäßigabgeführt werden; also durch aktives Lüften oder automatisches Belüften. Wird von Handgelüftet, muss zudem über die Zeiten zwischen den Lüftungsintervallen nachgedacht wer-den – das ist umso wichtiger, wenn unregelmäßig oder zu wenig gelüftet wird. Dann sindBaumaterialien, die Feuchtespitzen abpuffern, unerlässlich für ein gutes Innenraumklima.Besonders wirtschaftlich ist dieser positive Beitrag zur Behaglichkeit und Gesundheit einer-seits und zur Bauschadenprävention andererseits, wenn die gewünschten Effekte bereitsdurch einfache Verputzarbeiten zu erreichen sind – bei Neubauten wie in der Bestands-sanierung.

Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa untersuchte die Feuchte-speichereigenschaften verschiedener Putze auf der Basis von Lehm, Kalk und Gips. Sto ent-wickelte auf Grundlage dieser Forschungsergebnisse ein mineralisches Feuchtespeicher-Putzsystem, StoCalce Functio, das die bewährten Eigenschaften von Kalkprodukten (Wasser-beständigkeit!) mit den Vorteilen traditioneller Lehmputze vereint. Messergebnisse der Empabestätigen, dass dank der Einbindung eines natürlichen Tonminerals die Feuchteaufnahme-

StoCalce Functio vereint auf natürlichem Wege die Vorteile traditionellerKalk- und Lehmputze und übertrifft alle bisherigen Innenputzsystemeum mehr als 50 Prozent bei der Feuchtespeicherung.

Ohne Feuchtigkeit kein Schimmel

Einfach trocken

Feuchtigkeitsaufnahme/-abgabe 24-h-Test

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kapazität des Systems um mehr als 50 Prozent über der traditio-neller und marktüblicher Lehm- oder Gipskalkputze liegt. Da auchdie Feuchteabgabe sehr schnell erfolgt, kann das neue PutzsystemSchwankungen der Luftfeuchtigkeit erheblich reduzieren undProblemen mit kondensierender Feuchte weitgehend vorbeugen.

Kernstück des Systems ist der funktionale Glättspachtel StoLevellCalce FS, der besonders bei Renovierungsarbeiten enorme Vorteilebietet, da bereits eine extrem geringe Schichtstärke von nur dreiMillimetern ausreichend ist, um ein optimales Feuchtemanagementzu erzielen. Als Untergrund eignen sich neben traditionellen Bau-untergründen auch Altbeschichtungen, darunter selbst dispersions-haltige Farben, die nicht zuvor entfernt werden müssen. Für denNeubau steht ein kompletter Systemaufbau inklusive Grundputz(StoLevell Calce RP) zur Verfügung. Als Glättspachtel dient dannebenfalls StoLevell Calce FS. Zwei speziell entwickelte Deckputze(StoCalce Activ K und MP) liefern die passende Deckbeschichtung.

Wegen der natürlichen Alkalität des Kalks kann auf die sonst üb-lichen Konservierungsmittel komplett verzichtet werden. Das fürseine strengen Vorgaben bekannte Qualitätssiegel „natureplus“stuft das gesamte System darum auch als besonders umweltfreund-lich und wohngesund ein.

Schön & funktional: gesunde Silikatfarben

Ebenfalls neu ist die extrem matte InnensilikatfarbeStoColor Sil Comfort, die sich ebenso wie die anderenMitglieder der Sto-Silikatprodukt-Familie aufgrundihrer sehr hohen Wasserdampfdurchlässigkeit her-vorragend als Deckanstrich für das StoCalce-Functio-System eignet.Silikatfarben, deren lang anhaltend hoher pH-Wert auchvor Schimmel schützt, befriedigen höchste ästhetischeund funktionale Ansprüche. StoColor Sil Comfort istschadstoffgeprüft (TÜV-überwacht) und frei von Kon-servierungs- und Lösemitteln. Die mit dem natureplus-Siegel ausgezeichnete Innensilikatfarbe ist trotz ihrermatten Anmutung hervorragend auszubessern unddarum sehr renovierungsfreundlich.

Bereits drei Millimeter Schichtstärke reichen für ein sehr gutes Feuchte-management.

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Weißbuch Sto-Fassadendämmung Sto-Positionen zum Thema Wärme-

dämmung

Seit Jahren sieht sich die WDVS-Branche mit kritischenMedienbeiträgen zum Thema „Wärmedämmung“ konfrontiert – einer Berichterstattung, die in derSumme zu einer Polarisierung der Meinungen beim Publikum geführt hat. An einem solchen Lager-denken kann keinem ernsthaft gelegen sein, weil esdie Auseinandersetzung mit den realen Fakten der energetischen Gebäudesanierung behindert. Das Unternehmen Sto hat sich deshalb entschlossen, das Weißbuch Sto-Fassadendämmung vorzu-legen, mit dem Ziel, das Thema Wärmedämmungfachlich-wissenschaftlich fundiert in allen Facettenaufzuarbeiten.Zielgruppen dieses Buches sind in erster Linie die Sto-Marktpartner in Handwerk, Architektur undWohnungswirtschaft, die damit noch sicherer ge-macht werden sollen in den oftmals kontroversenWDVS-Diskussionen.

Das Weißbuch ist als e-Book hinterlegt auf www.sto.de/weissbuchsowie kostenlos bestellbar unter www.sto.de/weissbuch-bestellen

Weitere Informationen zum Thema StoCalce Functioerhalten Sie unter www.sto.de/we

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S t a n d o r t :Hochstraße, Sterzing, ITA r c h i t e k t :Pedevilla Architects, Bruneck, ITS t o - L e i s t u n g e n :Fassadendämmsystem (StoTherm Mineral), Fassadenputz, gerollt und geschliffen (Stolit Milano), Farb- und Materialberatung (StoDesign)F a c h h a n d w e r k e r :Heidegger Siegfried & HolzmannKlaus O.H.G., Vahrn, IT;Bauunternehmen Oberegger, Vahrn, IT

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Pfarrmesnerhaus in Sterzing, Italien

Aus jeder Perspektive gutDen Namen „Pfarrmesnerhaus“ verbindet man spontan mitetwas Besonderem, etwas Historischem. Das viergeschossigeWohnhaus ist zwar kein ehrwürdiges Bestandsgebäude, aber be-sonders ist es in jedem Fall. Nicht nur wegen des monolithischenEindrucks, den der porphyrrote Kubus vor mächtiger Naturkulissemacht, sondern auch wegen seiner komplexen inneren Orga-nisation, die vier Wohneinheiten in einem überzeugenden gemeinsamen Auftritt zusammenfasst.

Sterzing befindet sich in Südtirol, auf halbem Weg zwischen Innsbruck im Norden undBozen im Süden. Italiens nördlichste Stadt zählt zugleich auch zu den höchstgelegenenStädten der Alpen überhaupt. Punktuell reicht das Stadtgebiet bis hinauf auf über2.700 Meter. Das Pfarrmesnerhaus befindet sich am südlichen Ortsrand und überrascht,weil sich plötzlich und unerwartet der porphyrrote Block ins Blickfeld schiebt. Das hermetisch wirkende Gebäude ist gleichwohl nicht störend, sondern kann sich imKontext der einheitlichen Nachbarschaft ebenso souverän behaupten wie vor dergrandiosen Bergkulisse. Es wirkt aus jeder Perspektive einfach gut. Zugleich bleibt esgeheimnisvoll, weil es nichts von seinem Innenleben verrät, das aus vier individuell geschnittenen Wohnungen besteht, die sich jeweils über mehrere Etagen erstrecken.Die Fassade mit ihren Fenstern, Flächen und Loggien übernimmt die Aufgabe einerHaut, die, wie durchlässig auch immer, nichts von der inneren Struktur und Organisationdes großen Ganzen preisgibt. Es gibt Wohnhäuser oder -anlagen, bei denen der Be-trachter sofort weiß, wo er, wenn er denn könnte, einziehen möchte. Diese Entschei-dung scheint hier fast nicht möglich. Und die Bewohner wollen offenbar keinen Neidwecken – sie lassen sich nicht über die Schulter schauen.

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Das Büro Pedevilla Architects aus Bruneck hat es geschafft, einen kompakten Baukörper zu realisieren, der dem rauen Klima in der Region in jeder Hinsicht standhalten kann.

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StoColor Dryonic Die Farbe für trockenste Fassaden.Inspiriert durch die Wüste.

Dass Fassaden bei jedem Wetter blitzschnell trocknen, haben wir einem Wüstenkäfer zu verdanken. Mit seinem Rückenpanzer trotzt er dem Morgennebel das Wasser zum Leben ab. Von dessen Struktur inspiriert, hat Sto die innovative Dryonic Techno logy entwickelt. Ob Tau, Nebel oder Regen: Mit StoColor Dryonic hat Feuchtigkeit keine Chance – und das auf allen bau üblichen Untergründen und mit größter Farbtonvielfalt. StoColor Dryonic: Schön trocken, egal was kommt. Erfahren Sie mehr über den Nebeltrinker-Käfer und entdecken Sie die Dryonic Technology unter: www.sto.de

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