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K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 1 Physik I – Mechanik: Theorie Uni G¨ ottingen, Wintersemester 2005/06 K.-H. Rehren (mit K. Bahr: Experimentalphysik) Dieses Skript enth¨ alt skizzenhaft den Inhalt des Theorie-Teiles der Integrierten Vorlesung Physik I. Inhaltsverzeichnis 1 Kinematik Zeit, Ableitungen, Taylor-Approximation 4 2 Der dreidimensionale Raum Vektoren, Koordinaten 6 1 (Fortsetzung): Dreidimensionale Kinematik Differentiation von Vektoren, partielle Ableitungen 11 3 Dynamik Differentialgleichungen, Integration 13 3.1 Newton’sche Gesetze ......................... 13 3.2 Kraftgesetze .............................. 15 3.3 Bewegungsgleichungen ........................ 16 4 Erhaltungss¨ atze. Energie, Impuls, Drehimpuls Gradient, Kurvenintegrale 20 5 Schwingungen Komplexe Zahlen 25 6 Das Zentralkraft-Problem. Planetenbewegung 29 7 Bezugssysteme. Relativit¨ at Matrizen, Tensoren 33 8 Ausgedehnte Systeme. Der “Starre K¨ orper” Mehrfachintegrale 40 9 Deformierbare Medien Divergenz, Rotation 47 10 Schwingungen und Wellen Komplexe Zahlen, Fourier-Zerlegung 57

rehren/skripten/0506physik1/ph.pdf · K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 1 Physik I – Mechanik: Theorie Uni G¨ottingen, Wintersemester 2005/06 K.-H. Rehren

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K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 1

Physik I – Mechanik: Theorie

Uni Gottingen, Wintersemester 2005/06

K.-H. Rehren (mit K. Bahr: Experimentalphysik)

Dieses Skript enthalt skizzenhaft den Inhalt des Theorie-Teiles der IntegriertenVorlesung Physik I.

Inhaltsverzeichnis

1 KinematikZeit, Ableitungen, Taylor-Approximation 4

2 Der dreidimensionale RaumVektoren, Koordinaten 6

1 (Fortsetzung): Dreidimensionale KinematikDifferentiation von Vektoren, partielle Ableitungen 11

3 DynamikDifferentialgleichungen, Integration 133.1 Newton’sche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133.2 Kraftgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153.3 Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

4 Erhaltungssatze. Energie, Impuls, DrehimpulsGradient, Kurvenintegrale 20

5 SchwingungenKomplexe Zahlen 25

6 Das Zentralkraft-Problem. Planetenbewegung 29

7 Bezugssysteme. RelativitatMatrizen, Tensoren 33

8 Ausgedehnte Systeme. Der “Starre Korper”Mehrfachintegrale 40

9 Deformierbare MedienDivergenz, Rotation 47

10 Schwingungen und WellenKomplexe Zahlen, Fourier-Zerlegung 57

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Literatur

[Gerthsen] D. Meschede: Gerthsen Physik. Springer Berlin.

[Demtroder] W. Demtroder: Experimentalphysik. Springer Berlin. Bd. 1-4.

[Alonso-Finn] M. Alonso, E.J. Finn: Physik. Oldenbourg Verlag.

[Feynman] R. Feynman: Vorlesungen uber Physik. Mechanik, Strahlung, Warme.Oldenbourg Verlag.

[Großmann] S. Großmann: Mathematischer Einfuhrungskurs fur die Physik.Teubner Verlag.

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Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben.

Dieser beruhmte Satz wird Galileo Galilei (1564-1642) zugeschrieben. Galileohat als einer der ersten erkannt, dass sich hinter der ungeheuren Vielfalt und Kom-plexitat physikalischer Phanomene eine erstaunliche Einfachheit der fundamenta-len Gesetze verbirgt. Diese Einsicht hat sich bis heute immer wieder bestatigt, ineinem Maße, dass manche Wissenschaftler heute Eigenschaften wie “strukturelleEleganz” und “innere Schonheit” geradezu als Prinzipien des Bauplans der Weltansehen. Niemand weiß, warum der Bauplan so ist, wie er ist; aber je mehr manihn versteht, desto mehr erschließt sich Galileos Gedanke.

Es ist die Aufgabe der Theorie, diesen Bauplan sichtbar zu machen. Sie mussin den experimentellen Daten die grundlegenden Effekte von den fast immeranwesenden Storeffekten trennen. Ihre Mittel sind Abstraktion und Idealisierung,Gedankenexperimente und Ubertragungen. Innere Widerspruchsfreiheit ebensowie die richtige quantitative Vorhersage der Ergebnisse von Experimenten sindihre Kontroll-Instanzen; reine Spekulation ist nur in den allerseltensten Fallenerfolgreich.

Im modernen Verstandnis gliedert sich die Physik nicht in getrennte Gebiete.In der Elektrodynamik, der Thermodynamik, der Quantentheorie finden sich invariabler Gestalt immer wieder dieselben Konzepte wieder, denen man erstmals(und am leichtesten verdaulich) in der Mechanik begegnet. Darum muss manmit der Mechanik beginnen, auch wenn die wirklich spannenden Gebiete derPhysik eher Halbleiter, Quarks oder Schwarze Locher sind. (Auf der Internetsei-te www.theorie.physik.uni-goe.de/∼rehren/pantarhei.html finden Sie Newton’sberuhmte Gleichung

~F = m · ~a,

das Grundgesetz zeitlicher Veranderung in der Mechanik, in vielen Spielarten“quer durch die Physik”. Die meisten davon werden Sie im Lauf Ihres Studi-ums kennenlernen, ebenso wie die gemeinsame mathematische Idee, die all diesenGleichungen zugrunde liegt.)

Die Sprache der Mathematik hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Bis ins 17.Jh. umfasste sie im Wesentlichen nur die Geometrie. Daher sind viele historischeBeweisfuhrungen “mit Zirkel und Lineal” aus heutiger Sicht unendlich kompli-ziert. Heute besitzen wir die analytische Geometrie, die lineare Algebra und dieDifferential- und Integralrechnung als ein reiches Arsenal, um uns die Arbeit unddas Verstandnis der Natur zu erleichtern. Dies sind grundlegende Techniken desPhysikers, wie der Schraubenzieher des Mechanikers. Es ist allerdings wenig sinn-voll, die ganze Mathematik “auf Vorrat” zu lernen, ohne schon zu wissen, wofursie nutze ist. Wir werden stattdessen die verschiedenen Elemente der Mathema-tik im Kontext mit den physikalischen Konzepten und Problemen einfuhren. DieMathematik ist zugegebenermaßen nicht einfach. Aber sie wird oftmals leichterverstandlich, wenn man ihre Entsprechungen und Anwendungen in der Physikkennt. Denn es gilt auch die Umkehrung von Galileos Satz:

Die besten Abbildungen der Mathematik finden sich im Buch der Natur.

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1 Kinematik

Zeit, Ableitungen, Taylor-Approximation

Am interessantesten ist die Physik, wenn sich zeitlich etwas andert. Die Beschrei-bung von Bewegungsablaufen nennt man Kinematik (Kino = bewegte Bilder).Die Lehre von der Ursache der Bewegungen (Krafte) ist die Dynamik (Kap.3ff).

Bewegt sich ein (punktartig gedachtes) Objekt (“Massenpunkt”) entlang einerLinie, so kann man seine Lage durch eine Koordinate x angeben. Der Verlaufseiner Bewegung ist eine Funktion

x = x(t),

beispielsweise fur den senkrechten freien Fall aus der Hohe h0

x(t) = h0 −1

2gt2.

Die Geschwindigkeit ist die Ableitung (= Große der zeitlichen Anderung) dieserFunktion:

v(t) =dx

dt≡ x(t).

(Fur Zeitableitungen schreibt man x statt – wie in der Mathematik ublich –x′). Die Beschleunigung ist die Ableitung der Geschwindigkeit, also die zweiteAbleitung des Ortes:

a(t) =dv

dt≡ v(t) ≡ x(t).

Beim freien Fall: v(t) = −gt, d.h., die Geschwindigkeit wachst proportional zurZeit an, und a(t) = −g, d.h., die Beschleunigung ist konstant gleich der (negati-ven) Fallbeschleunigung.

Die Ableitung ist als Grenzwert definiert:

v(t) =dx

dt≡ lim

∆t→0

∆x

∆t≡ lim

∆t→0

x(t + ∆t) − x(t)

∆t

wobei ∆ fur eine (kleine, aber endliche) Differenz steht. Offenbar ist

v(t) ≈ ∆x

∆t=

x(t + ∆t) − x(t)

∆t=

x(t2) − x(t1)

t2 − t1

eine Approximation, die umso besser ist, je kleiner ∆t = t2 − t1. Stellt man dieseGleichung um, so erhalt man

x(t + ∆t) ≈ x(t) + v(t) · ∆t,

d.h., man kann den Ort zu einer spateren Zeit abschatzen, wenn man Ort undGeschwindigkeit zur Zeit t kennt: v∆t ist die zusatzlich zuruckgelegt Strecke.

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Diese universelle Naherungsformel gilt ganz allgemein fur (differenzier-bare) Funktionen:

f(x + ∆x) ≈ f(x) + f ′(x) · ∆x

oder auchf(x) ≈ f(x0) + (x − x0) · f ′(x0).

Sie ist umso besser, je kleiner ∆x bzw. je naher x an dem Referenzpunkt x0 ist.Wegen ihrer eminenten Nutzlichkeit ist es gut, einige elementare Beispiele

standig parat zu haben, auf die sich viele andere Falle zuruckfuhren lassen:

(1 + x)2 ≈ 1 + 2x,1

1 + x≈ 1− x, ex ≈ 1 + x, sin x ≈ x (x ≪ 1).

Taylor-Entwicklung:Diese Naherungsformel kann man (oft) verbessern. Man addiert weitere Kor-rekturen proportional zu (x − x0)

n (n = 2, 3, . . .), d.h., man macht einenPotenzreihen-Ansatz fur die exakte Funktion:

f(x) = a0 + a1 · (x − x0) + a2 · (x − x0)2 + a3 · (x − x0)

3 + . . .

mit a0 = f(x0), a1 = f ′(x0) und zunachst unbekannten weiteren Koeffizientena2, a3, . . .. Je dichter x an x0, desto kleiner sind die zusatzlichen Korrekturen∝ (x−x0)

n; je weiter aber x von x0 entfernt ist, desto mehr solcher Terme mussman “mitnehmen”, um den Fehler klein zu halten.Man kann die Koeffizienten an bestimmen, indem man die Gleichung (bei festemx0) n-mal nach x ableitet und anschließend x = x0 setzt. Das Ergebnis ist:

an = f (n)(x0)/n!,

wobei f (n) die n-te Ableitung der Funktion f ist. Man kann also die exakteFunktion “uberall” als unendliche Summe berechnen, wenn man alle ihre Ablei-tungen an einer Stelle kennt. In der Regel bricht man die Summe nach endlichvielen Termen ab, je nach erforderlicher Prazision.Im Prinzip ist dies ein universell einsetzbares systematisches Approximations-verfahren, das in vielen Variationen immer wieder verwendet wird. Wie gut esim Einzelfall ist, hangt von der Funktion f , der Stelle x0 und der gefordertenGenauigkeit ab.

Beispiele:

(1 + x)2 = 1 + 2x + x2,1

1 + x= 1 − x + x2 − x3 ± . . . ,

ex = 1 + x +1

2x2 +

1

6x3 + . . . , sin x = x − 1

6x3 +

1

120x5 ∓ . . . .

In der Praxis kann man anhand dieser Beispiele die ersten Terme einer Taylor-Entwicklung fast immer auch ohne muhseliges Ableiten gewinnen!

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2 Der dreidimensionale Raum

Vektoren, Koordinaten

Da der physikalische Raum dreidimensional ist, ist die Beschreibung der La-ge oder Geschwindigkeit eines Massenpunktes durch eine Zahl x oder v nichtausreichend. Wir benotigen Vektoren.

Ein Vektor ist eine Große im dreidimensionalen Raum, die eine Richtung undeinen Betrag hat, etwa eine Geschwindigkeit oder eine Kraft. (Der Betrag besitzteine physikalische Dimension, etwa m sec−1.) Ublicherweise stellt man Vektorendurch “Pfeile” im Raum dar. Der Ort eines Objektes ist dagegen ein Punkt imRaum. Dieser kann ebenfalls durch einen Vektor beschrieben werden, indem maneinen Referenzpunkt (“Ursprung”) wahlt. Die gerichtete Verbindungslinie, dievom Referenzpunkt zum Massenpunkt weist, ist dann ein Vektor, den man ~xoder ~r nennt. Die Lange dieser Linie ist der Betrag des Vektors, |~x| oder |~r|.

A. Geometrische Operationen mit Vektoren

Man kann mit Vektoren verschiedene geometrische Operationen ausfuhren:

Addition zweier Vektoren ~a und ~b:Man verschiebe den “Fußpunkt” des einen Vektors an die “Spitze” des anderen

Vektors. Der Summenvektor ~a + ~b ist der Vektor vom Fußpunkt des ersten zurSpitze des zweiten Vektors (“Parallelogramm-Regel”).

Das Ergebnis ist unabhangig davon, welcher der beiden Vektoren als “erster”bzw. als “zweiter” gewahlt wird, ~a +~b = ~b + ~a.

Ist ~r1 der Ortsvektor eines Objektes 1 (d.h., der Pfeil, der vom Ursprung zumObjekt weist), ~r2 der Ortsvektor eines Objektes 2, und ~r12 der Abstandsvektor(d.h., der Pfeil, der vom Objekt 1 zum Objekt 2 weist), so gilt ~r2 = ~r1 + ~r12.

Ein Vektor der Lange Null (z.B. der Ortsvektor des Ursprungs) wird als Null-vektor = ~0 bezeichnet. Es gilt ~a +~0 = ~a.

Multiplikation von Vektoren mit Zahlen:Beibehaltung der Richtung und Multiplikation der Lange des Vektors mit der

Zahl. Bei negativen Zahlen dreht sich die Richtung um. Es gilt 0 · ~a = ~0.(Wie oben): es gilt ~r12 = ~r2 + (−1) · ~r1. Man schreibt hierfur einfach ~r2 − ~r1.

Orthogonalzerlegung, SkalarproduktIst ~a ein Referenzvektor ~a 6= 0, so kann man einen beliebigen Vektor ~b ein-

deutig zerlegen in die Summe zweier Vektoren

~b = ~b|| +~b⊥,

sodass ~b|| parallel zu ~a (d.h., ein Vielfaches von ~a) ist und ~b⊥ senkrecht zu ~a steht.Fur zwei Vektoren nennt man die Große

(~a ·~b) :=1

2

(

|~a +~b|2 − |~a|2 − |~b|2)

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das Skalarprodukt der Vektoren ~a und ~b. Nach dem Cosinus-Satz ist dies das-selbe wie

(~a ·~b) := |~a| · |~b| · cos ϕ,

wobei ϕ der Winkel zwischen ~a und ~b ist.

Folgerungen: (1) (~a · ~a) = |~a|2.(2) (~a ·~b) = 0 genau dann, wenn ~a und ~b aufeinander senkrecht stehen.(3) (mithilfe einer geometrischen Skizze:) Der Proportionalitatsfaktor in der

Orthogonalzerlegung ist durch

~b|| =(~a ·~b)(~a · ~a)

· ~a

gegeben. Wenn man also Skalarprodukte berechnen kann (s. Abschnitt B), kannman auch Orthogonalzerlegungen berechnen.

(4) Ist ~b = ~b||+~b⊥ die Orthogonal-Zerlegung von ~b bezuglich ~a und umgekehrt

~a = ~a|| + ~a⊥ die Orthogonal-Zerlegung von ~a bezuglich ~b, so gilt

~a ·~b = ~a|| ·~b = ~a ·~b|| = |~a| · |~b| · cos ϕ.

Physikalische Anwendung (vgl. Kap. 4): “Arbeit = Kraft mal Weg”, W =~F ·~s = ~F|| ·~s = ~s|| · ~F . Haben Kraft und Verschiebung nicht dieselbe Richtung, so

ist die geleistete Arbeit dieselbe, wie wenn die verringerte Kraft |~F||| = | cos γ|·|~F |in Richtung der tatsachlichen Verschiebung wirkte, oder wie wenn die Verschie-bung um die verkurzte Strecke |~s||| = | cos γ| · |~s| in Richtung der tatsachlichenKraft erfolgte. Die jeweiligen senkrechten Anteile von Kraft bzw. Weg sind “un-wirksam”.

Ebenen, Normalenvektoren, VektorproduktJe zwei nichtparallele Vektoren “spannen eine Ebene auf”. Ein auf einer Ebene

senkrecht stehender Vektor, dessen Betrag 1 ist, nennt man “Normalenvektor”~n. Jede Ebene hat genau zwei Normalenvektoren (~n und −~n), und jede Ebeneist durch Angabe eines NV sowie eines beliebigen Punktes der Ebene vollstandigfestgelegt, wobei der NV die Orientierung der Ebene im Raum angibt.

Seien ~a und ~b zwei Vektoren. Die Flache des von ~a und ~b aufgespanntenParallelogramms ist A = |~a||~b| sinϕ. Sei ~n derjenige Normalenvektor, fur den ~a,~b und ~n ein Rechts-System (“wie Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechtenHand”) bilden. Dann nennt man

~a ×~b := A ~n

das Kreuzprodukt oder Vektorprodukt von ~a mit ~b. Offenbar ist |~a ×~b| =

|~a||~b|| sinϕ|, und ~a ×~b = 0 falls ~a und ~b parallel sind.

Das Vektorprodukt spielt nicht nur bei der Beschreibung von Flachen, sondernauch fur Drehbewegungen eine große Rolle (siehe auch Kap. 4, 6 und 8):

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Physikalische Anwendungen:

(1) Geschwindigkeit einer Drehbewegung: rotiert ein Punkt um eine Drehach-se, so besteht zwischen Ort und Geschwindigkeit die Relation

~v = ~ω × ~r = ω × ~r⊥, |v| = ω|r⊥|,

wobei ~ω die Richtung der Drehachse hat und sein Betrag die Kreisfrequenz ω =2π/T ist.

(2) “Drehmoment = Hebelarm mal Kraft”, ~T = ~l × ~F ⇒ |~T | = |~l| · |~F | · sin γ.

Unter Verwendung der Orthogonal-Zerlegungen wie oben: ~T = ~l × (~F|| + ~F⊥) =~l × ~F|| + ~l × ~F⊥ = ~l × ~F⊥: Greift die Kraft nicht senkrecht am Hebel an, so

ist die zum Hebelarm parallele Kraftkomponente unwirksam. Umgekehrt ~T =(~l|| + ~l⊥) × ~F = ~l|| × ~F + ~l⊥ × ~F = ~l⊥ × ~F : die zur Kraft parallele Komponentedes Hebelarmes ist unwirksam.

Zu den weiteren Eigenschaften dieses Produktes, siehe Abschnitt B.

B. Analytisches Rechnen mit Vektoren

Ein Vektor in einer zweidimensionalen Ebene wird durch zwei Zahlen ein-deutig festgelegt. Zweckmaßig: kartesische Koordinaten (= Komponenten):Man wahlt einen Ursprung sowie zwei zueinander senkrechte Achsen durch denUrsprung. Die senkrechte Projektion eines Punktes in der Ebene ergibt zwei Koor-dinaten x und y. Offenbar sind x und y gerade die Skalarprodukte des Ortsvektors~r mit den Einheitsvektoren ~ex und ~ey, die die Achsen definieren. Den Ortsvektordes Punktes kann man dann schreiben als

~r = x ~ex + y ~ey.

Ublich ist auch die Abkurzung als Zahlenpaar (“Komponenten-Schreibweise”):

~r = (x, y),

allgemeiner fur beliebige Vektoren:

~a = ax ~ex + ay ~ey = (ax, ay).

Analog fur Vektoren im dreidimensionalen Raum: drei zueinander senkrechteAchsen ergeben drei kartesische Koordinaten ax, ay und az eines Vektors:

~a = ax ~ex + ay ~ey + az ~ez ≡ (ax, ay, az),

wobei ax = (~a · ~ex) etc.Die Wahl der Achsen ist, wie die des Ursprunges, grundsatzlich beliebig und

sollte zweckmaßig erfolgen (“Kanten des Labortisches”). Vereinbarung: Dreidi-mensionale Achsensysteme bilden, in der Reihenfolge ihrer Nummerierung (x-y-zbzw. 1-2-3), immer ein Rechts-System (s.o.).

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Naturlich hangen die kartesischen Koordinaten eines Punktes von der Wahldes Ursprunges und der Achsen ab. Alles Folgende gilt fur feste Wahl des Koordi-

natensystems. Transformationsregeln fur einen Wechsel des Koordinatensystemswerden spater behandelt (Kap. 7).

Die Lange eines Vektors ~a = (ax, ay) bzw. ~a = (ax, ay, az) ist |~a| =√

a2x + a2

y

(Satz des Pythagoras) bzw.

|~a| =√

a2x + a2

y + a2z

(zweifache Anwendung des Pythagoras).Im Gegensatz zu seinen Komponenten ax, ay, az hangt der Betrag eines Vek-

tors nicht von der Wahl des Achsensystems ab. Solche koordinatensystem-unab-hangigen Großen nennt man Skalare. Das Skalarprodukt zweier Vektoren istebenfalls ein Skalar.

Die Komponenten eines Vektors haben dieselbe physikalische Dimension wiesein Betrag. Orts- oder Abstandsvektoren haben die physikalische Dimension“Lange” (m, km, mm, . . . ).

Die geometrischen Operationen aus Abschnitt A lassen sich mithilfe der Kompo-nenten-Darstellung leicht berechnen:

Summe und Vielfache:Sind ~a = (ax, ay, az) und ~b = (bx, by, bz) zwei Vektoren und λ eine Zahl, so ist

~a +~b = (ax + bx, ay + by, az + bz), λ · ~a = (λ · ax, λ · ay, λ · az).

Skalarprodukt:Da das Skalarprodukt als Differenz von Betragsquadraten definiert ist (s. Ab-

schnitt A), und diese wie o.a. durch die Komponenten ausdruckbar sind, ergibtsich nach kurzer Rechnung:

(~a ·~b) = axbx + ayby + azbz .

Anwendung: Winkelberechnung mithilfe von kartesischen Koordinaten:

cos ϕ = (~a ·~b)/

(~a · ~a)(~b ·~b).

Weitere Regeln (~a, ~b, ~c Vektoren, λ, µ Zahlen):

Kommutativitat: (~a ·~b) = (~b · ~a)

Linearitat: (~a · λ~b + µ~c) = λ(~a ·~b) + µ(~a · ~c)Warnung: ((~a ·~b) · ~c) 6= (~a · (~b · ~c)).

Vektorprodukt:Das Vektorprodukt ~c = ~a ×~b ergibt sich in Komponenten-Schreibweise zu

cx = aybz − azby, cy = azbx − axbz, cz = axby − aybx.

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Zum Beweis: der angegebene Vektor ~c = (cx, cy, cz) steht senkrecht auf ~a und

auf ~b (nachrechnen: ~a · ~c = ~b · ~c = 0!). Außerdem ist |~c|2 = ~c · ~c = (~a · ~a)(~b ·~b) − (~a ·~b)2 (nachrechnen!) = (~a · ~a)(~b ·~b)(1 − cos2 ϕ) = (~a · ~a)(~b ·~b) sin2 ϕ, also

|~c| = |~a| · |~b| · | sin ϕ| = die Flache des Parallelogrammes, wie gefordert. Dierichtige Orientierung von ~c ist in Spezialfallen leicht zu sehen, und ergibt sich imallgemeinen Fall durch Stetigkeit.

Weitere Regeln (~a, ~b, ~c Vektoren, λ, µ Zahlen):

Antisymmetrie: ~a ×~b = −~b × ~a

Linearitat: ~a × (λ~b + µ~c) = λ(~a ×~b) + µ(~a × ~c)

Zyklizitat: ((~a ×~b) · ~c) = ((~b × ~c) · ~a) = ((~c × ~a) ·~b)Doppeltes Kreuzprodukt: (~a ×~b) × ~c = (~a · ~c) ·~b − (~b · ~c) · ~aWarnung: (~a ×~b) × ~c 6= ~a × (~b × ~c).

Die dritte dieser Formeln ergibt das sog. Spatprodukt, d.h. das Volumen desvon den drei Vektoren aufgespannten Parallelepipeds (= negativ, falls ~a, ~b, ~c einLinks-System bilden).

Nicht-kartesische Koordinaten:Oft ist es zweckmaßig, zur Ausnutzung der speziellen Symmetrien eines Pro-

blems andere als kartesische Koordinaten zu verwenden. In solchen Koordinatensind aber die Formeln fur die Vektoraddition, das Skalarprodukt bzw. das Vek-torprodukt i.A. viel komplizierter (und werden hier nicht angegeben).

Polarkoordinaten der Ebene. Man wahlt den Ursprung und eine Referenz-richtung. Koordinaten eines Punktes der Ebene: r ≥ 0 = Abstand vom Ursprung,ϕ = Winkel zwischen Referenzvektor und Ortsvektor (im “positiven Umlaufsinn”,d.h., gegen den Uhrzeiger gemessen, mit Werten zwischen 0◦ und 2π = 360◦).

Wahlt man als x-Achse die Referenzrichtung, und als y-Achse die Richtungunter ϕ = 90◦, so gelten die Umrechnungsformeln in kartesische Koordinaten:

x = r cos ϕ, y = r sin ϕ;

r =√

x2 + y2, tan ϕ = y/x.

Raumliche Polarkoordinaten. Man wahlt den Ursprung, eine “Polarrich-tung” sowie eine weitere dazu senkrechte “Azimutalrichtung”. Polarkoordinateneines Punktes im Raum: r ≥ 0 = Abstand vom Ursprung, ϑ = Winkel zwischenPolarrichtung und Ortsvektor (mit Werten zwischen 0◦ und π = 180◦), und ϕ =Winkel zwischen der Azimutalrichtung und der Projektion des Ortsvektors aufdie zur Polarrichtung senkrechte Ebene (im positiven Umlaufsinn gemessen, mitWerten zwischen 0◦ und 2π = 360◦).

Diese beiden Winkel entsprechen in etwa den geographischen Winkelkoordi-naten (GO=51◦32′ nordlicher Breite, 9◦55′ ostlicher Lange), wobei jedoch andereKonventionen verwendet werden!

Wahlt man als z-Achse die Polarrichtung, als x-Achse die Azimutalrichtung,und erganzt diese mit der y-Achse zu einem orthonormalen Rechts-System, so

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gelten die Umrechnungsformeln:

x = r sin ϑ cos ϕ, y = r sin ϑ sin ϕ, z = r cos ϑ;

r =√

x2 + y2 + z2, tanϑ =√

x2 + y2/z, tanϕ = y/x.

Zylinderkoordinaten. Man wahlt den Ursprung, eine Achsenrichtung undeine dazu senkrechte Referenzrichtung. Zylinderkoordinaten z = kartesische Ko-ordinate in Achsenrichtung, r, ϕ = ebene Polarkoordinaten des in die zur Achsesenkrechte Ebene projizierten Ortsvektors.

Wahlt man als z-Achse die Achsenrichtung, als x-Achse die Referenzrichtung,und erganzt diese mit der y-Achse zu einem orthonormalen Rechts-System, sogelten die Umrechnungsformeln:

x = ρ cos ϕ, y = ρ sin ϕ, z = z;

ρ =√

x2 + y2, tan ϕ = y/x, z = z.

1 (Fortsetzung): Dreidimensionale Kinematik

Differentiation von Vektoren, partielle Ableitungen

Die dreidimensionale physikalische Raum erfordert die Erweiterung der Begriffe“Funktion” und “Ableitung”.

Die Bahnkurve eines Massenpunktes ist eine vektorwertige Funktion:

~r = ~r(t) = (x(t), y(t), z(t)).

Vektorwertige Funktionen sind also nichts anderes als “drei Funktionen”. Mankonnte sie entweder als drei Graphen mit einer gemeinsamen t-Achse darstellen.Zweckmaßiger (zumindest im zweidimensionalen Fall (x(t), y(t))) ist oft jedochdie Darstellung als Kurve in der x-y-Ebene, wobei man etwa die Zeitpunkte desDurchgangs durch die Punkte (x, y) “dazuschreibt”.

Großen, die vom Ort abhangen, bezeichnet man als Felder. Da der Ort durchdrei Koordinaten gegeben ist, sind Felder Funktionen in drei Variablen:

X = X(~r) = X(x, y, z).

Beispiel:

V (~x) = V (x, y, z), z.B. =const.

x2 + y2 + z2.

(Felder konnen in der Physik zusatzlich auch noch von der Zeit abhangen: X =X(~r, t) = X(x, y, z; t), oder sie konnen selbst vektorwertig sein, wie etwa das

elektrische Feld ~E = ~E(~r, t).)Graphisch sind Felder schwierig darzustellen. Fur Skalarfelder sind Hohenpro-

file (d.h., die Feldwerte entlang einer Linie) oder Hohenlinien bzw. “Aquipoten-

tialflachen” (d.h., Linien oder Flachen gleicher Feldwerte) hilfreich. Vektorfelder

versucht man graphisch durch “Anheften” des zugehorigen Feldvektors ~F (~x) an

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jeden Raumpunkt ~x 1, oder durch die diese Feldvektoren verbindenden Feldlinien

anzudeuten.

Differentiation von vektorwertigen Funktionen:Da die Differentiation sich auf Differenz-Bildung zuruckzufuhren ist, und die

Subtraktion ebenso wie die Addition von Vektoren komponentenweise erfolgt,darf man auch komponentenweise differenzieren. Ist also ~r(t) = (x(t), y(t), z(t))die Bahnkurve, so ist

~v(t) =d~r(t)

dt= ~r(t) = (x(t), y(t), z(t))

die Komponentendarstellung der Geschwindigkeit, d.h., vx = x ist die x-Komponentevon ~v etc. Entsprechendes gilt fur die Beschleunigung, x = ax etc.

Die Produktregel verallgemeinert sich auf vektorielle Multiplikationen:

ddt

(f(t)g(t)) = f(t) · g(t) + f(t) · g(t),ddt

(f(t)~a(t)) = f(t) · ~a(t) + f(t) · ~a(t),ddt

(~a(t) ·~b(t)) = ~a(t) ·~b(t) + ~a(t) ·~b(t),ddt

(~a(t) ×~b(t)) = ~a(t) ×~b(t) + ~a(t) ×~b(t).

Anwendungen: “Wenn die Kraft parallel zum Ortsvektor gerichtet ist, dann

ist der Drehimpuls zeitlich konstant” (Kap. 4, 6): ~L = m(~r × ~r) ⇒ d~Ldt

= m(~r ×~r) + m(~r × ~r). Der erste Beitrag verschwindet als Kreuzprodukt eines Vektorsmit sich selbst, der zweite ist nach dem Newton’schen Gesetz (Kap. 3.1) gleich

~r × ~F , und dies verschwindet aufgrund der Annahme, also dLdt

= 0.“Die Geschwindigkeit einer Pendelmasse am gestrafften Faden steht stets

senkrecht zum Faden”: Ursprung = Aufhangepunkt ⇒ ~r · ~r = l2 ist konstant⇒ 0 = d

dt(~r · ~r) = 2~r · ~r ⇒ ~r ⊥ ~r.

Partielle Differentiation:Eine Funktion mit mehreren Variablen kann man als Funktion jeweils ei-

ner Variablen auffassen, indem man die ubrigen Variablen gedanklich “festhalt”.Dann kann man sie nach dieser Variablen ableiten. Man schreibt

∂f(x, y, z)

∂x= lim

x′→x

f(x′, y, z) − f(x, y, z)

x′ − x= etc.

Gradient (= Differentiation von Feldern):Im Falle von Feldern, d.h., wenn die Variablen die Komponenten des Ortsvek-

tors sind, fasst man die drei partiellen Ableitungen wiederum zu einem Vektorfeld,dem Gradienten, zusammen:

~grad f(~r) =

(

∂f(x, y, z)

∂x,∂f(x, y, z)

∂y,∂f(x, y, z)

∂z

)

.

1Wenn die Feldvektoren nicht allzustark variieren, dann entsteht der Eindruck eines “Ge-treidefeldes im Wind”.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 13

Beispiele:

~grad (~b · ~r) = ~b. ~grad1

r= − ~r

r3.

Es gilt die verallgemeinerte Naherungsformel (falls ~y dicht bei ~x):

f(~y) ≈ f(~x) + (~y − ~x) · ~grad f(~x)

sowie die verallgemeinerte Kettenregel:

df(~r(t))

dt=

∂f(x, y, z)

∂x· x(t) +

∂f(x, y, z)

∂y· y(t) +

∂f(x, y, z)

∂z· z(t)

= ~grad f(~r(t)) · ~r(t).

Beispiel: Ein Teilchen bewege sich auf einer Bahn ~r(t) durch ein Tempera-turfeld T (~r). Wie andert sich seine Temperatur im Laufe der Zeit? Antwort:dT (t)

dt= ~gradT (~r(t)) · ~r(t) = Skalarprodukt aus Geschwindigkeit und Gradient

des Temperaturfeldes am Ort des Teilchens. Daraus folgt:(i) Ein Teilchen, das sich innerhalb einer Flache konstanter Temperatur be-

wegt (also dTdt

= 0), bewegt sich senkrecht zum Gradientenfeld (~v ⊥ ~gradT ). Also

steht ~grad T senkrecht auf dieser Flache.(ii) Da ~gradT (~r(t)) · ~r(t) = | ~gradT | · |~v| · cos α (α = Winkel zwischen der

Geschwindigkeit und dem Gradientenvektor), ist an jedem Ort bei vorgegebenemBetrag der Geschwindigkeit die Temperaturanderung dann am großten, wennα = 0, d.h., falls die Bewegung in Richtung des Gradienten erfolgt.

(iii) Wahlt man dagegen einen Weg ~r(t) in Richtung des Gradientenfeldes, so

gilt dT (t)dt

= ~gradT (~r) · ~r(t) = | ~gradT (~r)| · |d~r(t)|/dt, also | ~gradT (~r)| = dT/|d~r|.Ubertragen auf den allgemeinen Fall folgt aus diesen Uberlegungen: Der Gra-

dient eines Skalarfeldes f(~r) steht an jedem Ort senkrecht auf derjenigen Flache,auf der der Wert des Feldes konstant ist (sog. “Aquipotentialflache”). Die Rich-

tung des Gradientenvektors ~grad f(~r) ist an jedem Ort die Richtung des großtenAnstiegs der Werte des Feldes. Sein Betrag ist der Anstieg df/|d~r| in dieser Rich-tung.

3 Dynamik

Differentialgleichungen, Integration

Dynamik: Gesetze, die die Bewegung physikalischer Objekte bzw. die Verande-rung physikalischer Großen (Ort, Geschwindigkeit, . . . ) bestimmen.

3.1 Newton’sche Gesetze

1. Newton’sches Gesetz: Ohne “außere Einflusse” bewegt sich ein Korper ge-radlinig und mit unveranderter Geschwindigkeit (~v = ~r(t) = const. ⇒ Beschleu-nigung ~a = ~r(t) = 0.)

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 14

Diese Aussage steht im scheinbaren Gegensatz zur taglichen Erfahrung (“jedeBewegung kommt irgendwann zum Stillstand”) und beruht auf einer gedankli-chen Abstraktion, da sich viele “außere Einflusse” gar nicht “ausschalten” lassen:Schwerkraft, Reibung, . . . . Beispiele, die dem Idealfall nahe kommen: Gleiten aufeiner glatten Oberflache (Eis), interstellarer Raumflug.

Die außeren Einflusse werden als Krafte (Schwerkraft, Reibungskraft, Zug-kraft, etc.) bezeichnet.

2. Newton’sches Gesetz: Unter dem Einfluss einer Kraft wird die Bewegungeines Korpers beschleunigt:

~F = m · ~a = m · ~r(t).

Das 2. NG enthalt zwei Aussagen: (i) Fur jeden gegebenen Korper ist dieBeschleunigung der Kraft proportional (und gleichgerichtet). (ii) Der Proportio-nalitatsfaktor m ist ein Attribut des Korpers und wird als dessen trage Massebezeichnet. Es folgt: Gleiche Krafte beschleunigen verschiedene Korper unter-schiedlich stark (großere trage Masse, kleinere Beschleunigung).

Krafte sind Vektoren (Betrag und Richtung). Verschiedene Krafte sind unter-einander vergleichbar: wirken zwei Krafte auf einen Korper (Beispiel: Schwerkraftund Federkraft auf einen an einer Feder aufgehangten Korper), so dass die Be-schleunigung Null ist (~a = 0), so ist die Gesamtkraft Null (Gleichgewicht), und

die beiden Krafte entgegengesetzt gleich groß: ~F (2) = −~F (1). Dadurch werdenKrafte messbar ohne ihre Beschleunigungswirkung auszunutzen (Gleichgewichtmit der Kraft einer geeichten Federwaage).

Allgemein: Mehrere Krafte addieren sich vektoriell zu einer Gesamtkraft:~Ftot = ~F (1) + ~F (2) + . . .. Nur diese bestimmt die Beschleunigung: m · ~a = ~Ftot.

Manche Krafte sind Kraftfelder, d.h., ein Massenpunkt erfahrt eine orts-abhangige Kraft ~F (~r), wenn er sich gerade am Ort ~r befindet (Beispiel: Gravitati-onskraft). Krafte konnen auch geschwindigkeitsabhangig sein (Beispiel: Reibung).

Zerlegt man die Kraft orthogonal bezuglich der Geschwindigkeit: ~F = ~F||+ ~F⊥,

so fuhrt die entsprechende Parallelbeschleunigung ~a|| = ~F||/m zu einer Anderung

des Betrages der Geschwindigkeit, und die Normalbeschleunigung ~a⊥ = ~F⊥/m zueiner Anderung der Richtung der Geschwindigkeit. Im Allgemeinen andern sichBetrag und Richtung.

3. Newton’sches Gesetz: Ubt ein Korper eine Kraft ~F auf einen zweitenKorper aus, so ubt umgekehrt der letztere die entgegengesetzt gleiche Kraft −~Fauf den ersteren aus.

Beispiele: Tauziehen; die Feder tragt das Gewicht und das Gewicht strafft dieFeder; Erde und Mond ziehen sich gegenseitig an.

Folgerung (unter Verwendung des 2. NG fur die beiden Korper, und falls keineweiteren Krafte vorliegen):

d

dt

(

m1~v1 + m2~v2

)

= m2~a2 + m1~a1 = ~F + (−~F ) = 0.

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Die Große m1~v1 + m2~v2 andert sich also nicht: sie ist eine Erhaltungsgroße derBewegung. Man nennt diese Große den Impuls ~p. Der Impuls zweier Korper istdie Summe der Einzelimpulse ~pi = mi~vi.

Verallgemeinerung fur n Korper: Korper i ubt Kraft ~Fij auf Korper j aus;~Fji = −~Fij . Es folgt durch paarweise Kompensation, dass die Summe aller Kraftegleich Null ist, also

mj~aj = 0. Damit ist ddt

(∑

j mj~vj) = 0, d.h., der Gesam-timpuls ~p =

mi~vi ist erhalten (nicht so die Einzelimpulse).Anwendungen: Ruckstoß, Dusenantrieb.

Man schreibt das 2. NG auch in der Form

d~p

dt= ~F .

In dieser Form ist es auch dann gultig, wenn die Masse veranderlich ist (z.B. Aus-stoß von Antriebsgasen bei einer Rakete oder geschwindigkeitsabhangige Massein der speziellen Relativitatstheorie, s. Kap. 7).

3.2 Kraftgesetze

Alle Krafte sind durch die Anordnung und die Geschwindigkeiten der Kompo-nenten eines physikalischen Systems bestimmt.

Die spezifischen Abhangigkeiten der Krafte von Lage und Geschwindigkeitnennt man Kraftgesetze. Typische elementare Kraftgesetze sind:

• Die Schwerkraft auf der Erdoberflache: ~F = m~g. Hierbei ist ~g ein konstanternach unten gerichteter Vektor. m ist die schwere Masse des Korpers, auf dendie Schwerkraft wirkt. Man verwendet dasselbe Symbol m fur die schwere und furdie trage Masse, da empirisch diese beiden – konzeptionell ganz verschiedenen –Attribute aller physikalischen Objekte streng zueinander proportional sind: durchgeeignete Wahl der Einheiten (d.h., indem man den Proportionalitatsfaktor in ~g“absorbiert”), darf man dann sogar mschwer = mtrage setzen und die Unterschei-dung fallenlassen. Mit dieser Konvention ist dann |~g| gerade die Beschleunigungg = 9, 81 m/sec2 des freien Falls.

• Das Newton’sche Gravitationsgesetz fur die Kraft zwischen zwei Massen:~F12 = −γ(m1m2/r

212) · ~e12, wobei ~e12 der Einheitsvektor in der Richtung Masse 1

→ Masse 2 ist. γ = 6.67 · 10−11 m3kg−1sec−2 ist eine universelle Naturkonstan-te. Das vorige Beispiel ist eine Approximation dieses Gesetzes im Falle Korper1=Erdkugel, wenn man den Einheitsvektor vom Erdmittelpunkt ~e = ~e12 ebensowie den Abstand R = r12 als konstant annimmt und ~g = −γ(mErde/R

2)~e setzt.

• Kraft einer gespannten Feder: ~F = −k · ∆~x, wobei die Federkonstante keine Eigenschaft der Feder ist (k groß ⇒ Feder “hart”), und ∆~x der Vektor ist,der die Verlangerung der Feder relativ zu ihrer entspannten Lange bezeichnet.

• Reibungskrafte sind in der Regel der Geschwindigkeit entgegengerichtet,etwa: ~F = −f(~v) ·~v, wobei f(~v) beispielsweise eine Konstante ist oder selber mitder Geschwindigkeit anwachst. Das hangt von den beteiligten Materialien ab.

• Die Haftreibung ist der Auflagekraft proportional.

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3.3 Bewegungsgleichungen

Kennt man die Geschwindigkeit ~v(t) als Funktion der Zeit, so kann man die Bahn-kurve berechnen. Dazu muss man im Prinzip, von einem Anfangspunkt ~r(t0)ausgehend, alle Ortsveranderungen ∆~r(ti) = ~r(ti+1) − ~r(ti) fur viele aufeinan-derfolgende Zeitpunkte addieren. Diese sind durch unsere Naherungsformel abergerade durch die Geschwindigkeit gegeben: ∆~r(ti) = ~v(ti)(ti+1 − ti) = ~v(ti)∆ti.

Die resultierende (im Grenzfall kleiner Zeitintervalle exakte) Summe

~r(t) = ~r(t0) + ~v(t0)(t1 − t0) + . . . + ~v(tn)(t − tn) = ~r0 +∑

~v(ti)∆ti

wird durch Integration berechnet: ~r(t) = ~r0 +

∫ t

t0

~v(t)dt.

Integration: (zur Erinnerung)

Ist f(x) die Ableitung einer Funktion F (x), also F ′(x) = f(x), so wird F alsStammfunktion von f bezeichnet. Denkt man sich zwischen zwei Punkten x0

und x viele Zwischenpunkte xi, so gilt naherungsweise

F (x) − F (x0) = [F (x) − F (xn)] + . . . + [F (x2) − F (x1)] + [F (x1) − F (x0)]

≈∑

i(xi+1 − xi) · F ′(xi) =∑

i f(xi) · ∆xi.

Fur den Grenzubergang infinitesimal benachbarter Zwischenpunkte schreibtman dx statt ∆x und

statt∑

:

F (x) − F (x0) =

∫ x

x0

f(x′)dx′.

Mit anderen Worten: Unendliche Summen von infinitesimal kleinen Beitragenbezeichnet man als Integral. Zur Berechnung des Integrals ist es ausreichend, ei-ne Stammfunktion zu finden. Dies ist in der Regel viel einfacher, als die Summevon endlich vielen Beitragen mit anschließendem Grenzubergang auszurechnen.(Manchmal wird man sogar eine Summe von endlich vielen Termen zur nahe-rungsweisen Berchnung effektiv durch ein Integral ersetzen!)Stammfunktionen findet man “durch Raten” (daher sollte man ein gewissesArsenal von ihnen auswendig kennen), oder “durch Nachschlagen” (daher sollteman einige Standardtechniken kennen, um ein gesuchtes Integral in eine Formzu bringen, die man vielleicht im Nachschlagewerk findet.)Je zwei Stammfunktionen unterscheiden sich um eine additive Konstante:F2(x) = F1(x) + c. Bei der Differenzbildung F (x) − F (x0) wie oben fallt dieseKonstante weg, ist also irrelevant. Andererseits hangt die gesuchte Losung F (x)des Problems “Was ist F (x), wenn F ′(x) = f(x)?” offenbar von der VorgabeF (x0) ab. Erst diese Vorgabe macht die Losung eindeutig.

Die Newton’schen Bewegungsgleichung (= 2. NG mit spezifizierter Kraft)bestimmt aber nicht die Geschwindigkeit, sondern die Beschleunigung. Sinngemaßgilt dann dasselbe: durch Integration bestimmt man aus der Beschleunigungzunachst die Geschwindigkeit, und durch eine zweite Integration aus der Ge-schwindigkeit die Bahnkurve.

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Es gibt aber eine wesentliche Komplikation: oft ist die Kraft, und damit dieBeschleunigung, nicht als Funktion der Zeit, sondern in Abhangigkeit von Ortund Geschwindigkeit bekannt (siehe Kap. 3.2):

m~r(t) = ~F (~r(t), ~r(t), t).

Da ihre (zweite) Ableitung von der gesuchten Funktion ~r(t) selber abhangt,kann man nicht einfach die Stammfunktion einer bekannten Funktion bestimmen.

Trotzdem gilt:

Die Bewegungsgleichung legt zusammen mit einer Anfangsposition ~r(t0) undeiner Anfangsgeschwindigkeit ~v(t0) die Bahnkurve ~r(t) eindeutig fest.

Diese fundamentale Erfahrungstatsache (“Prinzip der Determiniertheit”) liegtletztlich dem 2. NG zugrunde.

Zur Begrundung macht man folgende schematische Uberlegung: ~r(t0) und~v(t0) bestimmen uber die BG die Beschleunigung zum Zeitpunkt t0. Dann ergibt

~v(t0 + δt) ≈ ~v(t0) + δt · ~a(t0) und ~r(t0 + δt) ≈ ~r(t0) + δt · ~v(t0)

Ort und Geschwindigkeit zu einem um δt spateren Zeitpunkt. Aus diesen Wertenbestimmt man wieder die Beschleunigung zur Zeit t + δt, und so weiter. Manerhalt so ~r(t) zu allen Zeitpunkten. Zwar verwendet das Argument Naherungen,die bei großen Zeitschritten unzuverlassig sind; im Limes infinitesimal kleinerZeitschritte wird die Aussage jedoch exakt.

Tatsachlich verfahren nur Computer nach dem beschriebenen Schema. Effek-tiver sind oft exakte Methoden zur Behandlung von Differentialgleichungen.

Differentialgleichungen:

Eine Differentialgleichung ist eine funktionale Abhangigkeit zwischen einer (ge-suchten) Funktion und ihren Ableitungen. Die hochste vorkommende Ableitungnennt man die Ordnung der Dgl.. Lost man sie nach der hochsten Ableitung auf,so nimmt etwa eine Dgl. der zweiten Ordnung die Form an:

y′′ = f(y, y′, x)

mit irgendeiner bekannten Abhangigkeit f . Da die Newton’sche BG die Lage,die Geschwindigkeit und die Beschleunigung enthalt, handelt es sich um eineDgl. zweiter Ordung in der Zeit:

r = f(r, r, t),

mit der Komplikation, dass r(t) eine vektorwertige Funktion ist. Man sprichtdaher von einem System von Differentialgleichungen.Die Kunst des Losens von Differentialgleichungen besteht darin, sie auf “elemen-tare Integrationen” zuruckzufuhren, d.h., das Auffinden von Stammfunktionen.Dies ist nicht immer systematisch moglich. Manchmal hilft auch ein intelligenterAnsatz weiter; im Notfall muss man numerische Methoden zuhilfe ziehen.

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Beispiele fur Differentialgleichungen erster Ordnung, und wie man sie lost:

•(1) x = f(t) (f bekannt). Hier muss man nur die Stammfunktion von f auf-finden: x(t) =

∫ tf(t′)dt′, und ggf. die unbestimmte Integrationskonstante durch

Einsetzen in x(t0) = x0 bestimmen. Bsp. (linear wachsende Geschwindigkeit):x = at ⇒ x(t) = 1

2at2 + c. Was ist c? Wenn x(T ) = x0 zu einer bestimmten Zeit

T bekannt ist: ⇒ x0 = 12aT 2 + c ⇒ c = x0 − 1

2aT 2 ⇒ x(t) = x0 + 1

2a(t2 − T 2).

•(2) x = f(x) (f bekannt). Man schreibt x = dxdt

und vertauscht die Rollenvon x und t. Man erhalt dt

dx= 1/dx

dt= 1/f(x). Diese Dgl lost man wie in (1)

und erhalt die Umkehrfunktion t(x). Anschließend lost man nach x auf: t = t(x)⇒ x = x(t). Bsp. (negative Ruckkopplung, radioaktiver Zerfall): x = −bx ⇒dtdx

= −1/bx ⇒ t(x) = −(log x)/b + c ⇒ x(t) = exp(c − t/b). Wie hangt c mitdem Anfangswert zusammen? ⇒ x(0) = exp c ⇒ x(t) = x(0) · exp−t/b.

•(3) “Trennung der Variablen” (enthalt (1) und (2) als Spezialfalle): x =f(t)/g(x) (f , g bekannt). Man “sortiert” g(x)dx = f(t)dt und fuhrt auf beidenSeiten ein Integral aus. Dafur sucht man auf beiden Seiten die Stammfunktionen,und erhalt G(x) = F (t) + c mit G′ = g und F = t. (Man benotigt nur auf einerSeite eine Integrationskonstante, da sich die IK beider Seiten stets zu einer ein-zigen zusammenfassen lassen.) Dann lost man nach x(t) auf. Bsp. (anwachsendepositive Ruckkopplung): x = atx ⇒ dx/x = atdt ⇒ log x = 1

2at2 + c ⇒ x(t) =

exp c · exp 12at2 und (ahnlich wie in (2)) x(0) = exp c ⇒ x(t) = x(0) · exp 1

2at2.

Beispiele fur Differentialgleichungen zweiter Ordnung:

•(4) x = f(t) (f bekannt). Erste Stammfunktion x = F (t) + c mit F = f ,zweite Stammfunktion x(t) = G(t) + ct + d mit G = F . Zwei Integrationskon-stanten c und d. Bsp. (konstante Kraft, freier Fall): x = a ⇒ x = at + c ⇒x = 1

2at2 + ct + d ⇒ x(0) = d und x(0) ≡ v(0) = c ⇒ x(t) = x(0) + v(0)t + 1

2at2.

•(5) x = f(x) (f bekannt). Umbenennung x = v ⇒ v = f(v). Losen wie in(2) ⇒ v = v(t) mit einer Integrationskonstanten ⇒ x = v(t) (jetzt ist v bekannt).Losen wie in (1) mit einer weiteren IK. Bsp. (Reibungskraft): x = −bx ⇒ v = −bv⇒ v(t) = v(0) exp−bt ⇒ x(t) = (−v(0)/b) exp−bt + c sodass x(0) = c − v(0)/b⇒ c = x(0) + v(0)/b ⇒ x(t) = x(0) + (v(0)/b)(1 − exp−bt).

•(6) x = f(x) (f bekannt). Multipliziere mit x und erhalte ddt

12(x)2 = xx =

f(x)x = ddt

F (x(t)) mit F ′ = f (Kettenregel). Es folgt: 12(x)2 = F (x)+c. Auflosen

nach x und weiter wie in (2). Bsp. (Auslenkung einer Feder, harmonische Schwin-gung): mx = −kx ⇒ d

dt(1

2m(x)2 + 1

2kx2) = 0 ⇒ Erhaltungsgroße 1

2m(x)2 + 1

2kx2

mit der Bedeutung “Energie” ⇒ 12m(x)2 + 1

2kx2 = E = const. = Integrati-

onskonstante ⇒ x = ±√

(2/m)/(E − 12kx2), weiter wie in (2) (machbar, aber

kompliziert; ein einfacherer Weg fur dieses Beispiel wird in Kap. 5 beschrieben).

•(7) Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten, d.h., Dgl’ender Form

ax + bx + cx = 0,

in denen die gesuchte Funktion x(t) und ihre Ableitungen nur in linearer Formeingehen und die Koeffizienten a, b, c Konstanten sind: siehe Kap. 5.

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Wenn gar nichts hilft:

•(8) Approximative Losungsverfahren. Beispielsweise durch Potenzreihenan-satz x(t) = a0 + a1(t − t0) + a2(t − t0)

2 + · · · mit unbekannten Koeffizienten an.Es folgt x(t) = a1 + 2a2(t− t0) + 3a3(t− t0)

2 + · · · etc. Einsetzen und Bestimmender Koeffizienten an durch Verleich der Koeffizienten von (t− t0)

m. Nach endlichvielen Beitragen abbrechen und hoffen, dass die Approximation gut ist.

Beispiel (in dem man sogar alle Koeffizienten exakt bestimmen und daher dieGute der Approximation kontrollieren kann): x = bx ⇒ . . .⇒ an = ban−1/n ⇒. . .⇒ an = a0 · (bn/n!) ⇒ x(t) = a0 exp(b(t − t0)); vgl. Bsp. (2).

•(9) Numerische Losungsverfahren (z.B. Aufsummation vieler kleiner Ande-rungen, wie anfangs beschrieben; fehleranfallig durch Rundungsfehler und andereInstabilitaten).

Gekoppelte Differentialgleichungen:

In 3 Dimensionen stellen die Newton’schen Bewegungsgleichungen drei Diffe-rentialgleichungen (fur x, y und z) dar, in deren jede i.A. die jeweils beiden an-deren unbekannten Funktionen eingehen. Man kann sie also nicht nacheinanderseparat losen. Man nennt diese Komplikation “Kopplung”. Allgemeine Strategiensind in diesem Fall sehr rar.

Einige wichtige Sonderfalle:

•(10) Freier Fall mit linearer Reibung: m~r = −R~r+m~g. In kartesischen Koor-dinaten ~r = (x, y, z), ~g = (0, 0,−g) entkoppeln die drei Komponentengleichungenvollstandig: mx = −Rx, my = −Ry, mz = −Rz − g (naturlich auch ohne Rei-bung, R = 0). Die Bewegungen in den drei Richtungen verlaufen unabhangig voneinander. (Bei R = 0 ⇒ Wurfparabel)

•(11) Kepler-Problem: m~r = −γmM~r/|~r|3. Da |~r| =√

x2 + y2 + z2, entkop-peln die drei Gleichungen in kartesischen Koordinaten nicht. Zur Losung durchUbergang zu Polarkoordinaten: s. Kap. 6.

•(12): Freier Fall von zwei Korpern in Wechselwirkung (eindimensional): m1z1 =F21 − m1g, m2z2 = F12 − m2g. Wegen des 3. NG ist F12 = −F21. Es folgt durchAddition: m1z1+m2z2 = −(m1 +m2)g. Diese Gleichung beschreibt die Bewegungdes Schwerpunktes zS = (m1z1 +m2z2)/(m1 +m2): MzS = −Mg. Der SP verhaltsich wie ein Massenpunkt der Gesamtmasse M = m1 + m2, auf den die Summe

der außeren Krafte wirkt. Dividiert man die Bewegungsgleichungen fur zi durchmi und subtrahiert sie voneinander, so folgt die Bewegungsgleichung fur die Re-

lativbewegung: z2 − z1 = ( 1m2

+ 1m1

)F12. Die Relativbewegung zR = z2 − z1 genugtalso derselben Gleichung µ · zR = F wie ein einzelner Massenpunkt der “reduzier-

ten Masse” µ = ( 1m1

+ 1m2

)−1 = m1m2/(m1 +m2) unter dem Einfluss der inneren

Kraft F = F21. Wenn die innere Kraft nur vom Abstand z2−z1 abhangt, so ist dasgekoppelte System von zwei Bewegungsgleichungen fur zwei Teilchen in Wechsel-wirkung entkoppelt worden in eine Bewegungsgleichung fur den Schwerpunkt undeine fur den Abstand. Diese Bewegungen verlaufen unabhangig voneinander.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 20

4 Erhaltungssatze. Energie, Impuls, Drehimpuls

Gradient, Kurvenintegrale

A. Arbeit und Energie

Wir definieren “Arbeit = Kraft mal Weg”

W = ~F · ∆~r.

Dies ist die Arbeit, die eine konstante Kraft ~F auf einen Korper ausubt, wahrenddieser sich um ∆~r verschiebt. Fur nicht-konstante Krafte verallgemeinert sich dieszu

dW = ~F · d~r = (~F · ~v)dt und W12 =

∫ 2

1

(~F · ~v)dt.

Die Große P = (~F · ~v) = dW/dt wird als Leistung bezeichnet.Was geschieht mit der Arbeit, die die Kraft leistet? Nach dem 2. NG gilt

~F · ~v = m~v · ~v =d

dt

m

2~v 2

und damit

W12 =

∫ t2

t1

P dt =

∫ t2

t1

d

dtEkin(t) = Ekin(t2) − Ekin(t1),

d.h., die von der Kraft geleistete Arbeit wird in kinetische Energie umgewandelt.

Beispiel: Reibungskraft ~F = −R(|~v|)~v, P = −R~v2. Die Leistung ist negativ,die kinetische Energie nimmt ab.

Beispiel: Schwerkraft ~F = m~g, P = m~g ·~v = −mgz. Es folgt W = [−mgz]t2t1 =mg(z(t1)−z(t2)) = −mg∆z. Die geleistete Arbeit ist der Hohendifferenz propor-tional, und ∆Ekin = −mg∆z. Insbesondere ist Ekin + mgz konstant, d.h., jedeZunahme der kinetischen Energie erfolgt auf Kosten einer Abnahme der Hohe z.(Dies ist das erste Beispiel fur ein konservatives Kraftfeld und den damit verbun-denen Erhaltungssatz, s.u.).

B. Potential und Energie-Erhaltung

Von besonderer Bedeutung sind Krafte, die Gradientenfelder sind:

~F (~r) = − ~gradV (~r),

wobei man V als Potential bezeichnet.Beispiele:

−k~x = − ~grad (12kx2). m~g = − ~grad (mgz). −γmM~r/r3 = − ~grad (−mM/r).

Solche Krafte nennt man konservativ. Die Bedeutung dieser Bezeichnungergibt sich aus dem Folgenden.

Fur eine konservative Kraft konnen wir die Arbeit W12 auch auf die folgendeArt ausrechnen:

W12 =

∫ 2

1

(− ~gradV (~r(t)) · ~r(t))dt = −∫ t2

t1

(

d

dtV (~r(t))

)

dt =

= −[V (~r(t))]t2t1 = V (~r(t1)) − V (~r(t2)) = V (~r1) − V (~r2).

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 21

Der Vergleich mit dem vorherigen Ergebnis fur W12 ergibt

Ekin(t2) + V (~r(t2)) = Ekin(t1) + V (~r(t1)). Energie-Erhaltung

Dies ist der Energie-Erhaltungssatz: bezeichnet man das Potential am Ortdes Teilchens als dessen potentielle Energie Epot = V (~r(t)), so ist die Summeaus kinetischer und potentieller Energie fur alle Zeiten dieselbe.

Anders ausgedruckt: Die Arbeit, die nach der vorherigen Uberlegung in kine-tische Energie umgewandelt wird, verringert gleichzeitig die potentielle Energie;die letztere stellt eine Art “Energie-Reservoir” dar.

Erhaltungssatze sind z.B. nutzlich bei der Vorhersage des Endzustandes, wennder Anfangszustand bekannt ist, ohne dass die dynamischen Prozesse im Ein-zelnen bekannt sein mussen. (Beispiel: s. Abschn. E.)

Verallgemeinerung der Energie-Erhaltung auf zwei Korper: 2-Teilchen-Poten-tial V (~r1 − ~r2), Krafte ~F1 = − ~gradV (~r1 − ~r2), ~F2 = + ~gradV (~r1 − ~r2) (“+”wegen 3. NG bzw. Kettenregel!). Es folgt: d

dt[m1

2~v1

2 + m2

2~v2

2 +V (~r1(t)−~r2(t))] =

m1~v1 ·~v1 + m2~v2 ·~v2 + ~gradV · (~r1 − ~r2) = (m1~a1 − ~F1) ·~v1 + (m2~a2 − ~F2) ·~v2 = 0.(Ahnlich fur N > 2 Korper. N kann sehr groß sein, z.B. 1023; ein N -Teilchen-Potential ist meistens eine Summe von 2-Teilchen-Potentialen.)

Ein System von vielen Teilchen heißt energetisch abgeschlossen, wenn es alleKomponenten umfasst, die (durch konservative Krafte) miteinander Energieaustauschen konnen. Die Gesamtenergie Etot =

i Ei,kin+V (~r1, . . . ~rN) ist dannerhalten.

Wie kann man einer Kraft “ansehen”, ob sie konservativ ist? Da in diesemFall W12 ja gerade die Potentialdifferenz zwischen dem Anfangs- und Endpunkteiner Bahnkurve ist, muss W12 fur jede geschlossene Bahn (~r(t2) = ~r(t1)) gleichNull sein. Diese Eigenschaft ist sogar auch hinreichend, und man kann sie ma-thematisch auf verschiedene aquivalente Arten charakteriseren:

Satz: Die folgenden Aussagen (fur ein gegebenes Vektorfeld ~F (~r)) sind aquiva-lent:(a) ~F (~r) = ~grad f(~r) ist der Gradient einer Funktion f(~r).

(b)∫

C~F · d~r = f(~r2) − f(~r1).

(c)∫

C~F · d~r hangt nur vom Anfangs- und Endpunkt, aber nicht vom Verlauf

der Kurve dazwischen ab.(d)

C~F · d~r = 0 fur jede geschlossene Kurve.

(e) Es gelten die Gleichungen∂Fj

∂xi= ∂Fi

∂xjfur alle i, j = 1, . . . 3. (Diese Eigenschaft

nennt man “Wirbelfreiheit”, s. Kap. 9.)

In (b), (c) und (d) kommen Kurvenintegrale fur offene bzw. geschlosseneKurven vor. Diese sind wie folgt definiert:

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 22

KurvenintegraleEin Ausdruck der Art

C~F (~r) · d~r, wobei ~F (~r) ein Vektorfeld ist, wird als

Kurvenintegral oder Wegintegral bezeichnet. Dabei ist C eine Kurve im Raum,die von einem Punkt ~r1 zu einem Punkt ~r2 fuhrt. Man denke sich die Kurveaus infinitesimalen Wegstucken d~r zusammengesetzt. Das Integral ist dann die“Summe” all der infinitesimalen Großen ~F (~r) · d~r.Um ein Kurvenintegral

C~F · d~r zu berechnen, wahlt man eine Parametrisie-

rung der Kurve C, d.h., eine vektorwertige Funktion ~r(τ), deren Werte geradedie Kurve C durchlaufen, wenn τ ein Intervall τ1 bis τ2 durchlauft. Der Pa-rameter kann die physikalische Zeit sein, in der ein Massenpunkt der Kurvefolgt, muss aber nicht. Andere praktische Parametrisierungen sind z.B. die Bo-genlange der Kurve von ihrem Anfangspunkt ~r1 bis zum Punkt ~r. Unabhangigvon der gewahlten Parametrisierung gilt dann

C

~F · d~r =

∫ τ2

τ1

[

~F (~r(τ)) · d~r(τ)

]

dτ.

Anmerkungen: 1. Die Große in [. . .] in der letzten Formel ist eine Funktion vonτ . Daher kann man das Kurvenintegral wie ein gewohnliches Integral berechnen.

2. Im Fall ~F = Kraft sind ~F · d~r die infinitesimalen Arbeitsbetrage, die dieKraft ~F (~r) bei der Verschiebung d~r verrichtet, und das Kurvenintegral ist dieArbeit W12 (wie in Abschnitt A). Die Funktion f ist dann gleich −V .

Beispiele zur Berechnung: H sei ein Halbkreis in der x-y-Ebene von (R, 0, 0)

uber (0, R, 0) nach (−R, 0, 0). ~F sei das Vektorfeld ~F (x, y, z) = (ay, 0, 0). Wirwahlen als Parameter den Winkel, sodass ~r(ϕ) = (R cos ϕ, R sin ϕ, 0) mit 0 < ϕ <

π. Es folgt d~rdϕ

= (−R sin ϕ, R cos ϕ, 0) und ~F (~r(ϕ)) · d~rdϕ

= ay(ϕ) dxdϕ

= −aR2 sin2 ϕ.

Wir berechnen∫

H~F · d~r =

∫ π

0(−aR2 sin2 ϕ dϕ) = −aR2[ϕ − sin ϕ cosϕ]π0 =

−a2πR2. Wir konnten als Parameter auch die Koordinate x wahlen, ~r(x) =

(x,√

R2 − x2, 0). Dann ist d~rdx

= (1,−x/√

R2 − x2, 0) und ~F (~r(x)) · d~rdx

= ay(x) =

a√

R2 − x2. Es folgt∫

H~F · d~x =

∫ −R

Ra√

R2 − x2dx = −a∫ R

−R

√R2 − x2dx =

−a12[R2 arcsin x

R+ x

√R2 − x2]R−R = −a

2πR2. G sei die Grundlinie von (−R, 0, 0)

nach (R, 0, 0): langs G ist y = 0, also ~F = 0, also∫

G~F · d~r = 0.

Ist eine Kurve C aus zwei Kurvenstucken C1 und C2 zusammengesetzt, sogilt

C~F · d~r =

C1

~F · d~r +∫

C2

~F · d~r. Mit −C (oder auch C−1) bezeichnet mandie in umgekehrter Richtung durchlaufene Kurve (von ~r2 nach ~r1). Dann gilt∫

−C~F · d~r = −

C~F · d~r. Ist C eine geschlossene Kurve, also ~r2 = ~r1, so schreibt

man∮

C~F · d~r.

Beispiel: Wir erganzen den Halbkreis wie oben durch seine Grundlinie G von(−R, 0, 0) nach (R, 0, 0) zu einem geschlossenen Halbkreis C. Dann ist

C~F ·d~r =

H~F · d~r +

G~F · d~r = −a

2πR2.

Wie das Beispiel des Halbkreises H und seiner Grundlinie G zeigt, hangt einKurvenintegral im Allgemeinen nicht nur von den Anfangs- und Endpunkten derKurve ab, sondern auch vom Verlauf der Kurve: zwar haben H und −G dieselbenAnfangs- und Endpunkte, aber

H~F · d~r 6=

−G~F · d~r.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 23

Nun konnen wir unseren Satz beweisen:Beweis: (a)⇒(b) folgt aus d

dτf(~r(τ)) = ~grad f · d~r

dτ. (b)⇒(c) ist offensichtlich.

(c)⇒(a): Definiere f(~r) :=∫

C~F (~r′) · d~r′ fur eine beliebige Kurve vom Ur-

sprung nach ~r. Fur einen benachbarten Punkt ~r + δ~r = (x + δ, y, z) kann mandieselbe Kurve wahlen zuzuglich dem geraden Wegstuck δC der Lange δ von ~raus. Dann ist f(x+δ, y, z) =

C~F ·d~r+

δC~F ·d~r = f(x, y, z)+

∫ x+δ

xF1(x

′, y, z)dx′,da d~r = (dx′, 0, 0) langs δC. Fur kleine δ ist der Integrand naherungsweise kon-

stant:∫ x+δ

xF1(x, y, z) dx′ = F1(x, y, z) · δ. Es folgt (f(x+ δ, y, z)− f(x, y, z))/δ ≈

F1(x, y, z) und im Grenzfall ∂f∂x

= F1(x, y, z). Ebenso fur die x- und y-Komponenten.(c)⇔(d): Sind C1 und C2 zwei Kurven mit denselben Anfangs- und Endpunk-

ten, so setzen sich C1 und −C2 zu einer geschlossenen Kurve zusammen. Daherist

C1

~F · d~r =∫

C2

~F · d~r genau dann, wenn∮

C~F · d~r = 0.

(a)⇒(e):∂Fj

∂xi− ∂Fi

∂xj= ∂

∂xi

∂f∂xj

− ∂∂xj

∂f∂xi

= 0, denn zweite partielle Ableitungen

sind von der Reihenfolge unabhangig (wenn keine Singularitaten vorliegen).(e)⇒(d): Dies ist ein Spezialfall des Satzes von Stokes (Kap. 9): man

zeigt zunachst fur infinitesimal kleine Rechtecke parallel zur x-y-Ebene mit Kan-tenlange δx und δy (durch Vergleich der Beitrage von gegenuberliegenden Weg-

stucken), dass∮

C~F · d~r = (∂Fy

∂x− ∂Fx

∂y)δxδy, wobei C die umrandende Kurve ist

(und ahnlich fur Rechtecke in anderen Ebenen), also = 0 unter der Annahme (e).Durch Zusammensetzen einer großen Flache aus vielen kleinen Flachen, erhaltman dann, dass

C~F · d~r = 0 fur beliebige Flachen. Q.E.D.

Auf mikroskopischem Level sind alle fundamentalen physikalischen Krafte

konservativ, d.h., sie ruhren von Potentialen her. Bei Vorgangen mit scheinbaremEnergieverlust (Reibung) wird Energie auf andere Komponenten (z.B. Molekuleder Luft) ubertragen und verwandelt sich in kinetische Energie (Warme).

C. Impuls-Erhaltung

Ein System von vielen Teilchen heißt dynamisch abgeschlossen, wenn sich alleKrafte zu Null addieren (z.B., weil alle Krafte sich nach dem 3. NG paarweisekompensieren). Dann ist der Gesamt-Impuls erhalten (vgl. Kap. 3.1):

~ptot =∑

i

~pi = const.

Reibungskrafte: betrachtet man das reibende Medium (Luft) als Teil des Sy-stems, so gilt auch hier die Impulserhaltung: ein Korper gibt bei seiner Abbrem-sung durch Stoße Impuls auf die Luftmolekule ab.

D. Drehimpuls

Der Drehimpuls eines Massenpunktes ist die vektorielle Große

~L = ~r × ~p = m · ~r × ~r.

Achtung: Der Drehimpuls hangt von der Wahl des Ursprunges ab. Auch einegeradlinige Bewegung besitzt einen Drehimpuls, wenn die Bahn “am Ursprung

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 24

vorbei” verlauft!Bei einer Kreisbahn um ~0 steht ~r senkrecht auf ~r, sodass |~L| = mrv = mωr2.

Fur einen einzelnen Massenpunkt gilt:

d

dt~L = m~r × ~r + m~r × ~r = 0, wenn ~r || ~r.

Hat die Kraft die Richtung des Ortsvektors, so ist der Drehimpuls erhalten. Da~r ⊥ ~L, verlauft die Bewegung in der zu ~L senkrechten Ebene.

Der Gesamtdrehimpuls ~Ltot =∑

~Li eines Systems von Massenpunkten isterhalten, wenn die Kraft zwischen je zwei Korpern stets die Richtung der Ver-bindungslinie hat: denn in der Anderung d

dt~Ltot =

i ~ri × (∑

j~Fji) lassen sich je

zwei Beitrage ~ri × ~Fji +~rj × ~Fij zusammenfassen zu (~ri −~rj)× ~Fji (dank 3. NG),

und dies verschwindet, wenn ~Fji || ~ri − ~rj.

E. Anwendung: Stoßgesetze

Beim Stoß von zwei Massenpunkten ist der Impuls in jedem Fall erhalten (we-gen des 3. NG). Beim elastischen Stoß ist zusatzlich auch die (kinetische) Energieerhalten. Beim inelastischen Stoß wird kinetische Energie in andere Energiefor-men umgewandelt.

Der Gesamtimpuls ist

m1~v1 + m2~v2 = M ~V ,

wobei M , ~V die Gesamtmasse und die Schwerpunktsgeschwindigkeit sind.Man rechnet nach, dass die gesamte kinetische Energie geschrieben werden

kann als12m1~v

21 + 1

2m2~v

22 = 1

2M ~V 2 + 1

2µ~v2

wobei µ = m1m2/(m1 + m2) die reduzierte Masse (vgl. Kap. 3.3, Bsp. (12)) und~v die Relativgeschwindigkeit sind.

Wegen der Impulserhaltung sind auch ~V und 12M ~V 2 nach dem Stoß un-

verandert. Energie-Erhaltung ist daher gleichbedeutend mit der Erhaltung desBeitrages 1

2µ~v2, d.h., ~v2 ist vor und nach dem Stoß gleich.

Beim elastischen Stoß andert sich nur die Richtung der Relativgeschwindigkeit.

Energieverlust bedeutet, dass ~v2 kleiner wird. Der maximale Energieverlusttritt beim vollstandig inelastischen Stoß auf, wenn die Relativgeschwindigkeitnach dem Stoß gleich Null ist (beide Korper zu einem “verschmolzen”).

Beispiel: Gleiche Massen und ~v2 = 0, also ~v = ~v1 und ~V = ~v1/2 = ~v/2. Nach

dem Stoß ist ~v′ = ~v′1 −~v′

2 und ~V ′ = (~v′1 +~v′

2)/2. Wir wissen ~V ′ = ~V (Impulserhal-

tung) und ~v′2 = ~v2 (Energie-Erhaltung), also ~v′2 = (2~V ′)2. Ausgedruckt durch ~v′1

und ~v′2, ist dies gleichbedeutend mit ~v′

1 · ~v′2 = 0, d.h. die Geschwindigkeiten nach

dem Stoß stehen senkrecht aufeinander. (Dies legt die Geschwindigkeiten nachdem Stoß nicht fest; hierzu benotigt man auch die Drehimpuls-Erhaltung.)

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 25

5 Schwingungen

Komplexe Zahlen

A. Harmonische Schwingungen

Schwingungen sind (approximativ) der universelle Typus von Bewegungen inder Nahe von stabilen Gleichgewichtslagen. Sie sind zeitliche Ablaufe der Form

A sin(ωt− ϕ0) oder A cos(ωt− ϕ0) oder A1 cos(ωt) + A2 sin(ωt).

A sind Amplituden, ϕ Phasenverschiebungen, und ω = 2π/T die Kreisfrequenz.Solche “harmonische Funktionen” lassen sich sehr effektiv mithilfe der komplexenZahlen manipulieren.

Komplexe Zahlen: (zur Erinnerung)

Es gilt die Euler’sche Formel

exp iϕ ≡ eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ.

Daraus folgt: exp(−iϕ) = cos ϕ − i sin ϕ und

cos ϕ = 12(eiϕ + e−iϕ), sin ϕ = 1

2i(eiϕ − e−iϕ).

Aus dedϕ

iϕ= ieiϕ folgen sin′ = cos, cos′ = − sin sowie sin′′ = − sin, cos′′ = − cos.

Die Uberlagerung (Summe) zweier Schwingungen derselben Frequenz ist wie-der eine (phasenverschobene) Schwingung; die Uberlagerung von Schwingungenverschiedener Frequenzen fuhrt zu “Schwebungen”, z.B.

sin ω1t + sin ω2t = 2 cosω1 − ω2

2t · sin ω1 + ω2

2t.

(Beweis mithilfe der Euler’schen Formel.) Die Schwebung ist also eine schnelloszillierende Funktion der Frequenz ω1+ω2

2mit einer langsam variierenden Ampli-

tude 2 cos ω1−ω2

2t. Die “Schwebungsperiode” (= Zeit zwischen zwei “Knoten” der

Amplitude Null) ist durch ω1−ω2

2T = π gegeben, also T = 2π/∆ω.

Der Grund fur die Universalitat von Schwingungen (der Einfachheit hal-ber von eindimensionalen Systemen) ist, dass die Kraft am GleichgewichtspunktNull ist und (wenigstens in einer Taylor-Naherung) proportional zur Auslenkung

wachst:F (x) ≈ −k(x − x0).

Die Bewegungsgleichung lautet daher

mξ = −kξ.

Hier ist ξ = x − x0 die Auslenkung aus der Gleichgewichtslage, und x = ξ.Analoge Uberlegungen gelten fur mehrdimensionale Systeme (s. Kap. 10) oderfur Drehschwingungen starrer Korper oder . . . . Harmonische Funktionen sindgerade die Losungen dieser Dgl., wobei ω2 = k/m zu wahlen ist.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 26

Beispiele: (1) Massenpunkt an einer Feder der Starke k: Bewegungsgleichungmx = F = −k(x − x0) ⇒ mξ = −kξ. Die Frequenz ist ω =

k/m.Mit x(t) − x0 = A sin ωt ist x = Aω cos ωt. Die Federkraft ruhrt von dem

Potential V = k2(x − x0)

2 her. Daher ist die Energie E = m2x2 + k

2(x − x0)

2 =

A2(m2ω2 cos2 ωt + k

2sin2 ωt) = A2k

2(cos2 . . . + sin2 . . .) = A2k

2= const. Die Gesamt-

energie ist konstant, sie “oszilliert” aber zwischen kinetischer Energie (∼ cos2)und potentieller Energie (∼ sin2) hin und her. Dieses Phanomen gilt universellfur alle Arten von Schwingungen (naturlich mit Energieverlust bei Reibung).

(2) Ebenes Fadenpendel, Masse m, Lange l. φ = Winkelauslenkung, ξ =lφ = Bogenlange der Auslenkung. Kraftkomponente senkrecht zum Faden F =−mg sin φ ≈ (mg/l)ξ, Bewegungsgleichung mξ = −(mg/l)ξ oder mφ = −(mg/l)φmit k = mg/l. Die Frequenz ist also ω =

k/m =√

g/l. In diesem Fall ist die po-tentielle Energie durch die Hohe h = l(1−cos ϕ) uber der Gleichgewichtslage gege-ben. In der Naherung kleiner Winkel ist cosϕ ≈ 1− 1

2ϕ2 und V = mgh ≈ 1

2mglϕ2.

Energie-Erhaltung gilt dann wie im vorigen Beispiel.

(3) Drehschwingung (“Hantel an Torsionsfaden”): T = −Dϕ, L = 2ma2ϕ ⇒2ma2ϕ = L = T = −Dϕ. Die Kreisfrequenz ist ω =

D/2ma2.

B. Schwingungen mit Reibung

Wie (1) und (2), aber mit linearer Reibung FR = −Rx = −Rξ:

mξ = −kξ − Rξ.

Losung mit Exponentialansatz (funktioniert bei beliebigen linearen Differen-

tialgleichungen mit konstanten Koeffizienten)

ξ = Aeλt (A =?, λ =?)

Es folgt ξ = λAeλt und ξ = λ2Aeλt. Einsetzen und Division durch eλt ⇒

mλ2A = −kA − RλA.

Offenbar ist A beliebig, und λ lost die quadratische Bestimmungsgleichung λ2 +(R/m)λ + (k/m) = 0. Es gibt also zwei Losungen

λ± = − R

2m±

( R

2m

)2

− k

m≡ −1

τ±

1

τ 2− ω2

0.

Hierbei ist ω0 =√

k/m die Frequenz ohne Reibung, und τ := 2m/R eine charak-teristische Zeit, deren Bedeutung gleich klar wird.

Da die Dgl. linear ist, ist mit A1eλ+t und A2e

λ−t auch deren Summe

ξ(t) = A1eλ+t + A2e

λ−t

eine Losung. Dies ist die allgemeine Losung mit zwei “Integrationskonstanten”A1, A2.

Fallunterscheidung: (i) kleine Reibung R < 2mω0 = 2√

mk oder τ > 1/ω0:die Wurzel ist imaginar, also λ komplex:

λ± = −1

τ± i

ω20 −

1

τ 2≡ −1

τ± iωR.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 27

Naturlich muss die physikalische Losung reell sein. Offenbar ist λ+ = λ∗−;

dann ist ξ(t) = e−t/τ · (A1eiωRt +A2e

−iωRt) genau dann reell, wenn A2 = A∗1, etwa

A1 = 12Ae−iϕ und A2 = 1

2Aeiϕ (A reell).

Die allgemeine reelle Losung wird also zu

ξ(t) = A2e−t/τ (eiωRt + e−iωRt = Ae−t/τ cos(ωRt − ϕ).

Dies ist eine gedampfte Schwingung mit “Abklingzeit” τ = 2m/R und damp-fungsabhangiger Kreisfrequenz

ωR =√

ω20 − 1/τ 2 < ω0,

Schwingungsdauer TR > T0. Mit wachsender Reibung nimmt die Frequenz ab.Amplitude und Phase wieder beliebig.

(Der Spezialfall ohne Reibung, R = 0 ⇒ τ = ∞, fuhrt naturlich auf rein ima-ginare λ: diese entsprechen gerade den harmonischen Funktionen wie in Abschn.A. In diesem Fall ware auch eiωt (ω =?) ein sinnvoller Exponentialansatz.)

(ii) große Reibung R > 2√

mk oder τ < 1/ω0: beide Losungen λ± sind reellund negativ, allgemeine Losung

ξ(t) = A1e−t/τ+ + A2e

−t/τ− (τ± =: −1/λ±)

(fur alle t reell, falls A1 und A2 reell). Mit λ+ > λ−, τ+ > τ− beschreibt derzweite Term einen schnelleren exponentiellen Abfall als der erste (und kann beigroßen Zeiten vernachlassigt werden).

(iii) Grenzfall R = 2√

mk, τ = 1/ω0: beide Losungen λ± = −1/τ fallen zu-sammen, daher liefert der Exponentialansatz nur eine Losung. Fur die allgemeineLosung wird eine zweite spezielle Losung benotigt. Diese ist von der Form Bte−t/τ

(nachrechnen!), also

ξ(t) = (A + Bt)e−t/τ .

Da der Fall (iii) die maximale Dampfung hat (bei fester Frequenz ω0), wird er als“Kriechfall” bezeichnet.

C. Erzwungene Schwingung mit harmonischer Kraft; Resonanz

Problemstellung: Schwingungsfahiges System mit Reibung und zusatzlicherharmonischer außerer Kraft Fext(t) = F0 cos(ωt− ϕ0),

mξ = −Rξ − kξ + Fext(t).

(Falls Fext nicht harmonisch ist: s. Kap. 10.)

Der hier vorliegende Typ von Dgl. heißt “linear inhomogen”, wobei die (nichtvon ξ abhangende) außere Kraft als “Inhomogenitat” bezeichnet wird. Die zu-gehorige homogene Dgl. mξ − Rξ − kξ haben wir in Abschn. B gelost.

Wir verwenden nun einige nutzliche allgemeine Aussagen uber lineare Diffe-rentialgleichungen.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 28

(1) Behauptung: Je zwei Losungen derselben inhomogenen Dgl. unterscheidensich um eine Losung der zugehorigen homogenen Dgl.Beweis: m(ξ1−ξ2)+R(ξ1−ξ2)+k(ξ1−ξ2) = (mξ1+Rξ1+kξ1)−(mξ2+Rξ2+kξ2) =Fext(t) − Fext(t) = 0.

Ist daher ξ(t) eine spezielle Losung der inhomogenen Dgl., so erhalten wir alleanderen Losungen durch Addieren der allgemeinen Losung der homogenen Dgl.aus Abschn. B. Da aber alle Losungen der homogenen Dgl. wegen der Reibungexponentiell abfallen (“Einschwingen”), besitzen alle Losungen der inhomogenenGleichung dasselbe Langzeit-Verhalten.

Es reicht daher, eine einzige Losung der inhomogenen Dgl. zu finden. Wiederist es dabei nutzlich, mit komplexen Zahlen zu arbeiten. Denn:

(2) Behauptung: Ist ζ eine komplexe Losung der komplexen Differentialglei-chung

mζ + Rζ + kζ = F0ei(ωt−ϕ0)

(wobei m, R, k, F0, ω, ϕ0 reell sind), so lost

ξ = Re ζ

die obige reelle inhomogene Dgl.Beweis: Addieren der komplexen Dgl. und ihrer komplex-konjugierten.

Eine spezielle Losung der komplexen (Hilfs-)gleichung findet man durch denExponentialansatz (vgl. Abschn. B, diesmal aber mit der vorgegebenen Frequenzder außeren Kraft!)

ζ(t) = Aeiωt (A =?).

Ableiten (ζ = iωAeiωt etc.) und Einsetzen ergibt die Losungsbedingung

m(iω)2A + R(iω)A + kA = F

nach Kurzen des gemeinsamen Faktors eiωt. Hier ist F = F0e−iϕ0 . Diesmal ist

also die Amplitude A nicht unbestimmt, sondern durch die außere Kraft fixiert:

A =F

−ω2m + iωR + k=

F/m

−ω2 + 2iω/τ + ω20

.

Schreibt man A = |A|e−iϕ, so erhalt man die reelle Losung

ξ(t) = Re ζ(t) = Re (|A|ei(ωt−ϕ)) = |A| cos(ωt − ϕ),

d.h., die Schwingung “folgt” der erregenden Kraft mit derselben Frequenz, abereiner anderen Phase.

Wir finden:|A| =

F0/m√

(ω20 − ω2)2 + 4ω2/τ 2

und

eiϕ =|A|A

=|F |F

· ω20 − ω2 + 2iω/τ

|ω20 − ω2 + 2iω/τ | .

Der erste Faktor ist eiϕ0 (Phase der erregenden Kraft), der zweite Faktor gibt diePhasenverschiebung δ:

ϕ = ϕ0 + δ, δ = arctan2ω/τ

ω20 − ω2

.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 29

Die Phasenverschiebung δ, um die die erzwungene Schwingung der Erregung “hin-terherlauft” wachst mit der Frequenz: von δ = 0◦ bei ω = 0 uber δ = 90◦ beiω = ω0 bis δ = 180◦ bei ω = ∞.

Die Amplitude |A| besitzt eine komplizierte Frequenzabhangigkeit wie ange-geben; sie ist F0/mω2

0 6= 0 bei ω → 0, besitzt ein Maximum und fallt dann furω → ∞ gegen Null ab. Das Maximum liegt dort, wo (ω2

0 −ω2)2 +4ω2/τ 2 minimalwird, also bei der Resonanzfrequenz

ωRes =√

ω20 − 2/τ 2 ≡

ω2R − 1/τ 2 < ωR < ω0

unterhalb der (gedampften und ungedampftem) Eigenfrequenz; bei kleiner Rei-bung liegen alle drei Frequenzen dicht beieinander. Die Amplitude am Resonanz-punkt ergibt sich zu

|ARes| =F0 · τ

m · 2ωR=

F0

R · ωR.

Sie wird sehr groß bei kleiner Reibung R (“Resonanzkatastrophe”). (Da bei klei-ner Reibung die Einschwingvorgange sehr lange dauern, stellt die exakte Losungein – zunachst im wesentlichen lineares – Anwachsen der Amplitude bis zu demangegebenen Wert dar.)

6 Das Zentralkraft-Problem. Planetenbewegung

Wir wollen die Bewegung zweier Massenpunkte (Sonne und Planet, Erde undMond) im gegenseitigen Gravitationsfeld berechnen (Keplerproblem). Fur dieBerechtigung der Behandlung kugelsymmetrischer Korper als Punkte: s. Kap. 8.

Die gekoppelten Bewegungsgleichungen fur die beiden Korper lauten:

m1 ~r1 = −γm1m2~r1 − ~r2

|~r1 − ~r2|3, m2 ~r2 = −γm1m2

~r2 − ~r1

|~r2 − ~r1|3.

Wie in Kap. 3.3, Beispiel (12), folgt:

m1 ~r1 + m2 ~r2 = 0

(geradlinig-gleichformige Bewegung des Schwerpunktes), sowie

µ~rR = −γm1m2~rR

|~rR|3

(Bewegungsgleichung fur den Abstand ~rR = ~r1 − ~r2 wie fur ein Teilchen derreduzierten Masse µ = m1m2/(m1 + m2)).

Wir schreiben ~rR = ~r und γm1m2 = κ, und gehen schrittweise vor:(1) Die Kraft ist der negative Gradient von V (~r) = −κ/|~r|. Also ist die Energie

erhalten: E = µ2~r 2 + V (~r) = const. (Kap. 4).

(2) Die Kraft hat die Richtung von ~r. Daher ist der Drehimpuls ~L = µ~r × ~v

erhalten, ~L = const. (Kap. 4).

(3) ~r steht ⊥ auf ~L. Also verlauft die Bahn in der zu ~L senkrechten Ebene(Kap. 1).

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 30

(4) Wahle Polarkoordinaten in dieser Ebene: ~r(t) = r(t)(cos ϕ(t), sin ϕ(t), 0),

~r(t) = r(cos ϕ, sin ϕ, 0) + r(− sin ϕ, cos ϕ, 0)ϕ, und ~L = (0, 0, L) mit L = µr2ϕ.(5) Einsetzen in die Gleichung (1) fur die Energie: E = µ

2(r2 + r2ϕ2) + V (r).

(6) Elimination von ϕ = L/µr2:

E =µ

2r2 + V (r) +

L2

2µr2=

µ

2r2 + Veff(r).

Dies sieht aus wie die Energie einer eindimensionalen Bewegung im “effektiven”Potential Veff(r) = V (r) + L2/(2µr2). Man kann an dieser Gleichung bereitsqualitative Zuge der Bewegung ablesen (fur beliebige Gestalt des Potentials V (r)):

“Methode des effektiven Potentials”:

Man gebe sich L und damit Veff(r) vor. Man gebe sich E vor. Da r2 positiv ist,kann die Bewegung nur in den Abschnitten von r verlaufen, in denen Veff(r) klei-

ner als E ist. Die anderen Abschnitte sind von der Bewegung ausgeschlossen. Anden Punkten Veff(ri) = E muss r = 0 sein, d.h., dies sind “Umkehrpunkte” imBild der eindimensionalen Bewegung, und zentrumsnachste bzw. zentrumsfern-ste Punkte der wahren Bahn in der Ebene (“Perizentren” bzw. “Apozentren”).Je nach der Anzahl und Lage der Schnittpunkte Veff(ri) = E wird r(t) zwischeneinem Perizentrum und dem nachstgroßeren Apozentrum “oszillieren”; oder von“Unendlich” herkommend sich dem außersten Perizentrum nahern, umkehrenund wieder nach “Unendlich” auslaufen; oder von Null (=Kraftzentrum) her-kommend sich dem innersten Apozentrum nahern, umkehren und wieder nachNull einfallen. Der letztere Fall ist in der Regel ausgeschlossen (außer wennL = 0), weil der Beitrag L2/(2µr2) bei r → 0 divergiert, sodass die Region umr = 0 zu den ausgeschlossenen Gebieten gehort (“Drehimpuls-Barriere”).

(7) Energie-Gleichung (6) nach r auflosen und mit Trennung der Variablenlosen (vgl. Kap. 3.3 Bsp. (6)); ⇒ r = r(t) bestimmen; in ϕ = L/µr2 einsetzen;integrieren; ⇒ ϕ = ϕ(t) bestimmen.

(8) Meistens geht man einen etwas anderen Weg: wie in (7) lost man nach rauf, dividiert aber anschließend durch ϕ = L/µr2. Mit r/ϕ = dr/dϕ erhalt man

r′(ϕ) = ±r2

L

2µ(E − Veff(r)).

Dies ist eine Differentialgleichung fur r(ϕ), d.h., fur die Form der Bahn un-abhangig vom zeitlichen Verlauf. Man lost sie ebenfalls mit Trennung der Va-riablen.

(9) Konkret im Keplerproblem:

dϕ = ± Ldr

r2√

2µE + 2µκ/r − L2/r2

vereinfacht sich durch Ersetzung der Variablen u = 1/r und v = u − µκ/L2:

dϕ = ± du√

(2µE/L2) + (2µκ/L2)u − u2= ± dv√

A2 − v2

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 31

wobei A2 = 2µE/L2 +(µκ/L2)2 eine Integrationskonstante (Funktion von E undL) ist. Integration ergibt:

ϕ − ϕ0 = arccosv

A⇔ v = A cos(ϕ − ϕ0)

und nach Umkehrung der Substitutionen:

u = A cos(ϕ − ϕ0) +µκ

L2⇔ r(ϕ) =

L2/µκ

1 + (L2A/µκ) cos(ϕ − ϕ0).

Schließlich kurzt man ab:

r(ϕ) =p

1 + ε cos(ϕ − ϕ0),

p = L2/µκ

ε = (L2A/µκ) =√

1 + (2EL2/µκ2)

wobei die Integrationskonstanten p und ε von Drehimpuls und Energie abhangen.Zusammen mit der Richtung der ~L-Achse (Bahnebene) und dem Winkel ϕ0

(Perihel-Richtung, da bei ϕ = ϕ0 der Abstand minimal ist) haben wir 5 Inte-grationskonstanten; die sechste ergibt sich, wenn man im letzten Schritt die Dgl.ϕ = L/µr(ϕ)2 zu ϕ = ϕ(t) lost (t0 = Zeitpunkt der Perihel-Durchgangs ϕ = ϕ0.)

Diskussion der Losungen: (Fall-Unterscheidungen)

(A) ε = 0 (E = −µκ2/2L2 negativ, d.h., mehr negative potentielle Energieals positive kinetische Energie): r = p = const, ϕ = L/µr2 = const., Kreisbahn.

(B) 0 < ε < 1 (−µκ2/2L2 < E < 0 negativ): Da r(ϕ) eine periodischeFunktion ist, ist die Bahn geschlossen. Perihel rmin = p/(1+ε) bei ϕ = ϕ0, Aphelrmax = p/(1 − ε) bei ϕ = ϕ0 + π genau gegenuber. Daruberhinaus findet man:

1. Kepler’sches Gesetz: Die Bahn ist eine Ellipse, so dass das Kraftzentrumin einem Brennpunkt liegt. Beweis: Definiere a = 1

2(rmax + rmin) = p/(1− ε2) und

b = p/√

1 − ε2 < a sowie f =√

a2 − b2. Setzt man nun (x, y) = (f + r cos(ϕ −ϕ0), r sin(ϕ − ϕ0)) (um f vom Kraftzentrum verschobene kartesische Koordina-ten), so lasst sich die Bahngleichung r(ϕ) = p/(1 + ε cos(ϕ− ϕ0)) (nach langererRechnung) in die Ellipsengleichung x2/a2 + y2/b2 = 1 umformen. Offenbar sinda und b die große und kleine Halbachse, f der Abstand des Brennpunktes vomMittelpunkt der Ellipse. ε = f/a wird als Exzentrizitat bezeichnet.

2. Kepler’sches Gesetz: Die Verbindungslinie zum Kraftzentrum uber-streicht in gleichen Zeiten gleiche Flachen. Beweis: dA/dt = 1

2r2dϕ/dt = L/2µ =

const.

3. Kepler’sches Gesetz: Fur verschiedene Bahnen verhalten sich die Kubender großen Halbachse wie die Quadrate der Umlaufzeiten. Beweis: Aus dem 2.KG ergibt sich die Umlaufzeit dA/dt = A/T = πab/T ⇒ T = 2πabµ/L. Dannist a3/T 2 = aL2/4π2µ2b2 = L2/4π2µ2p = κ/4π2µ = const.

Kommentar: Obwohl κ/µ von der Planetenmasse abhangt, gilt das 3. KGnicht nur fur verschiedene (hypothetische) Bahnen eines Planeten, sondern nahe-rungsweise auch fur Bahnen verschiedener Planeten (deswegen ist es eigentlicherst interessant!). Denn κ/µ = γ(m1+m2) ist proportional zur Gesamtmasse, unddie Planetenmassen m2 sind gegenuber der Sonnenmasse m1 vernachlassigbar.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 32

(C) ε = 1 (E = 0): Fur ϕ → ϕ0 ± π divergiert r(ϕ), der Massenpunkt kommtvon “Unendlich”, erreicht das Perihel bei rmin = p/2 und entfernt sich wieder insUnendliche. Da seine potentielle Energie mit −1/r gegen Null geht und E = 0,nimmt auch seine kinetische Energie wie 1/r ab, und die Geschwindigkeit ver-langsamt sich wie 1/

√r. Die Bahn ist eine Parabel: in kartesischen Koordinaten

um das Perihel (x, y) = (r cos(ϕ−ϕ0)− p/2, r sin(ϕ−ϕ0)) ist die Bahngleichungaquivalent zu x = y2/2p.

(D) ε > 1 (E > 0): Fur ϕ → ϕ0 ± α mit cos α = −1/ε divergiert r(ϕ), derMassenpunkt kommt von “Unendlich”, erreicht das Perihel bei rmin = p/(1 + ε)und entfernt sich wieder ins Unendliche. Da seine potentielle Energie gegen Nullgeht und E > 0, nehmen die kinetische Energie und damit auch die Geschwindig-keit konstante asysmptotische Werte > 0 an. Die Bahn ist ein Hyperbel-Ast: mita = p/(ε2 − 1), b = p/

√ε2 − 1 und f =

√a2 + b2 und verschobenen kartesischen

Koordinaten (x, y) = (r cos(ϕ − ϕ0) − f, r sin(ϕ − ϕ0)) gilt x2/a2 − y2/b2 = 1.

Grunde fur kleine Abweichungen von den Kepler-Gesetzen im Sonnensystem:(i) die “Konstante” des 3. KG ist proportional zur Masse von Sonne plus Planet;d.h. sie ist von Planet zu Planet nicht exakt dieselbe (s.o.).(ii) Gegenseitige Storungen der Planeten (Viel-Korper-Problem).(iii) Abplattung der Sonne.(iv) Speziell-relativistische und allgemein-relativistische Korrekturen.

Dieselben Bahnen ergeben sich auch fur zwei elektrische Ladungen unter demEinfluss der Coulombkraft, da diese dieselbe Form ∝ ~r/r3 hat wie die Gravita-tionskraft. Allerdings existieren bei Ladungen gleichen Vorzeichens (Abstoßung!κ < 0) nur die Hyperbelbahnen, weil E nicht negativ sein kann. In diesem Fallliegt das Kraftzentrum nicht in dem von dem Hyperbel-Ast umlaufenen Brenn-punkt, sondern in dem gegenuberliegenden Brennpunkt der Hyperbel.

Das Verfahren (1–9) lasst sich fur beliebige Zentralpotentiale V (r) anwen-den; erst im letzten Schritt (9) ergibt sich jeweils eine andere Bahngleichungr = r(ϕ). In der Regel wird diese Funktion nicht periodisch, also die Bahnnicht geschlossen sein. Aufeinanderfolgende Periheldurchgange werden nicht inderselben Richtung liegen (“Rosetten-Bahnen”, “Periheldrehung”).

Im Gegensatz zum Zwei-Korper-Problem ist schon das Drei-Korper-Problem(Sonne mit zwei Planeten) nicht mehr exakt losbar. Dies hangt damit zusammen,dass es nur 7 Erhaltungsgroßen gibt (Gesamt-Impuls, Gesamt-Energie, Gesamt-Drehimpuls), aber insgesamt 9 Freiheitsgrade (gesuchte Funktionen ~ri(t)). Den-noch kann man interessante qualitative Aussagen machen: Beispielsweise ist esmoglich, dass einer der drei Korper aus dem System herausgeschleudert wird.Dabei nimmt er Impuls mit, sodass die beiden anderen Korper zusammen denumgekehrten Impuls tragen mussen. Dies fixiert die Schwerpunktsbewegung desubrigbleibenden Zwei-Korper-Systems. Er nimmt auch Energie mit. Je schnel-ler er herausgeschleudert wird, desto geringer ist die Rest-Energie des ubrigblei-benden Zwei-Korper-Systems, und desto enger mussen diese beiden Korper sichumkreisen!

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7 Bezugssysteme. Relativitat

Matrizen, Tensoren

Zeitunabhangige Transformationen (aktiv und passiv)

(i) Translationen (Verschiebungen):

Verschiebt man ein physikalisches Objekt, das sich am Ort ~r befindet, umeinen Vektor ~b, so befindet sich das verschobene Objekt am Ort ~r ′ = ~r +~b. Diesist der Prototyp fur ein

aktives Transformationsgesetz: die Anderung einer physikalischen Große

bei einer Anderung des physikalischen Systems.

Der Ortsvektor ~r eines Punktes ist der Abstandsvektor vom Ursprung. Ver-schiebt man den Ursprung um ~b, so ist der “neue” Ortsvektor desselben Punktes~r ′ = ~r −~b. Dies ist der Prototyp fur ein

passives Transformationsgesetz: die Anderung der Beschreibung derselben

physikalischen Große beim Wechsel des Bezugssystems.

Beachten Sie das unterschiedliche Vorzeichen vor ~b bei den beiden Transfor-mationsgesetzen!

In beiden Fallen sind Geschwindigkeiten und Abstande unverandert, ~r ′ = ~rund ~r1

′ − ~r2′ = ~r1 − ~r2

A. (ii) Drehungen des Koordinatensystems:

Seien {~e1, ~e2, ~e3} die drei Basisvektoren eines (rechtshandigen) kartesischenKoordinatensystems. Unter einer Drehung gehen diese uber in drei Vektoren{~e1

′, ~e2′, ~e3

′}, die wieder ein (rechtshandigen) KS mit demselben Ursprung bilden.Man kann jeden der letzteren als Linearkombinationen der ersteren darstellen:

~e1′ = A11 ~e1 + A21 ~e2 + A31 ~e3 =

i Ai1 ~ei,~e2

′ = A12 ~e1 + A22 ~e2 + A31 ~e3 =∑

i Ai2 ~ei,~e3

′ = A13 ~e1 + A23 ~e2 + A33 ~e3 =∑

i Ai3 ~ei;⇔ ~ej

′ =3

i=1

Aij ~ei.

Offenbar ist

Aij = ~ei · ~ej′.

Wir mochten diese Gleichungen nach den ~ei “auflosen”: ~ej =∑

i Xij~ei′, Xij =?

Wir finden Xij = ~ei′ · ~ej = ~ej · ~ei

′ = Aji. Also

~e1 = A11 ~e1′ + A12 ~e2

′ + A13 ~e3′ =

i A1i ~ei′,

~e2 = A21 ~e1′ + A22 ~e2

′ + A23 ~e3′ =

i A2i ~ei′,

~e3 = A31 ~e1′ + A32 ~e2

′ + A33 ~e3′ =

i A3i ~ei′;

⇔ ~ej =

3∑

i=1

Aji ~ei′.

Beispiel (2 Dimensionen): Hier ist ~e1′ = cos α ·~e1 +sin α ·~e2 und ~e2

′ = − sin α ·~e1+cos α·~e2. Nachrechnen: ~e1 = cos α·~e1

′−sin α·~e2′ und ~e2 = sin α·~e1

′+cos α·~e2′.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 34

Nun betrachten wir aktive und passive Transformationen von Vektoren. Sei ~xein Vektor (der Ortsvektor eines Massenpunktes). Bei einer aktiven Drehung(Drehung des physikalischen Systems) ist

~x′ = x1~e1′ + x2~e2

′ + x3~e3′ = x′

1~e1 + x′2~e2 + x′

3~e3

der Ortsvektor des gedrehten Massenpunktes: ~x′ hat bezuglich der gedrehtenBasis dieselben Komponenten wie ~x bezuglich der ursprunglichen Basis. Dagegengilt bei einer passiven Drehung (Drehung des Koordinatensystems)

~x = x1~e1 + x2~e2 + x3~e3 = x′1~e1

′ + x′2~e2

′ + x′3~e3

′,

d.h., derselbe Vektor wird bezuglich verschiedener Basen durch verschiedene Kom-ponententripel reprasentiert.

Wir konnen nun die Komponenten x′i durch die Komponenten xi ausdrucken:

im aktiven Fall ist x′i = ~x′ · ~ei =

j xj~ej′ · ~ei =

j Aijxj :

x′i =

j

Aijxj (aktiv);

im passiven Fall ist x′i = ~x · ~ei

′ =∑

j xj~ej · ~ei′ =

j Ajixj :

x′i =

j

Ajixj (passiv).

Beachten Sie auch hier das unterschiedliche Transformationsgesetz im aktivenund passiven Fall!

Es ist zweckmaßig, die jeweiligen Komponententripel zu Spaltenvektorenzusammenzufassen:

x =

x1

x2

x3

und x′ =

x′1

x′2

x′3

.

Achtung: Weil (im passiven Fall) derselbe Vektor bezuglich verschiedener Basenverschiedene Komponenten hat, ist es nicht mehr sinnvoll, einen Vektor ~x =∑

i xi~ei =∑

i x′i~ei

′ mit seinem Komponenten-Tripel x zu identifizieren.Außerdem fassen wir die Koeffizienten Aij zu einer Matrix zusammen:

A =

A11 A12 A13

A21 A22 A23

A31 A32 A33

und verwenden die Methoden und Begriffe der linearen Algebra (s. Kasten). Dannvereinfachen sich die obigen Transformationsgesetze zu A−1 = AT und

x′ = Ax ⇔ x = AT x′ (aktiv),x′ = AT x ⇔ x = Ax′ (passiv).

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Matrizenrechnung

Matrix mal Spaltenvektor:

y = Ax ⇔ yi =∑

j Aijxj

(“Skalarprodukte des Spaltenvektors x mit den drei Zeilenvektoren von A”).Matrix mal Matrix (i.A. nicht kommutativ: AB 6= BA):

C = AB ⇔ Cij =∑

k AikBkj

(“Cij = Skalarprodukt des i-ten Zeilenvektors von A mit dem j-ten Spaltenvek-tor von B”). Dies ist so definiert, dass

(AB)x = A(Bx) und (AB)C = A(BC).

Einheitsmatrix 1:

1x = x ∀x ⇔ 1A = A = A1 ∀A ⇔ 1ij = δij .

Zu A inverse Matrix A−1 (existiert nicht immer; i.A. schwierig zu berechnen;Warnung: (A−1)ij 6= 1/(Aij)):

A−1A = 1 ⇔ AA−1 = 1 ⇔ ∑

j Aij(A−1)jk = δik.

Dann gilt Ax = y ⇔ y = A−1x.

Zu A transponierte Matrix AT :

(AT )ij := Aji.

A heißt orthogonal, falls

AAT = 1 ⇔ AT A = 1 ⇔ A−1 = AT .

Beispiel (2 Dimensionen): Die Matrix Aα =

(

A11 A12

A21 A22

)

=

(

cos α − sinαsinα cos α

)

beschreibt eine Drehung um den Winkel α (s.o.). Es gilt AαAβ = AβAα = Aα+β ,und AT

α = A−α. Da AαA−α = A0 = 1, ist Aα orthogonal.

Beispiel: 3-dimensionale orthogonale Matrizen beschreiben Drehungen undSpiegelungen. (Man kann die Spiegelungen ausschließen durch die Zusatzforde-rung det A = 1.) Die Drehmatrizen hangen von drei Winkeln ab: der Richtungder Drehachse und dem Drehwinkel. Drehungen um die Koordinatenachsen sind

sehr einfach, etwa

cos α − sinα 0sinα cos α 0

0 0 1

fur eine Drehung um die z-Achse.

Wir haben oben gesehen, dass die Matrix A, die den Ubergang von einemorthogonalen KS zu einem anderen orth. KS beschreibt, orthogonal ist (daher derName). Da Skalarprodukte eine basisunabhangige Bedeutung haben (Winkel!),mussen sie unter Drehungen invariant sein:

~a ·~b = |~a||~b| cos γ = a · b = a′ · b′.Tatsachlich: a′ · b′ =

i a′ib

′i =

i(∑

j Ajiaj)(∑

k Akibk) =∑

jk(∑

i AjiAki)ajbk

=∑

jk(AAT )jkajbk =∑

jk δjkajbk =∑

k akbk = a · b.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 36

B. Zeitabhangige Transformationen (passiv: bewegte Bezugssysteme)

Wir mochten einen physikalischen Vorgang von einem bewegten Bezugssystemaus beschreiben. Dabei konnen sowohl der Ursprung sich bewegen, als auch dieKoordinatenachsen sich drehen. Wir behandeln die Falle separat.

B. (i) Translationen. Der Ursprung O′ des bewegten KS folge der Bahn~b(t). Ein Massenpunkt, der sich zur Zeit t am Ort P mit Ortsvektor ~r bezuglich

O befindet, besitzt dann den Ortsvektor ~r′ = ~r −~b(t) bezuglich O′. Der bewegte

Beobachter sieht also die Bahn ~r ′(t) = ~r(t)−~b(t). Daraus folgt: ~r ′(t) = ~r(t)−~b(t)

sowie ~r ′(t) = ~r(t)− ~b(t). Die beobachtete Beschleunigung unterscheidet sich um

den Beitrag −~b(t) von der Beschleunigung, die ein ruhender Beobachter messen

wurde. Bewegungen verlaufen also so, als ob eine zusatzliche Kraft ~Fin = −m~b(t)wirken wurde (Inertialkraft, Tragheitskraft).

Beispiel: abbremsendes Auto, Beschleunigung ~b nach hinten, Tragheitskraftnach vorne, Stoß gegen Windschutzscheibe.

B. (ii) Rotationen. Ein Koordinatensystem {~ej′} rotiere gegenuber einem

Inertialsystem, d.h., die Basisvektoren ~ej′(t) sind zeitabhangig. Dann sind auch

die Koeffizienten Aij(t) der Drehmatrix zeitabhangig, und das Komponenten-Tripel des Ortsvektors transformiert sich gemaß r′(t) = A(t)T r(t). Ableiten ⇒

r′(t) = A(t)T r(t) + A(t)T r(t) = AT r + (AT A)r′,

wobei AT die Matrix mit Koeffizienten (AT )ij = ddt

ATij(t) = d

dtAji(t) ist.

Um die hier auftretende Matrix AT A zu verstehen, wenden wir das gefundeneTransformationsgesetz auf einen am Ort ~r ruhenden Korper an. Fur diesen istr = 0, also r′(t) = AT Ar′. Andererseits rotiert er gegen das rotierende Bezugssy-stem, und r′(t) beschreibt die Bahn eines gegenlaufig rotierenden Massenpunktes.Also ist r′(t) = −ω′ × r′(t), wobei ω′ das Komponententripel des (momentanen)Drehvektors im rotierenden KS ist. Also muss (AT A) r′ = −ω′ × r′ sein, und weilr′ beliebig ist, liest man ab, dass die Matrix AT A die Form

AT A =

0 ω3 −ω2

−ω3 0 ω1

ω2 −ω1 0

haben muss.Im Fall einer allgemeinen Bewegung ist daher

r′(t) = AT r − ω′ × r′.

Wir leiten ein zweites Mal ab und finden

r′(t) = AT r + AT r − ω′ × r′ − ω′ × r′.

Hierin setzen wir ein: r = A(r′ + ω′ × r′) ⇒ AT r = AT A(r′ + ω′ × r′) = −ω′ ×(r′ + ω′ × r′). Es folgt fur die Kraft:

F ′ = mr′(t) = AT F + m [−ω′ × (ω′ × r′) − 2ω′ × r′ − ω′ × r′] .

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 37

Der erste Term ist die Kraft ~F = m~a, die im ruhenden Bezugssystem wirkt,in Komponenten bzgl. des rotierenden Bezugssystems. Daneben sehen wir dreiTypen von Inertial-Kraften auftauchen: −mω′ × (ω′ × r′) = mω′2 · r′⊥ ist dieZentrifugal-Kraft. Der geschwindigkeitsabhangige Beitrag −2mω′ × r′ ist dieCoriolis-Kraft. Diese wirkt stets senkrecht zur Geschwindigkeit. Der letzte Bei-trag tritt nur dann auf, wenn der Drehvektor ω′ selbst (nach Betrag oder Rich-tung) veranderlich ist. Eine charakteristische Eigenschaft von Tragheitskraftenist, dass sie allen Objekten (unabhangig von ihrer Masse) dieselbe Beschleuni-gung erteilen. Fur sie gilt das 3. NG nicht, da es gar keinen “anderen Korper”gibt, auf dessen Wirken sie zuruckzufuhren ware.

C. Tensoren

Die Komponenten-Tripel aller Vektoren transformieren sich nach demselbenGesetz. Daher definiert man auch manchmal im Sinne von: “Ein Vektor ist einkoordinatensystem-abhangiges Komponenten-Tripel, das sich beim Wechsel desKoordinatensystems gemaß x′ = AT x transformiert”.

In der Physik bestehen oft lineare Beziehungen zwischen Vektoren, ohne dassdie beiden Vektoren parallel sein mussen, etwa die Kraft und die Auslenkung(Scherung) von anisotropen Korpern, oder Drehvektor und Drehimpuls von un-symmetrischen rotierenden Korpern (vgl. Kap. 8). Solche Beziehungen haben dieallgemeine Gestalt

bi =∑

j Tijaj oder b = Ta

mit einer Matrix T von Koeffizienten Tij .Beim Wechsel des Koordinatensystems andern sich aber die Komponenten a

und b der Vektoren ~a und ~b gemaß

a′i =

j Ajiaj und b′i =∑

j Ajibj .

Die entsprechende lineare Beziehung zwischen b′i und a′i lautet dann

b′i =∑

j T ′ija

′j oder b′ = T ′a′

mit veranderten Koeffizienten

T ′ij =

kl AkiAlj · Tkl.

Denn b′i =∑

k Akibk =∑

k Aki(∑

l Tklal) =∑

k Aki(∑

l Tkl(∑

j Alja′j)), wobei

wir im letzten Schritt das inverse Transformationsgesetz verwendet haben; ⇒b′i =

l(∑

k

j AkiTklAlj)a′j. In Matrix-Schreibweise: T ′ = AT TA.

Eine Matrix T = (Tij) zusammen mit diesem Transformationsgesetz der Ma-

trixelemente beim Basiswechsel nennt man einen Tensor, d.h., “Tensor = Matrixmit Transformationsgesetz”. Das Gesetz b = Ta ist dann invariant.

Dieser Begriff des Tensors verallgemeinert sich auf “Tensoren beliebiger Stu-fe”. Beispielsweise ist das Vektorprodukt ~c = ~a×~b eine bilineare Relation zwischendem Vektor ~c und den beiden Vektoren ~a und ~b. Die Koeffizienten εijk in

ci =∑

jk

εijkajbk

ε123 = ε312 = ε231 = 1ε321 = ε213 = ε132 = −1alle anderen = 0

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 38

bilden daher einen Tensor dritter Stufe.

D. Relativitat

(i) Galilei-Invarianz

Die Newton’schen Gesetze sind invariant unter Verschiebungen (= Transla-tionen): Fur aktive Verschiebungen bedeutet dies, dass das gleiche Experiment,mit den gleichen Kraften an zwei verschiedenen Orten ausgefuhrt, das gleiche Er-gebnis ergibt. Fur passive Verschiebungen bedeutet dies, dass derselbe physikali-sche Vorgang, von zwei verschiedenen Beobachtungspositionen aus aufgezeichnet,denselben Gesetzen genugt.

Formal: (aktiv) Ist ~r(t) die Bahn eines Massenpunktes in einem Kraftfeld~F (~r), dann ist ~r′(t) = ~r(t) +~b eine andere zulassige Bahn in dem verschobenen

Kraftfeld ~F ′(~r +~b) = ~F (~r) ⇔ ~F ′(~r) = ~F (~r −~b). Beweis: m~r′ = m d2

dt2(~r +~b) =

m~r = ~F (~r(t)) = ~F ′(~r(t) +~b) = ~F ′(~r′(t)).

(passiv) Ist ~r(t) die Bahn eines Massenpunktes in einem Kraftfeld ~F (~r), dann ist

~r′(t) = ~r(t) − ~b die Bahn desselben Massenpunktes von dem verschobenen Ur-

sprung aus gesehen, und ~F ′(~r′) = ~F (~r) dasselbe Kraftfeld von dem verschobenen

Ursprung aus gesehen. Wenn die erstere der Bewegungsgleichung m ~r = ~F (~r)

genugt, dann genugt die letztere der Bewegungsgleichung m~r′ = ~F ′(~r′).

Insbesondere sind die Newton’schen Gesetze nicht geeignet, einen “absolutenKoordinatenursprung” auszuzeichnen: jeder Punkt ist als Bezugspunkt (prinzi-piell) gleich gut. Dies nennt man Relativitat (bezuglich Verschiebungen), da esnur auf die Lage von Objekten relativ zu anderen Objekten ankommt.

Die Relativitat gilt auch bezuglich geradlinig gleichformigen zeitabhangigen

Translationen ( ~b =const. ⇒ ~b = 0), sofern die Krafte hochstens von Rela-

tivgeschwindigkeiten abhangen (z.B. Reibung): es gibt keinen absolut ausgezeich-neten “ruhenden” Beobachter. Alle geradlinig-gleichformig relativ zu diesem be-wegten Beobachter konstatieren die Gultigkeit derselben physikalischen Gesetze(“ohne von ihrer Bewegung zu wissen”). Deren Bezugssysteme nennt man Iner-tialsysteme.

Krafte sind ebenso wie Abstandsvektoren, Geschwindigkeiten und Beschleu-nigungen Vektoren, die sich unter einer Drehung des Koordinatensystems alle inderselben Art (mit derselben Matrix Aij , s.o.) transformieren. Daher sind dieNewton’schen Gesetze auch drehinvariant: die 3 Komponenten-Gleichungenmri = Fi sind aquivalent zu den drei Gleichungen mr′j = F ′

j , wenn sowohlr′j =

i Aijri als auch F ′j =

i AijFi mit denselben konstanten KoeffizientenAij miteinander zusammenhangen. Es gibt keine absolut ausgezeichneten Rich-tungen (Relativitat bzgl. Drehungen).

Die geradlinig-gleichformigen Translationen und die zeitunabhangigen Dre-hungen zusammengenommen bilden die Galilei-Gruppe. Die Newton’schen Ge-setze sind also “Galilei-invariant”.

Das 2. NG ist aber nicht invariant unter beschleunigten Translationen oderzeitabhangigen Rotationen. Die Anwesenheit der Inertialkrafte mit den in Kap.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 39

7.B genannten charakteristischen Eigenschaften, zeigt dem Beobachter an, dasssein Bezugssystem beschleunigt ist. Die mit einer zeitabhangigen Translationbzw. Drehbewegung assoziierten Inertialkrafte (s.o.) sind genau dann Null, wenn

~b = 0 bzw. wenn ~ω = 0.

(ii) Poincare-Invarianz

Die Elektrodynamik und damit die Gesetze der Lichtausbreitung erweisensich dagegen als nicht Galilei-invariant. Denn unter einer Galilei-Transformationmusste sich die Geschwindigkeit des Bezugssystems von der der Lichtausbreitungsubtrahieren, wahrend man experimentell feststellt, dass die Lichtgeschwindigkeitunabhangig vom Bezugssystem ist. Vielmehr ist die Elektrodynamik invariant un-ter einer anderen Transformationsgruppe, die auch die Zeit “mittransformiert”,der Poincare-Gruppe. Dies ist der Inhalt der Speziellen Relativitatstheorie(Einstein). Auch nach dieser gibt es keinen absoluten “Zustand der Ruhe” undkeine absolut ausgezeichneten Richtungen. Daruberhinaus findet man, dass Zeit-messungen, Langenmessungen sowie selbst der Begriff der Gleichzeitigkeit raum-lich entfernter Ereignisse (selbst nach Elimination aller trivialer Signallaufzeit-Effekte) vom Bewegungszustand des Beobachters abhangen. (Mehr dazu in Phy-sik 2, Elektrodynamik.)

Da die Elektrodynamik und die Mechanik aneinander “gekoppelt” sind (elek-tromagnetische Kraftwirkungen bewirken mechanische Beschleunigungen), waredie Physik inkonsistent, wenn die Mechanik einer anderen Relativitat genugteals die ED. Daher ist die Mechanik relativistisch abzuwandeln, sodass die nicht-relativistische Newton’sche Mechanik als Grenzfall kleiner Geschwindigkeiten (imVergleich zur Lichtgeschwindigkeit c) weiterhin gultig bleibt. Diese Abanderungbesteht in der Einfuhrung einer geschwindigkeitsabhangigen relativistischenMasse

m(v) =m0

1 − v2/c2

(m0 ist die Masse eines ruhenden Korpers) und der Abanderung der Relationzwischen Impuls und Geschwindigkeit:

p = m(v) · ~v.

Das Newton’sche Gesetz lautet dann

d~p

dt=

d

dt

(

m(v)~v)

= ~F

(wobei auch die jeweiligen Kraftgesetze relativistisch anzupassen sind). Die Kraftbewirkt also nicht nur eine Anderung der Geschwindigkeit, sondern gleichzeitigauch eine Anderung der Masse.

Die relativistische Energie ist E = m(v)c2. Approximiert man diese bei kleinenGeschwindigkeiten v/c ≪ 1, so findet man

E = m(v) · c2 ≈ m0c2 + 1

2m0v

2 + . . . ,

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 40

d.h., die relativistische Energie enthalt neben der “Ruhe-Energie” m0c2 auch die

nichtrelativistische kinetische Energie.Zerfallt ein Atomkern der Ruhemasse M0 in zwei Teilkerne mit Ruhemassen

m10 und m20, so erfordert die Energie-Erhaltung, dass

m1(v1)c2 + m2(v2)c

2 ≡ m10c2 + E1kin + m20c

2 + E2kin!= M0c

2

gilt, wobei vi die Geschwindigkeiten der Zerfallsprodukte im Schwerpunkts-Systemund mi(vi) die entsprechenden relativistischen Massen sind. Insbesondere ist not-wendigerweise m10 + m20 < M0, und der Massenunterschied wurde beim Zerfall“in kinetische Energie” verwandelt. Da in der nichtrelativistischen Sichtweise diekinetische Energie der Relativbewegung vollstandig aus einer freiwerdenden po-tentiellen Bindungsenergie (“Sprengfeder”) herruhrt, bedeutet die Gegenuber-stellung der Sichtweisen, dass das nichtrelativistische Konzept der potentiellenEnergie in der relativistischen Energieformel E = Mc2 bereits enthalten ist. JedeEnergieform, auch kinetische und potentielle Energie, “lasst sich wiegen”.

8 Ausgedehnte Systeme. Der “Starre Korper”

Mehrfachintegrale

Bei ausgedehnten Systemen hat man es haufig mit Großen zu tun, die sich aus Bei-tragen zusammensetzen, die kontinuierlich uber das ganze System verteilt sind,etwa die Gesamtmasse eines Korpers oder die kinetische Energie eines rotieren-den Korpers, dessen einzelne Punkte sich alle unterschiedlich schnell bewegen.Die Idee zur Berechnung solcher Großen ist stets, sich den Korper in kleine Be-standteile unterteilt zu denken und die Summe der Einzelbeitrage als ein Integral

darzustellen (s.u.).

Beispiel: Wirkt die Schwerkraft auf einen aus Massenpunkten mi zusam-mengesetzten Korper, der im Ursprung gelagert ist, so ubt diese ein Gesamt-Drehmoment

~T =∑

i

Ti =∑

i

~ri × mi~g = (∑

i

mi~ri) × ~g = M~rS × g = ~rS × M~g

aus. Der Vektor

~rS =

mi~ri∑

mi

ist der Ortsvektor des Schwerpunkts. Das Drehmoment ist dasselbe, als wenndie Gesamtmasse M =

mi im Schwerpunkt konzentriert ware.Im Fall eines kontinuierlichen Korpers sind die Summen durch “symbolische”

Integrale (= kontinuierlicher Grenzfall von Summen) zu ersetzen: M =∫

dm =∫

ρdV , ~rS =∫

~rdm/M , etc. Da man Vektoren komponentenweise addiert, werdensie (etwa im Falle von ~rS) auch komponentenweise integriert. Im Folgenden wer-den wir uns mit der Umformung solcher Integrale in “gewohnliche” bestimmteIntegrale der Form

∫ b

af(u)du beschaftigen.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 41

A. Flachen- und Volumenintegrale

Idee zur Berechnung solcher Großen: (feine) Unterteilung des Systems

X = lim∑

i

δXi =

dX.

Bei flachig ausgedehnten Systemen ist δXi der Teilflache δAi proportional, beiraumlich ausgedehnten Systemen dem Teilvolumen δVi, wobei der Proportiona-litatsfaktor (“Dichte”) i.A. ortsabhangig ist:

X = lim∑

i

δXi = lim∑

i

f(~ri)δAi =

A

f(~r)dA

bzw.

X = lim∑

i

δXi = lim∑

i

f(~ri)δVi =

V

f(~r)dV.

Wir wollen die hier auftretenden Integrale auf gewohnliche Integrale zuruckfuhren.Im Fall einer Flache wahlen wir eine geeignete Parametrisierung (σ, τ) 7→

~r(σ, τ), so dass ~r(σ, τ) die Flache A uberstreicht, wenn die Parameter σ und τeinen Parameterbereich a uberstreichen.

Beispiel: Kreisflache in der x-y-Ebene, Radius R. Wahl (σ, τ) = (x, y): dannist a das Gebiet x2 + y2 < R2. Wahl (σ, τ) = (r, ϕ): dann ist a das Gebiet0 < ϕ < 2π, 0 < r < R.

Im Allgemeinen entspricht ein infinitesimales Parameter-Rechteck (σ, σ+dσ)×(τ, τ +dτ) einem Parallelogramm in der Nahe des Punktes ~r(σ, τ) mit den Seiten

~a = ∂~r∂σ

dσ und ~b = ∂~r∂τ

dτ . Dessen Flache ist dA = |~a × ~b| = µ(σ, τ)dσdτ mit

µ(σ, τ) = | ∂~r∂σ

× ∂~r∂τ|. Wir schreiben daher

X =

f(~r)dA =

a

f(~r(σ, τ))µ(σ, τ) dσdτ,

wobei jetzt der Integrand f(~r(σ, τ))µ(σ, τ) als Funktion g(σ, τ) von σ und τ auf-gefasst wird und sich das Integral uber den Parameterbereich a erstreckt.

Beispiele: kartesische Koordinaten der Ebene ~r(x, y) = (x, y, 0): Naturlich istdA = dxdy. Rechnerisch: dA = | ∂~r

∂x× ∂~r

∂y|dxdy = |(1, 0, 0)× (0, 1, 0)|dxdy = dxdy.

Ebene Polarkoordinaten ~r(r, ϕ) = (r cos ϕ, r sin ϕ, 0): das Intervall dr definierteinen Kreisring vom Radius r und der Breite dr; das Intervall dϕ schneidet ausdem Kreisring ein Segment der Breite rdϕ aus. Dessen Flache ist also dA =rdr · dϕ. Rechnerisch: ∂~r

∂r= (cos ϕ, sin ϕ, 0) und ∂~r

∂ϕ= (−r sin ϕ, r cos ϕ, 0) ⇒

dA = |∂~r∂r

× ∂~r∂ϕ|drdϕ = rdrdϕ.

Ist der Parameterbereich a einfach ein Rechteck, etwa σ1 < σ < σ2 undτ1 < τ < τ2 (z.B. Kreisflache in Polarkoordinaten, s.o.), so ist

X =

∫ σ2

σ1

[∫ τ2

τ1

dτ g(σ, τ)

]

=

∫ τ2

τ1

[∫ σ2

σ1

dσ g(σ, τ)

]

,

d.h., man integriert zunachst die Funktion g(σ, τ) bei festem Wert von σ wie eingewohnliches Integral uber τ , und dann das von σ abhangige Resultat uber σ.Man kann genausogut erst uber σ und dann uber τ integrieren.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 42

Der Parameterbereich kann jedoch komplizierter aussehen; seine Schnittli-nie mit festem σ sei etwa ein σ-abhangiges Intervall τ1(σ) < τ < τ2(σ) (z.B.Kreisflache in kartesischen Koordinaten: −

√R2 − x2 < y < +

√R2 − x2). Dann

schreibt man

X =

∫ σ2

σ1

[

∫ τ2(σ)

τ1(σ)

dτ g(σ, τ)

]

und verfahrt genauso wie vorher. In diesem Fall hangt das Ergebnis der zuerst aus-gefuhrten τ -Integration sowohl uber den Integranden als auch uber die Grenzenvon σ ab. Die resultierende Funktion von σ wird anschließend uber σ integriert.

Beispiel: Man sieht auf der Photographie einer Galaxie eine Sternenverteilung,die etwa dem Gesetz Anzahl/Flache = Flachendichte ν(r) = N0 exp(−r2/R2)genugt (R = Radius der Galaxie = 40.000 Lichtjahre, N0 = Dichte im Zentrum =10 Sterne pro Quadratlichtjahr). Die Gesamtzahl der Sterne ist dann N =

dN =∫

ν(r)dA. In kartesischen Koordinaten: N = N0

∫ R

−Rdx exp(−x2/R2) [

√R2−x2

−√

R2−x2 dy

exp(−y2/R2)]. Schon die y-Integration ist nicht elementar durchzufuhren.

Besser: Polarkoordinaten: N =∫ R

0r dr

∫ 2π

0dϕ N0 exp(−r2/R2) = N0

∫ R

0r dr 2π

exp(−r2/R2) = N0π[−R2 exp(−r2/R2)]R0 = N0πR2(e − 1) ≈ 1011 Sterne.

Bei Volumenintegralen verfahrt man analog. Man parametrisiert das VolumenV geeignet durch (ρ, σ, τ) 7→ ~r(ρ, σ, τ) im Parameterbereich v. Man bestimmtdas zu dρ, dσ, dτ gehorende Volumenelement mithilfe des Spatproduktes (Kap.1): dV = µ(ρ, σ, τ) · dρ dσ dτ mit µ(ρ, σ, τ) = | ∂~r

∂ρ· ( ∂~r

∂σ× ∂~r

∂τ)|. Fur kartesische

Koordinaten ist dV = dx dy dz, fur Zylinderkoordinaten dV = r · dr dϕ dz, undfur Kugelkoordinaten dV = r2 sin ϑ · dr dϑ dϕ. Anschließend verfahrt man wie imzweidimensionalen Fall mit drei statt zwei geschachtelten Integrationen:

X =

V

f(~r) dV =

v

g(ρ, σ, τ) dρ dσ dτ =

∫ ρ2

ρ1

[

∫ σ2(ρ)

σ1(ρ)

[

∫ τ2(ρ,σ)

τ1(ρ,σ)

dτ g(ρ, σ, τ)

]]

mit g(ρ, σ, τ) = f(~r(ρ, σ, τ))µ(ρ, σ, τ).

Beispiel: Schwerpunkt einer Kreispyramide (Radius R, Hohe H , konstanteDichte ρ). Zylinderkoordinaten ~r = (r cos ϕ, r sin ϕ, z) mit 0 < r < R, 0 < ϕ < 2π

und 0 < z < h(r) = H(1−r/R). Dann ist M =∫

ρ dV = ρ∫ R

0r dr

∫ 2π

0dϕ

∫ h(r)

0dz =

ρ∫ R

0r dr

∫ 2π

0dϕh(r) = ρ

∫ R

0r dr 2π H(1 − r/R) = ρ2πH [1

2r2 − 1

3Rr3]R0 = ρ

3πR2H.

MxS =∫

x dm =∫

x ρdV = ρ∫ R

0r2 dr

∫ 2π

0dϕ cos ϕ

∫ h(r)

0dz = 0, weil die ϕ-

Integration Null ergibt; ebenso MyS. Schließlich ist MzS =∫

z ρ dV = ρ∫ R

0r dr

∫ 2π

0dϕ

∫ h(r)

0z dz = ρ

∫ R

0r dr

∫ 2π

0dϕ · 1

2h(r)2 = ρ

∫ R

0r dr 2π 1

2H2(1 − r/R)2 =

ρπH2[12r2− 2

3Rr3+ 1

4R2 r4]R0 = ρ

12πR2H2. Also liegt der Schwerpunkt bei (0, 0, 1

4H).

Anwendung: Das Newton’sche Gravitationspotential einer kugelsymmetrischenMassenverteilung (Radius R, Dichte ρ(r)). Wir berechnen die potentielle Energieeiner Massenpunktes m am Ort ~r0:

V (~r0) = −∫

γm dM

|~r − ~r0|= −γm

ρ(r) dV

|~r − ~r0|.

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Wahle den Ursprung im Mittelpunkt der Kugel, und Kugelkoordinaten mit Achsein Richtung Massenpunkt, sodass ~r0 = (0, 0, r0), ~r = r(sin ϑ cos ϕ, sin ϑ sin ϕ, cos ϑ)und |~r − ~r0| =

r2 + r20 − 2rr0 cos ϑ. Es folgt

V (~r0) = −γm

∫ R

0

dr

∫ π

0

∫ 2π

0

dϕρ(r)r2 sin ϑ

r2 + r20 − 2rr0 cos ϑ

.

Die Integration uber ϕ ergibt einen Faktor 2π. Fur die ϑ-Integration substituiere− cos ϑ = u, sin ϑdϑ = du:

V (~r0) = −γm · 2π∫ R

0

ρ(r)r2 dr

∫ 1

−1

du√

r2 + r20 + 2rr0u

= −γm · 2π∫ R

0

ρ(r)r2 dr

[√r2+r2

0+2rr0u

rr0

]u=+1

u=−1

.

Die eckige Klammer ist (r0 + r) − |r0 − r|/rr0. Falls die Massenverteilung nicht

bis an den Massenpunkt heranreicht, ist r < r0, und [. . .] = 2r/rr0 = 2/r0, also

V (~r0) = −γm

r0

∫ R

0

ρ(r) 4πr2 dr.

ρ(r) 4πr2 dr ist die Masse der Kugelschale vom Radius r und der Dicke dr, alsoist das Integral einfach die Gesamtmasse M der Kugel: Die potentielle EnergieV (~r0) = −γmM/|~r0| ist dieselbe wie die im Gravitationsfeld einer Punktmasse Mim Mittelpunkt der Kugel. Daher darf man im Keplerproblem sowohl die Sonneals auch die Planeten wie Massenpunkte behandeln (vgl. Kap. 6).

B. Der Starre Korper

Die Bewegung eines starren Korpers setzt sich aus einer Translationsbewegungund einer Rotationsbewegung zusammen. Wir wollen hier die letztere betrachten.

Die Rotation erfolge um eine durch den Ursprung verlaufende Achse ~e mitDrehvektor ~ω = ω~e. Ein Massenelement dm des starren Korpers, das sich amOrt ~r(t) befindet, bewegt sich dann mit der Geschwindigkeit ~v(t) = ~ω × ~r(t).

Die kinetische Energie des rotierenden Korpers ist

Erot =

1

2dm~v 2 =

1

2

dm (~ω × ~r)2 =1

2ω2

dm~r⊥2 =

I

2ω2.

Die Große

I =

dm~r⊥2

heißt Tragheitsmoment. Sie hangt von der Gestalt des Korpers sowie von derDrehachse ab. Das Tragheitsmoment spielt fur Drehbewegungen eine analogeRolle wie die trage Masse fur Translationsbewegungen eines Punktkorpers. Esist (bei gleicher Masse) umso großer, je weiter die Bestandteile des Korpers vonder Drehachse entfernt sind. Um es zu berechnen, wahlen wir ein mitrotierendes(“korperfestes”) Koordinatensystem ~ei(t), bezuglich dem jedes Massenelementein zeitunabhangiges Koordinatentripel r besitzt. Der gesamte starre Korper wirddann durch seine zeitlich unveranderliche Massenverteilung dm = ρ(r)d3r cha-rakterisiert; die Abstande ~r2

⊥ = r2⊥ sind ebenfalls fur jeden Massenpunkt zeitlich

konstant.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 44

Beispiele: (1) Das Tragheitsmoment eines homogenen Quaders um eine kan-tenparallele Achse durch den Mittelpunkt. Wir wahlen die kantenparallelen Ach-sen als Koordinatensystem, sodass die x-Achse die Drehachse ist. Dann ist I =∫

dm(y2 + z2) = ρ∫ +a/2

−a/2dx

∫ +b/2

−b/2dy

∫ +c/2

−c/2dz(y2 + z2). Die z-Integration ergibt

[y2z + 13z3]

+c/2−c/2 = cy2 + 1

12c3. Die nachfolgende y-Integration ergibt

∫ +b/2

−b/2dy(cy2 +

112

c3) = [13cy3 + 1

12c3y]

+b/2−b/2 = 1

12(cb3 + bc3). Die x-Integration ergibt einen weiteren

Faktor a, also I = 112

ρ · abc(b2 + c2) = 112

M(b2 + c2).(2) Das Tragheitsmoment einer homogenen Kugel: In Polarkoordinaten ist

I = ρ∫ R

0r2dr

∫ π

0sin ϑdϑ

∫ 2π

0dϕ(x2 + y2) mit x2 + y2 = r2 sin2 ϑ (vgl. Kap. 2 und

Abschnitt A). Die ϕ-Integration ergibt 2π, die ϑ-Integration ergibt∫ π

0sin3 ϑdϑ =

∫ π

0sin ϑ(1−cos2 ϑ)dϑ = [− cos ϑ+1

3cos3 ϑ]π0 = 4

3, die r-Integration ergibt

∫ R

0r4dr =

15R5. Zusammen mit M = ρ · 4

3πR3 ergibt sich I = 2

5MR2.

Um fur allgemeine Drehachsen (auch in unregelmaßig geformten Korpern)die Tragheitsmomente zu berechnen, schreiben wir ~r⊥

2 = r⊥2 = r2 − (e · r)2 =

ij(r2δij − rirj)eiej und erhalten

I(e) =∑

ij Iijeiej = (e · IIe) mit Iij =∫

dm (r2δij − rirj)

sowie

Erot =I(e)

2ω2 =

1

2

ij

Iij ωiωj =1

2(ω · IIω).

Man kann also fur beliebige Drehachsen e die Rotations-Energie Erot bzw. dasTragheitsmoment I(e) ausrechnen, wenn man nur die Koeffizienten Iij kennt.Diese lassen sich aus der Gestalt (Massenverteilung) des Korpers berechnen. Siebilden den Tragheitstensor II = (Iij) des starren Korpers.

Der Tragheitstensor geht auch in den Drehimpuls bei beliebigen Drehachsenein:

L =

dm r × v =

dm r × (ω × r) =

dm (r2ω − (r · ω)r).

Mit r2ωi − (r · ω)ri =∑

j(r2δij − rirj) ωj ergibt sich die Beziehung zwischen

Drehvektor und Drehimpuls:

Li =∑

j

Iijωj ⇔ L = IIω.

Im Allgemeinen ist der Drehimpuls nicht parallel zur Drehachse! Dies ist nurdann der Fall, wenn ω ein Eigenvektor der Matrix II ist (z.B. wenn die Drehachseeine Symmetrie-Achse des Korpers ist, s.u.). Diese Relation ist ein Beispiel fureinen linearen Zusammenhang zwischen zwei Großen, die im allgemeinen nichtparallel zueinander sind (vgl. Kap. 7.C; entsprechend ist II ein Tensor).

Beispiele: (1) Der homogene Quader (s.o.). Das TM I = 112

M(b2 + c2) umdie x-Achse, das wir oben berechnet haben, ist Ixx. Analog ergeben sich Iyy =

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 45

112

M(a2 + c2) und Izz = 112

M(a2 + b2). Die anderen Komponenten verschwinden,

da z.B. die z-Integration in Iyz = ρ∫ +a/2

−a/2dx

∫ +b/2

−b/2dy

∫ +c/2

−c/2dz yz Null ergibt.

(2) Die homogene Kugel (s.o.): Da jede Achse durch den Mittelpunkt dasselbeTragheitsmoment I = 2

5MR2 hat, ist der Tragheitstensor diagonal mit Ixx =

Iyy = Izz = 25MR2, alle anderen Komponenten = 0.

Im Allgemeinen (z.B. fur unregelmaßige Korper oder beliebige schrage Ach-sen) werden die nicht-diagonalen Komponenten Ixy etc. nicht Null sein. Ein Satzder linearen Algebra besagt aber, dass jede symmetrische Matrix drei zueinan-der orthogonale Eigenvektoren besitzt. Wenn wir deren Richtungen ei (Haupt-Tragheitsachsen) als korperfeste Basis wahlen, so nimmt II die einfache Forman:

II0 =

I1 0 00 I2 00 0 I3

, Ii = I(ei) ≥ 0.

Die drei Eigenwerte Ii heißen Haupt-Tragheitsmomente. (Bezuglich einer all-gemeinen Basis ist dann II = AT II0A, vgl. Kap. 7.A. In den obigen Beispielen ha-ben wir aus Symmetriegrunden schon stets Haupt-Tragheitsachsen gewahlt. DassSymmetrieachsen Haupt-Tragheitsachsen sind, ist eine allgemeine Eigenschaft.Weniger offensichtlich ist, dass auch beliebig unregelmaßig geformte Korper dreiHTAn besitzen.)

Der Tragheitstensor (HTM + HTA) legt das Rotationsverhalten des SK untermechanischen Einflussen (Krafte und Drehmomente) vollstandig fest.

Folgerungen aus der Relation L = IIω:

(i) Wenn die Drehachse keine Haupt-Tragheitsachse ist, so hat der Drehimpulsnicht dieselbe Richtung wie der Drehvektor.

(ii) Sind die Komponenten ω des Drehvektors konstant (Rotation um ei-ne korperfeste Drehachse), so sind auch die korperfesten Komponenten L desDrehimpuls-Vektors konstant.

(iii) Ist dabei die Drehachse keine Haupt-Tragheitsachse, so muss der (korper-feste, aber nicht achsenparallele) Drehimpuls-Vektor zusammen mit dem Korper

um die korperfeste Drehachse rotieren.(iv) Wird dabei die Drehachse auch im Raum festgehalten (“Korper auf feste

Achse aufgespießt”), so kann der Drehimpuls nicht auch im Raum konstant sein:die Lager der Achse mussen daher ein Drehmoment ausuben.

(v) Ist dagegen der Drehimpuls ~L im Raum konstant (kein Drehmoment,“Korper wirbelt frei im Raum”), so kann i.A. die Drehachse weder im Raumnoch im Korper konstant sein.

(vi) Beim “Schwerekreisel” wird nur der Drehpunkt (= Koordinatenursprungdes korperfesten Systems 6= Schwerpunkt) im Raum festgehalten. Es wirkt dann

ein Drehmoment ~T = ~rS × ~F , das durch die im Schwerpunkt angreifende Kraft~F = M~g gegeben ist: daher ist ~L nicht konstant, sondern muss gemaß ~L =~T um die z-Achse (Richtung der außeren Kraft) umlaufen. Gleichzeitig mussenauch Drehachse und Korperachse umlaufen. Dies bezeichnet man als Prazession.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 46

Der gleichzeitige Umlauf von ~ω oder einer Korperachse um die prazedierende ~L-Richtung (falls diese nicht zufallig parallel sind) wird Nutation genannt.

Anwendung: Stabilitat der kraftefreien Rotation eines asymmetrischen Korpersim freien Raum. Es seien I1 < I2 < I3 die drei Haupt-Tragheitsmomente undωi die Komponenten des Drehvektors bezuglich der drei Haupt-Tragheitsachsen.Die Energie Erot = 1

2(I1ω

21 + I2ω

22 + I3ω

23) und das Quadrat des Drehimpulses

~L2 = (L)2 = I21ω

21+I2

2ω22+I2

3ω23 sind erhalten. Dann sind auch X = ~L2−2I1Erot =

I2(I2−I1)·ω22+I3(I3−I1)·ω2

3 und Y = 2I3Erot−~L2 = I1(I3−I1)·ω21+I2(I3−I2)·ω2

2

erhalten. Da in diesen Ausdrucken alle Koeffizienten vor ω2i positiv sind, folgt:

(i) Ist ω zu einem Zeitpunkt parallel zur ersten (oder dritten) Haupt-Tragheits-achse (ω2 = ω3 = 0 bzw. ω1 = ω2 = 0), so ist X (bzw. Y ) Null, und ω muss zuallen Zeiten parallel zu dieser Achse sein. Die Rotation ist stabil.

(ii) Ist ω zu einem Zeitpunkt weder zur ersten noch zur dritten Haupt-Tragheitsachse (z.B. ω2 6= 0) parallel, so sind X und Y beide positiv, und ihreWerte legen die drei Zahlen ωi nicht fest. Es gibt also viele andere Drehvektorenmit denselben Werten der beiden Erhaltungsgroßen, und diese konnen im Laufeder Zeit alle “durchlaufen” werden: der Korper “torkelt”.

Der Steiner’sche Satz

Der Tragheitstensor Iij =∫

dm (r2δij − rirj) hangt von der Wahl des korper-festen Koordinatenursprungs ab, und kann nur verwendet werden fur Drehungenum Achsen durch diesen Punkt.

Wenn der Tragheitstensor bezuglich des Schwerpunktes I(S)ij bekannt ist, dann

kann man ihn fur jeden anderen Drehpunkt im Abstand a vom Schwerpunktsofort berechnen:

Iij = I(S)ij + M(a2δij − aiaj).

Fur das Tragheitsmoment um eine Achse ergibt sich

I(e) = I(S)(e) + Ma2⊥,

wobei I(S)(e) das TM um eine parallele Achse durch den Schwerpunkt und a⊥der Abstand der tatsachlichen Achse vom Schwerpunkt ist.

Beweis: Iij ergibt sich durch Integration uber (r − a)2δij − (ri − ai)(rj −aj), wenn r die Komponenten der Ortsvektoren im Schwerpunkts-System sind.

Ausmultiplizieren und neu sortieren: Die Terme r2δij−rirj ergeben I(S)ij , die Terme

a2δij − aiaj ergeben (a2δij − aiaj)∫

dm = M(a2δij − aiaj). Alle ubrigen Termeenthalten genau einen Faktor rk und liefern keinen Beitrag, weil

rk dm = 0(Definition des Schwerpunktes).

Beispiel: I(S) sei das TM eines Rades, das um seine Achse rotiert. Ein rollen-des Rad rotiert aber momentan immer um den Auflagepunkt. Sein Tragheits-moment ist daher I(A) = I(S) + MR2. Die zugehorige kinetische Energie istEkin = 1

2I(A)ω2 = 1

2I(S)ω2 + 1

2Mv2 (Rotationsbewegung um den Schwerpunkt

+ Translationsbewegung des Schwerpunktes).

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9 Deformierbare Medien

Divergenz, Rotation

In diesem (sehr fragmentarischen) Kapitel befassen wir uns erstmals mit derSubstruktur der Materie. Obwohl die mikroskopische Dynamik der atomarenBausteine weit uber unsere bisherigen Kenntnisse hinausgeht (Elektrodynamik,Quantenmechanik), genugen wenige qualitative Vorstellungen, etwa von Atomenund Molekulen als elastische Federn (in Festkorpern) oder starren Korpern (inGasen), um zu einem guten Verstandnis makroskopischen Verhaltens zu kom-men. Dieses kann einerseits sehr unterschiedlich sein (elastisch, plastisch, flussig,gasformig,. . . ), jedoch finden sich auch allgemeine Charakteristika. QuantitativeUnterschiede lassen sich in spezifischen “Materialkonstanten” zusammenfassen.

A. Feste Korper: Elastisches Verhalten

Koppelt man n Schraubenfedern mit derselben Federkonstanten k hinterein-

ander, so erzielt man mit derselben Kraft das n-fache der Dehnung (Langenande-rung) einer einzelnen Feder. Die resultierende Federkonstante ist k/n.

Koppelt man dagegen n Schraubenfedern mit derselben Federkonstanten knebeneinander, so erzielt man mit derselben Kraft nur ein n-tel der Dehnungeiner einzelnen Feder. Die resultierende Federkonstante ist nk.

Es kommt bei diesen Argumenten nicht auf die genaue physikalische Naturder Schraubenfedern an, sondern nur auf das Prinzip “elastisches System”. Manstellt sich nun einen elastischen Korper als ein Gitter von untereinander elastischgekoppelten Atomen vor. Lasst man eine Kraft an die beiden Enden eines sol-chen Stabes angreifen, so sagt uns die erste der obigen Uberlegungen, dass dieresultierende Dehnung der Lange des Korpers proportional ist, und die zweite,dass die Dehnung dem Querschnitt des Stabes umgekehrt proportional ist. Denndie Zahl der zu spannenden “atomaren Federn” ist der Lange (hintereinander)bzw. dem Querschnitt (nebeneinander) proportional.

Das aufgrund dieser Modellvorstellung erwartete Hooke’sche Gesetz

∆l

l= α · F⊥

A

ist bei vielen Materialien gut realisiert. Dabei ist F⊥ die Kraft in Richtung desStabes (senkrecht zur Querschnittsflache A). Das Verhaltnis σ = F⊥/A ist, jenach Richtung, die Zugspannung oder der Druck. Die Dehnungsgroße α ist eineMaterialkonstante, die von Starke und Dichte der “atomaren Federn” abhangt.Ihr Kehrwert E = 1/α wird als Elastizitatsmodul bezeichnet.

Stellt man sich den Festkorper als ein vernetztes Gitter von “atomaren Fe-dern” in verschiedener Richtungen vor, so sind diese auch miteinander gekoppelt.Die Dehnung der Federn in einer Richtung wird die dazu senkrecht orientier-ten Federn zusammenziehen. Daher erfahrt ein (runder) elastischer Stab bei derDehnung gleichzeitig eine Querkontraktion des Durchmessers:

∆d

d= −µ · ∆l

l.

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Die materialspezifische Poisson-Zahl µ (0 < µ < 0.5) sagt etwas uber die Starkeder Kopplungen aus. (Bemerkung: es handelt sich bei der Querkontraktion nichtum eine Folge einer “Volumenerhaltung”. Diese gilt nur im Extremfall µ = 0.5.)

Krafte, die parallel zu einer Querschnittsflache angreifen, bewirken eine Sche-rung gemaß ∆x

l= β · F||

A

(β = Schubgroße, G = 1/β = Schubmodul, τ = F||/A = Schubspannung). Da alledrei Effekte auf dieselben “atomaren Federn” zuruckgehen, ist es nicht uberra-schend, dass die drei Materialkonstanten nicht voneinander unabhangig sind. Furisotrope Medien findet man theoretisch und (mit Abweichungen) empirisch:

β = 2α(1 + µ).

Die genannten elastischen Gesetze gelten sehr gut nur fur hinreichend kleineSpannungen. Großere Spannungen konnen zu plastischen Deformationen odergar Bruchen fuhren. In diesem Fall werden mikroskopische Bindungen getrennt(Verschiebungen oder Versetzungen von Kristall-Ebenen, . . . ): das Versagen deselastischen Verhaltens der Atome wirkt sich ebenso makroskopisch aus.

In einem ausgedehnten Korper werden, je nach Art der Beanspruchung, dieKrafte und Spannungen ortlich variieren, sodass die elementaren elastischen Ge-setze nur lokal (d.h., in jeweils kleinen Abschnitten des Korpers) verwendet wer-den konnen. Seine Verformung im Ganzen lasst sich dann bestimmen, indem manKraftegleichgewichte (Hooke’sche Gesetze) an jedem Ort verlangt.

Beispiel 1: Biegung eines Balkens (Lange L, an einem Ende horizontal einge-spannt, am anderen Ende durch senkrechte Kraft F belastet).

Strategie: Man denke den Balken in kurze Abschnitte der Lange l (im Abstandx vom festen Ende) unterteilt. Ein solcher Abschnitt besitzt einen Krummungsradiusρ(x), der einerseits durch das lokale Kraftegleichgewicht bei x bestimmt ist, andererseitsmit der zweiten Ableitung des Hohenverlaufs z(x) des Balkens zusammenhangt (s.u.)(Erwartung: x klein ⇒ Krummung groß, ρ klein, und umgekehrt): dies liefert am Endeeine Differentialgleichung fur die gesuchte Funktion z(x).

Aufgrund der Krummung sind die außeren Fasern gestreckt, die inneren gestaucht.Dazwischen liegt eine sog. “neutrale Faser”. Als Koordinate in der Querrichtung wahleden Abstand y von der neutralen Faser. Die relative Langenanderung der Faser y ist∆l/l = y/ρ(x) (Strahlensatz!) Nach dem Hooke’schen Gesetz greift also an eine Fasermit Querschnitt dA = b dy (Breite b, Dicke dy) die Zugspannung dF⊥/dA = y/αρ(x) an.Aus diesen Kraften auf alle Fasern (desselben Abschnitts) ergibt sich ein Drehmomentum eine gedachte Achse quer zum Balken in der neutralen Faser:

T =

dT =

y dF⊥(y) =1

αρ(x)

y2dA =I

αρ(x).

(I =∫

y2dA = sog. “Flachentragheitsmoment” des Balkenquerschnitts.) Dieses Dreh-moment am Ort x wird durch die Kraft F mit Hebelarm L − x (= Abstand von dergedachten Drehachse; die Verkurzung des Hebelarms bei starker Krummung aufgrundder Neigung des Balkens wird hier vernachlassigt) aufgebracht:

F · (L − x) =I

αρ(x)⇔ 1

ρ(x)=

αF

I· (L − x).

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 49

Andererseits hangt der Krummungsradius einer Kurve mit deren zweiter Ableitungzusammen: 1/ρ(x) = −z′′/(1+z′2)

3

2 . 2 Wir approximieren bei nicht zu starker Neigung1/ρ ≈ −z′′. ⇒ Dgl. z′′(x) = −(αF/I)(L − x) mit Anfangswerten z(0) = 0, z′(0) = 0ergibt den Verlauf

z(x) = −αF

I

(1

2Lx2 − 1

6x3

)

und daraus die Absenkung am Ende x = L und den Krummungsradius bei x = 0:

z(L) = −αF

I

L3

3und ρ(0) =

I

αFL.

Bei rechteckigem Querschnitt (Dicke h, Breite b, neutrale Faser in der Mitte) ist dasFlachentragheitsmoment

I =

∫ h/2

−h/2y2 b dy =

1

12b h3.

Die Steifigkeit des Balkens ist also proportional zur Breite und zur dritten Potenz der

Dicke.

Beispiel 2: Verdrillung eines Rohres (Lange L, Innen- und Außenradius R1 <R2, Drehmoment T um die Langsachse).

Wir denken das Rohr in dunne konzentrische Rohre (Radius r, Dicke dr) zerlegt,und jedes dieser Rohre in Stabe der Breite r dα. Das Rohr sei um den Winkel ∆φverdrillt. Dann ist jeder einzelne Stab um die Strecke ∆x = r∆φ geschert. Die dazunotwendige Schubspannung ist dF||/dA = ∆x/βL = r∆φ/βL. Es muss also das gesamteDrehmoment

T =

r dF|| =

r2dA · ∆φ/βL = D · ∆φ

(in Richtung der Achse) angreifen, mit

D =1

βL

r2 r dr dα =2π

βL

1

4(R4

2 − R41).

Die Torsionsfestigkeit wird im wesentlichen durch den Außenradius bestimmt.

B. Gase: ideale Zustandsgleichung (therm. Gleichgewicht)

Sehr viel geringere Dichte und hohere Kompressibilitat als Festkorper undFlussigkeiten. Fur viele Gase gilt empirisch das Gesetz von Boyle-Mariotte

p · V = const. bei konstanter Temperatur θ

(p = Druck = Kraft/Flache, V = Volumen), unabhangig von der Gestalt desBehalters. (Ohne Druck: V → ∞ ⇒ keine anziehenden Krafte zwischen denMolekulen, im Gegensatz zu festen und flussigen Stoffen.) Daraus kann man dieKompressibilitat

κ := − 1

V

(

∂V

∂p

)

θ= const.

= (c/p2)/(c/p) =1

p

berechnen. Sie betragt also =1/bar bei Atmospharendruck und ist fur alle Gase

dieselbe. (Im Vergleich Wasser: 0.5 · 10−4/bar.)

2Diese Formel ergibt sich durch Anpassen einer Kreisfunktion f(x′) = z0+√

ρ2 − (x′ − x0)2

an die Funktion z(x′) mit den “Schmiegebedingungen” f(x) = z(x), f ′(x) = z′(x), f ′′(x) =z′′(x) bei der vorgegebenen Stelle x. Diese Bedingungen liefern drei Gleichungen fur die dreiUnbekannten ρ, x0 und z0. Elimination von x0 und z0 ⇒ . . . ⇒ ρ = ρ(x) wie angegeben.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 50

Die Konstante pV ist aber temperaturabhangig. Empirisch findet man ubereine große Temperaturspanne ein lineares Verhalten (Gesetz von Gay-Lussac):

p · V = const. · (θ − θ0)

wobei die Temperatur θ0 = −273◦C, bei der das Volumen Null werden musste(durch Extrapolation des Gesetzes, das bei so tiefen Temperaturen aber nichtmehr gilt, da sich die Gase verflussigen), fur alle Gase dieselbe ist. ⇒ AbsoluteTemperaturskala: T = θ − θ0.

Sogar die Gay-Lussac’sche Konstante erweist sich als dieselbe fur alle Gase,wenn man Stoffmengen mit derselben Anzahl von Molekulen vergleicht (1 Mol= NA Molekule, Avogadro-Zahl NA ≈ 6 · 1023):

pVmol

T= R = universelle Gaskonstante = 8, 3Nm/mol K,

oder bezogen auf die Anzahl der Molekule:

pV = NkBT Zustandsgleichung idealer Gase

(kB = R/NA = Boltzmann’sche Konstante = 1, 38 · 10−23 Nm/K). Ein Mol einesjeden Gases nimmt bei Normalbedingungen stets das Volumen Vmol = 22,4 l ein.

Fast alle realen Gase verhalten sich bei nicht zu hohen Drucken und bei nichtzu tiefen Temperaturen in sehr guter Naherung wie “ideale Gase”.

Erklarung: “kinetische Gastheorie” (Modellvorstellung). Punktformige Mo-lekule in regelloser Bewegung, keine Wechselwirkung außer durch elastische Stoße(Energie-Erhaltung bei fundamentalen Wechselwirkungen). Herleitung der Zu-standsgleichung durch statistische Uberlegungen (→ Thermodynamik, Kap. 3).

Die Zustandsgleichung pV = NkBT ist aquivalent zu dem ebenso universellenGesetz uber die mittlere kinetische Energie der Molekule

〈Ekin〉 = 32kBT.

Diese Feststellung verknupft makroskopische Großen (Druck, Volumen) mitdem mikroskopischen Verhalten der Molekule. Außerdem liefert sie eine energe-

tische Definition der absoluten Temperatur T .Der Beweis der Behauptung soll die Methode statistischer Uberlegungen ein-

fuhren und ihre Effektivitat illustrieren. Wir gehen in mehreren Schritten vor.(1) N Molekule sind raumlich homogen auf ein Volumen V verteilt. In einem

Teilvolumen ∆V befinden sich daher N · ∆V/V Molekule.(2) Die Molekule besitzen aber unterschiedliche Geschwindigkeiten. Wir den-

ken uns den “Geschwindigkeitsraum” (~v-Raum) in kleine “Zellen” d3v = dvxdvydvz

aufgeteilt und bezeichnen mitdn = n(~v) d3v,

die Anzahl der Molekule, deren Geschwindigkeitsvektor in jeder dieser Zellenliegt. Die Zahl dn ist dem infinitesimalen “Volumen” der Zelle im Geschwin-digkeitsraum proportional, aber der Faktor n(~v) = Anzahl pro “Volumen” ei-ner ~v-Zelle wird typischerweise von der Geschwindigkeit abhangen: es gibt “vielelangsame” und “wenige schnelle” Molekule. Man nennt diese Funktion n(~v) die

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 51

Verteilungsfunktion. Zwar andern die Molekule bei ihren Stoßen untereinanderstandig ihre individuellen Geschwindigkeiten, jedoch sollte in einem Gleichgewichtdie statistische Verteilungsfunktion zeitlich konstant sein.

Obwohl wir die Verteilungsfunktion (im Moment) gar nicht kennen, wird esuns moglich sein, quantitative Schlusse aus dieser Beschreibung zu ziehen. Wirwissen zunachst:

n(~v)d3v =

dn = N,

da jedes Teilchen in irgendeiner ~v-Zelle “sitzt”.(3) Mit der Verteilungsfunktion kann man Gesamtwerte und Mittelwerte be-

rechnen; z.B. ~ptot =∫

m~v · dn =∫

m~v · n(~v)d3v

Ekin,tot =∫

m2~v 2 · dn =

m2~v 2 · n(~v)d3v

der Gesamtimpuls und die gesamte kinetische Energie (m = Masse der Molekule),und 〈~v〉 :=

~v · dn /∫

dn = 1N

~v · n(~v)d3v

〈|~v|〉 :=∫

|~v| · dn /∫

dn = 1N

|~v| · n(~v)d3v

〈~v2〉 :=∫

~v 2 · dn /∫

dn = 1N

~v 2 · n(~v)d3v

die (uber alle Molekule gemittelten) Mittelwerte des Geschwindigkeitsvektors, desBetrages der Geschwindigkeit und der Quadrates der Geschwindigkeit. Offenbarist ~ptot = Nm〈~v〉. Daher ist ~ptot = 0 gleichbedeutend zu der Aussage 〈~v〉 = 0 (imMittel bewegen sich gleichviele Molekule in jede Richtung). Aber naturlich sinddie beiden anderen Mittelwerte > 0. 3

(4) Wir berechnen nun den Druck = Kraft/Flache auf eine Wandflache A ausder Gesamtkraft = Summe aller Kraftstoße ∆~p, die die auftreffenden Molekuleausuben, pro Zeitspanne τ :

~F =

∆~p

τund p =

|~F⊥|A

.

Wenn ein einzelnes Teilchen die (kleine) Wandflache mit der Geschwindigkeit ~vtrifft, so wird es reflektiert. Dabei kehrt sich gerade die senkrechte Komponenteder Geschwindigkeit um, sodass der Kraftstoß ∆~p = 2m~v⊥ = 2mvx~ex ist, falls Aparallel zur y-z-Ebene liegt. Die Summe aller Kraftstoße wahrend der Zeitspanneτ ist daher

τ · ~F =∑

∆~p = ~ex

vx>0

2mvx ·[Vτ (~v)

Vn(~v)

]

d3v.

Hier ist Vτ (~v) das Teilvolumen derjenigen Molekule, die mit der Geschwindig-keit ~v innerhalb der Zeit τ die Flache A treffen. Da nur diese Molekule zu denKraftstoßen beitragen, muss die auf die Gesamtzahl N bezogene Verteilungsfunk-tion n(~v) um den Faktor Vτ/V reduziert werden. Das Volumen Vτ ist ein “schragerZylinder” (in Richtung von ~v) mit der Hohe vxτ uber dem Querschnitt A, alsoVτ (~v) = vxτA. Außerdem wurden nur die Molekule mit vx > 0 berucksichtigt,weil die anderen die Wand gar nicht treffen konnen. Also

3Wie immer bei Mittelwerten, ist i.A. der Mittelwert eines Quadrates verschieden vom Qua-drat des Mittelwertes: 〈~v2〉 6= 〈|~v|〉2. Der Unterschied besagt etwas uber die Große der stati-stischen Abweichungen der individuellen Werte vom Mittelwert (“Fluktuationen”, Breite derVerteilung).

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 52

τ · Fx =

vx>0

2mvxvxτA

Vn(~v)d3v =

mτA

V

v2xn(~v)d3v =

mτA

3V

~v 2n(~v)d3v.

Hier wurde das Integral uber den Halbraum vx > 0 auf den ganzen v-Raumerganzt (auf Kosten des Faktors 2), und anschließend ausgenutzt, dass aus Sym-metriegrunden 〈v2

x〉 = 〈v2y〉 = 〈v2

z〉 = 13〈~v 2〉 ist.

(5) Erwartungsgemaß kurzt sich die Zeitspanne τ heraus, und die Kraft istder Flache A proportional (und steht senkrecht auf ihr). Das Integral ist aber bisauf einen Faktor m/2 die gesamte kinetische Energie, und diese ist N mal dermittleren kinetischen Energie, also

p =Fx

A=

m

3V

~v2n(~v)d3v =2

3V· Ekin,tot =

2N

3V· 〈Ekin〉.

Da andererseits p = NkBT/V ergibt sich die Behauptung: 〈Ekin〉 = 32kBT .

Temperaturerhohung ist also stets mit Energiezuwachs verbunden. Tempera-

tur ist eine Manifestation von Energie (vgl. Thermodynamik, Kap. 1).

C. Hydrostatik (= statisches Verhalten von Flussigkeiten und Gasen)

Die isotherme barometrische Hohenformel.

Unter dem Einfluss von außeren Kraften ist die Verteilung der Molekule ineinem Gas i.A. nicht raumlich homogen. Wir behandeln als Beispiel eine Gassauleunter dem Einfluss der Schwerkraft.

Wir wollen annehmen, dass die Gassaule konstante Temperatur hat (fur dieAtmosphare ist dies nicht besonders realistisch), und die resultierende Inhomoge-nitat der Dichte berechnen. Wir schneiden aus der Gassaule vom Querschnitt A inGedanken eine Schicht der Dicke dh heraus. Auf diese wirken: der Druck p(h) derdarunterliegenden Saule, der Druck −p(h + dh) der daruberliegenden Saule, unddie Schwerkraft −dM ·g = −ρ(h)dV ·g = −ρ(h)·A dh·g. Das Kraftegleichgewichtverlangt [−p(h + dh) + p(h)] · A − dM · g = 0 bzw.

dp = p′(h)dh = −ρ(h)gdh ⇒ dp

dh= −gρ(h).

Mit ρ = M/V = Nm/V = mp/kBT (m = Masse der Molekule) folgtdp

dh= − mg

kBT· p ⇒ p(h) = p0e

− mgh

kBT .

In der Hohe h = log 2 · kBT/mg (Potentialdifferenz in der Großenordnung derthermischen Energie) ≈ 5.5 km (Luft unter Normalbedingungen) fallt der Druckauf die Halfte des Bodendruckes ab.

Bei hohen Temperaturen verlauft der Druckabfall in der Hohe langsamer.Darauf beruht die Wirkungsweise des Schornsteins: bei gleichem Druck an derBodenoffnung ist der Druck an der Spitze der heißen Luftsaule im Inneren großerals an der kalten Luftsaule außen: diese Druckdifferenz zieht die heiße Luft heraus.

Fur leichte Molekule ist der Druckabfall in der Hohe ebenfalls langsamer.Dadurch entsteht eine gewisse Entmischung von Gasgemischen: die leichterenBestandteile konzentrieren sich in der oberen Atmosphare.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 53

Flussigkeiten sind im Gegensatz zu Gasen weitestgehend inkompressibel. Da-her ist der Druck in der Tiefe h einer Flussigkeit einfach durch das Volumen derdaruberliegenden Flussigkeitssaule gegeben:

p = mg/A = ρgV/A = ρgh (ρ = const.)

Aus der Druckdifferenz zwischen der Ober- und der Unterseite eines flussigkeits-verdrangenden Korpers ergibt sich die Auftriebskraft F = A∆p = Aρg∆h =ρV g = Mvflg, Mvfl = Masse der verdrangten Flussigkeit.

D. Stromende Flussigkeiten (Kinematik)

Die im Folgenden behandelten Begriffsbildungen sind gleichermaßen fur stro-mende Flussigkeiten wie Gase nutzlich. Daruberhinaus spielen sie auch in anderenGebieten der Physik (z.B. Transporttheorie, Elektrodynamik) eine wichtige Rolle.

a. Stromdichte und Fluss

Eine stromende Flussigkeit wird durch ein (i.A. orts- und zeitabhangiges) Ge-schwindigkeitsfeld ~v(t, ~r) und eine Dichtefunktion ρ(t, ~r) beschrieben. (RealeFlussigkeiten sind meist weitgehend inkompressibel, sodass ρ konstant ist; wirlassen dennoch eine veranderliche Dichte zu.) Das Geschwindigkeitsfeld ist alsmakroskopisch kollektive Bewegung zu verstehen. Es wird mikroskopisch von derregellosen thermischen Bewegung uberlagert, die wir hier ignorieren. Ebenso igno-riert naturlich auch die Dichtefunktion die Existenz einzelner Molekule. Die Dich-tefunktion kann – je nach Kontext – eine Massendichte, eine Anzahldichte, oderauch eine Ladungsdichte sein.

Eine Stromung heißt stationar, wenn ρ(~r) und ~v(~r) nicht von der Zeit abhangen.Stromlinien = Kurven, deren Tangente an jeder Stelle die Richtung der lokalenGeschwindigkeit hat, eignen sich zur Visualisierung von Geschwindigkeitsfeldern.

Das Produkt ~j = ρ · ~v ist die Stromdichte. Interpretation: (1) Impulsdichte

~j =∆m

∆V· ~v =

∆~p

∆V=

Impuls

Volumen,

und (2) Massen-Flussdichte = Masse ∆m, die aufgrund der Stromung durch eineFlache hindurchtritt, bezogen auf ein (kurzes) Zeitintervall ∆τ und eine (kleine)

Flache A: sei ~A = A ·~n der Flachenvektor (~n = Normalenvektor = Einheitsvektor⊥ Flache), und γ der Winkel zwischen ~v und ~n. Dann ist namlich

∆m

∆τ= ρ

∆V

∆τ= ρA

∆d

∆τ= ρA|~v| cos γ = ρ~v · ~A = ~j · ~A,

wobei ∆d = |~v| cos γ · ∆τ die Dicke der Schicht ist, die in der Zeit ∆τ durchdie Flache hindurchtritt. (Die zur Flache parallele Geschwindigkeitskomponente

tragt nicht zum Massenfluss bei.) Die Große ~j · ~A (=∆m/∆τ) heißt Fluss.Der gesamte Fluss durch eine ausgedehnte Flache ist

ΦA =

A

~j(~r) · d ~A =

A

(~j · ~n) dA

(zu berechnen wie in Kap. 8 mithilfe einer Parametrisierung der Flache).

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 54

b. Quellen und Divergenz

Wenn der Fluss durch eine geschlossene Flache (= Differenz des austretendenund des eintretenden Flusses) nicht Null ist, so muss es in dem eingeschlossenenVolumen eine “Quelle” 4 (oder eine “Senke”) geben. Als quantitatives Maß furdie lokale Quellstarke definiert man die Divergenz = Fluss durch die OberflacheA eines (infinitesimal) kleinen Volumens, bezogen auf das Volumen:

div~j := limΦA

V= lim

1

V

A

~j · d ~A

(Notation∮

Afur Integrale uber geschlossene Flachen, d ~A zeigt stets nach außen).

Berechnung des Flusses durch die Oberflache eines infinitesimalen Quaders:Fluss durch die “Frontseite” = ~j · d ~A = jx(x + dx, y, z) dydz, Fluss durch die

“Ruckseite” = ~j · d ~A = −jx(x, y, z) dydz. Die Bilanz ist [jx(x + dx, y, z) −jx(x, y, z)]dydz = ∂jx

∂xdxdydz = ∂jx

∂xdV . Zusammen mit den Beitragen der an-

deren Seitenpaare ergibt sich∮

~j · d ~A = (∂jx

∂x+ ∂jy

∂y+ ∂jz

∂z) dV , und damit

div~j =∂jx

∂x+

∂jy

∂y+

∂jz

∂z.

Ein großes Volumen V denke man sich in viele kleine Volumina δVi aufgeteilt.Der Fluss durch die Oberflache A von V ist gleich der Summe alle Flusse durchdie Oberflachen δAi von δVi, da sich alle Flusse durch die inneren Grenzflachenzwischen je zwei Teilgebieten gegenseitig aufheben (“was aus einem Teilgebietherausfließt, fließt in das andere hinein”). Es folgt:

A

~j · d ~A =∑

i

δAi

~j · d ~A ≈∑

i

div~j(~ri)δVi,

und im Limes infinitesimal kleiner Aufteilung (A = Oberflache des Volumens V )

ΦA =

A

~j · d ~A =

V

div~j(~r) dV Satz von Gauß.

c. Kontinuitat

Masse kann nicht “entstehen”. Daher muss jeder durch die Oberflache A einesVolumens V austretenden Masse ∆m die Abnahme der Masse mV im Innerenentsprechen, ∆mV = −∆m. Es gilt also

A~j · d ~A = ∆m/∆τ = −∆mV /∆τ . Im

Limes kleiner Volumina ist ∆mV ≈ V ∆ρ und∮

A~j · d ~A ≈ V · div~j. Es folgt

div~j = −∆ρ/∆τ . Im Grenzfall kleiner Zeitspannen bedeutet dies:

div~j = −dρ

dtKontinuitatsgleichung.

Im Unterschied zum Satz von Gauß, der eine mathematische Identitat fur al-

le Vektorfelder ist, ist die Kontinuitatsgleichung ein physikalisches Gesetz, das

4Das Wort “Quelle” soll nicht suggerieren, dass Masse produziert wurde, sondern nur, dassmehr Masse aus einem Volumen hinaus als hineinfließt. Dies geschieht naturlich auf Kosten derin dem Volumen enthaltenen Masse, s.u.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 55

die Massenerhaltung zum Ausdruck bringt. Sie stellt eine Einschrankung an diephysikalisch moglichen Orts- und Zeitabhangigkeiten der Felder ~j und ρ dar!

Flussigkeiten sind weitgehend inkompressibel, also ist ρ = const. und folglichmuss div~j = 0 und div~v = 0 sein.

Beispiel: In ein Becken stromt in der Mitte Wasser ein. Das Becken sei “flach”,sodass die Flussigkeit nur in horizontaler Richtung wegstromen kann (und amRand abgefuhrt wird). Wie sieht das Geschwindigkeitsfeld aus? Wegen der Sym-metrie ist ~v(~r) radialsymmetrisch = f(r)~r. Die Divergenzfreiheit ∂vx

∂x+ ∂vy

∂y= 0

liefert f(r) ∝ 1/r2, also ~v(~r) ∝ ~r/r2, bzw. |~v| ∝ 1/r. (Naturlich ist dieses Feldbei ~r = 0, wo das Wasser einstromt, nicht divergenzfrei.)

d. Wirbel und Rotation

Eine Stromung kann Wirbel besitzen. Qualitativ ist ein Wirbel eine geschlos-sene Kurve C, langs derer ein Vektorfeld ~w(~r) uberall oder uberwiegend parallelzur Tangente ausgerichtet ist. Quantitativ berechnet man die lokale Starke einesWirbels, indem man uberall langs einer Kurve die Projektion auf den Tangen-tenvektor berechnet und “aufsummiert”: dies ergibt die Zirkulation:

ZC =

C

~w(~r) · d~r.

In Kap. 4.B, Beweis (d) ⇒ (e) hatten wir solche Integrale bereits kennengelernt:fur eine infinitesimal kleine Flache in der x-y-Ebene, die im positiven Umlaufsinnumlaufen wird, hatten wir angegeben:

C

~w(~r) · d~r =(∂wy

∂x− ∂wx

∂y

)

δA.

(Beweis: Sei C ein Rechteck mit den Ecken P1 = (x, y, z), P2 = (x + δx, y, z), P3 =

(x+δx, y+δy) und P4 = (x, y+δy, z). Fur das Wegstuck c1 von P1 nach P2 erhalten wir∫

c1~w · d~r =

∫ x+δxx wx(x′, y, z)dx′ ≈ wx(x, y, z) · δx. Ahnlich fur die gegenuberliegende

Kante von P3 nach P4:∫

c3~w · d~r ≈ −wx(x, y + δy, z) · δx. Beide Beitrage zusammen

ergeben [wx(x, y, z)−wx(x, y + δy, z)]δx ≈ −∂wx

∂y δxδy, wobei δxδy = δA die Flache des

Rechtecks ist. Das zweite Kantenpaar ergibt ebenso +∂wy

∂x · δA. Also alle vier Seiten

zusammen:∫

C ~w · d~r = (∂wy

∂x − ∂wx

∂y ) · δA.)

Falls die infinitesimale Flache δA beliebig orientiert ist mit Flachennormalen-vektor ~n = (nx, ny, nz) (im pos. Umlaufsinn), verallgemeinert sich dies zu

C

~w(~r) · d~r =

[

(∂wz

∂y− ∂wy

∂z

)

nx +(∂wx

∂z− ∂wz

∂x

)

ny +(∂wy

∂x− ∂wx

∂y

)

nz

]

δA.

Dies kann man als Skalarprodukt von δ ~A = δA · ~n mit dem Vektor

~rot ~w =(∂wz

∂y− ∂wy

∂z,

∂wx

∂z− ∂wz

∂x,

∂wy

∂x− ∂wx

∂y

)

ansehen, den man die Rotation des Vektorfeldes ~w nennt. Die Rotation ~rot ~wkann also als “Zirkulation pro Flache” ausfgefasst werden, und ist damit ein

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 56

quantitatives Maß fur die lokale Wirbelstarke eines Vektorfeldes ~w. 5

Schließlich (wie ebenfalls in Kap. 4.B angedeutet) konnen wir ein ausgedehn-tes geschlossenes Kurvenintegral in viele infinitesimale solche Integrale zerlegen,indem wir die umrandete Flache in viele kleine Zellen zerlegt denken. Die Bei-trage der zusatzlichen Kanten im Inneren andern die gesamte Zirkulation nicht,da jede von ihnen zweimal in entgegengesetzter Richtung durchlaufen wird. Soerhalten wir die allgemeine Formel (C = Randkurve der Flache A)

ZC =

C

~w · d~r =

A

~rot ~w(~r) · d ~A Satz von Stokes.

E. Hydrodynamik

Die Dynamik (“Bewegungsgleichungen”) stromender Flussigkeiten und Gasewird durch ein System gekoppelter nichtlinearer partieller Differentialgleichungen(Navier-Stokes) fur ~v(t, ~x), ρ(t, ~x) (und T (t, ~x)) beschrieben, in dem als Kraftez.B. Druckgradienten und viskose Reibung auftreten. Diese beschleunigen undkomprimieren einzelne Teilvolumina der Flussigkeit. Wir gehen hier nicht aufDetails ein. Wir erwahnen nur einen Erhaltungssatz (bei Abwesenheit von Rei-bung)

p +1

2ρ ~v 2 = const. (langs jeder Stromlinie).

(Eine Erhohung der Geschwindigkeit setzt ein Druckgefalle voraus!) Daraus folgt,dass der Druck in einem sich verengenden Rohr abnimmt (weil die Geschwindig-keit wegen der Kontinuitat zunimmt). Auch der Auftrieb am Flugzeugflugel isthierauf zuruckzufuhren: die Umstromungsgeschwindigkeit ist an der Oberseitegroßer, daher ist dort der Druck geringer.

Viskose Reibung ist die Reibung zwischen zwei aneinandergleitenden Flussig-keitsschichten. Zieht man eine Platte durch eine Flussigkeit, so werden die Mo-lekule an der Oberflache mitgezogen, und es entsteht ein Geschwindigkeits“profil”v||(x⊥) (x⊥ = seitlicher Abstand). Die Reibungskraft ist dann (auf jeder Seite)

F||A

= ηdv||dx⊥

.

Die Materialkonstante η heißt Viskositat. Fur die Reibungskraft auf eine Flussig-keitsschicht oder -saule zwischen benachbarten Schichten ergibt sich (mit demublichen Differenzen-Argument; Stromung in z-Richtung) die zweite Ableitung

Fz

V= η

d2vz

dx2⊥

bzw. = η

(

∂2vz

∂x2+

∂2vz

∂y2

)

fur eine Flussigkeitssaule.

Wenn die typischen Tragheitskrafte in einer Flussigkeit die Reibungskrafteuberschreiten, wird aus einer laminaren Stromung eine turbulente Stromung mitstarker Verwirbelung. Der Umschlag erfolgt, wenn die dimensionslose Kennzahl(= Großenordnung des Verhaltnisses der genannten Krafte) Re = ρvl/η (Reynolds-

Zahl) etwa 1000 (abhangig von der Geometrie) uberschreitet. Re hangt von denAbmessungen, Dichten, Stromungsgeschwindigkeiten und der Viskositat ab.

5Die Bedingung (e) in Kap. 4.B fur ein konservatives Kraftfeld bedeutet also nichts anderes

als ~rot ~F = 0: Konservatives Kraftfeld ⇔ ZC = 0 ⇔ (d) ⇔ (e) ⇔ ~rot ~F = 0.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 57

10 Schwingungen und Wellen

Komplexe Zahlen, Fourier-Zerlegung

A. Fourier-Zerlegung

Die Idee der Fourier-Zerlegung ist es, beliebige periodische Funktionen alsSummen (“Uberlagerungen”) von harmonischen Funktionen darzustellen, derenFrequenzen ωn = n · ω Vielfache einer Grundfrequenz ω sind. Die Amplitudenund Phasenverschiebungen der einzelnen Beitrage sind zu bestimmen.

Sei also f(t) eine periodische komplexe Funktion mit Periode T , ω := 2π/T .Aus dem Ansatz

f(t) =∑

n∈Z

fn einωt

kann man die einzelnen Fourier-Koeffizienten fm (Amplituden) bestimmen, indemman mit e−imt/T multipliziert und uber die Periode T integriert:

1

T

∫ T

0

e−imtf(t)dt =1

T

n∈Z

fn

∫ T

0

ei(n−m)ωtdt = fm.

Jedes der Integrale∫ T

0ei(n−m)ωtdt mit n 6= m verschwindet, da cos(n − m)ωt +

i sin(n − m)ωt uber eine Anzahl von vollen Perioden integriert wird. Nur der

Summand n = m gibt den Beitrag∫ T

0dt = T . Also haben wir fm aus der vorge-

gebenen Funktion berechnet.Ist nun f(t) reell, so sieht man, dass fn = f−n ist. Man schreibt dann fn =

|fn|e−iϕn, und kann diese beiden Terme zusammenfassen:

f−ne−inωt + fneinωt = 2 Re (fneinωt) = 2|fn| cos(nωt − ϕn).

Dies liefert die gewunschte Zerlegung der reellen periodischen Funktion in reelleharmonische Funktionen (Fourier-Moden):

f(t) = a0 +∑

n∈N

an cos(nωt − ϕn).

Die Amplituden a0 = f0, an = 2|fn| und Phasenverschiebungen e−ϕn = fn/|fn|sind damit bestimmt.

Viele nicht-periodische Funktionen f kann man (punktweise) als Limiten von peri-odischen Funktionen f (T ) darstellen, indem man f außerhalb eines Intervalls (−T

2 ,+T2 )

“periodisch fortsetzt”, und dann T → ∞ gehen lasst. Dabei werden die Fourier-Frequenzen ωn = n · 2π/T immer dichter zusammenrucken und im Limes ein Kon-tinuum bilden. Die Fourier-Summe zur Darstellung von f (T ) wird zu einem Integral,wobei der Frequenzabstand ∆ω = ωn+1 − ωn = 2π/T zu dω wird:

f (T )(t) =∑

ωn

T

(

T

2πf (T )

n

)

eiωnt → f(t) =

∫ ∞

−∞dω f(ω)eiωt,

(

T

2πf (T )

n

)

=1

∫ T/2

−T/2dt e−iωntf(t) → f(ω) =

1

∫ ∞

−∞dt e−iωtf(t).

Die Limiten existieren, falls∫ ∞−∞ |f(t)|dt < ∞; d.h., f(t) muss bei t → ±∞ abfallen.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 58

B. Erzwungene Schwingung mit periodischer Kraft

Im Kap. 5.C haben wir erzwungene Schwingungen kennengelernt, bei denendie außere Kraft harmonisch (sin ωt oder cos ωt) war. Die Methode der Fourier-Zerlegung erlaubt es, diese Behandlung auf beliebige periodische Krafte zu ver-allgemeinern.

Problemstellung: Schwingungsfahiges System mit Reibung und zusatzlicherbeliebig vorgegebener außerer Kraft Fext(t),

mξ + Rξ + kξ = Fext(t).

Wir verwenden die Fourier-Zerlegung von Fext(t)

Fext(t) =∑

n∈N

Fn cos(nωt − ϕn)

sowie einen weiteren Satz uber inhomogene lineare Differentialgleichungen (vgl.Kap. 5.C):

(3) Behauptung: (Wir schreiben Dξ als Abkurzung fur einen homogenen li-nearen Differentialausdruck wie beispielsweise mξ + Rξ + kξ.) Sind ξ1 und ξ2

Losungen der inhomogenen Differentialgleichungen Dξi = gi, so ist ξ1 + ξ2 eineLosung der inhomogenen D’gl Dξ = g1 + g2.Beweis: D(ξ1 + ξ2) = m(ξ1 + ξ2) + R(ξ1 + ξ2) + k(ξ1 + ξ2) = (mξ1 + Rξ1 + kξ1) +(mξ2 + Rξ2 + kξ2) = g1(t) + g2(t).

Dasselbe gilt naturlich auch fur mehr als zwei Summanden, und insbesondereauch fur die Fourier-Zerlegung der außeren Kraft Fext. M.a.W.: es reicht, dieerzwungene Schwingung fur jede einzelne der Fourier-Moden Fn cos(nωt − ϕn)einzeln zu berechnen (wie in Kap. 5.C) und anschließend alle diese Losungen zuaddieren.

Wie wir in Kap. 5.C gesehen hatten, ist die Amplitude einer erzwungenenSchwingung proportional zu der Amplitude der harmonischen Kraft mit einemfrequenzabhangigen Faktor:

|An| =Fn/m

(ω20 − ω2

n)2 + 4ω2n/τ

2

(ωn = nω ist die Frequenz der jeweiligen Mode). Daher werden diejenigen Fourier-Moden, deren Frequenzen ωn in der Nahe der Resonanzfrequenz ωRes =

ω20 − 2/τ 2

liegen, zu der resultierenden Uberlagerung von erzwungenen Schwingungen be-sonders stark beitragen. Der Resonator wirkt wie eine Art “Frequenzfilter”.

C. Gekoppelte Schwingungen

Systeme mit mehreren Freiheitsgraden (z.B. Doppelpendel) konnen einer li-

nearen Kopplung unterliegen in dem Sinne, dass die Auslenkung eines Freiheits-grades aus der Gleichgewichtslage auch eine (linear proportionale) Beschleuni-gung des anderen Freiheitsgrads bewirkt.

Beispiel 1: Longitudinalschwingungen: Eindimensionale Anordnung Wand –Schraubenfeder der Starke k1 – Massenpunkt m1 – Feder k′ – Massenpunkt m2

– Feder k2 – Wand. Auf jeden der beiden Massenpunkte wirkt sowohl die Kraft

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 59

der elastischen Kopplung an die jeweilige Wand als auch die Kraft der Kopplunguntereinander:

m1ξ1 = −k1ξ1 − k′(ξ1 − ξ2),

m2ξ2 = −k2ξ2 − k′(ξ2 − ξ1).

Mit Methoden der linearen Algebra kann man geeignete Linearkombinationen(“Schwingungsmoden”) der Unbekannten ξ1 und ξ2 finden, mit denen sich diebeiden D’gln entkoppeln lassen.

Einfacher Spezialfall: m1 = m2 =: m, k1 = k2 =: k. Dann findet man durchAddition und Subtraktion

m(ξ1 + ξ2) = −k(ξ1 + ξ2),

m(ξ1 − ξ2) = −k(ξ1 − ξ2) − 2k′(ξ1 − ξ2) = −(k + 2k′)(ξ1 − ξ2)

mit den Losungen (Schwingungsmoden)

ξ1 + ξ2 = A cos(ω+t − ϕ+), ω2+ = k/m,

ξ1 − ξ2 = B cos(ω−t − ϕ−), ω2− = (k + 2k′)/m.

Ist etwa die Amplitude B der zweiten Mode = 0, so ist ξ1 = ξ2, beide Massenschwingen parallel zueinander (in diesem Fall wird die Kopplungsfeder gar nichtbelastet – die Frequenz ω+ hangt gar nicht von k′ ab). Ist A = 0, so ist ξ1 = −ξ2,die Massen schwingen gegenlaufig, die Kopplungsfeder wird “doppelt” belastet.Im allgemeinen Fall sind A, B beide 6= 0; die Bewegung ist eine Uberlagerungder beiden Schwingungsmoden:

ξ1 = 12[A cos(ω+t − ϕ+) + B cos(ω−t − ϕ−)],

ξ2 = 12[A cos(ω+t − ϕ+) − B cos(ω−t − ϕ−)].

Dies sind, wie wir aus Kap. 5.A wissen, Schwebungen. Berechnet man die Mi-nima und Maxima der beiden Schwebungen, so findet man dass ξ1 gerade dannmaximale Amplitude hat, wenn ξ2 minimale Amplitude hat und umgekehrt. Dasbedeutet, dass Energie zwischen den beiden Oszillatoren “hin- und herwandert”.Das “Transportmittel” ist die Kopplung (die verbindende Feder).

Beispiel 2: Transversalschwingungen: wie Beispiel 1 (der Einfachheit halbergleiche Massen m, gleiche Federstarken k und gleiche entspannte Langen l), aberdie Massenpunkte konnen sich nur in x-Richtung quer zu der Anordnung bewegen.Der Abstand zwischen den Befestigungen sei 3a (a > l). Im Kraftegleichgewichtliegen alle Massen in gleichen Abstanden langs der z-Achse, denn dann sind alleFedern gleich stark gespannt.

Nun seien die Massen um x1 und x2 in x-Richtung ausgelenkt. Dann habendie Federn die Langen l1 =

a2 + x21, l2 =

a2 + (x1 − x2)2 und l3 =√

a2 + x22.

Die potentielle Energie dieser Konfiguration ist also V (x1, x2) = k2(l1−l)2+ k

2(l2−

l)2 + k2(l3 − l)2. Fur kleine Auslenkungen xi approximieren wir diesen Ausdruck

durch seine Taylor-Entwicklung bis zur Ordnung x2:

(l1 − l)2 = (a√

1 + x21/a

2 − l)2 ≈ (a(1 + x21/2a2) − l)2 =

= ((a − l) + x21/2a)2 ≈ (a − l)2 + a−l

ax2

1 etc.

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 60

und erhalten

V (x1, x2) = 3k

2(a− l)2 +

k(a − l)

2a(x2

1 +(x1−x2)2 +x2

2) ≡ V0 +K

2(x2

1−x1x2 +x22).

V0 ist die potentielle Energie der Gleichgewichtslage, und K = 2k(a−l)a

eine effek-tive Federkonstante der Anordnung. Diese hangt von der Langendifferenz a − lab und kann durch Strecken verandert werden (“Stimmen” einer Saite).

Wir erhalten die Kraft auf die beiden Massenpunkt durch Differenzieren desPotentials:

mx1 = − ∂V∂x1

(x1, x2) = −K · (x1 − 12x2),

mx2 = − ∂V∂x2

(x1, x2) = −K · (x2 − 12x1).

Wir finden wieder eine Kopplung zwischen den Amplituden x1 und x2. Auch dieTransversalschwingung hat zwei Schwingungsmoden: x1 = x2 mit der Frequenzω+ =

K/2m und x1 = −x2 mit der Frequenz ω− =√

3K/2m.

Die Verhaltnisse werden etwas komplizierter, wenn in unseren Beispielen dieMassen, Federkonstanten und Langen weniger symmetrisch sind. Die beiden Schwin-gungsmoden besitzen dann charakteristische Phasenverschiebungen und Ampli-tudenverhaltnisse, die von den Parametern abhangen (in unseren Beispielen: glei-che Amplituden, aber Phasen ∆ϕ = 0 (ξ1 = ξ2) bzw. 180◦ (ξ1 = −ξ2). Auch diezugehorigen Frequenzen hangen von den Parametern ab.

Ahnliches gilt fur Systeme mit mehr als zwei Freiheitsgraden (z.B. eine Kettevon N elastisch gekoppelten Massenpunkten: N → ∞ als Approximation einerSaite). Es gilt stets: Es gibt eine Gleichgewichtslage. Die potentielle Energie kannbei kleinen Auslenkungen ξi aus der Gleichgewichtslage durch ein quadratischesPolynom in den ξi mit “gemischten Termen” der Art ξiξj angenahert werden;die Ableitungen des Potentials ergeben die Krafte, sodass die gemischten Termegerade zu Kopplungen zwischen den Amplituden fuhren. Es gibt dann ebenso-

viele Schwingungsmoden wie Freiheitsgrade (in den Beispielen: zwei, im GrenzfallN → ∞ unendlich viele), deren Frequenzen und deren charakteristische Am-plitudenverhaltnisse von den Massen und Kopplungen abhangen. Die allgemeineLosung ist eine Uberlagerung aller Schwingungsmoden, die unterschiedlich starkangeregt sein konnen.

D. Wellen

Wellen sind Schwingungen ausgedehnter Systeme, in denen die Schwingungs-Phase ortsabhangig sind. Sie konnen als Grenzfall von kollektiven Schwingungs-

moden von kontinuierlich vielen Oszillatoren mit Kopplungen zwischen den jeweilsraumlich benachbarten Oszillatoren (Saite = lange Kette von elastischen Federn,Kristall = gitterformige Anordnung von “atomaren Federn” (vgl. Kap. 9.A), Was-seroberflache (Kopplung durch Oberflachenspannung und darunterliegende Was-sermasse), Luft (Kopplung durch Kompressibilitat), . . . ) aufgefasst werden. Esgibt unendlich viele Schwingungsmoden, die nun durch eine Wellenlange (mitkontinuierlichen Werten) und eine zugehorige Frequenz charakterisiert sind.

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Die elementarste Form einer “laufenden” Welle ist eine Amplitude

ξ(t, x) = A cos(ωt− kx − ϕ).

An jedem festen Punkt x liegt eine harmonische Schwingung der Frequenz ν =1/T = ω/2π vor. Zu jedem festen Zeitpunkt t ist der raumliche Amplitudenverlaufeine harmonische Funktion der Wellenlange λ = 2π/k. k ist die Wellenzahl(“Phasenvorlauf pro Lange”), wobei eine volle Wellenlange dem Phasenvorlauf2π entspricht. Der Ort eines Wellenmaximums genugt der Bedingung ωt − kx −ϕ = n · 2π, oder x(t) = ωt/k+ const., d.h., das Maximum bewegt sich mit derGeschwindigkeit

c =ω

k≡ λ · ν.

Die Uberlagerung zweier gegenlaufiger Wellen ergibt eine “stehende Welle”:

A[cos(ωt − kx) + cos(ωt + kx)] = 2A cos ωt · cos kx.

Dies beschreibt ortsfeste Amplitudenmaxima bei kx = n · 2π ⇔ x = n · λ.

Fur mehrdimensionale ebene Wellen (Oberflachenwellen im Wasser oder

Schallwellen in der Luft) ist ~k ein Vektor:

ξ(t, ~x) = A cos(ωt − ~k · ~x − ϕ).

Ein Wellenmaximum ist jetzt eine ganze Ebene (“Wellenfront”: ~k · ~x = ωt+

const.) senkrecht zu ~k, die in Richtung von ~k weiterwandert. Der Abstand zweier

Maximalebenen ist λ = 2π/k mit k = |~k|. Der Wellenvektor ~k hat also dieBedeutung “Wellenzahl mal Ausbreitungsrichtung”.

E. Interferenz, Wellenpakete, Dispersion

Bei Uberlagerung von ebenen Wellen konnen Interferenzen (zeitlich un-veranderliche Raumpunkte oder Linien oder Flachen, an denen die Amplitudebesonders groß oder besonders klein ist) entstehen.

Auch Kreis- oder Kugelwellen lassen sich durch Uberlagerung von ebenenWellen (mit einem Kontinuum von Wellenvektoren) darstellen.

Durch eine raumliche Fourier-Zerlegung lassen sich sogar ziemlich beliebiggeformte “Wellenpakete” (Momentaufnahme einer Welle zu fester Zeit) durchUberlagerung sehr vieler harmonischer Wellen darstellen.

Die jeweiligen dynamischen Gesetze bestimmen die Abhangigkeit der Fre-quenz von der Wellenlange (s.u.). Die resultierende Funktion

ω = ω(k)

bezeichnet man als Dispersionsrelation. Tragen Wellen unterschiedlicher Wellen-zahl zu einem Wellenpaket bei, so breitet sich jede einzelne mit ihrer sog. Phasen-Geschwindigkeit (wie oben)

cPh(k) =ω(k)

k

aus. Wenn alle beteiligten Wellen dieselbe Geschwindigkeit cPh haben (d.h., ω(k) =c · k), wird sich einfach das ganze Paket mit dieser Geschwindigkeit bewegen. Imallgemeinen kann aber cPh = ω(k)/k wellenlangen-abhangig sein: dann werden

K.-H. Rehren: Physik I (Theorie) WS 2005/06 11. Januar 2006 62

Wellen großerer Phasengeschwindigkeit die Wellen kleinerer Phasengeschwindig-keit “uberholen”, sodass sich das Wellenpaket in seiner Form standig verandert.Dieses Phanomen nennt man Dispersion.

Die Geschwindigkeit des Maximums eines Wellenpakets ist (naherungsweise,und wenn die beteiligten Wellenlangen nicht zu unterschiedlich sind) die sog.Gruppen-Geschwindigkeit

cGr(k) =dω(k)

dk.

Beispiel: Uberlagerung zweier Wellen gleicher Amplitude und k1 ≈ k2. Wegen

cos(ω1t − k1x) + cos(ω2t − k2x) = 2 cos(ω1t−k1x+ω2t−k2x2

) cos(ω1t−k1x−ω2t+k2x2

) =

= 2 cos(ω1+ω2

2· t − k1+k2

2· x) cos(ω1−ω2

2· t − k1−k2

2· x)

ergibt sich eine Schwebung (s.o.), deren “außere Form” durch den raumlich undzeitlich langsam variierenden Faktor cos(ω1−ω2

2· t− k1−k2

2· x) gegeben ist. Dessen

Maxima bewegen sich mit der Geschwindigkeit ω1−ω2

k1−k2≈ dω

dk.

F. Wellengleichung

Die obigen Wellenamplituden sind Losungen der Wellengleichung, einer par-

tiellen linearen Differentialgleichung der Form

ξ(t, x) = c2 · ξ′′(t, x) oder ξ(t, ~x) = c2 · ∆ ξ(t, ~x)

(∆ ξ ≡ div ~grad ξ ≡ ∂2ξ∂x2 + ∂2ξ

∂y2 + ∂2ξ∂z2 im Falle von mehrdimensionalen Wellen).

Denn ξ = −ω2ξ und ξ′′ = −k2ξ bzw. ∆ ξ = −~k2ξ, und ω2 = c2k2.

Die Wellengleichung ergibt sich als Newton’sche Bewegungsgleichung aus demjeweiligen elastischen Verhalten des Mediums. (Ausnahme: Licht, s. E-dynamik.)

Beispiel: Schallwellen in einer Gassaule. x sei die Koordinate langs der Saule,ξ(x) die Verschiebung der Molekule am Ort x in Langsrichtung. A sei der Quer-schnitt. Betrachte kleines Volumen V = (x2 − x1)A zwischen zwei Punkten.Das verschobene Volumen betragt (x2 + ξ(x2) − x1 − ξ(x1))A = (x2 − x1)A +(ξ(x2) − ξ(x1))A ≈ V + ξ′(x)V (wobei V = (x2 − x1)A); also ∆V/V = ξ′(x).Dem entspricht gemaß der Kompressibilitat κ des Gases ein Uber- oder Un-terdruck p(x) = p0 + ∆p(x), ∆p(x) = −(1/κ)∆V/V = −(1/κ)ξ′(x). Auf diebeiden Enden des Volumens wirken die Drucke ∆p(x1) und −∆p(x2), also dieKraft F = (∆p(x1) − ∆p(x2))A = (V/κ)ξ′′(x). Die Kraft beschleunigt die Massem = ρV im Volumen V , also ρV · ξ = F = (V/κ)ξ′′, oder

ξ(t, x) =1

κρ· ξ′′(t, x).

Wir lesen die Schallgeschwindigkeit ab:

c2 =1

κρ.

Die Kompressibilitat κ ist frequenzabhangig, da bei hochfrequenten Schwingun-gen die Zeit zu kurz ist, um thermisches Gleichgewicht zu erreichen; vielmehr

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erfolgt die Kompression “adiabatisch” (s. Thermodynamik). Daher wird auch dieSchallgeschwindigkeit frequenzabhangig (Dispersion, s.o.).

G. Doppler-Effekt

Bewegt sich eine Schallquelle auf einen ruhenden Empfanger zu, so hort diesereinen hoheren Ton. Wir berechnen die Frequenzveranderung: Ein Wellenmaxi-mum, das die Quelle zur Zeit t = 0 verlasst, erreicht das Ohr zur Zeit t1 = d/c (dist die Entfernung, c die Schallgeschwindigkeit). Das nachste Maximum wird zurZeit t = T abgegeben; da die Quelle sich inzwischen um vT weiterbewegt hat,betragt die Entfernung nur noch d−vT und die Laufzeit zum Ohr ist (d−vT )/c,also erreicht das zweite Maximum das Ohr bei t2 = T + (d− vT )/c. Zwei aufein-anderfolgende Maxima treffen im Abstand T ′ = t2 − t1 = (c− v)T/c ein; also istdie gehorte Frequenz

νDoppler

ν=

T

T ′ =c

c − v.

Bewegt sich umgekehrt der Empfanger auf die ruhende Schallquelle zu, soist die Relativgeschwindigkeit zwischen Schallwelle und Ohr c + v. Die Laufzeitdes ersten Maximums ist daher d/(c + v), die des zweiten Maximums ist (d −vT )/(c + v). Die Zeitpunkte des Eintreffens am Ohr sind t1 = d/(c + v) undt2 = T + (d− vT )/(c + v), die Zeitdifferenz ist T ′ = t2 − t1 = cT/(c + v). Folglichist die gehorte Frequenz

νDoppler

ν=

T

T ′ =c + v

c.

Zwar hat man in beiden Fallen eine Frequenzerhohung, jedoch ist die Formelnicht dieselbe. Widerspricht dies dem Prinzip der Relativitat (Kap. 7.D), dassphysikalische Effekte nur von Relativgeschwindigkeiten abhangen sollten? Nein:denn außer Quelle und Empfanger spielt auch das Medium der Wellenausbreitung(die Luft) eine Rolle. Weil die Relativgeschwindigkeit des Empfangers zum Medi-um ist in beiden Fallen verschieden ist, sind die beiden Situation nicht zueinanderaquivalent.

Der Doppler-Effekt tritt auch beim Licht auf (Rotverschiebung entfernter Ga-laxien als Folge ihrer Fluchtbewegung). Uberraschenderweise findet man aberbeim Licht keinen Unterschied zwischen den beiden Fallen. Dass jetzt das Re-lativitatsprinzip erfullt ist, bedeutet, dass es ein materielles Medium der Licht-ausbreitung (sog. “Ather”) nicht gibt: Licht breitet sich (anders als Schall) imVakuum aus, und zwar stets mit derselben Geschwindigkeit c relativ zu jedem Be-obachter, auch wenn dieser sich der Lichtwelle entgegenbewegt. Wie schon in Kap.7.D erwahnt, fuhrt dies zu einer notwendigen Revision der Begriffe von Raum undZeit. Die relativistische Berechnung der Frequenzanderung des Doppler-Effektesfur Licht ergibt sich dann in beiden Fallen zu

νDoppler

ν=

T

T ′ =

c + v

c − v.

(Fur kleine Geschwindigkeitsverhaltnisse v/c stimmen alle diese Formeln mitein-ander uberein: νDoppler/ν ≈ 1 + v/c. Abweichungen sind erst von der Großenord-nung (v/c)2.