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ReiheGermanistischeLinguistik 287

Herausgegeben von Armin Burkhardt, Heiko Hausendorf,Damaris N�bling und Sigurd Wichter

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Tilo Weber

Lexikon und Grammatikin Interaktion

Lexikalische Kategorisierungsprozesseim Deutschen

De Gruyter

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Reihe Germanistische LinguistikBegr�ndet und fortgef�hrt von Helmut Henne, Horst Sitta und Herbert Ernst Wiegand

ISBN 978-3-11-023153-3e-ISBN 978-3-11-023154-0ISSN 1867-8203

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet �ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

� 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Huber & Co, GmbH & Co. KG, Gçttingen�¥ Gedruckt auf s�urefreiem Papier

Printed in Germany

www.degruyter.com

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Inhalt

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

1 Einleitung: Individualität, Dynamik und Prototypikalität lexikalischer Kategorisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

2 Wortarten – Redeteile – lexikalische Kategorien –lexikalische Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

2.1 Allgemeine Bemerkungen zur Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972.2 Wortarten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9102.3 Redeteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9122.4 Lexikalische Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9132.5 Sprache als Lexikon und Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9142.6 Lexikon einer Sprache – Lexikon eines Sprechers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9182.7 Gibt es lexikalische Kategorien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9212.8 Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922

3 Lexikalische Kategorisierung im Wechselspiel zwischen Diskurs und Konzeptualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 927

3.1 Grundlegendes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9283.1.1 Wie sich die Theorien lexikalischer Kategorisierung voneinander

unterscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9283.1.2 Welche Bedingungen Theorien lexikalischer Kategorisierung

erfüllen müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9303.1.3 In welcherlei Hinsicht lexikalische Kategorien voneinander

unterschieden sein könnten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9333.2 Kategorien, Onomata und Rhemata – die aristotelischen Grundlagen

des Kategoriendiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9353.2.1 Ontische Kategorien und lexikalische Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9393.2.2 Onomata, Rhemata und lexikalische Kategorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9453.2.3 Das Problem lexikalischer Kategorisierung im Licht

der aristotelischen Schriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9493.3 Grammatische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung. . . . . . . . . . . . 9533.3.1 Morphologische Klassi zierungen auf der Basis von

Flexionseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9543.3.2 Syntaktische Klassi zierungen auf der Basis von

Distributionseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9563.3.2.1 Lexikalische Kategorien aus strukturalistischer Perspektive . . . . . . . . . . . 9563.3.2.2 Lexikalische Kategorisierung aus der Perspektive

der Generativen Grammatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9663.3.2.2.1 Mentalismus und Nativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9673.3.2.2.2 Die vereinfachte generative Konzeption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9693.3.2.2.3 Von lexikalischen Kategorien zu Merkmalmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9743.3.2.2.4 Merkmalmengen und Positionen in einem mehrdimensionalen

kategorialen Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976

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3.3.2.3 Zur Aufl ösung des Konzepts lexikalische Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9803.3.3 Die diskursfunktionale Konzeption lexikalischer Kategorisierung . . . . 9843.3.3.1 Kategorialität als prototypikalische Eigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9903.3.3.2 Morphosyntax zwischen Nominalität und Verbalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9973.3.3.3 Zum Verhältnis von Lexikon und Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003.3.3.4 Kontinua und Spektren auf unterschiedlichen Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . 1023.3.3.5 Funktionalität im Lexikon (Semantik) und im Diskurs (Pragmatik) . . . 1073.3.3.6 Primat der Funktion? Probleme einer synchronisch-

sprachvergleichenden Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1103.3.3.7 Dennoch: der Primat der Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1133.3.3.8 Funktionalität, Dynamik, Prototypikalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1183.3.4 Grammatische Ansätze lexikalischer Kategorisierung. Ein Fazit . . . . . . 1193.4 Konzeptualistische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung . . . . . . 1273.4.1 Begriffsbedeutung und Beziehungsbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1293.4.1.1 Autosemantie und Synsemantie (Anton Marty) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1313.4.1.2 Begriffsbedeutung und Beziehungsbedeutung (Ernst Otto) . . . . . . . . . . . 1373.4.1.3 Kategorisierung und Individualsprache (Hans Pollak) . . . . . . . . . . . . . . . . 1463.4.1.4 Konzeptualistisch-semantische Auffassungen lexikalischer

Kategorisierung von Marty bis Pollak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1503.4.2 Lexikalische Kategorisierung als Konzeptualisierung.

Ein konstruktionsgrammatischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1533.4.2.1 Cognitive Grammar – Ronald W. Langackers konzeptualistisch-

semantische Sprachauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1553.4.2.2 Die Cognitive Grammar als Konstruktionsgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . 1573.4.2.3 Lexikon einer Sprache – Lexikon der Sprecher einer Sprache. . . . . . . . . 1663.4.2.4 Ein gebrauchsbasierter konzeptualistischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1713.4.2.5 Lexikalische Kategorien als Verbindungen von Prototypen

und Schemata. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1753.4.2.6 Eine Beispielanalyse: /yellow/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1813.4.2.7 Zur Frage der Vereinbarkeit von Prototypikalität und Schematizität . . 1843.4.2.8 Kategoriale Schemata vs. kategorial implikative Schemata . . . . . . . . . . . 1903.4.3 Konzeptualistische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung . . . . . . 1933.5 Fazit: Lexikalische Kategorisierung im Spannungsfeld zwischen

Konzeptualität und Diskursfunktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

4 Lexikalische Kategorisierung aus der Perspektive der Netzwerkmetapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

4.1 Konnektionistische Netzwerke und lexikalische Kategorisierung . . . . . 2094.2 Vorbemerkung zur Rolle der Netzwerkmetapher und anderer struk-

turellen Metaphern in den Sprach- und Kognitionswissenschaften . . . . 2094.3 Konnektionistische Netzwerke zur Modellierung

sprachlicher Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2134.3.1 Ein einfaches PDP-Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2144.3.2 Vom Netzwerk zum Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2204.4 Lexikalische Kategorisierung und die Dynamik der Gewichte

in einem konnektionistischen Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2224.4.1 PDP und funktional-kognitive Linguistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

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4.4.2 Lexikalische Kategorisierung und die Adaptation der Verknüpfungs-muster in einem konnektionistischen Netz. Eine Strukturmetapher. . . . 224

4.5 Lexikalische Kategorisierung und die Netzwerkmetapher . . . . . . . . . . . . 236

5 Lexikalische Kategorisierung im Spiegel der Schreibung . . . . . . . . . . . . . 2395.1 Wie der kategoriale Status lexikalischer Einheiten in deren

Instanziierungen zum Ausdruck kommen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2395.1.1 Die Segmentierung sprachlicher Einheiten und ihre Relevanz für die

lexikalische Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2405.1.2 Die Markierung der Funktion sprachlicher Einheiten

im gesprochenen und im geschriebenen Diskurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2465.2 Kategorialität und Schreibung: Beispielanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2535.2.1 <Getrennt- und Zusammenschreibung> oder <Getrennt-und-

zusammen-Schreibung>? Eine Fallstudie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2545.2.2 Getrennt- und Zusammenschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2585.3 Lexikalische Kategorisierung und deutsche Schriftsprache . . . . . . . . . . . 264

6 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 3.1: Die beiden möglichen Ansätze zur Defi nitionlexikalischer Kategorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Abb. 3.2: Das Verhältnis Sprechen–Denken–Sein bei Aristoteles(Herm, Kat): einfache vs. komplexe Ausdrücke/„seelische Widerfahrnisse“/Entitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

Abb. 3.3: Aristotelische Kategorien vs. „Begriffe der Sprache“ auf der Basis des Altgriechischen (nach Benveniste 1974: 85). . . . . . . . . 43

Abb. 3.4: Grundannahmen kognitiver Ansätze einer Theorie lexikalischer Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Abb. 3.5: Wortklassen des Deutschen nach Flexionseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . 54Abb. 3.6: Die syntaktische Struktur von (1) Nancy will return. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Abb. 3.7: Erweiterter Strukturbaum für (1) Nancy will return.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74Abb. 3.8: Merkmalspezifi kationen für acht lexikalische Kategorien

(Radford 1998: 64) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Abb. 3.9: Nominalität–Verbalität als Dimension

lexikalischer Kategorisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Abb. 3.10: Die morphosyntaktische Dimension Nominalität-Verbalität

am Beispiel der Varianten von /kanzler/ und /sich zurücklehn_/ . . . . . . . 99Abb. 3.11: Morphosyntax und Funktionalität sprachlicher Einheiten

in den Domänen Lexikon und Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Abb. 3.12: Die Ikonizität der Dimensionen Funktionalität

und Morphosyntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Abb. 3.13: Die (nominalen) Determinantien des Deutschen

(nach Seiler 1988). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Abb. 3.14: Die Wechselwirkung zwischen Lexikon (Prädispositionen)

und Diskurs (Realisationen) auf den Ebenen Diskursfunktion und Morphosyntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Abb. 3.15: Eine Typologie der Theorien lexikalischer Kategorisierung . . . . . . . . . 125Abb. 3.16: Struktur des Wortschatzes natürlicher Sprachen nach Otto (1965) . . . 139Abb. 3.17: Ottos aristotelische Sprachauffassung (vgl. Abb. 3.2) . . . . . . . . . . . . . . . 140Abb. 3.18. Die beiden lexikalischen Klassen und ihre jeweiligen Bedeutungen

nach Marty und Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142Abb. 3.19: Konzeptualitäts- und Grammatikalitätskontinuum

in Anlehnung an Otto. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143Abb. 3.20: Bedeutsamkeit und Konzeptualität der „Sprachmittel“ aus der

Perspektive dreier kognitiv-semantischer Ansätze lexikalischer Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Abb. 3.21: Sprache als Verbindung von Lexikon und Grammatikaus der CG-Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Abb. 3.22 Zwei Verwendungsweisen des Terminus Lexikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165Abb. 3.23: Zwei Dimensionen des lexikalischen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166Abb. 3.24: Lexikalische Kategorisierung als Schema-Elaboration am Beispiel

des semantischen Pols von /yellow/ (Langacker 2000: 11) . . . . . . . . . . 182

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Abb. 3.25: Das englische yellow als Instanziierung der lexikalischen Einheit/yellow/ im Substantiv-Schema (vgl. Langacker 2000: 8 ff.). . . . . . . . . 182

Abb. 3.26: Kognitive Ebenen, ebenenspezifi sche Strukturenund deren Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Abb. 3.27: Die N-Kategorialität deutscher Pluralschemata(in Anlehung an Köpcke 1993: 85) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

Abb. 3.28: Die beiden möglichen Ansätze zur Defi nition lexikalischer Kategorien (s. Abb. 3.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Abb. 4.1: Ein einfaches zweilagiges Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215Abb. 4.2: Runde 1: Die Eingabe-Einheiten α und δ sowie die davon

ausgehenden Verknüpfungen sind aktiviert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218Abb. 4.3: Runde 1: Zustände am Ende der Aktivierungsphase. . . . . . . . . . . . . . . . . 219Abb. 4.4 Das Netzwerk nach Abschluss der Rückkopplungsphase

am Ende von Runde 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220Abb. 4.5: Das L-P-Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225Abb. 4.6: Grammatik als Konnektivitätsmuster aus Einheiten, Verknüpfungen

und Gewichten am Beispiel der deutschen Pluralbildung (a) vor, (b) nach der Aktivierung des Pluralschemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

Abb. 4.7: Zwei Dimensionen des lexikalischen kategorialen Raums:Thematizität-Prädikativität und minimale/maximale Konzeptualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Abb. 5.1: Die lexikalische Motivierung der Schreibung <Vater sein>. . . . . . . . . . 249

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1 Einleitung: Individualität, Dynamik und Prototypikalität lexikalischer Kategorisierung

Gehen wir von dem unbestreitbar richtigen Satze aus, dass jedes Individuum seine eigene Sprache und jede dieser Sprachen ihre eigene

Geschichte hat. (Paul 1995 [1920]: 39)

Geben ist seliger als Nehmen. Oder als nehmen? Oder als zu nehmen? Auf-grund von Beispielen wie diesen – oder auf Grund von solchen Beispielen oder aufgrund/auf Grund solcher Beispiele? – sind wir geneigt, an der deutschen Rechtschreibung, ob nach alter oder nach neuer Norm, zu (ver)zweifeln. Aber sind wir hier tatsächlich nur mit Problemen der Orthografi eregelung konfron-tiert? „Namenwörter schreibt man groß“, heißt es in einem Sprachbuch für die vierte Klasse (Dörr 2004: 85), aber auch: „Manchmal ist es [...] nicht so einfach, Namenwörter zu erkennen“ (ebd.).

Die Verwirrung, die „sprachliche Zweifelsfälle“ (Antos 2003; Klein 2003) wie die gerade angeführten hervorrufen, ist nicht primär die Folge von Proble-men der Orthografi e. In der (Recht-)Schreibung treten vielmehr Strukturen der Unschärfe, Prototypikalität und Mehrdeutigkeit zu Tage, die sowohl die Grenzen und die Struktur sprachlicher Einheiten betreffen als auch deren Zugehörigkeit zu bestimmten Wortarten oder lexikalischen Kategorien. Diese Phänomene bilden den Anlass für die folgende Untersuchung.

Woran man „Namenwörter“ erkennt, wie sich Verben, Adjektive, Präposi-tionen usw. voneinander unterscheiden und warum eine Klassifi zierung des Wortschatzes einer Sprache überhaupt notwendig ist, sind alte und von Sprach-wissenschaftlern immer wieder gestellte Fragen. Die Wortarten, die Redeteile oder – wie ich fortan weniger voraussetzungsreich sagen werde – die lexikali-schen Kategorien stehen seit der Antike kontinuierlich im Zentrum linguistischer Refl exion. Die aktuelle Forschungslage ist dabei geprägt durch die fortwährende Geltung der schulgrammatischen Wortartenklassifi kation einerseits und ein Ne-beneinander miteinander nicht zu vereinbarender Konzeptionen andererseits.

Vor diesem Hintergrund besteht das erste Anliegen dieser Untersuchung darin nachzuweisen, dass alle Theorien lexikalischer Kategorisierung eine für die Sprachwissenschaft zentrale Frage beantworten: Wie verhalten sich die Einheiten des Lexikons, die „Bausteine“ der Sprache, zu den Elementen von Sätzen oder Äußerungen, die gemäß bestimmter Regeln, Prinzipien oder Beschränkungen miteinander verknüpft sind? Keine Sprachauffassung kann auf Begriffe wie Wortart, Redeteil oder lexikalische Kategorisierung verzichten, weil sie der

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Klärung dieser Frage dienen und damit die Beziehung zwischen den beiden sprachlichen Grundkomponenten, Lexikon und Grammatik, bestimmen. Aller-dings sind die bislang gegebenen Antworten hierauf wenig befriedigend.

Mit der Herausarbeitung des skizzierten sprachwissenschaftlichen Grund-problems wird auch der Ausgangspunkt für die hier vorgelegte Untersuchung defi niert und eine Reihe begriffl icher Probleme geklärt. Anschließend kann die Aufgabe in Angriff genommen werden, unterschiedliche in der Literatur unter-breitete Vorschläge bezüglich einer Theorie lexikalischer Kategorisierung zu prüfen und als Schlussfolgerung daraus eine eigenständige Position herzuleiten, die die bisher aufgetretenen Probleme vermeidet. Das Ziel dieser Argumenta-tionskette ist eine im Kern funktional-kognitivistische Konzeption, die sich in der Form von vier Thesen vorwegnehmen lässt:

– Lexikalische Kategorisierung ist der Prozess, in dessen Verlauf sich die funktional-formalen Verwendungsprädispositionen lexikalischer Einheiten herausbilden.

– Lexikalische Kategorisierung ist ein kognitiver und daher individueller Vorgang.

– Lexikalische Kategorisierung erfolgt auf der Basis universeller und allgemein kognitiver Fähigkeiten als Teil eines permanenten Wechselspiels zwischen dem lexikalischem Wissen und den aktuellen Diskurserfahrungen eines In-dividuums im „jedesmaligen Sprechen” (Humboldt 1988c [1830–1835]).

– Die Verwendungsprädispositionen lexikalischer Einheiten sind prototypi-kalischer Struktur.

Der Hauptteil dieser Arbeit beschäftigt sich nun damit, das Programm auszufüh-ren, das mit diesen Thesen verbunden ist. Dies geschieht in vier Kapiteln, die von dieser Einleitung sowie einer resümierenden und Ausblicke formulierenden Schlussbemerkung gerahmt werden. Die Kapitel im Hauptteil der Untersuchung stehen zueinander in einem Abfolgeverhältnis von vorbereitenden Überlegungen (2), Entwicklung des theoretischen Argumentationsfadens (3) sowie Veranschau-lichung durch den Bezug auf ein Modell (4) und Konkretisierung anhand von Beispielen (5).

Die Grundlagen, aus denen alle weiteren Aufgaben abgeleitet werden, legt also das Kapitel 2 und zwar in der Form einer Kritik des Konzepts die Wortar-ten des Deutschen. Zunächst wird dabei herausgearbeitet, dass die theoretische Beschäftigung mit lexikalischen Kategorien das Abrücken von einer Perspektive rechtfertigt, die die Forschung im Umfeld der Wortarten seit ihren Anfängen und über die zwischen den unterschiedlichen Positionen bestehenden Unterschiede hinweg bestimmt: Wer es unternimmt, (die) Wortarten zu betrachten, sucht sie entweder in der Sprache als einer universellen menschlichen Fähigkeit oder in einer Einzelsprache bzw. mehreren. So selbstverständlich, ja notwendig diese das sprachliche Ganze umfassen wollende Sichtweise auf den ersten Blick erschei-

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nen mag, beruht sie doch auf Voraussetzungen und zieht Konsequenzen nach sich, die ihre Selbstverständlichkeit in dem Moment verlieren, in dem man sie explizit formuliert. Im Verlauf des Kapitels werden diese Annahmen schrittweise in Frage gestellt und fürs Erste in ihrer Geltung eingeklammert, so dass keine weiteren Schlussfolgerungen aus ihnen gezogen werden können.

Im Zuge dieses für das theoretische Nachdenken notwendigen Rückschreitens hinter nur scheinbar verlässliche Gewissheiten treten als begriffl ich fassbare Gegenstände die Einheiten individueller mentaler Lexika hervor und die Pro-zesse der Kategorisierung, denen sie unterliegen. Das Konzept von Kategorien, die das Lexikon des Deutschen strukturieren, löst sich dabei mehr und mehr auf, um den Blick freizugeben auf die Dynamik des sprachlichen Wissens von Einzelnen, die der deutschen Sprechgemeinschaft angehören.

Indem man anstelle der Wortarten den Prozess lexikalischer Kategorisierung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt, vermeidet man zum einen viele der oft beklagten Schwierigkeiten, die mit dem Versuch einhergehen zu defi nieren, was ein Wort ist. Zum anderen weitet sich der Blickwinkel, so dass nun auch Phänomene jenseits der – wenn auch immer nur unscharf defi nierten – Wort-grenze im Hinblick auf ihre Kategorialität befragt werden können.

Folgenreicher noch als diese Festlegung, ist die Hinwendung zu mentalen Lexika. Mit dieser Ausrichtung wird nun tatsächlich ein gegenüber der For-schungstradition gravierender Perspektivwechsel von der Betrachtung der Sprache als Totalität hin zur Untersuchung des sprachlichen Wissens Einzelner vollzogen (vgl. jedoch schon Paul 1920). Dies kommt jedoch keineswegs einem absoluten Bruch gleich. In beiden Fällen stehen die Struktur des Lexikons (einer Sprache/eines Sprechers) und die kategoriale Bestimmtheit seiner Elemente infrage. Und auch für diejenigen, die Sprache/eine bestimmte Sprache als legitimen Untersuchungsgegenstand betrachten, muss dessen Verhältnis zum individuellen Sprecher als Sprecher von Sprache/von dieser Sprache und zur einzelnen Äußerung als deutsch- oder anderssprachige Äußerung, wenn nicht expliziert werden, so doch prinzipiell explizierbar sein.

Daher lässt sich die hier vollzogene Hinwendung zum individuellen lexikali-schen Wissen im Verhältnis zur sprachwissenschaftlichen Tradition wohl besser noch als Umkehrung der Betrachtungsweise charakterisieren; ich nähere mich dem Thema gewissermaßen vom entgegengesetzten Ende. Dabei wird nicht die Totalität der Sprache als gegeben vorausgesetzt und untersucht, in welcher Weise die Einzeläußerung und das sprachliche Wissen des Einzelnen daraus abzuleiten sind, daran teilhaben, ihre Realisation darstellen usw. Vielmehr gehe ich von Einzeläußerungen als von beobachtbaren Phänomenen aus, um dann zu fragen, ob sich auf dieser Basis ein Begriff von lexikalischer Kategorisierung als Form der Strukturierung gewinnen lässt, die das Lexikon des Deutschen auszeichnet. Damit ist klar, dass in dieser Arbeit nicht etwa die Sprache des Einzelnen ab-solut gesetzt und der soziale Aspekt von Sprache geleugnet wird. Im Gegenteil

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soll hier ein Beitrag dazu geleistet werden, das Verhältnis von Individuellem und Sozialem zu bestimmen, indem die Frage erörtert wird, wie Äußerungen und Interpretationen individueller Diskursteilnehmer zur inter-individuellen Verständigung beitragen können.

Im Anschluss an diese vorbereitenden, vor allem der Begriffsklärung dienen-den Überlegungen entwickle ich in Kapitel 3 die oben thesenhaft skizzierte Kon-zeption lexikalischer Kategorisierung. Angesichts eines Gegenstandsbereichs, der seit zwei Jahrtausenden als eine „Grundlage unseres ganzen Gebäudes der Grammatik“ (Schmidt 1973b: 39) gilt, muss dies unter Berücksichtigung der in der Forschungsliteratur vertretenen Positionen erfolgen. Dabei kann auch dank der bereits geleisteten Arbeit anderer (vgl. u. a. Brøndal 1948; Robins 1966; Arens 1969; Kaltz 1983; Borsche 1989; Splett 2002) auf einen chronologisch vorgehenden Abriss verzichtet werden.

Die Tatsache jedoch, dass auch nach einer mehr als zwei Jahrtausende währenden Forschungsgeschichte konkurrierende Grundpositionen einander im Prinzip unverändert gegenüberstehen, macht deutlich, dass hier eine syste-matische Rekonstruktion der Debatte nötig ist.

Die allmähliche Herausbildung einer eigenständigen theoretischen Position in Auseinandersetzung mit der Tradition und dem aktuellen Forschungsstand erfolgt in vier Schritten. Zunächst (3.1) wird gezeigt, dass bezüglich einer Kon-zeption lexikalischer Kategorisierung ungeachtet möglicher Unterschiede im Detail nur zwei Grundansätze sowie Mischformen daraus überhaupt denkbar sind. Lexikalische Kategorisierung kann demnach entweder mit außersprach-lichen Kategorien des Denkens bzw. des Seins korrelieren (konzeptualistische Ansätze) oder aber mit innersprachlichen grammatischen (morphologischen, syntaktischen, Diskurs-)Kategorien, die sich auf die Elemente von komplexen sprachlichen Verknüpfungen beziehen (grammatische Ansätze).

In Abschnitt 3.2 werden die Hermeneutik (Herm) und die Kategorienschrift (Kat) des Aristoteles als zwei Werke vorgestellt, die in der Folgezeit für die Sprachwissenschaft vor allem deshalb so einfl ussreich geworden sind, weil sie die beiden genannten Grundpositionen unabhängig voneinander vorbereiten.

Es folgt die Analyse grammatischer (3.3) und konzeptualistischer (3.4) Auffassungen lexikalischer Kategorisierung. Dabei zeigt sich, dass sich die verschiedenen untersuchten Ansätze tatsächlich zwanglos eine dieser beiden Sichtweisen zuordnen lassen. Es wird der Nachweis geführt, dass die tradi-tionellen Wortartenbegriffe und vergleichbare Konzepte mit fortschreitender Theorieentwicklung sowohl aus der grammatischen (Radford 1998; Rauh 2000; Hopper/Thompson 1984) als auch aus der konzeptualistischen (Langacker 1987a,b, 2000a) Perspektive zunehmend problematisch werden. Dies mündet letztlich in Ansichten von Kategorialität (i. S. der funktional-formalen bzw. der syntaktischen Verwendungsprädispositionen lexikalischer Einheiten), die darin übereinstimmen, dass sie das Konzept eigenständiger statischer und diskreter Kategorien aufgeben.

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Darüber hinaus wird demonstriert, dass und warum die grammatische und die konzeptualistische Sichtweise – in ihren diskursfunktionalistischen bzw. kognitivistischen Ausprägungen – auf eine gemeinsame Position hin konvergieren. Aus der Diskursperspektive ist dabei zu konstatieren, dass die kommunikativen Funktionen sprachlicher Formen im jedesmaligen Sprechen, und damit deren Kategorialität, auf universellen kognitiven Prinzipien und Fä-higkeiten beruhen, die auch der Konzeptualisierung zugrunde liegen (Langacker 1987a, 2000a). Vom kognitivistischen Standpunkt aus ist anzuerkennen, dass konzeptuelle Gehalte und damit der kategoriale Status von Einheiten mentaler Lexika gebrauchsbasiert (usage-based) sind. Sie werden im Diskurs durch die Wahrnehmung und die Interpretation grammatischer Formen erworben, deren morphosyntaktische Merkmale ihre Funktion und damit ihre Kategorialität anzeigen (Hopper/Thompson 1984, 1985).

Entscheidend für diese Auffassung, die die Verwendungsprädispositionen lexikalischer Einheiten auf deren Funktionalität und Konzeptualität zurückführt, ist die Annahme, dass das Verhältnis zwischen morphosyntaktischer Form und konzeptuellem Gehalt nicht (völlig) arbiträr ist. Deshalb muss plausibel gemacht werden, dass die Form im engen Rahmen dessen, was durch sprachliche Variation innerhalb einer Sprechgemeinschaft möglich ist, der Funktion folgt, d. h. sich am Streben von Sprechern orientiert, die von ihnen gemeinten Funktionen in optimaler Weise zum Ausdruck zu bringen. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich die funktional-konzeptualistische Position gegenüber Auffassungen halten, die von der Arbitrarität der Zeichenbeziehung, der Modularität von Kognition im Allgemeinen und von Sprache im Besonderen und damit von der ausschließlich morphosyntaktisch-formalen Basis lexikalischer Kategorisierung ausgehen.

Kapitel 3 leistet also die schrittweise Herleitung einer abstrakten theoreti-schen Konzeption, die Überzeugungskraft aus ihrer Vereinbarkeit mit von allen Diskussionsteilnehmern akzeptierten Prämissen, aus ihrer Kohärenz und ihrer Widerspruchsfreiheit schöpft. Solange die Forschungslage dadurch geprägt ist, dass z. B. zwischen Vertretern des Diskursfunktionalismus (etwa Paul Hopper oder Talmy Givón) und Generativen Grammatikern kein Konsens darüber her-zustellen ist, mit welchem Gegenstand es die Sprachwissenschaft zu tun habe, welche Phänomene ihre eigentlichen Data darstellen und was als empirischer Beleg für oder gegen eine theoretische Hypothese zu gelten hat, kann empiri-schen Datenanalysen nur eine beschränkte Beweiskraft zukommen.1

1 Vgl. Plank (1984: 490), der lakonisch feststellt:[...B]ei einem Gutteil der notorischen Kontroversen um WAen [Wortarten; T.W.] hat man nicht unbedingt den Eindruck, sie ließen sich einer Lösung zuführen, indem man einfach die empirische Datenlage klärt.

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Vor diesem Hintergrund soll Kapitel 4 die gewonnene theoretische Position zunächst veranschaulichen, indem es diese durch die Entfaltung der Netzwerk-metapher in ein plausibles Bild übersetzt, das sich an konnektionistischen Mo-dellen (Rumelhart/McClelland/PDP Research Group 1986a,b) orientiert (4.1). Eine Metaphernanalyse mag an dieser Stelle überraschen; sie bezieht jedoch ihre Berechtigung aus der Tatsache, dass eine andere strukturelle Metapher (Lakoff/Johnson 1980: 4 f.), nämlich die den Geist/das Gehirn (mind/brain) als seriellen und modularen Computer auffasst, (nicht nur) in der Sprachwissenschaft eine enorme Wirkungsmacht entfaltet hat. Hier werden dann auch lexikalische Kategorisierung keineswegs mit Prozessen in einem konnektionistischen Netz-werk gleichgesetzt. Es soll aber deutlich werden, dass die von Funktionalisten vielfach beschriebenen abstrakten und sich direkter Beobachtung entziehenden mentalen Strukturen und Prozesse so große Ähnlichkeiten mit den PDP-Mo-dellen der Konnektionisten aufweisen, dass sich diese Modelle als Mittel der Veranschaulichung in ähnlicher Weise anbieten, wie es dies der serielle Computer für die Generative Grammatik geleistet hat.

In Kapitel 5 wird anhand eines kleinen Ausschnitts der sprachlichen Wirklich-keit, der Schriftsprache und der Orthografi e, illustriert, wie sich die in früheren Kapiteln vorgestellten Strukturen und Kategorisierungsprozesse ganz konkret im Schreiben niederschlagen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen dabei Probleme der Normierung einerseits und Schwierigkeiten einzelner Sprecher andererseits, sich für die eine oder die andere von mehreren Schreibvarianten zu entscheiden. Die deutsche Schriftsprache verdient hier besondere Beachtung, weil ihre Eigentümlichkeiten Schreiber anders als die gesprochene Sprache zu differenzierten grammatischen Analysen zwingt und damit indirekt zu Entschei-dungen über die Grenzen sprachlicher Einheiten und deren kategorialen Status. Dabei interagieren weitgehend unrefl ektiert erworbene sprachliche Intuitionen von Schreibern mit einem Orthografi ewissen, das überwiegend auf expliziten Regelformulierungen und eingeübten Prozeduren basiert. Es wird gezeigt, dass unrefl ektierte sprachliche Analyse und Regelwissen unter Bedingungen, die im Einzelnen herauszuarbeiten sind, genau in der Form miteinander konfl igieren, wie es die zuvor angestellten theoretischen Überlegungen erwarten lassen.

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2 Wortarten – Redeteile – lexikalische Kategorien –lexikalische Kategorisierung

Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen auf-gefasst, ist etwas beständig und in jedem Au-genblicke Vorübergehendes. [...] Sie selbst ist

kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Defi nition kann daher nur eine genetische seyn. Sie ist nemlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulirten Laut zum Ausdruck des Ge-

danken fähig zu machen. Unmittelbar und streng genommen, ist dies die Defi nition des

jedesmaligen Sprechens; aber im wahren und wesentlichen Sinn kann man auch nur gleich-

sam die Totalität dieses Sprechens als dieSprache ansehen. (Humboldt 1988c: 418)

Welche Wortarten gibt es im Deutschen? – In welcher Weise ist das mentale Lexikon von Sprechern des Deutschen durch lexikalische Kategorien strukturiert und in welcher Weise sind lexikalische Einheiten hinsichtlich ihrer Kategori-alität bestimmt?

In diesem Kapitel geht es darum zu zeigen, dass die erste dieser Fragen nicht beantwortet werden kann und der Versuch, sie überhaupt nur zu verstehen, in die zweite Frage einmündet. Dabei werden die begriffl ichen Grundlagen geschaffen, die die Untersuchung von Prozessen lexikalischer Kategorisierung im Folgenden erlauben sollen. Vor dem Hintergrund klarer Begriffe lassen sich dann auch die Forschungsfragen mit größerer Klarheit stellen.

Die ersten Schritte auf diesem Weg bestehen darin, die nicht trivialen, wenn auch im linguistischen wie im Alltagsgebrauch ebenso wenig wahrgenommenen wie vermeidbaren Vorannahmen herauszuarbeiten, die mit der Rede von den Wortarten des Deutschen verbunden sind.

2.1 Allgemeine Bemerkungen zur Forschungslage

Was sind Wortarten, welche sind die Wortarten des Deutschen, des Englischen, des Chinesischen, von Sprache überhaupt, und wie sind sie defi niert? Diese und eine ganze Reihe sich daran anschließender Aufgabenstellungen stehen von

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Beginn an im Zentrum der Refl exion über Sprache. Ein Blick auch nur in die Inhaltsübersichten deutscher Grammatiken (z. B. Zifonun et al. 1997; Duden 1998; Admoni 1970; Erben 1972; Schmidt 19731) und erst recht in die von L1-Sprachlehrbüchern beliebiger Klassenstufen der Grund- und der Sekundarschule (z. B. Rübel 2003; Anspieler et al. 1997; Menzel 1997; Ernst 1998; Schwengler 1994; Ulrich 1998) zeigt, dass die Wortarten nach wie vor2 als Kern der (deut-schen) Grammatik betrachtet werden, um den herum oder auf dessen Grundlage die anderen Bereiche zu behandeln sind. Ein zweiter Eindruck besagt dann, dass die kanonisch gewordene Lehre des Dionysios Thrax mit einigen einzelsprach-spezifi schen Modifi kationen (vgl. hierzu z. B. Glinz 1970: 35) auch heute noch vielfach als gültige Antwort auf die Wortartenfrage akzeptiert, zumindest aber aus praktischen Erwägungen3 und entgegen offensichtlichen Bedenken (vgl. bereits Paul 1958 [1919]: 93) als Basis von sprachlichen Gesamtbeschreibungen vorausgesetzt wird.

Die unerschütterte Langlebigkeit des klassischen Wortartensystems erscheint unbeeinträchtigt von einer Kritik daran, die seine Mängel zuletzt im Zuge ei-nes „neue[n] Interesse[s] an den alten Wortarten“ (Ivo/Schlieben-Lange 1989) vor allem im Kontext der kognitiven Linguistik (z. B. Croft/Cruse 2004) und der typologischen Universalienforschung (z. B. Vogel/Comrie 2000) hervor-gehoben hat. So wenig kontrovers diese Schwächen sind – hier seien nur die Heterogenität der Unterscheidungskriterien, deren inkonsequente Anwendung auf unterschiedliche lexikalische Einheiten und die einseitige Orientierung an Sprachen des indoeuropäischen Sprachtyps genannt –, ein neuer, mit dem bis ins 19. Jahrhundert herrschenden vergleichbarer Konsens zeichnet sich über theoretische Ausrichtungen hinweg weder in Bezug auf eine Einzelsprache wie das Deutsche noch aus sprachvergleichender und universalistischer Sicht ab. Die alte Wortartenklassifi zierung gilt also weiterhin als brauchbares Instrument, ohne jedoch theoretisch konsistent begründbar zu sein, so dass Ivo und Schlie-ben-Lange feststellen können:

1 Die hervorgehobene Stellung der Wortarten in diesen Werken wird bereits daraus ersichtlich, dass sie wie sonst kein anderer Aspekt von Lexikon und Grammatik entweder in den einleitenden Kapiteln behandelt werden und dann für den weiteren Gang der Darstellung grundlegend wirken (z. B. Zifonun et al. 1997) und/oder aber im Zentrum eines oder mehrerer der jeweiligen Hauptkapitel stehen (z. B. Duden 1998 und Schmidt 1973).

2 Dies gilt bereits für die im gesamten Mittelalter maßgebliche Grammatik des Donatus (Borsche 1989: 18).

3 Exemplarisch hierfür ist Eisenbergs Vorgehen und dessen implizite Begründung: „Wir werden in der Grammatik mehrfach auf diese suggestive und vielfach nützliche, so aber nicht haltbare Einteilung der Wortarten zurückkommen“ (Eisenberg 1994: 34). Für Paul (1958 [1919]: 93ff.) gilt Ähnliches.

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Man ist sich darüber einig, daß das System der Wortarten heterogen begründet und schwer anwendbar ist – nur: sowohl in der Sprachtheorie als auch in der Sprachbe-schreibung kommt man nicht aus ohne dieses System.

(Ivo/Schlieben-Lange 1989: 10; vgl. auch Rauh 1988b: 47, 50)

Demgegenüber stehen viele neuere Vorschläge so inkommensurabel neben-einander, wie es die theoretischen Gesamtentwürfe sind, innerhalb deren sie entwickelt wurden und deren Komponenten sie sind. So ist kaum erkennbar, auf welcher Basis Wortartenkonzeptionen etwa der Generativen Grammatik (z. B. Emonds 1987; Radford 1998: 37ff.), der typologischen Universalienforschung (z. B. Vogel/Comrie 2000) und der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997) mitein-ander verglichen oder gar relativ zueinander bewertet werden könnten. Zifonun et al. bringen dies indirekt und doch deutlich zum Ausdruck:

Jede grammatische Klassifi zierung des Wortbestands einer Sprache ist theorieab-hängig, es sind nicht die Sprachen, die diese Unterscheidungen machen.

(Zifonun et al. 1997: 23; vgl. auch Bergenholtz/Schaeder 1977: 12)

In jüngerer Zeit haben die Wortarten in besonderem Maße das Interesse von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Forschungsdomänen auf sich gezogen. Sie bieten offenbar einen idealen Anlass, das allgemeine Problem menschlicher Kategorisierung zu erforschen. Dabei führen sie Forscher an einem Kreuzungs-punkt zusammen, um den herum sich Überlegungen und Beobachtungen aus dem Umfeld der Linguistik zu Sprachdidaktik, Sprachbeschreibung, Spracher-werb, Sprachverarbeitung und Sprachvergleich und, darüber hinausgehend, zu kognitionswissenschaftlichen Problemen der Kategorienbildung, zur Erkennt-nistheorie und zur Ontologie anknüpfen lassen. Während die Wortarten damit den Idealfall eines transdisziplinär zu bearbeitenden Forschungsgebiets bilden könnten, mag das oben erwähnte Nebeneinander der Ansätze jedoch auch als Indiz dafür gelten, dass die verschiedenen wissenschaftlichen „Laborgemein-schaften“ (Latour/Woolgar 1979) jeweils hinreichend groß sind, um sich im internen Dialog selbst zu genügen. In diesem Sinne konstatiert Rauh für die Diskussion innerhalb der Linguistik:

Die Liste der Schriften zum Problem der Wortarten ist lang. Dennoch entsteht nicht der Eindruck, daß die Fundamente für dessen Lösung gelegt seien.

(Rauh 2000: 485)

Rauhs Einschätzung ist sicher zu teilen, insbesondere der Hinweis darauf, dass die zu lösenden Probleme fundamentaler Natur sind. Dies wird später (s.u. Ka-pitel 3) noch im Detail deutlich werden. Wenn Rauh im Anschluss an die eben zitierte Bemerkung fragt „warum das so ist“ (ebd.), dann könnte eine Teilantwort auf der Beobachtung gründen, dass die allgemeine Verwendung des Terminus Wortarten den, wie sich zeigen wird, trügerischen Eindruck erwecken kann, er stehe für ein homogenes Forschungsfeld und für einen Forschungsgegenstand,

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der immerhin so weit bekannt ist, dass er weitergehenden Analysen zugänglich ist.

Weil dies jedoch nicht der Fall ist, ist es für diese Untersuchung unerlässlich, ihren Ausgangspunkt und ihre Vorannahmen möglichst explizit offen zu legen. Zu defi nieren ist eine Basis, die im Feld der Wortartenforschung den sich wi-dersprechenden, meist aber unausgesprochen theoretischen Vorentscheidungen vorausliegt und die damit als unumstritten gelten kann.

Diese Absicht ist als eine Variante des von René Descartes in seiner ersten Meditation verfolgten Ziels zu erkennen, alles aus dem Kreis der Forschungs-prämissen zu verbannen, „woran man zweifeln kann“ (Descartes 1972 [1641]: 11ff.). Es ist charakteristisch für die rationalistische Auffassung von Wissenschaft insgesamt, für die Descartes in besonderer Weise steht, dass sie nicht nur solche Annahmen von den Überlegungen ausklammert, die erwiesenermaßen falsch sind, sondern gerade auch diejenigen, die (noch) als ungewiss, unbewiesen und aus guten Gründen umstritten gelten müssen, selbst wenn wir persönlich dazu neigen, sie für wahr zu halten. Das Besondere an Descartes’ Vorgehen ist die Radikalität, mit der auch scheinbar unumstößliche Gewissheiten in Frage gestellt und im Zweifelsfall suspendiert werden. Dabei reicht ein „aus triftigen und wohlerwogenen Gründen“ (ebd.: 15) vorgetragener Zweifel anderer aus, um den eigenen, Zweifel zu wecken und zu rechtfertigen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass zunächst vor allem diejenigen Präsuppositionen auf den Prüfstand gestellt werden, die kaum je refl ektiert, durch unser Reden über die Wortarten des Deutschen aber immer mitgedacht, und damit dem Nachdenken über die Wortarten zu Grunde gelegt werden. Dabei ist die von Descartes für notwendig befundene Strenge nicht ganz zu verwirklichen. Die Geschichte des in der ersten Meditation schließlich gewonnenen cogito sum ist das prominenteste Beispiel dafür, dass ein cartesischer Optimismus, der glaubt, zu Gewissheiten zurückschreiten zu können, „an denen zu zweifeln schlechterdings unmöglich ist“, die menschliche Zweifelsfähigkeit unterschätzt (Brands 1982). So muss es im Folgenden ausreichen, diejenigen Annahmen von den Grundlagen auszuschließen, die bereits mit guten Gründen angefochten worden sind. Nicht das Unbezweifelbare kann als die Basis alles Weiteren herausgearbeitet werden, aber doch das Unbezweifelte.

2.2 Wortarten

So vertraut uns der Ausdruck Wortarten aus dem alltäglichen Sprachgebrauch, dem schulischen Deutschunterricht und aus der jüngeren deutschsprachigen linguistischen Fachliteratur heute auch ist, so hat er doch erst in der zweiten

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Hälfte des 20. Jahrhunderts den in Analogie zu dem μέρη λόγου der hellenisti-schen und dem partes orationis der lateinischen Grammatiktradition gebildeten Terminus Redeteile weitgehend abgelöst. In Sütterlins (1918: 97) Kapitelüber-schrift B. Arten des Wortes (Redeteile) mag man bereits eine terminologische Übergangsform sehen, während noch Hermann Paul in seinem Spätwerk, der Deutschen Grammatik Teil III, von der „Funktion der Redeteile“ handelt (Paul 1958 [1919]: 93). Admoni (1970) schließlich ist sicher einer der vorerst letzten germanistischen Sprachwissenschaftler, die systematisch den Ausdruck Rede-teile gebrauchen. Dieser terminologische Wandel ist nicht nur bemerkenswert, weil es sich um eine Besonderheit des deutschsprachigen Grammatikdiskurses handelt. Vielmehr kommt darin auch eine Sicht zum Ausdruck, die explizit in Wörtern, als Elementen des Wortschatzes einer Sprache, die zu kategorisieren-den Einheiten erblickt.

Dass die Vertrautheit des Wortes Wort für den wissenschaftlichen Gebrauch trügerisch ist, erlebt jedoch jeder, der versucht, seine Bedeutung und mögliche Referenten explizit zu bestimmen und letztere von Nicht-Wörtern abzugrenzen. Ein Konsens besteht hier nicht, und Klagen über diese Lage, wie die von Ulrich Engel, gehören ebenso zu den Allgemeinplätzen der sprachwissenschaftlichen Literatur, wie die anschließend zitierte apodiktische Feststellung Sobottas:

Die Situation, wie sie sich auf Grund der bisherigen erfolglosen Defi nitionsversuche [im Hinblick auf den Begriff Wort; TW] darstellt, ist deprimierend. Auch die vor-liegende [d. h. Engels eigene; TW] Grammatik kann diesem fundamentalen Mangel nicht abhelfen. (Engel 1988: 16)

Bis heute entzieht sich das Wort einer exakten sprachwissenschaftlichen Defi nition. Das bedeutet, dass das Wort für die Linguistik nicht als feste Größe fassbar wird.

(Sobotta 2002: 84).

Im Hinblick auf die Wortarten stellen sich damit gleich eine ganze Reihe von Problemen: Sind es Lexeme, Wortformen oder Worttoken, die bestimmten Wortkategorien angehören? Sind komplexe Bildungen, wie Besorgnis erregend, aufgrund, in Bezug (auf), eine Rolle spielen, bereits als Wörter oder doch noch als Gruppen mehrerer Wörter anzusehen?4 Wenn jedoch nicht einmal als geklärt

4 Dieses Problem tritt, wie auch eben hier, vor allem im Medium der Schrift zu Tage bzw. zutage. Die neue Orthografi eregelung erlaubt beide Varianten (zu Tage/zutage), und dies scheint für dieses Beispiel, wie für viele ähnliche, durchaus angemessen. Handelt es sich dabei doch nicht um eine Frage der konsequenten grafi schen Reprä-sentation einer eindeutigen sprachlichen Struktur, sondern um einen Fall, in dem ein Grammatikalisierungsprozess noch mitten im Gang ist. Es verwundert daher nicht, wenn Einzelne in ihrer durch die Schreibung widergespiegelten (vgl. hierzu Bredel/Günther 109) intuitiven Analyse von [tsu tage] schwanken zwischen der als– Verbpartikel (<zutagetreten>, <zutagefördern>; nicht zulässig nach der Neurege-

lung der Rechtschreibung, aber im Online-Korpus des IDS (COSMAS II) durch

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gelten kann und es gar zu klären unmöglich sein könnte, was Wörter sind, basiert auch eine Untersuchung von Wortarten als den Kategorien, die die Gesamtheit der Wörter des Deutschen strukturieren, auf unsicherem begriffl ichen Grund. Diese Unsicherheit, die sich, wenn sie gleich anfangs auftritt und unbeachtet bleibt,5 bis in die eventuellen Ergebnisse der in dieser Weise begonnen Unter-suchung fortpfl anzt, kann (hier) nicht aufgelöst, wohl aber umgangen werden. Es ist nämlich möglich und sinnvoll, auf Wort und Wortarten als Termini zu verzichten und sich doch der Betrachtung derjenigen Aspekte des Themas zuzu-wenden, die sich unbeeinträchtigt von der Unbestimmbarkeit des Wortbegriffs mit Klarheit identifi zieren lassen.

2.3 Redeteile

Die nächstliegende Alternative zu diesem Zweck bietet eine Rückkehr zu dem Terminus Redeteile und damit ein Wiederanknüpfen an die westliche Tradition der Grammatikschreibung, die in dieser Hinsicht außerhalb der deutschspra-chigen Grammatikforschung weitgehend ungebrochen ist. Tatsächlich lassen sich die Termini Wortart und Redeteil in den zahlreichen Arbeiten immer dann ohne Einfl uss auf die zentralen Aussagen austauschen, wenn sie primär zur Bezeichnung von Wortklassen verwendet werden, also der Klassifi zierung der Wörter einer Sprache dienen.6

Allerdings ist hier Vorsicht geboten. Wer Redeteile statt Wortarten sagt, ver-meidet zwar die oben genannten und die unten noch im Zusammenhang mit dem Begriff die deutsche Sprache zu nennenden problematischen Präsuppositionen, die mit dem Gebrauch des Letzteren verbunden sind. In einer Arbeitsphase je-

14 Wortformen und 50 Worttoken vertreten) – Adverb (<zutage treten>) und – adverbialer Präpositionalphrase (<zu Tage treten>).

Die gleiche Art der Variation, die sich in Bezug auf Einzelne feststellen lässt, fi ndet sich auch beim Vergleich der Schreibweisen unterschiedlicher Schreiber.

5 Und bleiben kann, weil wir alle ein alltagssprachliches Verständnis von Wort (und vielen anderen metasprachlich verwendbaren Ausdrücken) besitzen und deshalb leicht der Eindruck entsteht, die gemeinten Begriffe wären bereits hinreichend bestimmt. Erst bei näherem Hinsehen stellt sich das dann oft als Irrtum heraus.

6 In diesem Sinne verwendet Admoni (1970: 58ff.) den Terminus Redeteile. Die Auffassung, die Funktion der Wortarten bestehe vor allem in der Klassifi kation des Wortbestands einer Sprache, kann als allgemein verbreitet gelten (vgl. u. a. Helbig 1977a,b; Bergenholtz/Schaeder 1977; Zifonun et al. 1997: 23 ff.; Duden 1998). Ge-legentlich fi ndet dies auch einen terminologischen Ausdruck wie etwa bei Heidolph et al. (1981), die im selben Zusammenhang explizit von Wortklassen sprechen.

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doch, in der die Konturen des zu untersuchenden Gegenstandes noch unscharf erscheinen, tut man gut daran, die Hinweise zu beachten, die eine Bildung wie Rede-Teile möglicherweise auf ihre eigene Bedeutung gibt. Für Coseriu etwa „sind die[se] Kategorien partes orationis, d. h. sie treten konkret als Seinsweise der Wörter in der Rede“ (Coseriu 1987c: 26), also auf der „Ebene der individu-ellen und okkasionellen Verwirklichung der Sprache“ (Coseriu 1987b: 15), in Erscheinung. Als Seinsweisen an sich und losgelöst von konkreten Äußerun-gen betrachtet gehen sie der Rede voraus. Sie stellen nicht einzelsprachliche Wortklassen dar, sondern werden aufgefasst als „Gußformen, in denen sich der lexikalische Inhalt im Sprechen organisiert“, als „,universelle‘ Bedeutungswei-sen, die in der tatsächlichen Sprechtätigkeit festgestellt und ohne notwendigen Bezug auf eine bestimmte Sprache defi niert werden“ (Coseriu 1987c: 28, 33). Es ist wohl eine ähnlich Sichtweise, die Ivo/Schlieben-Lange (1989: 9) fi nden lässt, dass der Terminus Wortarten eine Verengung der Perspektive ausdrücke. Um eine Verschiebung des Interesses handelt es sich in jedem Fall, wenn in syntagmatischen Beziehungen stehende Teile konkreter Äußerungen als Kon-kretisierungen universeller Kategorien betrachtet und nicht abstrakte isolierte Einheiten eines einzelsprachlichen Wortschatzes sprachspezifi schen Klassen zugeordnet werden.

2.4 Lexikalische Kategorien

Der Einfl uss von Coserius Refl exion Über die Wortkategorien scheint weitge-hend auf die romanistische Sprachwissenschaft begrenzt geblieben zu sein;7 ihr Anspruch jedoch geht selbstverständlich darüber hinaus. Dieser kann hier nicht übergangen werden, da die Identität des Gegenstandsbereichs, der eingangs als die Wortarten des Deutschen bezeichnet wurde, immer noch nicht hinreichend bestimmt ist und es darum geht, diesen Mangel durch eine Analyse der Weisen, wie über ihn gesprochen wird, zu beheben. Coserius These, der zufolge die Wort-kategorien „Kategorien des Sprechens, ,universelle‘ Bedeutungsweisen, die in der tatsächlichen Sprechtätigkeit festgestellt und ohne notwendigen Bezug auf eine bestimmte Sprache“ (Coseriu 1987c: 33) darstellen, macht deutlich, dass es hier um mehr geht als um eine bloß terminologische Festlegung.8

7 Unabhängig von Coseriu vertritt allerdings Croft (2000) eine in Bezug auf die Über-einzelsprachlichkeit der Redeteile (parts of speech) ähnliche Position.

8 Vgl. hierzu auch Peter Hartmanns Überlegungen zum Verhältnis zwischen Termi-nologie und Gegenstandskonstitution, das einen Aspekt des Verhältnisses zwischen

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Vielmehr wird man hier anlässlich der Terminologie auf zwei Aspekte verwiesen, durch die jede Kategorisierung bestimmt sein muss: Den ersten bilden die zu kategorisierenden Elemente, den zweiten eine Domäne, also der Bereich, innerhalb dessen die Kategorien Anwendung fi nden. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass nicht nur eine Entscheidung darüber zu treffen ist, ob nun Wörter – wie immer man diese Einheiten auch defi niert – oder Teile von Äußerungen Elemente bzw. Realisierungen bestimmter Kategorien sind. Man muss sich auch darauf festlegen, ob es der Wortschatz einer Einzelsprache oder die Rede ist, d. h. die an je einmalige Kontexte gebundenen Äußerungen, inner-halb deren diese Elemente Kategorien zuzuordnen sind.

Ich habe bereits begründet, warum der Terminus Wortarten für die Zwecke dieser Arbeit ungeeignet ist. Doch auch das Konzept Redeteile geht offensichtlich mit weitreichenden theoretischen Implikationen einher, die an dieser Stelle nur hingenommen, nicht aber überprüft werden könnten. Daher erscheint es im Sinne eines Verfahrens, das von einfachen und für gesichert befundenen Annahmen Schritt für Schritt vorzurücken sucht, sinnvoll, weder von Wortarten noch von Redeteilen zu sprechen, sondern allgemeiner von lexikalischen Kategorien. Der folgende Abschnitt wird zeigen, dass diese Redeweise nicht nur den Vorteil mit sich bringt, gegenüber einer Reihe möglicherweise problematischer Vorannah-men neutral zu sein. Es wird dort auch deutlich werden, dass die Charakterisie-rung der gesuchten Kategorien als lexikalische mit gutem Grund erfolgt.

2.5 Sprache als Lexikon und Grammatik

Wie oben dargelegt, müsste es möglich sein, die berechtigten sprachwissen-schaftlichen Interessen, die der Suche nach den so genannten Wortarten zu Grunde liegen, weiter zu verfolgen, ohne diesen Begriff zu verwenden und sich dabei der Gefahr auszusetzen, damit implizit eine Reihe von problematischen Vorannahmen zu übernehmen. Herauszuarbeiten, welches diese Interessen sind, steht immer noch an.

Als Ausgangspunkt für eine Rekonstruktion des dem Wortartenbegriff zugrunde liegenden Interesses bieten sich Versuche an, den Begriff Wort für wissenschaftliche Zwecke zu defi nieren. So bestimmt Lewandowski (1985: 1186 ff.) stellvertretend für viele andere das Wort als „Baustein des Satzes“,

dem Wissenschaftler als Forschungssubjekt und der ihm „zum Objekt werdende[n] Erscheinung“ (Hartmann 1956: 13) darstellt:

Das Subjekt erweist sich als die abstraktiv arbeitende (gelten lassende) Ausgangs-basis aller Termini (auch im weiteren Sinne: aller Worte). (ebd.)

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„Atom der Syntax“, „,kleinste[r] selbständige[r] sprachliche[r] Bedeutungs-träger‘ (W. Schmidt) und als Einheit des Wortschatzes oder Lexikons“ (ebd.: 1187). Hervorzuheben ist, dass diese Defi nition sich sowohl auf grammatische als auch auf lexikalische Eigenschaften bezieht: Zum einen sind Wörter als die einfachsten bedeutungstragenden sprachlichen Elemente charakterisiert, die in ihrer Gesamtheit das Lexikon einer Sprache ausmachen, und zum anderen als Komponenten komplexer sprachlicher Einheiten.

Trotz der mit dieser Doppelbestimmung verbundenen und von Lewandowski (ebd.) durchaus gesehenen grundsätzlichen Probleme, die die Begriffe Wort und Wortart für die Zwecke dieser Untersuchung ungeeignet haben erscheinen lassen, drückt sich in dem Artikel doch in mehrfacher Hinsicht ein weithin ge-teilter Minimalkonsens aus: Wenn, erstens, vom Lexikon und seiner Struktur gesprochen wird, ist damit das Lexikon einer Sprache, wie z. B. das Deutsche, gemeint. Zweitens gibt es elementare Einheiten, die in ihrer Gesamtheit das Lexikon einer Sprache ausmachen und die, drittens, Bedeutungsträger sind, d. h. bilaterale Form-Inhalt-Paare und sprachliche Zeichen im de Saussure’schen Sin-ne. Um die mit der Defi nition von Wort einhergehenden Probleme zu vermeiden, nenne ich solche Elemente im Folgenden lexikalische Einheiten. Schließlich besteht Einigkeit darüber, dass diese Einheiten – nach universalen und einzel-sprachlichen Regeln (Chomsky 1965), Prinzipien (Chomsky 1981, 1995) oder Beschränkungen (Prince/Smolensky 1993) oder im Rahmen schematischer Konstruktionen (Fillmore/Kay/O’Connor 1988; Croft/Cruse 2004) – zu kom-plexen Gebilden gefügt werden können. Entsprechend steht dem Lexikon als Gesamtheit der einfachen Elemente einer Sprache die Grammatik als Gesamtheit der Verknüpfungsmechanismen gegenüber.9 Die Einheiten des Lexikons müssen bereits im Lexikon so weit spezifi ziert sein, dass ihre situationsangemessene Einbindung in größere grammatische Zusammenhänge möglich ist.

Die gerade skizzierte Sichtweise impliziert einen weiten Grammatikbegriff. Zum einen sind demnach Wortbildung und Flexion, soweit die so genannten „regelmäßigen“ Formen betroffen sind, auch dann von der Lexik abzugrenzen und der Grammatik zuzurechnen, wenn man der Auffassung ist, dass diese sprachlichen Bereiche anderen Gesetzmäßigkeiten folgen als die (Satz-)Syntax oder gar einem der Syntax gegenüber autonomen Modul angehören (vgl. Wie-se 1996; Maibauer 2003: 153–155). Eine solche umfassende Sichtweise von Grammatik begründet auch Coseriu, wenn er festhält,

9 In ähnlich allgemeiner Weise bestimmt Langacker, um eine theorieneutrale Formu-lierung bemüht, die Grammatik als „Strukturmuster, gemäß denen Morpheme [ge-nauer wäre: lexikalische Einheiten; T.W.] zu zunehmend größeren Konfi gurationen verbunden werden können“ (patterns for grouping morphemes into progressively larger confi gurations; Langacker 1997a: 12).

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[...] daß die Grammatik [als Metasprache] nicht in „Morphologie“ (Beschreibung von sog. „Formen“) und „Syntax“ (Beschreibung von materiellen Kombinationen bzw. von grammatischen Funktionen) zerfällt, da sie [...] immer Kombinationen von „Formen“, d. h. materielle Strukturen, und zugleich die Funktionen dieser Strukturen betrifft. (Coseriu 1987d: 87)10

Eine zusätzliche Erweiterung erfährt der Grammatikbegriff hier dadurch, dass die Domäne der Verknüpfung sprachlicher Einheiten nicht als auf Morphologie und Syntax beschränkt gesehen wird. Wenn man nämlich danach fragt, welche Faktoren die Verknüpfung bzw. die Verknüpfbarkeit lexikalischer Einheiten beim Sprechen bestimmen, dann sind auch solche zu nennen, die die Situati-onsangemessenheit von Äußerungen als sprachlichen Handlungen betreffen und traditionell dem Bereich der Pragmatik zugewiesen werden.11

Die Terminus lexikalische Einheit ist nun insofern allgemein und unvollständig bestimmt, als er lediglich eine Komplexitätsuntergrenze für Elemente des Lexi-kons festlegt. Demnach kann auf einer gedachten Skala, auf der die sprachlichen Einheiten ansteigend von den einfachsten bis zu den komplexesten angeordnet sind, keine Einheit unterhalb des Morphems, d. h. von Zeichen des strukturell einfachsten Typs, ein Element des Lexikons darstellen. Umgekehrt bedeutet dies, dass Morpheme einschließlich Flexions- und Derivationsmorphemen lexikalische Einheiten sein können.

Auf diese Weise ist weder in morphologischer noch in syntaktischer Hin-sicht eine obere Komplexitätsgrenze defi niert, wie dies bei Herbermann (2002) anklingt, wenn er formuliert:

10 Vgl. bereits Behagel, der kategorisch feststellt: „Auch die Flexionslehre ist Syntax“ (zitiert nach Otto 1965: 42). Wunderlich, ein Vertreter der Generativen Grammatik, sieht weitreichende Gemeinsamkeiten von Morphologie und Syntax:

Whether the distinction between free and bound items makes morphology and syntax only gradually distinct [...] or justifi es the assumption of autonomous modules of the grammar, is a matter of debate [...]. In any case, the set of free items and the set of bound items have many common properties related both to distinctions in the categorial inventory and the main grammatical relations.

(Wunderlich 1996: 2)11 Vgl. Zifonun et al. (1997: 3): „Grammatik betrachten wir als Systematik der Formen

und Mittel sprachlichen Handelns.“ Einen in der angedeuteten Weise weiten Gram-matikbegriff vertritt bereits Marty (1950a [1908]: 532), wenn er von einer „S y n t a x e im natürlichsten Sinn des Wortes“ spricht:

[...W]ir verstehen darunter ganz allgemein den Umstand, daß in der Sprache Kombinationen von Zeichen gebildet werden und wurden, die als Ganzes eine Bedeutung oder Mitbedeutung, kurz eine Funktion haben, welche den einzelnen Elementen für sich nicht zukommt.

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Lexikalische Einheiten können [...] ausdrucksstrukturell die Form von Simplizia, Derivata, Komposita, Phrasen, „clauses“/Klauseln u. a.m. aufweisen, und sie bzw. speziell die komplexen unter ihnen unterscheiden sich in dieser Hinsicht somit nicht von entsprechenden grammatischen, d. h. nach allgemeinen bedeutungsdeter-minierenden Regeln im Zuge eines Kommunikationsprozesses ad hoc gebildeten Einheiten. (ebd.: 24)

Insbesondere bleibt noch offen, aus welcher Perspektive und anhand welcher Kriterien zu entscheiden ist, ob eine gegebene sprachliche Einheit (gramma-tisch) einfach und selbständig ist, wie es Lewandowski für Wörter fordert, und damit als lexikalische Einheit gelten kann. Hier sei schon einmal auf Phraseo-logismen (Burger 2003; Dobrovol‘skij 1995), Phrasenkomposita (Meibauer 2003), morphologische Schemata (Köpcke 1993), Konstruktionen im Sinne der Konstruktionsgrammatik (Fillmore 1989; Kay/Fillmore 1999; Croft 2002), Funktionsverbgefüge und verfestigte Fügungen anderer Art (Stubbs 1995) hingewiesen, die als plausible Kandidaten für eine Mitgliedschaft im Lexikon gelten können. Neben den von Herbermann genannten ausdrucksstrukturell komplexen Formen kommen damit auch abstraktere Schemata in Betracht, die als verfestigte formale Fügungen charakterisiert werden können. Auch diachrone Prozesse wie Lexikalisierung und Grammatikalisierung sind in diesem Zusam-menhang einzubeziehen, weil sie Veränderungsprozesse innerhalb des Lexikons einer Sprache mit sich bringen.

Die getroffene Unterscheidung zwischen Lexikon und Grammatik, so unbe-stimmt sie in mancherlei Hinsicht noch sein mag, reicht aus, um lexikalische von grammatischen Einheiten ab- und damit die Domäne lexikalischer Kate-gorien einzugrenzen. Lexikalische Einheiten können nun nämlich als insofern unabhängig von der Grammatik aufgefasst werden, als sie als Elemente des Lexikons ihrer Verknüpfung in komplexen Syntagmen vorausgehen. Sie stel-len, um mit Humboldt (1988c: 477) zu sprechen, die „endlichen Mittel“ dar, von denen die Sprache „einen unendlichen Gebrauch machen [muß]“. Damit ist auch das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik angedeutet: Als Ele-mente des Lexikons weisen lexikalische Einheiten Eigenschaften auf, die sie auf bestimmte Gebrauchsweisen in syntaktischen und diskurs-pragmatischen Kontexten prädestinieren.

Damit ist auch klar, dass die lexikalischen Kategorien, denen hier das Inte-resse gilt, nicht mit Coserius Redeteilen gleichzusetzen sind. Wenn es sie gibt, wofür bisher noch keine Belege angeführt worden sind, dann umfassen sie primär Einheiten des Lexikons, nicht der Grammatik und daher auch nicht der grammatisch strukturierten Rede. Coseriu hatte geschlossen, dass die Redeteile universelle Kategorien und einzelsprachlich nicht defi niert seien. Die Domäne lexikalischer Kategorien scheint hingegen das Lexikon der Einzelsprache zu sein. Diese durch die zuletzt vorgetragenen Überlegungen nahe gelegte Vermutung ist in einem nächsten Schritt zu überprüfen.

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2.6 Lexikon einer Sprache – Lexikon eines Sprechers

Nachdem der Begriff der Wortarten kritisch beleuchtet und für diese Unter-suchung als ungeeignet bewertet wurde, stellt sich der ins Auge zu fassende Gegenstand neu dar: Nicht Wortarten, sondern die lexikalischen Kategorien der deutschen Sprache sind näher zu bestimmen.

Doch auch in dieser Form erscheint das Untersuchungsobjekt noch unscharf. Denn wenngleich uns die Begriffe die deutsche Sprache und das Deutsche in noch höherem Maße als Elemente der Alltagssprache und des sprachwissen-schaftlichen Grundwortschatzes vertraut sind, als dies bereits mit Wortarten der Fall war, stoßen wir auch jetzt auf Schwierigkeiten, die in dem Begriff selbst liegen. Wenn es nämlich die deutsche Sprache bzw. ihr Lexikon ist, das durch lexikalische Kategorien strukturiert wird und dessen Elemente aufgrund ihrer Mitgliedschaft in bestimmten lexikalischen Kategorien bestimmte Eigenschaf-ten aufweisen, dann setzt das voraus, dass die deutsche Sprache, wie andere Einzelsprachen auch, ihr eigenes Sein besitzt, eine eigenständige Entität ist, ein System, das einen potenziellen Untersuchungsgegenstand darstellt und einer Analyse zugänglich ist.

Tatsächlich ist diese Annahme eine der Gemeinsamkeiten, die zumindest in impliziter Form die meisten sprachwissenschaftlichen Forschungsansätze übergreifen, und eine Komponente des Fundaments, auf dem auch im Hinblick auf lexikalische Kategorien, Wortarten oder Redeteile die unterschiedlichsten Vorschläge gründen. Ihre Angemessenheit wird, wenn überhaupt, entweder ontologisch – Sprache ist ein System12 –, oder methodologisch – um Sprache überhaupt untersuchen zu können, müssen wir sie (für einen Augenblick) als statisches System betrachten – begründet.

Jedoch verlieren Sprache und die deutsche Sprache ihre Vertrautheit und Selbstverständlichkeit, sobald man die „Gegenstände“, auf die mit diesen Termi-ni referiert wird, hinsichtlich ihrer Grenzen, ihres Orts etc. zu bestimmen sucht. Ein ähnlich problematisierender Effekt stellt sich angesichts der folgenden von Sybille Krämer und Ekkehard König gestellten Frage ein: Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen (Krämer/König 2002)? Die gegensätzlichen Positionen die Krämer und König in ihrem Band hierzu versammeln und die unterschiedlichen Begründungen dafür machen deutlich, dass die Antwort und damit der ontolo-gische und erkenntnistheoretische Status von Sprache umstritten ist. Als Warnung vor einer voreiligen „Verdinglichung von Sprache“ ist auch Kellers (1994) Bemerkung zu verstehen:

12 «Une langue est un système ou tout se tient.» Auf diesem Diktum de Saussures (1916) gründet ein ganzes, den größten Teil des 20. Jahrhunderts bestimmendes sprachwis-senschaftliches Paradigma.

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Die Frage „Warum ändert sich die Sprache?“ präsupponiert „Die Sprache ändert sich“. Das Besondere an dieser Hypostasierung ist, daß auch die Fachleute nicht über eine Aufl ösung verfügen, die wörtlich genommen werden darf. (ebd.: 24)

Blickt man noch weiter zurück in die Geschichte der Sprachwissenschaft, fi ndet sich mit derjenigen Hermann Pauls eine prominente Position, die dem sprachlichen Wissen einzelner Sprecher, bei Paul die „einzelnen psychischen Organismen“ bzw. „einzelnen Sprachorganismen“, unmissverständlich Priorität gegenüber „der Sprache“ als Gesamtheit dieser Organismen einräumt. Dass es sich bei letzterer lediglich um eine Abstraktion, einen „Durchschnitt“ handeln kann, folgt bei Paul aus der Tatsache, dass „es [...] keine direkte Einwirkung einer Seele auf die andere gibt“ (Paul 1995 [1920]: 28f.]).

Oben hatte ich betont, dass Kategorien immer vor dem Hintergrund einer Domäne zu sehen sind, die sie strukturieren. Lexikalische Kategorien nicht als solche des Deutschen (oder einer anderen Einzelsprache) aufzufassen, ist daher nur möglich, wenn ihre Domäne plausibel neu bestimmt werden kann. Einen Hinweis auf eine mögliche Lösung des Problems, das durch Krämers und Königs Frage als solches erkennbar wurde, trägt diese Frage selbst in sich: Ob es eine Sprache hinter dem Sprechen gibt, kann offenbar mit guten Gründen bezweifelt werden; das Sprechen jedoch, „hinter“ dem eine Sprache zu suchen ist, wird durch die Formulierung als gegeben gesetzt. Dass der ontologische Status des konkreten Sprechens (Knobloch 2000a: 6) so viel sicherer erscheint als der von (einer bestimmten) Sprache, ist auf seine Wahrnehmbarkeit zurückzuführen. Anders als (die) Sprache erleben wir das Sprechen als Sprecher und teilnehmende Hörer unmittelbar, tritt es uns in der Rolle der Beobachter von Sprechern, die sich in konkreten Situationen sprachlich äußern, als Phänomen sinnlich und unabhängig von Schlüssen und theoretischen Raisonnements13 entgegegen. Eben deshalb sind sprachliche, in einem Äußerungskontext wahrgenommene Äußerungen – im Vergleich zu Sprache oder dem Deutschen – in direkterer Weise als Untersuchungsgegenstände greifbar.

Sprachliche Äußerungen sind also beobachtbare Phänomene. Doch sind dies auch die Entitäten, deren Elemente auf einer unteren Ebene der syntaktischen Strukturierung lexikalischen Kategorien zugeordnet sind? Zunächst einmal wäre zu bestimmen, welche Äußerungen hier konkret in Betracht zu ziehen sind. Doch selbst wenn man die mit dieser Aufgabe verbundenen Schwierigkeiten z. B. theoretisch und mit den Mitteln der Korpuslinguistik beherrschen könnte, muss die Antwort nach dem, was oben zur Unterscheidung zwischen Lexikon und Grammatik gesagt wurde, nein lauten. Sprachliche Äußerungen sind (auch) syntaktische Gebilde, in denen nicht lexikalische Grundelemente aneinander-

13 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass sich im Einzelfall lautlicher oder grafi scher Gebilde nicht immer – aber doch sicher sehr häufi g – ein Konsens darüber erzielen lassen wird, ob es sich um eine Äußerung in deutscher Sprache handelt.

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gereiht, sondern grammatische Einheiten gelegentlich einzeln auftreten (z. B. „Gerne“, im Anschluss an eine Bitte), meist aber morphologisch und syntaktisch mit anderen verbunden sind. Das schließt nicht aus, dass aus einer Analyse der grammatischen Struktur Rückschlüsse auf die lexikalischen Eigenschaften gezogen werden können (s.u. 5 Lexikalische Kategorisierung im Spiegel der Schreibung), macht aber deutlich, dass den Äußerungen, dem potenziell „un-endlichen“ und praktisch unübersehbaren Gebrauch, die „endlichen Mittel“, also die Elemente eines Lexikons, gegenüberstehen müssen.

Allerdings kann hier, aus den genannten Gründen, nicht das Lexikon einer (bestimmten) Sprache, also etwa des Deutschen, als Domäne der zu untersu-chenden lexikalischen Kategorien in Betracht gezogen werden. Es muss also ein anderes Forum geben, auf dem Lexikon und Grammatik interagieren. Wel-ches dies ist, lässt sich aus dem ableiten, was bis hierher als gesichert gelten kann: Ein möglicher Gegenstand sprachwissenschaftlicher Untersuchungen sind sprachliche Äußerungen. Äußerungen sind immer die Äußerungen von Sprechern. Äußerungen als grammatische Gebilde setzen ein Lexikon voraus. Dieses Lexikon, so der daraus zu ziehende Schluss, ist nicht eine Komponente der jeweils gesprochenen Sprache, sondern Teil des Wissens jener Sprecher, deren Äußerungen betrachtet werden.

Damit ist klar: Die im Zusammenhang einer Untersuchung lexikalischer Kategorien relevante Domäne ist das mentale Lexikon des Individuums als Teil seines Wissens und Könnens, das ihn in die Lage versetzt, situationsangemessen zu sprechen.14 Natürlich ist diese Auffassung des Lexikons, die zu den Grund-

14 Mit dieser in einem Chomsky’schen (1965: 4) Sinne mentalistischen Schlussfolge-rung wird deutlich, dass ich wohl bereits an einem viel früheren Punkt den Grund des Unbezweifelten verlassen habe. So verneint Hans Julius Schneider (2002), sich dabei auf Wittgenstein (1984 [1953]) berufend, die selbst gestellte Frage, ob „[...] das Sprechenkönnen auf einem Sprachwissen“ beruhe, und führt aus:

Wissen ist eine besondere Art des Könnens; Repräsentationen oder Darstellungen sind Produkte dieses Könnens, nicht ihre Ermöglichungsgründe. Sie sind keine inneren Gegenstände, die wir im Geiste handhaben müssen, wenn wir die äußerliche Tätigkeit des Sprechens vollziehen, sondern sie sind besondere, von uns hergestellte Dinge, die in Museen und Bibliotheken verwahrt werden. (ebd.: 136)

Bei aller Kritik am Wissensbegriff geht jedoch auch Schneider offenbar von einer Unterscheidung zwischen (aktuellem) Sprechen, sprachlichem Wissen und Sprechen-können aus. Wenn Wissen das Produkt des Könnens ist, so ist wohl das Können der Ermöglichungsgrund von Wissen. Diese Position scheint nicht im Widerspruch mit der Annahme zu stehen, Sprechen beruhe auf Sprechenkönnen und nun wäre zu klären, worin dieses Können besteht. Entscheidend für die im Folgenden zu entwickelnde Argumentation ist die Prämisse, dass Sprechen eine kognitive Basis besitzt. Diese ermöglicht es u. a., aktuelles Sprechen und Verstehen mit vergangenem Sprechen und Verstehen in eine Beziehung zu setzen, die das Erlebnis der Zeitlichkeit von Sprechen

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elementen kognitiv-linguistischer Ansätze zählt, nicht neu. Im Sinne des hier verfolgten Anliegens, verlässliche Grundlagen für das Folgende zu schaffen, ist jedoch die Art und Weise ihrer Herleitung von Bedeutung. Die Verschiebung des Interesses vom Lexikon einer Sprache zum Lexikon von Sprechern ist das Ergebnis von Überlegungen, deren Ausgangspunkt der Versuch darstellte, den Begriff die Wortarten des Deutschen zu defi nieren, und in deren Verlauf damit verbundene und sich als problematisch erweisende Annahmen Schritt um Schritt zurückgenommen wurden.

Mit diesem Zwischenergebnis ist ein Begriff lexikalischer Kategorien ge-wonnen, der – anders als Wortart – auf geprüften Vorannahmen beruht und umstrittene ausklammert und der in zweierlei Hinsicht bestimmt ist: Als das Kategorisierte werden lexikalische Einheiten in den Blick genommen, als die Do-mäne, innerhalb deren diese Einheiten kategoriell spezifi ziert sind, das mentale Lexikon individueller Sprecher. Mit dieser Begriffsbestimmung ist jedoch nur ein erster Schritt auf dem Weg zum Ziel dieser Arbeit vollzogen. Immerhin hat sich erwiesen, dass die Wortarten des Deutschen keine möglichen Gegenstände einer Untersuchung sind, weil sich nicht einmal der Begriff schlüssig defi nieren lässt. Andererseits jedoch ist noch zu überprüfen, ob lexikalische Kategorien im Gegensatz dazu eben solche Gegenstände sind, ob also die Frage Gibt es lexikalische Kategorien hinter dem Sprechen? positiv zu beantworten ist.

2.7 Gibt es lexikalische Kategorien?

Der Versuch, den ontologischen Status lexikalischer Kategorien zu klären, führt direkt zu einem erkenntnistheoretischen Problem: Wer wissen möchte, ob es lexikalische Kategorien gibt, muss wissen, wie er dies herausfi nden kann, muss also ein Kriterium kennen, um mögliche Antworten auf die Frage nach ihrem Sein zu bewerten. Ein solches Kriterium ist das so genannte Ockham’sche Rasiermesser, das Prinzip der Parsimonie, das in der einen oder anderen Form

und Verstehen überhaupt erst ermöglicht und damit sprachliches Lernen ebenso wie das Verstehen spezifi scher, sich in der Zeit ausdehnender Äußerungen.

Mit diesen Anmerkungen muss die Erörterung dieses Dissenses innerhalb der Phi-losophie des Geistes und der Sprache im Rahmen dieser Arbeit abgebrochen werden. Abschießend sei noch festgestellt, dass die in der Sprachwissenschaft vertretenen Auffassungen (s. Kapitel 3), soweit für sie das Konzept einer kognitiven Basis des Sprechens überhaupt eine Rolle spielt, mit der Ansicht vereinbar sind, dass ein men-tales Lexikon eine Komponente dieser Basis ist. Letzteres gilt insbesondere auch für die sprachwissenschaftlichen Ansätze, die sich auf Autoren wie Austin (1962), Grice (1989) und eben auch Wittgenstein berufen.

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nicht erst seit den Zeiten seines Namensgebers zum Grundbestand westlich-wissenschaftlichen Denkens gehört und das in einer bekannten Formulierung lautet: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. Vom erkenntnisthe-oretischen Standpunkt bedeutet dies, dass Fragen der Form „Gibt es X?“ zu verneinen sind, es sei denn, dies ist unmöglich. Unmöglich ist dies im Rahmen rationalen Denkens dann, wenn man dadurch entweder gezwungen wird, eine andere als gesichert geltende Überzeugung aufzugeben oder aber aufwändige Zusatzannahmen zu machen und damit in noch gravierenderer Weise gegen das Parsimonieprinzip zu verstoßen.15

Die abstrakte Frage nach dem Sein lexikalischer Kategorien stellt sich damit neu: Gibt es unstrittige Tatsachen, die sich nur unter der Voraussetzung erklä-ren lassen, dass es lexikalische Kategorien gibt? Von den Annahmen, die der Terminus Wortart nahe legte, hielten die folgenden der oben durchgeführten Überprüfung stand: Menschen sprechen in vielerlei Situationen und zu vieler-lei Anlässen. Das „jedesmalige Sprechen“ setzt ein Sprechen-Können voraus. Dieses entwickelt sich in der Regel über die unterschiedlichen Sprechanlässe hinweg langsam und kontinuierlich, so dass es keinen völligen Bruch zwischen aufeinander folgenden Phasen des Spracherwerbs bzw. der Entwicklung des Sprechen-Könnens gibt.16 Zu diesem Können gehört das mentale Lexikon, d. h. ein Wissen, das die strukturierte Menge der vom Sprecher erworbenen lexika-lischen Einheiten umfasst. Jede dieser Einheiten ist dabei hinsichtlich derjeni-gen Aspekte spezifi ziert, die ihre Verwendung im Zusammenhang grammatisch komplexer Äußerungen erlaubt.

2.8 Fragen

An dieser Stelle schließt sich der Kreis der in diesem Kapitel dargelegten vorbereitenden Überlegungen, an deren Anfang das bekannte Humboldt-Zitat und die sich bald als unbeantwortbar erweisende Frage nach den Wortarten des Deutschen stand. Nun, an ihrem Ende, stellt sich eine neue oder, eher noch, die

15 Streng genommen, handelt es sich hier um eine (Ver-)Schärfung des Ockham’schen Rasiermessers, weil hier nicht nur die Vermehrung der Entitäten selbst, sondern auch weitere Annahmen bezüglich dieser Entitäten und ihrer Eigenschaften nur dann zu-gelassen werden, wenn dies notwendig ist.

16 Dem widerspricht auch die Tatsache nicht, dass es gerade in den ersten Jahren des Spracherwerbs partielle Sprünge gibt, wie z. B. die so genannte „Wortschatz-Explo-sion“ (Klann-Delius 1999: 36) etwa ab dem 18. Lebensmonat und das plötzliche „Verlernen“ unregelmäßiger Flexions- und Komparationsformen in der Phase der Übergeneralisierung im dritten oder vierten Lebensjahr.

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ursprüngliche, von problematischen Präsuppositionen befreite Frage in neuer Form: Lässt sich aus unserem Wissen darum, dass Menschen in unterschiedli-chen Situationen und zu unterschiedlichen Anlässen sprechen und Gesprochenes verstehen, schließen, dass es lexikalische Kategorien der oben umrissenen Art gibt? Im folgenden Kapitel wird hierauf mit der Feststellung geantwortet, dass lexikalische Kategorisierung ein Teilprozess der Gesamtdynamik mentaler Lexi-ka ist, durch den lexikalische Einheiten hinsichtlich ihrer Kategorialität geprägt werden. Um diese These zu belegen, soll zunächst gezeigt werden, dass sie mit den oben formulierten und als unbezweifelt charakterisierten Annahmen über das Sprechen nicht nur übereinstimmen, sondern aus ihnen folgen.

Diese erste und grundlegende Aufgabenstellung zieht eine Reihe weiterer nach sich. Schon der Nachweis, dass lexikalische Kategorisierung ein Merkmal des mentalen Lexikons ist, kann nicht geführt werden, ohne dass Genaueres über die Art der Kategorisierung gesagt wird. Auch hierbei sollen überfl üssige Annahmen vermieden und nur solche formuliert werden, die sich auf der Basis des bisher Festgestellten schlechterdings nicht verneinen lassen. Für die Bestimmung le-xikalischer Kategorien bedeutet dies, dass sie auf die Funktion Bezug nehmen muss, die lexikalische Kategorien für das Sprechen besitzt. Damit ergeben sich die folgenden Fragen:

– Welche lexikalischen Kategorien gibt es? Lassen sich lexikalische Kategorien überhaupt strikt voneinander abgrenzen? Ein Blick in die germanistische und in die sprachvergleichende Literatur zu Wortarten, Redeteilen und lexikali-schen Kategorien lässt gravierende Unterschiede zwischen den Vorschlägen verschiedener Autoren hervortreten. Dies betrifft sowohl die Anzahl als auch den Charakter der jeweils angenommenen Kategorien.

– Anhand welcher Kriterien sind lexikalische Kategorien voneinander zu unterscheiden? Aufgrund welcher Merkmale sind lexikalische Einheiten bestimmten Kategorien zugeordnet? In Frage kommen hier u. a. morpho-logische, syntaktische, semantische und diskurs-funktionale Kriterien und unterschiedliche Mischkategorisierungen.

– Wie ist die interne Struktur der Kategorien beschaffen und wie verlaufen die Grenzen zwischen ihnen? Im Wesentlichen stehen aristotelische Auf-fassungen, die Kategorien über notwendige und hinreichende Bedingungen der Zugehörigkeit zu ihnen defi nieren, solchen Ansätzen gegenüber, die le-xikalische Kategorien als prototypikalische Kategorien mit radialer Struktur (Lakoff 1987) betrachten.

– Sind alle lexikalischen Kategorien von der gleichen Art und Struktur? Dies betrifft vor allem den Unterschied zwischen den so genannten offenen und geschlossenen lexikalischen Klassen.

– In welchem Verhältnis stehen die lexikalischen Kategorien zueinander? Zahl-reiche Beispiele wie Zauber, zaubern und bezaubernd legen die Annahme nahe, dass es systematische Beziehungen zwischen bestimmten lexikalischen Kategorien gibt.

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– Wie kommt es zur Zuordnung lexikalischer Einheiten zu bestimmten Kate-gorien? Lexikalische Einheiten werden erlernt. Auf welche Weise erfolgt ihre kategoriale Bestimmung im Zuge des Spracherwerbs? Ist dieser Prozess der Bestimmung, und das heißt der Veränderung, an einem bestimmten Punkt abgeschlossen? Diese Frage weist darauf hin, dass zwischen Struktur und Dynamik des mentalen Lexikons ein enger Zusammenhang besteht.

Indem die zuletzt formulierten Fragen zunächst auf der Basis der reichen For-schungliteratur erörtert werden, wird ein doppelter Zweck verfolgt: Zum einen sollen die Leistungen anderer Autoren für das hier verfolgte Anliegen nutzbar gemacht werden. Zum anderen soll jedoch deutlich werden, dass der hier ge-wählte Ansatz, die theoretischen Probleme lexikalischer Kategorisierung von der Seite des sprachlichen Wissens individueller Sprecher her zu lösen, auch einer Auseinandersetzung mit alternativen Konzeptionen Stand hält und sich dabei als plausibel erweist.

Um dieses Ziel erreichen zu können, reicht die bis hierhin skizzierte Un-tersuchung mentaler Lexika jedoch nicht aus. Selbst wenn sich der Begriff die deutsche Sprache oben als problematisch erwiesen hat, gehört es doch zu unseren unmittelbaren Erfahrungen, dass sprechen meist auch bedeutet, mit-einander oder doch zu jemand anderem zu sprechen. Auch wenn lexikalische Kategorisierung zunächst ein Aspekt je individueller mentaler Lexika ist, kann das nicht bedeuten, dass lexikalische Kategorisierung von Grund auf individuell oder gar idiosynkratisch ist. Damit stellt sich die Frage nach überindividuellen Aspekten lexikalischer Kategorisierung und nach dem Verhältnis zwischen dem sprachlichen Wissen und Können Einzelner und dem anderer Mitglieder ihrer Sprachgemeinschaft.

Wilhelm von Humboldts eingangs zitierte Worte (sowie andere Stellen aus der Einleitung zum Kawi-Werk) thematisieren diesen Problemkreis, indem sie das Verhältnis zwischen Einzeläußerung und Sprache an sich ansprechen. „Unmittelbar und streng genommen“, so Humboldt, sei Sprache als das „jedes-malige[...] Sprechen“ zu defi nieren, „aber im wahren und wesentlichen Sinn kann man auch nur gleichsam die Totalität dieses Sprechens als die Sprache ansehen“; und hier meint er nicht das Deutsche, das Chinesische oder das Kawi, sondern die universelle „Sprache im allgemeinen“ (Coseriu 1987b: 5). Das konkrete, beobachtbare Faktum des jedesmaligen Sprechens, der einzelnen im Kontext vollzogenen Äußerung eines Sprechers auf der einen und die abstrakte Totalität des Sprechens auf der anderen Seite werden hier als zwei Seinsarten von Sprache oder auch als Ansichten von Sprache charakterisiert, die je nach Standpunkt wahrgenommen werden können.

Das Einzelne und das Ganze, das Individuelle und das Universelle – ange-sichts dieser Gegenüberstellung fragt sich, welcher Status hier einer einzelnen Sprache, wie dem Deutschen, zukommt. Die in dieser Arbeit aus den oben dargelegten Gründen eingenommene Perspektive geht vom Pol des Einzelnen

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aus und wendet den Blick dann von der Einzeläußerung zu deren Sprecher und seinem lexikalischen Wissen. Macht vor diesem Hintergrund die Rede von der deutschen Sprache und ihren lexikalischen Kategorien, unabhängig davon, dass diese Begriffe für unseren Alltag weiterhin selbstverständlich und unverzichtbar sind, aus sprachwissenschaftlicher Sicht noch Sinn? Wie ist dieses Problem angesichts der Erfahrungen zu werten, dass wir ohne weiteres angeben können, was es bedeutet, Deutsch sprechen und verstehen zu können, möglicherweise aber nicht Englisch, Türkisch, Chinesisch oder Kawi, dass wir im Normalfall eine Äußerung in deutscher Sprache problemlos von einer englisch- oder an-derssprachigen Äußerung unterscheiden können, ja, dass wir sogar in der Lage sind, isolierte deutsche Ausdrücke als solche gegenüber nicht-deutschen zu identifi zieren?

Humboldt stellt den konkreten Fällen „jedesmaligen Sprechens“ die Sprache im Allgemeinen als „Totalität des Sprechens“ gegenüber. Dieses Konzept ist abstrakt und nicht im gleichen Maße evident wie sein Widerpart. Hier liegt, wie oben bereits im Zusammenhang mit der Frage nach der Sprache hinter dem Sprechen ausgeführt, der Grund dafür, dass der sprachliche Pol des individuellen Sprechens als der Ausgangspunkt dieser Untersuchung gewählt wurde und dass über Sprache im Allgemeinen zunächst nichts gesagt wird. Es ist allerdings zu betonen, dass auch dieser Verzicht, wie in den früheren Fällen, ein noch vorläu-fi ger ist und dass ganz im Sinne der Ausführungen zu Ockhams Rasiermesser zu überprüfen sein wird, ob seine Einführung letztlich nicht doch notwendig ist.

Das hier angewandte hermeneutische Verfahren hat eine Reihe von Begriffen als für diese Untersuchung unbrauchbar erwiesen, es hat zur Herausbildung alternativer Konzepte geführt und zuletzt eine Reihe konkreter Fragen aufge-worfen. Darüber hinaus wurde begründet, warum lexikalische Kategorisierung zunächst als Aspekt des Lexikons von individuellen Sprechern zu betrachten ist und nicht als Strukturkomponente des Lexikons einer Sprache bzw. von Sprache. Dies bedeutet nun aber nicht, dass das oben skizzierte Forschungsprogramm in allen seinen Teilen neu und zum ersten Mal abzuarbeiten ist. Denn obwohl sich der Gegenstandsbereich aus der zuletzt entwickelten Perspektive in neuer Form darbietet, sind die oben formulierten Fragen doch schon häufi g gestellt und in unterschiedlicher Weise beantwortet worden. Es liegt also nahe, diese Antworten zu überprüfen und im Lichte der bis hierher entwickelten Prämissen zu bewerten und auszuwerten.

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3 Lexikalische Kategorisierung im Wechselspiel zwischen Diskurs und Konzeptualisierung

„Der Komiker (Terenz) sagt: ,Nichts ist gesagt worden, das nicht schon zuvor gesagt worden ist.‘ Wenn mein Lehrer Donat diesen Vers im

Unterricht erklärte, fügte er hinzu: ,Zum Teufel mit denen, die schon vor uns unsere Ideen aus-gesprochen haben‘ (Hieronymus, Kommentar

zu Ecclesiastes 1, 9–10).“ (zitiert nach Reichert 1999)

Es bleibt uns aber immer die Möglichkeit, ineiner terminologisch anders arbeitenden, anders

bestimmten Betrachtungsart – die immer im Austausch mit der bewährten Sprachwissen-

schaft bleibt – eine neue Schnittebene durch das uns interessierende Objekt ,Sprache‘ zu legen, welches mit unseren Akten so verzahnt ist und dennoch eine gewisse Eigenständigkeit besitzt.

Die Sprache würde dadurch gezwungen, andere Seiten als bisher zu zeigen, die dann ,entdeckt‘

(d.i. neu benannt) werden könnten.(Hartmann 1956: 13)

Als Konsequenz einer kritischen Analyse des Wortartenbegriffs habe ich im ers-ten Haupteil dieser Studie das Konzept lexikalische Kategorisierung entwickelt. Ich habe gezeigt, dass eine Untersuchung der Prozesse Antworten auf Fragen nach dem Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik einer Sprache geben kann, die schon seit der Antike mit Bezug auf die Wortarten erörtert worden sind. Am Ende des Kapitels ergaben sich dann eine Reihe von Forschungsfragen zur Abgrenzung lexikalischer Kategorien voneinander, zu ihrer internen Struktur, zu den Kriterien, die ihre Unterscheidung begründen etc.

In diesem zweiten Hauptteil prüfe ich, ob sich Antworten auf diese Fragen bereits in der umfang- und facettenreichen Literatur zum Thema lexikalische Kategorien1 fi nden lassen. Dabei ist nicht in erster Linie chronologisch, sondern

1 Lexikalische Kategorie wird hier wie im Folgenden als Oberbegriff verwendet, der auch Wortart und Redeteil immer dann mit einschließt, wenn zwischen den Begriffen nicht explizit differenziert werden muss. Letzteres ist, wie oben ausgeführt wurde (s. 2.5), vor allem immer dort nötig, wo es für die Argumentation entscheidend ist, ob die Kategorien der Ebene des Lexikons (lexikalische Kategorien im engeren Sinne) oder der Grammatik (Redeteile im engeren Sinne) zugeordnet sind.

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systematisch vorzugehen. Es wird nämlich deutlich werden, dass sich innerhalb des mehr als 2000-jährigen Forschungsdiskurses unterschiedliche theoretische Traditionen gegeneinander abgegrenzt haben, die durch je eigene Fragestel-lungen, Ziele und Methoden gekennzeichnet und deshalb nur eingeschränkt miteinander vergleichbar oder gar relativ zueinander bewertbar sind.

Vor diesem Hintergrund ist dann zu entscheiden, welche der referierten Forschungsergebnisse überhaupt einen Beitrag zur Lösung der hier gestellten Probleme leisten wollen und können. Später wird sich dann zeigen, dass weniges von dem wirklich neu ist, was über lexikalische Kategorien und lexikalische Kategorisierung als Aspekte von Struktur und Dynamik des mentalen Lexikons von Sprechern des Deutschen zu sagen ist. Im Gegenteil macht die Durchsicht der Literatur deutlich, dass Fortschritt im hier untersuchten Bereich linguis-tischer Theorie nicht so sehr darin besteht, neue Fakten und Aspekte zutage zu fördern. Vielmehr scheint es so, dass im Verlauf der Forschungsgeschichte eine Reihe zentraler Gedanken und Motive jeweils von neuen Standpunkten aus betrachtet und im Kontext von Problemen variiert und aktualisiert wurden, die zuvor als für die Untersuchung lexikalischer Kategorien gar nicht erst in Betracht gezogen worden waren.

Während sich auf diese Weise Ansätze zur Bestimmung lexikalischer Ka-tegorien unterscheiden lassen, die in ihren Grundzügen voneinander abwei-chen, tritt in einer Hinsicht doch eine Gemeinsamkeit hervor: Lexikalische Kategorien werden als Kategorien auf der Ebene von Einzelsprachen oder von Sprache überhaupt behandelt. In Kapitel 2 wurde dargelegt, dass und warum diese Auffassung im Rahmen der gegenwärtigen Untersuchung problematisch ist und stattdessen mentale Lexika individueller Sprecher als die Domänen le-xikalischer Kategorisierung zu betrachten sind. Im Anschluss daran ist nun zu erörtern, welche in der Literatur vorgetragenen Beobachtungen und Befunde in welcher Weise in die hier zu entwickelnde, das mentale Lexikon von Individuen als Ausgangspunkt nehmende Auffassung zu integrieren sind.

3.1 Grundlegendes

3.1.1 Wie sich die Theorien lexikalischer Kategorisierung voneinander unterscheiden

Die Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit lexikalischen Ka-tegorien ist auf vielen Ebenen durch Kontinuität geprägt. So sind vor allem die modernen Termini Redeteile, parts of speech, partis du discours etc. Lehnübersetzung aus dem Griechischen bzw. dem Lateinischen (μέρη λόγου,

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systematisch vorzugehen. Es wird nämlich deutlich werden, dass sich innerhalb des mehr als 2000-jährigen Forschungsdiskurses unterschiedliche theoretische Traditionen gegeneinander abgegrenzt haben, die durch je eigene Fragestel-lungen, Ziele und Methoden gekennzeichnet und deshalb nur eingeschränkt miteinander vergleichbar oder gar relativ zueinander bewertbar sind.

Vor diesem Hintergrund ist dann zu entscheiden, welche der referierten Forschungsergebnisse überhaupt einen Beitrag zur Lösung der hier gestellten Probleme leisten wollen und können. Später wird sich dann zeigen, dass weniges von dem wirklich neu ist, was über lexikalische Kategorien und lexikalische Kategorisierung als Aspekte von Struktur und Dynamik des mentalen Lexikons von Sprechern des Deutschen zu sagen ist. Im Gegenteil macht die Durchsicht der Literatur deutlich, dass Fortschritt im hier untersuchten Bereich linguis-tischer Theorie nicht so sehr darin besteht, neue Fakten und Aspekte zutage zu fördern. Vielmehr scheint es so, dass im Verlauf der Forschungsgeschichte eine Reihe zentraler Gedanken und Motive jeweils von neuen Standpunkten aus betrachtet und im Kontext von Problemen variiert und aktualisiert wurden, die zuvor als für die Untersuchung lexikalischer Kategorien gar nicht erst in Betracht gezogen worden waren.

Während sich auf diese Weise Ansätze zur Bestimmung lexikalischer Ka-tegorien unterscheiden lassen, die in ihren Grundzügen voneinander abwei-chen, tritt in einer Hinsicht doch eine Gemeinsamkeit hervor: Lexikalische Kategorien werden als Kategorien auf der Ebene von Einzelsprachen oder von Sprache überhaupt behandelt. In Kapitel 2 wurde dargelegt, dass und warum diese Auffassung im Rahmen der gegenwärtigen Untersuchung problematisch ist und stattdessen mentale Lexika individueller Sprecher als die Domänen le-xikalischer Kategorisierung zu betrachten sind. Im Anschluss daran ist nun zu erörtern, welche in der Literatur vorgetragenen Beobachtungen und Befunde in welcher Weise in die hier zu entwickelnde, das mentale Lexikon von Individuen als Ausgangspunkt nehmende Auffassung zu integrieren sind.

3.1 Grundlegendes

3.1.1 Wie sich die Theorien lexikalischer Kategorisierung voneinander unterscheiden

Die Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit lexikalischen Ka-tegorien ist auf vielen Ebenen durch Kontinuität geprägt. So sind vor allem die modernen Termini Redeteile, parts of speech, partis du discours etc. Lehnübersetzung aus dem Griechischen bzw. dem Lateinischen (μέρη λόγου,

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partes orationis). Die Mischklassifi kation, die auf der von Dionysios Thrax im ersten vorchristlichen Jahrhundert zum ersten Mal formulierten Lehre beruht, ist auch heute die Standardauffassung der Sprachdidaktik und die Basis vieler Sprachbeschreibungen. Schließlich teilen die allermeisten Autoren das Anlie-gen, entweder die Struktur des Wortschatzes einer bestimmten Sprache oder einen Strukturaspekt von Sprache überhaupt darstellen zu wollen. In wenigen anderen Bereichen der Sprachforschung dürfte die lebendige Tradition so weit zurückreichen. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass in kaum einer größeren zeitgenössischen Arbeit zum Thema ein Verweis auf die „großen Alten“ wie Platon, Aristoteles, Dionysios und Donatus fehlt.

Die Geschichte der Erforschung lexikalischer Kategorien ist – auch dies ein Beleg für die Prominenz des Themas für die Sprachforschung – in ihrem chronologischen Verlauf wiederholt aufgearbeitet worden (u. a. von Brøndal 1948; Robins 1966; umfangreiche Abschnitte in Arens 1969; Kaltz 1983; Kno-bloch 1988b,c,d; Borsche 1989; Splett 2002), so dass dies nicht erneut geleistet werden muss.

Stattdessen folgt an dieser Stelle eine systematische Erörterung der wichtigs-ten Beiträge zur Wortartenforschung. Dies ist deshalb nötig, weil terminologi-sche Kontinuitäten Auffassungsunterschiede, die über Fragen nach Defi nition, Zahl und Abgrenzung der lexikalischen Kategorien hinausgehen, dem ersten Blick möglicherweise entziehen, nicht jedoch aufheben. Schon in den für die nachfolgende Forschung so wichtigen Schriften des Aristoteles sind mit der Lehre von den Kategorien einerseits und der Unterscheidung von Onoma und Rhema andererseits die Themen angelegt, die in der Folgezeit zu den beiden Grundauffassungen von lexikalischen Kategorisierung Anlass gegeben haben. Diese Auffassungen werde ich als die ontologisch-konzeptualistische einerseits und die grammatische andererseits voneinander unterscheiden.

Auf diese Weise ist das Feld der Erforschung lexikalischer Kategorien je-doch nur auf einer allerersten Ebene gegliedert. So treten sowohl ontologisch-konzeptualistische als auch grammatische Ansätze in einer Reihe von Varianten auf, die jeweils durch die Wahl des Kategorisierungskriteriums defi niert sind. Vom grammatischen Standpunkt aus lassen sich morphologische von syntakti-schen und diese wiederum von diskursfunktionalen Wortartenklassifi kationen unterscheiden. Hinzu treten Mischklassifi kationen, wie die schulgrammatische, die teilweise nicht nur mehrere grammatische Kriterien in Anschlag bringen, sondern diese auch mit ontologischen oder konzeptualistischen verbinden.

Im Folgenden wird zu prüfen sein, wie plausibel und konsistent die Auswahl der Kriterien jeweils explizit oder implizit begründet ist oder begründet werden kann. Und dies führt dann zu der Frage, welchen theoretischen oder praktischen Anliegen die verschiedenen Auffassungen dienen. Hier möchte ich hervorheben, dass Versuche, die Elemente des Wortschatzes einer (Einzel-)Sprache beschrei-bend zu klassifi zieren, nur bedingt mit Ansätzen vergleichbar sind, die den

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Begriff der lexikalischen Kategorien im Rahmen einer umfassenden Theorie als Elemente der Sprache selbst herleiten.

Während die Vorschläge zu Anzahl und Wesen lexikalischer Kategorien in gravierender Weise voneinander abweichen, scheint seit jeher weitgehende Einigkeit darüber zu bestehen, dass Kategorien wie Substantiv und Verb (sogl. „Inhaltswörter“) von grundsätzlich anderer Art sind als die, zu denen etwa die Konjunktionen oder die Adpositionen (sog. „Funktionswörter“) gerechnet wer-den. Wie diese Unterscheidung jedoch im Einzelnen getroffen wird, wie sich die beiden Kategorietypen zueinander verhalten und wie die Grenze zwischen ihnen verläuft, darüber herrscht kein vollständiger Konsens. Eine Literaturübersicht, die ja der Vorbereitung einer Gesamtbetrachtung des mentalen Lexikons dient, muss also auch die in dieser Hinsicht vertretenen Positionen darstellen und schließlich vom Standpunkt des hier verfolgten Anliegens bewerten.

Das bis hierhin skizzierte Forschungsprogramm stellt das Problem der Unterscheidung lexikalischer Kategorien und der Wahl geeigneter Kriterien ins Zentrum, die einer solchen Unterscheidung zugrunde zu legen sind. Neben diese Frage nach den externen Kategoriengrenzen tritt nun diejenige nach der internen Struktur der Kategorien. Dabei sind zwei gegensätzliche Antworten auf ihre Plausibilität zu überprüfen: die aristotelische Sichtweise, der gemäß Kategorienzugehörigkeit über notwendige und hinreichende Bedingungen de-fi niert ist, und der Ansatz der Prototypentheorie.

3.1.2 Welche Bedingungen Theorien lexikalischer Kategorisierung erfüllen müssen

Unabhängig davon, in welcher Weise lexikalische Kategorien auf der Ebene der Beschreibung und der Theorie konkret defi niert und voneinander unterschieden werden, müssten sich allgemeine Kriterien benennen lassen, die es erlauben, die Angemessenheit solcher Defi nitionen und Unterscheidungen zu bewerten und konkurrierende Ansätze miteinander zu vergleichen. Angemessenheit ist aber auch im Feld der Erforschung lexikalischer Kategorien eine Eigenschaft, die relativ zu dem Zweck bewertet werden muss, dem die jeweilige Konzeption als Mittel dient. Die unterschiedlichen Auffassungen scheinen mir in dieser Hin-sicht vier Hauptanliegen zuordenbar zu sein, die sich in der Form von Fragen fassen lassen:

– Was sind lexikalische Kategorien? Welche sind die lexikalischen Kategorien des Deutschen? Aufgrund welcher Eigenschaften sind lexikalische Einheiten des Deutschen lexikalischen Kategorien zugeordnet?

– Wie lässt sich das Lexikon des Deutschen, aufgefasst als eine zwar offene, aber beschreibbare Menge lexikalischer Einheiten, in lexikalische Katego-

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rien unterteilen? Nach welchen Kriterien lassen sich einzelne lexikalische Einheiten des Deutschen Kategorien zuordnen?

– Auf welche Weise lassen sich Texte angemessen interpretieren? Auf welche Weise lässt sich Schülern eine Sprache möglichst gut vermitteln?

– Welche Sprachtheorie erlaubt es, ein bestimmtes praktisches Problem (z. B. die Heilung eines Aphasiepatienten oder die Konstruktion einer Sprach-erkennungssoftware) optimal zu lösen?

Die vier Arten der Motivation, sich für Sprache und für lexikalische Kategori-sierung als Aspekt von Sprache zu interessieren, unterscheiden sich hinsichtlich der Bedeutung, der sie der Frage zuschreiben, ob es lexikalische Kategorien als Kategorien der Sprache bzw. einer Sprache selbst gibt. Vertreter von Ansatz (1) – ich nenne ihn den theoretischen – bejahen diese Frage oder halten es zumindest für möglich, dass sie bejaht werden muss. Von Position (2) aus, der deskriptiven, „sind [es] nicht die Sprachen, die diese Unterscheidungen machen“ (Zifonun et al. 1997: 23). Lexikalische Kategorien werden also als Beschreibungsraster von „außen“ an das Lexikon eine Sprache herangetragen, weil sie von innen heraus nicht begründbar sind.

Für Didaktiker und Philologen (3) und Problemlöser (4) ist es im Grunde ohne Belang, welcher ontologische Status lexikalischen Kategorien zukommt. Hier bemisst sich die Relevanz und die Angemessenheit einer Konzeption lexikalischer Kategorisierung daran, in welchem Umfang sie dazu beitragen kann, das jeweilige Anliegen didaktischer, philologischer oder praktischer Art zu realisieren. Die Ansprüche, die in diesen Zusammenhängen zu erfüllen sind, sind nur in begrenztem Maße von linguistischer Natur. Stattdessen sind Faktoren zu berücksichtigen wie die Auffassungsgabe von Schülern eines bestimmten Alters, Vorgaben der Computertechnik etc. Dies bedeutet natürlich nicht, dass die Beobachtung von Sprachlernern, Aphasiepatienten, Computern etc. keinen Wert für die Erforschung lexikalischer Kategorien im Sinne von (1) haben können. Allerdings sind sprachdidaktische Werke, Computersprachen oder Sprachverarbeitungssoftware nicht in dieser Absicht geschrieben.

Für Theorien lexikalischer Kategorisierung scheint der Adäquatheitsmaßstab evident zu sein: Sie müssen ihrem Gegenstand angemessen sein. Theorien le-xikalischer Kategorisierung unterscheiden sich von Beschreibungen dadurch, dass sie davon ausgehen, ihren Gegenstand nicht nur von außen mittels Krite-rien erfassen zu können, die unabhängig von ihm defi niert wurden. Vielmehr erheben sie den Anspruch, dass ihre Darstellung des Untersuchungsobjekts, die begriffl ichen Unterscheidungen, die bezüglich seiner getroffen werden, in ihm selbst angelegt sind. Im Fall der lexikalischen Kategorien wäre demnach zu zeigen, dass eine bestimmte Klassifi zierung lexikalischer Einheiten durch einen Beobachter nicht nur möglich ist und allgemeinen Prinzipien der wissen-schaftlichen Beschreibung genügt, sondern dass sie einen Strukturaspekt der Sprache selbst wiedergibt.

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So plausibel die Forderung nach Gegenstandsangemessenheit erscheint, so problematisch ist jeder Versuch sie einzulösen. Theorien als Systeme von Sätzen können nämlich nicht unmittelbar mit ihren Gegenständen abgeglichen werden. Festzustellen, dass eine Behauptung ihrem Gegenstand angemessen oder gar wahr ist, bedeutet nichts anderes und kann nichts anderes bedeuten als festzu-stellen, dass sie mit allen anderen Behauptungen, die für wahr gehalten werden, im Einklang steht oder gar aus ihnen folgt. Was für einzelne Feststellungen gilt, gilt umso mehr für ganze Theorien.

Daher lässt sich der Angemessenheitsanspruch an Theorien zurückführen auf die Forderung nach Kohärenz und Widerspruchsfreiheit des Für-wahr-Gehaltenen. Dies gilt allerdings in gewisser Weise auch für die anderen drei Betrachtungsweisen: Unterschiedliche Auffassungen z. B. von lexikalischer Kategorisierung lassen sich nicht direkt an noch so genauen Beobachtungen messen, sondern nur an für wahr gehaltenen Sätzen, die mit Bezug auf diese Beobachtungen begründet werden. Der entscheidende Unterschied zwischen den Ansätzen (1)–(4) besteht darin, dass die Domänen der Sätze, mit denen sie jeweils in Übereinstimmung zu bringen sein müssen, unterschiedlich und unterschiedlich umfassend sind. Der theoretische Anspruch ist nun insofern der am weitesten reichende, als er prinzipiell alle mit Gründen für wahr gehaltenen Sätze als mögliche Prüfsteine für Hypothesen in Betracht ziehen muss und keine Domäne im Vorhinein als für den eigenen Geltungsanspruch irrelevant ausgrenzen kann.2

Dieses Problem stellt sich beim Theoretisieren über Sprache bereits in einem sehr frühen Stadium. Sprache ist nämlich kein prototypischer Gegenstand, zu-mindest aber keiner, der mehreren Beobachtern in gleicher Weise vor die Sinne treten könnte. Man muss also zunächst darlegen, welche Phänomene, Strukturen etc. man als Sprache bezeichnet. In Kapitel 2.8 habe ich einen Weg skizziert, der zu einer Lösung dieser Aufgabe führt. Demnach wäre im Sinne des zuletzt Ausgeführten diejenige Sprachkonzeption anderen vorzuziehen, die mit mög-lichst vielen unbestrittenen Annahmen vereinbar ist und aus der sich möglichst viele interessante Schlussfolgerungen ableiten lassen. Eine wissenschaftliche Debatte besteht dann in einer Reihe von aufeinander bezogenen Versuchen zu zeigen, dass die jeweils formulierte Position die genannten Anforderungen in höherem Maße erfüllt als die der Opponenten.

2 Aus praktischen Gründen wird auch der Theoretiker sich nicht mit jedem beliebigen Einwand auseinandersetzen wollen und können. Wenn er jedoch einen solchen Versuch der Entkräftung ablehnt, erfolgt dies in der Annahme, dass ein solcher mit mehr oder weniger großem argumentativem Aufwand gelingen würde. Welche Einwände in dieser Weise aufgrund ihrer prima facie-Unplausibilität außer Acht gelassen werden können, hängt im konkreten Fall wesentlich von den Diskussionspartnern und den von diesen vertretenen Standpunkten ab.

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Die zuletzt vorgetragenen wissenschaftstheoretischen Überlegungen bilden den Hintergrund sowohl für Erörterungen unterschiedlicher grammatischer Auffassungen von lexikalischer Kategorisierung (3.3) als auch für die Unter-suchungen kognitivistischer Ansätze (3.4).

3.1.3 In welcherlei Hinsicht lexikalische Kategorien voneinander unterschieden sein könnten

Zwar erweckt ein erster Blick in Grammatiken der deutschen Sprache den Ein-druck, dass die Anzahl unterschiedlicher Konzeptionen zu den lexikalischen Kategorien beinahe so groß ist wie die der Autoren, die sich mit dem Thema beschäftigen. Schaut man jedoch genauer hin, so lassen sich alle Ansätze einer von zwei prinzipiellen Vorgehensweisen oder Mischformen daraus zuordnen. So können zum einen die häufi g auch als „semantisch“ charakterisierten Vorschläge zusammengefasst werden. Diese begreifen lexikalische Kategorien (d. h. Typen lexikalischer Einheiten) als Korrelate außersprachlicher Kategorien (d. h. Typen außersprachlicher Einheiten). Sie postulieren einen Zusammenhang zwischen Sprache einerseits sowie Kognition und/oder Sein andererseits. Die aus dem Schulunterricht vertrauten Termini wie Ding-, Tu- oder Eigenschaftswort3 z. B. bringen eine Sichtweise zum Ausdruck, der zu Folge die so bezeichneten Wort-klassen dadurch defi niert sind, dass sich ihre Elemente auf Dinge, Handlungen und Eigenschaften in der außersprachlichen Welt beziehen.

Diesen hier als ontologisch-konzeptualistisch bezeichneten Ansätzen sind solche gegenüberzustellen, für die lexikalische Kategorisierungen nicht durch das Verhältnis von Sprache zu Nicht-Sprache, sondern durch die Beziehung zwischen den beiden sprachlichen Grundkomponenten, Lexikon und Grammatik im oben (2.5) bestimmten weiten Sinn, defi niert ist. Die lexikalischen Struktu-ren refl ektieren demzufolge Strukturen auf unterschiedlichen grammatischen Ebenen von der Morphologie bis zur Pragmatik. Dass lexikalische Einheiten einer bestimmten Kategorie angehören, bedeutet dann, dass sie in bestimmten grammatischen Kontexten mit anderen sprachlichen Einheiten verknüpft werden können oder müssen.

Jede mögliche Auffassung von lexikalischer Kategorisierung ist entweder unter eine der beiden skizzierten Grundansätze zu subsumieren oder sie muss eine Synthese beider bilden, die mehr ist als eine bloße Addition disparater Kriterien. Die Schwierigkeiten, die mit dem Entwurf einer solchen übergreifen-den Konzeption einhergehen, lassen sich am Beispiel der schulgrammatischen Wortartenlehre beobachten, deren Mischklassifi kation keine befriedigende Lösung darstellt.

3 Bezeichnungen dieser Art treten in einer Reihe von Varianten auf: Namenwörter, Zeit-, Tun- oder Tätigkeitswörter, Wiewörter etc. (z. B. Dörr 2004; Jensen 1982).

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Abbildung 3.1 illustriert die beiden Auffassungen von lexikalischer Kategorisierung:

Abb. 3.1 Die beiden möglichen Ansätze zur Defi nition lexikalischer Kategorien

Die Pfeile in dem Diagramm symbolisieren die jeweilige Bedingungsrichtung und stehen für unterschiedliche Antworten auf die Frage, welche Faktoren Einfl uss auf die lexikalische Kategorisierung nehmen:

(a´ + a´´´) Die aristotelische Sicht: Lexikalische Kategorien spiegeln Denk-kategorien wider, die wiederum Seinskategorien abbilden.

(a´´) Lexikalische Kategorien bilden – ohne Vermittlung über das Denken –Seinskategorien direkt ab.

(a´´´) Lexikalische Kategorien bilden Denkkategorien ab, während ihr Verhältnis und dasjenige der Denkkategorien zum Sein unbestimmt sind.

(b) Lexikalische Kategorien bilden grammatische Kategorien ab.

Dass die Pfeile hier nur in Richtung des Sprechens bzw. des Lexikons zeigen, impliziert nicht, dass nicht auch umgekehrt das Lexikon auf die Grammatik bzw. das Sprechen auf das Denken einwirken könnte. Dies wird unten noch deutlich werden, wenn es um Statik und Dynamik im Lexikon geht. Die Pfeile, die das Verhältnis zwischen Sein, Sprechen und Denken bezeichnen, deuten unterschiedliche Varianten ontologisch-konzeptualistischer Ansätze an.

Den in Abbildung 3.1 illustrierten Ansätzen liegt die Annahme zugrunde, dass die Struktur des Lexikons von Faktoren motiviert ist, die außerhalb seiner liegen. Diese Annahme scheint mir von allen geteilt zu werden, ja geteilt werden zu müssen, die überhaupt nach Kriterien lexikalischer Kategorisierung fragen. Dies ist auch dann der Fall, wenn „nur“ ein deskriptives Anliegen verfolgt und damit die festgestellte Struktur als Aspekt der Beschreibung und nicht

Lexikon Grammatik

grammatische Ansätze

ⓐ Ontologisch-konzeptuelle Ansätze nehmen Bezug auf das VerhältnisSprache–Denken–Sein.

ⓑ Grammatische Ansätze nehmen Bezug auf das VerhältnisLexikon–Grammatik(in einem weiten Sinn).

ontologisch-konzeptuelleAnsätze

ⓐ` ⓐ``

ⓐ```

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des Beschriebenen betrachtet wird. Wenn also die Kriterien zur Defi nition der Kategorien nicht im Lexikon selbst begründet sein können, dann kommen als Herkunftsbereiche entweder außersprachliche oder sprachinterne, aber nicht-lexikalische Domänen in Frage. Was letztere betrifft, ist die Grammatik der komplementäre Gegenpart zum Lexikon (s. o. 2.5), auf den sich grammatische Kategorisierungsansätze dann auch in unterschiedlichen Weisen beziehen. Mögliche außersprachliche Korrelate lexikalischer Kategorien sind hingegen Denken/Kognition und Sein.

Damit scheinen mir auf einer ersten Ebene, die Differenzierungsmöglichkei-ten erschöpft. Dieser Feststellung widerspricht weder die Tatsache, dass jede der beiden Grundauffassungen in einer Reihe von nicht immer miteinander zu vereinbarenden und weiter unten noch zu diskutierenden Varianten vertreten wird, noch die Existenz von Mischformen, wie z. B. des schulgrammatischen Ansatzes, der Elemente beider Grundauffassungen verbindet. Es ist allerdings offensichtlich, dass bei Mischklassifi kationen die Konsistenz und die Stringenz der Kategorisierung zu überprüfen ist, in welcher Hinsicht die klassische Wort-artenlehre ja auch tatsächlich häufi g kritisiert worden ist.

Stellt man ontologisch-konzeptualistische und grammatische Ansätze einan-der in dieser Form gegenüber und sucht dann nach ihren jeweiligen theoretischen Wurzeln, so stößt man in beiden Fällen auf die frühesten Werke, die in der westlichen Tradition der Sprachwissenschaft für die Erforschung lexikalischer Kategorien überhaupt von Bedeutung geworden sind, nämlich die Platonischen Dialoge und vor allem die Schriften Aristoteles’. Bevor also im Folgenden gram-matische (3.3) und ontologisch-konzeptualistische (3.4) Konzeptionen (2.2.3) im Einzelnen erörtert werden, soll gezeigt werden, dass wesentliche und bis in die Gegenwart kontrovers diskutierten Fragen bereits in den einschlägigen, der Beschäftigung mit lexikalischen Kategorien vorausliegenden Werken des Aristoteles angelegt sind (3.2).

3.2 Kategorien, Onomata und Rhemata – die aristotelischen Grundlagen des Kategoriendiskurses

Bereits in der Antike und erneut seit der Wiedergewinnung der aristotelischen Schriften für das europäische Denken ab dem 12. Jahrhundert haben die auf Platon (s. vor allem Kratylos 424a ff. und Sophistes 261c ff.) zurückgehende Analyse des Aussagesatzes und die Kategorienlehre den Diskurs über die lexikalischen Kategorien entscheidend mitgeprägt. Dies ist der Fall, obwohl sprachliche Strukturen in beiden Zusammenhängen bestenfalls indirekt und noch sehr unbestimmt thematisiert werden. Satzstruktur ebenso wie Seins- bzw.

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des Beschriebenen betrachtet wird. Wenn also die Kriterien zur Defi nition der Kategorien nicht im Lexikon selbst begründet sein können, dann kommen als Herkunftsbereiche entweder außersprachliche oder sprachinterne, aber nicht-lexikalische Domänen in Frage. Was letztere betrifft, ist die Grammatik der komplementäre Gegenpart zum Lexikon (s. o. 2.5), auf den sich grammatische Kategorisierungsansätze dann auch in unterschiedlichen Weisen beziehen. Mögliche außersprachliche Korrelate lexikalischer Kategorien sind hingegen Denken/Kognition und Sein.

Damit scheinen mir auf einer ersten Ebene, die Differenzierungsmöglichkei-ten erschöpft. Dieser Feststellung widerspricht weder die Tatsache, dass jede der beiden Grundauffassungen in einer Reihe von nicht immer miteinander zu vereinbarenden und weiter unten noch zu diskutierenden Varianten vertreten wird, noch die Existenz von Mischformen, wie z. B. des schulgrammatischen Ansatzes, der Elemente beider Grundauffassungen verbindet. Es ist allerdings offensichtlich, dass bei Mischklassifi kationen die Konsistenz und die Stringenz der Kategorisierung zu überprüfen ist, in welcher Hinsicht die klassische Wort-artenlehre ja auch tatsächlich häufi g kritisiert worden ist.

Stellt man ontologisch-konzeptualistische und grammatische Ansätze einan-der in dieser Form gegenüber und sucht dann nach ihren jeweiligen theoretischen Wurzeln, so stößt man in beiden Fällen auf die frühesten Werke, die in der westlichen Tradition der Sprachwissenschaft für die Erforschung lexikalischer Kategorien überhaupt von Bedeutung geworden sind, nämlich die Platonischen Dialoge und vor allem die Schriften Aristoteles’. Bevor also im Folgenden gram-matische (3.3) und ontologisch-konzeptualistische (3.4) Konzeptionen (2.2.3) im Einzelnen erörtert werden, soll gezeigt werden, dass wesentliche und bis in die Gegenwart kontrovers diskutierten Fragen bereits in den einschlägigen, der Beschäftigung mit lexikalischen Kategorien vorausliegenden Werken des Aristoteles angelegt sind (3.2).

3.2 Kategorien, Onomata und Rhemata – die aristotelischen Grundlagen des Kategoriendiskurses

Bereits in der Antike und erneut seit der Wiedergewinnung der aristotelischen Schriften für das europäische Denken ab dem 12. Jahrhundert haben die auf Platon (s. vor allem Kratylos 424a ff. und Sophistes 261c ff.) zurückgehende Analyse des Aussagesatzes und die Kategorienlehre den Diskurs über die lexikalischen Kategorien entscheidend mitgeprägt. Dies ist der Fall, obwohl sprachliche Strukturen in beiden Zusammenhängen bestenfalls indirekt und noch sehr unbestimmt thematisiert werden. Satzstruktur ebenso wie Seins- bzw.

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Denkstruktur geraten bei Aristoteles ins Blickfeld als Aspekte des Verhältnisses zwischen Sprechen, Denken und Sein, das Aristoteles am Anfang der Herme-neutik als Abhängigkeitsverhältnis bestimmt:

Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme Symbole für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und unsere schriftlichen Äußerungen sind wiederum Symbole für die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme. Und wie nicht alle Menschen mit denselben Buchstaben schreiben, so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache. Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen ist, sind bei allen Menschen dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (see-lischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind, für alle dieselben. (Herm 1, 16 a 3 ff.)

Sprachliche Äußerungen symbolisieren demnach also Gedanken, die wiederum die „Dinge“ abbilden, die der menschlichen Seele „widerfahren“. Damit ist klar, dass die ontische Ebene als die bestimmende gedacht ist, die durch die Gedanken abgebildet wird. In einem linguistischen Kontext entscheidender ist wohl noch, dass auch im Verhältnis zwischen Denken und Sprechen ersteres als primär betrachtet wird.

Damit treten in der zitierten Stelle zwei für Aristoteles charakteristische Züge zutage: eine vom Sein her konzipierte Korrespondenztheorie einerseits und ein Universalismus andererseits, auf den sich bis heute Vertreter unterschiedlichster linguistischer Schulen von der Generativen Grammatik bis zur diskursfunktio-nalen Linguistik berufen. Für die Beschäftigung mit lexikalischen Kategorien wird später noch zu prüfen sein, ob die Kategorien im aristotelischen Sinne universalsprachlicher oder einzelsprachlicher Natur sind, ob sie der Ebene der Sprache oder derjenigen je einer (Einzel-)Sprache angehören.

Da er in einem direkten Zusammenhang mit der gerade erwähnten Korre-spondenzauffassung steht, sind bereits hier einige kurze Bemerkungen zum aristotelischen Universalismus angebracht. Für alle Menschen sind dem-nach – im Prinzip und wenn man davon absieht, dass je zwei Menschen auf-grund ihrer Lebensumstände niemals identische Wahrnehmungen haben wer-den – dieselben Dinge gegeben. Durch die Sinne „widerfahren“ diese Dinge der menschlichen Seele, die sie in Form von Gedanken abbildet. Auch dies erfolgt bei allen Menschen prinzipiell in der gleichen Weise. Die Gedanken wiederum werden durch das Sprechen symbolisiert.

Nun hebt aber Aristoteles die offensichtliche Tatsache hervor, dass nicht alle Menschen in gleicher Weise, d. h. die gleiche Einzelsprache, sprechen (und schreiben). Das bedeutet, dass die Gedanken in unterschiedlicher Weise, in unterschiedlichen Sprachen eben, zum Ausdruck gebracht werden können, wenngleich die seelischen Widerfahrnisse als Abbilder der Gegenstände für alle die gleichen sind. Damit wird aber eine zweite, an der zitierten Stelle implizit bleibende Unterscheidung wichtig: die zwischen wahrem und falschem oder den Dingen unangemessenem Sprechen. Wenn Aristoteles also ausführt, dass

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4 Ich folge, was die beiden im gegenwärtigen Zusammenhang zentralen Texte angeht, bei der nicht überall unproblematischen (vgl. Oehler 1997: 215) Übersetzung der aristotelischen Termini grundsätzlich der in der Akademieausgabe geübten Redewei-se (Aristoteles Kategorien; Oehler 1997a,b; Aristoteles Hermeneutik; Wiedemann 2002a,b). Dies gilt, wie gesagt, im Grundsatz, von dem in den Fällen explizit abge-wichen werden muss, wo terminologische Entscheidungen unmittelbare Folgen für die Sicht auf die hier verhandelten Probleme lexikalischer Kategorisierung haben.

5 Zu Aristoteles’ Zeichenmodell vgl. Oehler 1997b: 250 ff.6 Die Beispiele entstammen der Kategorienschrift (Kat 4, 1 b 25 ff.).7 Vgl. Oehler 1997b: 254 für eine an das semiotische Dreieck von Ogden/Richards

(1923) angelehnte Darstellung der Verhältnisse.

die sprachlichen Äußerungen die Gedanken symbolisieren, die wiederum das Seiende abbilden, so meint er hier ausschließlich und unausgesprochen die wahren bzw. die den Dingen angemessenen Äußerungen und keineswegs etwa Behauptungen wie Der Kreis ist eckig oder Nomina wie weißer Rappe.

Auf der Basis dieser Annahmen, stellt Aristoteles eingangs der Kategorien-schrift eine fundamentale Zweiteilung innerhalb der Domäne des Sprachlichen fest:

Die sprachlichen Ausdrücke werden teils in Verbindung, teils ohne Verbindung ge-äußert. Beispiele für solche in Verbindung sind „Mensch läuft“, „Mensch siegt“; für solche ohne Verbindung „Mensch“, „Rind“, „läuft“, „siegt“. (Kat 2, 1 a 17 ff.)

Sprachliche Ausdrücke4 werden also einer von zwei verschiedenen strukturel-len Arten zugeordnet: Zu den ersteren gehören die komplexen Ausdrücke, vor allem, aber nicht nur, Aussagesätze mit den syntagmatisch aufeinander bezoge-nen Komponenten Onoma und Rhema. Zu den „ohne Verbindung geäußerten“ Ausdrücken zählt ausschließlich das,

was genau einer Kategorie angehört. Jeder einfache Ausdruck läßt sich nach Aristoteles also genau einer Kategorie zuordnen, während die zusammengesetzten Ausdrücke mehreren Kategorien zugeordnet werden können. (Oehler 1997: 215)

Hier wird deutlich, dass für das Parallelverhältnis Sprache–Denken–Sein nicht die sprachliche, sondern die ontische Struktur als das grundlegende Moment be-trachtet wird. Denn welche Ausdrücke als „ohne Verbindung“ (einfach) oder als „in Verbindung“ (komplex) geäußert gelten, hängt nicht von ihrer grammatischen Struktur ab, sondern von der Struktur des Seienden, das sie bezeichnen.5 Ebenso wie Mensch und Pferd gehören somit die phrasalen deutschen Übersetzungen zwei Ellen lang und des Lesens und Schreibens fähig6 der altgriechischen Ein-Wort-Formen zu den einfachen Ausdrücken, da sie ja die gleichen Signifi kate haben (sollen) wie ihre Bezugswörter. Abbildung 3.2 veranschaulicht die von Aristoteles gemeinten Verhältnisse:7

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Abb. 3.2: Das Verhältnis Sprechen–Denken–Sein bei Aristoteles (Herm, Kat): einfache vs. komplexe Ausdrücke – „seelische Wiederfahrnisse“ – Entitäten)

Die Kategorienschrift und die Hermeneutik stehen nun insofern in einem kom-plementären Verhältnis zueinander (s. auch Oehler 1997: 245), als erstere die Beziehung sprachlicher Ausdrücke zu kategorial einfachen Entitäten behandelt (vgl. Abb. 3.2, linke Spalte), während es in letzterer um das Verhältnis zwischen Aussagesätzen, als den Ausdrücken, die wahr oder falsch sein können, und kate-gorial komplexen Seienden geht, auf die sie bezogen sind (vgl. Abb. 3.2, rechte Spalte). Onomata und Rhemata fi nden innerhalb dieses Rahmens als aufeinander bezogene Komponenten komplexer Ausdrücke vom Typ des Aussagesatzes ihren Platz; sie stellen also selbst Typen von Ausdrücken dar.

Die Unterscheidung zwischen einfachen und komplexen Einheiten und die darauf beruhende Zweiteilung der Betrachtung sprachlicher Ausdrücke, die Aristoteles auf der Ebene des Seienden begründet sieht, weist eine gewisse Ähnlichkeit zu derjenigen auf, die in Kapitel 2 mit Bezug auf Sprache getrof-fen wurde. Dort wurde dem Lexikon als Domäne der – in einem noch näher zu bestimmenden Sinne – einfachen sprachlichen Elemente die Grammatik gegen-übergestellt als Domäne der Regeln, Prinzipien, Beschränkungen und/oder Kon-struktionen, gemäß deren diese einfachen Elemente miteinander zu Komplexen zu verknüpfen sind. Eine Parallele ist besonders darin zu sehen, dass Aristoteles den (kategorial) einfachen Ausdrücken die (kategorial) komplexen Ausdrücke in ihrer Gesamtheit gegenüberstellt, innerhalb deren er dann drei unterschiedliche Subtypen unterscheidet: Wörter, wie Schimmel (= weißes Pferd), Wortgruppen,

Entitäten,die kategorial

einfach sind(„Dinge“)

Entitäten, dieVerbindungenkategorial einfacherEntitäten sind

einfache Aus-drücke, die „ohne

Verbindung“geäußert werden

komplexe Aus-drücke, die „ohneVerbindung“geäußert werden

„seelische Wider-fahrnisse“

kategorial ein-facher Entitäten

„seelische Wider-fahrnisse“kategorial kom-plexer Entitäten

bil

den

ab

sym

bo

lisi

eren

bil

den

ab

sym

bo

lisi

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wie weißer Mensch, und Sätze, wie Jeder Mensch ist weiß. Allerdings ist schon hier zu betonen, dass nur ein oberfl ächliches Verständnis des aristotelischen Be-griffs der Einfachheit einige Autoren vorschnell dazu veranlasst haben könnte, Aristoteles’ „ohne Verbindung geäußerte“ Ausdrücke mit den Wörtern bzw. den lexikalischen Einheiten zu identifi zieren (vgl. 3.2.1.1).

Die Parallele zwischen der Unterscheidung zwischen „in Verbindung“ und „ohne Verbindung“ geäußerten Ausdrücken und meiner oben getroffenen Ge-genüberstellung von Lexikon und Grammatik besteht darin, dass sowohl für die „ohne Verbindung“ geäußerten Ausdrücke als auch für die lexikalischen Einheiten gilt, dass sie – allerdings in unterschiedlichem Sinne – einfach sind. Zu den „in Verbindung“ geäußerten Ausdrücken gilt ebenso wie für die grammatischen Einheiten, dass hierzu alle – wiederum im je spezifi schen Sinn – komplexen Ausdrücke gehören, von der einfachen Wortgruppe bis hin zum Text oder Diskurs. (Vgl. hierzu Oehler 1997b: 214 f.)

Die aristotelische Kategorienlehre ist ebenso als Bezugspunkt und Quelle für Konzeptionen der lexikalischen Kategorisierung herangezogen worden wie die Aussagenanalyse der Hermeneutik und insbesondere deren Begriffe Onoma und Rhema. Zunächst wird deshalb im Folgenden die Bedeutung der Kategorienlehre einerseits und der Aussagenanalyse andererseits für unterschiedliche Ansätze zur Defi nition lexikalischer Kategorisierung herausgearbeitet. Anschließend wird die Frage gestellt, ob diese beiden Elemente des aristotelischen Denkens für den Zweck der Begründung einer Theorie lexikalischer Kategorisierung miteinander vereinbar sind.

3.2.1 Ontische Kategorien und lexikalische Kategorien

Nachdem er den Ausdrücken, die „in Verbindung“ geäußert werden, diejenigen gegenüber gestellt hat, die „ohne Verbindung“ geäußert werden (Kat 2, 1 a 17 ff.), unterteilt Aristoteles die letzteren in zehn Klassen, die wiederum (s. o. Abb. 3.2) die Typen der durch die Ausdrücke bezeichneten Entitäten widerspiegeln:

Von dem, was ohne Verbindung geäußert wird, bezeichnet jedes entweder eine Substanz oder ein Quantitatives oder ein Qualitatives oder ein Relatives oder ein Wo oder ein Wann oder ein Liegen oder ein Haben oder ein Tun oder ein Erleiden. Um es im Umriß zu sagen, Beispiele für Substanz sind Mensch, Pferd; für Quantitatives: zwei Ellen lang, drei Ellen lang; für Qualitatives: weiß, des Lesens und Schreibens kundig; für Relatives: doppelt, halb, größer; für Wo: im Lyzeum, auf dem Marktplatz, für Wann: gestern, voriges Jahr; für Lage: es ist aufgestellt, sitzt; für Haben: hat Schuhe an, ist bewaffnet; für Tun: schneiden, brennen; für Erleiden: geschnitten werden, gebrannt werden.

Nichts von dem Genannten wird für sich in einer Aussage gesagt, sondern durch die Verbindung von diesem untereinander entsteht eine Aussage. (Kat 4, 1 b 25 ff.)

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Aristoteles betrachtet also einfache sprachliche Elemente als solche, die außer-halb komplexer Verbindungen stehen und eine Bedeutung haben. Anders als noch in der Topik (Kap. 9), in der die Kategorien unmissverständlich als Arten der Prädikation aufgefasst sind,8 werden sie in der Kategorienschrift „in einer Weise präsentiert, daß sie sowohl Subjekte wie Prädikate umfassen“ (Oehler 1997b: 248). Es sind diese einfachen Ausdrücke, die aufgrund ihrer Beziehung zu den durch sie (indirekt9) bezeichneten Gegenständen einer von zehn Kate-gorien zugeordnet werden können:

Hinreichend deutlich belegt durch den Text ist, daß die Kategorienunterscheidung in der K a t e g o r i e n s c h r i f t verstanden ist als eine Einteilung der ὄντα (vgl. 2. 1 a 20), d. h. der Dinge. (Oehler 1997b: 249; Hervorhebung des Autors)

Die Kategorienlehre defi niert Klassen einfacher Ausdrücke, die außerhalb jedes syntaktischen Kontexts stehen, mit Bezug auf Klassen von Seienden. Diese Beschreibung legt es nahe, das Potenzial dieser Auffassung vom Verhältnis Spra-che und Sein für eine Lösung des Problems der lexikalischen Kategorisierung ernsthaft zu prüfen.10 Denn dieses stellt sich ja, wie oben ausgeführt, in Form der Aufgabe, die Struktur des Lexikons und dessen Unterteilung in Klassen le-xikalischer Einheiten als durch Kriterien bestimmt zu betrachten, die außerhalb des Lexikons liegen.

Tatsächlich gibt es bereits seit dem 12. Jahrhundert in der Scholastik ent-sprechende Versuche,

[...] der Grammatik mit Hilfe der aristotelischen Logik beizukommen. [...] Von allen Teilen der Grammatik eigneten sich aber am meisten die sogenannten partes orati-onis, die Redeteile oder Wortarten, für eine logische Untersuchung [...] Wenn die von Aristoteles, d e m philosophus, aufgestellten zehn allgemeinsten Denkbegriffe [...] stimmten, und das stand fest, dann mußten sie sich in deren Wortklassen aus-prägen, wie sie die andere Autorität – Priscianus – überlieferte (Arens 1969: 42 f.; Hervorhebungen des Autors).

8 Oehler führt hierzu aus: Der Ausdruck κατεγορἱαι hat hier [d. h. in der Topik] noch nicht seine technische Bedeutung. κατεγορεἷν hat die Bedeutung von „etwas aussagen = prädizieren“, entsprechend heißt κατεγορἱα hier noch Prädikat beziehungsweise Prädizierung, hat also noch „die gewöhnliche, auf den Satz oder das Urteil bezogene Bedeutung“ (Kapp 1968: 240, zitiert nach Oehler 1997b: 245).

9 Wie oben in Abb. 3.2 und den Erläuterungen dazu verdeutlicht, beziehen sich sprachli-che Ausdrücke für Aristoteles nicht direkt auf Gegenstände, sondern sie symbolisieren Gedanken, die wiederum als „seelische Widerfahrnisse“ Gegenstände abbilden.

10 Für die Kategorienlehre in ihrer ursprünglichen Form gilt dies nicht im gleichen Maße. Solange die Kategorien, wie noch in der Topik, als Arten von Prädikaten, d. h. also als Weisen, in denen von Dingen Eigenschaften ausgesagt werden können, begriffen werden, sind sie gerade nicht „ohne Verbindung geäußerte“, einfache Ausdrücke, sondern syntaktisch als Satzteile defi niert. (Zu den Stadien der aristotelischen Kate-gorienlehre vgl. Oehler 1997a; 96 ff. und 1997b: 248 f.).

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Für die Scholastiker stellt sich also nicht die Aufgabe, Arten des Seienden und Arten sprachlicher Ausdrücke jeweils (neu) zu defi nieren oder auch nur über-kommende Ansätze in ihrer Geltung zu überprüfen. Als Denker des vorkritischen Mittelalters muss es für sie darum gehen, die Korrespondenz zwischen den für sie autoritativ von Priscian beschriebenen Redeteilen und den ebenso autoritativ von Aristoteles unterschiedenen Denkbegriffen (die, wie dargestellt, Arten von Entitäten abbilden) aufzudecken und zu explizieren. Dieser Aufgabe hatten sich aus guten Gründen weder Aristoteles noch Priscian gewidmet.

Aristoteles war an linguistischen Fragen der Klassifi kation von Ausdrücken unter rein sprachlichen Gesichtspunkten nicht interessiert. Für den Alexand-riner Philologen Dionysios, dessen Klassifi kation in Priscians Werk tradiert wird, bedurften die Grundzüge der aristotelischen Ontologie keiner weiteren Begründung. Überhaupt war sein Anliegen wie das seiner Nachfolger primär didaktischer, nicht theoretischer Art, und schließlich diente ihm das ontologische Unterscheidungskriterium nur als eines von mehreren neben dem Bezug auf die Syntax und die Morphologie. So folgen die Scholastiker dann Aristoteles, wenn sie von einem Primat des Denkens ausgehen und danach fragen, in welcher Weise die Redeteile die Kategorien widerspiegeln.

Bis in die neuere Zeit wurden die lexikalischen mit den aristotelischen Ka-tegorien in Verbindung gebracht. Zunächst Trendelenburg (1846) und später Benveniste (1974) unterstellen Aristoteles jedoch, dass seine Kategorienunter-scheidung primär Strukturen seiner eigenen (griechischen) Sprache refl ektiere, die er dann intuitiv und zwangsläufi g auf seine Auffassung von Denk- und Seinsstrukturen übertragen habe. Die ausdrückliche Ableitung des umgekehrten Bedingungsverhältnisses stelle demgegenüber einen sekundären Schritt dar, einen Rück-Schritt gewissermaßen:

Aristoteles legt so die Gesamtheit der Prädikate fest, die man dem Sein zusprechen kann, und sein Ziel ist es, den logischen Status eines jeden zu defi nieren. Es scheint uns jedoch [...], daß diese Unterscheidungen in erster Linie Kategorien der Sprache sind und daß Aristoteles faktisch, in absoluten Maßstäben denkend, einfach be-stimmte Grundkategorien der Sprache, in der er denkt, wiederfi ndet.

(Benveniste 1974: 80).

An dieser Stelle, deren Anliegen ja nicht eine fundierte Aristoteles-Exegese ist, muss nicht darüber entschieden werden, ob Benvenistes kritische Interpretation zu rechtfertigen ist.11 Es lässt sich jedoch danach fragen, ob die Kategorien der Kategorienschrift überhaupt in eine plausible Beziehung zu lexikalischen Kategorien zu setzen sind, auch wenn dies Aristoteles selbst, wie gesagt, nicht tut. Nur dann wäre eine ontologische Motivation lexikalischer Strukturen im

11 Für Oehler (1997a: 94 f.), der diese Frage kurz erörtert, ist sie es nicht. Zum gleichen Ergebnis kommt Bonitz (1967) mit Bezug auf Trendelenburg (1946), der rund ein Jahrhundert vor Benveniste einen ähnlichen Vorschlag wie dieser gemacht hat.

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aristotelischen Sinne eines Parallelverhältnisses zwischen Sein, Denken und Sprechen auf dieser Basis denkbar.

Einen ersten Hinweis geben die von Aristoteles angeführten Beispiele, die er zur Konkretion der zehn Klassen „ohne Verbindung geäußerter“ Ausdrücke anführt, wenn man sie ins Deutsche überträgt.12 In der Übersetzung fi ndet man dann Wörter wie Mensch und Pferd, die sich auf Substanzen beziehen, die Fügung zwei Ellen lang als Beispiel für einen Quantitatives bezeichnenden einfachen Ausdruck. Des Lesens und Schreibens mächtig bezeichnet demnach eine Eigenschaft (Qualität).

Als oben (2.5) erörtert wurde, was Einheiten des Lexikons als solche auszeichne, erschienen sie u. a. als „einfache“ sprachliche Elemente. Worin genau diese Einfachheit besteht, musste dort noch offen gelassen werden. In der Kategorienschrift begegnen wir nun erneut als „einfach“ charakterisierten Ausdrücken, und so ist es nicht abwegig zu fragen, ob diese etwa mit den hier zu untersuchenden lexikalischen Einheiten zusammenfallen könnten und auf diese Weise die im Zusammenhang mit ihrer Defi nition noch ausstehende Ex-plikation des Begriffs Einfachheit zu leisten wäre. Für Aristoteles, das legen bereits seine Beispiele nahe, ist der Maßstab, an dem sich Einfachheit bemisst, kein sprachlicher, sondern ein ontologischer. Die entsprechende Stelle der Ka-tegorienschrift (Kat 4, 1 b 25 ff.) ist demnach so zu lesen, dass etwa des Lesens und Schreibens mächtig zwar syntaktisch komplex, jedoch insofern einfach ist, als sich der Gesamtausdruck auf eine kategorial einfache Entität bezieht.

Die sprachlichen Einheiten, die demgemäß Kategorien zugeordnet werden können, sind also nicht die Wörter einer Sprache, sondern alle Ausdrücke, mittels deren, ungeachtet ihrer grammatischen Zusammensetzung, Entitäten bezeich-net werden, die einer einzigen Kategorie angehören. Wenngleich die Frage, welche sprachlichen Einheiten als Elemente des Lexikons zu betrachten sind, unter Linguisten durchaus strittig ist, dürfte doch weitgehende Einigkeit darü-ber herrschen, dass Wortgruppen wie die oben zitierten im Allgemeinen keine lexikalischen Einheiten darstellen und damit auch nicht als Ganze lexikalischen Kategorien zuzuordnen sind. Dies dürfte generell für diejenigen grammatisch komplexen Ausdrücke gelten, die nicht den Phraseologismen oder anderen Ty-pen verfestigter Fügungen angehören, sondern okkasionell gebildet sind, und deren Gesamtbedeutung kompositional, d. h. nach syntaktischen Regeln aus der Bedeutung der Teile, ableitbar ist.

Während also nicht alle „ohne Verbindung geäußerten“ Ausdrücke, auch in lexikalischer Hinsicht einfach sind, weist Oehler umgekehrt darauf hin, dass nicht

12 Da für Aristoteles die Dinge ebenso universell gegeben sind wie ihre „seelischen Widerspiegelungen“ und da die einfachen Ausdrücke als solche nicht sprachstruk-turell, sondern über ihren Bezug auf kategorial einfache Dinge bestimmt sind, ist es für den aristotelischen Gedankengang im Grunde unerheblich, welcher Sprache die Beispiele entnommen werden.

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einmal alle Ausdrücke, die intuitiv als Wörter und typische Fälle lexikalischer Einheiten charakterisierbar sind, im Rahmen der aristotelischen Konzeption als einfach gelten können:

In diesem [aristotelischen; T.W.] Sinne sind auch Wörter zusammengesetzt, deren sprachliche Form zwar einfach, deren Bedeutung aber auf mehrere Kategorien ver-teilt sind: Schimmel: = weißes Pferd, Heu: = getrocknetes Gras etc.

(Oehler 1997b: 214)

Aus diesen Feststellungen folgt bereits, dass Aristoteles’ einfache Ausdrücke nicht mit den lexikalischen Einheiten einer Sprache identisch sein können. Damit kommen aber für uns auch die zehn Kategorien der Kategorienschrift nicht als ontische Korrelate lexikalischer Kategorien in Betracht. Dieser Schluss wird auch bestätigt, wenn man den Versuch unternimmt, die aristotelischen mit ent-sprechenden lexikalischen Kategorien zu korrelieren, wie dies etwa Benveniste tut (Abb. 3.3):13

13 Benvenistes, in Abbildung 3.3 wiedergegebene Sicht entspricht weitestgehend der Darstellung Trendelenburgs (1846; zitiert nach Oehler 1997a: 66).

Abb. 3.3: Aristotelische Kategorien vs. „Begriffe der Sprache“ auf der Basis des Alt-griechischen (nach Benveniste 1974: 85)

Mehrere Aspekte sind im Lichte dieser Gegenüberstellung auch unabhängig davon hervorzuheben, in welcher Richtung man ein Motivationsverhältnis zwischen den beiden Domänen sehen möchte:

aristotelische Kategorien

sprachliche Kategorien des Altgriechischen (nach Benveniste)

Substanz SubstantivQuantität von Pronomen abgeleitete

AdjektiveQualität von Pronomen abgeleite-

tee AdjektiveRelation Adjektive des VergleichsOrt Adverbien des OrtsZeit Adverbien der ZeitSich-in-einer-Lage-Befi nden

Medium

In-einem-Zustand-Sein PerfektTun AktivErleiden Passiv

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Erstens wird nach Benveniste nicht jede lexikalische Kategorie durch genau eine aristotelische Kategorie widergespiegelt. Vielmehr „verteilt“ er die zehn Kategorien über die vier Haupt-Redeteile Substantiv, Verb, Adjektiv und Adverb, indem er diese mit Ausnahme der Substantive mal nach semantischen, mal nach grammatischen Kriterien in mehrere Unterarten ausdifferenziert. Diese Analyse sprachlicher Kategorien erscheint gezwungen, und man mag kaum glauben, dass jemand, und schon gar nicht Aristoteles, zum gleichen Ergebnis gekommen wäre, dem es nicht ausdrücklich um eine Parallele zu den Seinsarten der Kategorien-schrift gegangen wäre. Doch auch wenn man Benvenistes Gegenüberstellung als Versuch liest, das Verhältnis zwischen den aristotelischen Kategorien und den (Haupt-)Wortarten – etwa im Sinne der Scholastiker – so gut es geht zu explizieren, dann tritt dabei in aller Deutlichkeit hervor, dass dieses Unterfangen nicht zu einem plausiblen Ergebnis führen kann.

Zweitens wird durch Benvenistes Ausführungen deutlich, dass die aris-totelischen Kategorien, wenn überhaupt, nur mit so genannten offenen oder lexikalischen Wortklassen in Verbindung gebracht werden können. Während sich darüber hinaus vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt sehr wohl die Frage stellt, aufgrund welcher Kriterien sich der geschlossene Teil des Lexikons Kategorien zuordnen lässt, ist dies für Aristoteles im Zusammenhang der Ka-tegorienlehre völlig unerheblich. Konjunktionen und andere Partikel etwa, die er im 20. Kapitel der Poetik behandelt, besitzen für Aristoteles keinen Bezug zu Seiendem und daher auch keinen kategorialen Status.

Am Ende dieser Ausführungen zur Kategorienlehre des Aristoteles und zu ihrer Relevanz für die Bestimmung lexikalischer Kategorien, lässt sich folgen-des Fazit ziehen:

Der Versuch, die Differenzierung des Lexikons als Widerspiegelung onti-scher Strukturen aufzufassen, ist im Prinzip plausibel. Dies sollte oben durch Abbildung 3.1 und die folgenden, darauf bezogenen Ausführungen deutlich gemacht werden.

Aristoteles’ Kategorienlehre, z. B. in von Benveniste vorgeschlagenen Form, eignet sich jedoch nicht für die Grundlegung einer Defi nition lexikalischer Ka-tegorien. Dies war im Übrigen auch gar kein Anliegen des griechischen Philo-sophen. Eine ontologische Begründung müsste also in anderer Weise erfolgen, um Aussicht auf Erfolg zu haben.

In Hinsicht auf die Klassifi kation sprachlicher Ausdrücke (einfache vs. kom-plexe) ist der Ansatz der Kategorienschrift ein ontologischer, der von einer Korrespondenz zwischen Sein, Denken und Sprechen ausgeht. Das Verhältnis von Sprechen und Sein ist bei Aristoteles als indirektes, d. h. über das Denken vermitteltes, gedacht (Herm 1, 16 a 4 ff.; s. o. Abb. 3.2). Damit zeichnet sich für eine Begründung sprachlicher Strukturen im Allgemeinen und der hier im Zentrum stehenden lexikalischen Strukturen im Besonderen die Möglichkeit eines alternativen Vorgehens ab, das einerseits auf der Linie der aristotelischen

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Konzeption liegt, indem es Sprache ins Verhältnis zu Nicht-Sprache setzt. Wenn man jedoch in diesem Rahmen die Annahme der Korrespondenz zwischen Sein und Denken aufgibt und das Verhältnis zwischen diesen beiden Domänen zumindest als ungeklärt betrachtet, treten Kategorien des Denkens, kognitive Kategorien, als mögliche Korrelate für Strukturelemente des Lexikons hervor, wie es in Abbildung 3.4 skizziert ist:

14 Noch im 18. Jahrhundert stellt Gottscheds ontologische Unterscheidung der Redeteile eine etablierte Auffassung dar (Gottsched 1978; zitiert nach Gardt 1999: 182).

Abb. 3.4: Grundannahmen kognitiver Ansätze einer Theorie lexikalischer Kategorisierung

Während in der neueren Literatur ontologisch begründete Konzeptionen lexi-kalischer Kategorisierung nur in Rudimenten zu fi nden sind14 – etwa wenn im Schulunterricht von Ding-, Tu- und Eigenschaftswörtern die Rede ist –, sind kognitive bzw. semantische Ansätze in unterschiedlichen Varianten und z. T in Verbindung mit anderen Unterscheidungskriterien vorgelegt worden. Bevor diese Vorschläge einer näheren Betrachtung unterzogen werden, ist hier aber noch auf einen zweiten Themenkreis aus dem Werk des Aristoteles einzugehen, der für die Erforschung lexikalischer Kategorien mindestens ebenso wichtig ist wie die Kategorienlehre: die Satzanalyse der Hermeneutik.

3.2.2 Onomata, Rhemata und lexikalische Kategorien

In der Kategorienschrift betrachtet Aristoteles einzelne kategorial einfache Ausdrücke, die sich auf einzelne kategorial einfache Entitäten beziehen. Die-ses domänenübergreifende Verhältnis der isolierten sprachlichen Einheiten zu ihren ontischen Signifi katen ist gänzlich unabhängig gedacht von ihren syntagmatischen oder paradigmatischen Beziehungen zu anderen sprachlichen

ontische Kategorien

kognitive/semantische Kategorien

lexikal ische Kategorien

reflektieren

?

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Einheiten. In der Hermeneutik kommen nun Einzelausdrücke, die sich innerhalb des Rahmens der gegenwärtigen Untersuchung als potenzielle Elemente lexi-kalischer Kategorien darstellen, aus einer anderen, nämlich der syntaktischen Perspektive ins Blickfeld.

Das Thema der Schrift ist die „teils grammatikalisch-syntaktische und teils logisch-semantische“ (Weidemann 2002a: 39) Analyse des Aussage- oder Be-hauptungssatzes. Ein Behauptungssatz ist ein solcher „in Verbindung geäußerter“ Ausdruck, der wahr oder falsch ist (Herm 4, 17 a 3 f.). Er kann in der Form des einfachen Satzes oder des Satzgefüges auftreten. Ein einfacher Aussagesatz ist ein Wortgefüge, dessen Grundbestandteile das Onoma und das Rhema sind, die hier im Kontext der Frage nach möglichen Korrelaten lexikalischer Kategorien von besonderem Interesse sind.

Dass dies so ist, liegt in einer besonderen Uneindeutigkeit dieser Termini begründet, die Arens – mit Bezug auf Platon, auf den die Unterscheidung zu-rückgeht – dazu veranlasst

diese Ausdrücke nicht zu übersetzen, da sie durch Übersetzung sogleich einen ge-nauen Sinn bekommen, den sie aber noch nicht haben: Onoma ist sowohl Nomen wie Subjekt, Rhema ist bald mehr Verbum, bald mehr Prädikat.

(Arens 1969: 9, FN b)15

Wenn man die Hermeneutik als eine Schrift betrachtet, die für die darauf folgende Geschichte der Auseinandersetzung mit lexikalischen Kategorien grundlegend geworden ist, kommt man tatsächlich nicht umhin, an dieser Stelle das Überset-zungsproblem zu refl ektieren und eine möglichst gut begründete Lösung dafür zu fi nden. Ich schließe mich im Folgenden dem Sprachgebrauch von Arens an, weil die Übersetzung von Onoma und Rhema durch Nennwort und Aussagewort (z. B. Herm 2, 16 a 19; 3, 16 b 6 nach Weidemann) bzw. durch Benennung oder Hauptwort und Zeitwort (z. B. Sophistes 262 a nach Schleiermacher) nahelegen, Aristoteles und Platon gehe es um die Klassifi kation einzelner Wörter im Gegen-satz zu Wortgruppen.16 In struktureller (jedoch nicht in funktionaler) Hinsicht erscheinen Onomata und Rhemata in der Hermeneutik jedoch als Einheiten, die, ähnlich wie die „ohne Verbindung geäußerten“ Ausdrücke der Kategorienschrift, nicht primär sprachlich, sondern mit Bezug auf ihre Signifi kate defi niert sind.

Insgesamt ist es kaum möglich, eindeutig zu entscheiden, ob der Charakter der Onomata und der Rhemata ein lexikalischer oder ein syntaktischer ist. Wenn

15 In der kanonischen Schleiermacherübersetzung lautet z. B. die zentrale Stelle 261 e/262 a im Sophistes:

Fremder: [...] Es gibt nämlich für uns eine zweifache Art von Kundmachung des Seienden durch die Stimme. / Theaitetos: Wie das? / Fremder: Das eine sind die Benennungen oder Hauptwörter, das andere die Zeitwörter.

16 Allerdings betont Weidemann (2002b: 158), dass die Wiedergabe dieser Begriffe durch Nomen und Verb der aristotelischen Verwendungsweise nicht gerecht wird.

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man sie mit einem Oberbegriff als Redeteile bezeichnet, wird dies ihrem Dop-pelcharakter durchaus gerecht. Denn Redeteil wird, zumindest im Deutschen, einerseits als Synonym für Wortart verwendet, ist aber andererseits aufgrund seiner durchsichtigen Struktur auch als „Teil der Rede“ verstehbar und lässt so den syntaktischen Aspekt des so bezeichneten sprachlichen Elements anklin-gen. Entsprechend neutrale Termini lassen sich im Deutschen für Onoma und Rhema nicht fi nden.

In der Hermeneutik fi nden sich weitere Hinweise sowohl auf die lexikalische wie auf die syntaktische Natur der beiden Satzteile. Wenn Aristoteles etwa konkrete Beispiele anführt, wie das Onoma Pferd, oder wenn er das Onoma Gesundung dem Rhema gesundet gegenüberstellt, dann lassen sich die Termini treffend im lexikalischen Sinne als Nennwort und Aussagewort wiedergeben. Auch ist ein Onoma ebenso wie ein Rhema als Ausdruck beschrieben, „der [...] etwas sagt“, d. h. wohl, eine Bedeutung hat, „wenn man ein solches Wort [isoliert; T.W.] ausspricht“ (Herm 5, 17 a 17 ff.), was wiederum einer nicht-syntaktischen Betrachtungsweise entspricht. Schließlich weist Weidemann im Hinblick auf „diese beiden Arten von Wörtern“ (Weidemann 2002: 158) darauf hin,

daß Ar. zur Bezeichnung der beiden Bestandteile eines Satzes, die in ihm die Rollen des Subjekts und des Prädikats spielen, gerade nicht die beiden Wörter verwendet, von deren lateinischen Übersetzungen die Wörter „Subjekt“ und „Prädikat“ abge-leitet sind, nämlich ὑποκεμεἱνον und κατηγορούμενον [...], sondern eben ὄνομα und ῥῆμα. (ebd.: 158 f.)

Die Rede von den Nennwörtern und Aussagewörtern erscheint hingegen eher verwirrend, wenn Aristoteles nominale Ausdrücke in obliquen Kasus (Philons (gen.) oder dem Philon) den Charakter von Onomata abspricht und sie als bloße „Abwandlungen eines Nennworts“ bezeichnet (Herm 2, 16 b 1). Der syntaktische Charakter dieser Ausdrucksklasse tritt zudem deutlich hervor, wenn Aristoteles fortfährt:

Für einen solchen Ausdruck [d. h. die Abwandlung eines Nennworts; T.W.] gilt in al-len Punkten dasselbe (wie für ein Nennwort), außer daß er zusammen mit dem Wort „ist“, dem Wort „war“ oder dem Ausdruck „wird sein“ nicht etwas Wahres oder et-was Falsches ausdrückt, was ein Nennwort hingegen stets tut. (Herm 2, 16 b 3 ff.)

Hier werden Onomata indirekt durch Abgrenzung zu Nicht-Onomata eines bestimmten Typs als Subjekte einfacher Aussagesätze und damit auch als grammatische Einheiten einer bestimmten Art bestimmt. Wenn man diese Ei-genschaft als sechste zu den fünf von Weidemann (2002b: 159) genannten und von Aristoteles zu Beginn des 2. Kapitels aufgeführten Defi nitionsmerkmalen der Onomata hinzuzählt, dann ergibt sich auch nicht die Notwendigkeit, die nicht-nominativischen Substantive mit Hilfe von durch den Text kaum belegten Zusatzannahmen doch noch als Nennwörter, wenn auch als solche in einem weiteren Sinne, zu fassen. Dies tut Weidemann, wenn er feststellt, dass

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[...] ein Substantiv für Ar. nur in der Form des Nominativs ein Nennwort im ei-gentlichen Sinne [ist]. ([...S]o dürfte auch mit der Behauptung, daß ein Ausdruck wie „Philons“ oder „dem Philon“ kein Nennwort ist [...] lediglich gemeint sein, daß ein solcher Ausdruck kein Nennwort im engeren und eigentlichen Sinne dieses Terminus ist.) (Weidemann 2002b: 171)

Die betreffende Stelle der Hermeneutik lässt sich auch so lesen, dass Onomata bei Aristoteles nicht primär als isolierte nominativische Nomina defi niert sind, was dann nämlich die Frage aufwürfe, warum diese Flexionsform gegenüber den anderen privilegiert sein sollte. Onomata scheinen dagegen zunächst als Ausdrücke verstanden, die im einfachen Behauptungssatz in einer der beiden Hauptfunktionen, der des Subjekts, auftreten, und auf Grund dieser besonderen Position einen bestimmten Kasus erfordern.

Auch die Rhemata betrachtet Aristoteles offensichtlich als syntaktisch de-fi niert, wofür spricht, dass er – dabei ähnlich vorgehend wie bei den Onomata – nicht alle fl ektierten verbalen Formen zu ihnen rechnet, sondern nur die im Präsens. Die Zeitformen des Präteritums und des Futurs bezeichnet er dem-gegenüber analog zu den „Abwandlungen eines Nennworts“ als „(temporale) Abwandlungen eines Aussageworts“ (Herm 3, 16 b 17 ff.). Wenn er das Rhema als „ein[en] die Zeit mit hinzubedeutende[n] Ausdruck“ einführt, und wenig später feststellt, dass Rhemata, „[w]erden sie für sich allein ausgesprochen“, Onomata sind17 (Herm 3, 16 b 6 und 19 f.), ist daraus der Schluss zu ziehen, dass es Rhemata für ihn außerhalb des Satzzusammenhangs nicht gibt.

Die Mitgliedschaft in den Ausdrucksklassen der Onomata bzw. der Rhemata stellt keine Eigenschaft dar, die sprachliche Ausdrücke unter Absehung ihrer syntaktischen Einbindung aufweisen. Mensch ist eben nur insofern Onoma, als es z. B. in der Form Ein Mensch Subjekt eines einfachen Satzes wie Ein Mensch ist weiß ist; und ist weiß ist Rhema nur als Prädikat dieses oder eines ähnlichen Satzes.

Die vorangehenden Ausführungen zur aristotelischen Hermeneutik lassen sich also in den folgenden zentralen Folgerungen zusammenfassen: Auf der Basis der Textlektüre sind Onomata und Rhemata nicht eindeutig mit bestimmten lexika-lischen Klassen, etwa mit den Nomina und den Verben gleichzusetzen. Ebenso wenig scheint es jedoch angebracht, die beiden Ausdrucksarten einseitig mit den syntaktischen Kategorien Subjekt und Prädikat bzw. den diese Kategorien bezeichnenden Subjekt- und Objektausdruck zu identifi zieren.

Stattdessen scheint es hier Aristoteles einerseits um Klassen von Ausdrücken zu gehen, deren Mitglieder andererseits durch ihre syntaktischen Eigenschaften

17 Angesichts dessen, was er kurz zuvor über den Status der obliquen Kasus sagt, muss angenommen werden, dass Aristoteles an Formen im Zusammenhang von Sätzen wie „Ist wahr ist ein Prädikat“ bzw. „Wahr sein ist ein Infi nitiv“ (s. Weidemann 2002b: 178 f.) denkt.

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in konkreten Satzzusammenhängen defi niert sind. Da jedoch einzelne Wörter wie Mensch oder Philon in unterschiedlichen syntaktischen Funktionen verwendet werden, ergeben sich Schwierigkeiten, etwa wenn die nicht-nominativischen Formen von Nomina aus dem Kreis der Onomata ausgeschlossen werden. Wei-demanns oben zitierte Interpretation dieser Einschränkung weist auf ein Problem oder zumindest auf eine Unklarheit bei Aristoteles hin; ob Wiedemann diese jedoch als nur scheinbare durch eine Zusatzannahme beseitigt, kann bezweifelt werden. Die Schwierigkeit, die bei Aristoteles zum ersten Mal hervortritt, ist eine prinzipielle und wird sich bei späteren Versuchen, lexikalische Kategorien auf die grammatischen Eigenschaften ihrer Elemente zurückzuführen, immer wieder ergeben.

3.2.3 Das Problem lexikalischer Kategorisierung im Licht der aristotelischen Schriften

Die Kategorienschrift und die Hermeneutik des Aristoteles wurden hier als zwei der in der Sprachwissenschaft meistrezipierten Werke vorgestellt, die sich in doppelter Hinsicht komplementär zueinander verhalten: Zum einen steht der Behandlung von Ausdrücken, die in einem spezifi schen Sinne „einfach“ sind, die Beschäftigung mit Behauptungssätzen und ihrer Struktur gegenüber und damit mit einer Unterart der im gleichen Sinne „komplexen“ Ausdrücke. Wenn man die Texte zum anderen aus dem – für Aristoteles fremden – Blickwinkel der Frage nach der Defi nition lexikalischer Kategorien liest, dann treten hier Grundzüge zweier Vorgehensweisen hervor: In der Kategorienschrift sind die einfachen wie die komplexen Ausdrücke als solche mit Bezug auf die kategori-ale Einfachheit bzw. Komplexität ihrer Signifi kate, d. h. der nicht-sprachlichen von ihnen bezeichneten „Dinge“, defi niert. Dagegen sind die Onomata und die Rhemata als Grundbestandteile des – in einer wiederum spezifi schen, hier nicht weiter erörterten Weise18 – einfachen Satzes als Ausdrücke bestimmt, die einer der beiden Klassen aufgrund ihrer syntaktischen Eigenschaften angehören.

Weder die aristotelische Satzanalyse noch die Kategorienlehre befassen sich explizit mit lexikalischen Kategorien im hier zugrunde gelegten Verständnis. Die Debatten jedoch, die um dieses Thema seit der griechischen Antike geführt wurden und werden, nehmen bis in die Gegenwart Bezug auf die oben näher betrachteten Elemente des aristotelischen Denkens. Dass diese, so wie sie in der Kategorienschrift und der Hermeneutik vorgetragen werden, kaum etwas von ihrer Relevanz eingebüßt haben, liegt nicht allein daran, dass sie bereits für sich betrachtet den Interpreten mit einer Reihe ungelöster Probleme konfrontieren.

18 Vgl. zu diesem schwierigen und offenbar nicht abschließend zu lösenden Problem den Kommentar Weidemanns (2002: 193 ff.) zu Kapitel 5 der Hermeneutik.

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Entscheidend ist vielmehr, dass gerade diese Probleme sich im Zusammenhang der Beschäftigung mit lexikalischen Kategorien aus neuen Perspektiven und in neuen Diskussionszusammenhängen in modifi zierter Form immer wieder neu stellen. Doch hat Aristoteles nicht nur eine Reihe guter Fragen mehr vorbereitet als formuliert, er hat auch den Rahmen für mögliche Antworten in einer Weise skizziert, die auch heute nicht als überholt gelten kann.

Wenn also im Folgenden unterschiedliche jüngere Ansätze einer Theorie lexikalischer Kategorisierung erörtert werden, dann lassen sich diese in den Ru-briken ontologisch-konzeptualistische und grammatische Konzeptionen einem der beiden Typen zuordnen, die bereits in der Kategorienschrift und der Herme-neutik zutage treten. Im Zuge dieser Übersicht ist auch darüber nachzudenken, ob die beiden Betrachtungsweisen echte, einander wechselseitig ausschließende Alternativen darstellen oder ob einzelne ihrer Varianten nicht doch miteinander verbunden werden können.

Für die weitere Untersuchung lexikalischer Kategorien und besonders für die kritische und systematische Darstellung der unterschiedlichen seit Aristoteles vorgelegten Konzeptionen treten im Lichte der beiden aristotelischen Texte eine Reihe von Fragen und Problemen hervor, die eine Theorie lexikalischer Kategorisierung aufgreifen muss:

(1) Nicht erörtert wurde oben, wie sich die Onomata und Rhemata der Hermeneutik zu den kategorial einfachen Ausdrücken der Kategorienschrift verhalten. Im Hinblick auf das Thema lexikalische Kategorisierung ist damit die Frage angesprochen, ob und – wenn dies zu bejahen ist – in welcher Weise ein Bestimmungsverhältnis besteht zwischen den grammatischen Eigenschaften lexikalischer Einheiten einerseits und deren Beziehung zu konzeptuellen bzw. ontischen Einheiten. So wäre z. B. – mit einem hier für die Zwecke der Illustration simplifi zierten Verständnis des Terminus Substantiv – konkret zu prüfen, ob sich Substantive auf „Dinge“ beziehen, weil sie im Satz als syntaktische Kerne von Subjekten fungieren können, oder ob es umgekehrt so ist, dass sie als syntakti-sche Kerne von Subjekten fungieren können, weil sie sich auf „Dinge“ beziehen. Die Antwort auf diese Frage oder auf ähnliche entscheidet letztlich darüber, ob einem ontologisch-konzeptualistischen oder einem grammatischen Kriterium der Vorrang für die Defi nition lexikalischer Kategorien einzuräumen ist.

(2) Aristoteles behandelt in den hier untersuchten Schriften nur die „etwas bedeutenden stimmlichen Äußerungen“ und damit die Ausdrücke, die man am ehesten den so genannten offenen Wortarten zurechnen kann; unbeachtet blei-ben u. a. die Artikel und Pronomen (athron) und die verschiedenen Typen des „Bindeworts“, zu denen er

[...] außer den Konjunktionen, welche die Teilsätze der „aufgrund einer Verknüpfung [...] einheitlichen Behauptungssätze miteinander verbinden, auch andere Partikeln [... rechnet], vgl. Poet. 20, 1456 b 38 bis 1457 a 6, Rhet III 12, 1413 b 32–34.

(Weidemann 2002b: 197)

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Da Aristoteles das Verhältnis zwischen Sein, Denken und Sprache als vom Sein her bestimmt sieht und die „Bindeworte“ kein Seiendes bezeichnen, ist seine Vorgehensweise gerechtfertigt. Wenn man jedoch, wie dies hier geschieht, die lexikalischen Einheiten insgesamt in den Vordergrund rückt und noch her-auszufi nden (und nicht bereits vorauszusetzen) ist, aufgrund welcher Kriterien sie einzelnen Kategorien zugeordnet sind, dann muss man sich auch mit den sprachlichen Einheiten befassen, die in der Hermeneutik und der Kategori-enschrift nicht thematisiert werden. Dabei ist vor allem auch zu untersuchen, ob die bei Aristoteles vorausgesetzte, und in der Grammatiktradition in einer Reihe von Varianten etablierte Zweiteilung des Lexikons gerechtfertigt ist und in welcher Weise die beiden lexikalische Bereiche gegebenenfalls voneinan-der abgegrenzt sind bzw. miteinander in Verbindung stehen. Auch hier bildet, wie in manchen anderen Fällen, die Möglichkeit einer scharfen und absoluten Unterscheidung die Alternative zu einer solchen, die den Übergang von „bedeu-tenden“ Ausdrücken zu solchen „ohne“ Bedeutung als einen mehr oder weniger fl ießenden betrachten.

(3) Befragt man die Kategorienlehre und die Satzanalyse bei Aristoteles daraufhin, wie sich die dort unterschiedenen Ausdrucksklassen plausibel auf Klassen lexikalischer Einheiten abbilden lassen, dann kommt man im ersteren Fall – wie dies oben mit Blick auf die Vorschläge von Benveniste und Tren-delenburg gezeigt wurde – zu dem Ergebnis, dass dies kaum und auch dann nur mit viel Mühe möglich ist, wenn man bereits eine bestimmte lexikalische Klassifi kation voraussetzt. Im Rahmen seiner Analyse des Behauptungssatzes differenziert Aristoteles mit den Onomata und den Rhemata vor allem unter syntaktischen Gesichtspunkten zwei Typen von Ausdrücken als Grundbestand-teile des Satzes. Im Hinblick auf mögliche lexikalische Kategorien erscheint dies, zumindest auf den ersten Blick, eine äußerst grobe Unterteilung zu sein. Zu erörtern ist also, ob grammatische Ansätze neben den beiden auf die aristo-telischen Satzteile zurückzuführenden von der Existenz weiterer lexikalischer Kategorien ausgehen müssen, oder ob es möglich ist, das Lexikon als durch den prinzipiellen Gegensatz strukturiert zu betrachten, dem die aristotelische Unterscheidung zugrunde liegt.

(4) Mit einer besonderen Schwierigkeit, die in analoger Form bereits in der Hermeutik auftritt, sehen sich grammatische Ansätze zur Defi nition lexikali-scher Kategorien konfrontiert. Das Problem ergibt sich einerseits aufgrund der Annahme, dass lexikalische Einheiten auch außerhalb syntaktischer Kontexte lexikalischen Kategorien zugeordnet sind, und andererseits aus der Tatsache, das „Instanziierungen“ sehr vieler dieser Einheiten in unterschiedlichen syn-taktischen Funktionen auftreten können. Bei Aristoteles führt dies dazu, dass Nomina in obliquen Kasus (Philons, dem Philon) aus der Klasse der Onomata ausgeschlossen werden, zu denen die entsprechenden Nominative (Philon) ge-hören. Grammatische und vor allem syntaktische Konzeptionen müssen also zu

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einer Analyse gelangen, die nicht jeder morphosyntaktisch spezifi schen Form eines Lexems einer eigenen lexikalischen Kategorie zuordnet und damit von einer unabsehbar großen Anzahl solcher Kategorien ausgeht. Unterschiedliche Wege zur Lösung dieses wohlbekannten Problems sind beschritten worden und werden unten auf ihren Erfolg hin zu überprüfen sein.

(5) Bei Aristoteles ist die Struktur der Ausdrücke, die „ohne Verbindung“ ge-äußert werden, sowie der Onomata und Rhemata ganz im Sinne der vom Sein her gedachten Korrespondenztheorie durch die Struktur der jeweiligen Signifi kate bestimmt. Deshalb ist weder jeder kategorial einfache Ausdruck auch syntaktisch einfach noch ist umgekehrt jeder syntaktisch komplexe Ausdruck auch kategorial komplex. Für Onomata und Rhemata scheint Ähnliches zu gelten. Sucht man nun, analog zum aristotelischen Vorgehen, nach nicht-lexikalischen Kriterien für die Defi nition lexikalischer Kategorien, stellt sich auch hier die Frage noch dem strukturellen Typ der lexikalischen Einheiten, die in ihrer Kategorienzuge-hörigkeit durch ihren Bezug zu ontischen bzw. konzeptuellen Kategorien oder zu syntaktischen Funktionen bestimmt sind. Lexikalische Einheiten mit Wörtern zu identifi zieren, hatte sich in Kapitel 2 bereits aus verschiedenen Gründen als problematisch erwiesen. Andererseits kommen aber auch okkasionelle aristote-lische Quantitätsausdrücke wie zwei Ellen lang nicht als lexikalische Einheiten infrage. Wenn aber die Eigenschaften, die sprachliche Elemente als lexikalische Einheiten auszeichnen, keine grammatischen sind, dann müssen es andere sein, die es noch zu bestimmen gilt.

(6) Die Kategorienschrift kann insofern als Vorbild ontologischer Ansätze zur lexikalischen Kategorisierung gelten, als sie Ausdrucksklassen mit Bezug auf Klassen von „Dingen“ defi niert. Da Aristoteles das Verhältnis zwischen Sprechen und Sein jedoch als über das Denken vermitteltes betrachtet, lässt sich dieser Ansatz als kognitiver auch dann verfolgen, wenn man erkenntnistheoretisch skeptischer ist als Aristoteles und das Verhältnis vom Denken zum Sein zumin-dest als unsicher betrachtet. Für konzeptualistische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung stehen den lexikalischen Kategorien nicht ontische, sondern kognitive Kategorien gegenüber. Die Frage nach den lexikalischen Kategorien tritt in dieser Form dann als ein spezifi scher Aspekt des für die Sprachwissen-schaft so wichtigen Verhältnisses zwischen Denken und Sprechen auf.

Nachdem die Lektüre der aristotelischen Texte dazu geführt hat, dass die am Ende von Kapitel 2 zunächst in eher allgemeiner Weise formulierbaren Fragen präzisiert werden konnten und die mit der Defi nition lexikalischer Kategorien verbundenen Probleme deutlicher hervortraten, wende ich mich im Folgenden zunächst den als grammatisch charakterisierten (3.3) und später den ontologisch-konzeptualistischen (3.4) Ansätzen zu.

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3.3 Grammatische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung

Systeme unterschiedlichster Art lassen sich durch die Angabe ihrer Elemente und der Regeln beschreiben, nach denen diese Elemente kombiniert sind oder kombiniert werden können. Systeme sind eigenständige Entitäten, sie bilden eine strukturierte Einheit ihrer Teile.

Wenn wir von „etwas“ sprechen, wenn wir „es“ mit einem Namen bezeichnen, wenn wir „es“ oder bestimmte Aspekte davon untersuchen und beschreiben, dann behandeln wir „es“ immer schon als ein Ding, als ein Objekt, das längere Zeit es selbst bleibt, dem bestimmte Eigenschaften über eine längere Zeit hinweg zukommen. Für Givón (1979: 320 f.) ist Stabilität in der Zeit (time stability) das typische Charakteristikum der Referenten von Substantiven. Wenn wir also etwas mit einem Substantiv bezeichnen, sprechen wir ihm Zeitstabilität zu, so dass wir z. B. eben jetzt und in zehn Minuten wieder von dem gleichen Gegenstand sprechen können.

Wann immer man also über Sprache oder über eine bestimmte Sprache spricht, bezieht man sich auf sie als auf ein Ding, eine Entität, die in sich komplex ist, deren Teile in unterschiedlichen Verhältnissen zueinander stehen, kurz: die eine Struktur aufweist und ein System ist. So stellt sich Sprache bzw. das sprachliche Wissen von Individuen in einer schematischen Weise als Komplex aus Lexikon und Grammatik dar, in dem die Menge der lexikalischen Einheiten den Mecha-nismen zur Verknüpfung dieser Einheiten gegenüberstehen.

Dass unsere Weise über Sprache zu reden ein ganz bestimmtes Bild von Sprache impliziert, ist noch kein Beleg für die Angemessenheit dieses Bil-des. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die im Folgenden näher betrachteten Ansätze lexikalischer Kategorisierung gemeinsam zumindest implizit davon ausgehen, dass Sprache als statisches System aufgefasst werden kann und le-xikalische Kategorien als Strukturelemente dieses Systems zu betrachten sind. Insbesondere ergibt sich aus dieser Sichtweise ein Erklärungsbedarf, sobald man Sprache nicht vom Pol der Totalität, sondern von den Einzeläußerungen individueller Sprecher her betrachtet. Spezifi sche Äußerungen, die einzelne Sprecher in bestimmten Situationen vollziehen, lassen sich nur als Produkt aus Faktoren verstehen, unter denen das sprachliche Wissen der Sprecher einer ist. Dann aber stellt sich die Frage, wie sich dieses individuelle sprachliche Wissen zur Sprache als Ganzes verhält.

Die im Folgenden dargestellten Ansätze sind Ausdruck der Auffassung, dass sich lexikalische Kategorien mit Bezug auf grammatische Eigenschaften ihrer Elemente defi nieren. Sie unterscheiden sich zunächst einmal darin, welche dieser Eigenschaften sie für die Kategorienbildung als ausschlaggebend betrachten. Hier lassen sich grob drei unterschiedliche Ebenen unterscheiden: die morpho-logische (3.3.1), die syntaktische (3.3.2) und die diskurs-funktionale (3.3.3).

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3.3.1 Morphologische Klassifi zierungen auf der Basis von Flexionseigenschaften

Der morphologische Ansatz zeichnet sich durch seine Einfachheit und die Konsequenz aus, mit der das gewählte Klassifi kationskriterium auf alle zu klassifi zierenden Einheiten angewandt wird. Von seinem Standpunkt aus sind Wortarten Klassen von Wörtern, die sich hinsichtlich der Flexionseigenschaften ihrer Elemente unterscheiden. Als solche gelten Lexeme, d. h. abstrakte Einheiten des Wortschatzes, über die nur mittels so genannter Zitierformen gesprochen werden kann. Im Deutschen sind dies für gewöhnlich der Infi nitiv der Verben bzw. der Nominativ singular für die deklinierbaren Wörter. Die Zitierform ist dabei keineswegs eine sprachlich privilegierte Ausprägung eines Lexems, sondern als Zitierform konventionell bestimmt. Nur von dem Lexem /schön/ kann man sagen, dass es fl ektierbar und z. B. hinsichtlich seines Genus fl exibel ist, während Wortformen schönes und Worttoken (Heute haben wir) schönes (Wetter) fl ektiert sind. Für das Deutsche ergeben sich auf diese Weise fünf Wortklassen (s. u. Abb. 3.5). Eine Zuordnung von Lexemen zu diesen Klassen erfolgt nach dem Muster: Wenn x konjugiert werden kann, ist x ein Verb; wenn x nicht fl ektiert werden kann, ist x eine Partikel, etc.

Abb. 3.5: Wortklassen des Deutschen nach Flexionseigenschaften

Dieser schätzenswerten Eigenschaft, die etwa schon Sütterlin (1923: 93) veranlasst, gegenüber der auf Dionysios Thrax zurückgehenden kanonischen Mischklassifi zierung auf semantische und syntaktische Unterscheidungskrite-rien explizit zu verzichten, stehen aus theoretischer Sicht allerdings eine lange Reihe Schwächen gegenüber. Gleich als erstes stellt sich die Frage, wozu diese Unterscheidung wem dienen könnte. Auf ihrer Basis ist es jemandem, der den Wortschatz des Deutschen beschreiben möchte, zwar möglich, fünf Klassen zu

Wörter

flektierbar nicht flektierbar

konjugierbar deklinierbar

mit festem Genus mit wechselndem Genus

steigerbar nicht steigerbar

Verben Substantive Adjektive „Begleiter“ „Partikel“

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19 Gleiches gilt für den Ansatz van der Elsts (1992).

bilden, die intern weiter ausdifferenziert werden können. Doch ist nicht ersicht-lich, welcher darüber hinausreichende Nutzen theoretischer oder praktischer Art sich aus dieser Aufteilung ergeben könnte und welche weiter führenden Konsequenzen sich ergeben würden. So lassen sich weder Korrelationen der Sütterlin’schen und Glinz’schen Wortarten zu anderen Aspekten der Sprachstruk-tur noch Bezüge zu außersprachlichen Strukturen erkennen, die eine in dieser Form begründete Fünfteilung des Lexikons rechtfertigen würden.19 Es spricht also nichts dafür anzunehmen, sie sei in der Struktur des Deutschen bzw. im sprachlichen Wissen von Sprechern des Deutschen verankert.

Wenn, wie das aus einer kognitiv linguistischen Perspektive generell geschieht, kognitive Einfachheit, Gestalthaftigkeit, als ein defi nierendes Merkmal lexika-lischer Einheiten angesehen wird, dann erscheint auch die Fixierung morpholo-gischer Klassifi kationen auf Wörter oder, genauer, auf Lexeme verfehlt. Dieser Einwand, der hier nicht weiter begründet werden muss, weil dies weiter oben bereits ausführlich geschehen ist, lässt sich im Übrigen gegen die meisten der im Folgenden noch zu erörternden Ansätze richten.

Über diese beiden fundamentalen Kritikpunkte hinaus sind eine Reihe von Detailproblemen, Inkonsistenzen etc. des morphologischen Ansatzes zu erwäh-nen. Während die ersten drei Klassen, Verben, Substantive und Adjektive, mit einigen weiteren Eigenschaften syntaktischer und semantischer Art korrelieren und im Übrigen zum Repertoire auch anderer Ansätze gehören, bilden bereits die von Glinz (1973) im Rahmen seiner „Fünf-Wortarten-Lehre“ so genannten „Begleiter“, wozu nach Maßgabe des morphologischen Kriteriums die schul-grammatischen Artikel ebenso zu zählen wären wie die Pronomen, eine hete-rogene Kategorie, deren Elemente über die Flexionseigenschaften hinaus keine sie von den Elementen anderer Klassen unterscheidenden Gemeinsamkeiten aufweisen. In noch höherem Maße trifft das natürlich für die „Partikel“ zu, die eine typische, rein negativ mit Bezug auf die Abwesenheit einer Eigenschaft defi nierte Reste-Kategorie darstellen und neben den Adverben u. a. Interjekti-onen, Konjunktionen und Präpositionen umfassen. Damit übergreifen sie nicht nur die Grenzen zwischen mehreren schulgrammatischen Wortarten, sondern auch die zwischen offenen und geschlossenen Wortklassen.

Indem sie mehrere traditionelle Kategorien zusammenfasst, erscheint die morphologische Klassifi kation als vereinfachte Variante der schulgrammatischen Wortartenlehre. Um das semantische und das syntaktische Kriterium reduziert, übernimmt sie jedoch deren Voraussetzungen bezüglich der Struktur der Klassen und der Arten lexikalischer Einheiten (Lexeme). Der Einfachheit und Strin-genz, die auf diese Weise gewonnen wird, steht ein Verlust an Differenzierung gegenüber, der dazu zwingt, Elemente (z. B. Adverben und Interjektionen) zu-

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sammenzufassen, deren kategoriale Unterscheidung auf vielen anderen Ebenen geboten zu sein scheint.

Schließlich ist zu erwähnen, was viele andere Autoren bereits kritisiert haben: Eine Klassifi kation der Elemente eines Wortschatzes nach ihren Flexionseigen-schaften ist selbstverständlich nur für solche Sprachen möglich, die Flexion überhaupt kennen. Dies gilt jedoch nicht für alle oder auch nur für die meisten Sprachen der Welt, wenn auch für die des indoeuropäischen Sprachtyps, wie z. B. das Deutsche.

3.3.2 Syntaktische Klassifi zierungen auf der Basis von Distributionseigenschaften

Die kategorialen Eigenschaften lexikalischer Einheiten determinieren deren Verwendbarkeit in Sätzen. Kategorisiertheit ist für Wörter bzw. Wortformen, wenn man sie als Einheiten des Lexikons betrachtet, also identisch mit einem be-stimmten syntaktischen Potenzial im von Admoni (1970) ausgeführten Sinne:

Jeder Redeteil enthält also in sich eine ganze Reihe von Fügungspotenzen, die bei seiner Einschaltung in den Satz [...] zum Teil aktualisiert werden. Diese Potenzen „schlummern“ im Redeteil und werden erst durch Berührung mit dem konkreten Redeprozeß zum Leben erweckt. Aber selbst in dem Redeteil, wenn wir ihn au-ßerhalb des Redeprozesses, kontextfrei und situationsfern, betrachten, sind diese Fügungspotenzen [...] eben als Potenzen da und bestimmen das ganze Wesen des betreffenden Redeteils. Sie werden von dem Redeteil „ausgestrahlt“ – sie sind in ihm als Projektionen, die außerhalb des betreffenden Wortes führen, vorhanden.

(ebd.: 79 f.)

Diese Auffassung teilen auch die Generativisten und ihre Vorgänger, wie Bloom-fi eld (1933) und Fries (1952), die den distributionellen Strukturalismus ameri-kanischer Prägung repräsentieren. Beide Theorien lexikalischer Kategorisierung sind also unter der gemeinsamen Überschrift „syntaktische Klassifi zierungen“ abzuhandeln. Dass sie innerhalb dieses Rahmens dennoch zwei voneinander zu unterscheidende Varianten bilden, ist vor allem auf den Unterschied zwischen der behavioristisch-empiristischen Sprachauffassung der Strukturalisten (3.3.2.1) und den mentalistisch-nativistischen Grundüberzeugungen der Generativisten (3.3.2.2) zurückzuführen.

3.3.2.1 Lexikalische Kategorien aus strukturalistischer Perspektive

Ebenso wie die an der morphologischen Struktur von Wörtern ausgerichteten Klassifi kationen von Sütterlin und Glinz, orientieren sich Bloomfi eld (1933) und vor allem dann Charles Carpenter Fries (1952) im Rahmen ihres syntaktisch-distributionellen Ansatzes an einem einzigen grammatischen Kriterium. Fries’ Defi nition der Redeteile lautet:

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A part of speech in English [...] is a functioning pattern. It cannot be defi ned by a simple statement. [...] All the instances of one part of speech are the “same” only in the sense that in the structural patterns of English each has the same functional signifi cance. (Fries 1952: 73)

Wortklassen sind für Fries Klassen „(freier) sprachlicher Formen“ im Sinne von Bloomfi eld:

Our discussion so far has shown us that every language consists of a number of sig-nals, linguistic forms. Each linguistic form is a fi xed combination of signaling-units, the phonemes. [...] By uttering a linguistic form, a speaker prompts his hearer to re-spond to a situation; this situation and the responses to it, are the linguistic meaning of the form. We assume that each linguistic form has a constant and defi nite mea-ning, different from the meaning of any other linguistic form in the same language.

(Bloomfi eld 1984: 158)

A linguistic form which is never spoken alone is a bound form; all others (as, forinstance, John ran or John or run or running) are free forms. (ebd.: 160)

Linguistische Formen sind, anders als abstrakte Lexeme, phonologisch konkret. Sie sind nicht allein ausdrucksseitig defi niert, sondern als Paare, bestehend aus phonetischer Form und struktureller Bedeutung. Homonyme, wie /-s/ (Gen. Sg.) und /-s/ (Pl.) oder /weißen/ (Inf.; weiß machen), /weißen/ (Nom. Pl. des Adjektivs weiß) und /weißen/ (Akk. Sg. Mask. des Adjektivs weiß), gelten also als voneinander unterschiedene Formen.

Das methodische Problem, Lautsequenzen als freie sprachliche Formen zu identifi zieren und bestimmten Formklassen zuzuordnen, kann der behavioristisch orientierte Linguist nicht durch Introspektion lösen. Bloomfi eld formuliert das ebenso prägnant wie programmatisch:

The only useful generalizations about language are inductive generalizations.(Bloomfi eld 1984: 20)

Entsprechend analysiert Fries ein umfangreiches Korpus gesprochener Spra-che („a mass of recorded conversations“), von dem er annimmt, dass es in der hier relevanten Hinsicht repräsentativ für die untersuchte Sprache ist. Er segmentiert nun die Äußerungen – z. B. durch die Bildung von Minimalpaaren – in Wörter als die kleinsten freien Formen,20 deren strukturelle Positionen im Satz er festgestellt.21 Auf diese Weise lassen sich dann Worttoken bestimmten Wortformen, d. h. Form-Types, zuordnen. Formen, die in identischen syntak-tischen Positionen (“the ‘same set of positions’” (ebd.: 110)) instanziiert sind, die damit also identische Distributionseigenschaften aufweisen, bilden demnach eine Form- oder Wortklasse:

20 “[... T]he word is a minimum free form” (Bloomfi eld 1984: 178).21 Die Frage, wie er das tun kann, ohne die Grammatik der Sprache bereits zu kennen,

muss hier unerörtert bleiben.

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We concluded above that the signals of structural meaning in English consisted primarily of patterns of arrangement of classes of words which we have called form-classes, or parts of speech. We have assumed here that all words that could occupy the same „set of positions“ in the patterns of English single free utterances must belong to the same part of speech. (ebd. 74)

Fries unterscheidet insgesamt vier Formklassen und 15 Typen von Funktionswör-tern. Erstere sind weitgehend identisch mit den „Inhaltswörtern“ oder offenen Hauptwortarten Substantiv, Verb, Adjektiv und Adverb und umfassen 67 Prozent der Token und 93 Prozent der Types in Fries’ Korpus (ebd.: 86); letztere fallen mit den auch in traditionellen Grammatiken so genannten „Funktionswörtern“ zusammen.

Damit ist zunächst einmal eine Klassifi kation der Elemente eines bestimmten Korpus geleistet; eine allgemeine Defi nition der Wortarten einer Sprache, bzw. ein Verfahren, das es erlauben würde, jedes beliebige Wort einer Klasse zuzuord-nen, ist so noch nicht gewonnen. Dies erfolgt nun in einem nächsten Schritt:

We have therefore taken from our materials certain single free utterances [i.e., sen-tences; T.W.] to be used as test frames for the units of our materials. (ebd.)

Diese „gewissen“ Testsätze, so ist zu vermuten, wurden so gewählt, dass ihr diagnostischer Wert möglichst groß ist, d. h. die Form-Klassen möglichst scharf voneinander zu unterscheiden erlauben. Zu Struktur- oder Distributionsrahmen werden diese Sätze dadurch, dass das in ihnen enthaltene Wort durch einen Platz-halter ersetzt wird. Jede Form, die nun unter Wahrung der Satzstruktur eingesetzt werden kann, gilt dann als Element der entsprechenden Wort-Klasse. Für die Klasse I, die weitgehend mit derjenigen der schulgrammatischen Substantive identisch ist, verwendet Fries die folgenden Rahmen:

Frame A: The ____ is good.Frame A´: (The) ___ is/was good.

___s are/were good.Frame B: The ___ remembered the ___.Frame C: The ___ went there. (vgl. Fries 1952.: 76 ff.)

Die oben zitierten syntaktische Rahmen der Wortklasse I illustrieren bereits, dass sich nicht alle Elemente der vier Fries’schen Klassen mittels je eines einzigen Testrahmens identifi zieren lassen. Wendet man das Kriterium der Distribution konsequent an, haben wir es bereits hier mit (mindestens) zwei Klassen zu tun, so dass beispielsweise song, steak (The ___ was good) zu unterscheiden wä-ren von food (___ is/was good). Abgesehen wird dabei von weiter reichenden semantischen Bedingungen, die z. B. verlangen, dass der Referent des Worts, das die erste Lücke in Rahmen B füllen kann, belebt sein muss. Selbst für das Englische, das keine übermäßige Flexionsmorphologie aufweist, reichen die Rahmen A–C nicht aus, um alle Formen zu identifi zieren, so dass z. B. für den Genitiv Singular (steak’s) und den Plural (steaks) neue Rahmen zu konstruieren

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wären. Für die Klasse II der Verben mit ihrer weit größeren fl exionsmorpho-logischen Variabilität und den Unterschieden bezüglich ihrer Transitivität, ist eine erheblich größere Zahl von Testrahmen nötig.

Die zuletzt angestellten Überlegungen machen deutlich, was Bergenholtz/Schaeder für das Deutsche feststellen:

Ein streng nach distributionellen Kriterien entwickeltes Wortartensystem würde vermutlich weit mehr als 100 Wortarten ergeben. Selbst wenn man von möglichen semantischen Unverträglichkeiten einmal absieht, wäre an der Stelle z. B. eines im Nominativ, Plural, Femininum stehenden Substantivs immer nur ein Substantiv imselben Kasus, Numerus und Genus substitutierbar. (Bergenholtz/Schaeder 1977: 4)

Fries „löst“ dieses Problem mit dem Hinweis auf „Untergruppen“ (subgroup-ings), wobei offen bleibt, welches Kriterium den Subklassifi zierungen zugrunde liegt. Letztlich scheint auch Fries von einem abstrakten Lexembegriff auszuge-hen, der mit seinem empirischen Verfahren kaum zu vereinbaren ist.

Bis hierhin wurde erörtert, wie der Sprachwissenschaftler durch die Analy-se eines Sprachkorpus zu einer Klassifi kation der Wortschatzelemente einer Sprache gelangt. Für eine Untersuchung der Struktur des mentalen Lexikons ist jedoch von größerem Interesse, ob es sich bei den Fries’schen Klassen um reine Beschreibungskategorien handelt, die von außen an ihren Gegenstand herangetragen wurden, oder ob der mit ihrer Defi nition verbundene Anspruch weiter reicht. Tatsächlich betrachtet Fries seine Formklassen und Funktions-worttypen nicht als Beschreibungskonstrukte, sondern als Strukturaspekte der (englischen) Sprache.

Nach Fries gehört das Erlernen der Wortartenklassifi zierung als eine nicht bewusste, automatisch erworbene Form des Wissens, zu den notwendigen Be-dingungen für den Sprachgebrauch:

We have insisted that unless he [i.e., the language user; T.W.] does recognize thediffering functioning units, the separate parts of speech, he cannot respond to (or give) the necessary signals of structural meaning. [...] We mean by „recognition“ here an automatic conditioned response that, in general, the naïve native speaker cannot usually analyze or describe. (ebd. 110 f.)

Demnach erlernen Kinder im Erstspracherwerb die Zugehörigkeit der Wörter zu einer Wort- oder Formklasse durch Induktion:

Each part of speech [...] is marked off from other parts of speech by a set of formal contrasts which we learn to use unconsciously as we learn our language. [...I]f we are native speakers of English, we have learned to use and react to the contrasts thatmark our functioning parts of speech. (ebd.: 73 f.)

Möglich ist das für Fries, weil sich die Klassenzugehörigkeit der einzelnen Wörter durch bestimmte strukturelle Merkmale fl exions- bzw. derivations-morphologischer oder syntaktisch-distributioneller Art auszeichnen. Diese

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Merkmale erkennen die Sprachlerner, die in ihrer sprachliche Umgebung stän-dig auf unterschiedliche, miteinander partiell kontrastierende Formen treffen, „automatisch“ als klassenbildend. Die Aufgabe des Linguisten besteht demnach darin, auf empirischen Weg die Kategorien zu rekonstruieren, die die Sprecher einer Sprache im Spracherwerb „unbewusst“ verinnerlichen.

Der Anspruch auf kognitive Relevanz, die Fries für seine Wortklassen erhebt, ist umso mehr hervorzuheben, als ein solcher in den Adaptationen des distributi-onellen Ansatzes in der Germanistischen Sprachwissenschaft nicht erhoben wird. Als wichtigste Vertreter einer primär syntaktischen Auffassung von lexikalischer Kategorisierung sind Gerhard Helbig und Joachim Buscha (1968, 1969, 1977; Helbig/Buscha 1998) sowie Henning Bergenholtz und Burkhard Schaeder (1977) zu nennen. Übereinstimmend22 stellen sie fest, dass die gegenüber allen anderen (monokriterialen) Klassifi kationsweisen ausschlaggebende Stärke des syntakti-schen Vorgehens seine Anwendbarkeit auf alle lexikalischen Einheiten sei:

Da nicht alle Wortarten differenzierende Formmerkmale [...] und auch nicht alle Wortarten einen gemeinsamen direkten Wirklichkeitsbezug haben [...], wohl aber jede Wortart durch ihre syntaktische Funktion im Relationsgefüge des Satzes deter-minierbar sein muß, ergibt sich für uns daraus die Forderung nach einer syntakti-schen Klassifi zierung der Wortarten. (Helbig 1977: 90; s. a.1968: 1)

Dieses Kriterium der Distribution läßt sich mehr oder weniger konsequent hand-haben. (Bergenholtz/Schaeder: 1977: 14)

Fries folgend, beziehen sich auch diese Autoren bei der Bestimmung der Klas-senzugehörigkeit von Wörtern auf Distributionsrahmen (Helbig 1968: 2; Helbig/Buscha 1998: 19; Bergenholtz/Schaeder 1977: 35 f.). In beiden Fällen wird dieses Verfahren jedoch, wie im Übrigen schon bei Bloomfi eld und Fries, nur „mehr oder weniger konsequent“ ebd.) durchgeführt. Bergenholtz/Schaeder sprechen die Probleme des Ansatzes, die diese Einschränkung notwendig machen, in aller Deutlichkeit an und skizzieren den von ihnen gewählten Ausweg:

Eine ausschließlich nach distributionellen bzw. syntagmatische deliminierenden Kriterien vorgenommene Wortartenklassifi kation müßte auch, wie Bloomfi eld (1967: 178) konsequenterweise vorschlägt, verschiedene Wortformen bzw. Flexionsformen eines Lexems als Repräsentanten verschiedener Wortarten ansehen.

Der auch von uns nicht prinzipiell als unmöglich angesehene Versuch Wortarten streng distributionell zu gewinnen, wird nach dem Gesetz „abnehmender Rentabilität“ schließlich zu einem Punkt führen, „wo (und wo genau dieser Punkt liegt, ist eine echte Streitfrage) die zunehmende Kompliziertheit der Regeln zu

22 „Um so überzeugender ist der Versuch einer syntaktischen Wortartenbestimmung von Helbig und Buscha (1972), der zwar im einzelnen kritisiert werden kann, aber im großen und ganzen als gelungen bezeichnet werden muß“ (Bergenholtz/Schaeder 1977: 35).

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aufwendig ist im Vergleich zu ihrem ,Erfolg‘, einem relativ kleinen Zuwachs an erfaßten zulässigen Sätzen“ (Lyons 1971: 156).

Mit den Worten der Wissenschaftstheorie ließe sich das Problem auch so for-mulieren, daß schließlich zu entscheiden ist, ob dann, wenn die an eine Theorie gestellten Forderungen der Adäquatheit und Allgemeinheit mit derjenigen der Einfachheit konkurrieren, der einen oder der anderen der Vorrang zu geben ist. Eine solche Entscheidung wäre durch ein jeweils verschiedenes Erkenntnisinteresse zu begründen. (Bergenholtz/Schaeder 1977: 14)

Ein Problem des distributionellen Ansatzes besteht also darin, dass die Zahl der auf seiner Basis zu bildenden Klassen für das Deutsche ebenso wie für das Englische und andere Sprachen mit „vermutlich weit mehr als 100 Wortarten“ (ebd.) sehr hoch ist. Gravierender noch scheint, dass unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Distribution Elemente wie geht und gehst ebenso unterschied-lichen Klassen zuzuordnen sind wie z. B. auf und gehst. Damit gehen Genera-lisierungen über grammatische Beziehungen zwischen Wortformen verloren, die in Grammatiktheorie und -(be)schreibung aus guten Gründen für wichtig gehalten werden. Dies sieht auch Fries offensichtlich so, schweigt allerdings über das Verfahren, mittels dessen er die Vielzahl der reinen Distributionsklassen auf 4 plus 15 reduziert und dadurch schließlich zu einer der schulgrammatischen sehr ähnlichen Kategorisierung gelangt.

Im Gegensatz zu Fries sprechen Bergenholtz und Schaeder die zentrale Schwierigkeit des distributionellen Ansatzes an. Der von ihnen vertretene pragmatische Relativismus, der die Adäquatheit einer Klassifi kation an dem jeweiligen individuellen Forschungsanliegen des Klassifi zierenden bemisst, ist aus Fries’ Perspektive allerdings nicht zu akzeptieren. Für ihn besteht kein Dilemma zwischen den wissenschaftstheoretischen Ansprüchen an Adäquatheit einerseits und an Einfachheit andererseits, und auch der folgenden Feststellung ist von seinem Standpunkt aus zu widersprechen:

Anders als die in der Logik begründeten Wortarten, die Kategorien als Bedingung von Erfahrung darstellen, gehen wir davon aus, daß Wortarten nicht a priori oder per se gegeben, sondern eigens zur Beschreibung und Erklärung bestimmter sprachli-cher Erscheinungen im Rahmen einer Sprachtheorie etablierte und zu begründendeKategorien sind. (Bergenholtz/Schaeder 1977: 51)

Fries geht es nicht um die „Beschreibung und Erklärung“ der ein oder anderen sprachlichen Einzelerscheinung;23 für ihn stehen die Formklassen im Zentrum

23 Allerdings lösen Bergenholtz/Schaeder dieses im Kontext grundlegender wissen-schaftstheoretischer Erörterungen vorgetragene Bekenntnis zum Relativismus in ihrer eigenen Arbeit nicht ein. Sie gelangen letztlich zu einer Klassifi kation, deren Geltung sie keineswegs in der von ihnen zunächst dargelegten Weise einschränken. Es wäre sicher wünschenswert zu erfahren, wie konkret sich die Wortartenklassifi kationen im Sinne Bergenholtz/Schaeders mit den sprachlichen Phänomenen ändern, die beschrieben und erklärt werden sollen.

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einer umfassenden Sprachtheorie. Diese muss sich im Hinblick auf die Wortklas-sen an der Frage messen lassen, wie der Wortschatz einer Sprache strukturiert sein muss, damit die Sprecher diese Sprache durch Induktion erlernen können. Allerdings legt seine eigene Klassifi kation den Eindruck nahe, dass auch er das distributionelle Verfahren nicht für geeignet hält, diesen Anforderungen vollständig zu genügen.

Bloomfi eld und Fries betrachten das Wissen um die Zugehörigkeit von lexikali-schen Einheiten zu Formklassen als eine Bedingung der Möglichkeit von deren Verknüpfung zu größeren syntaktischen Einheiten. Die Wortklassen bilden somit – ganz in der Tradition der Sprachforschung seit der Antike24 – die Verbindung zwischen Lexikon und Grammatik. Mit dieser Sichtweise scheint Bergenholtz/Schaeders Auffassung vereinbar, der zu Folge jede morphosyntaktisch bestimmte Wortform „als eine Einheit des Verlaufs“, d. h. der Grammatik, die „Realisation“ eines Lexems, d. h. einer Einheit des Lexikons, darstellt (ebd.: 56).

So wie Wortformen Instanziierungen von Lexemen sind, sollten Wort-klassen Instanziierungen von Lexemklassen darstellen (ebd.). Dies ist gemäß Bergenholtz/Schaeder auch der Fall, doch in einer Weise, die deutlich von der Darstellung bei Fries abweicht. Dieser betrachtet die Klassifi zierung der lexi-kalischen Einheiten als das Ergebnis eines Lernprozesses, den der Sprachlerner unbewusst durchläuft, während ihn der Linguist systematisch zu vollziehen hat. Fries’ Klassifi zierung gilt also über die Grenze zwischen Lexikon und Gram-matik hinweg. Für Bergenholtz/Schaeder ist die Domäne der distributionell defi nierten Wortarten beschränkt auf die Ebene der Grammatik.25 Lexeme sind demnach nicht hinsichtlich ihrer Distributionseigenschaften bestimmt, sondern lexikalischen Kategorien zugeordnet, die nun jedoch „eher auf primär-deduktive Weise zu gewinnende, morphologisch und/oder semantisch defi nierte Klassen dar[stellen]“ (ebd.: 54). Ein näherer Blick macht schnell deutlich, dass die fünf

24 Vor diesem Hintergrund erscheint die gelegentlich mit einem kritischen Unterton bemerkte Tatsache, dass von der Antike bis in die Neuzeit hinein die Unterscheidung zwischen (grammatischen) Satzgliedern und (lexikalischen) Wortarten nicht klar ge-troffen wurde, durchaus in der Sache begründet. Glinz etwa beschreibt die Situation um 1750 in folgender Weise:

Die einzigen wirklichen Sprachteile sind immer noch die Wortarten und -formen. [...] Wo die Notwendigkeit auftaucht, wirkliche Satzglieder zu bezeichnen, da verwendet man die Namen der in diesen Gliedern vorkommenden Wortarten und -formen. Daß die Satzglieder besondere Werte sind und daß ihre Zahl und Einteilung sich mit der Zahl und Einteilung der Wortarten und Fälle nicht decken, das wird nirgends erkannt, bis neuere Anstöße von der französischen Grammatik kommen. (Glinz 1947: 26; zitiert nach Gallmann/Sitta 1992: 140 f.)

25 Ein in dieser Hinsicht ähnlicher Vorschlag wird uns im Rahmen der generativen Grammatik auch bei Rauh (1998, 1999, 2000, 2001) begegnen.

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so genannten Lexemklassen, Partikel, Verb, Substantiv, Pronomen und Adjektiv (Bergenholtz/Mugdan 1979a: 137), die den 5126 Wortarten gegenüber stehen, rein morphologisch voneinander unterschieden sind. Sie entsprechen dann auch den bekannten Kategorien der Glinz’schen Fünf-Wortarten-Lehre (1973).

Dass „[j]ede Lexemklasse [...] eine oder mehrere ihr zugeordnete Wortarten“ repräsentiert (ebd. 56), lässt sich so verstehen, dass jede syntaktische Wortform nicht allein durch Distributionseigenschaften, sondern eben auch morphologisch defi niert ist. Damit wäre zwar gewährleistet, dass die unterschiedlichen Formen eines Lexems als enger miteinander verwandt gelten als diejenigen von Lexe-men unterschiedlicher Lexemklassen. Der monokriterial syntaktische Charakter der Klassifi kation ginge damit allerdings verloren. Bei Bergenholtz/Schaeders Vorschlag handelt es sich dann letztlich um eine Mischklassifi kation ähnlich der schulgrammatischen Wortartenlehre, die als primäres Kriterium das morpholo-gische annimmt27 und auf einer zweiten Ebene Formklassen nach distributionell-grammatischen Gesichtspunkten weiter ausdifferenziert.

Dass unklar bleibt, aufgrund welchen Prinzips die Anzahl der Wortarten letztlich auf 51 begrenzt wird, erscheint im Hinblick auf Bergenholtz/Schaeders Verschlag eher akzeptabel als bei Fries, da die beiden Autoren ja ganz expli-zit keinen absoluten Adäquatheitsanspruch erheben. Gravierender erscheint schon, dass ein großer Vorteil des distributionellen Vorgehens, die homogene Anwendung eines einzigen Kriteriums auf alle Elemente des Wortschatzes, von Bergenholtz/Schaeder de facto aufgegeben wird.

Bergenholtz/Schaeder würden eine Kritik, die ihren Ansatz als morpholo-gisch-syntaktische Mischklassifi kation bezeichnete sicher zurückweisen. Ein solcher Vorschlag läuft nämlich darauf hinaus, eine grundlegende theoretische Entscheidung aufzuheben, die die beiden Autoren, Halliday/McIntosh/Stevens (1972: 31) zitierend, wie folgt formulieren:

[Wir ...] unterscheiden Grammatik und Lexis einer Sprache, wobei wir zugeste-hen, daß „keine klare Linie zwischen Grammatik und Lexis“ besteht, wobei „dieLinguistik jedoch eine Trennungslinie ziehen muß, weil zur Darstellung dieser bei-den Erscheinungsformen verschiedene Theorien nötig sind“. (ebd. 57)

Dass eine Unterscheidung zwischen Grammatik und Lexis, die sich konkret in der Gegenüberstellung von Wortarten und Lexemklassen äußert, aus theoreti-scher Perspektive problematisch ist, wird hier angedeutet und wurde oben auch argumentativ verdeutlicht. Wieder einmal scheinen sich forschungspragmati-sche Überlegungen gegenüber theoretischen Einwänden durchzusetzen. Dies

26 Die detaillierten Gründe, die die Reduktion der „wohl mehr als 100“ Distributions-klassen auf gerade 51 rechtfertigen, können hier übergangen werden.

27 Für die Ausdifferenzierung des Lexikons in die fünf genannten Lexemklassen, die Ber-genholtz/ Schaeder als morphologisch und/oder semantisch bestimmt sehen, reichen morphologische Kriterien völlig aus, semantische hingegen sind nicht erforderlich.

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geschieht jedoch um einen hohen Preis, der die folgenreichste Schwäche dieses spezifi schen distributionellen Klassifi zierungsansatzes mit sich bringt.

Von Beginn der überlieferten sprachwissenschaftlichen Tradition an galten die Wortarten vor allem deshalb als zentrale sprachliche Kategorien, weil sie gleichsam als die Brücke zwischen Lexikon und Grammatik galten, die auf beiden Seiten des Sprachsystems bzw. des sprachlichen Wissens gegründet ist und die Beziehung zwischen ihnen gewährleistet. Diese Sichtweise ist auch noch mit dem Ansatz von Fries vereinbar. Nach Bergenholtz/Schaeder hingegen sind zwar die einzelnen (grammatisch-distributionellen) Wortarten jeweils genau einer der fünf (lexikalischen) Lexemklassen zugeordnet (ebd. 56). Es entschei-det sich jedoch erst in der konkreten Äußerung, auf der Ebene „des Verlaufs“, ob eine Wortform, die ein Lexem der Klasse Pronomen realisiert, grammatisch als Pronomen, Relativpronomen, Interrogativpronomen, Artikel, Relativartikel, Interrogativartikel oder Präartikel fungiert (ebd.).

Wenn jedoch die Distributionseigenschaften von Wortformen nicht bereits auf der Ebene des Lexikons angelegt sind, bleibt unerklärlich, wie es Sprechern gelingen kann, auf der Basis ihres lexikalischen und grammatischen Wissens komplexe Äußerungen zu bilden. Sie könnten dann ja gar nicht wissen, in wel-chen syntaktischen Positionen ein bestimmtes Lexem überhaupt verwendbar ist. Dies scheint aber sehr wohl der Fall zu sein, fi nden wir doch selbst im Erstspracherwerb keine Äußerungen, in denen z. B. das mit der Zitierform er zu bezeichnende Lexem, das laut Bergenholtz/Schaeder der Klasse der Pronomen angehört, als Artikel oder Relativpronomen realisiert würde. Die Verknüpfung von Wortformen setzt im Allgemeinen das Wissen um ihre Verknüpfbarkeit und damit ein lexikalisches Wissen voraus.

Das syntaktisch-distributionelle Klassifi kationskriterium zeichnet sich, wie ge-sehen, dadurch aus, dass es auf alle Elemente des Wortschatzes einer Sprache anwendbar ist. Dies gilt unabhängig davon, ob man abstrakte Lexeme oder, wie Fries und Bloomfi eld, konkrete Wortformen als lexikalische Einheiten betrach-tet. Auch wenn, wie dies oben bereits nahe gelegt wurde, sprachliche Elemente unterhalb (viele Morpheme) und oberhalb (Phraseologismen, Konstruktionen, Schemata usw.) als potenzielle lexikalische Einheiten aufzufassen sind, steht dies dem distributionellen Ansatz nicht entgegen, weil auch diese Elemente durch syntaktische Eigenschaften bestimmt sind.

Ein weiterer, vor allem gegenüber morphologisch basierten Klassifi kationen hervorzuhebender Vorzug besteht darin, dass der Bezug auf Distributionseigen-schaften einen Klassifi kationsmaßstab darstellt, der universell an alle Sprachen angelegt werden kann, weil er unabhängig von einem bestimmten Sprachtypus ist. Damit lassen sich Wortartenzugehörigkeiten also z. B. auch in Sprachen wie dem Chinesischen bestimmen, die keine Flexionsmorphologie kennen.

Syntaktische Klassifi kationen treten bezogen auf ihren Geltungsanspruch in zwei Varianten auf: Fries versteht sich als Theoretiker, dessen auf empirisch-

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induktiver Grundlage rekonstruierte Wortarten Strukturen der Sprache refl ek-tieren und somit als sprachintern motiviert gelten können. Diese Sichtweise liegt insofern ganz auf der Linie der althergebrachten Tradition, als sie die Redeteile in das Zentrum der Sprachbetrachtung stellt. Der Theoretiker expli-ziert demnach diejenigen Kategorien der Sprache, die der Muttersprachler im Spracherwerb „automatisiert“ und induktiv erlernen muss, um „seine“ Sprache zu beherrschen.

Diesem nach Erklärungen suchenden und einen absoluten Anspruch impli-zierenden Ansatz stehen Klassifi kationen zu Seite, die sich gegenüber unter-schiedlichen theoretischen Sprachauffassungen weitgehend neutral geben. Ihr Anliegen ist die Beschreibung sprachlicher Phänomene von einem externen Standpunkt. Die Art der Beschreibung und damit auch die Klassifi kation der Wortschatzelemente werden damit nicht allein mit der Struktur des Gegenstands, sondern auch relativ zu der Wahl des zu untersuchenden sprachlichen Teilaspekts begründet. Für Autoren wie Bergenholtz/Schaeder und wohl auch Helbig und Buscha geht es also nicht um die Formulierung der einen, die lexikalischen bzw. grammatischen Strukturen einer Sprache adäquat abbildenden, Klassifi kation. Im Prinzip erlaubt es die oben zitierte wissenschaftstheoretische Position, zur gleichen Zeit mehrere einander ausschließende Wortartenunterscheidungen zu vertreten, solange sich diese bei der Bearbeitung unterschiedlicher deskriptiver oder anderer praktischer Zwecke als brauchbar erweisen.

Betrachtet man, wie dies in dieser Untersuchung geschieht und wie es auch Fries und andere tun, die Frage nach den lexikalischen Kategorien aus der Perspektive der Sprecher, die eine Sprache erwerben, die selber sprechen und Gesprochenes verstehen, erweist sich der Vorschlag Bergenholtz/Schaeders aus den dargelegten Gründen als unbrauchbar. Dies kann allerdings als ein Einwand betrachtet werden, der seine Berechtigung aus Vorannahmen bezieht, die nur für diese beiden Autoren spezifi sch sind.

Darüber hinaus jedoch ist der distributionell-syntaktische Ansatz lexika-lischer Kategorisierung mit Problemen grundsätzlicher Art behaftet, die all seine Vertreter zwar gesehen, letztlich aber als zu vernachlässigend beiseite geschoben werden. Vor allem erscheint die Frage unbeantwortbar, welche für die Distributionseigenschaften von Wörtern relevanten Unterschiede (z. B. hin-sichtlich der Kasus von Substantiven) für die Klassifi kation als ausschlaggebend bzw. als irrelevant betrachtet werden. Die Entscheidungen, die die Anzahl der postulierten Distributionsklassen zwischen 4+15 (Fries) und 51 (Bergenholtz/Schaeder) variieren lässt, bleiben entweder ungerechtfertigt oder werden explizit pragmatisch begründet. Insbesondere bleibt ebenso auffällig wie ungeklärt, dass in allen Fällen die für notwendig gehaltene Reduktion der Anzahl von „vermut-lich weit mehr als 100 Wortarten“ (Bergenholtz/Schaeder 1977: 14), die eine konsequente Anwendung des Distributionskriteriums ergäbe, in Varianten der schulgrammatischen, sich auf syntaktische, semantische und morphologische Eigenschaften beziehenden Mischklassifi kation führt.

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Sobald man jedoch das Forschungsinteresse auf die Struktur mentaler Lexika richtet und untersucht, welcher Zusammenhang zwischen konkretem Sprechen und Verstehen einerseits sowie lexikalischem und grammatischem Wissen andererseits besteht, sind weder das teilweise undurchsichtige Ver-fahren der Klassendefi nition von Fries noch der pragmatische Relativismus Bergenholtz/Schaeders akzeptabel. Als Fazit bleibt somit festzuhalten, dass dis-tributionell-syntaktische Ansätze prinzipiell ungeeignet sind, um aufzuklären, wie die Sprecher einer Sprache im Laufe ihres je individuellen Spracherwerbs übereinstimmend oder doch weitgehend übereinstimmend Klassen lexikalischer Einheiten bilden können.

3.3.2.2 Lexikalische Kategorisierung aus der Perspektive der Generativen Grammatik

Eine syntaktische Konzeption lexikalischer Kategorisierung stellt auch die der Generativen Linguistik dar und zwar in all ihren Entwicklungsstufen von Chomskys Syntactic Structures (1957) bis zum Minimal Program (Chomsky 1995; Radford 1998). Repräsentativ für ihre Vertreter stellt Haegemann (1991) fest, dass die Frage nach der Kategorisierung lexikalischer Einheiten, die seit jeher im Rahmen einer Theorie der Redeteile oder der Wortarten gestellt wurde, mit Bezug auf die syntaktischen, d. h. distributionellen, Eigenschaften lexikali-scher Einheiten beantwortet werden muss:

Words belong to different syntactic categories, such as nouns, verbs, etc., and the syntactic category to which a word belongs determines its distribution, that is, in what contexts it can occur. (Haegeman 1991: 28)

Wenngleich sich die Generativisten in ihrer syntaktischen Auffassung lexikali-scher Kategorisierung unmittelbar an Strukturalisten wie Bloomfi eld und Fries anschließen, geht die Übereinstimmung nicht so weit, wie Haegemans Feststel-lung vermuten lässt und wie es viele Darstellungen von Phrasenstrukturregeln und Strukturbäumen auch in jüngeren Publikationen nahe legen.28 Ein Schritt Chomskys nicht nur über seine unmittelbaren Vorgänger im Distributionalismus, sondern über die gesamte Tradition der Sprachforschung hinaus ist darin zu sehen, dass er syntaktische Kategorien bzw. Wortarten nicht mehr als atomare Einheiten, sondern als Komplexe binärer syntaktischer Merkmale betrachtet.

Chomskys Analyse der internen kategorialen Struktur scheint unter Genera-tivisten im Prinzip akzeptiert (vgl. Haegeman 1981: 33 f.; Radford 1998: 37 ff.). Weiter noch geht ein von Gisa Rauh in mehreren Beiträgen (Rauh 1998, 1999, 2000, 2001) ausgeführter Vorschlag. Dieser läuft darauf hinaus, die Annahme

28 Rauh (1998: 11) wertet dies als Indiz dafür, dass sich im Mainstream-Generativismus die Einsicht in die Merkmalbasiertheit lexikalischer Kategorisierung nicht wirklich durchgesetzt habe.

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von externen Kategoriengrenzen und damit überhaupt den Begriff diskreter lexi-kalischer Kategorien aufzugeben. Syntaktische Eigenschaften, das grammatische Potenzial lexikalischer Einheiten wird demnach nicht durch Mitgliedschaft in der Klasse der Verben, der Substantive etc. festgelegt, sondern durch Positio-nierung innerhalb eines kategorialen Raums, dessen Dimensionen syntaktisch relevanten lexikalischen Eigenschaften entsprechen.

Was bis hierher als Varianten der generativen Auffassung von lexikalischer Kategorisierung nur benannt wurde, wird im Folgenden in drei Abschnitten aus-führlich dargestellt und erörtert. Zunächst jedoch ist auf einen Perspektivwech-sel einzugehen, der den Übergang vom Strukturalismus zum Generativismus kennzeichnet und der mit den Schlüsselbegriffen Mentalismus und Nativismus charakterisiert werden kann.

3.3.2.2.1 Mentalismus und Nativismus

Einer behavioristischen Grundannahme zur Folge wird der Mensch als mentale tabula rasa geboren. Sein Wissen und seine Fähigkeiten erlangt er danach auf rein induktivem Wege durch Erfahrung und Lernen. Aus linguistischer Sicht wirft diese Ansicht das Problem auf, dass man erklären muss, wie Sprecher trotz bzw. aufgrund ganz unterschiedlicher individueller sprachlicher und kom-munikativer Erfahrungen in weltweit mehr als 6.000 Sprachgemeinschaften zu identischen Kategorienbildungen gelangen. Auf diese theoretische Frage hatten die Distributionalisten (Bloomfi eld, Fries) keine befriedigende Antwort geben können. Und auch für das verwandte methodologische Problem, zu klären, auf welchem Wege sich die in den Sprachen bzw. von den Sprechern gemachten kategorialen Unterschiede aus sprachwissenschaftlicher Perspektive bestimmen lassen, gibt es keine überzeugende bahavioristische Lösung.

Die Generativisten beantworten zumindest die theoretische Frage auf ein-fache Weise: Lexikalische Kategorien bzw. kategoriale Merkmale sind Teile der Universalgrammatik, die im menschlichen genetischen Code verankert ist. Im Laufe des Spracherwerbs erlernen Sprecher also neue Wortformen entspre-chend einem kategorialen bzw. Merkmalraster, das ihnen von Geburt an zur Verfügung steht:

I shall assume that these elements [i.e. grammatical formatives and category sym-bols; T.W.] too are selected from a fi xed, universal vocabulary.

(Chomsky 1965: 65 f.)

The speaker learns the words of the langaue and what category they belong to. But this does not imply that he comes to this learning process totally unprepared. We assume that UG [i.e. Universal Grammar; T.W.], our innate knowledge of language, contains, for example, the notion of syntactic category. When exposed to the words of a particular language, speakers will have some expectation as to which categories to discover. (Haegeman 1981: 29)

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Mit der nativistischen Annahme stellt sich das Problem der radikalen Empiristen behavioristischer Prägung erst gar nicht, erklären zu müssen, wie alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft die gleichen lexikalischen Kategorien erwerben. Eine Methode zur Beantwortung der Frage, welche lexikalischen Kategorien bzw. kategoriellen Merkmale zur Universalgrammatik gehören, lässt sich daraus jedoch nicht unmittelbar ableiten.

Die Kriterien der generativen Lösung für dieses Problem liefern allgemeine wissenschaftstheoretische Prinzipien wie das Ökonomieprinzip, gemäß dem von zwei gleich starken Erklärungen die einfachere vorzuziehen ist. Im gegen-wärtigen Fall bedeutet dies, dass ceteris paribus diejenige Konzeption als allen anderen überlegen gilt, die von der geringsten Anzahl an Kategorien/Merkmalen ausgeht. Diese stellen nach generativer Auffassung nur eine Komponente im komplexen Gesamtsystem der sprachlichen Kompetenz bzw. der Universal-grammatik dar. Demnach gilt also diejenige Menge von Merkmalen als Teil der UG, deren Annahme im Zusammenhang einer konsistenten Gesamttheorie zu Beschreibungen der grammatischen Struktur von Sätzen beliebiger Sprachen führt, und dies so, dass diese Beschreibungen mit den Grammatikalitätsurteilen der kompetenten Sprecher der Sprachen im Einklang stehen.

Im Hinblick auf die Untersuchung lexikalischer Kategorisierung formuliert Haegemann (1981) den mentalistischen Standpunkt in folgender Weise:

We postulate that speakers of a language are equipped with an internal ‘dictionary’, which we shall refer to as the mental lexicon, or lexicon, which contains all the information they have internalized concerning the words of their language. As seen above, the mental lexicon will have to contain, among other things, information on syntactic categories. We assume that each word of the language known by a speaker will be listed in his mental lexicon with its categorial specifi cation.

(Haegeman 1991: 29)

Mit dem Übergang vom Behaviorismus zum Mentalismus, verschiebt sich der Interessensfokus vom Sprachsystem auf das sprachliche Wissen von Sprechern einer Sprache. Mit dieser Psychologisierung der Sprachwissenschaft ist natürlich keineswegs das Abrücken von einem die ganze Sprache umfassenden Erklä-rungsanspruchs zugunsten einer individualpsychologischen Betrachtungsweise verbunden. Das Gegenteil ist der Fall. Zwar ist sprachliches Wissen der Gegen-stand generativer Theoriebildung und Analyse, und Wissen ist notwendigerweise das Wissen eines Individuums. Doch wird Wissen auf der Basis der nativistischen Grundannahme und im Rahmen einer modularen Grundkonzeption aufgefasst als angeborene genetisch determinierte Kompetenz29 (im Gegensatz zur Performanz

29 Zum Verhältnis von Kompetenz (“the fl uent native speaker’s tacit knowledge of his language”) und Performanz (“what people actually say or understand by what someone else says on a given occasion”) im Generativismus vgl. Radford 1998: 2–4. Der mit

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und deren Rückwirkungen auf die Kognition), die unter idealen Bedingungen allen Menschen in gleicher Weise zukommt.

3.3.2.2.2 Die vereinfachte generative Konzeption

Der oben zitierten Bestimmung Haegemans (1981: 28) gemäß gehören lexi-kalische Einheiten – und das sind für die Generativisten Wörter bzw. Wortfor-men – Distributionsklassen an. Die dabei angenommenen Kategorien stimmen weitgehend mit denjenigen der Strukturalisten und damit mit den, allerdings auf einer Mischklassifi kation beruhenden, Redeteilen der Grammatiktradition überein. Neu ist demgegenüber, wie oben ausgeführt, die mentalistische Betrach-tungsweise, die auf das Sprachwissen im Sinne von sprachlicher „Kompetenz“ abhebt, auf das mentale Lexikon von Sprechern und dessen Struktur.

Ein Widerspruch zu Fries (1952) ist an diesem Punkt noch nicht zu erkennen. Bei diesem steht zwar The structure of English, also die Sprachstruktur, im Vordergrund. Die Behavioristen denken dabei jedoch immer mit, dass Sprecher diese Sprache von Grund auf, d. h. ohne die Hilfe angeborener Vorkenntnisse, erlernen müssen. Eine angemessene Beschreibung der Sprachstruktur schließt also eine angemessene Beschreibung des sprachlichen Wissens der Sprecher ein. Weitere Parallelen zwischen struktureller und generativer Sichtweise sind noch deutlicher erkennbar. Für beide stellt lexikalische Kategorisierung – ganz auf der Linie der sprachwissenschaftlichen Tradition – die Gelenkstelle zwischen Lexikon und Grammatik dar. Die Einheiten des Lexikons müssen demnach für eine Kategorie spezifi ziert sein, damit es dem Sprecher möglich ist, sie in seinen Äußerungen an bestimmten syntaktischen Positionen (und nur an diesen!) zu instanziieren.

Wenn die Wortarten im Rahmen des Generativismus also als syntaktische Kategorien bezeichnet werden, dann ist damit keineswegs – etwa analog zu Bergenholtz/Schaeder (s. o.) – gemeint, dass sie auf der Ebene des Lexikons irrelevant sind. Im Gegenteil wird ein Bedingungsverhältnis zwischen Lexikon und Grammatik derart gesehen, dass die Kategorisiertheit lexikalischer Einheiten und die Kategorisiertheit syntaktischer Einheiten miteinander korrespondieren. Dies fi ndet seinen Ausdruck im so genannten Projektionsprinzip: “Lexical in-formation is syntactically represented” (Haegeman 1981: 47).

Illustrieren lässt sich dies anhand eines beliebigen Beispiels und mit den Mitteln der Rektions- und Bindungstheorie (Chomsky 1981; Haegeman 1991) bzw. der X-bar-Theorie, die hier stellvertretend für die generativen Theoriean-sätze steht:

dieser Unterscheidung verbundene Begriff sprachlichen Wissens ist sehr viel enger als der, der im Rahmen nicht-modularer, holistischer Sprachauffassungen und damit auch in dieser Arbeit vorausgesetzt wird.

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(1) Nancy will return (ebd.: 86, 21a30).

Die syntaktische Struktur dieses Satzes lässt sich mit Hilfe eines einfachen31

Diagramms wie in Abbildung 3.6 darstellen, dem wiederum eine Reihe von Phrasenstrukturregeln ((2); s. u.) entsprechen:

30 Ich habe Haegemans Beispiel etwas vereinfacht (Nancy statt Miss Marple) und im Strukturbaum (2) die bei Haegeman unanalysierte NP analog zur V’’ vollständig expliziert.

31 Ich beziehe mich auf eine einfache Form der X-bar-Theorie, wie sie Haegemann (1991: 71–93) einführt. Komponenten der voll ausgebildeten Theorie wie nicht-le-xikalische Kategorien (C, I) und das Binärprinzip, demzufolge ein Mutterknoten im Strukturbaum maximal zwei Töchter haben kann, können für diese gegenwärtigen Zwecke vernachlässigt werden.

Abb. 3.6: Die syntaktische Struktur von (1) Nancy will return

(2) Phrasenstrukturregeln zur Generierung des Strukturbaums in Abb. 3.6

S → N´´ – AUX – V´´V´´ → V´V´ → VN´´ → N´N´ → N

Den Regeln in (2), die im Rahmen der X-bar-Theorie Spezialfälle eines all-gemeinen Regelschemas darstellen (vgl. Haegeman 1991: 94 ff.; Grewendorf 2002: 33 ff.), entspricht der Strukturbaum in Abbildung 3.6. Für diesen ist charakteristisch, dass alle seine Verzweigungen in lexikalischen Kategorien X (N, V, AUX) als so genannten „terminalen Knoten“ (terminal nodes) enden,

V

V´´AUX

N

N´´

S

Nancy will return

(vgl. Grewendorf 2002: 86, 21b)

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32 Die Klammern „{...}“ repräsentieren alle weiteren, hier nicht ausgeführten, gramma-tischen und semantischen Eigenschaften der lexikalischen Einheiten.

die wiederum in Beziehung zu Wortformen stehen. Diese Beziehungen sind nicht durch die Syntax geregelt, sondern beruhen auf Informationen über die potenziellen syntaktischen Verwendungsweisen lexikalischer Einheiten, die jeder Sprecher im Zuge des Lexikonerwerbs erlernt. Konkret bedeutet dies etwa, dass /will/ im mentalen Lexikon als AUX und /return/ als V gespeichert sind. Die „lexikalischen Einträge“ (lexical entries) für die Wortformen in Satz (1) können entsprechend wie in (3) dargestellt werden:

(3) Lexikalische Einträge im mentalen Lexikon

Nancy: N, {...}32 will: AUX, {...}return: V, {...}

Das Zusammenspiel von Lexikon und Grammatik besteht nun darin, dass eine lexikalische Einheit, die für eine beliebige Kategorie X markiert ist, in alle X-Positionen in Strukturbäumen eingesetzt werden kann, die von der Grammatik zugelassen werden.

Doch schon der Strukturbaum (Abb. 3.6) macht deutlich, dass das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik so simpel nicht ist. In grammatischen Sätzen können an der N-Position nur Wortformen auftreten, die neben ihrer Zugehö-rigkeit zur Klasse der Substantive weitere grammatische und auch semantische Eigenschaften aufweisen. So gelten etwa Gattungssubstantive im Singular (z. B. dog, car) an dieser Stelle als unzulässig, weil sie nicht ohne Determinierer (the dog, the car) stehen können. Restriktionen semantischer Art lassen Formen wie tables oder houses problematisch erscheinen. Auch die V-Position unterliegt weiterreichenden Einschränkungen, von denen bezogen auf das obige Beispiel nur die auf intransitive Verben genannt sein soll. Dies macht Sätze wie Nancy will ride oder Nancy will give ungrammatisch.

Hier tritt also offenbar genau die Schwierigkeit in Erscheinung, die sich bereits im Rahmen des Distributionalismus ergeben hatte. Diese besteht darin, dass das Kriterium des syntaktischen Verhaltens von Wortformen zu einer sehr viel feineren Ausdifferenzierung lexikalischer Kategorien führt, als dies traditionell angenommen wird und in den meisten Phrasenstrukturregeln und Strukturbäumen der Generativen Grammatik zum Ausdruck kommt.

Anders als Fries, der das Problem stillschweigend übergeht, oder Bergenholtz/Schaeder, die theoretische Stringenz ausdrücklich zugunsten forschungs- und beschreibungspragmatischer Ziele zurückstellen, bemühen sich die Generati-visten darum, im Hinblick auf die Frage der lexikalischen Kategorisierung eine theoretisch befriedigende Lösung zu fi nden.

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Eine wesentliche Komponente dabei ist das Konzept der Subkategorisierung. Diese wird für Unterschiede z. B. zwischen den Verben verantwortlich gemacht, die traditionell als intransitiv, transitiv bzw. ditransitiv charakterisiert werden. Demnach sind lexikalische Einheiten nicht nur mit lexikalischen Kategorien verbunden, sondern auch mit Distributionsrahmen (distributional frames; Ha-egeman 1991: 34), die bei den Strukturalisten noch als Basis der lexikalischen Kategorisierung insgesamt galten. Die lexikalischen Einträge ins mentale Lexikon für die Verben return, ride und give enthalten dementsprechend die folgenden Informationen:

(4) Lexikalische Einträge im mentalen Lexikon inklusive Subkategorisierung

return: V, [__], {...}

ride: V, [__ NP], {...}

give: V, [__ NP NP], {...}

[__ NP PP], {...}33

Mit der Einführung der Subkategorisierungsrahmen, die viele distributionelle Eigenschaften lexikalischer Einheiten aus der Domäne der lexikalischen Ka-tegorien ausschließen, ist die ganz unübersichtliche Menge der reinen Distri-butionsklassen bereits um Einiges reduziert. Darüber hinaus wird die Aufgabe, das unterschiedliche syntaktische Verhalten von Wortformen zu erklären, arbeitsteilig in einer Reihe von theoretischen Teilkomponenten oder Modulen geleistet. Gegenüber den strukturalistischen Ansätzen ergibt sich so eine wei-tere Vereinfachung dadurch, dass die Auswahl zwischen Wortformen nicht im Lexikon, sondern auf der Ebene der Grammatik geleistet wird.

Mechanismen wie Rektion und Bindung gewährleisten demnach u. a., dass unerschiedliche Flexionsformen eines Worts (z. B. give, gives, gave, given) derselben lexikalischen Kategorie zugeordnet werden können. Semantische Unverträglichkeiten, die Sätze wie the table will return ungrammatisch erschei-nen lassen, werden ebenfalls nicht mit Bezug auf die Kategorienzugehörigkeit von table, return oder von beiden erklärt. Vielmehr sind sie im Rahmen der Theta-Theorie auf semantische Selektionseigenschaften (thematic grid) – hier von return – zurückzuführen, die ebenfalls Teil des lexikalischen Eintrags sind und gemäß dem oben zitierten Projektionsprinzip vom Lexikon in die Syntax übertragen werden. Die Explikation des lexikalischen Eintrags für return wäre also wie in (5) zu erweitern:

33 Für give gibt es zwei alternative Subkategorisierungsrahmen (to give Nancy the letter vs. to give the letter to Nancy).

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(5) Lexikalischer Eintrag von return mit Subkategorisierung und Theta-Markierung

return: V, [___], , {...}34

Wie hier nur angedeutet werden konnte, ist die generative Auffassung lexika-lischer Kategorisierung eng eingewoben in eine Gesamtsicht des Verhältnisses zwischen Lexikon und Grammatik und damit in die generative Sprachauffas-sung insgesamt. Die obige Darstellung konnte deshalb nicht vollständig sein. Sie sollte allerdings deutlich machen, dass die Generativisten die Aufgabe, Lexikon und Grammatik miteinander in Beziehung zu setzen, nur teilweise den lexikalischen Kategorien (V, N, A etc.) zuordnen. Für die Einsetzung von Wortformen in terminale Knoten von Strukturbäumen besteht also eine Arbeits-teilung zwischen lexikalischer Kategorisiertheit, Subkategorisierungsrahmen, semantischen Merkmalen, Theta-Markierung etc., die Bestandteile lexikalischer Einträge darstellen und aufgrund der Gültigkeit des Projektionsprinzips gemäß der durch die X-bar-, Theta- und Kasus-Teiltheorien beschriebenen Mechanis-men zu „wohlgeformten“ und „grammatischen“ Sätzen führen.

All diese theoretischen Annahmen erlauben es, die Anzahl der lexikalischen Kategorien gering anzusetzen, und insgesamt zu einer Klassifi zierung zu gelan-gen, die sich von der schulgrammatischen nur in Details unterscheidet. Der Preis, der für „Entlastung“ der lexikalischen Kategorien bezahlt wird, ist allerdings hoch. Während die Strukturalisten wie die traditionelle Grammatikforschung allein ihnen die Aufgabe zugeschrieben hatten, als Gelenk zwischen Lexikon und Grammatik die möglichen Verwendungsweisen lexikalischer Einheiten zu bestimmen, wird diese Funktion in der Generativen Grammatik auf lexikalische Kategorien und eine ganzen Reihe lexikalischer Eigenschaften sowie gramma-tische Module verteilt. Bereits Chomsky (1965: 65) hatte daher Strukturbäume wie den in (2) lediglich als „erste Annäherung“ (fi rst approximation) an eine adäquate Repräsentation bezeichnet. Vor dem Hintergrund des bisher Festge-stellten, müsste der terminale Knoten, der im Strukturbaum für Satz (1) die V’’-Konstituente bildet, mindestens wie in Abbildung 3.7 ausgeführt sein:35

34 Das Theta-Raster legt fest, dass return ein externes Argument (Subjekt) verlangt („lizensiert“), das einen Agenten denotiert.

35 Vgl. hierzu die in den wesentlichen Zügen ähnliche syntaktische Analyse des Satzes sincerity may frighten the boy in Chomsky 1965: 86 (Beispiel 27) und ebd.: 108 f. (Beispiel 59).

1

AGENT

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Abb 3.7: Erweiterter Strukturbaum für (1) Nancy will return

Entsprechende Spezifi zierungen wären auch am N- und am AUX-Knoten erfor-derlich. Wenn jedoch die lexikalische Information, die die Distributionseigen-schaften von Wortformen festlegt, als in dieser Weise komplex betrachtet wird, ist zumindest in einer Hinsicht ein Fortschritt gegenüber den Strukturalisten nicht zu erkennen: Zu lernen, welcher von 51 (Bergenholtz/Schaeder 1977) oder mehr Klassen ein Wort angehört, erscheint nicht komplexer, als jede neu erworbene Form hinsichtlich einer von acht oder zehn lexikalischen Kategori-en, bestimmten Subkategorisierungsrahmen, der Theta-Markierung und einigen weiteren Faktoren zu bestimmen.

Und eine weitere Frage stellt sich. Wenn die traditionellen Wortartenkatego-rien in der dargestellten Form bereits in hohem Maße in lexikalische Teilaspekte zu analysieren sind, welchen Status besitzen dann noch die Kategorien V, N, AUX etc.?

3.3.2.2.3 Von lexikalischen Kategorien zu Merkmalmengen

Chomsky (1965: 79 ff.) – für den theoretische und kognitive Ökonomie ein ent-scheidendes Kriterium für die Bewertung linguistischer Theorien darstellt – weist auf eine unvorteilhafte Folge hin, die mit der Annahme atomarer lexikalischer Kategorien verbunden ist. Wenn man nämlich z. B. Verben, Substantive und Adjektive einander gegenüberstellt, wird dadurch verschleiert, dass die letz-teren beiden eine Reihe von Eigenschaften teilen, die sie gemeinsam von Verben unterscheiden (Deklinierbarkeit vs. Konjugierbarkeit). Ähnliches lässt sich für andere Kategorienpaare feststellen, etwa für Verben/Hilfsverben oder Substantive/Pronomina.

In Anlehnung an ein Verfahren, dass in der Phonologie (Trubetzkoy 1939) seit den 1930er Jahren gebräuchlich ist, schlägt Chomsky vor, auch die lexika-lischen Kategorien als Komplexe von binären Merkmalen zu betrachten, die

S

N AUX V``,{...}

N` V`, {...}

N V, [___], , {...}

Nancy will return

(vgl. Grewendorf 2002: 86, 21b)

1

AGENT

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also einen von zwei Werten (+/-) annehmen können. Radford (1998) beschreibt dieses Verfahren in folgender Weise:

In work dating back to Chomsky 1970, Chomsky suggested that we can account for cross-categorial properties such as these [nämlich dass sowohl Verben als auch Adjektive als Prädikate fungieren können; T.W.], by analysing categories as com-posites of binary grammatical features (with each feature value representing a set of shared grammatical properties). More specifi cally, he suggested that the four primay lexical categories noun, adjective, verb and preposition can be analysed as comple-xes of just two binary grammatical features, namely [±N] (nominal/non-nominal) and [±V] (verbal/non-verbal), and decomposed into feature matrices (= sets of fea-tures) in the manner indicated [...] below:

verb = [+V, -N] adjective = [+N, +V]noun = [+N, -V] preposition = [-N, -V] (Radford 1998: 64)

Damit nun lassen sich die gemeinsamen transkategorialen syntaktischen Ei-genschaften von Substantiven und Adjektiven ebenso auf ein gemeinsames lexikalisches Merkmal zurückführen wie die von Verben und Adjektiven (bzw. Adverben). Durch die Einführung eines weiteren Merkmals [±F], das Funk-tionswörter von Inhaltswörtern mit konzeptueller Bedeutung absetzt, lassen sich bereits acht lexikalische Klassen defi nieren, ohne dabei die Transkategorialität der einzelnen Merkmale, die sich in den Distributionseigenschaften lexikalischer Einheiten niederschlagen, übergehen zu müssen (s. Abb. 3.8).

LEXICAL CATEGORIES FUNCTIONAL CATEGORIES

noun/N = [+N, -V, -F] pronoun/PRN = [+N, -V, +F]adjective/A = [+N, +V, -F] determiner/DET = [+N, +V, +F]verb/V = [+V, -N, -F] auxiliary/AUX = [-N, +V, +F]preposition/P = [-N, -V, -F] particle/C/I = [-N, -V, +F]

Abb. 3.8: Spezifi kationen für acht lexikalische Kategorien (Radford 1998: 64)

Für das oben bereits näher betrachtete Beispiel return bedeutet dies, dass die Repräsentation seines lexikalischen Eintrags gegenüber (5) zu modifi zieren wäre, indem die erste Angabe einer atomaren lexikalischen Kategorie durch die entsprechende Menge spezifi zierter Merkmale ersetzt wird (s. (6)).

(6) Lexikalischer Eintrag von return mit dekomponierter lexikalischerKategorisierung

return: [+V, -N, -F], [___], 1 , {...} AGENT

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Diese Analyse bedeutet gegenüber einer traditionellen Sichtweise zunächst einmal eine Neubestimmung ausschließlich der internen Struktur lexikalischer Kategorien, insofern diese als komplex betrachtet wird. Die externen Grenzen zwischen Kategorien wie Substantiv und Pronomen oder Verb und Auxiliar und damit die Identitäten dieser Kategorien selbst lösen sich damit nicht notwendi-gerweise auf. So wird return – beispielsweise im Kontext von Strukturbäumen – weiterhin als Verb behandelt und damit als einer einzigen Kategorie angehörig. Dieses Vorgehen ist im Hinblick auf eine Kritik Gisa Rauhs (1998a,b, 2000, 2001) näher zu erörtern und zu bewerten, auf die ich im folgenden Abschnitt eingehen werde.

3.3.2.2.4 Merkmalmengen und Positionen in einem mehrdimensionalen kategorialen Raum

Was Rauh als Kritik an der generativen Auffassung von lexikalischer Katego-risierung durch Merkmalmengen vorträgt, lässt sich im Kern auch als deren Weiterentwicklung, Radikalisierung und Zuspitzung beschreiben:

Nicht N, A, V oder P und weitere Kategorien sind – unabhängig von einer möglichen merkmalbasierten Repräsentation – als lexikalische Kategorienetiketten mit gram-matischer Relevanz zu identifi zieren, sondern jeweils individuelle Merkmalmengen, die die spezifi schen grammatischen Eigenschaften einer lexikalischen Kategorie kodieren. (Rauh 1998a: 18)

Dass die Kategorisiertheit lexikalischer Einheiten nicht in deren Zuordnung zu einer bestimmten Wortart, sondern als Spezifi ziertheit bezüglich einer Reihe von Merkmalen zu begreifen ist, ist bereits im Rahmen der an Chomsky (1965) anknüpfenden Generativen Linguistik angelegt. Ganz in Übereinstimmung mit der generativen wie insgesamt mit der sprachwissenschaftlichen36 Tradition betrachtet auch Rauh lexikalische Kategorisiertheit „als Schnittstelle zwischen Lexikon und Grammatik“ (1998a: 12) in dem Sinne, dass die kategorialen Merkmalspezifi kationen lexikalischer Einheiten deren grammatisches Poten-zial festlegen.

Genau dem könnten Explikationen lexikalischer Einträge wie die in (6) ge-recht werden. Diese enthalten, wie von Rauh (ebd.: 20) selbst vorgeschlagen, u. a. Angaben über die Theta-Rahmen der lexikalischen Einheiten, die z. B. für die Unterscheidung zwischen transitiven und intransitiven Verben verantwortlich

36 Vgl. z. B. Weisgerber (1971 [1950]: 296):Mit der Behandlung der Wortarten betreten wir ein Gebiet, das am Übergang von der Wortlehre zur Syntax liegt. Jedes Wort unserer Sprache gehört in eine Wortart und hat damit Anteil einerseits an der geistigen Umprägung des Seins, wie sie sich im Wortschatz vollzieht, andererseits aber auch an der zweiten Hauptart von Sprachinhalten, wie sie in den Verfahrensweisen der Redefügung vorliegen.

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sind. Allerdings bezweifelt Rauh wohl mit Recht und mit Hinweis auf einschlä-gige in der Forschungsliteratur diskutierte Probleme und auf entsprechende von ihr selbst durchgeführte Beispielanalysen (ebd.: 13 ff.), dass durch die auch noch im Minimalismus (Chomsky 1995; Radford 1997) angenommenen Merkmale [V] und [N] konkrete grammatischen Eigenschaften erfasst werden. Dahinter vermutet sie ein zumindest implizites, sachlich jedoch nicht zu begründendes Festhalten an den klassischen, wenn auch intern in Merkmalmengen dekom-ponierten, Kategorien Substantiv, Verb etc.

Genau dagegen jedoch wendet sich Rauh. Für sie besteht die Kategorisiertheit einer lexikalischen Einheit hinsichtlich ihrer syntaktischen Eigenschaften nicht in deren Zugehörigkeit zu einer einzigen lexikalischen Klasse. Nimmt man Letzteres an, muss man, wie dies oben im Zusammenhang mit distributionellen Ansätzen erkennbar wurde, von einer unüberschaubar großen Menge von Wort-klassen ausgehen. Dem entgegen setzt Rauh das Bild eines „Kategorienraums“, innerhalb dessen jeder lexikalischen Einheit über die Spezifi kation lexikalischer, das grammatische Potenzial determinierender Merkmale ein bestimmter Ort zukommt:

Es ist nicht angemessen, den Kategorienraum in eine endliche Menge von separaten Kategorien X

i einteilen zu wollen und zu postulieren, daß eine lexikalische Einheit

aufgrund ihres Kategorienetiketts, z. B. N oder V oder P, etc. oder merkmalbasier-ten Spezifi kationen davon, im Regelfall einer – und nur einer – solchen Kategorie zugeordnet wird. (Rauh 1998a)

Für das mentale Lexikon bedeutet dies, dass es lexikalische Kategorien – als fest umgrenzte Ausschnitte des mehrdimensionalen kategorialen Raums – darin nicht gibt. Aus der Perspektive des Sprachbeschreibers lassen sich Gruppen lexikalischer Einheiten mit bestimmten gemeinsamen grammatischen Eigen-schaften jedoch Kategorienetiketten zuweisen. Entscheidend hierbei ist, dass einer gegebenen lexikalischen Einheit nicht nur ein einziges Kategorienetikett zukommt, sondern mehrere je nachdem, welche mit anderen Einheiten geteilten grammatischen Eigenschaften gerade fokussiert werden.

Die Bestimmung des grammatischen Potenzials einer lexikalischen Einheit und damit ihrer Position im kategorialen Raum des mentalen Lexikons erfolgt innerhalb der Merkmaldimensionen, die diesen Raum defi nieren. Rauh unter-scheidet zu diesem Zweck:

[...] vier Typen von Merkmalen [...], die diese Bedingung erfüllen, nämlichθ-Merkmale in einem θ-Raster – oder in einer Argumentstruktur –, Operatoren-merkmale, Quantorenmerkmale sowie formale morpho-syntaktische Merkmale.

(Rauh 1998a: 19 ff.)

Die Gesamtanzahl der den vier Typen zugeordneten grammatischen Merkmale und damit der Dimensionen, in denen sich lexikalische Einheiten im Prinzip unterscheiden können, gibt Rauh nicht exakt an. Ihre Darstellung lässt jedoch erkennen, dass sie von mehr als 15 ausgeht. Natürliche Klassen vereinen

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demnach Einheiten, die bestimmte Merkmalspezifi kationen teilen. Dies führt einerseits zu einer feineren Ausdifferenzierung innerhalb der traditionellen Wortarten, wie Rauh detailliert am Beispiel der englischen Präpositionen bzw. Adverben zeigt (Rauh 1987a,b,c, 1998b). Andererseits lassen sich jedoch auch grammatische Gemeinsamkeiten über die klassischen Wortartengrenzen hinweg erfassen, wie dies bereits Chomsky (1965) hervorgehoben hatte. So sind For-men wie /left/ (past tense von to leave („fortgehen“)) und /off/ („herunter von, heraus aus“), die beide ein externes Argument lizensieren, aufgrund identischer Theta-Merkmale Elemente derselben Kasse, während sie im Hinblick auf ihre Flexionseigenschaften natürlich unterschiedlichen Klassen zuzurechnen sind (Rauh 1998a: 20).

Damit lassen sich die wesentlichen Züge von Rauhs Auffassung vom Wesen lexikalischer Kategorisierung zusammenfassen: Die Position einer lexikalischen Einheit im Kategorienraum bestimmt deren grammatisches Potenzial. Dies er-folgt nicht per Mitgliedschaft in einer (und nur einer) einzigen Kategorie (Verb, Substantiv etc.), die als festumgrenzter Ausschnitt des Kategorienraums defi -niert wäre, sondern aufgrund einer individuellen Menge von Merkmalen, die das mögliche grammatische Verhalten der Einheit festlegen. Unterschiedliche lexikalische Einheiten stehen zueinander im Hinblick auf diese Merkmalmengen zumeist im Verhältnis von mehr oder weniger großen Familienähnlichkeiten; völlige Merkmalidentitäten sind ebenso eher selten wie der völlige Mangel an Übereinstimmungen. Jede Einheit ist Element einer Vielzahl von Kategorien, die sich vom Standpunkt des Sprachwissenschaftlers über unterschiedliche Kombinationen von Merkmalen bzw. von Merkmalspezifi kationen defi nieren.

Wie oben bereits festgestellt, ist Rauhs Kritik an Chomsky und den ihm folgenden Generativisten37 nachvollziehbar, wo sie das Festhalten an den Merkmalen [N] und [V] problematisiert. Dass die Rauh’sche Metapher vom Kategorienraum mit seinen mehr als 15 Dimensionen gegenüber den sich an Chomsky anschließenden Darstellungen (z. B. in Radford 1997) detailliertere und infolgedessen den sprachlichen Fakten angemessenere Beschreibungen zulässt, ist hingegen keineswegs offensichtlich. Zwar analysiert Radford die traditionellen „Haupt-“ sowie einige „Nebenwortarten“ unter Bezugnahme auf nur drei Merkmale ([±N], [±V], [±F]). Darüber hinaus jedoch enthalten generative Repräsentationen lexikalischer Einträge weitere das grammatische Potenzial von Wörtern betreffende Informationen (s. o. (6)). Drunter sind u. a. das Theta-Raster sowie eine Reihe von Merkmalen zu fassen, die weitgehend den von Rauh so genannten Operatoren- und Quantorenmerkmalen ([±deictic, ±defi nite, ±count etc.]) entsprechen.

37 Vgl. Wunderlich 1996 sowie einige dort (ebd.: 8/9) zitierte Studien, die Merkmal-auffassungen lexikalischer Kategorien vorstellen und von dieser Kritik Rauhs nicht betroffen sind.

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Vor diesem Hintergrund scheint Rauhs Vorschlag durch die Eliminierung der Merkmale [V] und [N] und damit gleichsam der letzten Spuren der traditionellen Kategorien Verb und Substantiv38 eine Entwicklung fortzuführen, die bereits in Chomskys Aspects (1965) angelegt ist und vom Fries’schen Distributionalismus fort führt: Die Vorstellung von lexikalischen Kategorien als scharf gegeneinander abgegrenzten Klassen von Einheiten mit identischen Distributionseigenschaften wird schrittweise aufgegeben bis hin zur Annahme eines vieldimensionalen kate-gorialen Raums als Komponente des mentalen Lexikons. Innerhalb dieses Raums kommt jeder lexikalischen Einheit ein bestimmter Ort zu, dessen Koordinaten durch eine Menge lexikalischer Merkmale defi niert sind. In dieser Lokalisiertheit ist dann die Kategorisiertheit lexikalischer Einheiten zu sehen.

Lexikalische Kategorien oder gar Wortarten in der Form von diskreten Aus-schnitten des kategorialen Raums gibt es unter diesen Voraussetzungen nicht. Rauh (2001) stellt hierzu fest:

Während also in der generativen Transformationsgrammatik die Regeln Wortarten berücksichtigen, greifen die Prinzipien der Prinzipien- und Parametertheorie und des Minimalistischen Programms auf einzelne Merkmale zu. Theoretisch gesehen spielen daher Wortarten in diesem Modell keine Rolle mehr. (ebd.: 33)

Nur vom externen Standpunkt des Linguisten aus und je nach Erkenntnisinter-esse (vgl. hierzu vor allem Rauh 2001) lassen sich solche Kategorien im Sinne natürlicher Klassen von Einheiten mit partiell identischen Merkmalen bzw. Merkmalspezifi kationen aussondern. Eine prinzipielle Unvereinbarkeit zwischen den Konzeptionen von Rauh einerseits und Chomsky, Radford und anderen Generativisten andererseits ist in dieser Hinsicht wohl nicht festzustellen.39

38 Dies gilt nur in dem für diese Untersuchung relevanten Hinblick auf lexikalische Kategorisierung als Schnittstelle zwischen Lexikon und Grammatik. Interessanter-weise stellt Rauh in den hier immer wieder zitierten Beiträgen (Rauh 1998, 1999, 2000, 2001) dieser Sichtweise das Konzept von Wortarten an die Seite. Diesen sei aber „in der modernen Linguistik“ anders als ursprünglich in der „techné grammati-ké“ keine grammatische Funktion mehr zuzuschreiben. Vielmehr repräsentierten sie „kognitive Kategorien, die der Strukturierung des Vokabulars einer Sprache dienen“ (Rauh 2001: 21). Mit dieser Charakterisierung zielt Rauh jedoch offensichtlich nicht auf eine Komponente des sprachlichen Wissens von Sprechern ab. Vielmehr sieht sie in den Wortarten ein Konstrukt der Sprachbeschreibung, des Redens über Sprache, das wesentlich durch die kognitiven und kulturellen Faktoren geprägt ist, die die Tätigkeit des Beschreibens (nicht die des Sprechens überhaupt) determinieren (vgl. ebd.: 37).

39 Bezogen etwa auf die oben zitierte Darstellung merkmalbasierter Kategorien in Rad-ford (1997: 66), lassen sich im Sinne Rauhs folgende natürliche Kategorienklassen unterscheiden:

(I) nominale vs. non-nominale Einheiten ([+N] vs. [-N])(II) verbale vs. non-verbale Einheiten ([+V] vs. [-V])(III) funktionale vs. lexikalische Einheiten ([+F] vs. [-F])

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3.3.2.3 Zur Aufl ösung des Konzepts lexikalische Kategorie

Mit der Bezeichnung syntaktische Auffassungen wurden hier diejenigen grammatischen Konzeptionen zusammengefasst, die davon ausgehen, dass die Kategorisierung sprachlicher Einheiten auf der Ebene des Lexikons die Distributionseigenschaften dieser Einheiten in wechselseitiger Weise sowohl widerspiegeln als auch festlegen. Im Hinblick auf das mentale Lexikon indi-vidueller Sprecher erscheint lexikalische Kategorisierung demnach zunächst als das Ergebnis eines Spracherwerbsprozesses, in dessen Verlauf Sprecher le-xikalische Einheiten als solche mit einem bestimmten Verwendungspotenzial erlernen. Gleichzeitig ist die Kategorisiertheit lexikalischer Einheiten jedoch auch eine notwendige Voraussetzung für das je eigene Sprechen, insbesondere für die regelhafte Verknüpfung von lexikalischen Einheiten zu syntaktisch komplexen Sätzen.

Während Autoren von Bloomfi eld bis Rauh an dieser Grundannahme festhal-ten, wandelt sich die Auffassung von der Struktur lexikalischer Kategorisierung erheblich. Dieser Wandel lässt sich als schrittweise Aufl ösung des Konzepts diskreter, scharf voneinander abgegrenzter Kategorien darstellen.40 Vier Phasen lassen sich dabei unterscheiden: (I) die Vorstufe schulgrammatischer Klassifi -zierung, (II) der vor allem von Fries geprägte distributionell-strukturalistische Ansatz, (III) die generative Auffassung und (IV) deren Fortführung und Radi-kalisierung bei Rauh.

(IV) nominale verbale vs. nominale non-verbale Einheiten ([+N, +V] vs.[+N, -V])

(V) nominale funktionale vs. nominale non-funktionale Einheiten ([+N, +F] vs. [+N, -F])...

Von Rauhs Standpunkt aus ist dabei entscheidend, dass es diese Darstellung erlaubt, das Wort /haus/ mehreren natürlichen Klassen zuzuordnen, die einander nur teilweise überlappen. Einer dieser Klassen gehört /haus/ u. a. gemeinsam mit /sie/, einer anderen gemeinsam mit /laufen/ an. Das Verb und das Pronomen hingegen teilen kein einziges Merkmal und somit auch keine einzige Klassenmitgliedschaft.

40 An dieser Stelle seien am Rande „einige formale Ähnlichkeiten zwischen Syntax und Phonologie“ (Chomsky 1965: 79) hervorgehoben, auf die seit Chomskys Aspects bis in die Gegenwart hinein immer wieder punktuell hingewiesen wurde, die jedoch auch in Bezug auf den Verlauf der Theorieentwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts festzustellen sind. Was sich nämlich mit Blick auf die lexikalischen Kategorien als Prozess der schrittweisen Aufl ösung eines theoretischen Konzepts beschreiben lässt, fi ndet seine Entsprechung in der Geschichte der Phonologie. Auch in diesem Bereich lässt sich beobachten, wie die traditionelle Auffassung des als sprachliches „Atom“ begriffenen Sprachlauts zunächst in den Begriff des distributionell und dann über Mengen distinktiver Merkmale defi nierten Phonems überführt wurde, um schließlich im Rahmen der autosegmentalen Phonologie (vgl. Durant 1990; ) – Durant spricht auch von der „multidimensionalen“ Phonologie (ebd.: 242 ff.) – weitestgehend aufgelöst und aufgegeben zu werden.

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Die schulgrammatische Konzeption bildet die Vorstufe aller modernen Auf-fassungen lexikalischer Kategorisierung, insbesondere auch der syntaktischen. Zwar handelt es sich um eine grammatisch-konzeptuelle Mischklassifi kation. Kontinuitäten lassen sich jedoch im Hinblick auf zwei Aspekte feststellen: Erstens betrachten bereits die traditionellen Grammatiker die Redeteile als Schnitt- oder Gelenkstelle zwischen Lexikon und Grammatik; zweitens kom-men die Distributionalisten, die wiederum die Grundlagen der Generativen Grammatik legen, weitgehend zu ähnlichen Klassifi kationsergebnissen wie bereits Dionysios Thrax.

Die Distributionalisten, von denen Bloomfi eld (1933) und vor allem Fries (1952) besonders einfl ussreich wurden, kritisieren die bekannten Schwachstel-len der schulgrammatischen Mischklassifi kation und setzten an ihre Stelle eine monokriterial syntaktische Konzeption der Redeteile (parts of speech). Dabei strebt Fries – anders als etwa Bergenholtz/Schaeder (1977) – mehr an als die Beschreibung eines Aspekts des Sprachsystems, die an seinen individuellen For-schungsinteressen und -bedingungen ausgerichtet und daher in ihrem Geltungs-anspruch relativ dazu wäre. Im Rahmen ihrer behavioristischen Grundauffassung gehen die Distributionalisten davon aus, dass eine Konzeption lexikalischer Kategorisierung nur dann angemessen sein kann, wenn sie zu erklären erlaubt, wie Menschen Sprache im Laufe ihrer Sozialisation und kognitiven Entwick-lung ohne alle sprachspezifi schen Vorkenntnisse und Vorprägungen erwerben. Der Distributionalismus nimmt damit also zumindest implizit einen kognitiven Standpunkt ein.

Die Festlegung auf das distributionelle Kriterium bei der Defi nition von Wortklassen bringt eine Reihe von Konsequenzen mit sich. Die gravierendsten bestehen darin, dass die Anzahl der zu unterscheidenden Wortklassen unüber-schaubar groß ist und dass Klassengrenzen zwischen sprachlichen Einheiten, etwa zwischen unterschiedlichen Flexionsformen von Wörtern, angenommen werden müssen, wo dies sehr unplausibel erscheint. Aus distributionalistischer Perspektive tritt somit ein Problem in potenzierter Form auf, das bereits im Zusammenhang mit Aristoteles’ Defi nition von Onomata und Rhemata zu Tage trat. Allein die nominalen Paradigma mit ihren Ausdifferenzierungen bezüglich Kasus, Numerus und Genus rechtfertigen die Unterscheidung einer Vielzahl von Klassen. Der Bereich der Verben erscheint noch heterogener, und es lassen sich wohl kaum zwei der so genannten „Funktionswörter“ fi nden, deren Distri-butionseigenschaften identisch wären und die damit einer Distributionsklasse zuzuordnen wären.

Die Distributionalisten sehen das Problem und „lösen“ es, indem sie die Klassifi kation in einer Weise vereinfachen, die zu einem dem traditionell schul-grammatischen System sehr ähnlichen Ergebnis führt. Dieses Vorgehen kann jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht nicht befriedigen. So bleibt völlig unklar, nach welchem Prinzip, auf welche systematische Weise diese Reduktion erfolgt. Die vier Fries’schen parts of speech sind jedenfalls keine Distributionsklassen

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und mangels der Angabe anderer Defi nitionskriterien liegt die Annahme nahe, hier habe sich die durch sprachwissenschaftliche Tradition geprägte Intuition durchgesetzt.

Ob das syntaktische Kriterium konsequent in Anspruch genommen wird oder nicht, ist in einer weiteren Beziehung von großer Bedeutung. Bereits in Kapitel 2 wurde deutlich, dass die Antwort auf die Frage, was eine lexikalische Einheit sei, nicht offensichtlich ist. Die Distributionalisten gehen von konkreten, pho-nologisch und semantisch defi nierten Wortformen (formatives, linguistic forms; vgl. Bloomfi eld 1984: 158) als sprachlichen Grundbestandteilen aus. /baum/ und /bäume/ sind demnach zwei unterschiedliche lexikalische Einträge mit unter-schiedlichen syntaktischen Merkmalen zugeordnet. Nimmt man die syntaktische Klassifi zierung nun aber so weit zurück, dass unterschiedliche Flexionsformen desselben Worts auch identischen Wortklassen angehören, steht man vor zwei Alternativen: Entweder man geht davon aus, dass es lexikalische Einheiten gibt, die sich allein in ihrer formalen Struktur unterscheiden, hinsichtlich aller ande-ren Merkmale jedoch identisch sind, oder aber man setzt lexikalische Einheiten gleich mit in phonologischer Hinsicht abstrakten Lexemen. Beide „Lösungen“ erscheinen jedoch unbefriedigend.

Die Generative Grammatik geht aus dem behavioristisch orientierten distri-butionellen Strukturalismus hervor. Wie dieser repräsentiert der Generativismus eine kognitive Theorie von Sprache. Lexikalische Kategorisiertheit besteht dem-nach in dem syntaktischen Potenzial von Einheiten des mentalen Lexikons. Auf der Basis dieser Gemeinsamkeiten, ziehen die Generativisten jedoch Kon-sequenzen aus den Problemen, die die Distributionalisten, wie gesehen, nicht befriedigend lösen konnten. Die Frage danach, wie die Sprecher einer Sprache identische Kategorien erwerben können, wird mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass sie auf einer falschen Annahme beruhe. Lexikalische Kategorien werden nicht erworben, sie sind genetisch determiniert und angeboren.

Der Schwierigkeit, dass sich die große Vielfalt in Bezug auf die syntak-tischen Eigenschaften lexikalischer Einheiten nicht mit der Annahme von acht, zehn oder auch nur einer überschaubar großen Anzahl (z. B. 51 wie bei Bergenholtz/Schaeder 1977) von Distributionsklassen erklären lässt, begegnen die Generativisten mit der Einführung syntaktischer Merkmale in die Theorie der Kategorisierung. Das syntaktische Verhalten lexikalischer Einheiten wird demnach nicht mehr über deren Mitgliedschaft in einer lexikalischen Kategorie festgelegt, sondern über eine Menge von Merkmalen. Hier sind zum einen die Merkmale [N] und [V] zu nennen, denen Radford (1997) noch das Funktionali-tätsmerkmal [F] zur Seite stellt und mittels deren die wichtigsten der klassischen Wortarten analysiert werden können. Neben diese Faktoren, die bei weitem nicht ausreichen, das Distributionspotenzial lexikalischer Einheiten vollstän-dig zu bestimmen, treten in der Repräsentation lexikalischer Einträge weitere Informationen, wie etwa das Theta-Raster. Die klassischen Wortarten werden auf diese Weise als theoretische Konzepte dekomponiert und als intern komplex

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analysiert. Damit lassen sich einerseits das Problem der großen Kategorienan-zahl vermeiden und andererseits Generalisierungen zum Ausdruck bringen, die durch partielle Übereinstimmungen bezüglich des syntaktischen Verhältnisses z. B. von Substantiven und Adjektiven gerechtfertigt sind.

Gisa Rauh geht auf dem Weg, die traditionellen Kategorienbegriffe aufzulö-sen, noch einen Schritt weiter, wenn sie dafür plädiert, auch die Merkmale [N] und [V] aus der Theorie zu eliminieren. Sie begründet diese Entscheidung mit dem Hinweis darauf, dass es keine klar umrissenen Distributionseigenschaften gebe, die mit diesen Merkmalen korrelieren. Während man also bei den an Chomsky (1965) anknüpfenden Generativisten noch den Eindruck gewinnen könnte, die schulgrammatischen Wortarten wirkten, wenn auch in der dekom-ponierten Form von Merkmalmengen, als Komponente lexikalischer Repräsen-tationen fort, haben sich die Wortarten bei Rauh vollständig in eine Menge von Merkmalen aufgelöst, die in ihrer Gesamtheit den Kategorienraum defi nieren.

Individuelle Teilmengen hieraus bestimmen nach Rauh die einzelnen lexika-lischen Einheiten hinsichtlich ihres syntaktischen Potenzials. Im kategorialen Raum gibt es keine abgegrenzten Teilräume, die diskreten Wortklassen ent-sprächen, wie dies Merkmalbündel der Form [±N; ±V; ±F ] noch nahe legen, die weitgehend der traditionellen Verb-Kategorie entsprechen. Eine Einheit des Lexikons gehört also nicht gemeinsam mit mehr oder weniger zahlreichen anderen einer bestimmten Klasse an (und nur dieser), sondern teilt mit anderen Einheiten mehr oder weniger viele syntaktische Merkmale in einer Weise, die als Familienähnlichkeit beschreiben werden kann.

Eine abschließende Bemerkung ist noch mit Blick auf die metaphorische Rede vom Kategorienraum angebracht. Wie weiter unten (Kapitel 4) noch deutlich wird, erscheint die Modellierung des mentalen Lexikons als einen mehrdi-mensionalen kategorialen Raum aus einer Reihe von Gründen als angemessen (vgl. auch Croft 2000). Allerdings ist im Hinblick auf Rauh anzumerken, dass sie dieses Bild doch nur sehr unvollständig und wenig konsequent ausführt. Dies betrifft mehrere Aspekte: Zum einen handelt es sich bei den durch Rauhs Merkmale defi nierten Dimensionen um solche sehr unterschiedlicher Struktur. Während etwa diejenigen der Zählbarkeit [±count] und der Defi nitheit [±def] binärer Art sind, bleibt unklar, wie sich unterschiedliche Theta-Rahmen und Argumentstrukturen sinnvoll linear in einer Dimension oder auch in mehreren anordnen lassen könnten.

Die vom Bild des Raums – zumindest für Nicht-Mathematiker – evozierte Vorstellung von Kontinuität und allmählichen Übergängen zwischen unter-schiedlichen Raumpositionen lässt sich mit keinem der von Rauh genannten Merkmale verbinden. Anzumerken ist darüber hinaus, dass es wohl keine le-xikalische Einheit gibt, die bezüglich aller Merkmale spezifi ziert ist. Artikel, wie /der/ oder /eine/, verfügen beispielsweise weder über Theta-Rahmen noch sind sie im Hinblick auf ihre Temporalität bestimmt. Analoges lässt sich für alle anderen lexikalischen Einheiten feststellen.

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Von den drei wesentlichen grammatischen Ansätzen einer Theorie lexikalischer Kategorisierung bleibt zuletzt noch die diskursfunktionale Konzeption zu erör-tern, die vor allem von Paul Hopper und Sandra Thompson (1984, 1985) entwi-ckelt wurde. Auch aus der Perspektive dieser Autoren ist Kategorisiertheit als das Potenzial lexikalischer Einheiten aufzufassen, in bestimmten grammatischen Komplexen verwendet zu werden. Verwendbarkeit wird jedoch nicht sprach-immanent als morphologische Veränderbarkeit oder als syntaktische Verknüpf-barkeit in Sätzen defi niert, sondern als Prädisposition hin auf die Realisation bestimmter Diskursfunktionen. Morphosyntaktische Eigenschaften lexikalischer Einheiten sind demnach als Folge oder Widerspiegelung funktionaler Eigen-schaften zu betrachten. Mit der Einnahme des diskursfunktionalen Standpunkts gehen weitere theoretische Entscheidungen einher, die diesen Ansatz von den dargestellten syntaktischen Konzeptionen unterscheiden. Dies betrifft insbeson-dere die Überzeugung, dass die Merkmale, die die Eigenschaften lexikalischer Einheiten bestimmen, nicht binärer Natur sind. Vielmehr gehen die Funktiona-listen41 davon aus, dass lexikalische Kategorisierung prototypikalischer Natur ist, dass also syntaktische Eigenschaften den Einheiten in einem mehr oder weniger hohen Maße zukommen können. Dies erfordert eine ausführlichere Darstellung.

3.3.3 Die diskursfunktionale Konzeption lexikalischer Kategorisierung

Sprache ist Lexikon und Grammatik. Die Grammatik ist die Domäne des sprach-lichen Wissens, das Sprecher in die Lage versetzt, einfache sprachliche Einheiten zu komplexen Äußerungen zu verbinden bzw. komplexe Äußerungen als solche Verbindungen zu analysieren und zu verstehen. Welche Verbindungen zulässig,

41 Anders als Generativismus und Generativisten sind Funktionalismus und Funktio-nalisten keine Termini, die auf ein einziges relativ geschlossenes (sprach-)wissen-schaftliches Paradigma bzw. dessen Vertreter verweisen. Allein schon innerhalb der Linguistik charakterisieren Autoren, die so verschieden sind wie die Vertreter der Prager Schule (Cmejrková/Štícha 1994), M.A.K. Halliday (1994)), Simon Dik (1997a,b), Eugenio Coseriu (1987a) und natürlich die im Folgenden häufi g zitierten Diskursfunktionalisten und Kognitivisten, ihre Ansätze als funktional(istisch) bzw. ihre Untersuchungsgegenstände als Sprache und ihre Funktionen.

Wenn hier also von Autoren wie Talmy Givón (1998), Paul Hopper und Barbara Fox einerseits und Ronald W. Langacker, Brian MacWhinney und Elizabeth Bates andererseits unter der Rubrik Funktionalismus gesprochen wird, dann geschieht das, weil eine solche Zusammenfassung einerseits berechtigt ist und andererseits ein eindeutigerer und in der Sache angemessener Terminus nicht zur Verfügung steht. Keineswegs wird damit implizit der Anspruch erhoben, hier handele es sich um die einzig sinnvolle oder gar mögliche Form des Funktionalismus.

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akzeptabel oder grammatisch sind, ist durch Mechanismen determiniert, die sich den Ebenen der Wortbildung und Flexion, der Syntax und des Diskurses, d. h. der kontextgebundenen Rede, zuordnen lassen. Aus dieser Perspektive ist die Zugehörigkeit einer lexikalischen Einheit zu einer Wortart bzw. zu einer lexi-kalischen Kategorie auf ihre Verbindbarkeit zurückzuführen, als ihr Potenzial, bestimmte Positionen und Funktionen in grammatisch komplexen sprachlichen Einheiten auszufüllen.

In Abschnitt 3.3.1 habe ich dargestellt, dass Unterschiede bezüglich der morphologischen Eigenschaften von Wörtern nicht das alleinige Kriterium zur Strukturierung mentaler Lexika und deren Unterteilung in Wortklassen dar-stellen können. Anders verhält es sich, wie in 3.3.2 gesehen, mit syntaktischen Kriterien der Ausdifferenzierung lexikalischer Kategorien. Vom syntaktischen Standpunkt aus betrachtet, erfüllt die lexikalische Kategorisiertheit von Ein-heiten des mentalen Lexikons genau die Aufgabe, die den Redeteilen seit jeher ihren zentralen Stellenwert in der Sprachforschung gesichert hat. Sie bildet die Schnittstelle zwischen Lexikon und Grammatik im Sinne von Morphosyntax. Kategorisiert zu sein bedeutet für eine lexikalische Einheit dann, an spezifi schen Positionen in Syntagmen vorkommen zu können. Fasst man den Begriff des Syntagmas so weit, dass er alle „Kombinationen von ‚Formen‘“ (Coseriu 1987d: 87) einschließt, dann lassen sich diesem Verständnis gemäß auch morphologische Merkmale als das Potenzial einzelner lexikalischer Einheiten einschließen, sich mit bestimmten Morphemen zu komplexen Wortformen zu verbinden.42

Nicht die Sprache bzw. eine bestimmte Sprache, sondern das Wissen indivi-dueller Sprecher ist die Domäne lexikalischer Kategorisierung. Diese Annahme wurde oben ausführlich begründet. Sprecher produzieren und verstehen nicht Sätze, die syntaktischen Regeln etc. genügen, sondern kontextualisierte Äuße-rungen, die ihren kognitiven bzw. kommunikativen Anliegen und der Situati-on möglichst weitgehend genügen sollen. Geht man also vom individuellen Sprecher und dessen sprachlich-kognitiven und interaktionalen Bedürfnissen aus, tritt eine Voraussetzung hervor, auf der alle bisher erörterten syntaktischen Ansätze beruhen. Diese betrachten grammatische Strukturen als unabhängig von kommunikativen Funktionen. Lexikalische Einheiten gehen demnach in einem

42 Dass der Übergang zwischen Wortform im engeren Sinne und Syntagma ein fl ießender ist, spiegeln für das Deutsche u.a die Schwierigkeiten der Getrennt- und Zusammen-schreibung z. B. von so genannten Funktionsverbgefügen, Verbkomposita und usu-ellen P+N-Verbindungen (zur Folge/zurfolge, zur Zeit/zurzeit, von Seiten/vonseiten etc. etc.) wider. Diese Schwierigkeiten auf einen Mangel an „Bildung“ seitens der Schreiber oder auf die Unfähigkeit von Rechtschreibkommissionen zum sachgemäßen Konsens zurückzuführen, hieße zu verkennen, dass wir es hier mit einem Phänomen der Sprachdynamik zu tun haben. Diese Dynamik äußert sich für den Einzelnen in einer Unsicherheit bezüglich der Wahl zwischen zwei möglichen Schreibungen und für die Schreibgemeinschaft als Ganzes in einer gewissen Varianz, die sich eindeutigen normativen Festlegungen widersetzt (s. u. dazu Kapitel 5.3).

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ersten Schritt als Elemente in Syntagmen ein, die in einem zweiten Schritt die Basis für Äußerungen bilden. Folglich determiniert und refl ektiert lexikalische Kategorisierung die Verhältnisse auf der Ebene der Syntax und ist unbeeinfl usst von Diskursfaktoren. Dies ist die generative modulare Auffassung.

Die Konzeption einer „autonomen“ Syntax ist seit ihrer ersten Formulierung von Sprach- und Kognitionswissenschaftlern kritisiert worden, die im Zusam-menhang von kognitiven (Langacker 1987, 1991; Lakoff 1988) und diskurs-funktionalen (Givón 1979) Grundorientierungen eine integrative Auffassung von Sprache und Sprechen vertreten. Sprachliches Wissen, die Fähigkeit zu sprechen und Gesprochenes zu verstehen, gilt diesen Forschern nicht als eigene, gegenüber anderen kognitiven Modulen abgegrenzte Kompetenz, sondern als Produkt einer spezifi schen Interaktion allgemeiner kognitiver Prinzipien und Ressourcen, an denen auch etwa das Wahrnehmen, das Schlussfolgern oder das Planen teilhaben.43 Auch die Struktur von Sprache selbst wird als ganzheitlich strukturiert betrachtet. So stellen sich morphologisches, syntaktisches, seman-tisches und diskurs-funktionales Wissen nicht als selbständige Module dar, sondern als unterschiedliche Aspekte sprachlichen Wissens, dessen Elemente und Strukturen hochgradig miteinander verwoben und in wechselseitigen Ab-hängigkeiten voneinander stehen.

Syntaktische Strukturen und Prinzipien beruhen dieser Sicht gemäß auf kognitiven Strukturen und refl ektieren Funktionen von Sprache in Diskurs und

43 Langacker (2000a) führt hierzu unter der Überschrift Cognitive abilities ganz konkret aus:

From research in cognitive linguistics, it appears that quite a number of such abi-lities are relevant to lexical semantics and to language structure more generally. We have, fi rst, the inborn capacity for certain basic kinds of experience: we can experience a certain range of colors, pitches, tastes, smells, and tactile sensati-ons; we have a notion of spatial extensionality in which spatial confi gurations can be manifested; we sense the passage of time; we undergo a certain array of emotions; and so on. I refer to these irreducible realms of experiential potential as basic domains. We have, next, various cognitive abilities that are applicable to any domain of experience and essential to the emergence of specifi c concepts [...]. We can, for instance, compare two experiences and register either their iden-tity or any discrepancy between them. We can use one structure as the basis for categorizing another. We have the capacity for abstraction (schematization) [...]. We are able to direct and focus our attention, and to structure scenes in terms of fi gure/ground organization [...].

Less often noted are cartain equally fundamental abilities [...]. One is the ability to establish relationships: to conceive of entities in connection with one another [...] We are also capable of grouping a set of entities—on the basis of similarity, proximity, or some other relationship—and manipulating that group as a unitary entity for higher-order purposes. [...] A further capacity is mental scanning, in which we trace a path through a complex structure. [...] (ebd.: 2 f.; Hervorhebungen im Original).

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Kognition. Für eine grammatische Auffassung lexikalischer Kategorisierung geht dies mit der Annahme einher, dass Kategorien nicht primär syntaktische Distributionspotenziale, sondern die typischen Diskursfunktionen widerspiegeln, die das morphosyntaktische Verhalten lexikalischer Einheiten bestimmen. Pro-grammatisch formulieren Paul Hopper und Sandra Thompson diese Sichtweise bereits im Titel ihres Beitrags The discourse basis for lexical categories in universal grammar (Hopper/Thompson 1984).

In diesem und in einem weiteren, den ersten im Wesentlichen bestätigenden, Aufsatz (1985) setzten die beiden Autoren das vor allem von Talmy Givón (z. B. 1979) formulierte diskursfunktionale Programm am Gegenstand lexikalischer Kategorien um. Anders als dies in dieser Arbeit bisher der Fall war und auch weiterhin sein wird, beziehen sie sich mit diesem Terminus nicht auf Kategorien innerhalb der Domäne des Lexikons, die als solche dann von grammatischen Kategorien abzugrenzen wären. Vielmehr geht es ihnen um eine Differenzierung innerhalb der Grammatik, wo Formen von „Inhaltswörtern“, d. h. konkrete Re-alisierungen lexikalischer Einheiten im Diskurs, den lexikalischen und Formen von „Form- oder Funktionswörtern“ den funktionalen Kategorien zugeordnet werden. Entgegen der Meinung Hoppers und Thompsons (1984: 747), die Einheiten des Lexikons seien „akategorial“, möchte ich im Folgenden zeigen, dass die in ihren Beiträgen vorgetragenen Überlegungen und Befunde auch Implikationen für eine Analyse des kategorialen Status der Elemente mentaler Lexika besitzen.

Hopper und Thompson (1984) verweisen auf die wissenschaftshistorische Arbeit von Robins (1952) und darüber hinaus auf die Wortartenforschung der jüngeren typologischen Universalienforschung, wenn sie feststellen, dass die Kategorien Substantiv und Verb die einzigen seien, deren Universalität als gesichert gelten könne. Als ausschlaggebend für die Identifi kation einer Wortform als Vertreterin einer bestimmten Kategorie gelten ihnen morphosyntaktische Merkmale. Ein typisches Substantiv erkennt man also an seiner Bestimmtheit im Hinblick auf Kasus, Numerus, Genus und seinem Wortstellungsverhalten; Typische Verben sind für Tempus, Modus und Aspekt markiert und nehmen ebenfalls charakte-ristische Positionen im Satz ein. In Sprachen ohne Flexionsmorphologie lassen sich andere grammatische Verfahren beobachten, die die Unterscheidung von genau zwei einander entgegengesetzten Formklassen rechtfertigen.

Untersucht man in einer beliebigen Einzelsprache Wortformen im Diskurs, lassen sich diese jedoch nicht allein auf der Ebene der Morphosyntax, sondern auch hinsichtlich der Semantik und der Pragmatik bzw. der Diskursfunktion ana-lysieren. So sind aus semantischer Perspektive Wortformen, die zeitstabile44 und

44 “THE TIME-STABILITY CRITERION FOR ENTITIES: An entity x is identical to itself if it is identical only to itself but not to any other entity (y) at time a and also at time b which directly follows time a” (Givón 1979: 320; Hervorhebungen im Original fett).

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„dingartige“ (thing-like) und Entitäten denotieren, solchen gegenüberzustellen, die sich auf in der Zeit verlaufende Handlungen oder Ereignisse beziehen. Vom pragmatischen Standpunkt betrachtet, stehen sich zwei grundlegende Diskurs-funktionen gegenüber: “the prototypical discourse functions of ‘discourse-ma-nipulable participant’ and ‘reported event’” (Hopper/Thompson 1984: 710).

Betrachtet man die Eigenschaften von Wortformen auf diesen drei Ebenen, lässt sich eine deutliche Korrelation zwischen ihnen feststellen. So zeugen die von Hopper und Thompson angeführten Beispiele und die Belege aus der einschlägigen, vor allem typologisch-sprachvergleichenden, Literatur für eine ausgeprägte universelle Tendenz, derzufolge morphosyntaktische Substantive Objekte denotieren; Sprechern dienen sie im Diskurs dazu, sich auf identifi zier-bare Referenten zu beziehen, die im Weiteren dann „behandelt“ (to manipulate) werden. Diese „Behandelbarkeit“ äußert sich z. B. darin, dass, wenn Substantive referenziell gebraucht werden, ihre Referenten von dieser ersten Erwähnung an als allen Diskursteilnehmern bekannt gelten und nun ein anaphorischer Bezug auf sie möglich ist.

Für Hoppers und Thompsons Argumentation ist die Feststellung, dass Substanti-ve nicht nur zum Referieren verwendet werden, das tun mindestens ebenso häufi g auch Pronomina, sondern im Diskurs meist dazu dienen neue Referenten einzu-führen, von zentraler Bedeutung. Da sie jedoch nicht ohne weiteres evident ist, sollte sie kurz erläutert und belegt werden. Dies ist am ehesten mit Bezug auf John du Bois’ Theorie der präferierten Argumentstruktur (preferred argument struc-ture; du Bois 1985, 1987) zu leisten. Du Bois zufolge spiegelt der morphologi-sche Typ von Realisierungen grammatischer Argumente im gesprochenen Satz (NP mit substantivischem Kern, Pronomen oder Affi x) deren Diskursfunktion wider.

Er unterscheidet in funktionaler Hinsicht zwischen der Einführung neuer, d. h. im Kurzzeitgedächtnis der Teilnehmer nicht aktiver, Information und dem Bezug auf alte, d. h. aktive, Information. Seine Ergebnisse beruhen primär auf der Untersuchung des Sacapultec, einer Maya-Sprache Guatemalas, fi nden sich jedoch durch vergleichbare Analysen einer größeren Anzahl anderer typologisch unterschiedlicher Sprachen, darunter das Deutsche (Schultze-Coburn 1987), bestätigt, so dass er, wenn auch vorsichtig, im selben Sinne von einer univer-sellen Tendenz spricht, wie dies Hopper und Thompson bezogen auf ihre Studie tun. Du Bois fasst die empirischen grammatisch-funktionalen Befunde in vier Beschränkungen (constraints) zusammen:

(I) One Lexical Argument Constraint (ebd.: 819): Sätze (clauses) der gesproche-nen Sprache weisen selten mehr als eine NP mit substantivischem Kern auf (im Folgenden volle NP). Dies bedeutet u. a., dass bei weitem nicht alle gramma-tischen Satzargumente in der natürlichen gesprochenen Sprache, insbesondere nicht alle referierend gebrauchten Argumente, durch volle NPs realisiert wer-den.

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(II) Non-Lexical A Constraint (ebd.: 823) Volle NPs sind nicht gleichmäßig über alle möglichen Argumentstellen verteilt. Vielmehr treten sie vorzugsweise in der Objektposition transitiver (O) und in der Subjektposition intransitiver Sätze (S), kaum aber als Subjekte transitiver oder bitransitiver Sätze (A) in Erscheinung.

Diesen beiden formalen Beschränkungen stehen zwei funktionale gegenüber, die sich auf die präferierte Informationsstruktur (Chafe 1980) von Sätzen ge-sprochener Sprache beziehen:

(III) One New Argument Constraint (ebd.: 826): Ein Satz weist selten mehr als ein Argument auf, das sich auf einen neuen, d. h. noch nicht in den Diskurs einge-führten bzw. für die Diskursteilnehmer kognitiv aktiven, Gegenstand bezieht.

(IV) Given A Constraint (ebd.: 827): Subjekte intransitiver Sätze (A) sind ganz überwiegend pronominal bzw., in Sprachen, die dies erlauben, durch Affi xe realisiert.

Unabhängig von einer Bewertung der funktionalistischen Erklärung, die du Bois (ebd.: 805, 850 f.) für die Form-Funktion-Korrelationen im Bereich der Argumentstruktur vorschlägt, bestätigen die von ihm angeführten empirischen Fakten die Entscheidung Hoppers und Thompsons, morphosyntaktische Nomi-nalität nicht pauschal mit funktionaler Referenzialität in Beziehung zu setzen. Um auf Gegenstände zu referieren, äußern Sprecher Pronomen ebenso oft wie, wenn nicht gar häufi ger als volle NPs mit substantivischem Kern. Typische Substantive dienen vor allem der Erstreferenz oder Ersterwähnung, als einer spezifi schen Form der Referenz, die die „Diskurshandhabbarkeit“ (discourse manipulability) des so eingeführten Gegenstands nach sich zieht. Im größeren Zusammenhang des Diskurses sind die meisten Referenzen keine Erstreferenzen, weshalb sie anaphorisch mittels Pronomen erfolgen.45

Ähnlich wie im nominalen Bereich lässt sich für die zweite morphosyntaktisch defi nierte und Verben genannte46 Formklasse eine enge Beziehung zwischen

45 Die Untersuchung von Äußerungen im Diskurszusammenhang unterscheidet sich somit wesentlich von der Analyse isolierter oder gar konstruierter Beispielsätze. Aus der Perspektive des Rezipienten eines sprachwissenschaftlichen Texts oder des Informanten im Rahmen einer Feldstudie ist jede im Zusammenhang isolierter Sätze erfolgende Bezugnahme auf einen Gegenstand eine Erstreferenz. Der Grund dafür, dass Beispiele vom Typus „Die Rose ist rot“ in der Fachliteratur häufi ger anzutreffen sind als solche vom Typus „Sie ist rot“, ist nicht die größere Repräsentativität ersterer für die jeweils untersuchte Sprache, sondern vermutlich die Tatsache, dass Anaphern außerhalb ihres Kontexts bezugslos und damit in einer wesentlichen Hinsicht unver-ständlich bleiben.

46 Diese Ausdrucksweise ist durch die unten noch folgenreiche Tatsache gerechtfertigt, dass die Beobachtung zweier morphosyntaktisch weitestgehend unterschiedlicher Formklassen ganz unabhängig von der terminologischen Entscheidung ist, sie Sub-stantive und Verben zu nennen.

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formalen und funktionalen Merkmalen feststellen. So ist in den bekannten Spra-chen die Tendenz zu beobachten, dass verbal markierte Wortformen Ereignisse oder Handlungen denotieren und von Sprechern im Diskurs auch dazu gebraucht werden, um sich auf solche zu beziehen.

Die allgemeine Feststellung dieser Verhältnisse zieht zwei Aufgaben nach sich. Zum einen ist für die Substantive zu prüfen, ob Referenzialität und Nicht-referenzialität kontradiktorische Eigenschaften sind oder aber Grenzpunkte auf einer Skala, die weitere und u. U. viele Zwischenpunkte aufweist. Analoges gilt für die Funktionalität von Verbformen. Zum anderen ist zu fragen, ob einer der Ebenen, Morphosyntax, Semantik oder Pragmatik, Priorität zukommt und welche der drei dies gegebenenfalls ist, so dass sie die Verhältnisse auf den anderen zumindest teilweise bedingt.

3.3.3.1 Kategorialität als prototypikalische Eigenschaft

Entscheidet man sich wie Hopper und Thompson dafür, die morphosyntaktischen Merkmale, die Wortformen im Diskurs aufweisen, als Basis für die Zuordnung der Inhaltswörter zu den Kategorien V und N zu betrachten, stellt man fest, dass sich auf diese Weise sehr viel mehr als nur zwei diskrete Formklassen ergeben. Dies haben bereits meine Ausführungen zum Distributionalismus (s. o. 3.3.2.1) deutlich gemacht. Die folgenden beiden Reihen von Beispielen aus dem Deutschen illustrieren,47 was nach Hopper und Thompson eine universell gültige Beobachtung ist. Sowohl nominale als auch verbale Stämme treten in unterschiedlichen morphosyntaktischen Kontexten auf. Sie unterscheiden sich dann hinsichtlich ihrer Flexionsmerkmale, die in den Beispielen durch Tren-nungsstriche und Unterstreichung hervorgehoben sind, ihrer Wortstellung und anderer Eigenschaften, wie z. B. Anaphorisierbarkeit und Determinierbarkeit (vgl. Seiler 1988: 1148). Wo es möglich erschien, folgt dem jeweils ersten Satz der Beispiele ein zweiter, in dem sich ein unterstrichenes Element anaphorisch auf die ebenfalls unterstrichene Form zurückbezieht:

47 Diese Beispiele haben im vorliegenden Zusammenhang veranschaulichende Funktion. Ein empirischer Beweis für Hoppers und Thompsons universalistische These lässt sich mit Bezug auf eine Einzelsprache nicht führen. Dies kann auch nicht die Aufgabe der hier durchgeführten Untersuchung sein. Vgl. hierzu die Analysen, auf die die beiden Autoren selbst verweisen.

48 „Der in der Hauptsache in der europäischen Literatur verbreitete Begriff der Deter-mination im weiteren Sinne umfaßt jede Art der Modifi kation eines Nominals, sei es durch Artikel, Possessiv, Zahlwort, Adjektiv, Relativsatz oder Apposition“ (Seiler 1981: 11; Hervorhebung im Original fett).

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(7) /kanzler/

(7.1) <der Kanzler> [10667 Belege in COSMAS 2]49

Der Kanzler [N: Nom. Sg. Mask.] ist keiner, der angerufen wird. Er ruft an. (Salzburger Nachrichten)

(7.2) <des Kanzlers> [3055 Belege]

Die Strategie des Kanzler-s [N: Gen. Sg. Nicht-Fem] ist eindeutig: An einem Konfl ikt mit den traditionell der SPD nahe stehenden Gewerkschaften kann ihm nicht gelegen sein [...]. (Mannheimer Morgen)

(7.3) <beim Kanzler> [235 Belege]

Ein Termin bei-m Kanzler [N: Dat. Sg. Nicht-Fem] sei schließlich etwas Besonderes, den [Akk. Sg. Mask.] bekomme man nicht jeden Tag.

(Tiroler Tageszeitung)

(7.4) <kanzlerischer/kanzlerscher/kanzlerschen> [4 Belege]

Seit letzter Woche rätsle ich an einem kanzler-schen [A: Dat. Sg. Nicht-Fem.] Nebensätzchen herum: [...] (Salzburger Nachrichten)

(7.5) <Kanzler werden ist ...> [4 Belege]

„Kanzler [N/Adj.50] werden ist sehr schwer, doch Kanzler [N: Nom./Adj.] sein noch viel mehr“, warnte er den Herausforderer der Union.

(Mannheimer Morgen)

(7.6) <Kanzleramt> [4 572 Belege]

In Zusammenhang mit den Leuna-Akten habe es „gravierende Unregelmä-ßigkeiten“ im Kanzleramt [?] gegeben. (Mannheimer Morgen)

(7.7) <gekanzlert> [1 Beleg]

Wir aber merkten plötzlich, daß Österreich von einem großen (voll)schlanken Nichtbrillenträger ge-kanzler-t [V: Part. II] wird. (Die Presse)

(7.8) <kanzlert> [1 Beleg]

Mit einem „automatischen“ Aus für Schacht Konrad rechnet Jüttner bei einer SPD-geführten Bundesregierung nicht, selbst wenn der Niedersachse Gerhard Schröder kanzler-t [V: 3. Sg. Ind. Präs. Akt.]. Das kriege man „nicht geschenkt“ [...]. (Frankfurter Rundschau)

49 Alle Belege für /kanzler/ und /such/ entstammen den Korpora geschriebener Spra-che des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) Mannheim. Diese Korpora sind über COSMAS 2 (http://www.ids-mannheim.de/cosmas2; 10. Mai 2009) recherchierbar.

50 Diese Analyse ist nur unter morphosyntaktischen Gesichtpunkten, d. h. unter Absehung semantischer Aspekte sowie der prototypischen nominalen Verwendungsweisen von /kanzler/ plausibel. Vgl. eine ähnliche Ambiguität im Falle des bereits erwähnten Phraseologismus „Geben ist seliger als Nehmen/nehmen“, der Schreiber aufgrund des Fehlens distinktiver morphosyntaktischer Merkmale vor die schwere Wahl stellt, NEHMEN entweder als substantivische oder als verbale Form zu interpretieren und entsprechend groß oder klein zu schreiben.

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Was die Sätze in (7) für einen typischen nominalen Wortstamm zeigen, machen die folgenden Beispiele in (8) für einen typischerweise verbal verwendeten Stamm deutlich:

(8) /lach/

(8.1) <suchte/suchten> [32568 Belege]

Dort verlor Microsofts Eigengewächs Sidewalk gegen die Konkurrenz City-search, die Kooperationen mit Lokalzeitungen such-te [V: 1./3. Sg. Ind. Prät.Akt.] (Computer Zeitung)

(8.2) <gesucht/GESUCHT/Gesucht> [75967 Belege]

Ge-such-t [V: Part. II] wurde eine besondere Attraktion. (Mannheimer Morgen)

(8.3) <suchend/Suchend> [664 Belege]

Such-end [Adv.: Part. I] arbeitete sich das lesende Auge langsam vom oberen Rand nach unten vor, verglich Preise und Beilagen, während im Mund das Wasser zusammenlief. (Frankfurter Rundschau)

(8.4) <suchen> [73110 Belege]

Wer etwas fi nden will, muss such-en.[Inf.] (Kleine Zeitung)

(8.5) <Suchfenster>51

Und sobald im Programm ein Wort getippt wird, erscheint es im Such-fenster [?], sodass der Cursor dort nicht erst platziert werden muss.

(Mannheimer Morgen)

(8.6) <suchende/-er/-en/-es/-m> [1559 Belege]

Dort können sich seit gestern Hilfe such-end-e [A: N. Pl.] Menschen sowie anWeiterbildung Interessierte melden. (Frankfurter Rundschau)

(8.7) <gesucht(est)e/-er/-es/-en/-em> [7418]

Der gesuchte Aamir Ilyas Choudry ist 1,60 Meter groß, schlank, hat kurzes, schwarzes Haar und trägt einen Oberlippenbart. (Mannheimer Morgen)

(8.8) <Suchens> [192 Belege]

Die Zeit des Suchens und Herumirrens ist vorbei: (Frankfurter Rundschau)

(8.9) <Suchen> [2848 Belege]

Das mühsame Such-en [N: Nom. Sg. Neut.] von Straßennamen und Haus-nummern wird dann der Vergangenheit angehören. (Die Presse)

51 Die Gesamtzahl der nominalen Komposita der Form Such+N, für die ist sowohl in Bezug auf die Types wie auf die Token nur mit einem Aufwand zu ermitteln, der für die hier verfolgten Zwecke nicht gerechtfertigt erscheint. Für die Types kann immer-hin ein geschätzter Wert von ca. 400 angesetzt werden, der auf der von COSMAS 2 ermittelten Wortformenliste beruht.

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(8.10) <Sucher/SUCHER> [939 Belege52]

Für die erfolgreichsten Such-er [N: N. Pl.] gab es Präsentkörbe. (Mannheimer Morgen)

Betrachtet man zunächst einmal nur die extremen Fälle (7.1) und (7.8) bzw. (8.1) und (8.8–10), wird exemplarisch sichtbar, dass Stämme im Deutschen in geeigneten situativen Kontexten sowohl in typischen nominalen als auch in typischen verbalen Formen auftreten können. Dies scheint prinzipiell – zumin-dest im Deutschen – mit allen Inhaltswortstämmen und selbst mit den meisten so genannten Funktionswörtern möglich zu sein. Hopper und Thompson ziehen daraus den Schluss, dass Stämme außerhalb des Diskurses keiner der Kategorien N oder V zuzuordnen sind:

[... L]inguistic forms are in principle to be considered as LACKING CATEGORIALITY completely unless nounhood or verbhood is forced upon them by their discourse functions. To the extent that forms can be said to have an a priori existence outside of discourse, they are characterizable as ACATEGORIAL, i.e., their categorial classifi -cation is irrelevant. Categoriality—the realization of a form as either a N or a V—is imposed on the form by discourse (ebd.: 747; Hervorhebung der Autoren).

Die Annahme, dass sprachliche Formen unabhängig von ihrer jeweiligen Re-alisierung im Diskurs „in einem gewissen Maß“ existieren, erscheint, wenn überhaupt, nur aus einer extremen diskursfunktionalen Perspektive heraus eine Rechtfertigung zu erfordern und hier nur insofern bemerkenswert, als Hopper und Thompson sie sehr vorsichtig formulieren. Sie gehen offensichtlich davon aus, dass lexikalische Stämme Einheiten des Lexikons darstellen und erst in dem Moment den Charakter von Substantiven, Adjektiven oder Verben annehmen, in dem sie als Teile von Äußerungen im Sprechen instanziiert werden (vgl. Bergenholtz/Schaeder 1977 und Bergenholtz/Mugdan 1979b, die eine ähnli-che Auffassung vertreten). N und V sind dann nicht lexikalische Kategorien in dem in dieser Untersuchung vorausgesetzen Sinn, sondern grammatische. Diese Annahme ist zunächst einmal mit der oben veranschaulichten Beobachtung vereinbar, dass Stämme wie /kanzler/ und /such/ jeweils in morphosyntaktisch unterschiedlich markierten Varianten auftreten. Sie steht allerdings im Wider-spruch zu der These, dass diese Kategorien die Schnittstelle des Lexikons zum Diskurs darstellen.

Dieselben Beispiele, insbesondere die jeweils letzten in den Reihen (7) und (8), machen jedoch deutlich, dass nicht alle morphosyntaktischen Formen eines Wortstamms in gleicher Weise üblich, erwartbar oder akzeptabel sind. Während der Kanzler und suchte/suchten als die „normalen“, weil am häufi gsten produ-

52 Die homonymen Formen [Sucher] (jemand, der sucht) und [Sucher] (optische Ein-richtung an Kameras) kann hier aus den oben (s. FN 71) bereits genannten Gründen nicht unterschieden werden. Während es sich im ersten Fall um eine abgeleitete Form handelt, kann die zweite Verwendungsweise wohl als lexikalisiert gelten.

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zierten und somit auch rezipierten Realisationen der jeweiligen Wortstämme sind (s. o. die Belegzahlen), gilt das Gegenteil für die Wortformen gekanzlert/kanzlerten und die Sucher. Zumindest die von /kanzler/ abgeleiteten verbalen Formen sind stilistisch markiert (im Sinne der Natürlichkeitstheorie, vgl. Mayer-thaler 1981; Wurzel 1984) und von dem jeweils verwandten Substantiv bzw. Verb „abgeleitet“.53 Hopper und Thompson sind sich dieser Asymmetrie bewusst:

[... T]here seem to be no languages in which all stems are indifferently capable of receiving a morphology appropriate for both N’s and V’s. [...] In other words, most forms begin with a propensity or predisposition to become N’s or V’s.

(ebd.: 747; meine Hervorhebung, T.W.)

Nun stellt sich allerdings die Frage, wie die Auffassung, lexikalische Formen außerhalb des Diskurses seien akategorial, mit der Meinung vereinbar ist, eben diese Formen seien durch eine „Neigung“ oder „Prädisposition“ charakterisiert, entweder zu Substantiven oder zu Verben zu werden. Die von Hopper und Thompson angeführten Beispiele zeigen ebenso wie die oben vorgestellten, dass die Verwendungsweise lexikalischer Stämme auf der Ebene des Lexikons nicht absolut determiniert ist. Diese Stämme deshalb als akategorial, im Sinne von „kategorial neutral“, zu bezeichnen geht jedoch zu weit, wenn man wie die beiden Autoren bedenkt, dass in den allermeisten Sprachen die einzelnen Einheiten des Lexikons eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Neigung zeigen, vor allem in bestimmten morphosyntaktischen Formen realisiert zu werden. Es muss sich bei einer Vorprägung dieser Art um eine auf der Ebene des Lexikons handeln.

Wie ihr formales Verhalten im Diskurs lassen sich nun auch die semantischen und funktionalen Merkmale lexikalischer Stämme bzw. ihrer Realisierungen betrachten. /kanzler/ ist für eine Thema-einführende nominale Verwendungs-weise prädisponiert, was sich darin äußert, dass die verbalen Formen stilistisch markierter erscheinen als die nominalen und eine geringere Tokenfrequenz

53 Vogel (1996: 105) bringt diese Muttersprachler-Intuition mit Bezug auf vergleichbare Fälle wie folgt zum Ausdruck:

So scheut man sich, ein neues Lexem anzusetzen, was verständlich ist in Fällen wie lachen-Lachen, schön-das Schöne usw. Man hat immer den Eindruck, daß eine Wortart die „eigentliche“ und die andere die „uneigentliche“ wäre. Darin mag der Grund liegen, daß im Falle von substantivierten Adjektiven eben nicht von „Substantiven“, sondern von „Substantivierung“ gesprochen wird.

Die Entscheidung – dies deutet Vogel hier ja selbst an – fällt allerdings nicht immer ganz eindeutig aus. Handelt es sich etwa bei /der Studierende/ oder /der Deutsche/ noch um „Substantivierungen“ oder bereits um selbständige Substantive. Relevant ist diese Frage im vorliegenden Zusammenhang vor allem deshalb, weil sich diese beiden Ausdrücke morphologisch teilweise wie Adjektive verhalten (der Franzose – ein Franzose vs. der Deutsche – ein Deutscher vs. der Schöne – ein Schöner; vgl. Sick 2005).

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aufweisen. Analoges kann über /such/ als verbalen Stamm festgestellt werden. Ihre semantischen Eigenschaften kommen Einheiten des Lexikons per defi ni-tionem vor ihrer Instanziierung im Diskurs zu; so macht es gar keinen Sinn zu fragen, in welcher Weise sich die Wortstämme in den oben konstruierten Fällen in semantischer Hinsicht unterscheiden.

Im Gegensatz dazu können Diskursfunktionen allein Wortformen, als Be-standteilen konkreter Äußerungen, zugeschrieben werden. Ähnlich wie im Hin-blick auf das morphosyntaktische Verhalten, ist hier zu beobachten, dass die unterschiedlichen Realisierungen der Stämme dem Ausdruck unterschiedlicher Diskursfunktionen dienen. Während der Schreiber (7.1) mit Der Kanzler auf eine ganz bestimmte Person referiert, z. B. auf den deutschen Bundeskanzler des Jahres 2005, wird mit kanzlerten in (7.8) auf eine bestimmte Handlung Bezug genommen. Geht man die Reihe der Beispiele von oben nach unten durch, so nimmt insgesamt die gegenstandseinführende Funktionalität ab und gleichzeitig die handlungsbezeichnende zu.

Nun identifi ziert der Schreiber in (7.3) mit [(beim) Kanzler] ebenso eine bestimmte Person wie mit Der Kanzler in (7.1). Insofern ist hier also keine Ab-schwächung der Funktionalität zu erkennen. Hopper und Thompson schließen sich jedoch du Bois (1980) und Givón (1981) an, die darauf hinweisen, dass nicht jede Bezugnahme auf einen Gegenstand mittels eines Substantivs erfolgt, sondern z. B. auch durch anaphorisch verwendete Demonstrativa. Typische Sub-stantive werden geäußert, um Gegenstände in einer Weise zu identifi zieren, dass deren Identität über einen gewissen Zeitraum und ihre hohe Bedeutung für den folgenden Diskurs gekennzeichnet wird:

[... A]ccording to Du Bois, ‘a noun phrase is REFERENTIAL when it is used to speak about an object as an object, with continuous identity over time’ (208, emphasis sup-plied). Further, Givón suggests that the coding of participants depends much more heavily on ‘COMMUNICATIVE INTENT of the speaker uttering the discourse, specifi cally on whether a particular individual argument (NP) is going to be IMPORTANT enough in the SUBSEQUENT DISCOURSE, i.e., whether its SPECIFIC IDENTITY is important, or only its generic TYPE MEMBERSHIP’ (Givón 1981: 85; emphasis in the original).

(Hopper/Thompson 1984: 711)

Objekte, die in typisch nominaler Form in den Diskurs eingeführt werden, können im weiteren Verlauf als bekannt, als „alte Information“ und bei allen Diskursteilnehmern kognitiv aktiviert gelten, so dass es z. B. möglich ist, sich anaphorisch darauf zu beziehen.

Auf dieser Basis ist zwischen den Beispielen (7.1) bis (7.3) dann doch eine Abstufung zu erkennen. Während in (7.1) die unmarkierteste Form der Anapher durch ein Personalpronomen erfolgt, sind die anaphorischen Aufnahmen in den anderen beiden Fällen anders zu beurteilen. Zwar ist garantiert auch in (7.2) die einfache Anapher ihn einen Rückbezug auf des Kanzlers; dies ist hier aber der für das Deutsche (nicht aber z. B. für das Englische) differenzierenden Funktion

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des Genus sowie der Semantik des Verbform gelegen sein zu verdanken. In einem anderen Kontext (z. B. Der Berater des Kanzlers ...), müsste ein anaphorischer Rückbezug in markierterer Form erfolgen. Dies macht (7.3) deutlich, wo das anaphorische Demonstrativum den eben nicht auf Kanzler, sondern auf Ein Termin verweist.

Die Beispiele deuten in Übereinstimmung mit Givón und du Bois an, dass die Diskursfunktion, die mit maximaler nominaler Markierung korreliert, also nicht einfach die Referenzialität ist, die als solche nicht als gradierbar zu denken ist. Gradierbar ist jedoch die „Wichtigkeit“ oder „Thematizität“54 eines erstmals erwähnten Gegenstands für den sich anschließenden Diskurs, wobei sich diese Thematizität darin äußert, dass die Teilnehmer auf diesen Gegenstand als auf einen bekannten erneut Bezug nehmen.

Die oben dargelegten morphosyntaktischen und funktionalen Fakten wei-sen eine Struktur auf, die uns aus der Prototypentheorie (Rosch 1973, 1977; Rosch/Lloyd 1978) bestens vertraut ist. So lassen sich Wortformen sowohl re-lativ zu morphosyntaktischen als auch zu funktionalen Prototypen bestimmen und entsprechend – wie in (7) und (8) geschehen – anordnen. Im Zentrum der Kategorien stehen die Formen mit der größten Anzahl der nur für diese Ka-tegorien spezifi schen morphosyntaktischen Markierungen; deren Anzahl und Signalstärke (cue validity; vgl. Rosch et al. 1976: 384) nimmt bei den Elementen gegen die Kategorienränder hin ab. Gleiches gilt auf funktionaler Ebene. Der funktionale Prototyp einer ersten Kategorie wird durch die Formen realisiert, die zur Einführung eines zeitstabilen Gegenstands in den Diskurs dienen, auf den im Weiteren dann auch Bezug genommen wird. Einen zweiten Prototyp realisieren Formen, die Handlungen bestimmter Referenten oder Ereignisse, in der diese Referenten verwickelt sind, bezeichnen. In je geringerem Maße eine Form einer dieser Funktionen dient, desto peripherer ist ihr Status relativ zum jeweiligen kategorialen Prototyp.

Im Licht der Prototypentheorie leuchtet nun auch ein, warum sich Nomi-nalität und Verbalität als die Extrempunkte auf einem gedachten Kontinuum morphosyntaktischer Varianten darstellen lassen. Hopper und Thompson ver-weisen hierzu auf Roschs Prinzip des maximalen Kontrasts:

To increase the distinctiveness and fl exibility of categories, categories tend to be-come defi ned in terms of prototypes or prototypical instances that contain the attri-butes most representative of items inside and least representative of items outside the category. (Rosch 1978; zitiert nach Hopper/Thompson 1984: 709)

Und die beiden Autoren fahren fort:

54 Thematisch in diesem Sinne sind also Gegenstände, auf die im Diskurs zum ersten Mal referiert und auf die im Folgenden weiterhin Bezug genommen wird. Thema-einführend sind sprachliche Elemente, die dieser Funktion dienen. Thematizität ist somit eine spezifi sche Form von Referenzialität.

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This double characterization of prototypicality has important consequences for the theory of linguistic categoriality being developed here. It means that prototypical N will be MAXIMALLY distinct from a prototypical V. (ebd.)

Hier macht Hoppers und Thompsons Verwendung der Termini Substantiv und Verb jedoch eine Differenzierung nötig. Nach dem, was Prototypentheoretiker über die Funktionsweise menschlicher Kategorisierung herausgefunden haben, ist tatsächlich erwartbar, dass Sprecher einer beliebigen Sprache sowohl in morphosyntaktischer als auch in funktionaler Beziehung jeweils mehrere Pro-totypen herausbilden, die sich maximal voneinander unterscheiden.

Sieht man diese Prototypen jedoch nicht nur als einander gegenüberliegende Extrempunkte an, zwischen denen sich die weniger prototypischen Formen aufreihen lassen, sondern auch als Zentren unterschiedlicher Kategorien, steht man vor dem Problem, entscheiden zu müssen, an welchem Punkt der Reihe der Übergang von einer Kategorie zur jeweils anderen erfolgt. Schon ein Rückblick auf die beiden oben präsentierten Beispielreihen verdeutlicht, dass eine solche Kategorienschwelle in den sprachlichen Daten nicht eindeutig zu identifi zieren ist, eine Entscheidung darüber also willkürlich wäre.

Die an dieser Stelle scheinbar nahe liegende Alternative, die prototypenthe-oretische doch zugunsten einer klassischen Betrachtungsweise aufzugeben und „zwischen“ den Substantiven und den Verben etwa noch Adjektive und Partizi-pien als Wortarten anzusetzen, kommt nicht in Betracht. Denn abgesehen von Problemen der typologischen Generalisierbarkeit stellt sich dann entweder die Frage nach den Kategoriengrenzen – nun eben z. B. zwischen Substantiven und Adjektiven – in gleicher Weise neu oder aber man ist wie die Distributionalisten (s. o.) gezwungen, für jeden noch so spezifi schen morphosyntaktisch defi nierten Formtyp eine eigene Kategorie anzusetzen.

3.3.3.2 Morphosyntax zwischen Nominalität und Verbalität

Unter diesen Voraussetzungen lassen sich den Termini Substantiv und Verb nicht mehr zwei distinkte morphosyntaktisch defi nierte Klassen sprachlicher Elemente zuordnen. Stattdessen wären, in Anlehnung an Vogel (1996: 107 ff.), die wie-derum an Seilers (1988) UNITYP-Ansatz anknüpft, Nominalität und Verbalität als Eigenschaften zu betrachten, die zunächst einmal allen „Inhaltswörtern“ in mehr oder weniger hohem Maße zukommen (s.a. Leiss 1992). Die Maxima von Nominalität und Verbalität bilden bei Vogel die Endpunkte eines Kontinuums oder, vielmehr, zweier Kontinua,55 die die negativ miteinander korrelieren.

55 Der Vorschlag eines N-V-Kontinuums fi ndet sich wohl zum ersten Mal bei Ross (1972,1973):

[...] In that paper [i.e., Ross 1972], I was concerned with demonstrating that the traditional view of the categories verb, adjective, and noun, under which these

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Vogel spricht hier davon, „daß sich N und V oppositionell, gleichzeitig aber auch komplementär verhalten“56 (Vogel 1996: 108), was Vogel in der unten als Abbildung 9 reproduzierten Darstellung zu veranschaulichen sucht:

three are distinct and unrelated, is incorrect. Instead, I argued, these categories are (possibly cardinal) points in a linear squish, or quasi-continuous hierarchy, such as that shown in (1-1).

(1-1) Verb > Present Participle > Passive participle > Adjective > Preposition > Adjectival noun [...] > Noun.

[...] The present paper is concerned with demonstrating the existence of a similar squish—that in (1-2), the Nouniness Squish.

(1-2) that > for to > Q > Acc Ing > Poss Ing > Action Nominal > Derived Nominal > Noun.

(ebd.: 141; Hervorhebungen im Original durch Unterstreichung)56 Vgl. Seiler 1988: 31 mit Bezug auf das in struktureller Hinsicht vergleichbare Schema

für die Dimension der Apprehension:„Beide Gradienten sind negativ miteinander korreliert; in dem Maße, in dem der eine abnimmt, nimmt der andere zu.“

(Vogel 1996: 108)

Abb 3.9: Nominalität–Verbalität als Dimensionen lexikalischer Kategorisierung

Die sprachlichen Verhältnisse in einer Einzelsprache, wie sie durch die Beispiel-reihen (7) und (8) für das Deutsche repräsentiert werden, rechtfertigen die Rede von einem Kontinuum nicht im vollen Maße. Hierzu bemerkt Vogel:

Da es sich um ein innersprachliches Kontinuum handelt, können, müssen aber nicht, alle Techniken in jeder Sprache realisiert sein [...]. Das heißt, daß Sprachen, um No-minalität und Verbalität zu differenzieren, den Schwerpunkt auf syntaktische, mor-phologische oder lexikalische Mittel legen und diese auch kombinieren können.

(Vogel 1996: 107)

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7.57.1 7.2 7.3 7.4 7.6 7.7 7.8

8.10 8.9 8.8 8.7 8.5 8.4 8.2 8.1 8.6 8.3

nominal verbal

Nicht etwa die Formen einer Sprache bilden also ein morphosyntaktisches Kon-tinuum; wohl aber lassen sich die einzelnen Formen an bestimmten Positionen auf einem gedachten Kontinuum lokalisieren. In konkreten Äußerungen sind prototypische Substantive, wie z. B. Der Kanzler in (7.1), dem Pol maximaler Nominalität und minimaler Verbalität zuzuordnen, prototypische Verben, wie suchte in (8.1), dem Gegenpol.

Im Bereich zwischen den Extremen sind nun die anderen Instanziierungen der lexikalischen Stämme anzusiedeln. Dies betrifft sowohl das attibutive Adjektiv kanzlerschen (7.4) als auch das Determinativkompositum Kanzleramt (7.6) und die attributiv verwendeten Partizipien gekanzlert (7.7), suchende (8.6) und ge-suchte (8.7). Mit Seilers und Vogels Annahmen ist es vereinbar, die attributiven Formen dem Wende- und Kreuzungspunkt der beiden Kontinua zuzuordnen, weil sie sowohl einige nominale als auch einige verbale morphosyntaktische Eigenschaften aufweisen. Eine solche Beschreibung ist aber für die Bestim-mungskonstituente in Kanzleramt nicht plausibel, der angesichts von Formen wie Sozialamt und Eichamt morphosyntaktische kategoriale Merkmale vollstän-dig fehlen. Wenn wir dazu neigen, Kanzler-, Sozial- und Eich- als nominale, adjektivische bzw. verbale Morpheme zu charakterisieren, ist dies nicht mit dem Verweis auf deren morphosyntaktischen Status in den hier betrachteten Komposita zu erklären. Allerdings gehört es zu unserem lexikalischen Wissen, dass die Stämme /kanzler/, /sozial/ und /eich/ prototypischerweise nominal (z. B. der Kanzler), adjektivisch (z. B. soziale (Verhältnisse)) bzw. verbal (z. B. (eine Waage) eichen) verwendet werden.

7.1: Der Kanzler 7.4: kanzlerschen 7.7: gekanzlert

7.2: des Kanzlers 7.5: Kanzler 7.8: kanzlert

7.3: (bei)m Kanzler 7.6: Kanzler(amt)

8.1: suchte 8.4: suchen 8.7: gesuchte

8.2: gesucht 8.5: Suchfenster 8.8: Des Suchens

8.3: suchend 8.6: suchende 8.9: Das ... Suchen

8.10: Die Sucher

Abb. 3.10: Die morphosyntaktische Dimension Nominalität–Verbalität am Beispiel der Varianten von /kanzler/ und /_such_/

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Das Problem, das sich bei der kategorialen Bestimmung von K/kanzler- in Formen wie Kanzleramt vs. gekanzlert ergibt, vermeidet man mit einem ande-ren veranschaulichenden „Konstrukt“ (Seiler 1988: 30), das die Nominalität-Verbalität-Dimension als ein einziges Kontinuum fasst, in dessen zentralem Bereich die beiden entgegengesetzten morphosyntaktischen Eigenschaften dadurch neutralisiert sind, dass sie beide entweder überhaupt nicht oder aber in gleichem Maße ausgeprägt sind. So lassen sich die in (7) und (8) präsentier-ten morphosyntaktischen Varianten annäherungsweise wie oben in Abbildung 3.10 anordnen.

3.3.3.3 Zum Verhältnis von Lexikon und Diskurs

Zuletzt wurde vor allem der morphosyntaktische Status einzelner sprachlicher Formen, als grammatischen Komponenten von Äußerungen, diskutiert. Wendet man sich nun erneut dem Aspekt zu, den Hopper und Thompson als Verwen-dungsprädisposition außerhalb des Diskurses stehender sprachlicher Formen bezeichnen, dann ist anzunehmen, dass ein Sprecher Einheiten des Lexikons, die er typischerweise in einer bestimmten morphosyntaktischen Form realisiert bzw. so realisiert wahrnimmt, mit einer Prädisposition für eben diese Realisie-rungsweise assoziiert.

In diesem Sinne kann man mit Hopper und Thompson (1984) von der „Dis-kursbasis“ lexikalischer Kategorisierung sprechen. Prototypikalität auf der Ebene des Diskurses, als derjenigen der Instanziierung lexikalischer Einheiten, äußert sich nun darin, dass einzelne Wortstämme bevorzugt, jedoch nicht ausschließlich in bestimmten morphosyntaktischen Formen realisiert werden. Auf der Ebene des Lexikons, als derjenigen der Instanziierbarkeit, prägt sich Prototypikalität probabilistisch als Neigung eines Sprechers aus, eine lexikalische Einheit in bestimmten morphosyntaktischen Formen eher zu realisieren als in anderen.

Für Kanzler- als Konstituente der Form Kanzleramt (7.6) stellt sich nun die kaum befriedigend zu beantwortende Frage, ob es sich um ein Substantiv handle, gar nicht mehr. Diese Instanziierung eines lexikalischen Stamms ist vielmehr als hinsichtlich Nominalität und Verbalität neutral zu charakterisieren und entsprechend in der Mitte zwischen den beiden morphosyntaktischen Polen anzusiedeln. Formen, die sich bestimmten, nur in weitgehend arbiträrer Weise einzugrenzenden Abschnitten des gedachten Kontinuums zuordnen lassen, können als Substantive, Adjektive, Verben etc. bezeichnet werden. Es handelt sich dabei jedoch lediglich um terminologische Entscheidungen, die sich zwar praktisch, z. B. aus sprachdidaktischer Perspektive, kaum aber theoretisch begründen lassen.

Was zuletzt zum Verhältnis zwischen Lexikon und Diskurs in Bezug auf die Mor-phosyntax sprachlicher Einheiten gesagt wurde, lässt sich auf die Bestimmung der Beziehung zwischen lexikalischer Semantik und Diskursfunktionalität von

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Wortformen übertragen. Oben wurde bereits festgestellt, dass sich semantische Eigenschaften, z. B. diejenige, Gegenstände zu denotieren, primär lexikalischen Einheiten zuschreiben lassen. Nähme man an, dass den unterschiedlichen In-stanziierungen von /kanzler/ in den Beispielen (7.1) bis (7.8) aufgrund ihrer jeweiligen Verwendungsweise unterschiedliche semantische Merkmale zukom-men, löste sich der Unterschied zwischen Semantik und Diskursfunktionalität auf. Umgekehrt gilt für Wortformen als Konstituenten konkreter Äußerungen, dass sie eine bestimmte Diskursfunktion ausdrücken. Auch das Verhältnis von lexikalischer Semantik und Diskursfunktionalität ist also geprägt durch den Gegensatz zwischen typischer Verwendbarkeit und tatsächlicher Verwendung, vgl. Abbildung 3.11:

Prädispositionen von Einheiten

des mentalen Lexikons

Eigenschaften kontextualisierter

sprachlicher Formen im Diskurs

Morpho-syntax

Markierbarkeit; wahrscheinliche (prototypische) Form

Markierung;tatsächliche, meist mehr, gelegentlich weniger prototypische Form

Funktio-nalität

wahrscheinliche (prototypische) Diskursfunktion; „Semantik“

tatsächliche, meist mehr, gelegentlich weniger prototypische Diskursfunktion;„Pragmatik“

Abb. 3.11 Morphosyntax und Funktion sprachlicher Einheiten in den Domänen Lexikon und Diskurs

Die Parallelen zwischen Mophosyntax und Funktionalität beschränken sich nicht darauf, dass bezüglich beider Ebenen die Domänen Lexikon und Diskurs betrachtet werden können. Auch die Strukturen der beiden Dimensionen, die die morphosyntaktischen bzw. funktionalen Möglichkeiten sprachlicher Ein-heiten defi nieren, lassen sich ikonisch aufeinander abbilden (s. u. Abb. 3.12). Die oben diskutierten Beispielreihen (7) und (8) aus dem Deutschen hatten dies illustriert.

Sprachliche Formen, die dazu dienen, einen für den Diskurs wichtigen Refe-renten einzuführen, sind also prototypischerweise maximal nominal markiert, während prädizierende Formen in maximaler Weise verbale morphosyntaktische Eigenschaften aufweisen. Umgekehrt kann eine nominale bzw. eine verbale Mor-phosyntax als Anzeichen Thema-einführender bzw. prädikativer Funktionalität gelten (vgl. auch Broschart 1991).

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57 Die Frage, wann genau eine einmal erworbene lexikalische Einheit endgültig aus dem mentalen Lexikon „gelöscht“ wird und ob es sich hierbei um einen Zeitpunkt oder eine Art allmählichen Verblassens handelt, muss hier erörtert werden. Eine absolute Grenze stellt der Tod eines Sprechers dar bzw. der Verlust der Sprachfähigkeit z. B. durch Unfall, Krankheit oder Altersdemenz. Zweifellos können lexikalische Einheiten jedoch unter bestimmten Umständen auch im Laufe eines Lebens verlernt werden.

Im gegenwärtigen Diskussionszusammenhang ist von Bedeutung, dass lexi-kalische Dynamik aus dem wechselseitigen Bedingungsverhältnis von Wissen und Erfahrung, von Lexikon und Diskurs entsteht. Diese Beziehung, die zu den notwen-digen Voraussetzungen für das Sprechen zählt, bleibt im Wesentlichen die gleiche über kognitive Entwicklungsphasen hinweg und unberührt von Veränderungen der Plastizität von Hirnstrukturen und, damit verbunden, der Lernfähigkeit etwa nach Abschluss einer „kritischen Periode“ des Spracherwerbs.

Abb. 3.12: Die Ikonizität der Dimensionen Morphosyntax und Diskursfunktionalität

3.3.3.4 Kontinua und Spektren auf unterschiedlichen Ebenen

Das Konzept des Kontinuums ist auf den ersten Blick immer da plausibel und von einiger Suggestivität, wo prototypikalische Phänomene zu analysieren sind. Dies gilt vor allem auch dann, wenn es nicht nur um die Beschreibung statischer Strukturen, sondern auch um die von dynamischen Prozessen, wie Spracherwerb und Sprachwandel, geht. Im vorangegangen Abschnitt wurden Nominalität und Verbalität bzw. Thema-einführende Referenzialität (Thematizität) und Prädika-tivität als einander entgegengesetzte Pole charakterisiert, die ihre Dimensionen der grammatischen Formausprägungen bzw. der Diskursfunktionen begrenzen. Ferner wurde festgestellt, dass sich der kategoriale Status, d. h. das Verwen-dungspotenzial, einer Einheit des mentalen Lexikons und damit des sprachlichen Wissens im Laufe eines unbegrenzten adaptiven Prozess im Wechselspiel mit konkreten Diskurserfahrungen herausbildet. Die Kategorialität lexikalischer Einheiten durchläuft also eine Entwicklung, die im Augenblick ihres Erwerbs einsetzt, und das ganze sprachliche Leben des Sprechers andauert.57

das morphosyntaktische Kontinuum

das diskursive KontinuumErstreferenzialität

Nominalität

Prädikativität

Verbalität

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Wir haben es hier also mit drei Gegensatzpaaren zu tun, die Grenzpunkte auf verschiedenen Ebenen bezeichnen, von denen die ersten beiden der formalen Eigenschaften und der Funktionalität miteinander korrelieren:

(I) grammatische Formausprägung: Nominalität vs. Verbalität

(II) Diskursfunktionalität: Thematizität vs. Prädikativität

(III) lexikalisches Wissen: Moment des Erwerbs vs. Zeit(punkt) des Vergessens einer lexikalischen Einheit

Bezüglich aller drei Ebenen ist zu klären, welche Struktur die „Räume“ zwi-schen den Polen aufweisen, wie die Werte entlang dieser Strecke defi niert sind, welchen Elemente auf welche Weise welche Positionen entlang dieser Strecke zugewiesen werden können und, nicht zuletzt, welcher theoretische Status einer solchen Darstellung zukommt.

zu (I) Nominalität vs. Verbalität:

Nominalität und Verbalität werden hier als Typen grammatischer Markiert-heit (von Formen im Diskurs) bzw. von Markierbarkeit (von Einheiten des Lexikons) aufgefasst. Sie werden durch unterschiedliche morphosyntaktische Verfahren zum Ausdruck gebracht, die einzelsprachenspezifi sch sind. Prototy-pisch nominale Formen weisen ausschließlich Markierungen des einen Typs, prototypisch verbale Formen ausschließlich solche des anderen auf. Sprecher des Deutschen, wie die anderer Sprachen auch, verfügen über eine ganze Reihe solcher Verfahren, deren wichtigste am nominalen Pol neben der Flexions- und der Derivationsmorphologie Seiler (1988: 12) als Determination bezeichnet.

Abb. 3.13: Die Determinantien des Deutschen (nach Seiler 1988: 12)

ver-stärk.Adv.

V Dem.Art. +Poss.

anaph.Part.

Num.affekt.Adj.

eval.Adj.

Farb-adj.

Stoff-adj.

GEN.PRÄP.ATTR.

REL. APPOS.

HAUPTNOMEN(Determinatum)

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Abbildung 3.13, in der Seilers Darstellung auf die hier relevanten Aspekte reduziert ist, ordnet die Determinantien, d. h. die morphosyntaktischen Mittel der Determination, relativ zum Determinatum, dem determinierten Substantiv oder Hauptnomen, an.

Diese Reihenfolge ist doppelt motiviert. Zunächst einmal repräsentiert sie die relative „merkmallose Normalreihenfolge“ (ebd.) im deutschen Satz,58wie sie Seiler in der Nominalphrase (9), die er ausdrücklich als konstruiert und künstlich komplex charakterisiert, zusammenfassend illustriert:

(9) alle diese meine/die erwähnten zehn schönen roten hölzernen KUGELN des Spiels auf dem Tisch, die ich dir jetzt gebe, ein Geschenk ...

(ebd.: Bsp. (18)).

Die Künstlichkeit dieser NP verdeutlicht im Übrigen, dass das nominale Ma-ximum nicht identisch ist mit dem nominalen Prototyp. Dieser dürfte für das Deutsche durch die Konstruktion Art+N

NUM repräsentiert werden, die einen

Ausdruck in den meisten Fällen als eindeutig nominalen identifi zierbar macht (s. o. (7.1)).

Seiler sieht ferner, ganz auf der Argumentationslinie von Hopper und Thomp-son (1984), in der formalen Abfolge der Determinantien eine ikonische Wider-spiegelung von deren referenzfestlegender Funktionalität. An dieser Stelle kann auf eine ausführliche Darstellung dieser Form-Funktion-Korrelation verzichtet werden (vgl. Seiler 1988: 12 ff.). Es ist jedoch bereits erkennbar, dass das N-V-Spektrum, dessen nominale Seite hier mit Seiler näher betrachtet wurde, kein Kontinuum im strengen Sinne bildet. Vielmehr lassen sich die beiden Pole im Rahmen einer Skala zueinander in Beziehung setzen, deren Stufen durch die verschiedenen morphosyntaktischen Verfahren des Deutschen defi niert sind. Zwischen maximal nominalen und maximal verbalen Formen, wie Kugeln mit seinen Determinantien in Beispiel (9) bzw. fi niten Verben mit ihren Ergänzungen und Angaben, sind also Elemente anzuordnen, die nur mehr oder weniger dieser Bestimmungen aufweisen, bis hin zu solchen wie Kanzler in Beispiel (7.5) oben (Kanzler werden ist nicht schwer ...), das nicht einmal durch seine Stellung im Satz als Substantiv gekennzeichnet ist.

Dass Muttersprachler dennoch geneigt sind, Kanzler auch in diesem Kon-text als Substantiv zu bezeichnen und entsprechend großzuschreiben, ist wohl vor allem auf ihr – in Abwesenheit aller morphosyntaktischen Markierung

58 Die grammatischen Strukturen, auf denen diese Folge beruht, sind sprachspezifi scher Art bzw. prägen sich in sprachspezifi scher Weise aus (Seiler 1988: 17 ff.). Abb. 3.14 weicht von Seilers Grafi k ab, folgt aber seinem Beispiel (9), indem sie die Apposition am äußersten rechten Rand der NP platziert. Seiler selbst weist darauf hin dass „die positionelle Abfolge“ rechts von Art.+Poss., dem von ihm so genannten „Wende-punkt“, variierbar ist.

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ausschlaggebendes – Wissen zurückzuführen, dass /kanzler/ eine prototypisch nominale lexikalische Einheit ist, d. h. eine, die normalerweise in nominaler Form realisiert wird.

Nominalität und Verbalität begrenzen also eher eine Skala als ein Kontinu-um. Die „Werte“, die der Einteilung dieser Skala zu Grund liegen, sind Bündel morphosyntaktischer Verfahren bzw. die diese realisierenden Formmerkmale. Die Einheiten, die sich entlang dieser Skala anordnen lassen, sind Elemente kontextualisierter Äußerungen im Diskurs bzw. Einheiten des Lexikons. Die jeweilige Position auf der Skala bringt im ersten Fall die morphosyntaktische Markiertheit des Elements relativ zu den beiden Maxima zum Ausdruck; im zweiten Fall repräsentiert sie die prototypische Realisierungsform der Einheit im Diskurs.

Seiler spricht in diesem Zusammenhang stets und ausdrücklich vom Deter-minations-Kontinuum als von einem „Konstrukt“ und bringt damit zum Aus-druck, dass es sich dabei um das Ergebnis einer wissenschaftlichen Beschreibung handelt.59 Es ist nicht davon auszugehen, dass die hierfür konstruierte Skala ein für das Sprechen und Verstehen relevantes Element des sprachlichen Wissens von Sprechern ist oder dass die Einheiten mentaler Lexika relativ zueinander entlang einer solchen Skala angeordnet sind.

zu (II) Thematizität vs. Prädikativität

Referenzialität, d. h. die Funktion, auf einen Gegenstand zu verweisen, und Prädikativität, d. h. die Funktion, einen Gegenstand näher zu bestimmen, sind universelle sprachliche Grundfunktionen, die auf entsprechenden kognitiven Funktionen beruhen bzw. diese im Bereich der Sprache realisieren. Hier scheint Ähnliches zu gelten wie bezüglich des zuletzt erörterten morphosyntaktischen „Kontinuums“. Es gelingt ohne weiteres, prototypische Fälle referierender bzw. prädizierender Diskurselemente zu identifi zieren, und diese zeichnen sich, wie von Hopper und Thompson festgestellt, durch prototypische nominale Mar-kierungen aus. Andererseits ist es offenbar bei vielen Elementen mehr oder auch weniger leicht zu bestimmen, wo ungefähr sie zwischen den Polen zu lokalisieren sind.

59 Als Vergleichsobjekt mag die Domäne der Temperatur dienen. Hier liegt ein echtes Kontinuum vor, das allerdings, vom absoluten Nullpunkt (-273,16 °C) ausgehend, nach oben hin offen ist. Die Werte, die dieses Kontinuum unterteilen, beruhen, bis auf wenige Ausnahmen (Gefrierpunkt, Siedepunkt etc.), auf (kulturspezifi schen) Kon-ventionen, wie bereits die Unterschiede zwischen Celsius-, Fahrenheit- und Kelvin-Skala deutlich machen. Entlang dieses Kontinuums lassen sich nun unterschiedliche Gegenstände entsprechend ihrer Temperatur anordnen. Die jeweilige Position ist den Gegenständen nicht inhärent, sondern ein Konstrukt der Beschreibung.

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60 Bezüglich der Prädikativität kann man mindestens zwischen prädizierender (Der Kanzler lehnte sich zurück.) und präsupponierender (der sich zurücklehnende Kanz-ler ...) Zuschreibung von Eigenschaften unterscheiden.

61 Hierin dürfte auch die Ursache dafür zu sehen sein, dass prototypische Nominalität nicht gleichbedeutend mit maximaler Nominalität ist. Referierende Elemente sind nur so weit determiniert, wie es nötig ist, um im gegebenen Kontext den intendierten Referenten hinreichend zu spezifi zieren. In sehr vielen, jedoch längst nicht in allen, Fällen reicht dafür die Form Art+N.

Die Funktion eines sprachlichen Elements im Diskurs lässt sich, anders als die formalen Eigenschaften, nicht direkt beobachten, sondern nur aufgrund eben solcher Merkmale erschließen. Sie ist das „aliquo“, für das in der semiotischen Beziehung das grammatische „aliquid“ steht. Hier liegt ganz offensichtlich die Gefahr eines Zirkels, der entsteht, wenn man eine beobachtete Form als Refl ex einer Funktion auffasst, diese jedoch nur relativ zu eben dieser Form defi niert, deren So-Sein es zu erklären gilt.

Tatsächlich hat sich bereits im Zusammenhang mit den oben diskutierten Beispielreihen (7) und (8) die Frage ergeben, inwiefern Referenzialität, die Eigenschaft, auf einen Gegenstand Bezug zu nehmen, überhaupt gradierbar ist.60 Wenn Hopper und Thompson, in Anlehnung an du Bois und Givón, dem nominalen Ende der morphosyntaktischen Skala entsprechend skaliert Dis-kursfunktionen zuordnen, dann ist es nicht die Referenzialität, die abgestuft erscheint, sondern die relative „Wichtigkeit“ des Referenten für den aktuellen Diskurs und sein kognitiver Status („alte“ oder „neue“ Information) aus der Perspektive der Teilnehmer.

Vor allem auf solche ersterwähnten Referenten wird mit prototypisch nomi-nalen Formen Bezug genommen, die im weiteren Verlauf von Bedeutung sind, was sich wiederum in der Form von Rückbezügen durch Relativsätze oder durch Anaphern bemerkbar macht. In dieser Hinsicht, nicht bezüglich ihrer Referenzialität, unterscheiden sich Der Kanzler in (7.1) und (den Mitarbeiter) des Kanzlers in (7.3). In beiden Fällen wird der Kanzler zum ersten Mal erwähnt und beide Formulierungen reichen in dem gedachten Verwendungskontext aus, um eine bestimmte Person zu identifi zieren.61 Während in (7.1) im Folgenden vom Kanzler die Rede ist, auf den dann anaphorisch Bezug genommen werden kann und wird, gilt das in (7.3) nicht.

Während Referenzialität also ein binäres Merkmal zu sein und Erstreferen-zialität vor allem die Wahl zwischen „vollen“ Substantiven und anaphorischen Mitteln der Bezugnahme auf neue kognitiv nicht aktive bzw. auf aktivierbare Referenten einerseits und aktive Referenten andererseits zu bestimmen scheint, ist es die funktionale Eigenschaft der „Wichtigkeit“ oder Thematizität erster-wähnter Gegenstände für den Diskurs, die gradierbar ist und in entsprechend abgestuften Formen morphosyntaktischer Markierung zum Ausdruck kommt.

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zu (III) Moment des Erwerbs – Zeit(punkt) des Vergessenseiner lexikalischen Einheit

Wie bereits ausgeführt, sind die Identität und der kategoriale Status lexikalischer Einheiten Ergebnisse von Prozessen der Dekontextualisierung und der Abs-traktion auf der Basis konkreter, kontextualisierter sprachlicher Erfahrungen. Das Lexikon als Komponente des sprachlichen Wissens beruht einerseits auf Diskurserfahrungen; andererseits ist es Grundlage und Voraussetzung für das jedesmalige Sprechen. Wissen und Tun bzw. die Erfahrung des Tuns bedingen sich also wechselseitig. In diesem Fall erscheint die Rede von einer kontinu-ierlichen Entwicklung am ehesten in der Sache selbst begründbar zu sein, weil sie die Dynamik lexikalischen Wissens im Allgemeinen und der Kategorialität lexikalischer Einheiten im Besonderen zu erfassen sucht.

Diese Dynamik, als ständige Rückwirkung konkreter Einzelerlebnisse auf das Wissen, kann allmählich verlaufen. Für viele, die seit Jahren mit dem Internet vertraut sind, hat z. B. die prädikative Verwendung von /google/ erst nach und nach zur Bildung eines eigenständigen Verbs geführt, das sie mittlerweile vom Namen der bekannten Suchmaschine ganz unabhängig im Sinne von im Internet suchen verwenden und verstehen. Das schließt nicht aus, dass Kinder heute /Google/ und /googeln/ als zwei separate lexikalische Einheiten erwerben.

3.3.3.5 Funktionalität im Lexikon (Semantik) und im Diskurs (Pragmatik)

Die bis hierhin angestellten Vorüberlegungen führen nun wieder zu der ein-gangs dieses Abschnitts gestellten Frage zurück, deren Beantwortung auch das Hauptanliegen Hoppers und Thompsons war: Welche der drei aufeinander bezogenen Ebenen, Morphosyntax, Semantik oder Diskursfunktion/Pragmatik, ist die primäre?

Hoppers und Thompsons Auffassung hierzu ist eindeutig. Zum Verhältnis zwischen Semantik und Diskursfunktion stellen sie fest:

[... W]e suggested [...] that semantic features such as kinesis (for V’s) and visibility (for N’s) should be viewed as secondary to these discourse functions. If prototypical V’s are ‘kinetic’ (i.e. involve movement and action), this is because of properties or prototypical events which V’s report, not because of intrinsic ‘semantic’ features of the V’s. Likewise, if prototypical N’s are in some sense thing-like, i.e. have properties such as tangibility and visibility, this is a fact about the nature of proto-typical participants in a discourse, rather than a ‘semantic’ fact about a particular N (Hopper/Thompson 1984: 709 f.).

Diese Argumentation leuchtet ein, insoweit sie sich auf die erste Phase des Erwerbs einer lexikalischen Einheit durch einen Sprecher bezieht. Da z. B. ein bestimmter lexikalischer Stamm nicht von Geburt an dem mentalen Lexikon angehört und somit kategorial auch nicht bestimmt ist, muss eine solche Be-

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stimmung als das Ergebnis kommunikativer Erfahrungen erfolgen, die nur ganz zu Anfang ausschließlich rezeptiver Natur sind. Hier hat dann die konkrete Diskursfunktion der verstandenen Äußerung Priorität gegenüber der Semantik, das dynamische Verstehen gegenüber dem statischen, dem Sprechen voraus-liegenden Wissen.

Eine lexikalische Einheit erworben zu haben, bedeutet jedoch für ein Kind zu wissen, dass es diese Einheit in ähnlicher Weise verwenden kann, wie sie ihm im Spracherwerb begegnet ist. Dies wird seine Erwartungen über zukünftige Äußerungen anderer ebenso beeinfl ussen wie sein eigenes Sprechen. Das bedeu-tet nun keineswegs, dass uns lexikalische Einheiten als Substantive und Verben „apriorisch vorgegeben sind, damit wir daraus Sätze bauen“ (ebd.: 747; meine Übersetzung, T.W.). Im selben Kontext, in dem sie auf der Priorität des Diskurses bestehen, weisen Hopper und Thompson jedoch auf eine gewisse mehr oder weniger starke Prädisposition von Einheiten des Lexikons hin, referierend oder aber prädizierend instanziiert zu werden (vgl. ebd.). Eine Prä-disposition für ein bestimmtes Verhalten ist eine Eigenschaft, die diesem Verhalten vorausliegt, die dieses zukünftige Verhalten wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher macht.

Ebenso wie der Diskurs oder, besser, die Erfahrungen des Individuums im Diskurs sein lexikalisches Wissen prägen und modifi zieren – ein Prozess, der prinzipiell ein Leben lang anhält – prädisponiert dieses Wissen das Individuum dazu, lexikalische Einheiten in bestimmten Weisen zu gebrauchen und zu ver-stehen. Diese Auffassung, die diskursvorgängiges Wissen und jeweils aktuelles Sprechen und Verstehen im Diskurs als wechselseitig aufeinander bezogen be-trachtet, entspricht im Übrigen exakt der Position, die Hopper an anderer Stelle (1987) in Bezug auf die Grammatik vertritt und die den oben festgestellten Widerspruch in der Auffassung Hoppers und Thompson (1984) aufl öst:

Grammar is hence not to be understood as a pre-requisite for discourse, a prior pos-session attributable in identical form to both speaker and hearer. Its forms are not fi xed templates, but are negotiable in face-to-face interaction in ways that refl ect the individual speakers’ past experience of these forms, and their assessment of the pre-sent context, including especially their interlocutors, whose experiences and assess-ments may be quite different. (Hopper 1987: 142; meine Hervorhebungen, T.W.)

Hopper wendet sich in seinem Emergent-Grammar-Aufsatz emphatisch gegen eine Sprachauffassung, die Grammatik als gemeinsame und identische Teilhabe aller am Diskurs Beteiligten betrachtet, ein Besitz, der dem Diskurs nicht nur vorausläge, sondern durch ihn auch unbeeinfl usst bliebe. Die oben entwickel-ten Überlegungen haben deutlich gemacht, dass Hoppers im letzten Zitat zum Ausdruck kommende Sicht auf Grammatik in mehrfacher Hinsicht auf das Lexikon übertragen werden kann. Mentale Lexika sind sowohl individuell als auch dynamisch; dies müssen sie sein, weil sie, was die lexikalischen Einhei-ten und deren Kategorisierung betrifft, das Resultat „vergangener Erfahrungen individueller Sprecher“ sind. Dass diese in der Vergangenheit gesammelten

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sprachlichen Erfahrungen in neuen Diskursen wirksam werden können, setzt voraus, dass die Sprecher irgendeine Art von Zugriff darauf, ein Wissen davon haben. Dieser Schluss ist nicht nur mit der Argumentation Hoppers (1987) vereinbar, er folgt direkt aus den von ihm selbst formulierten Prämissen (vgl. hierzu Weber 1997).

Die Frage nach der Priorität ist nun jedoch anders zu beantworten, als Hop-per und Thompson dies 1984 noch tun. Nicht ist die Pragmatik gegenüber der Semantik primär, nicht der Diskurs gegenüber dem Lexikon, sondern die beiden Komponenten stehen in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis zueinan-der.62 Die Semantik ist demnach die Ebene der funktionalen Prädispositionen in der Domäne des Lexikons, während die Pragmatik die im Diskurs zum Aus-druck gebrachte Funktion konkreter sprachlicher Formen, als Instanziierungen lexikalischer Einheiten, umfasst.

Betrachtet man die Interaktion zwischen mentalem Lexikon und Diskurs, zwischen lexikalischem Wissen und Sprechen, als eine Form des Lernens und kognitiver Dynamik, dann lässt sie sich als Sonderfall dessen auffassen, was Jean Piaget (1992: 175 f.) als Adaptation mit den „beiden einander entgegenge-setzten funktionellen Pole[n]“ Assimilation und Akkomodation beschreibt.63 Aus der Piaget’schen Perspektive ist zu erwarten, dass ein Individuum sich an eine Sprechsituation adaptieren wird, indem er assimilierend Wörter so verwendet und die anderer so versteht, wie er es in der Vergangenheit unter identischen Bedingungen erfolgreich getan hat.

Das Eintreten identischer Bedingungen ist jedoch nur ein hypothetischer Idealfall. Tatsächlich gleicht kein Diskurs dem anderen vollkommen; sogar im Verlauf ein und desselben Gesprächs verändert sich der Kontext mit jedem neuen Beitrag, ja im Laufe jeder einzelnen Äußerung.64 Assimilation, d. h. die Anpassung an eine neue Situation auf der Basis des vorhandenen Wissens, ist also angesichts der Einmaligkeit jeder Sprechsituation nur in einem mehr oder weniger großen Umfang möglich. Darüber hinaus, wenn der Sprecher so nie Gehörtes verstehen, so noch nie Gesagtes zum Ausdruck bringen möchte, verhält er sich akkommodierend, macht von „seinen“ Wörtern einen neuen Gebrauch und versteht er die seiner Interaktionspartner in einer für ihn neuen Weise. Dabei

62 Das scheint Broschart (1991) ähnlich zu sehen.63 Vgl. auch Haspelmaths (2000) Konzept des Sprachwandels als sprachliche Adap-

tation:„I argue in this paper that linguistic adaptation is in many ways analogous to biological adaptation“ (ebd.: 187).

64 Der „Abstand“ zwischen dem in einer aktuellen Situation relevanten Ausschnitt des Lexikons, als statisches System sprachlichen Wissens, und dem Diskurs, als dynami-scher Prozess des Sprechens und Verstehens, tendiert also gegen null. Verstehen und Sprechen wirken jederzeit auf das Wissen zurück, das sich somit ebenfalls dynamisch weiterentwickelt.

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handelt es sich nicht um einen völligen Bruch mit vorangegangenen Erfahrungen, sondern darum, von diesen modifi zierte, der aktuellen Situation angemessene Interpretations- und Verwendungsmöglichkeiten abzuleiten. Gelingt es dem In-dividuum, sich auf diese Weise erfolgreich an das Unerwartete zu adaptieren, versteht es also sein Gegenüber und fühlt sich von diesem verstanden, wirkt diese Erfahrung auf sein sprachliches Wissen zurück, das wiederum seine Er-wartungen an zukünftige Diskurse prägt usf.

3.3.3.6 Primat der Funktion? Probleme einer synchronisch- sprachvergleichenden Beweisführung

Auf der Ebene der Funktionalität ist damit das Verhältnis zwischen Lexikon (Semantik) und Diskurs (Pragmatik) als ein wechselseitiges bestimmt. Nun bleibt zu klären, wie sich Morphosyntax und Diskursfunktion zueinander verhalten, eine Aufgabe, die das zentrale Anliegen Hoppers und Thompsons ausmacht.Aus der Sicht modularer Sprachauffassungen, wie sie dem oben erörterten generativen Ansatz zur lexikalischen Kategorisierung zugrunde liegen, ist die Antwort klar: Die Relation zwischen Form und Funktion wäre demnach arbiträr, weshalb es auch keinen Sinn machte, nach der Priorität einer der beiden Ebenen zu fragen. Damit letzteres möglich ist, muss also zunächst einmal diese in der Moderne von de Saussure formulierte und letztlich bis zu Platon zurückzuver-folgende Arbitraritätsannahme erschüttert werden.

Der erste Schritt in Richtung auf dieses Ziel ist die Feststellung, dass zwischen Morphosyntax und Funktionalität eine enge Korrelation besteht, die vor dem Hintergrund der von Hopper und Thompson beigebrachten typologischen Belege als hinreichend gesichert gelten kann. Es ist allerdings im Prinzip möglich, das Zustandekommen dieser Korrelation auf unterschiedliche Weisen zu erklären. Von diesen steht nur eine in Einklang mit der funktionalistischen Sprachauffas-sung, so dass die anderen mit guten Gründen ausgeschlossen werden müssen:

(I) So könnte man zunächst annehmen, dass sich Form und Funktion ganz zufällig parallel entwickelt hätten, ohne dass dem eine „tiefere“ Ursache zu-grunde läge. Diese Auffassung kann allerdings angesichts der Vielfalt und der Komplexität der Beziehungen, die Hopper und Thompson nicht nur in typolo-gisch ganz unterschiedlichen Sprachen, sondern auch innerhalb von Sprachen anhand unterschiedlicher Phänomene aufzeigen, als unplausibel beiseite ge-schoben werden.

(II) Ein alternativer Erklärungsansatz könnte versuchen, einen dritten Faktor zu bestimmen, von dem sprachliche Form und sprachliche Funktion in gleicher Weise abhängig wären, so dass keiner der beiden gegenüber der jeweils anderen Priorität zuzusprechen wäre. Allerdings fi ndet sich in der Literatur kein ernst zu nehmender Vorschlag und ist es darüber hinaus auch nicht abzusehen, worin ein solcher dritter übergeordneter Faktor bestehen sollte.

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(III) Eine dritte Variante, die mit der generativistischen Position kompatibel ist, führt Form-Funktion-Beziehungen auf Einfl üsse in der mehr oder weniger weit zurückliegenden Vergangenheit zurück und geht davon aus, dass diese in der Gegenwart nicht mehr wirken. Die Korrelationen wären bezogen auf ge-genwärtige Sprecher, also kontingente Fakten und arbiträr, auch wenn sie dem Sprachwissenschaftler historisch motiviert erschienen. Für diesen ist dann die Bestimmung des Zeitpunkts und der Ursachen für das Nachlassen des Einfl usses von entscheidenderer Bedeutung als die Klärung der Frage, worin genau dieser bestanden hat.

(IV) Da die vielfältigen Form-Funktion-Korrelationen offensichtlich weder der Effekt von Zufällen noch der übergeordneter Ursachen sind, müssen sie auf ein Bedingungsverhältnis zwischen den beiden Faktoren zurückgeführt werden. Entweder folgt die Form der Funktion oder umgekehrt die Funktion der Form. Im Sinne von (iii) könnte man den Zeitraum, indem die eine auf die andere gewirkt hätte, in der abgeschlossenen Vergangenheit ansetzen. Nur wenn man die Möglichkeit einer solchen sprachgeschichtlichen Diskontinuität als unrealistisch ausschließt und annimmt, das Bedingungsverhältnis sei ein Grundzug von Sprache überhaupt, stellt sich die Frage nach dem Primat einer der beiden Faktoren.

Diese Vorüberlegungen haben gezeigt, wie die Untersuchung des Bedingungs-verhältnisses zwischen Funktionalität und Morphosyntax aus theoretischer Sicht motiviert ist. Vor diesem Hintergrund ist nun auch Hoppers und Thompsons Hauptthese zu prüfen, die in zwei ihrer Varianten wie folgt lautet:

We suggest here that the basic categories N and V are to be viewed as universal lexicalizations of the prototypical discourse functions of ‘discourse-manipulable participant’ and ‘reported event’, respectively (Hopper/Thompson 1984: 703).

Thus, we are saying here that the linguistic categories N and V exist as functions of the need to report events and of the people and things involved in them. [...] From the discourse viewpoint, nouns function to introduce participants and ‘props’ and to deploy them. To the extent that a linguistic form is carrying out this prototypical function, it will be coded as N, and will manifest the full possible range of nominal trappings conventional in the language. Forms which fail in some way to refer to concrete, deployable entitites will typically lack some of or all these trappings (ebd.: 710 f.).65

Es hat sich oben gezeigt, dass sich Kategorisierungen in prototypikalischer Weise ausprägen, so dass die Gesamtheit der Realisierungen der Form-Funktion-Paare

65 Diese These lässt sich auch von dem umfassenden funktional-linguistischen Credo ableiten, dem zufolge die pragmatisch-kognitive Funktion die sprachliche Form bestimmt. Die allgemeinste Formulierung der funktionionalistischen Sicht, das zum Phraseologismus gewordene form follows function, stammt von dem Architekten und Mitbegründer der modernen Hochhausarchitektur Louis Sullivan (1985 [1896]).

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im Diskurs entlang einer gedachten Linie zwischen Nominalität/Thematizität und Verbalität/Prädikativiät dargestellt werden kann (s. o. Abb. 3.13). Hopper und Thompson bringen dies mit dem Ikonizitätsprinzip zum Ausdruck:

THE ICONICITY OF LEXICAL CATEGORIES PRINCIPLE

The more a form refers to a discrete discourse entity or reports a discrete discourse event, the more distinct will be its linguistic form from neighboring forms, both paradigmatically and syntagmatically (Hopper/Thompson 1985: 151).

Das Ikonizitätsprinzip variiert Roschs bereits zitiertes Prinzip der maximalen Distinktheit und fokussiert es auf das Phänomen sprachlicher Kategorisierung. Hopper und Thompson können sich also auf die Ergebnisse der Kognitionswis-senschaft stützen, wenn sie feststellen:

We should therefore fi nd that, in discourse environments where participants are in-troduced or events are reported, N and V will display the widest degree of morpho-syntactic contrast, i.e. the largest number of oppositions. [...]

In non-prototypical environments, then, the CONTRAST between N and V[66] tends to be neutralized (Hopper/Thompson 1984: 709; Hervorhebung der Autoren).

Bevor man sich daran macht, diese These zu überprüfen, ist daran zu erin-nern, dass bei der Kontrastierung von Morphosyntax und Diskursfunktion die Domänen Lexikon und Diskurs unterschieden werden müssen (s. o. Abb. 3.11). Analog zur differenzierenden Sicht auf die Funktionalität sind also auch morphosyntaktische Prädispositionen von Lexikoneinheiten67 und spezi-fi sche morphosyntaktische Merkmale von Diskurseinheiten getrennt zu halten. Jede Einheit des mentalen Lexikons eines Sprechers kann ebenso einer Stelle zwischen den Polen funktional-formaler Prädisponiertheit zugeordnet werden wie jede geäußerte und verstandene Wortform einem Ort zwischen den Extremen formal-funktionaler Merkmalausprägungen.

Überträgt man das, was oben in funktionaler Hinsicht zum Verhältnis und zur Struktur der Domänen Lexikon und Diskurs festgestellt werden konnte, auf

66 N und V sind für Hopper und Thompson morphosyntaktisch defi niert (s. o.).67 Welche Informationen über prototypische morphosyntaktische Instanziierungsmög-

lichkeiten im Einzelnen mit jeder Einheit des mentalen Lexikons assoziiert sind, kann im Kontext von Hoppers und Thompsons Vorschlägen nicht ausführlich erör-tert werden. Immerhin ist nicht zu erwarten, dass alle möglichen morphologischen Varianten einer Einheit im Lexikon gespeichert sind. Über die idiosynkratischen „unregelmäßigen“ Formen hinaus könnte die Markierbarkeit jeder Einheit in gene-reller Weise (deklinierbar, konjugierbar, unveränderlich) spezifi ziert sein. Dass z. B. die 2. Person Präsens Indikativ Aktiv von /dreh/ du drehst lautet, ist durch die zweite Komponente des sprachlichen Wissens, die Grammatik, bestimmt, die die Verbind-barkeit des lexikalischen Stamms mit unterschiedlichen Flexionsmorphemen für all diejenigen Fälle regelt, in denen keine eigene Form im Lexikon gespeichert ist.

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die Ebene der Morphosyntax, lässt sich das Resultat wie in Abbildung 3.14 darstellen.

Abb. 3.14: Die Wechselwirkung zwischen Lexikon (Prädispositionen) und Diskurs (Relationen) auf den Ebenen Diskursfunktion und Morphosyntax

Nun ist also nicht nur zu überprüfen, ob und in welchem Sinne die Form die Funktion im Diskurs abbildet, wie dies Hopper und Thompson behaupten. Es muss darüber hinaus auch bezüglich des Lexikons gefragt werden, ob die for-malen Dispositionen lexikalischer Einheiten Refl exe der funktionalen bilden. Da „das Lexikon“ immer das mentale Lexikon eines individuellen Sprechers ist, muss auch das Verhältnis von Form und Funktion in Bezug auf Individuen, ihr sprachliches Wissen und ihr Sprechen, geklärt werden. Zugespitzt lautet dann die Frage: Sind die formalen Eigenschaften meiner Äußerungen der optimale Ausdruck meiner Absichten und Bedürfnisse, mich auf Gegenstände zu beziehen und etwas über sie zu prädizieren, oder realisiere ich gerade diese Funktionen, weil mir für sie und nicht für andere die sprachlichen Mittel zur Verfügung stehen?

Auf diese Frage können Hoppers und Thompsons sprachvergleichende em-pirische Untersuchungen auf der Basis synchronischer Daten allerdings keine Antwort geben. Aus dem Nachweis einer Gleichzeitigkeit zweier Erscheinun-gen lassen sich noch keine Schlussfolgerungen darüber ziehen, welche auf die andere einen Einfl uss ausübt. Die Primatfrage muss also auf andere Weise geklärt werden.

3.3.3.7 Dennoch: der Primat der Funktion

Zu den gesicherten Prämissen gehört die Feststellung, dass sich die morpho-syntaktischen Markierungsverfahren von Sprachfamilie zu Sprachfamilie und von Sprache zu Sprache unterscheiden und mit der Zeit wandeln. Dagegen

wirkt zurück auf

prädisponiert

Lexikon Diskurs

Kontinuum formaler Prädispositionen

Kontinuum funktionaler Prädispositionen

erstreferenziell

nominal

prädikativ

verbal

Kontinuum der Ausprägung formaler Merkmale

Kontinuum der Ausprägung funktionaler Merkmale

erstreferenziell

nominal

prädikativ

verbal

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sind die beiden von Hopper und Thompson betrachteten Diskursfunktionen, die bereits von Aristoteles mit seiner Unterscheidung von Onoma und Rhema thematisiert werden, unveränderlich und universell. Darüber hinaus ist die Morphosyntax eine spezifi sch sprachliche Ebene, während Gegenstandsbezug und Gegenstandsbestimmung allgemeine kognitive Operationen darstellen, die auch für die sinnliche Wahrnehmung und die logische Struktur des Denkens grundlegend sind:

The act of categorization is one of the most basic human cognitive activities. Categorization involves the apprehension of some individual entity, some particular of experience, as an instance of something conceived more abstractly that also en-compasses other actual and potential instantiations.

(Croft/Cruse 2004: 74; meine Hervorhebung, T.W.)68

Wenn man nicht so weit gehen möchte anzunehmen, menschliche Wahrneh-mungen seien sprachlich determiniert, ist damit klar, dass die Funktion kein Refl ex der Form sein kann. Ließe sich nun rückblickend nachweisen, dass der morphosyntaktische Sprachwandel in unterschiedlichen Sprachen mit einem stetigen Anwachsen der Ikonizität von Form und Funktion einhergegangen wäre, wäre dies als konkreter empirischer Beleg für den Primat der Funktion zu werten. Die vorliegenden diachronischen Fakten lassen einen solchen Schluss jedoch nicht ohne weiteres zu. Die Erosion der Kasus in den indoeuropäischen Sprachen etwa scheint auf den ersten Blick geradezu in die entgegengesetze Richtung zu deuten, weil im Laufe dieses Prozesses die morphologische – allerdings nicht die syntaktische – Differenz zwischen referierend verwendeten ursprünglichen Nominativen und den obliquen Kasus zum Teil neutralisiert wurde.

Einzelne Sprachwandelphänomene im Sinne von Hoppers und Thompsons Prinzip als Resultat einer universellen Tendenz hin auf zunehmende Ikonizität zu erklären, scheint angesichts der Komplexität dieser Entwicklungen kaum mög-lich. Betrachtet man noch einmal die Kasussysteme der indoeuropäischen Spra-chen, ist z. B. der parallel dazu verlaufende Wandel der Konstituentenstellung zu berücksichtigen. In den germanischen Sprachen hängen die Veränderungen der Flexionsmorphologie zudem mit phonologischen Prozessen zusammen, wie der Fixierung des Wortakzents auf die erste Silbe und der damit einhergehenden Abschwächung und Reduzierung der Nebensilben. Diese Entwicklung lässt sich jedoch kaum mit Bezug auf das Ikonizitätsprinzip erklären.

Der Nachweis einer Tendenz hin auf zunehmende Ikonizität wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Sprachwandel durch eine Reihe unterschiedlicher und

68 Vgl. auch die komplementären Begriffe Apprehension—Partizipation, die im Zentrum des von Seiler (1988) und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (Seiler/Premper 1991) entwickelten UNITYP-Ansatzes der typologischen Universalienforschung stehen.

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miteinander interagierender Faktoren bedingt sein kann. Sprachkontakt und soziolinguistische Phänomene wie Prestige und face (Goffman 1955) müssen hier in Betracht gezogen werden.

Zusammenfassend muss also festgestellt werden, dass der Primat der Funktion gegenüber der Form auf der Basis synchroner Daten prinzipiell nicht zu beweisen ist. Doch auch eine diachronische Betrachtungsweise wird es schwer haben, den Einfl uss einer konsistenten Entwicklung hin auf Ikonizität überzeugend in den Daten zu belegen. Zumindest ist Sprachwandel zu komplex, als dass man hoffen könnte, einzelne Veränderungen wie die Entstehung und Entwicklung von sprachspezifi schen Flexionsmorphologien auf bestimmte einzelne Ursachen zurückführen zu können.

Auch wenn der Nachweis eines Primats der Funktion auf streng empirischer Basis aus den genannten Gründen schwer ist – eine Reihe von gut abgesicherten Prämissen stützt die funktionalistische Auffassung: Die Korrelation zwischen Form und Funktion ist eine Tatsache, es herrscht ein Bedingungsverhältnis zwischen den beiden Faktoren, oder zumindest war dies in der Vergangenheit der Fall, und es ist nicht die Form, die die Funktion beeinfl usst. An dieser Stelle ist die funktionalistische Konzeption lexikalischer Kategorisierung im Grunde die einzig verbliebene Alternative. Doch auf welche Weise könnte die Funktion auf die Form einwirken oder genauer: In welcher Weise könnte die Absicht, das Bedürfnis, die Notwendigkeit, die einen Sprecher dazu veranlassen, sich auf einen Gegenstand zu beziehen und eine Eigenschaft über ihn zu prädizieren, ihn dazu veranlassen, eine bestimmte Form zu äußern?

Eine in einer bestimmten Diskursgemeinschaft69 sozialisierte Sprecherin hat nicht die Wahl, auf ein Objekt mit einem verbal markierten Ausdruck zu referieren. Sie hat gelernt so zu sprechen wie die anderen in ihrer Umgebung und sie hat die Erfahrung gemacht, dass sie damit erfolgreich ist, so dass sie es in Zukunft weiterhin tun wird. Ihre Variationsmöglichkeiten sind damit relativ gering und überhaupt wäre es falsch, z. B. in einem Gespräch unter Freunden ihre „Entscheidung“ für den substantivierten Infi nitiv und gegen eine deverbale Ableitung auf /-ung/ (das Zurücklehnen vs. die Zurücklehnung) als Ergebnis einer Wahl zu analysieren. Möchte man also in der Herausbildung des morpho-syntaktischen Kontinuums zwischen den Extremen Nominalität und Verbalität das Ergebnis einer ikonischen Anpassung der Form an die Funktion sehen, dann

69 Im Unterschied zu Sprachgemeinschaften, die durch eine allen Mitgliedern gemein-same Sprache defi niert sind, bezeichne ich als Diskurs- oder Sprechgemeinschaften Gruppen von Individuen, die miteinander sprechen bzw. gesprochen haben. Das Netz der kommunikativen Beziehungen verbindet dabei nicht jedes Mitglied mit allen anderen, sondern alle in der Art von Familienverhältnissen miteinander. So redet innerhalb einer Diskursgemeinschaft a mit b und b mit c, während a und c u.U. niemals miteinander in Kontakt kommen.

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muss sich dieser Prozess über einen langen Zeitraum hinweg und in kleinen Schritten vollzogen haben.

Diese Sichtweise legen Hopper und Thompson auch selbst nahe, wenn sie von den morphosyntaktischen Merkmalbündeln, die Wortformen zu prototypi-schen Substantiven bzw. Verben machen, als von „universellen Lexikalisierun-gen der [beiden] prototypischen Diskursfunktionen“ (Hopper/Thompson 1984: 703; s. o.) sprechen. Wie dieser Prozess der Lexikalisierung ablaufen könnte, darüber äußern sich die Autoren in den beiden Aufsätzen (1984, 1985) nicht. Ein passendes Modell des Sprachwandels entwirft jedoch Martin Haspelmath (1999, 2000) in Anlehnung an Keller (1994).

[... L]anguage change is shown to result from the cumulation of countless individual actions of speakers, which are not intended to change language, but whose side effect is change in a particular direction. Grammaticalization is a side effect of the maxim of extravagance, that is, speakers’ use of unusually explicit formulations in order to attract attention. (Haspelmath 1999: 1043)

Haspelmath nimmt an, dass Sprecher, einer allgemeinen kommunikativen „Maxime der Extravaganz“ folgend, in vielen Fällen dazu neigen, sich unge-wöhnlich explizit auszudrücken, um bei ihren Kommunikationspartnern eine möglichst große Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erreichen. Sprachwandel ist dann das Resultat häufi ger und häufi g funktional motivierter, auf maximale „Sprecheroptimalität“ (Haspelmath 2000) hin ausgerichteter Abweichungen vom normalen Sprachgebrauch, was schließlich eine Verschiebung der Norm zur Folge hat, was wiederum neue Abweichungen nach sich zieht und so fort. Die Extravaganzmaxime erinnert an Hoppers und Thompsons Ikonizitätsprinzip, wenn man sie nicht als Maxime bewussten kommunikativen Handelns auffasst,70

70 Die folgende Bemerkung Haspelmaths ist in dieser Hinsicht jedoch missverständ-lich:

The crucial point is that speakers not only want to be clear or „expressive,“ sometimes they also want their utterance to be imaginative and vivid—they want to be little “extravagant poets” in order to be noticed, at least occasionally (Haspelmath 1999: 1057).

Was Haspelmath hier als „Wille” (want) bezeichnet, darf – sofern ein dem Sprach-wandel zugrunde liegender Mechanismus gemeint ist – nicht als Intention aufgefasst werden, wenn man sein explizites Anknüpfen an Kellers Theorie der unsichtbaren Hand ernst nimmt. Sicher gibt es auch den bewussten Versuch, durch besondere Ausdrucksweisen soziale Effekte zu erzielen. Breitere Gültigkeit kann eine Maxime oder, was mir eine glücklichere Formulierung zu sein scheint, ein Prinzip der Extra-vaganz nur entfalten, wenn es, wie vergleichbare Prinzipien der Ökonomie und der Deutlichkeit, dauernd wirksam ist.

Geurts’ (2000a,b) Kritik, die eben die intentionalistische Interpretation von Extra-vaganz zum Anlass nimmt, ist deshalb einerseits nachvollziehbar, geht aber meines Erachtens am wesentlichen Gedanken Haspelmaths vorbei.

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sondern als eine Hypothese über eine anthropologische kognitive Disposition. Sie soll erklären, wie sprachliche Variation die Basis eines gerichteten, nicht eines chaotischen, Sprachwandelprozesses bilden kann.

Die sprachenübergreifend zu beobachtende weitreichende Form-Funktions-Ikonizität erscheint nun als (Zwischen-)Ergebnis eines Wandelprozesses, zu dem zahllose individuelle Äußerungen bzw. deren Sprecher und Interpreten ohne Absicht und ohne Bewusstsein davon beigetragen haben. Die Sprechern universell unterstellte Neigung zu maximaler Ikonizität sorgt demnach dafür, dass sprachliche Variation, so begrenzt sie zu jedem Zeitpunkt in einer Diskurs-gemeinschaft auch sein mag, tendenziell auf eine neue Norm hin reduziert wird, die das Ikonizitätsprinzip besser realisiert als die vorangegangene.71

Morphosyntaktische Variation bezüglich des Ausdrucks bestimmter Diskurs-funktionen ist also eine Bedingung des Sprachwandels. Vor dem Hintergrund der bis hierhin vorgetragenen Überlegungen erscheint Variabilität in dieser Weise deshalb möglich, weil die Korrelation zwischen formalen und funktio-nalen Prädispositionen von Einheiten des mentalen Lexikons zwar bestimmte Realisierungsweisen als die prototypischen wahrscheinlich macht, aber nicht deterministisch erzwingt. Dies verlangt wiederum auch auf Seiten des Hörers eine gewisse Flexibilität, die Fähigkeit unerwartete Verwendungsweisen zu akkommodieren, als sprachliche Erfahrungen zu erinnern und auf dieser Basis zukünftig selbst wieder zu sprechen und zu verstehen. Die Prototypikalität lexi-kalischer Kategorisierung ist also nicht bloß ein kontingentes, von den sprachli-chen Daten widergespiegeltes Faktum, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Veränderlichkeit des kategorialen Status lexikalischer Einheiten.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Überlegungen im Hinblick auf die Frage, welcher Faktor den kategorialen Status einer Einheit des mentalen Lexikons bestimmt? Nun, bei den Einheiten statischen lexikalischen Wissens, das die Grundlagen für alles Sprechen und Verstehen darstellt, handelt es sich um Form-Funktions-Paare, bei denen keiner Seite Priorität zukommt. Im Diskurs verhält es sich anders, sobald die Situation neue Sprech- und Verstehensweisen erfordert. Den Ausschlag für die Realisation einer von mehreren formalen Vari-anten gibt der Tendenz nach das funktionale Prinzip des maximalen Kontrasts. Wir beziehen uns mit einer Form nicht deshalb zum ersten Mal auf einen Ge-genstand, weil wir eine nominale Form äußern möchten, sondern umgekehrt äußern wir eine nominale Form typischerweise, um zum ersten Mal auf einen Gegenstand zu referieren und ihn damit in den Diskurs einzuführen.

Lexikalisches Wissen als die statische Basis des Sprechens und Verstehens umfasst also Einheiten, deren Form und Funktion arbiträr miteinander assoziiert

71 Wenn man ein Glas voll kleiner und großer Sandkörner hin und her schüttelt, führt das nicht zu einer gleichmäßigen Mischung, sondern dazu, dass die großen nach und nach an die Oberfl äche treten. Variation (Bewegung) ist hier also die Voraussetzung eines gerichteten Prozesses.

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sind. Lexikalisches Lernen als Rückwirkung des Sprechens und Verstehens auf das Wissen ist funktional motiviert. Sobald sprachliches Wissen im Diskurs aktiviert wird, setzt ein dynamischer Prozess der Rückkopplung ein. Aktivier-tes Wissen ist ein sich permanent veränderndes oder doch für Veränderungen offenes Wissen. Statisches Wissen ist inaktives, für das aktuelle Sprechen und Verstehen irrelevantes Wissen.

3.3.3.8 Funktionalität, Dynamik, Prototypikalität

Am Ende dieser Ausführungen zur diskursfunktionalen Konzeption lexikalischer Kategorisierung ist zu konstatieren, dass ein empirischer Nachweis für die Pri-orität der Diskursfunktion gegenüber der Morphosyntax sprachlicher Einheiten in Lexikon und Diskurs nicht gelungen ist. In dieser methodologischen Hinsicht ist Hopper und Thompson also zu widersprechen.

Inhaltlich jedoch wurde die diskursfunktionale Auffassung lexikalischer Kategorisierung in anderer Weise gestützt: Zunächst und vor allem haben Hopper und Thompson gezeigt, dass es zwischen morphosyntaktischer Nominalität und Verbalität einerseits und funktionaler Thematizität und Prädikativität andererseits eine so starke universelle Korrelation gibt, dass die Annahme, dem liege nichts als Zufall zugrunde, als „Erklärungs-“Ansatz ausscheidet.

Darüber hinaus wurde darauf verwiesen, dass Referenzialität und Prädika-tivität nicht sprachspezifi sche Funktionen sind, sondern kognitive Grundope-rationen, die sowohl universell als auch über die Zeit hinweg unveränderlich sind. Im Gegensatz dazu gilt für die Morphosyntax, dass sie eine sprachliche und teilweise einzelsprachenspezifi sche Ebene darstellt, die einem ständigen Wandel unterworfen ist. Die Hypothese, dass lexikalische Kategorisierung als Anpassung der Funktion an die Form zu betrachten ist, kann vor diesem Hin-tergrund verworfen werden.

Auch wenn die Priorität der Funktion gegenüber der Form damit durch Ausschluss aller konkurrierender Auffassungen erwiesen ist, muss noch die Frage beantwortet werden, wie sich dieses Verhältnis auf die Repräsentation sprachlicher Einheiten im mentalen Lexikon einerseits und in der Praxis des Diskurses andererseits auswirkt. Das von Hopper und Thompson mit dem Begriff der universellen Lexikalisierung von Diskursfunktionen angedeutete und von Haspelmath in detaillierterer Form ausgeführte Modell des Sprachwandels kann dies in einem gewissen Umfang leisten. Sprecher „wählen“ demnach nicht aus einem breiten Spektrum morphosyntaktischer Varianten, das von prototypisch nominalen bis prototypisch verbalen Formen reicht, diejenige aus, die ihren jeweiligen kommunikativ-kognitiven Anliegen optimal entsprechen.

Zum einen ist der Horizont formaler Variabilität für jeden einzelnen Sprecher in jeder neuen Diskurssituation sehr eng und begrenzt durch die Erfahrungen, die er im Laufe seiner bisherigen sprachlichen Sozialisation gemacht hat. Zum anderen handelt es sich beim Sprechen nicht um ein Auswählen von Mitteln aus

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einem Repertoire, sondern um ein Verhalten, das wesentlich durch kognitive Mechanismen bestimmt ist, wie sie z. B. Roschs Prinzip des maximalen Kontrasts oder dessen Varianten (Hoppers und Thompsons Ikonitätsprinzip, Haspelmaths Maxime der Extravaganz) beschreiben.

Unterliegen Sprecher einer universellen, zur menschlichen kognitiven Grundausstattung gehörenden Neigung, ihre kommunikativen Absichten mög-lichst deutlich und d. h. von anderen unterscheidbar zu machen, dann kommt auf der Basis einer gewissen Varianz der Formen ein fortwährender Prozess des Sprachwandels in Gang. In dessen Verlauf werden Sprecher immer wieder neue und daher „extravagante“ Formen bilden, die entweder als einmalige Ok-kasionalismen ohne Folge bleiben oder aber Teil einer neuen Norm unter den Mitgliedern der Sprechgemeinschaft werden. Diese Norm wiederum bildet dann den Hintergrund, gegen den sich Sprecher nun erneut abheben müssen usw. Dass dieser Prozess nicht sprunghaft und diskontinuierlich verläuft, folgt aus der Begrenztheit menschlicher Akkommodationsfähigkeit. Dies bedeutet, dass innovative Mittel zum Ausdruck der immer gleichen Funktionen sich von den alten nur so weit unterscheiden können, dass sie als Ausdruck der gemeinten Funktionen auch noch erkannt werden.

Der Varianz und dem Wandel in der Domäne des Diskurses bzw. der Dis-kurse innerhalb einer Gemeinschaft entspricht in der Domäne des mentalen Lexikons individueller Sprecher der kategoriale Status lexikalischer Einheiten. Dieser Status prägt sich als formal-funktionale Prädisposition, aber eben nicht Prädetermination, aus, d. h. als Neigung des Sprechers, diese Einheiten in einer bestimmten prototypischen morphosyntaktischen Form zur Realisierung einer prototypischen Funktion zu äußern. Dies trägt einerseits dazu bei, dass der Sprecher dieselbe Sprache spricht wie die anderen in seiner kommunikativen Umgebung, und erlaubt ihm andererseits, innerhalb gewisser Grenzen auf neue kommunikative Situationen in angemessener und d. h. neuer Weise zu reagieren. Eben aufgrund dieser Notwendigkeit zur Akkomodation ist jedoch der katego-riale Status lexikalischer Einheiten labil und veränderlich, was wiederum eine Voraussetzung für den Sprachwandel ist.

3.3.4 Grammatische Ansätze lexikalischer Kategorisierung. Ein Fazit

In diesem Abschnitt habe ich die Ansätze diskutiert, die von den beiden in 3.3.1 als überhaupt denkbar ausgewiesenen Grundtypen einer Theorie lexikalischer Kategorisierung die grammatische realisieren. Als grammatisch hatte ich die-jenigen Konzeptionen charakterisiert, die die Kategorisiertheit von Einheiten des Lexikons als deren Instanziierbarkeit und als Refl ex auf ihre Realisierung in grammatisch komplexen Zusammenhängen begreifen. Solche Zusammenhänge

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werden in der Literatur auf drei Ebenen unterschieden: der Morphologie, der Syntax (einschließlich Morphologie) und des Diskurses (einschließlich Mor-phosyntax).

Ich habe rein morphologische Ansätze als in Bezug auf meine Fragestel-lung irrelevant ausgeschlossen. Ganz abgesehen von der häufi g bemerkten einseitigen Ausrichtung vor allem auf Sprachen des indoeuropäischen Typus, beruhen sie zum einen auf problematischen Annahmen über „den Wortschatz“ von „Sprachen“, zum anderen lassen sich auf ihrer Grundlage keine weiteren theoretisch relevanten Schlussfolgerungen über die Struktur und die Verwen-dung einer Sprache oder von Sprache überhaupt ziehen. Vorschläge wie die von Sütterlin (1923), Glinz (1973) und van der Elst (1992) weisen nicht über sich selbst hinaus.72

Die Plausibilität des syntaktischen Ansatzes, der, ausgehend vom Distri-butionalismus, seine konsequenteste Ausprägung in jüngeren generativen Konzeptionen gefunden hat, hängt entscheidend von der Haltbarkeit der Mo-dularitätsannahme ab. Chomsky und viele andere nehmen also an, dass die Syntax eine in sich geschlossene sprachlich-kognitive Ebene bildet, die sich zu derjenigen von Bedeutung und Funktion arbiträr verhält. Dass letzteres in Bezug auf die Kategorisierung lexikalischer Einheiten nicht der Fall ist, habe ich anlässlich der funktionalistischen Konzeption von Hopper und Thompson zu zeigen versucht.

Unabhängig vom Ausgang des Widerstreits laufen die Argumente sowohl der Formalisten als auch die der Funktionalisten darauf hinaus, die Annahme aufzugeben, es „gebe“ lexikalische Kategorien als eigenständige Entitäten, die einerseits voneinander abgegrenzt und andererseits von den „in“ ihnen „enthal-tenen“ oder ihnen auch nur zugeordneten lexikalischen Einheiten unabhängig wären. Stattdessen ist lexikalische Kategorisierung oder, besser, Kategorisiertheit als Prädisposition einzelner lexikalischer Einheiten auf bestimmte Realisie-rungsweisen hin zu sehen.

Nun sind distributionalistische Ansätze wie die von Fries (1952) letztlich daran gescheitert, dass jeder konsequente Versuch, die Wörter einer Sprache auf der Basis der morphosyntaktischen Eigenschaften von Wortformen zu klassifi zieren, z. B. dazu zwingt, Flexionsformen wie Baum und Bäume als Instanziierungen zweier verschiedener lexikalischer Einheiten zu betrachten. Generativisten und Funktionalisten begegnen diesem Problem auf zwei grund-sätzlich unterschiedliche Weisen.

72 Mit Rauh, die allerdings von der tradierten Mischklassifi kation der Schulgrammatik spricht, könnte man hier einwenden, dass den morphologisch defi nierten Wortklassen „eine andere Funktion zu[komme], nämlich die, das Vokabular einer Sprache zu struk-turieren und zu kategorisieren“ (Rauh 2001: 36). Doch auch bei Rauh scheint es sich um eine Kategorisierung um ihrer selbst willen zu handeln, die keine Auswirkungen auf das Sprachsystem bzw. auf die Kognition mit sich bringt.

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Die generative Konzeption lässt sich, wie z. B. von Rauh (1998, 1999, 2000, 2001) verschiedendlich vorgeschlagen, in der Form eines kategorialen Raums darstellen, dessen Dimensionen binäre bzw. mehrwertige morphologische oder syntaktische Eigenschaften repräsentieren. Der kategoriale Status einer lexika-lischen Einheit ist dann als Punkt innerhalb dieses multidimensionalen Raums oder auch als Bündel von Merkmalen repräsentierbar, in das auch [V], [N] und [F] eingehen, deren Produkt weitgehend den Wortarten oder Wortklassen älterer Ansätze entspricht:

(10) Lexikalischer Eintrag von return aus generativer Sicht (s. o. (6))

Charakteristisch für die generative Auffassung ist, dass die Kategorisiertheit jeder lexikalischen Einheit als exakt defi niert gilt. Die Vielfalt morphosyntaktischer Verhaltenspotenziale wird abgebildet in einer Vielzahl von Dimensionen, in-nerhalb deren den einzelnen Einheiten einer von zwei ([±F]) oder doch relativ wenigen und vor allem diskreten ([intransitiv/transitiv/bitransitiv]) Werten zukommt. Nicht alle lexikalischen Einheiten sind zudem hinsichtlich aller syntaktischen Merkmale bestimmt. Im Grunde kann man hier insofern von einer ökonomischen Variante eines konsequent realisierten Distributionalis-mus sprechen, als sie dessen unbegrenzte, in jedem Fall aber unabsehbar große Anzahl atomarer Kategorien durch das Produkt einer begrenzten Anzahl von Merkmalen ersetzt.

In der von Fries (1952) entwickelten Klassifi kation ebenso wie in denjenigen der deutschen Strukturalisten (Helbig/Buscha 1998; Bergenholtz/Schaeder 1977) setzt sich noch – sehr im Widerspruch zu den theoretischen Annahmen, auf denen sie beruhen – die mehr als zwei Jahrtausende wirkende Intuition durch, dass traditionelle Wortarten, wie Substantiv und Verb, sprachliche Grundkategorien darstellen. Der Generativismus ist hier konsequent, indem er diese Kategorien nicht nur dekomponiert, sondern die daraus resultierenden Merkmale auch als einige unter vielen in die Gesamtheit derjenigen aufgehen lässt, die die Distri-butionseigenschaften von Wörtern determinieren. Zwar ist auch aus generativer Perspektive die Frage nach der Interaktion zwischen Lexikon und Grammatik eine zentrale, jedoch nehmen die Wortarten bzw. die diesen zugrunde liegenden Merkmale bei deren Beantwortung nicht mehr die hervorgehobene Stellung ein, die ihnen seit der Antike zugeschrieben worden war.

Die funktionalistische Auffassung lexikalischer Kategorisierung lässt sich herausarbeiten, indem man die Punkte hervorhebt, an denen sie sich vom Ge-nerativismus absetzt. Dieses Verfahren ist schon dadurch gerechtfertigt, dass sich der US-amerikanische Funktionalismus, wie ihn Hopper und Thompson

return: [+V, -N, -F], [___], 1 , {...} AGENT

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repräsentieren, seit den späten 1970er Jahren als Gegenbewegung zum Gene-rativismus versteht und die eigenen Positionen mehr oder weniger explizit vor diesem Hintergrund formuliert.73

Drei Thesen sind es, die den funktionalistischen Widerspruch gegen Chomsky und seine Anhänger im Wesentlichen zum Ausdruck bringen:

(1) Form follows function. Der kategoriale Status einer Einheit des mentalen Lexikons ist das (Zwischen-)Ergebnis eines langen diachronen Prozesses, in dessen Verlauf diese Einheit von den gegenwärtigen und früheren Mitgliedern der Diskursgemeinschaft typischerweise zur Realisation einer bestimmten Dis-kursfunktion verwendet wurde. Sprache ist kein kognitives, Grammatik kein sprachliches autonomes Modul. Weil menschliche Kognition Mechanismen74

unterliegt, wie sie Hopper und Thompson mit dem Ikonizitätsprinzip oder Rosch, in allgemeinerer Form, mit dem Prinzip des maximalen Kontrasts beschreiben, tendieren sprachliche Formen dazu, kommunikativ-kognitive Funktionen, deren Ausdruck sie dienen, ikonisch abzubilden.

Die Feststellung einer allmählichen, im Einzelfall Abweichungen zulassen-den Tendenz impliziert in diachronischer Hinsicht die Annahme, dass sich die sprachlichen Formen innerhalb einer Diskursgemeinschaft im Ganzen gesehen im Laufe von Generationen auf Ikonizität hin entwickeln. Für den einzelnen Sprecher in einer konkreten Äußerungssituation ist der Einfl uss der Funktion auf die Form minimal und begrenzt auf die Realisierung einer von wenigen Varianten, die ihm zur Verfügung stehen, zwischen denen er aber in den aller-meisten Fällen nicht bewusst wählt.

(2) „Die Sprache [...] selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia)“ (Humboldt 1988c: 418). Der kategoriale Status einer Einheit des mentalen Lexikons ist kein statischer Zustand.

Aus funktionalistischer Perspektive ist es sinnlos, Humboldts programma-tische Feststellung allein auf den Diskurs zu beziehen, auf das Sprechen und Verstehen, was für de Saussure als parole und für Chomsky als Performanz au-ßerhalb der Sprache im eigentlichen Sinne liegt. Die Dynamik des „jedesmaligen Sprechens“ (ebd.) liegt nicht allein in seiner zeitlichen Erstreckung, sondern in dem Spiel wechselseitiger Beeinfl ussung mit dem Wissen, das ebenso Voraus-setzung wie Folge des Sprechens und Verstehens und damit selbst dynamisch

73 Das wird nirgendwo deutlicher als in einem der zentralen Schriften des US-Funktiona-lismus, Givóns (1979) On understanding grammar, dessen erstes und grundlegendes Kapitel über die Methodologie den Untertitel On the crypto-strucutralist nature of transformational grammar trägt. Auch du Bois (1987) entwickelt seine eigene Auf-fassung in dem oben zitierten Ergativity-Aufsatz im Kontrast zum Generativismus. Schließlich bildet die Chomsky’sche Kompetenz-Grammatik den Hintergrund, gegen den sich Paul Hopper (1987) mit seinem Projekt der Emergent Grammar absetzt.

74 Annahmen über solche allgemeinen kognitiven Prinzipien – etwa der kognitiven Ökonomie – liegen im Übrigen auch dem Generativismus zugrunde.

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ist. Aus diesem Grund ist auch der Terminus Kategorisier-ung so treffend, weil er einen Prozess bezeichnet, in dessen Verlauf sich der kategoriale Status (die Kategorisier-t-heit) einer lexikalischen Einheit permanent, wenn auch selten sprunghaft, verändert.

Während lexikalisches Wissen die Basis bildet für die Verknüpfung bzw. die verstehende Analyse sprachlicher Einheiten in der Rede, ist es dynamisch, in Bewegung, emergent und niemals emergiert (Hopper 1987). Wissen kann „Kompetenz“, kann ein statisches System nur als inaktives Wissen sein, das im Moment nicht gebraucht wird. Natürlich kann ich Englisch sprechen, auch wenn ich es seit gestern nicht mehr getan habe und sich mein Sprachwissen durch Mangel an Übung kaum verändert hat. Sobald ich einen englischsprachigen Text lese oder mit amerikanischen Freunden rede, kommt das Wechselspiel zwischen Wissen und Tun wieder in Gang. Sprache synchronisch als System zu betrachten gleicht dem Studium von Bewegung anhand von Fotos.

(3) Sprachliche Kategorisierung ist prototypikalischer Struktur. Das Katego-risierungsmodell der Prototypentheorie ist der klassischen Auffassung diskreter und intern homogener Kategorien aus einer Reihe empirischer und theoretischer Gründe vorzuziehen. Alles, was bis hierhin über lexikalische Kategorisierung festgestellt wurde, spricht dafür, dass es sich sowohl in systematischer als auch in diachroner Hinsicht um ein graduelles, kontinuierliches Phänomen handelt. So lassen sich die im Diskurs geäußerten Formen einer Sprache entlang eines Konti-nuums aufreihen, das zwischen zwei hinsichtlich ihrer formalen und funktionalen Eigenschaften maximal unterschiedlichen Extremen (Nominalität/Thematizität vs. Verbalität/Prädikativität) liegt. Betrachtet man hingegen die Realisierung einzelner lexikalischer Stämme, so ergibt sich ebenfalls ein protoypikalisches Muster mit häufi gen bzw. besonders salienten und weniger salienten Realisie-rungsformen.

Da die Erfahrungen im Diskurs die Basis für den Erwerb des Lexikons darstellen und das Lexikon wiederum die Grundlage bildet für Sprechen und Verstehen im Diskurs, ist anzunehmen, dass die erlebte Prototypikalität sich auch in einer gewussten Prototypikalität lexikalischer Kategorisierung in der Gestalt von Verwendungsprädispositionen (im Gegensatz zu Prädeterminatio-nen) widerspiegelt. Dies ist zum einen mit der Annahme vereinbar, dass sich mentale Lexika im Hinblick auf den kategorialen Status ihrer Elemente von Individuum zu Individuum in einem gewissen Maße unterscheiden, weil deren sprachliche Sozialisationen unterschiedlich verliefen. Zum anderen wird damit vorstellbar, dass sich das lexikalische Wissen eines Einzelnen in kategorialer Hinsicht weiterentwickelt und verändert.75

75 Dies impliziert, dass eine Art „Lamarck’scher“ Sprachwandel durch Adaptation des sprachlichen Wissens innerhalb einer Sprechergeneration möglich ist und nicht nur ein „Darwin’scher“, wonach Sprachwandel nur als evolutionärer Sprung „zwischen“ zwei Generationen von Sprechern erfolgen kann.

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Die in diesem Abschnitt vorgetragenen Argumente münden darin, unter den grammatischen Konzeptionen lexikalischer Kategorisierung einer diskursfunk-tionalen Auffassung gegenüber einer generativ-syntaktischen den Vorzug zu geben. Die Frage nach dem Wesen lexikalischer Kategorisierung stellt sich dabei aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Zum einen mit Bezug auf langfristige diachrone Entwicklungen innerhalb einer Sprachgemeinschaft, die als solche nur durch den zusammenfassenden Blick des Sprachwissenschaftlers konstruiert werden. Zum anderen mit Bezug auf den Diskurs, auf das Wechselspiel zwischen erlebtem jedesmaligem Sprechen und Wissen. Im Diskurs nehmen weder die Beteiligten noch der Beobachter Variationsmöglichkeiten und Veränderungen bewusst wahr. Und doch kann der globale Sprachwandel in nichts anderem bestehen als in einer Folge lokaler Sprach- und d. h. Wissensadaptationen in-dividueller Sprecher, die – wenn schon nicht in jedem Einzelfall, so doch in ihrer Gesamtheit – eine durch universelle kognitive Mechanismen bestimmte Tendenz aufweisen.

Diese Sicht auf das Verhältnis zwischen Form und Funktion/Bedeutung ist gar nicht so weit von der strukturalistisch-generativen Arbitraritätsauffassung entfernt. Tatsächlich muss man auch als Funktionalist davon ausgehen, dass lexikalische Einheiten und damit die Assoziationen zwischen formalen morpho-syntaktischen und diskursfunktionalen Realisierungspotenzialen als kontingente, in der Diskursgemeinschaft vorgefundene Tatsachen erlernt werden. Der Primat der Funktion gegenüber der Form kann sich nur da auswirken, wo sich dem Einzelnen Variationsmöglichkeiten bieten bzw. wo er auf Variation trifft. Es ist demnach davon auszugehen, dass die sprachliche Form sich nicht in einem absoluten Sinne optimal an der Diskursfunktion ausrichtet, sondern dass die Funktion nur da den Ausschlag geben kann, wo Varianten vorliegen.

Was in diesem Zwischenfazit als Ergebnis formuliert wurde, wird auch im weiteren Verlauf der Arbeit nicht mehr entscheidend revidiert. Sind damit also alle theoretischen Probleme, die dem Sprachwissenschaftler in seiner Ausein-andersetzung mit lexikalischer Kategorisierung begegnen, gelöst? – Keines-wegs, denn die oben kritisierten Generativisten haben mit der Einführung des Konzepts kategorialer Merkmalbündel Antworten auf zwei Fragen gegeben, die aus diskursfunktionalistischer Perspektive bisher offen geblieben sind und es nicht bleiben dürfen:

(I) Wenn der kategoriale Status lexikalischer Einheiten deren formale Rea-lisierung im Diskurs prädisponiert, wie sind dann diejenigen grammatischen Prädispositionen zu behandeln, die sich nicht ohne weiteres als Refl exe der beiden grundlegenden Diskursfunktionen erklären lassen? Zu denken ist hier beispielsweise an die Transitivität von Verben – sind transitive Verben verbaler als intransitive oder umgekehrt? – und die von ihnen zugewiesenen themati-schen Rollen.

(II) Gravierender erscheint noch die Frage nach der Kategorisierung von „Funktionswörtern“. Während diese grammatisch-funktionalen Elemente im

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generativen Rahmen ohne weiteres integrierbar erscheinen, z. B. durch ein binäres Merkmal [±F(unctional)], wie dies Radford (1998: 64) vorschlägt, be-zieht sich der Ansatz Hoppers und Thompsons ausschließlich auf Inhaltswörter. Nun erschiene es aber gerade innerhalb eines theoretischen Rahmens, der die Prototypikalität sprachlicher Kategorisierung hervorhebt, überraschend, wenn ausgerechnet die so genannten Inhaltswörter und die so genannten Funktionswör-ter zwei diskrete Klassen bilden würden. Schon gar nicht passt diese Annahme zusammen mit der Auffassung von Grammatikalisierung, die Hopper, Thompson (1993) und andere Funktionalisten vertreten. Andererseits ist jedoch auch nicht abzusehen, wie etwa Konjunktionen, Artikeln, Präpositionen oder gar Flexions-morphemen in plausibler Weise eine Position zwischen Nominalität/Thematizität und Verbalität/Prädikativität zugewiesen werden könnte.

Klärungsbedarf besteht auch auf einer grundlegenderen Ebene. Wenn soeben näm-lich dargelegt wurde, dass und warum eine funktionalistische einer generativen Sichtweise vorzuziehen ist, dann beruhte dies auf der Abwägung zwischen zwei oben als grammatisch bezeichneten Auffassungen lexikalischer Kategorisierung. Die Einnahme und Fortentwicklung dieser funktionalistischen Position innerhalb der grammatischen lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die logisch noch davor liegende Entscheidung darüber zu, welcher der beiden prinzipiell möglichen Ansätze, dem grammatischen oder dem ontologisch-konzeptualistischen, Pri-orität einzuräumen ist oder ob, wie dies die Schulgrammatik nahe legt, beide miteinander vermittelt werden können und müssen:

Abb. 3.15: Eine Typologie der Theorien lexikalischer Kategorisierung

Dass Kategorisierung auf einem Verhältnis zwischen lexikalischer Einheit und Konzept/Gegenstand beruhen könnte, war im Zusammenhang mit Hopper und Thompson nur kurz erwogen worden. Diese Autoren hatten zwar dafür plädiert, das Konzeptuelle (Semantik) als Refl ex des Diskursfunktionalen (Pragmatik) zu betrachten und damit das Wissen als Refl ex des Tuns. Ich habe

Theorien lexikalischer Kategorisierung

grammatische Ansätze ontologisch-konzeptuelle Ansätze

... syntaktisch diskursfunktional ... ...

... generativ ... s. Kap 3.3.3

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jedoch Argumente dafür angeführt, dass ihr eigener Gedankengang und erst recht die späteren Arbeiten Hoppers zur Emergent Grammar Theory und zur Grammatikalisierung auf eine Auffassung hinausläuft, die die Beziehung als eine wechselseitige betrachtet. Diskursfunktionalität, verstanden als Realisie-rungspotenzial lexikalischer Einheiten, prädisponiert also die Diskursfunktion der Instanziierungen im Sprechen und Verstehen, dessen Erleben76 wiederum zurückwirkt auf das lexikalische Wissen.

Am Ende von Abschnitt 3.2 hatte ich mich zunächst den grammatischen Theorien lexikalischer Kategorisierung zugewandt, um die ontologisch-konzep-tuellen einer späteren Betrachtung vorzubehalten. Eine Begründung für diese Reihenfolge habe ich nicht gegeben und keinesfalls sollte damit etwa bereits eine Bewertung impliziert werden. Dies wird nun deutlich, da uns die gramma-tische Betrachtungsweise wieder an den Kreuzungspunkt zurückgeführt hat, an dem ich zwischen grammatischen und konzeptualistisch-semantischen als den beiden grundlegend verschiedenen Ansätzen unterschieden hatte, lexikalische Kategorisierung zu betrachten. Aus funktionalistischer Perspektive deutet sich nun an, dass die beiden Herangehensweisen nicht als sich wechselseitig aus-schließende Alternativen, sondern als komplementär zu beurteilen sind.

Dies bildet den Hintergrund für die sich nun anschließenden Ausführungen zu konzeptuellen Auffassungen lexikalischer Kategorisierung. Ein nach den bisherigen Erörterungen wohl nicht ganz überraschendes Zwischenergebnis kann schon an dieser Stelle durch ein Zitat Ronald Langackers vorweggenommen werden, mit dem dieser in den Closing Remarks zu seinem Buch über Gram-mar and Conceptualization (2000a) einen Ausblick auf zukünftige theoretische Entwicklungen formuliert:

Although dynamic conceptualization has been part of CG [i.e., Cognitive Grammar; T.W.] from the very outset, its extensive ramifi cations are only starting to be investi-gated. I expect to fi nd it relevant, if not pivotal, to every aspect of linguistic struc-ture. Articulating the dynamic nature of conceptual and grammatical structure leads us inexorably to the dynamics of discourse and social interaction. (ebd.: 376)

Dass dieser Schluss tatsächlich aus einer konzeptuellen Betrachtungsweise folgt und welche weiteren Konsequenzen sich daraus ergeben, wird im nun Folgen-den gezeigt. In diesem Zusammenhang wird, gleichsam nebenbei, auch eine Schwierigkeit behandelt werden können, die ich in Kapitel 2 bereits genannt, im Zuge der bisherigen Darlegungen jedoch unberührt gelassen habe. Dabei geht es um die Bestimmung dessen, was Einheiten des mentalen Lexikons und somit die Objekte lexikalischer Kategorisierung eigentlich sind. Sowohl die Genera-tivisten als auch die frühen diskursfunktionalen Arbeiten scheinen lexikalische

76 Nicht sein bloßes Tun wirkt zurück auf das Wissen des Sprechers, sondern sein Be-wusstsein von diesem Tun, das er als mehr oder weniger erfolgreich, angemessen, zweckdienlich etc. wahrnimmt.

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Einheiten im Wesentlichen mit „Wörtern“, sei es vom Typ der Wortformen, der lexikalischen Stämme oder der Lexeme, gleichzusetzen. Bereits früher habe ich hervorgehoben, dass der Wortbegriff im Rahmen einer kognitiven Theorie des Lexikons aus vielen Gründen problematisch ist. Dieses Problem wird im Licht kognitiv-semantischer Theorien lexikalischer Kategorisierung explizit angesprochen und eine alternative Konzeption dessen, was ein sprachliches Element zur lexikalischen Einheit macht, entwickelbar.

3.4 Konzeptualistische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung

Die zuletzt erörterten Ansätze betrachten lexikalische Kategorisierung als Korrelat bzw. Widerspiegelung grammatischer Funktionen, d. h. typischer Ver-wendungsweisen der zu kategorisierenden lexikalischen Einheiten. Gemäß der zweiten möglichen Sichtweise, die im Folgenden eingenommen wird, beruht lexikalische Kategorisiertheit auf einer Korrespondenz der lexikalischen Einhei-ten mit nicht-sprachlichen Einheiten und Relationen. Sprachliche Struktur wird also mit Bezug auf die kognitive oder Denkstruktur bzw. auf die ontische oder Seinsstruktur erklärt. Wilhelm Schmidt etwa setzt seinen begriffl ich-semanti-schen Ansatz von grammatischen Alternativen ab, wenn er ausführt:

In der Sprachwirklichkeit ist die Sachbedeutung immer begriffl ich-kategorial ge-prägt, das heißt, die Kategorie Wortart gehört zu den unabdingbaren konstituieren-den Faktoren des Wortes. Sie ist in diesem Sinne eine von der Rede unabhängige, eine lexikalisch-semantische Kategorie; sie ist die sprachliche Grundkategorie, auf der die grammatischen Kategorien und Beziehungsmittel erst aufbauen.

(Schmidt 1973b: 56; Fußnote im Original nummeriert).

In einer Fußnote antizipiert er mögliche Einwände gegen diese Haltung:

Die Beobachtung, daß mitunter nur aus dem Redezusammenhang entschieden werden kann, welcher Wortart ein Wort angehört [...], widerspricht dieser Tatsache nicht; man muß Wesen und Funktion der Wortart von ihrer Kennzeichnung bzw. Erkennbarkeit unterscheiden. (ebd.)

Einige Grundmotive der Diskussion werden in diesem Zitat erkennbar. Zum einen geht es um die Frage der Priorität: Basiert das Grammatische auf dem Kon-zeptuellen, oder verhält es sich umgekehrt, wie es Hopper und Thompson sehen? Zum anderen hebt Schmidt zu Recht hervor, dass die Annahme, lexikalische Kategorisiertheit äußere sich allein durch eine bestimmte morphosyntaktische Form, nicht zu dem Schluss berechtigt, sie beruhe auch auf jener. Mit Aristote-les’ Kategorienlehre wurde der Vorläufer der Schmidt’schen Auffassung bereits

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Einheiten im Wesentlichen mit „Wörtern“, sei es vom Typ der Wortformen, der lexikalischen Stämme oder der Lexeme, gleichzusetzen. Bereits früher habe ich hervorgehoben, dass der Wortbegriff im Rahmen einer kognitiven Theorie des Lexikons aus vielen Gründen problematisch ist. Dieses Problem wird im Licht kognitiv-semantischer Theorien lexikalischer Kategorisierung explizit angesprochen und eine alternative Konzeption dessen, was ein sprachliches Element zur lexikalischen Einheit macht, entwickelbar.

3.4 Konzeptualistische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung

Die zuletzt erörterten Ansätze betrachten lexikalische Kategorisierung als Korrelat bzw. Widerspiegelung grammatischer Funktionen, d. h. typischer Ver-wendungsweisen der zu kategorisierenden lexikalischen Einheiten. Gemäß der zweiten möglichen Sichtweise, die im Folgenden eingenommen wird, beruht lexikalische Kategorisiertheit auf einer Korrespondenz der lexikalischen Einhei-ten mit nicht-sprachlichen Einheiten und Relationen. Sprachliche Struktur wird also mit Bezug auf die kognitive oder Denkstruktur bzw. auf die ontische oder Seinsstruktur erklärt. Wilhelm Schmidt etwa setzt seinen begriffl ich-semanti-schen Ansatz von grammatischen Alternativen ab, wenn er ausführt:

In der Sprachwirklichkeit ist die Sachbedeutung immer begriffl ich-kategorial ge-prägt, das heißt, die Kategorie Wortart gehört zu den unabdingbaren konstituieren-den Faktoren des Wortes. Sie ist in diesem Sinne eine von der Rede unabhängige, eine lexikalisch-semantische Kategorie; sie ist die sprachliche Grundkategorie, auf der die grammatischen Kategorien und Beziehungsmittel erst aufbauen.

(Schmidt 1973b: 56; Fußnote im Original nummeriert).

In einer Fußnote antizipiert er mögliche Einwände gegen diese Haltung:

Die Beobachtung, daß mitunter nur aus dem Redezusammenhang entschieden werden kann, welcher Wortart ein Wort angehört [...], widerspricht dieser Tatsache nicht; man muß Wesen und Funktion der Wortart von ihrer Kennzeichnung bzw. Erkennbarkeit unterscheiden. (ebd.)

Einige Grundmotive der Diskussion werden in diesem Zitat erkennbar. Zum einen geht es um die Frage der Priorität: Basiert das Grammatische auf dem Kon-zeptuellen, oder verhält es sich umgekehrt, wie es Hopper und Thompson sehen? Zum anderen hebt Schmidt zu Recht hervor, dass die Annahme, lexikalische Kategorisiertheit äußere sich allein durch eine bestimmte morphosyntaktische Form, nicht zu dem Schluss berechtigt, sie beruhe auch auf jener. Mit Aristote-les’ Kategorienlehre wurde der Vorläufer der Schmidt’schen Auffassung bereits

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vorgestellt (s. o. 3.2). Aristoteles – ohne an lexikalische Kategorien im hier angenommenen Sinn zu denken – unterscheidet zehn Arten „einfacher“ Aus-drücke entsprechend der zehn Arten von Entitäten, auf die sich diese Ausdrücke beziehen. Die Scholastiker (vgl. Arens 1969: 42 f.) bemühen sich darum zu zeigen, dass die schulgrammatischen Redeteile mit den zehn von Aristoteles ontologisch defi nierten Ausdrucksklassen korrespondieren.

Trendelenburg (1846) und Benveniste (1974) allerdings bestreiten den von Aristoteles behaupteten ontologischen Charakter der zehn Kategorien. Sie versuchen herauszuarbeiten, dass er sich in seiner Seinsanalyse, ohne dies zu refl ektieren, von seiner eigenen Muttersprache habe leiten lassen (müssen). Demnach wären die aristotelischen Kategorien nichts anderes als Refl exe von Kategorien des Altgriechischen und damit – für Trendelenburg wie für Benve-niste – der Thrax’schen Redeteile.

Sowohl der scholastische Ansatz als auch die von Trendelenburg und Benve-niste wurden oben bereits als unplausibel zurückgewiesen. Aus dem Scheitern von Versuchen, die aristotelischen Kategorien und die schulgrammatischen Re-deteile aufeinander abzubilden, lassen sich jedoch keine prinzipiellen Einwände gegen ontologische bzw. kognitive Auffassungen lexikalischer Kategorisierung ableiten.

Unter den in der Literatur ausgeführten und ernst zu nehmenden Konzeptionen lexikalischer Kategorisierung fi nden sich – vielleicht mit Ausnahme derjenigen von Otto (1965) – keine ontologischen, also solche, die lexikalische Strukturen auf Strukturen eines vom Menschen unabhängigen Seins zurückführen (Kno-bloch 1988c: 165). Hingegen verdienen die Ansätze zweier Forschungsdiskurse nähere Aufmerksamkeit, die lexikalische Kategorisierung wenn nicht im Verhält-nis zwischen Sprache und Sein, so doch in der Beziehung zwischen Sprechen und Denken, zwischen Sprache und Kognition begründet sehen. Es handelt sich zum einen um Anton Marty (1950a [1908], 1950b [1925]) und einige an ihn anschließende Autoren (Otto 1965; Pollak 1958) sowie zum anderen um die von ihren Vertretern als Cognitive Linguistics oder Cognitive Grammar77

bezeichneten Richtung, zu deren Protagonisten Ronald Langacker (1987, 1991, 1999), William Croft (1990, 2002; Croft/Cruse 2004) und eine ganze Reihe anderer (u. a. Lakoff 1988, 1991; Taylor 1995, 1998) zu zählen sind.

Die im nun unmittelbar Folgenden dargestellten Theorien beginnen mit einer Unterscheidung, die oben bereits im Zusammenhang grammatischer

77 Ich verwende hier und im Folgenden den englischen Terminus, um mich auf ein bestimmtes Forschungsparadigma innerhalb der kognitiven Linguistik zu beziehen. Auch wenn Langacker und andere diesen Begriff sehr erfolgreich besetzt haben, ist Cognitive Grammar nicht gleichzusetzen mit kognitive Sprach- oder Grammatikthe-orie überhaupt.

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Konzeptionen lexikalischer Kategorisierung als fundamental und erklärungs-bedürftig hervorgehoben wurde. In der Literatur wird diesbezüglich zwischen Inhalts- und Formwörtern, lexikalischen und funktionalen Einheiten oder, wie bei Anton Marty, Auto- und Synsemantika unterschieden. Der Ansatz Martys ist aber nicht allein von Interesse, weil er diese Unterscheidung auf originelle Art durchführt und begründet, sondern auch, weil seine Einsichten Antworten auf die Frage nach dem Wesen lexikalischer Einheiten nahe legen. Wenn man das mentale Lexikon als die Komponente sprachlichen Wissens auffasst, die die „einfachen“ grammatisch verknüpfbaren sprachlichen Einheiten umfasst, worin besteht dann diese Einfachheit?

3.4.1 Begriffsbedeutung und Beziehungsbedeutung

Die Unterscheidung zwischen Zeichen, die eine „eigene“, eine begriffl iche Bedeutung ausdrücken und solchen, die keine selbständige Bedeutung haben und deren primäre Funktion eine grammatische, zeichenverbindende ist, geht auf Aristoteles zurück. Dieser hatte, wie oben bereits ausgeführt, die einfachen, d. h. einfache Entitäten bezeichnenden und in diesem Sinne bedeutungsvollen, Ausdrücke der Kategorienschrift von den Syndesmoi geschieden. Im Anschluss an Aristoteles galten den Stoikern Kategorematika und Synkategorematika als semantisch und funktional unterschiedene Zeichenklassen, und bis in die Gegen-wart gehört das Gegensatzpaar Form- bzw. Funktionswörter vs. Inhaltswörter zu den Grundlagen von Lexikologie und Grammatik.

Diese beiden lexikalischen Klassen unterscheiden sich offenbar in einer weite-ren Hinsicht: Der Bestand der so genannten Inhaltswörter ist mehr oder weniger umfangreich und unterliegt im Laufe der Zeit gravierenden Veränderungen. Die Anzahl der so genannten Funktionswörter hingegen ist eng begrenzt und ihr Bestand auch über längere Zeiträume hinweg relativ stabil. Die Klasse der Inhaltswörter wird daher häufi g als offen, die der Funktionswörter als (relativ) geschlossen bezeichnet.

Die Gegenüberstellung von Inhalts- und Funktionswörtern scheint gegen-wärtig in Sprachtheorie und Sprachbeschreibung ebenso etabliert zu sein, wie es die Rede von den Redeteilen oder Wortarten schon seit Jahrhunderten ist. Wir haben es hier also mit zwei unterschiedlichen Klassifi kationen der lexika-lischen Einheiten von Sprachen zu tun, wobei allerdings nicht offensichtlich ist, in welchem Verhältnis die beiden zueinander stehen. Nahe zu liegen scheint eine Sichtweise, der zu Folge Inhalts- bzw. Funktionswörter übergeordnete Kategorien darstellen. Zu den ersteren wären dann die „Hauptwortarten“, also Substantive, Verben, Adjektive und Adverben, zu rechnen, während letztere die Elemente aller anderen Wortklassen, der „Nebenwortarten“, umfassen würde (vgl. z. B. Eisenberg 1998: 35).

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Diese Auffassung von einer strikten Zweiteilung des Lexikons wirft einige Probleme auf. So ist die Klasse der Präpositionen zwar relativ geschlossen und stabil; es scheint aber doch unplausibel, Wörtern wie nach, über etc. ebenso jeden konzeptuellen Inhalt abzusprechen wie z. B. der Partikel zu (+ Infi nitiv) oder dem Artikel.

Vor diesem Hintergrund wird die Variante der aristotelischen Unterscheidung von kategorematischen und synkategorematischen Zeichen besonders interes-sant, die Anton Marty (1950a [1908], 1950b) vertritt und von Ernst Otto (1965 [1954]) und Hans Pollak aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Marty knüpft einerseits explizit an die Tradition an, indem auch er von einer Zweiteilung der sprachlichen Elemente ausgeht, setzt sich andererseits aber nicht nur termino-logisch davon ab. Dies ist im Hinblick auf die Art der Einheiten der Fall, die Marty unter die autosemantischen (selbstbedeutenden) bzw. die synsemantischen (mitbedeutenden) Zeichen subsumiert.

Auf der Basis seines Vorschlags lässt sich gut begründen, warum als lexika-lische Einheiten nicht nur Wörter gelten können, selbst wenn man unterstellte, dass es möglich ist, den Begriff Wort hinreichend klar zu defi nieren. In letzter, und über Marty hinausreichender Konsequenz führt das zu einer Konzeption des Lexikons als die eines dynamischen Systems, das nicht in die beiden Kom-ponenten der Inhalts- und der Funktionselemente zerfällt, sondern den lexika-lischen Einheiten je einen Ort in einem kategorialen Raum zuweist, der durch die Dimensionen Konzeptualität („Inhaltswortigkeit“) und Grammatikalität („Funktionswortigkeit“) defi niert ist.

Diese beiden Eigenschaften werden bereits von Otto (1965) nicht mehr so aufgefasst, dass die eine die Inhaltswörter, die andere die Funktionswörter exklusiv auszeichnet. Vielmehr ist aus der erörterten konzeptualistischen Pers-pektive davon auszugehen, dass jede lexikalische Einheit in mehr oder weniger großem Maße hinsichtlich beider Merkmale charakterisiert ist. Charakteristisch für diesen Ansatz ist darüber hinaus, dass Mitbedeutsamkeit bzw. Grammatika-lität nicht als (autonom) syntaktische, sondern als konzeptualistisch-semantisch fundierte Eigenschaften gelten.78

Am Ende dieser Diskussion ist dann zu klären, wie sich der auf Martys Überle-gungen zurückzuführende Begriff der Konzeptualität mit dem der Funktionalität im Sinne Hoppers und Thompsons zusammenbringen lässt.

78 Damit wird die Konzeption Martys als eine wahrhaft semantische genau aus dem Grund interessant, aus dem Knobloch ihn von seinen Überlegungen zu Semantische[n] Wort-artenklassifi kationen (1988c) ausschließt. Knobloch kritisiert nämlich, dass es sichbei Martys Auto- und Synsemantika um „Einteilungen [handle], die ihre Gründe [...] aus einer logisch-psychologischen Ebene der Denotation beziehen“ (ebd.: 169). Diese Kri-tik versteht sich natürlich vor dem Hintergrund von Knoblochs eigener grammatischer Auffassung lexikalischer Kategorisierung, derzufolge „die Einteilung [der Wortschat-zelemente] nicht asyntaktisch oder nur semantisch sein“ dürfe (ebd.: 176).

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3.4.1.1 Autosemantie und Synsemantie (Anton Marty)

Dass Marty nicht nur im Hinblick auf lexikalische Kategorisierung eine kogni-tivistische Haltung einnimmt, wird bereits mit dem ersten Satz seiner Untersu-chungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie deutlich, wenn er Sprache „vornehmlich [als ...] a b s i c h t l i c h e [...] K u n d -g a b e des inneren Lebens durch irgend welche Zeichen, insbesondere durch Laute [...]“ (Marty 1950a: 1; Hervorhebung des Autors) defi niert.

Während die traditionellen Redeteile für ihn keine „natürlichen Klassen“ sprachlicher Elemente darstellen (Marty 1950b: 48 ff.), sieht Marty die Gesamt-heit der Sprachzeichen als durch ein semantisch-konzeptualistisches Kriterium gegliedert:

Wenn man die Klassen [der Sprachzeichen] nach dem Gesichtspunkte der Funktion bildet, so wird die Haupteinteilung diejenige in Namen und unsemantische Zeichen sein. (Marty 1950b: 48)

Es handelt sich also zunächst lediglich um eine Zweiteilung. Semantische, d. h. bedeutungsvolle, „Bezeichnungsmittel [...], welche schon allein genommen der Ausdruck eines für sich mitteilbaren psychischen Phänomens[, ...] eines mitteil-baren psychischen Erlebnisses“ (Marty 1950a: 205, 226) sind, werden global von nur unselbständig bedeutenden Mitteln abgesetzt. Die so durchgeführte Unterscheidung ist eine konzeptuelle, weil sie die sprachliche Klassifi zierung auf eine psychische zurückführt.79

Vorläufer seiner Vorgehensweise erkennt Marty in Aristoteles und den auf diesen folgenden Philosophen. Wenn man nun einen im Schmidt’schen Sinne „lexikalisch-semantischen“ Standpunkt (Schmidt 1973b: 56) einnimmt, liegt es zunächst nahe, die Autosemantika mit den kategorial bestimmten, „ohne Ver-bindung“ geäußerten Ausdrücken der Kategorienschrift gleichzusetzen. Diese können insofern als selbstbedeutend charakterisiert werden, als sie sich nach Aristoteles auch außerhalb des Satzzusammenhangs betrachtet auf Entitäten unterschiedlicher Typen beziehen. Da Aristoteles diese Beziehung als eine durch die Seele vermittelte begreift, sind die in der Kategorienschrift untersuchten einfachen Ausdrücke dann solche, die sämtlich die von Marty zu Grunde gelegte und oben zitierte Bestimmung der Selbstbedeutsamkeit zu erfüllen scheinen. Damit wäre die Klasse der Autosemantika immerhin teilweise beschrieben, auch wenn Marty mit diesem Terminus nicht nur – sei es im grammatisch-struktu-rellen, sei es im konzeptualistischen Sinne – auf einfache sprachliche Elemente abhebt. Zu den Synsemantika gehörten dann die aristotelischen „Bindewörter“ (συνδεσμοί) der Poetik, denen Aristoteles eine Bedeutung abspricht.

79 Dies gilt hinsichtlich der hier erörterten Unterscheidungen, auch wenn Marty immer wieder betont, dass Sprache das Denken nicht im Verhältnis 1 : 1 abbildet.

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Eine solche, von Martys Formulierung selbst nahegelegte Lesart der Unter-scheidung zwischen Auto- und Synsemantika, liefe im Hinblick auf das Pro-blem der lexikalischen Kategorien weitestgehend auf eine Gegenüberstellung der „Hauptwortarten“ (Inhaltswörter) mit den „Nebenwortarten“ (Form- oder Funktionswörter) hinaus.80 Das machen Aristoteles’ eigene Beispiele in der Kategorienschrift ebenso deutlich, wie der oben in anderer Hinsicht kritisierte Versuch Benvenistes, die aristotelischen Kategorien auf die Wortarten Substantiv, Adjektiv, Adverb und Verb bzw. Unterklassen davon zurückzuführen.

Diese mögliche Form des Rückbezugs verdient es hier genannt zu werden, weil sie sich im Zusammenhang mit der Marty’schen Zweiteilung aufdrängt und sich zudem in ähnlicher Form in der Unterscheidung zwischen Inhalts- und Formwörtern wiederfi ndet, die bis in die Gegenwart zum Bestand von Gramma-tikforschung und -schreibung gehört. Wenn man jedoch vor diesem Hintergrund genauer zu bestimmen sucht, worin Auto- und Synsemantie bei Marty besteht, so überrascht es, dass er nicht etwa auf die Kategorienlehre als eine seiner Quellen zurückverweist, sondern auf die aristotelische Satzanalyse:

Diesen Unterschied zwischen selbständig und unselbständig bedeutsamen Sprach-mitteln hatte wohl schon Aristoteles im Sinne, wenn er neben ψωναἱ σημαντικαἱ, zu denen er ὄνομα und ρῆμα rechnet, ψωναἱ ἄσημοἱ unterschied und zu letzteren die einzelnen Silben der Wörter und alle sogenannten Partikeln zählte. [...] Ebenso war dies zweifellos bei späteren Aristotelikern der Fall, wenn sie die sprachlichen Zeichen einteilten in kategorematische: das sind solche, welche als Subjekt oder Prädikat in einer Aussage stehen können, und in synkategorematische [...]: das sind solche, welchen nur in Verbindung mit anderen diese Funktion zukommen kann (Marty 1950a: 205).

Marty setzt sich von diesen Vorläufern jedoch insofern ab, als er die Auto- und die Synsemantika nicht über ihre potenzielle81 syntaktische Funktion identifi ziert, sondern mit Bezug auf ihre Funktion als Ausdruck psychischer „Erlebnisse“. Demnach kommt Synsemantika keine eigene Bedeutung zu, und sie sind deshalb auch nicht eigentlich Zeichen, weil sie sich selbst nicht auf solche Erlebnisse beziehen können. Bezüglich der Autosemantika hingegen, „werden [...] soviele Grundklassen [...] zu unterscheiden sein, als es fundamentale Klassen solcher psychischen Vorgänge gibt“ (ebd.: 226). Von diesen postuliert Marty – darin seinem Lehrer Franz Brentano (1971) folgend – drei: Vorstellungen, Urteile und das Interesse (Lieben und Hassen), denen auf Seiten der Sprache drei Grundklas-

80 Marty verwendet hierfür die Termini materielle und formelle Sprachmittel (Marty 1950a: 208); eine Unterscheidung, die er „in ihrem wahren und begründeten Kern auf unsere Unterscheidung von selbständig und unselbständig Bedeutendem“ zurück-führen möchte (ebd.).

81 „[I]nsofern sie aus dem Redezusammenhang gelöst sind [...]“ (Otto 1965:14), d. h. als Einheiten des Lexikons betrachtet, haben die Synsemantika keine (aktuelle) syn-taktische Funktion.

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sen selbstbedeutender Zeichen entsprechen: Vorstellungs-Suggestive, Aussagen und Emotive (ebd.: 277 ff.).

Emotive bezeichnet Marty auch als „i n t e r e s s e h e i s c h e n d e n Äußerun-gen“ (ebd. 275) (z. B. „Daß du mir das nicht gesagt hast!“). Urteile als psychische Ereignisse fi nden ihren sprachlichen Ausdruck in Aussagesätzen. Vorstellungen als eine „Klasse psychischen Verhaltens [...], wobei ein Bewußtsein von einem Objekt vorliegt, das doch weder beurteilt noch Gegenstand des Interesses ist“ (ebd. 277), werden im Wesentlichen durch Namen, d. h. (nominative) Eigenna-men, Appellativa und Nominalphrasen unterschiedlicher Art, ausgedrückt:

Beispiele von Namen in unserem Sinne sind also: ein Mensch; ein Dreieck; [...] ein gleichseitiges Dreieck; ein Mensch, welcher ein Verbrechen begangen hat; [...]; Rundes; Rot-Rundes usw. [...] Aber auch Infi nitive wie: Frühaufstehen, alle Hände voll zu tun haben, einen Fleischergang tun usw. (Marty 1950: 384)

Neben den Namen führt Marty noch zwei andere Typen von Vorstellungssug-gestiven an, die aber wohl als marginal betrachtet werden dürfen.

[... Dies] sind einesteils viele Nebensätze (insbesondere ,Daßsätze‘ wie in daß A ist, ist falsch) andererseits manche Wörter und Wortfügungen des Dichters, welche un-ter andern Umständen als Aussagen und interesseheischende Äußerungen fungieren, im gegebenen Falle aber bloß den Zweck haben, gewisse Vorstellungen im Hörer zu erwecken. (ebd.: 279)

Im Zusammenhang der Frage nach Prinzipien und Kriterien der lexikalischen Kategorisierung ergeben sich daraus zwei Konsequenzen. Zum einen klassifi -ziert Marty nicht lexikalische Einheiten, sondern sprachliche Zeichen überhaupt und unabhängig von ihrer grammatischen Komplexität. Insbesondere ist für ihn die Kategorie Wort irrelevant. Dabei ist bemerkenswert, dass seine Klasse der (selbstbedeutenden) Sprachzeichen, neben den Namen im weitesten Sinne und anderen in Subjektstellung verwendbaren Ausdrücken,82 wie Komplementsätze, das einschließt, was Austin (1962) später Sprechakte nennen und (zunächst) in Konstative und Performative ausdifferenzieren wird. Ersteren entsprechen Mar-tys Aussagen, letzteren die „Emotive“, zu denen „Ausrufung, Frage, Wunsch, Befehlsatz usw.“ (Marty 1950: 275) gehören.83

Marty unterscheidet also drei Klassen selbstbedeutender Zeichen als solche, die sich auf seelische Ereignisse dreier unterschiedlicher Arten beziehen. Diese

82 Die Subjektfähigkeit der autosemantischen Zeichen ist für Marty ein Identifi kations- und nicht ein Defi nitionsmerkmal. Demnach sind Zeichen nicht autosemantisch, weil sie subjektfähig sind, sondern subjektfähig, weil sie sich selbständig bedeutend auf psychische Ereignisse beziehen, und das heißt, weil sie autosemantisch sind.

83 Die Parallelen zu Austin scheinen mir ausgeprägter zu sein als die zu Frege, auf die von Heusinger (1991: 7) hinweist. Zwar lassen sich die „gesättigten“ Ausdrücke Freges (1984 [1891]), die Eigennamen und darunter auch Behauptungssätze einschließen, mit den Vorstellungssuggestiven und Urteilen Martys in Übereinstimmung bringen.

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Differenzierung ist insofern formal und nicht inhaltlich, als die Zugehörigkeit eines sprachlichen Elements zu einer der Klassen nicht auf seinen spezifi schen semantischen Gehalt zurückgeführt wird – dass sie einen solchen überhaupt ausdrücken, unterscheidet sie insgesamt von den Synsemantika –, sondern von der Einstellung des Individuums zu diesem Gehalt.

Während Martys Ausführungen zu den Aussagesätzen und den Emotiven an sprechakttheoretische Konzepte wie propositionale Einstellung und illokutionäre Kraft erinnern, lässt sich diese Analogie im Hinblick auf die Namen und andere „Sprachmittel“, die innere Ereignisse vom Typ Vorstellung widerspiegeln, nicht feststellen. Die Sonderstellung der Namen unter den selbstbedeutenden Zeichen betont Marty dann auch, wenn er sie „gewissermaßen n u r theoretische nicht praktische Autosemantika“ nennt, weil sie „tatsächlich [...] nie für sich allein verwendet“ werden, sondern stets im Zusammenhang einer Aussage oder eines Emotivs (ebd. 476).

Den Autosemantika sind die Synsemantika gegenübergestellt, die Marty an einer Stelle (ebd.: 207) nicht einmal zu den Zeichen rechnen möchte, weil sie (selbständig) keinerlei Bedeutung ausdrückten. Die mitbedeutenden Sprachelemente umfassen neben den „Formwörtern“, wie Präpositionen und Konjunktionen, auch Verben und Substantive in nicht-nominativischen Kasus. Vor allem letzteres erinnert deutlich an Aristoteles, der diese Ausdrücke von ihren nominativischen Gegenstücken getrennt und aus der Klasse der Onomata ausgeschlossen hatte (Herm 2, 16 b 1). Doch ist es, wie bereits bei den Autose-mantika, überhaupt falsch, Martys Begriff der Mitbedeutsamkeit auf bestimmte Klassen von Wörtern, im traditionellen und durchaus unscharfen Sinn des Aus-drucks, zu begrenzen. Zum einen fallen unter die Synsemantika grammatisch komplexe Wortgruppen, zum anderen aber auch Phänomene wie Wortstellung und Prosodie. Vom Standpunkt der Bedeutungsarten sind damit sowohl Zeichen eingeschlossen, denen eine – wenn auch unselbständige – begriffl iche Bedeutung zugeschrieben werden kann (fi nite Verben, Namen in obliquen Kasus), als auch solche z. B. nicht-zeichenhaften Ausdrucksmittel, die eine rein oder doch ganz überwiegend grammatische Funktion haben, wie Artikel, viele Adpositionen und Konjunktionen und z. B. die Prosodie.

Schließlich bleibt noch festzuhalten, dass Marty gebundene Morpheme (vor allem Flexions- und Derivationsaffi xe) weder in der einen noch in der anderen Klasse einschließt, sondern als Teile von Zeichen betrachtet:

Dessen „Emotive“ jedoch stehen außerhalb einer wahrheitsfunktionalen Semantik der Frege’schen Art.

Ob unter die Emotive tatsächlich alle nicht-konstativen oder, um den Searle’schen (1982: 31) Ausdruck zu verwenden, alle nicht-assertiven Sprechakte zu subsumieren sind, muss hier offen bleiben. Immerhin sind die Parallelen zwischen Marty und den Sprechakttheoretikern beachtlich, die vor allem darin bestehen, dass beide den Verwendungsaspekt von Sprachzeichen in den Mittelpunkt rücken und dabei über die Betrachtung von (wahrheitsfunktionalen) Aussagesätzen hinausgehen.

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So kann man die Lehre, daß es sich bei Stamm und Endung in βροντἁ oder amo um o r g a n i s c h e Bestandteile handle, nicht im Sinne einer aktuellen besonderen Funktion dieser Elemente, sondern nur etwa so gemeint sein, daß sie eine beson-dere G e n e s i s haben. Genauer: es kann nur gesagt sein wollen, daß z. B. βροντἁ aus der Agglutination und Verschmelzung mehrerer Wörter entstanden sei, wovon das eine einst als Name, das andere als synsemantisches Urteilszeichen fungierte, während später das einheitliche Wort die Gesamtfunktion, d. h. die einer Aussage übernahm. (ebd.: 217)

Für die Bestimmung dessen, was als sprachliche (z. B. lexikalische) Einheit bzw. selbständiger „organischer Bestandteil“ der Sprache zu gelten hat, ist demnach

[r]elevant [...] vor allem nicht die Frage, ob eine solche Distinktion verschieder [sic] Wortbestandteile bei den über die Sprache R e f l e k t i e r e n d e n , sondern ob sie im n a i v e n Sprachbewußtsein allgemein gegeben sei. Dies ist [für die gebundenen Morpheme; TW] sicher zu verneinen. (ebd.: 219 f.)

An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, dass für Marty die „Psyche“ des Einzelnen, das sprachliche Wissen des individuellen Sprechers die eigentliche Domäne sprachlicher Kategorisierung und damit auch das Richtmaß für die Angemessenheit sprachtheoretischer und sprachbeschreibender Termini ist. Eine deskriptive linguistische Analyse von Ausdrücken hinsichtlich ihrer morpholo-gischen Struktur ist dabei nur von bedingtem Wert.

An dieser Stelle kann die Erörterung von Martys Auffassung der Unterscheidung unterschiedlicher Typen von Sprachmitteln zusammengefasst und abgeschlossen werden:

Zunächst einmal ist Martys Zurückweisung der traditionellen, schulgrammati-schen Wortartenlehre als „unnatürlich“, d. h. vom Standpunkt der Sprecherpsyche unmotiviert hervorzuheben. Im Gegensatz dazu begründet er seine Unterschei-dung von Auto- und Synsemantika mit dem Verweis auf die unterschiedlichen kognitiven Funktionen dieser Zeichen. Der Gegenüberstellung von selbst- und mitbedeutenden Sprachmitteln liegt eine Intuition zu Grunde, deren Ausdruck sich bereits in den aristotelischen Schriften wiederfi ndet und die bis in die Gegenwart hinein die Basis für Begriffspaare wie Inhalts- vs. Formwörter, lexikalische vs. grammatische Wörter etc. bildet.

Demzufolge drücken manche Zeichen Bedeutungen aus, die sich inhaltlich-begriffl ich mehr oder weniger bestimmt erfassen lassen, während andere genau dies nicht selbständig, sondern nur in Verbindung mit anderen Ausdrücken tun. Marty scheint es bei dieser negativen Bestimmung der Synsemantika zu belas-sen. Keineswegs jedenfalls sieht er in ihnen, wie das für Otto (1965) und Pollak (1958) im kritischen Anschluss an Martys Überlegungen gilt, Sprachmittel, die vorwiegend eine grammatische Funktion haben. Nur so kann er fi nite Verben und nicht-nominativische Namen ebenso unter die (bloß) mitbedeutenden Sprach-mittel subsumieren wie z. B. Artikel einerseits und die Prosodie andererseits.

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Ebenso wenig wie bei Aristoteles handelt es sich bei Marty um eine Klas-sifi zierung von lexikalischen Einheiten oder gar von Wörtern, sondern um die Zuordnung von Sprachmitteln unterschiedlicher Art und Komplexität zu Typen mentaler Gehalte. Dieser sehr allgemeine und weite Begriff ist hier übrigens in besonderer Weise angemessen, eben weil er sehr verschiedenartige sprachliche Phänomene vom Sprechakt bis zur Prosodie umfasst. Klammert man die Sprech-akte (Aussagen und Emotive) von der Betrachtung aus, dann stehen vor allem nominativische Namen (im oben skizzierten weiten Sinne) als Autosemantika allen anderen sprachlichen Elementen gegenüber.

Marty stellt ausdrücklich heraus, dass ihm die Subjektfähigkeit eines Aus-drucks lediglich als Identifi kationskriterium zur Feststellung von dessen Auto-semantie dient, was an die Auffassung der Onomata in der aristotelischen Her-meneutik erinnert. Das syntaktische Merkmal ist für ihn also nur die Folge, der sichtbare Ausdruck einer zu Grunde liegenden semantischen Eigenständigkeit. Nur weil demgemäß ein Sprachzeichen autonom einen Begriff widerspiegelt, kann es im Satz als Subjekt dienen.84 Dies ist die Sichtweise Martys.

Allerdings sind damit einige Probleme verbunden. So liegt der Zirkularitäts-verdacht in der gleichen Weise auf der Hand, wie ihn Benveniste bereits gegen Aristoteles gerichtet hatte. Denn die selbständigen, und daher „mitteilbaren psychischen Phänomene“, die durch selbstbedeutsame Zeichen bezeichnet werden, scheinen überhaupt nur aufgrund dieser Bezeichnungsweise identi-fi zierbar zu sein. Ferner ist unter dem Gesichtspunkt der Kategorisierung von Einheiten des Lexikons unplausibel, was vom grammatischen Standpunkt aus nahe liegen mag, nämlich die verschiedenen Kasusformen z. B. eines Eigenna-mens unterschiedlichen Klassen zuzuordnen. Und auch die Gegenüberstellung von Namen und (beinahe) allen anderen Typen von Sprachelementen inklusive der Verben macht deutlich, dass Martys Auffassung der Zeichen letztlich doch eher von deren grammatischer Funktion im konkreten Sprechen ausgeht als von ihrem dem Sprechen vorausliegenden eigenständigen Bezug bzw. Nicht-Bezug auf Begriffe. Im Rückblick auf Aristoteles kann man sagen, dass Marty die Gegenüberstellung von Auto- und Synsemantika von der Hermeneutik und nicht von der Kategorienschrift her denkt.

Dass Martys Unterscheidungen dennoch auch für eine Theorie lexikalischer Kategorisierung fruchtbar gemacht werden können und auch wurden, hat mehre-re Gründe. Zum einen betrachtet er die Kategorisierung sprachlicher Elemente als eine Form der Strukturierung, die im sprachlichen Wissen der einzelnen Sprecher und nicht, wie aus seiner Sicht die klassischen Redeteile bzw. die Wortarten, in einer bestimmten theoretischen Betrachtungsweise begründet ist. Damit einher geht die Auffassung, dass die kategorisierten Elemente nicht „Wörter“, sondern Einheiten sind, die den einzelnen „naiven“ Sprechern als solche auch zugänglich

84 Vgl. hierzu die oben zitierte Feststellung Wilhelm Schmidts (1973: 56).

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sind. So wird es zum einen möglich, den notorisch problematischen Begriff Wort beiseite zu lassen. Zum anderen macht es nun Sinn, solche sprachlichen Phänomene im Hinblick auf ihren Status als potenzielle lexikalische Einheiten zumindest einmal prüfend in Betracht zu ziehen, die, wie etwa Phraseologis-men, vom Standpunkt des Betrachters grammatisch komplex zu sein scheinen. Darüber hinaus wirft Martys weiter Begriff der synsemantischen Sprachmittel, der u. a. auch Wortstellung und Prosodie einschließt, die Frage auf, welche Arten (kognitiv) einfacher Elemente des sprachlichen Wissens individueller Sprecher unterschieden werden müssen.

Martys Differenzierung zwischen auto- und synsemantischen Sprachmitteln wurde von Ernst Otto und Hans Pollak aufgegriffen, deren Beiträge zur Weiter-entwicklung des konzeptualistischen Ansatzes im Folgenden erörtert werden. Dabei geht es darum zu zeigen, dass Autosemantie und Synsemantie keine sich wechselseitig ausschließenden Gegensätze darstellen, sondern Eigenschaften unterschiedlicher Art darstellen, die einzelnen lexikalischen Einheiten zur gleichen Zeit zukommen können.

3.4.1.2 Begriffsbedeutung und Beziehungsbedeutung (Ernst Otto)

„Was ist ,Bedeutung‘?“, fragt Ernst Otto in seiner Bestimmung von Stand und Aufgabe der Allgemeinen Sprachwissenschaft (Otto 1965 [1954]). Seine Antwort hierauf führt ihn nicht nur zu einer Abgrenzung der „Wortlehre“ von seinem eigentlichen Untersuchungsgegenstand, der „Satzlehre“, sondern bringt darüber hinaus Implikationen für das Problem der lexikalischen Kategorisierung mit sich. Indem er bei seinen grammatischen Überlegungen von der Bedeutung sprachlicher Zeichen ausgeht, knüpft Otto an Marty an. Deutlicher wird dies noch, wenn er den kognitiven Charakter von Bedeutung als eine Art anschaulich oder „unanschaulich gegebenen Wissens“ (ebd.: 9) hervorhebt.

Für seine Auffassung von sprachlicher Bedeutung greift Otto Martys Be-griffspaar Autosemantie–Synsemantie auf. Ähnlich wie Marty geht es ihm nicht in erster Linie um die Kategorisierung lexikalischer Einheiten im Sinne der Wortarten. Das wird spätestens dann deutlich, wenn er die Wortartenzugehö-rigkeit einzelner Wörter als Aspekt von deren Beziehungsbedeutung, d. h. der Synsemantie, bezeichnet (ebd.). Die Grenze zwischen den beiden semantisch defi nierten Klassen von „Sprachmitteln“ verläuft bei Otto, anders als bei Marty, nicht zwischen den selbstbedeutenden einerseits und den mitbedeutenden an-dererseits. Selbst- und Mitbedeutsamkeit oder, in Ottos Terminologie, Begriffs- und Beziehungsbedeutung werden als Aspekte der Bedeutung von Wörtern aufgefasst, die einander nicht notwendig ausschließen.

Vor diesem Hintergrund unterscheidet Otto zwischen Vollwörtern und Glied-wörtern. Erstere, die er auch Begriffswörter (ebd.) nennt, drücken im Sinne von Martys Autosemantiekonzept eine „lexikalische Begriffsbedeutung“ (ebd.: 16)

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aus, haben jedoch „zudem noch eine B e z i e h u n g s b e d e u t u n g , die durch Beziehungsmittel charakterisiert [ist]“ (ebd.: 18). Die Bezeichnung „Beziehungs-bedeutung“ überrascht zunächst, handelt es sich hier doch offensichtlich um den grammatischen Aspekt der sprachlichen Zeichen, der für ihre Verknüpfbarkeit im Satz verantwortlich ist. Unten wird deutlich werden, dass Otto den Terminus wohl bewusst und zu Recht gewählt hat, was seinen Ansatz erst zu einem im umfassenden Sinne konzeptionellen macht.

Unter die „Beziehungsmittel“ rechnet Otto die Flexion, als morphologisch zum Wort selbst gehörende Bedeutungsträgerin, die Wortstellung und die Stimm-modulation („Akzent“), die an Wortgruppen bzw. Sätze85 gebunden seien, und die Wortart, die die „gegenständliche Umwelt“ in kategorialer Weise abbilde (ebd.: 18, 22 f.). Was die Berücksichtigung der Wortstellung und der Prosodie betrifft, beruft er sich ausdrücklich auf Marty, der diese Elemente unter die Synsemantika subsumiert.86

Hervorzuheben ist noch einmal, dass Ottos Gegenüberstellung von Begriffs- und Gliedwörtern nicht äquivalent ist mit der Differenzierung von Redeteilen oder Wortarten. Vielmehr betrachtet er die Wortartenzugehörigkeit auf der nächsttieferen Differenzierungsebene als eine semantische Eigenschaft von Begriffswörtern, als deren „kategoriale Grundbedeutung“.87 Die Wortarten sind demnach defi niert durch

[...] die kategoriale Beziehung eines Wortes auf die Kategorien der gegenständlichen Wirklichkeit, die uns eben als Gegenstände, als deren Eigenschaften, Vorgänge undzeit-räumliche Relationen gegeben ist. (ebd.: 26)

86 Auch Otto gebraucht Satz „nicht im Sinne der formalen Grammatik“, sondern, um damit „Sprechakte“, zu bezeichnen, zu denen er neben Urteilen auch Ausrufe, Fragen, Befehle etc. rechnet (s. Otto 1965: 42f.).

87 Otto zitiert Bloomfi eld und so sei hier auch auf die Ähnlichkeit hingewiesen, die zwischen den Beziehungsmitteln und Bloomfi elds Taxemtypen, d. h. Typen einfacher Merkmale der grammatischen Anordnung (Bloomfi eld 1984 [1933]: 166), besteht:

Otto (1965: 22): Beziehungsmittel Bloomfi eld (1984: 163ff): taxemes1. Akzent 2. modulation2. Flexion –3. Wortstellung 1. order4. Wortart 4. selection– 3. phonetic modifi cation.

88 Dies fi ndet sich ähnlich später auch bei Coseriu:Wir müssen hier folglich eine neue Unterscheidung zwischen zwei Arten der Bedeutung einführen: die zwischen lexikalischer und kategorieller Bedeutung. Im Englischen sind (the) fi re und (to) fi re vom Gesichtspunkt der lexikalischen Bedeu-tung her dasselbe abstrakte Wort, jedoch nicht vom Gesichtspunkt der kategoriellen Bedeutung. [...] Die lexikalische Bedeutung umfaßt das sprachlich Organisierte, die kategorielle Bedeutung die Art dieser Organisierung: die lexikalische Bedeutung betrifft das Was, die kategorielle das Wie der Wortbedeutung.

(Coseriu 1987c: 27)

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Diese Formulierung erinnert dem Unterscheidungsprinzip nach an die Art und Weise, in der Aristoteles in seiner Kategorienschrift zehn Klassen von einfachen Ausdrücken mit Bezug auf die von ihnen bezeichneten „Dinge“ voneinander abgrenzt. Zwar erkennt Otto nur vier „fundamentale Wortarten“ (ebd.: 34) an, die den „vier Kategorien der gegenständlichen Wirklichkeit“ (ebd.) entsprächen: Gegenstände (Substantive), Eigenschaften (Adjektive), Tätigkeiten (Verben) und deren Anordnung in Raum und Zeit („Verhältniswörter“ (ebd.: 23), d. h. Präpo-sitionen und Konjunktionen). Doch betrachtet er diese Unterteilung durchaus als kompatibel sowohl mit der aristotelischen, die auf die Vierzahl zurückzuführen sei, als auch mit der schulgrammatischen, insofern sich die Grundwortarten „sprachlich [...] noch weiter verzweigen können“ (ebd.: 34).

Mit Blick auf Ottos Wortartenlehre ist festzuhalten, dass sie eine primär semantische Differenzierung des Wortschatzes unterstellt. Auf tieferen Ebenen jedoch sind weitere, z. B. auch morphologische, Unterscheidungen vorgese-hen. So ist diese Konzeption – wie Otto selbst nahelegt – letztlich mit den meisten ihrer Vorgängerinnen vereinbar, u. a. auch mit der schulgrammatischen Mischklassifi kation. Die semantische Gliederung nach Wortarten ist bei Otto der Scheidung zwischen Begriffswörtern und den unten noch zu betrachtenden Gliedwörtern nachgeordnet. Aus diesem Blickwinkel stellt sich die Struktur des Wortschatzes einer Sprache schematisch wie folgt dar:

Abb. 3.16: Die Struktur des Wortschatzes natürlicher Sprachen nach Otto (1965)

Die Gliedwörter – Otto nennt u. a. die Kopula, den Artikel, das Refl exivpro-nomen sich, und die Konjunktion dass – besitzen demnach „n u r eine [syn-taktische] Beziehungsbedeutung“ (ebd.). Diese scharfe, eine dichotomische Unterscheidung voraussetzende Bestimmung impliziert, dass Präpositionen und Konjunktionen, die Otto auch unter der Bezeichnung „Verhältniswörter“ zusammenfasst, aufgrund ihrer lokalen und temporalen Bedeutungsaspekte zu den Begriffswörtern zu zählen sind. Andererseits bilden die Gliedwörter eine gemeinsame funktionale Klasse mit den oben genannten Komponenten Wortart,

Wortschatz einer beliebigen natürlichen Sprache

Begriffswörter Gliedwörter (mit Begriffs- und Beziehungsbedeutung) (nur mit Beziehungsbedeutung)

Substantive Verben Adjektive sonstige Begriffswörter

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Wortstellung, Flexion und Modulation, die als syntaktische Beziehungsmittel charakterisiert sind.

Ihre Funktion besteht darin, Begriffswörter in bestimmte syntaktische Verhält-nisse zu setzen und sie somit zu Wortgruppen und Sätzen zu verknüpfen. Diese Verknüpfung erfolgt jedoch nicht nach den Regeln einer „autonomen“ Syntax, sondern spiegelt die Verhältnisse von Gegenständen in der „gegenständlichen Wirklichkeit“ (ebd.: 25) bzw. von Begriffen in Gedanken wider.

Damit erweist sich Ottos Auffassung von Sprache als eine Variante derje-nigen des Aristoteles, wie sie oben bereits in Abbildung 3.2 zusammengefasst wurde:

Abb. 3.17: Ottos aristotelische Sprachauffassung (vgl. Abb. 3.2)

Die Darstellung in Abbildung 3.17 verdeutlicht auch, dass Ottos Terminus „Beziehungsbedeutung“ von seinem Standpunkt aus gut motiviert ist. Tatsäch-lich sieht er die Funktion der Beziehungsmittel nicht als eine rein formale, die durch die Regeln und Prinzipien einer autonomen Syntax bestimmt wäre. So symbolisiert beispielsweise das Verhältnis zwischen Attribut und Bezugsnomen in einem Satz das Verhältnis zwischen dem Gegenstand, auf den der Sprecher referiert, und einer Eigenschaft, die er diesem Gegenstand zuschreibt. Anders als für Marty sind also für Otto auch die Beziehungsmittel keineswegs „unse-mantische Zeichen“ (Marty 1950b: 48), sondern er besteht auf ihrer Seman-tizität. Den Beziehungsmitteln wird gerade nicht eine bloß formale Funktion zugeschrieben, sondern tatsächlich eine, wenn auch von der Begriffsbedeutung unterschiedene, Form der Bedeutung, die die Grundlage für alle formal-gram-matischen Eigenschaften bildet.

Entitäten Beziehungen zwischenden Entitäten

bil

den

ab

sym

bo

lisi

eren

bil

den

ab

sym

bo

lisi

eren

Entitäten Beziehungen zwischenden Entitäten

Sachverhalte

Begriffe Beziehungenzwischen Begriffen

Gedanken

Begriffswörter syntaktischeBeziehungsmittel

Sätze*

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Für die Theorie lexikalischer Kategorisierung ist nun Ottos Feststellung folgenreich, dass nicht nur Gliedwörter eine Beziehungsbedeutung besitzen, sondern auch die autosemantischen Begriffswörter synsemantische Bedeu-tungsaspekte zum Ausdruck bringen. Dies gilt für Elemente wie /nach/, /auf/, /bevor/ und /während/, aber auch für Verben und Substantive. Zwar legen Ottos Ausführungen zu den Vollwörtern die Interpretation nahe, dass er in diesen Fällen die Begriffsbedeutung dem Wortstamm, die Beziehungsbedeutung aber den Flexionsaffi xen und den sonstigen Beziehungsmitteln zuschreibt. Doch zeigen die als Beispiele angeführten Konjunktionen und Präpositionen, dass ein einziges Morphem Bedeutungen beider Typen ausdrücken kann. Im Hinblick auf Verben sowie auf viele Substantive und Adjektive kommt hier die Valenz als Aspekt der Beziehungsbedeutung in Betracht, die ebenso wie die jeweilige Begriffsbedeutung an den Wortstamm gebunden ist.

Wie diejenige Martys ist Ottos Auffassung von der Struktur des Lexikons einer Sprache also primär semantisch bestimmt. Dabei unterscheidet Otto jedoch Typen von Sprachzeichen nicht, wie noch Autoren von Aristoteles über Marty bis in die Gegenwart, entlang der Grenze zwischen Begriffs- und Beziehungs-bedeutung in Begriffs- und Funktionswörter oder -zeichen. Vielmehr macht er darauf aufmerksam, dass Bedeutungen der beiden Arten zwei semantische Aspekte ein und desselben Zeichens sein können.

Die rein grammatischen „Gliedwörter“ unterscheiden sich dementsprechend von den konzeptuell-denotierenden „Begriffswörtern“ dadurch, dass letztere Bedeutungen beider Typen zum Ausdruck bringen, während ersteren nur eine grammatische Funktion zugeschrieben wird, die allerdings ebenfalls konzeptuell motiviert ist. Diese dichotomische Unterscheidung bringt es, wie bereits erwähnt, mit sich, dass auch Präpositionen und Konjunktionen zu den Begriffswörtern zu rechnen sind, da sie temporale und lokale Verhältnisse ausdrücken. Die Glied-wörter hingegen fallen ihrer Bedeutung nach in dieselbe Klasse der so genannten „Beziehungsmittel“ wie Flexions- und Derivationsmorpheme einerseits und Sprachmittel, die wie Wortstellung und Prosodie die Wortgrenze überschreiten, andererseits. Auch die Wortarten, die er als „kategoriale Grundbedeutungen“ fasst, rechnet Otto zu den Beziehungsmitteln.

Dieser Punkt gibt Anlass einer ersten Kritik. Während die Funktion sämtlicher anderen „Beziehungsmittel“ grammatischer, d. h. Zeichen verknüpfender bzw. Begriffsrelationen ausdrückender, Art ist, erscheint die Wortartzugehörigkeit in Ottos Sinn als abstrakte Form der Begriffsbedeutung, die entsprechend auch Klassen von Begriffswörtern voneinander scheidet.

Charakteristisch für Ottos Sichtweise ist nun, dass er nicht – wie Marty und viele vor diesem und im Anschluss an ihn – die Autosemantika (kategorematischen Zeichen, Begriffswörter, Vollwörter, Inhaltswörter etc.) der ontisch-konzeptuel-len Dimension zuordnet, und die Synsemantika (synkategorematischen Ausdrü-cke, Glied-, Form-, Funktionswörter etc.) im Gegensatz dazu im Hinblick auf

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ihr grammatisches Potenzial bestimmt. Vielmehr treten konzeptuelle Bedeutung und grammatische Funktion (bzw. grammatisches Funktionspotenzial) in vielen Sprachelementen gleichzeitig auf. Diese Auffassung stellt angesichts sprach-licher Elemente, wie die oben angeführten Präpositionen und Konjunktionen (/nach/, /nachdem/ etc.), einen Fortschritt gegenüber Marty dar.

Wenig konsequent erscheint hingegen, dass Otto anders als Marty an einer diskreten Grenzziehung zwischen Sprachmitteln zweier Typen festhält. Neu ist, dass Otto die Begriffswörter als Zeichen defi niert, die Bedeutung und Funktion ausdrücken, und sie von solchen absetzt, die nur eine grammatische Funktion besitzen. Die beiden Klassifi zierungen lexikalischer Einheiten lassen sich sche-matisch wie in Abbildung 3.18 darstellen:

Abb. 3.18: Die beiden lexikalischen Klassen und ihre jeweiligen Bedeutungen nach Marty und Otto

Gegen Ottos strikte Zweiteilung spricht, dass Elementen wie /Haus/, /schenken/ und /auf/ zwar jeweils ein begriffl icher Gehalt und ein grammatisches Funkti-onspotenzial zugeschrieben werden kann. Doch ist die konzeptuelle Semantik des Substantivs und des Verbs reicher88 als die der Präposition, während die Ver-hältnisse in Bezug auf die grammatische Funktionalität genau umgekehrt liegen. So kann man, Otto folgend, feststellen, dass /_schenk_/, /schenken/, /geschenkt/ zwar sämtlich eine Beziehungsbedeutung ausdrücken. Diese ist jedoch im ersten Fall weniger spezifi sch als im zweiten und erst recht im dritten, welcher durch

88 Konzeptueller Reichtum einer lexikalischen Einheit lässt sich mit den Begriffen der Frametheorie (Fillmore 1985; Konerding 1993) als relative Komplexität und Detail-liertheit des semantischen Rahmens der Einheit auffassen.

(a) Marty

LEXIKON Autosemantika Synsemantik

Begriffsbedeutung X –

(bloß) grammatische Bedeutung

– X

(a) Otto

LEXIKON Begriffswörter Beziehungs-mittel

Begriffsbedeutung X –

Beziehungs-bedeutung

X X

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die Flexion eindeutig als Partizip II des Verbs markiert ist, während /schenken/ hinsichtlich seiner grammatischen Form ambig ist (Infi nitiv vs. 1.–3. Pl. Ind. Akt.) und das Morphem /_schenk_/ noch gänzlich unbestimmt.

So liegt es also ganz auf der Linie von Ottos eigenen Überlegungen und Beobachtungen, weder Konzeptualität noch Grammatikalität als dichotomische Eigenschaften zu betrachten, die sprachlichen Elementen entweder zukommen oder aber ihnen vollständig abgehen.89 Seine Beispiele weisen in beiden Hin-sichten Abstufungen auf, die entlang von Skalen zwischen den Polen maxi-male Konzeptualität bzw. maximale Grammatikalität einerseits und minimale Konzeptualität bzw. minimale Grammatikalität andererseits dargestellt werden können (s. u. Abb. 3.19). Ob die beiden Kontinua miteinander korrelieren oder einander gar, wie Seilers oben zitierte Nominalität-Verbalität-Kontinua (s. o. Abb. 3.9) dergestalt bedingen, dass eine reiche konzeptuelle Bedeutung mit einer minimalen funktionalen Bestimmtheit einhergeht und umgekehrt, wird später noch zu erörtern sein. Bei Otto lassen sich bezüglich dieser Frage keine Antworten fi nden.

89 Schon Fries, als Vertreter des amerikanischen Strukturalismus indirekt einer von Ottos Gewährsleuten für die Unterscheidung zwischen Begriffs- und Beziehungsbedeutung (Otto 1965: 16), merkt hierzu in einer Fußnote an:

The borderline between lexical meanings and structural meanings in a language like English that uses “function” words is not always sharp and clear.

(Fries 1952: 56)

Abb. 3.19: Konzeptualitäts- und Grammatikalitätskontinuum in Anlehnung an Otto

Eine weitere Entscheidung Ottos verdient nähere Betrachtung. Für ihn sind sämtliche syntaktischen Beziehungsmittel, also Gliedwörter und Flexionsmor-pheme ebenso wie Prosodie, Wortstellung und Wortarten, nicht im Rahmen der Lexik, sondern in der Grammatik abzuhandeln. Das ist durchaus nachvollziehbar, wenn man diese Elemente von ihrer Funktion her betrachtet, die ja nur im Spre-chen, in der grammatisch mehr oder weniger komplexen Äußerung aktualisiert wird. Fragt man jedoch, welche Elemente zum Lexikon zu rechnen sind, dann muss die Antwort die Gliedwörter ebenso einschließen wie die Flexions- und Derivationsmorpheme. Deren Bedeutung und Funktion lässt sich, wie die der „Wörter“, ohne weiteres mit Bezug auf die oben skizzierten Konzeptualitäts-

max minKonzeptualität

min maxGrammatikalität

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bzw. Funktionalitätskontinua bestimmen. Flexionsmorpheme sind demnach am negativen Konzeptualitäts- und am positiven Grammatikalitätspol angesiedelt, während Derivationsmorphemen wie /-er/ zur Bildung von Nomina agentis zusätzlich zu ihrer grammatischen Wortbildungsfunktion ein, wenn auch abs-trakter, konzeptueller Gehalt zukommt.

Nun betont Otto, dass die Flexion zu den Beziehungsmitteln gehöre, mittels deren Begriffswörter eine grammatische Funktion ausdrücken (ebd.: 18), und dass Wörter wie Läufer (jemand, der läuft) oder Steins (Gen. Sg.) von Sprechern nicht grammatisch gebildet, sondern als Ganzheiten gewusst und verwendet werden. Dies ist plausibel und gilt allgemein in Bezug auf Formen, die Sprecher häufi g gebrauchen oder hören. So können also Wörter, die vom strukturellen Standpunkt als Ableitungen, Komposita oder Flexionsformen zu gelten haben, einfache Einheiten des mentalen Lexikons bilden. Dies steht nicht im Wider-spruch zu der Annahme, dass das Lexikon darüber hinaus Morpheme wie /-er/ und /-s/ (Gen. Sg.) umfasst, mittels deren der Sprecher (für ihn) neue Formen regelhaft und kompositional bilden bzw. erstmals gehörte Formen kompositional verstehen kann.

In jüngerer Zeit wird diese intuitiv erlangte Auffassung auch empirisch ge-stützt, z. B. im Rahmen von Joan L. Bybees (1985: 111 ff.) dynamic model of lexical representation. Bybee verweist auf Untersuchungen, die zeigen, dass Flexionsformen von Verben und Substantiven nicht immer regelgeleitet, z. B. in der Form einer Verbindung von Wortstamm und Affi x(en), erworben, gespeichert und verwendet werden, sondern in bestimmten Fällen und unter bestimmten Bedingungen auch durch „rote learning and representation“ als Einheiten. Dies gilt insbesondere auch für so genannte regelmäßige Bildungen (ebd.: 113 f.), woraus folgt, dass das mentale Lexikon von Sprechern neben Wortstämmen wie /berg/ und /lauf/ einerseits und Flexionsmorphemen wie /s/ (Gen. Sg.) und /e/ (1. Pers. Sg. Ind. Präs.) Einheiten wie /berge/ und /laufe/ enthält, die aus deskriptiver Perspektive morphologisch komplex erscheinen. Welche Einheiten in dieser holistischen Weise erworben und repräsentiert werden, ist laut Bybee von der Gebrauchshäufi gkeit der Einheiten abhängig:

[...E]very time a speaker/hearer processes a word, it affects the lexicon by strengthe-ning the representation of a lexical item [...]. (ebd.: 116)

Je häufi ger also ein Sprecher/Hörer eine bestimmte Form verwendet, desto fester wird sie als solche in seinem mentalen Lexikon verankert. Dies gilt auch für morphologisch und syntaktisch komplexe Einheiten. Andererseits jedoch müssen dem Sprecher auch die einzelnen Morpheme im Lexikon zur Verfügung stehen, damit er neue Formen bilden bzw. verstehen kann.

Hingewiesen sei noch auf Ottos von ihm nicht weiter verfolgte Bemerkung, dass Begriffswörter sich in einem „Prozeß der Bedeutungsentleerung“ (ebd.: 20) zu Funktionswörtern und weiter zu unselbständigen Beziehungsaffi xen entwi-

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ckeln können. Dass im Zusammenhang der Frage nach unterschiedlichen Typen sprachlicher Zeichen unweigerlich diachrone Vorgänge in den Blick geraten, hatte sich bereits im Zuge der Erörterung von Hoppers und Thompsons (1984, 1985) Ansatz gezeigt. Dort ging es allerdings um Kategorisierungsprozesse zwischen Thema-einführender Referenzialität und Prädikativität und damit um eine Dimension, die gleichsam orthogonal zu den von Otto behandelten Verhältnissen steht.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass die mehr oder weniger langfristigen diachronen Entwicklungen, die aus heutiger Sicht als Grammatikalisierungspro-zesse (Lehmann 1995; Hopper/Thompson 1987; Heine/Claudi/Hünemeier 1991) bezeichnet werden können, mit dafür verantwortlich sind, dass der Übergang von (prototypisch) konzeptuellen zu (prototypisch) grammatischen Einheiten innerhalb des Lexikons kein abrupter, sondern ein kontinuierlicher ist. Es ist hier interessant festzustellen, dass Ottos Konzeption eine strukturell ähnliche Auffas-sung von Sprachwandel nahelegt, wie die im Anschluss an Hopper und Thomp-son entwickelte funktionalistische Auffassung lexikalischer Kategorisierung. Während Otto Entwicklungen in den Blick nimmt, die entlang eines Kontinuums von maximaler Konzeptualität zu maximaler Grammatikalität verlaufen, lenken Hopper und Thompson die Aufmerksamkeit auf Rekategorisierungsprozesse, in deren Verlauf sich der Status einer lexikalischen Einheit in einer anderen Dimension, nämlich zwischen Thematizität und Prädikativität, vollzieht.90

Otto arbeitet den Unterschied zwischen Begriffsbedeutung und Beziehungs-bedeutung heraus, um damit seine Trennung von Wortlehre und Satzlehre vor-zubereiten. Einen Beitrag zur Theorie lexikalischer Kategorisierung möchte er im Grunde nicht leisten. Und dennoch – das habe ich zu zeigen versucht – haben Ottos Überlegungen und Beobachtungen Konsequenzen im Hinblick auf die Untersuchung lexikalischer Kategorisierung, wenn man sie aus der hier eingenommenen Perspektive individueller mentaler Lexika betrachtet. Der wesentliche Fortschritt Ottos gegenüber Vorgängern wie Marty besteht darin, dass er konzeptuelle Bedeutung und grammatisches Funktionspotenzial nicht als konträre Eigenschaften auffasst, von denen einem Zeichen nur eine zukom-men kann. Vielmehr erkennt er sie als unterschiedliche Aspekte der Bedeutung sprachlicher Zeichen, die stets eine Beziehungsbedeutung und – im Fall der Vollwörter – auch eine Begriffsbedeutung haben.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr angemessen, Autosemantika und Synsemantika, kategorematische und synkategorematische Zeichen, Begriffs-,

90 Wie oben (s. 3.3.3.7) ausführlich begründet, gehe ich mit Funktionalisten wie Haspel-math (1999) und anderen davon aus, dass individuelle Sprecher am Sprachwandel in der Form der Grammatikalisierung teilhaben können, dass sich also ihr grammatisches Wissen auch nach „Abschluss“ des Erstspracherwerbs im Laufe ihres Lebens verän-dert und restrukturiert. Zu dieser Diskussion, insbesondere zur Abgrenzung von der entgegengesetzten Position der Generativisten vgl. Haspelmath (1999: 1046 ff.).

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Inhalts-, Vollwörter und Funktion-, Form- und Gliedwörter als zwei distinkte Klassen aufzufassen, in die das Lexikon gleichsam zerfällt. Wenn man den Wortbegriff aus den mehrfach genannten Gründen zugunsten des Konzepts der lexikalischen Einheit aufgibt, lässt sich mit Otto vielmehr feststellen, dass eine lexikalische Einheit sowohl Inhalts- als auch Funktionselement sein kann. „Rei-ne“ Funktionszeichen, z. B. Flexionsmorpheme, und „reine“ Begriffszeichen, z. B. die Stämme von Inhaltswörtern, stellen dann lediglich Extremfälle dar,91

während die meisten lexikalischen Einheiten „dazwischen“ sowohl konzeptuelle als auch grammatische Züge aufweisen.

3.4.1.3 Kategorisierung und Individualsprache (Hans Pollak)

Gibt es Wortklassen vom Standpunkt der Bedeutung? fragt Pollak (1958) im Titel seines Aufsatzes, in dem zentrale Gedanken von Anton Martys Ansatz aufgreift. Dass er diese Frage bejaht und vor allem wie er dies begründet, kennzeichnet seinen Ansatz als einen konzeptualistisch-semantischen. Pollak geht bei seinem Klassifi kationsversuch ähnlich wie Otto ausdrücklich von Martys Begriffspaar Auto- vs. Synsemantie aus. Seine Überlegungen verdienen hier besondere Auf-merksamkeit, weil sie – bei aller Knappheit – deutlich machen, dass das Problem der Wortklassifi kation untrennbar ist von anderen grundlegenden Problemen der Sprachwissenschaft und aus ihrer Kritik an Martys Vorschlägen konsequenter die notwendigen Folgen ziehen, als Otto dies getan hat.

Bevor Pollak sich seiner Hauptfrage zuwendet, stellt er Vorüberlegungen in dreierlei Hinsicht an, die er als Basis seines Unternehmens für unverzichtbar hält:

1. Man sollte sie [d. h. die titelgebende Frage; T.W.] nur für Sprachen zu beantworten wagen, die man kennt, nicht allgemein für alle Sprachen. [...]

2. Da wir eine Untersuchung über die Sprache anstellen, müssen wir uns darüber klar sein, was wir unter Sprache verstehen.

3. Da wir von Wortklassen sprechen wollen, sollten wir zuerst versuchen, festzustellen, was denn eigentlich ein Wort ist.

Die letzten zwei Punkte verlangen gewissenhafte Überlegung – so sonderbar das auch klingen mag. (Pollak 1958: 34)

Aus dem, was bereits in Kapitel 2 ausgeführt wurde, folgt, dass Pollak mit der zuletzt zitierten Bemerkung Recht zu geben ist und die beiden hier angespro-chenen Fragen ihre Berechtigung besitzen.

„Erinnerungsbilder“ erlebten Sprechens und „linguistische Formungspoten-tialität“ stellen für Pollak die Seinsweise von Sprache dar. Dabei handelt es sich

91 Aus der Perspektive der Cognitive Grammar Langacker (1987a, 2000) wird unten (3.4.2) gezeigt, dass weder Konzeptualität noch Funktionalität in solcher „Reinform“ realisiert werden.

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um mentale Repräsentationen, um sprachliches Wissen je einzelner Sprecher. „Es gibt also theoretisch über 200 Millionen von verschiedenen individuellen englischen Sprachen.“ Pollak fährt dann fort:

Alle diese individuellen englischen Sprachen sind jedoch in Wirklichkeit völlig voneinander getrennt. Was die Bedeutungen der einzelnen sprachlichen Ausdrücke (Wörter) betrifft, so unterscheiden sie sich von Individuum zu Individuum je nach persönlicher Erfahrung und Veranlagung. (ebd.: 35)

Dass sich angesichts der Vielfalt individueller Sprachen dennoch Einzelspra-chen in der Weise herausbilden konnten, dass wir etwa Englisch von Deutsch unterscheiden können, englischsprachige Äußerungen verstehen, chinesisch-sprachige aber nicht etc., hält Pollak für das Ergebnis von Anpassungs- und Lernprozessen im Zuge vieler und – so ist wohl zu ergänzen – über Jahrhunderte hinweg erfolgter kommunikativer Kontakte zwischen den Mitgliedern einer kommunikativen Gemeinschaft. Pollak bezeichnet dies auch als „den psycho-logischen Kontakt in der Rede, wozu in weiterem Sinne auch Schrift und Druck gehören“ (ebd.). „Psychologisch“ oder, vielmehr, „psychisch“ ist die soziale Interaktion mit anderen insofern, als sie in der Form des recipient design eine Anpassung des eigenen Verhaltens an den (vermuteten) Partner erfordert, was wiederum, je nachdem ob dies erfolgreich geschah oder nicht, einen Einfl uss auf das sprachliche Wissen des Individuums nehmen kann.

Die Annahme solcher Konvergenzprozesse innerhalb von Kommunikations-gemeinschaften impliziert bei Pollak jedoch nicht etwa die Auffassung, dass sich letztlich doch Einzelsprachen als Entitäten eigener Art herausbilden würden, die in ihrem Sein von den Sprechern unabhängig wären. Sprache existiert für Pollak nur als Individualsprache, als individuelles sprachliches Wissen, nach außen abgeschlossenes dynamisches System. Dieses kann sich im Laufe der Zeit und mit wechselnden kommunikativen Erfahrungen ändern und dem Wissen anderer Sprecher anpassen, es bleibt aber eingeschlossen im Subjekt. Diese Sichtweise entspricht nicht nur dem zu Beginn dieser Arbeit eingenommenen Standpunkt, sondern kann auch als Explikation einer Konsequenz gelten, die allen bis hierhin erörterten konzeptuellen Ansätzen innewohnt. Darüber hinaus sind die Parallelen zu den Überlegungen, die oben im Zusammenhang mit der diskursfunktionalen Sicht lexikalischer Kategorisierung angestellt wurden, offensichtlich.

Eng verbunden mit der Bestimmung dessen, was (eine) Sprache ist, ist Pollaks Wortbegri ff. Natürlich hat er zunächst einmal Recht, wenn er feststellt, dass über Wortklassen nicht sinnvoll diskutiert werden kann, wenn keine Klarheit darüber besteht, was ein Wort ist. Entsprechendes gilt für das Problem der lexikalischen Kategorisierung und die Notwendigkeit festzulegen, was eine lexikalische Einheit ist. Pollak hält zwar am Terminus Wort fest, defi niert ihn jedoch aus seiner psychologischen Perspektive in einer Weise, die sowohl von der alltagssprachlichen Verwendung als auch dem hergebrachten Gebrauch in der Sprachwissenschaft abweicht:

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Ich glaube, für die Sprache des Individuums kann man es [i.e. das Wort; T.W.] um-schreiben als einen im Bewußtsein fertig vorhandenen Baustein zur Errichtung des Gefüges der Rede. (Pollak 1958: 36)

Die Pollak’schen Wörter entsprechen also den oben als lexikalische Einheiten charakterisierten kognitiv einfachsten sprachlichen Elementen. Die abstrakte intensionale Defi nition konkretisiert Pollak durch eine Reihe von Beispielen. So führt er Funktionsverbgefüge (in die Wege leiten) ebenso an wie Phraseologismen (Maulaffen feil halten, aus der Haut fahren). Auch weniger festgefügte, aber dennoch häufi g in einer bestimmten Form gebräuchliche Formulierungen (die heutige Welt) sind „offenbar für viele Sprecher auch eine Art von Kompositum, also wieder e i n e Einheit.“ Und schließlich erwägt er auch die Einbeziehung von Fügungen (je – desto, je – je), die Paul Kay, Charles F. Fillmore und an-dere in jüngerer Zeit im Rahmen der construction grammar (Fillmore 1989, Kay/Fillmore 1999) als Konstruktionen untersucht haben.

Zwei Aspekte sind hier noch einmal hervorzuheben: Zum einen verstehen sich alle von Pollak angeführten Beispiele als Elemente individueller mentaler Lexika und nicht etwa als gültig für eine Einzelsprache insgesamt. Es ist also durchaus möglich, dass, was für den einen ein Wort darstellt (die heutige Welt), für den anderen ein Syntagma bildet. Zum anderen gilt, was oben bereits einmal im Zusammenhang mit Otto festgestellt wurde:

Das [nämlich, dass bestimmte Sprecher z. B. in die Wege leiten als ein Wort erlernt haben und gebrauchen; T.W.] hindert natürlich nicht, daß denselben Sprechern in ihrem Sprachbewußtsein daneben auch Einheiten wie leiten, leitet usw., Weg, Wegeusw. nach Bedarf als einzelne fertige Sprachstücke zur Verfügung stehen.(ebd.: 36)

Der Prozess der individuellen Wort-Bildung im Sinne der Bildung sprachli-cher Ganzheiten aus ursprünglich selbständigen Teilen ist für Pollak einer, den einzelne Sprecher im Laufe ihrer Sprachbiografi e durchlaufen. Dies geht noch einmal deutlich aus der Bemerkung hervor, die seine Erörterung des Begriffs Wort abschließt:

Man darf wohl ruhig behaupten, daß die ursprünglichen Teilstücke oft auftre-tender und fest gewordener Gruppen von Sprachsymbolen im Bewußtsein der einzelnen Menschen mehr und mehr miteinander verwachsen, so daß schließlich in ihrem Gedächtnis aus jeder solchen Gruppe e i n fertig vorhandenes Klangbild mit e i n e r fertigen Bedeutung geworden ist. [...] Bei eingebürgerten Phrasen und Zusammensetzungen wird das [...] leicht zugegeben. Aber vieles ist für eine große Anzahl von Personen längst zur sprachlichen Einheit geworden, bevor Grammatik und Wörterbuch die Ehe gutheißen. Jeder besitzt in seinem Sprachbewußtsein eine Unmenge von unkonventionellen Wortzusammensetzungen. (ebd.: 37)

Bis hierhin hat Pollak zunächst einmal die notwendigen Vorklärungen getroffen, die seine Titelfrage in den Kontext umfassender sprachtheoretischer Überlegun-gen stellt. Wenn er sich dem Problem der Wortklassen nun direkt zuwendet, stellt er sich ausdrücklich in die kognitiv-semantische Tradition Martys. Ernst Otto gibt

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er Recht, indem auch er davon ausgeht, dass der Wortschatz sich nicht strikt in Autosemantika und Synsemantika gliedert. Auch er betrachtet Auto- bzw. Syn-semantie als Bedeutungs- bzw. Funktionsaspekte,92 die sich nicht wechselseitig ausschließen, sondern Zeichen gemeinsam zukommen können.

Obwohl Otto diese Einsicht bereits in Abgrenzung zu Marty formuliert, bleibt er bei einer Zweiteilung des Lexikons. Seine eigenen Beispiele jedoch legen eine feinere Differenzierung nahe. Dies sieht Pollak und schlägt nun die folgende vierteilige Klassifi zierung der lexikalischen Einheiten vor:

1. Begriffssymbole sind solche, „hinter“ denen „etwas wie eine Vorstellung oder ein Begriff [...]“ (ebd.: 42) steht. Pollak illustriert diese Kategorie mit Beispielen wie Pferd, versteht, nichts, Klavier spielen, ein für allemal, ins Kino gehen etc.

2. Zu den Zeichensymbolen rechnet Pollak vor allem die deiktischen und die ana-phorischen Ausdrücke wie dies, das, dort, da, hier, von denen er sagt, dass „[i]hr Klang [...] einen Hinweis auf etwas – auf ein näher oder ferner befi ndliches Etwas“ [ebd.], symbolisiere. Sie drücken keine eigene Begriffsbedeutung aus, verweisen aber im Verwendungskontext auf eine solche.

3. Denksymbole oder auch Relation Symbols nennt Pollak die Zeichen, denen er einerseits eine syntaktische Funktion, andererseits aber auch eine begriff-liche Bedeutung zuschreibt. Hierher gehören die oben bereits in ähnlichem Zusammenhang erwähnten Konjunktionen weil, daher, während etc. Deren „Eigenart als Sprachsymbole“ charakterisiert Pollak in folgender Weise: „Wir haben es [...] hier mit Symbolen für die psychologische Verbindung von zwei Äußerungen oder Äußerungsteilen zu tun“ (ebd.: 46).

4. Struktursymbole (z. B. dass, ob) schließlich nach Pollak „in der heutigen Sprache keinerlei Bedeutungswert und nur syntaktischen Beziehungswert“ (ebd.: 47).

Die hier zusammengefasste Vierteilung ist in ihren Details in mancher Hinsicht kritikwürdig. Dies gilt ganz besonders für die darin zum Ausdruck kommende Auffassung der unter die Zeichensymbole subsumierten Deiktika. Doch trotz dieser Schwächen scheint sie als Grundlage und Anlass geeignet, um einige der oben bereits im Zusammenhang mit Ottos Vorschlag geäußerten Gedanken im Rahmen eines konzeptualistisch-semantischen Ansatzes zum Verständnis lexikalischer Kategorisierung fortzuentwickeln:

Indem er Ottos zwei Bedeutungsarten auf unterschiedliche lexikalische Ein-heiten anwendet, sieht sich Pollak veranlasst, vier Klassen zu unterscheiden, die sich derart auf einer Achse der Konzeptualität anordnen lassen, dass der Reichtum an begriffl icher Bedeutung von den Begriffssymbolen bis zu den Struktursymbolen stufenweise abnimmt. Umgekehrt verhält es sich im Hinblick auf den „syntaktischen Beziehungswert“ der Einheiten.

92 Ob Pollak ebenso wie Otto von einem semantisch-konzeptuellen Charakter der gram-matischen Funktion sprachlicher Zeichen ausgeht, bleibt in seinem Beitrag offen.

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Ob diese Abstufung tatsächlich in den von Pollak unterschiedenen vier Schrit-ten erfolgt, ist angesichts der Einschränkungen und Differenzierungen, die er selbst vornimmt, mehr als zweifelhaft. Betrachtet man nur die Konjunktionen, so zählt er als (er nach Hause kam) und nachdem zu den Begriffswörtern, weil, aber etc. zu den Denksymbolen, während dass und ob als bloße Struktursym-bole gelten. Daraus folgt jedoch, dass es auch innerhalb der vier von Pollak angesetzten Klassen Abstufungen hinsichtlich des Bedeutungsgehalts gibt und die Grenzen zwischen den Klassen nicht scharf sind.

Letzteres gilt umso mehr, als Pollak vom kategorialen Status einer lexika-lischen Einheit immer nur im Hinblick auf das sprachliche Wissen eines indi-viduellen Sprechers zu einem bestimmten Zeitpunkt spricht. Dies schließt die Möglichkeit interindividueller Variation und diachroner Veränderungsprozesse, für die Pollak noch nicht über den Terminus Grammatikalisierung verfügte, mit ein.

3.4.1.4 Konzeptualistisch-semantische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung von Marty bis Pollak

Aus der Perspektive Martys, Ottos und Pollaks stellt sich lexikalische Kategorisierung als ein Aspekt der Struktur und – darauf weisen sowohl Otto als auch Pollak hin – der Dynamik mentaler Lexika individueller Sprecher dar. Eine Komponente des sprachlichen Wissens ist demnach das lexikalische Einhei-ten unterschiedlicher Art umfassende mentale Lexikon. Über diese Feststellung hinaus lässt sich die Auffassung von lexikalischer Kategorisierung, die sich aus den oben dargestellten Beobachtungen und Überlegungen der drei Autoren ergibt, in der Form von Antworten auf drei Fragen zusammenfassen:

(1) Was sind lexikalische Einheiten?(2) Gemäß welchen Kriterien lexikalische Einheiten kategorisiert?(3) Gibt es Klassen lexikalischer Einheiten, und wie sind sie gegebenenfalls

voneinander unterschieden?

zu (1) Was sind lexikalische Einheiten?

Aus der individualpsychologischen Perspektive der drei Autoren ist eine lexika-lische Einheit ein „im Bewußtsein fertig vorhandene[r] Baustein zur Errichtung des Gefüges der Rede“ (Pollak 1958: 35). Lexikalische Einheiten können also Zeichen sein, die vom externen, deskriptiven Standpunkt als einzelne Morpheme, morphologisch komplexe „Wörter“, Syntagmen oder – zumindest deutet Pollak diese Möglichkeit an – Konstruktionen im Sinne konstruktionsgrammatischer Ansätze (Fillmore/Kay/O’Connor 1988; Croft 2002) zu analysieren sind. Ob und, wenn, in welcher Weise (als Konstruktionen?) auch die von Marty zu den Synsemantika gerechneten Phänomene der Prosodie und der Wortstellung

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unter die lexikalischen Einheiten zu subsumieren sind, kann auf der Basis der in diesem Abschnitt erörterten Texte nicht entschieden werden und wird daher später noch zu diskutieren sein.

Was ein Zeichen zur lexikalischen Einheit macht, ist seine Gestalthaftigkeit für den individuellen Sprecher. Mentale Lexika verändern sich im Laufe von kommunikativen Biografi en vor allem dadurch, dass neue Einheiten hinzutre-ten. Dies erfolgt „von außen“ durch den Erwerb neuer Zeichen unterschiedli-cher morphematischer und syntaktischer Komplexität, aber auch „von innen“ durch Lexikalisierung und Gestaltbildung auf der Basis von Syntagmen, die häufi g gebraucht werden und ursprünglich regelhaft-kompositional aus bereits erworbenen Bestandteilen gebildet wurden. So kommt es, dass das Lexikon einerseits einfache Morpheme wie /haus/, /-s/ (Gen.), /-lich/ usw. einschließt und andererseits solche wie /häuslich/, /die Axt im Haus/ oder noch sehr viel umfangreichere Fügungen.93 Letztere mögen zwar im Laufe des individuellen Spracherwerbs zunächst als Verknüpfungen mehrerer Morpheme bzw. Wörter gebildet worden sein, durch häufi gen Gebrauch der gleichen Form jedoch wird die Verbindung zwischen den einzelnen Bestandteilen zunehmend fester – By-bee (1985: 117 ff.) bezeichnet dies als lexical strengthening –, bis die interne grammatische Struktur für den Sprecher ihre Relevanz verliert, er die Einheit beim Sprechen und Verstehen als Ganzheit verarbeitet.

Diese Auffassung von lexikalischen Einheiten zeichnet sich gegenüber dem notorisch unklaren Terminus Wort dadurch positiv aus, dass sie begriffl ich klar gefasst ist. Allerdings zieht sie in empirischer Hinsicht die Schwierigkeit nach sich, dass im konkreten Fall einzelner Äußerungen nur schwer zu bestimmen ist, wo die Grenzen der morphosyntaktisch verknüpften lexikalischen Einheiten liegen, weil diese ja von Individuum zu Individuum variieren können.

zu (2) Gemäß welcher Kriterien sind lexikalische Einheiten kategorisiert?

An eine lange, bis Aristoteles zurückreichende Tradition anknüpfend, sehen Marty, Otto und Pollak die kategorialen Unterschiede zwischen (Klassen von)

93 Der ganzheitliche Status bestimmter oft wiederholter Texte äußert sich dann, wenn man z. B. – als ein in einer christlichen Umgebung aufgewachsener Mitteleuropä-er – versucht, das Vater Unser nicht von Beginn an, sondern irgendwo in der Mitte beginnend zu rezitieren. Die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten führen nicht selten dazu, dass er noch einmal ganz von vorne beginnt und dann den ganzen Text problemlos rezitieren kann.

Die hier angedeuteten gestalthaften Sprachphänomene fi nden sich auch in anderen Bereichen der Kognition. So heißt es in dem Zeitschriftenartikel Der Zahlenfl üsterer über das „Mathematikgenie“ Gert Mittring, der die 13. Wurzel einer 100-ziffrigen Zahl in weniger als 12 Sekunden berechnete:

Es hilft ihm, dass er zum Beispiel 7,68 x 13 nicht „rechnet“, sondern weiß.(Hoppe 2004)

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sprachlichen Zeichen in zweierlei Hinsicht, die Marty als Autosemantie und Synsemantie bezeichnet. Lexikalische Kategorisierung erfolgt also primär auf der Ebene der Bedeutung. Für Marty (und für Pollak?) ist die Bedeutung eines Zeichens im Wesentlichen sein Bezug auf einen Begriff. Marty kann Synsemantie deshalb auch nur negativ als un-selbständige Bedeutsamkeit, bloße Mit-Bedeut-samkeit fassen. Der zweite Aspekt sprachlicher Zeichen, ihr grammatisches, d. h. zeichenverknüpfendes, Potenzial, bleibt als nur formal von Martys semantischer Analyse ausgeschlossen.

Erst Ernst Otto fasst die Synsemantie semantisch als die Beziehungsbe-deutung der grammatischen Beziehungsmittel. Die durch diese ausgedrückten formal-grammatischen Verhältnisse im Satz symbolisieren demnach auf der konzeptuellen Ebene Verhältnisse zwischen Begriffen im Zusammenhang von Gedanken bzw. auf der ontischen Ebene Verhältnisse zwischen Entitäten im Zusammenhang von Sachverhalten. Das oben formulierte Problem, im Hinblick auf die Aufklärung der Struktur des mentalen Lexikons konzeptuelle und gram-matische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung miteinander zu vereinba-ren, löst Otto, indem er die grammatische Funktion lexikalischer Einheiten als konzeptuell motiviert ansieht. Begriffs- und Beziehungsbedeutung erscheinen somit als zwei unterschiedliche semantische Aspekte sprachlicher Zeichen.

zu (3) Gibt es Klassen lexikalischer Einheiten, und wie sind sie gegebenenfalls voneinander unterschieden?

Marty und seine Nachfolger betonen ausdrücklich, dass ihre konzeptualistisch-semantischen Klassifi zierungen der „Sprachmittel“ bzw. der „Wörter“ nicht auf die Redeteile der klassischen Wortartenlehre abzielen. Dennoch können sie an eine bis in die Antike zurückreichende Tradition anknüpfen, wenn sie von mehreren – von zwei (Marty, Ernst) bzw. von vier (Pollak) – diskreten Zeichenklassen ausgehen. Die Unterscheidung zwischen kategorematischen und synkategorematischen Zeichen bzw. zwischen Autosemantika und Synsemantika wirkt bis heute fort in der Trennung der so genannten Inhaltswörter von den Funktionswörtern.94

Dass Konzeptualität und Funktionalität sich als Eigenschaften lexikalischer Einheiten nicht ausschließen, wurde bereits festgestellt. Darüber hinaus zeigen vor allem die von Otto und Pollak angeführten Beispiele und die Präzisierungen und Einschränkungen, zu denen sich diese beiden Autoren vor deren Hintergrund

94 Allerdings ist die konzeptualistisch-semantische Gesamtkonzeption, innerhalb deren Marty diese Unterscheidung ursprünglich eingeführt hat, weitestgehend in Verges-senheit geraten. Neuere Ansätze der ähnlich argumentierenden Cognitive Grammar berufen sich nicht auf diese Vorarbeiten; wo gegenwärtig das Begriffspaar autose-mantisch-synsemantisch verwendet wird, erfolgt dies meist im – das Anliegen Martys stark verkürzenden – Sinne einer Trennung von Inhalts- und Formwörtern (vgl. Erben 1972: 208; Charitonova 1977; eine Ausnahme bildet Heusinger 1991).

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veranlasst sehen, dass Konzeptualität und Grammatikalität das Lexikon weniger scharf in Klassen einteilen, als dies Gegensatzpaare wie Begriffswörter–Bezie-hungsmittel oder Inhaltswörter–Funktionswörter suggerieren. Es scheint ange-sichts der Unschärfe der beschriebenen Kategoriengrenzen angemessener, die beiden Eigenschaften als solche zu begreifen, die verschiedenen lexikalischen Einheiten in unterschiedlichem Maße zukommen können.

Auch Ottos und Pollaks Hinweise auf Grammatikalisierungsprozesse legen nahe, dass es sich um graduelle Abstufungen handelt. Beide Autoren gehen davon aus, dass solche nicht nur beim Übergang von einer Generation zur nächsten „zwischen“ den Generationen stattfi nden, sondern dass Individuen im Laufe ihres Sprecherwerbs und ihrer lebenslangen kommunikativen Erfahrungen daran teilhaben können. So ließe sich die Struktur bzw. ein Strukturaspekt des Lexikons beschreiben, indem die lexikalischen Einheiten auf zwei Kontinua an-geordnet werden, die durch die Pole maximale Konzeptualität/Grammatikalität und minimale Konzeptualität/Grammatikalität defi niert sind. Ottos Auffassung folgend, wären Konzeptualität, vor allem aber auch Grammatikalität als se-mantische Faktoren im Sinne von Begriffs- und Beziehungsbedeutungen zu sehen. Begriffsausdrücke beziehen sich dann auf Konzepte, Beziehungsmittel auf Beziehungen zwischen Konzepten.

Eine Frage, die sich mit diesem Vorschlag verbindet, ist die nach der Bezie-hung zwischen den beiden Eigenschaften. So lassen sich lexikalische Stämme wie /haus/ oder /leb_/ ebenso als prototypisch konzeptuell und minimal gram-matisch-funktional charakterisieren, wie das Umgekehrte für Flexionsmorpheme wie /_t/ (3. Pers. Präs. Sg. Ind. Akt.) oder die Partikel /zu __/ (+ Inf.) gilt. Dies deutet auf eine negative Korrelation der Art „je konzeptueller desto weniger funktional; je funktionaler desto weniger konzeptuell“ hin. Im Grunde entspricht dies der herkömmlichen Dichotomie zwischen Inhalts- und Funktionswörtern mit dem Unterschied, dass der Übergang nicht als diskreter, sondern als gra-dueller gedacht ist.

Das Verhältnis zwischen grammatischer Funktionalität und Konzeptualität kann auf der Grundlage dessen, was Marty, Otto und Pollak dazu ausführen, nicht geklärt werden. Diese Aufgabe wird aus der Perspektive der Cognitive Grammar aus verschiedenen Gründen besser zu bearbeiten sein, wie im Fol-genden deutlich wird.

3.4.2 Lexikalische Kategorisierung als Konzeptualisierung. Ein konstruktionsgrammatischer Ansatz

Im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht Ronald Langackers Theorie der Cognitive Grammar und seine Sicht auf lexikalische Kategorisierung. Vor dem Hinter-grund der bisher diskutierten Ansätze und der daraus gezogenen Schlüsse ist eine eingehende Beschäftigung gerade mit Langacker und seiner Variante einer

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95 Vgl. z. B. Pollak (1958: 37): Man darf wohl ruhig behaupten, daß die ursprünglichen Teilstücke oft auftretender und fest gewordener Gruppen von Sprachsymbolen im Bewußtsein der einzelnen Menschen mehr und mehr miteinander verwachsen, so daß schließlich in ihrem Gedächtnis aus jeder solchen Gruppe e i n fertig vorhandenes Klangbild mit e i n e r fertigen Bedeutung geworden ist. (Hervorhebung meine, T.W.)

nicht-generativen kognitiven Sprachauffassung aus zwei Gründen gut motiviert und folgerichtig. Denn einerseits lassen sich viele seiner Thesen und Argumente an Vorschläge anschließen, die uns bei Marty, Otto und Pollak begegneten, wo sie – bei ersterem und letzterem – stark individualpsychologisch geprägt waren. Andererseits bieten sich eine Reihe von Parallelen zu und Anknüpfungsmög-lichkeiten an Überlegungen, die oben im Zusammenhang mit Hoppers und Thompsons diskursfunktionaler Konzeption angestellt wurden. Dies gilt vor allem für die im Kontext einer Theorie grammatischer Kategorisierung seit jeher zentralen Fragen nach dem Primat entweder des Ontologisch-Konzeptuellen oder des Grammatisch-Funktionalen für die Motivation lexikalischer Strukturen.

Es folgt nun also der letzte Schritt des Unternehmens, ein Bild lexikalischer Kategorisierung durch die systematische Aufarbeitung und Synthese der unter-schiedlichen in der Literatur vertretenen Positionen zu entwickeln. Wie bisher ist die dabei eingenommene Perspektive die des individuellen Sprechers, der einzelne lexikalische Einheiten zunächst einmal erwerben und dieses Wissen dann im Sprechen und Verstehen instanziieren und adaptieren muss. Die zu beantwortenden Fragen lauten auch hier:

– Was ist und welche Funktion hat lexikalische Kategorisierung?

– Welche Struktur haben lexikalische Kategorien bzw. lexikalische Kategori-sierungen?

– Welche nicht-lexikalischen Faktoren liegen lexikalischen Kategorisierungen zu Grunde: morphosyntaktische, semantische oder diskursfunktionale?

Ganz zu Beginn dieser Arbeit waren lexikalische Einheiten als die sprachlichen Elemente bezeichnet worden, die „einfach“ sind und vermittels der Grammatik zu größeren Einheiten verbunden werden können. Dass Einfachheit im hier rele-vanten Sinn nicht gleichbedeutend ist mit morphematischer Einfachheit und dass lexikalische Einheiten aus vielerlei Gründen nicht mit Wörtern gleichzusetzen sind, ist bereits deutlich geworden. Was, positiv gewendet, ein sprachliches Element zu einer lexikalischen Einheit macht, hatten Marty und Pollak nur angedeutet.95 Mit Langacker ist es nun möglich, dies expliziter auszuführen. Dabei rückt erneut das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik ins Zen-trum der Betrachtung und die Funktion, die lexikalische Kategorisierung für das Verhältnis dieser sprachlichen Komponenten besitzt.

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Im Weiteren werde ich den konzeptualistisch-semantischen Charakter von Langackers Ansatz vor dem Hintergrund der Arbeiten Martys, Ottos und Pollaks herausarbeiten, die Langackers Positionen in überraschend vielen Hinsichten vorwegnehmen (2.4.2.1). Langackers These vom Primat des Konzeptuellen im Kontrast zur diskursfunktionalen Auffassung zu überprüfen, bietet sich des-halb an, weil es über den Gegensatz der unterschiedlichen Herangehens- und Betrachtungsweisen hinaus viele Gemeinsamkeiten gibt, deren Rekonstrukti-on für die Herausarbeitung des hier zu gewinnenden Bilds von lexikalischer Kategorisierung von einiger Bedeutung ist.

3.4.2.1 Cognitive Grammar – Ronald W. Langackers konzeptualistisch-semantische Sprachauffassung

The relation between grammar and meaning is probably the most crucial issue in current linguistic theory. (Langacker 2000a: 1)

Bereits im ersten Satz das Bands Grammar und Conceptualization betont Lang-acker die konzeptualistisch-semantische Ausrichtung seiner Sprachauffassung. Die Beziehung zwischen Grammatik und Konzeptualisierung, also Bedeutung, ist demzufolge auch grundlegend für die Beziehung zwischen Grammatik und Lexikon im traditionellen Verständnis dieser sprachlichen Komponenten, wenn nicht gar im Wesentlichen identisch mit ihr. Die Bestimmung des Verhältnisses von Grammatik und Lexikon aber ist unmittelbar verbunden mit einer Konzep-tion lexikalischer Kategorisierung. Indem Langacker also einen Beitrag zur Lösung des seiner Meinung nach „wahrscheinlich zentralsten Problems gegen-wärtiger Sprachtheorie“ zu leisten beansprucht, formuliert er auch eine Theorie lexikalischer Kategorisierung (vgl. Langacker 1987b, 2000a: 8 ff.).

Gleichzeitig markiert er mit der oben zitierten Standortbestimmung die Gren-ze seines Ansatzes zu zwei anderen, die bereits eingehender untersucht wurden. Indem er präsupponiert, dass es eine untersuchenswerte Beziehung zwischen Grammatik, d. h. sprachlicher Form, und Bedeutung überhaupt gibt, wendet er sich ebenso gegen Strukturalisten und Generativisten, wie es die Diskursfunk-tionalisten tun. Von letzteren unterscheidet sich der Konzeptualist jedoch darin, dass er der Form die Bedeutung, nicht die Funktion entgegenstellt: Grammatik ist Bedeutung und Bedeutung ist Konzeptualisierung:

[... M]y conception of language as symbolic in nature extends beyond lexicon to grammar. I will argue that morphological and syntactic structures themselves are in-herently symbolic, above and beyond the symbolic relations embodied in the lexical items they employ. (Langacker 1987a: 12)

Langackers konzeptualistische Auffassung sprachlicher Strukturen auf allen Ebenen erinnert in vielen Facetten an die Arbeiten von Marty, Otto und Pollak. Obwohl Langacker sich nicht ausdrücklich auf diese Autoren bezieht, kann

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ein Rückblick auf deren Beiträge zur Klärung der Problematik lexikalischer Kategorisierung als Ausgangspunkt dienen, um die Position der Cognitive Grammar herauszuarbeiten.

Ein erster relevanter Anknüpfungspunkt fi ndet sich im Hinblick auf die traditionelle Unterscheidung zwischen Inhalts- und Funktionswörtern bzw. -wortarten, auf der z. B. auch die Untersuchungen von Hopper und Thompson (1984, 1985) basieren. Die Probleme, die eine solche dichotomische Unterteilung der lexikalischen Einheiten gerade auch aus diskursfunktionaler Perspektive mit sich bringen, habe ich ausführlich geschildert. Vor diesem Hintergrund hatte ich die Vorschläge von Marty, Otto und Pollak erörtert, die in ihrer Gesamtheit das folgende Bild ergeben: Alle „Sprachmittel“, also auch die „synsemanti-schen“ (Marty) oder „Beziehungsmittel“ (Otto), drücken Bedeutungen aus. Zu den Sprachmitteln sind Wörter ebenso zu zählen wie einerseits Verbindungen (Wortgruppen, Sätze, Texte) und Teile (Morpheme) von Wörtern und ande-rerseits grammatische Phänomene, wie Wortstellung, Flexion und Intonation. Die Sprachmittel einer Sprache bzw. die von einem Individuum beherrschten Sprachmittel lassen sich je nach Art ihrer Bedeutung zwei (Otto) bzw. vier (Pollak) Klassen mit jeweils mehreren Unterklassen zuordnen, wobei ihre for-mal-grammatische Struktur sekundär ist.

Langacker geht von ganz ähnlichen Annahmen aus und entwickelt sie mit größerer Konsequenz weiter. Dies betrifft zunächst einmal die bereits von Otto vertretene Auffassung, dass alle Sprachmittel eine Bedeutung besitzen. Otto hatte jedoch noch zwischen der konzeptuellen Bedeutung der Begriffswörter und der Beziehungsbedeutung der Beziehungsmittel unterschieden. Langacker negiert auch diese Unterscheidung. Für ihn ist Bedeutung gleich Konzeptua-lisierung:96

Granted this function [i.e., the basic semiological function of language, which is to allow the symbolization of conceptualizations by means of phonological se-quences], language necessarily comprises semantic structures, phonological struc-tures, and symbolic links between the two. The central claim of CG is that nothing else is needed. (Langacker 2000a: 1)

Diese Auffassung hat weitreichende Konsequenzen. So macht es nun keinen Sinn mehr, einen Unterschied zwischen Inhalts- und Funktionswörtern anzusetzen, weil auch andere Phänomene, die traditionell als Regeln, Prinzipien oder Be-schränkungen der Grammatik zugeschrieben werden, als zeichenhaft und damit bedeutungsvoll zu betrachten sind. Dies betrifft „Funktionswörter“, wie die Verbpartikel /zu/, aber auch die Wortstellung oder prosodische Erscheinungen, wie terminale Intonationskurven (z. B. steigend oder fallend) oder Satzakzent. Ebenso wenig ist die strikte Trennung zwischen Inhalts- und Funktionsmitteln

96 Marty (1950) teilt diese Ansicht, zieht daraus allerdings den Schluss, dass den syn-semantischen Elementen der Zeichencharakter gänzlich abzusprechen sei.

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aufrecht zu erhalten, weil die grammatische Funktion nichts anderes als der sekundäre Effekt und Ausdruck der Bedeutung, d. h. der Konzeptualisierung, ist. So ist festzustellen, dass sich vom Standpunkt der hier berücksichtigten semantischen Sprachauffassungen der Gegensatz zwischen konzeptuell-be-deutungsvollen und formal-grammatischen sprachlichen Mitteln zunehmend aufl öst. Abbildung 3.20 veranschaulicht dies.

Abb. 3.20: Bedeutsamkeit und Konzeptualität der „Sprachmittel“ aus den Perspektiven dreier kognitiv-semantischer Auffassungen lexikalischer Kategorisierung97

3.4.2.2 Die Cognitive Grammar als Konstruktionsgrammatik

Für Langacker sind grammatische Struktureinheiten beliebiger Art bilaterale sprachliche Zeichen und in dieser Hinsicht Morphemen, Wörtern, Sätzen und Texten gleichgestellt. Wie andere Konstruktionsgrammatiker (Fillmore/Kay/O’Connor 1998; Croft 2002), jedoch im Gegensatz zur gesamten sprachwissen-schaftlichen Tradition vor ihm betrachtet er das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik also nicht mehr als eines zwischen bedeutungstragenden Kon-struktionselementen und formalen Mechanismen, die die Verknüpfung dieser Elemente regeln.

Dieser Auffassung gemäß müssen jedoch keineswegs alle sprachlichen Zei-chen als von gleicher Art angesehen werden. Unterschiede lassen sich relativ

97 Auch Coserius Unterteilung der „Wörter einer Sprache“ (Coseriu 1987b: 87) ist eine semantische bzw. eine, die sich auf Unterschiede der Bedeutung (im Gegensatz zu Bezeichnung und Sinn) als „einzelsprachlich gegebene[r] Inhalt“ (ebd.: 89) bezieht. Coseriu (1987a,b) kommt bezüglich einer ganzen Reihe von Fragen zu ähnlichen Ergebnissen wie Otto, Pollak oder Langacker, etwa wenn er der lexikalischen die kategoriale Bedeutung gegenüberstellt (1987a: 27) oder die drei Wortarten Lexem-, Kategorem- und Morphemwörter unterscheidet und unter die letzteren auch Deriva-tions- und Flexionsaffi xe subsumiert (1987b: 88; vgl. Pollak 1958). Dennoch kann und muss Coserius Ansatz im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher erörtert werden, weil lexikalische Kategorisierung hier aus den oben dargelegten Gründen primär als Prozess in der Domäne mentaler Lexika individueller Sprecher und nicht als Strukturaspekt von Sprachsystemen betrachtet wird.

bedeutungslosbedeutungsvoll

nicht-konzeptionell konzeptionell

Marty (1950) [1908]] Synsemantika – Autosemantika

Otto (1965) – Beziehungsmittel Begriffswörter

Langacker (1987a) – – alle Sprachmittel

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zu zwei Kriterien feststellen: Struktur (einfach-komplex) und Spezifi tät (sub-stanziell-schematisch). Bezüglich der unterschiedlichen Strukturen sprachlicher Zeichen bemerkt Langacker:

In addition to their meanings and basic classes, there is one more aspect of lexical items that needs to be discussed: their symbolic complexity. An expression is symbo-lically complex to the extent that it is decomposable into smaller symbolic elements. [...] We tend to think of lexical items as relatively non-complex, consisting primarily of morphemes and secondarily of polymorphemic stems. But if lexicon is defi ned as the set of fi xed expressions of a language,[98] then in fact the vast majority of lexicalitems are symbolically complex, for in addition to derived stems they include a virtually limitless supply of compounds, idioms, formulaic expressions, standard collocations, and conventional phrasings of all sorts, irrespective of size and degree of regularity. When this full spectrum is taken into account, individual morphemes are fairly small in number and represent the limiting, degenerate case of lexical items whose symbolic complexity happens to be zero (Langacker 2000a: 12 f.; s. a. Langacker 1998: 11 ff.)

Was also für Langacker lexikalische Elemente defi niert, ist ihr Status als „vor-gefertigte Einheiten“ (prefabricated units; Langacker 1998: 12; s. bereits Pollak 1958: 37). Bezüglich ihrer Komplexität reichen sie vom absoluten Grenzfall der Morpheme bis zu rituellen und anderen häufi g geäußerten oder rezipierten Texten. Dieses Verständnis lexikalischer Einheiten vermeidet grundsätzliche Probleme, die mit dem Wortbegriff unaufl öslich verbunden sind. So kann man mit Langacker davon ausgehen, dass das mentale Lexikon von Sprechern sowohl Einheiten umfasst, die dem abstrakten Lexem des Strukturalismus entsprechen (z. B. /geh/), als auch konkrete häufi g verwendete, regelmäßig gebildete Wort-formen eben dieser Lexeme (z. B. /ich gehe/).

Mit dieser Überlegung ist eine zweite Dimension – diejenige der Spezifi tät – angesprochen, die theoretisch mindestens ebenso folgenreich ist, weil sie das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik berührt:

The meanings of grammatical elements are usually quite schematic [...]. This does not distinguish them sharply from lexical items, because the latter vary widely along the dimension of specifi city. There is rather a gradation, such that the more sche-matic an element is semantically, the more likely it is to be regarded by linguists as grammatical rather than lexical. (Langacker 1998: 6)

Einheiten wie /_t/ (3. Pers. Sg. Präs. Ind. Akt.), /meine Damen und Herren/, /der frühe Vogel fängt den Wurm/ und das Vaterunser unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihrer symbolischen Komplexität, sie haben jedoch die Eigenschaft

99 Vgl. hierzu z. B. Langacker (1998): Lexicon is defi ned in cognitive grammar as the set of fi xed expressions in a lan-guage, regardless of their size or type (ebd.: 11).

Mit dieser Auffassung steht Langacker nicht allein (vgl. z. B. Pollak 1958; Herbermann 2002: 24).

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gemeinsam, für sehr viele Sprecher in einer bestimmten Form fi xiert zu sein, die keine oder kaum morphosyntaktische Variation zulässt. Langacker be-zeichnet solche Elemente als spezifi sch; Croft/Cruse (2004: 237) meinen im Wesentlichen dasselbe mit dem Adjektiv substanziell (engl.: substantive). Nun ist aber offensichtlich, dass nicht alle lexikalischen Einheiten in demselben hohen Grad morphosyntaktisch spezifi sch sind wie Flexionsmorpheme, Anre-deformeln, substanzielle Phraseologismen oder andere „phrasale lexikalischen Einheiten“ (ebd.).

Dies gilt bereits für symbolisch relativ einfache Einheiten, wie viele Verb- und Substantivstämme (/lauf/, /haus/), die der geübte Sprecher des Deutschen als abstrakte Verb- bzw. Substantivschemata erworben hat und beim Sprechen in der grammatisch angemessenen Form realisiert. In ähnlicher Weise lassen sich auch größere Einheiten beschreiben, etwa Kollokationen, wie /deutsche Nationalmannschaft/, die nicht nur morphosyntaktisch, sondern auch substanziell variiert werden können (deutsche Fußballnationalmannschaft, deutsche Hand-ballnationalmannschaft der Frauen etc.) und damit, über die morphosyntaktische Variabilität hinaus, einen gewissen Grad an Schematizität aufweisen.

Die Beispielreihe lässt sich Schritt um Schritt in Richtung auf zunehmende Schematizität verlängern. Anredeformeln wie /sehr geehrte__ ANREDE (TITEL) NACHNAME/ umfassen eine substanzielle Grundlage, die durch Elemente bestimmter Typen zu ergänzen ist (z. B. zu Sehr geehrte Frau Doktor Pasing). Dies erinnert der Struktur nach an die grammatische Valenz, die im Rahmen des zuletzt Ausgeführten als Komponente des lexikalischen Schemas vor allem von Verben (/NP

NOM SCHENK

FIN NP

DAT NP

AKK/), aber auch von Präpositionen (/mit

NPDAT

/ und bestimmten Substantiven /Bedürfnis nach NPDAT

/ und /Bedürfnis zu V

INF/) zu charakterisieren ist.

Sprecher können schematische Einheiten auf der Basis von oder parallel zu substanziellen Phraseologismen erwerben und verinnerlichen, ohne dass letztere aus dem mentalen Lexikon verdrängt oder gleichsam überschrieben würden. So tritt dann etwa neben die Wendung /eine Schwalbe macht noch keinen Sommer/ das verfestigte Schema /EIN

NOM TYPISCHER_TEIL

NOM99

macht

noch KEIN

AKK

GANZESAKK

/, das in vielen unterschiedlichen Weisen realisiert werden kann: Eine Feder macht noch keinen Vogel, Ein Alaaf macht noch keinen Karnevalszug, Eine Nase macht noch kein Gesicht, etc. etc.).

Croft und Cruse (2004: 292) führen unter Bezug auf die umfangreichen Stu-dien Bybees (1985, 1995) aus, dass die Verwendungshäufi gkeit substanzieller Formen (Token-Frequenz) bzw. die Vielfalt der Realisierungsformen, in denen Sprecher ein Schema verwenden und wahrnehmen (Type-Frequenz), für die Verinnerlichung von Formen im mentalen Lexikon und für die Produktivität

99 Eine Teil-Ganzes-Relation liegt hier in dem Sinne vor, dass das Konzept Schwalbe eine typische Komponente des Konzepts Sommer ist.

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erworbener Schemata ausschlaggebend ist. Vor diesem Hintergrund ist zu er-warten, dass gerade häufi g verwendete Formen sich dem Regularisierungsdruck entziehen, der von vorhandenen Schemata ausgeht. Tatsächlich gehören auch die meisten „unregelmäßigen“ Formen, wie /gut – besser – am besten/, /gehen – ging – gegangen/, zu den häufi g verwendeten. Dies ist der Fall, obwohl sie Kandidaten für Realisationen gemäß den Schemata /A – A-ter – am A-testen/ bzw. /V-en – V-te – ge-V-t/ sind, die eine hohe Type-Häufi gkeit aufweisen und nicht zuletzt deswegen auch als „regelmäßig“ bezeichnet werden.

Weil Häufi gkeit gradierbar ist, ist Spezifi tät/Schematizität ebenso eine gra-dierte Eigenschaft lexikalischer Einheiten wie symbolische Komplexität. Was die bisher erörterten Beispiele betrifft, scheint diese Feststellung weitgehend unproblematisch. Doch Langacker geht erheblich weiter. Während auch bei schematischen Phraseologismen der durch sie zum Ausdruck kommende Bedeu-tungskern intuitiv deutlich ist, weil er als Abstraktion auf der Basis bekannter substanzieller Fügungen rekonstruiert werden kann, denkt Langacker das Spezi-fi tät-Schematizität-Kontinuum weiter und bezieht den Begriff des symbolischen Schemas auch auf grammatische, in konzeptueller Hinsicht mehr oder weniger abstrakte Konstruktionen. Das betrifft Schemata wie /wenn p, dann q/ ebenso wie das Transitivschema /NP

NOM V

FIN NP

AKK/, das durch Sätze mit transitivem

Verb realisiert wird (Peter isst Pizza, Der gegenwärtige Bundeskanzler von Deutschland hat keine Glatze etc.). Aus dem Bereich der Flexion, der tradi-tionell dem Kern der Morphologie zugerechnet wird, sind hier zum Beispiel die Schemata der Pluralbildung im Deutschen zu nennen, die Köpcke (1993, 1998) untersucht:

Unter Schema werden abstrakte, vom Sprecher des Deutschen gespeicherte Gestalten verstanden, die mit den Funktionen Singular und Plural kompatibel sind.

(Köpcke 1993: 10)

Formeln wie das Transitivschema oder auch Köpckes Plural- und Singularsche-mata ähneln Regeln der traditionellen Phrasenstrukturgrammatik und Phonologie bzw. Teilen davon.100 Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass es sich hier nicht um Operationen handelt, die auf lexikalische Einheiten ange-wendet werden. Vielmehr sind die Schemata selbst erworbene, „gespeicherte“ Einheiten, die mit anderen Einheiten mehr oder weniger schematischer, im Grenzfall auch substanzieller Art zu größeren sprachlichen Einheiten verknüpft werden:

100 Vgl. jedoch Crofts und Cruses (2004: 300 ff.) Ausführungen zu „produktorientierten“ Schemata. Diese lassen sich nicht in der Form von Regeln reformulieren, weil ihre konkreten Realisierungen einander zwar ähnlich, die substanziellen Formen, die mit dem Schema zu einem Komplex verknüpft werden, jedoch heterogen sind.

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Entscheidend ist hier die Annahme, daß morphologisch einfache wie auch komplexe Formen im Lexikon des Sprechers jeweils getrennt und bis zu einem gewissen Grade auch unabhängig voneinander gespeichert und dabei Schemata zugeordnet sind.

(Köpcke 1993: 71)

Wenn aber „grammatische“ Einheiten von derselben Art sind wie die „lexika-lischen“, dann stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen dem Lexikon als der Domäne der sprachlichen Grundelemente und der Grammatik als Domäne der Verknüpfungsmechanismen liegt. Doch wir hatten bereits anhand der oben angeführten unverfänglichen Beispiele gesehen, dass Lexikalität und Grammati-kalität, Inhaltselement und Funktionselement, keine dichotomischen Gegensätze darstellen, sondern die Extrempunkte eines Kontinuums. Entsprechend formu-liert Langacker als eine der Grundannahmen der Cognitive Grammar:

Cognitive grammar [...] claims that lexicon, morphology, and syntax form a con-tinuum of symbolic units serving to structure conceptual content for expressive purposes. (1987a: 35)

[... C]ognitive grammar posits a gradation uniting lexicon, morphology, and syntax. Any strict dichotomy based on novelty, generality, and size of expressions is rejec-ted; these parameters do tend to correlate in natural ways, but all of them are matters of degree and (with qualifi cations) are independently variable.

(ebd.: 36; s. a. Langacker 1987b: 55, 2000a: 1)

Ist also die strikte Entgegensetzung von Lexikon und Grammatik obsolet und damit die eingangs dieser Arbeit als Konsens charakterisierte Annahme, Sprache sei ein Komplex mit den beiden Grundkomponenten Lexikon und Grammatik? Diese Frage ist zu verneinen und die Gründe dafür sollen im Folgenden kurz ausgeführt werden.

Zunächst einmal ist Langacker insoweit zu folgen, als er zwischen den Einheiten des Lexikons und den Regeln der Grammatik oder, vielmehr, den Schemata, die den traditionellen grammatischen Regeln, Prinzipien, Beschrän-kungen etc. entsprechen, keinen grundsätzlichen Unterschied erkennt. Sie sind sprachliche Entitäten derselben Art, die von Sprechern erworben und in gleicher Weise gespeichert werden. Das Lexikon in diesem Verständnis umfasst dann die festen Ausdrücke (fi xed expressions) einer Sprache von substanziellen Einzelmorphemen bis zu hochabstrakten Text- und Diskursschemata. In ihrer Gesamtheit entsprechen diese Einheiten dem, was Croft und Cruse (2004: 225 ff.) als Kontinuum von Konstruktionen charakterisieren, wobei substan-zielle Morpheme dessen eines Ende darstellen. So ist es dann auch plausibel, wenn diese beiden Autoren Langackers Cognitive Grammar in einen größeren theoretischen Zusammenhang stellen und unter die Konstruktionsgrammatiken subsumieren (ebd.: 278).

Diese Bestimmung führt aber noch nicht zur Aufl ösung oder Verwischung der Grenzen zwischen Lexikon und Grammatik. Es muss mindestens einen im

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klassischen Sinn grammatischen Mechanismus eigenständiger Natur geben, der über den oben genannten lexikalischen Einheiten operiert und ihre „Montage“ (assembly), Langacker( 2000a: 94) spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Komposition“, regelt. Das wird indirekt auch bei Langacker in Formulie-rungen wie der folgenden deutlich:

CG [i.e., Cognitive Grammar] itself [...] posits only semantic, phonological, and symbolic structures. Lexicon, morphology, and syntax form a gradation claimed to be fully describable as assemblies of symbolic structures. The distinction between grammatical rules and symbolically complex expressions is only a matter of whether (or the degree to which) the symbolic assemblies constituting them are schematic rather than specifi c. [...] (Langacker 2000a: 122; meine Hervorhebung, T.W.)

Nun kann man mit Langacker die Formulierung Ein Sandkorn macht noch keine Wüste als Montage des schematischen Phraseologismus /EIN

NOM TYPI-

SCHER_TEILNOM

macht noch KEINAKK

GANZESAKK

/ und der substanziellen lexikalischen Einheiten /sandkorn/ und /wüste/ beschreiben. Dies impliziert jedoch die Annahme, dass zwischen /EIN

NOM/ und Ein, /TYPISCHER_TEIL

NOM/

und Sandkorn etc. eine Beziehung besteht und dass diese Beziehung nicht eben-falls durch ein Schema gestiftet sein kann, das Teil des Systems substanzieller und schematischer Einheiten des sprachlichen Wissens ist.101

Menge der fi xierten Sprachelemente

Instanziierungsprinzip

Morpheme, Wortformen, sub-stanzielle Phraseologis-men, ri-tualisierte Texte, Pluralschemata, Flexionsschemata, schematische Phraseologismen etc.

Instanziiere sprachliche Einhei-ten vom Typ x, y, z in Schemata an den jeweils mit x, y, z gekenn-zeichneten Leerstellen.102

Abb. 3.21: Sprache als Verbindung von Lexikon und Grammatik aus der CG-Perspektive

101 Tatsächlich gilt hier dasselbe, was oben bereits im Zusammenhang mit generativen Strukturbäumen festgestellt wurde. Die Indizierung der Schemakomponenten muss spezifi scher sein, als angedeutet ist. So ist im vorliegenden z. B. zu gewährleisten, dass die Realisierungen von /EIN

NOM/ und /TYPISCHER_TEIL

NOM/ nicht nur hinsichtlich

des Kasus, sondern auch in Numerus und Genus kongruieren.102 Diese Formulierung stellt gegenüber Langackers Darstellung (1987a: 304) eine starke

Vereinfachung dar. So sieht er z. B. vor, dass die Beziehung zwischen der Elaborations-stelle eines Schemas und dem die Stelle elaborierenden Element unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann (ebd.). Es ist hier, wo es um das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik im Rahmen der Cognitive Grammar geht, weder nötig noch möglich auf Details einzugehen.

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Es ist denkbar und offenbar die Auffassung Langackers, dass der für die Montage sprachlicher Einheiten verantwortliche und damit im traditionellen Verständnis grammatische Mechanismus einfach und universell ist. Als Kandidat kommt hier etwa ein Prinzip infrage, dem zu Folge eine Variable x in einem Schema nur durch Einheiten realisiert werden kann, die im sprachlichen Wissen des Sprechers als Fälle des durch x repräsentierten Typs gekennzeichnet bzw. hin-sichtlich der mit x assoziierten Merkmale markiert sind (s. o. Abb. 3.21). Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein erstes Bild von Sprache als Verbindung zweier Komponenten: einer vielgestaltigen Domäne, die die fi xierten Sprachelemente unterschiedlicher Komplexität und Schematizität einschließt, und eines relativ einfachen Mechanismus der Instanziierung oder, um Langackers eigenen Ter-minus zu verwenden, Elaboration (elaboration) von Leerstellen in abstrakten Schemata, der die Montage dieser Einheiten regelt.

Fragt man vor diesem Hintergrund nach dem Wesen lexikalischer Einheiten, dann lässt sich mit Langacker in folgender Weise antworten:

Constructional schemas and complex lexical items both consist of symbolic assemb-lies with unit status, often comprising component and composite symbolic structures at multiple levels of organization. The reason for referring to such an assembly as a rule or constructional schema, rather than as a lexical item, is the incorporation of one or more symbolic components too schematic—especially phonologically—to actually be expressed as such. There are however degrees of schematicity, even at the phonological pole, and in a complex structure different numbers of components can be characterized schematically. [...] What about X take Y over X’s knee and spank Y, which is schematic in several positions? If these are still considered lexical rather than grammatical, there is no evident reason why a constructional schema that incorporates a specifi c element, e.g. [[send][NP][NP]], should not also be a lexical item. That in turn is only one step away from according lexical status to assemblies like [[V][NP][NP]], all of whose components are schematic.

(Langacker 2000a: 122)

Mit anderen Worten: Nimmt man Langackers Formulierung vom Lexikon als der Menge oder, besser, dem System103 der fest gefügten Elemente einer Sprache ernst, dann ist es nur konsequent, wenn man dem Lexikon alle von einem Spre-cher erworbenen Einheiten vom substanziellen Morphem bis zur schematischen

103 Auch Langacker nimmt an, dass die lexikalischen Einheiten keine ungeordnete Liste oder Menge bilden, sondern über semantische Frames in vielfältigen Beziehungen zueinander stehen. Sich auf Langacker beziehend, formulieren Croft und Cruse diese Auffassung für Konstruktionsgrammatiken insgesamt:

Constructions are not merely an unstructured list in construction grammar. Constructions form a structured inventory of a speaker’s knowledge of the con-ventions of their language (Langacker 1987: 63–76). This structured inventory is usually represented by construction grammarians in terms of a taxonomic network of constructions. (Croft/Cruse 2004: 262; Hervorhebungen im Original fett)

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Textsorte oder kommunikativen Gattung (Luckmann 1986) zurechnet. Diese sind dann als Ganzes einer äußerst einfachen, aus theoretischer Sicht deshalb in einem gewissen Sinne uninteressanten, aber notwendigen Grammatik, z. B. in der Form des oben formulierten Elaborationssprinzips, gegenüberzustellen.Diese Unterscheidung zwischen Lexikon und Grammatik scheint durch die Bemerkung Langackers, die den zuletzt zitierten Ausführungen als abschlie-ßende Bewertung unmittelbar folgt, verloren zu gehen. Langacker setzt einen anderen Begriff von Lexikon voraus als in den vorausliegenden Zeilen, wenn er feststellt:

[...] My point, of course, is that lexicon and grammar grade into one another so that any specifi c line of demarcation would be arbitrary. (Langacker 2000a: 122)

Es ist jedoch ohne weiteres einzusehen, dass hier nicht der Übergang zwischen den als Ganzheiten erworbenen mehr oder weniger schematischen und symbo-lisch komplexen Einheiten einerseits und dem einfachen Instanziierungsprinzip oder einem vergleichbaren Montageprinzip andererseits gemeint sein kann. Bei diesen beiden handelt es sich um Wissenskomponenten prinzipiell unterschied-licher Natur und eine Grenzziehung ist daher keineswegs arbiträr. Langacker jedoch meint die interne Struktur der Domäne „fi xierter“ Einheiten. Bezüglich dieser Domäne ist es angesichts von Beispielen wie den oben angeführten plau-sibel, wie Langacker davon auszugehen, dass die Dimensionen symbolische Komplexität und Schematizität Kontinua darstellen und jede Abteilung von Teilabschnitten auf einer willkürlichen Entscheidung beruhte.

Vor diesem Hintergrund mag man sich durch eine Konvention darauf fest-legen, nur den einen Grenzpunkt der Schematizitäts-Dimension als Lexikon und die dort zu verortenden Einheiten als lexikalische Einheiten zu bezeich-nen.104 Das Lexikon

2, als Menge der maximal substanziellen Einheiten, wäre

dann – wie unten in Abbildung 3.22 dargestellt – als Teil des Lexikons1 und

damit des Systems der von Sprechern als Ganzheiten erworbenen sprachlichen Einheiten zu betrachten.

Die mit einer solchen Sichtweise verbundenen Schwierigkeiten erkennt Langacker, wie oben dargestellt, selbst. Während das Konzept eines Lexikons in Abgrenzung zum grammatischen Montageprinzip eine Reihe beabsichtigter

104 Im Hinblick auf die Struktur ihres Vorgehens verfahren Hopper und Thompson eben-so wie Langacker, wenn sie die Termini Substantiv und Verb verwenden, um damit Einheiten zu bezeichnen, die am oder in relativer Nähe zum jeweiligen Endpunkt des Nominalität-Verbalität-Kontinuums liegen (s. o. 3.3.3). Genau wie im Fall des Schematizitätskontinuums ist es jedoch auch Hopper und Thompson unmöglich, mit guten Gründen anzugeben, an welchem Punkt des Kontinuums eine lexikalische Einheit zu lokalisieren ist, um gerade noch oder gerade nicht mehr der Klasse der Substantive zugerechnet werden zu können. Dies war einer der Gründe dafür, das Konzept diskrete lexikalische Kategorie aufzugeben.

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theoretischer, genauer: konstruktionsgrammatischer, Implikationen mit sich bringt, führt die Bezeichnung des einen Grenzpunkts des Schematizitätskonti-nuums als Lexikon zu Missverständnissen.

Abb. 3.22: Zwei Verwendungsweisen des Terminus Lexikon

Es erscheint daher sinnvoll, vom Lexikon nur im oben skizzierten, durchaus traditionellen Rahmen eines dichotomischen Gegensatzes zur Grammatik zu sprechen, den auch Langacker implizit anerkennt. Eine solche Sichtweise ist im Übrigen ganz und gar mit Langackers Antwort auf die Frage, was Grammatik sei, vereinbar, die ich hier ausführlich zitiere:

Why should there be such a thing as grammar? It would not exist were lexical units available to symbolize every conception one would want to express. However, lexi-cal items form a limited set, whereas the conceptions we wish to encode linguistical-ly are open ended and indefi nitely varied. We overcome this by resorting to complex expressions comprising multiple lexical elements. Each component element evokes some facet of the overall conception, a facet singled out precisely because it is su-sceptible to individual lexical coding. Collectively, these individually symbolized conceptual „chunks“ provide enough clues about the composite conception intended by the speaker that the adressee (especially in context) is able to reconstruct some approximation to it. But this reconstruction cannot proceed effectively without some kind of systematic indication of how the conceptual chunks are supposed to fi t toge-ther. The role of grammar is to provide this information. (Langacker 1998: 15)

Wenn die Grammatik also auch nicht vollständig im System lexikalischer Einheiten aufgeht, so hat sich die Grenze zwischen den beiden sprachlichen Komponenten gegenüber älteren und konkurrierenden Sprachauffassungen doch so verschoben, dass die Domäne der Grammatik äußerst einfach erscheint. Verbunden damit ist, dass eine weitere Unterscheidung, diejenige zwischen idiosynkratischen und regelhaft gebildeten Elementen, innerhalb des Lexikons selbst zu treffen ist und nicht etwa dessen Grenze defi niert. So sind sprachliche Elemente wie Sehr geehrte Frau Dr. Müller oder dankte oder zum Geburtstag gratulieren zwar symbolisch komplex, d. h. aus der Perspektive des Sprachwis-senschaftlers in ihre regelmäßig verknüpften Bestandteile bzw. – aus Sicht der Cognitive Grammer – in mehrere miteinander montierte Schemata aufl ösbar. Sprecher, die diese Formulierungen häufi g verwenden, werden sie jedoch gerade

Lexikon1

Grammatik

(morphologischeSchemata)

Lexikon2<<<Morphologie>>>Syntax

(substanzielle (syntakt. Einheiten) Schemata)

Prinzip der Montage (assembly)lexikalischer Einheiten

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/ich/ /_t/ (3. Pers. Präs. Ind. Akt…)

/gehe/

/besser/ /ich bin_/

/die deutscheNationalmannschaft/

/eine Schwalbe macht /EIN TYPISCHER _TEIL NPNOM VPFIN NPAKK

noch keinen Sommer/ macht noch KEIN GANZES/

/Vater unser, der du KATHOLISCHE KOMM. GAT TUNGENbist im Himmel…/ MESSE (z. B. Witz, Erzählung; vgl. Luckmann 198)

min Schematizität max

max

nicht als Fügungen, sondern als Einheiten (units) verinnerlichen (to entrench) und als solche auch produzieren und verstehen:

Every use of a structure has a positive impact on its degree of entrenchement, where-as extended periods of disuse have a negative impact. With repeated use a novel structure becomes progressively entrenched, to the point of becoming a unit; more-over, units are variably entrenched depending on the frequency of their occurrence (driven, for example is more entrenched than thriven). (Langacker 1997a: 59)

With repeated use, an expression of any size or degree of compositionality can be entrenched and conventionalized. (Langacker 2000a: 122)

Aus Langackers Perspektive lässt sich das mentale Lexikon also anschaulich als ein mentaler Raum105 darstellen, der (mindestens) in zwei Dimensionen gegliedert ist. Entlang diese

105 Langacker selbst bedient sich dieser Metapher und bezeichnet seinen Ansatz gele-gentlich auch als space grammar (z. B. 1987b: 53).

106 Eine Einheit bildet die Messe nur für jemanden wie den 70-jährigen Priester, der sie zum wiederholten Mal „liest“. Mentale Lexika sind an Individuen mit je eigener spachlich kommunikativer Geschichte gebunden.

Abb. 3.23: Zwei Dimensionen des lexikalischen Raums

3.4.2.3 Lexikon einer Sprache – Lexikon der Sprecher einer Sprache

Mit der eben zitierten Formulierung entrenched and conventionalized spricht Langacker ein Problem an, das bereits am Ausgangspunkt dieser Untersuchung formuliert wurde. In Kapitel 2 habe ich Argumente dafür angeführt, dass es for-

sy

mb

oli

sc

he

K

om

ple

xit

ät

max

106

min Schematizität max

/ich/ /_t/ (3. Pers. Präs. Ind. Akt…)

/gehe/

/besser/ /ich bin_/

/die deutscheNationalmannschaft/

/eine Schwalbe macht /EIN TYPISCHER _TEIL NPNOM VPFIN NPAKK

noch keinen Sommer/ macht noch KEIN GANZES/

/Vater unser, der du KATHOLISCHE KOMM. GAT TUNGENbist im Himmel…/ MESSE (z. B. Witz, Erzählung; vgl. Luckmann 198)6)

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schungsstrategisch sinnvoll ist, die Untersuchung lexikalischer Kategorisierung zunächst einmal auf das Wissen individueller Sprecher zu fokussieren. Auf dieser Basis müsste dann selbstverständlich auch geklärt werden, wie sprach-liche Verständigung zwischen Individuen, das Sprechen einer gemeinsamen „Sprache“ möglich ist. Die Frage, ob die für lexikalische Kategorisierung ausschlaggebenden Prozesse und Strukturen primär auf der Ebene des Indi-viduums oder auf derjenigen der Sprach- oder Sprechgemeinschaft zu fi nden sind, berührt Langacker zumindest, selbst wenn er sie nicht explizit stellt oder gar beantwortet.

Auch in dieser Hinsicht fi nden sich Vorüberlegungen in den oben bespro-chenen Arbeiten von Marty, Otto und vor allem von Pollak. Letzterer war in Bezug auf die Natur lexikalischer Einheiten, ihre symbolische Komplexität, den Einfl uss der Sprachverwendung auf Struktur und kognitiven Status der Einheiten zu ähnlichen Ergebnissen gelangt wie Langacker 30 Jahre später (s. o. 3.4.1.3). Im Hinblick auf die von Langacker angesprochenen Prozesse der Verinnerli-chung, des „Sich-Eingrabens“ (entrechment) sprachlicher Einheiten im mentalen Lexikon nimmt Pollak (1958) eine individual-kognitive Perspektive ein:

Ich glaube, für die Sprache des Individuums kann man es [d. h. das Wort; T.W.] um-schreiben als einen im Bewußtsein fertig vorhandenen Baustein zur Errichtung des Gefüges der Rede. (ebd.: 35)

Man darf wohl ruhig behaupten, daß die ursprünglichen Teilstücke oft auftretender und fest gewordener Gruppen von Sprachsymbolen im Bewußtsein der einzelnen Menschen mehr und mehr miteinander verwachsen, so daß schließlich in ihrem Ge-dächtnis aus jeder solchen Gruppe e i n fertig vorhandenes Klangbild mit e i n e r fertigen Bedeutung geworden ist. [...] Jeder besitzt in seinem Sprachbewußtsein eine Unmenge von unkonventionellen Wortzusammensetzungen. (ebd.: 37)

Mit anderen Worten: Die Verinnerlichung lexikalischer Einheiten, die Gestalt-werdung und Verschmelzung komplexer Fügungen zu kognitiven Einheiten ist für Pollak ein an einzelne, allerdings miteinander kommunizierende Personen gebundener kognitiver Vorgang:

Hauptsache ist die Einsicht, daß es keine Verbindung zwischen den Individualspra-chen gibt – außer durch den psychologischen Kontakt in der Rede, wozu in weite-rem Sinne auch Schrift und Druck gehören. (Pollak 1958: 35)

Eine Konvention bildet sich demnach dann heraus, wenn viele Einzelne im Zuge häufi ger sozialer Kontakte die genannten Prozesse in ähnlicher Weise durchlaufen und dies wechselseitig voneinander als gegeben voraussetzen. Langacker scheint diese Sichtweise weitgehend zu teilen, wenn er mit Bezug auf ein konkretes Beispiel feststellt:

Moreover, although the phrase is broken is not traditionally considered a lexcial item, a typical speaker has used it on many occasions and may very well store it as a prefabricated unit. (Langacker 1998: 12)

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Zwar spricht er vom Lexikon als von den „feststehenden Ausdrücken einer Sprache“ und in allgemeiner Form vom „Sich-Eingraben“ bestimmter Formen aufgrund ihrer Token-Häufi gkeit:

Least controversial is the symbolic nature of lexicon, by which I mean the fi xed ex-pressions of a language. As an inventory of basic conventions for linking meanings with phonological sequences, lexicon represents a destillation of shared human experience.

(Langacker 2000a: 1; vgl. auch 1998: 11; meine Hervorhebungen, T.W.)

Every use of a structure has a positive impact on its degree of entrenchement, where-as extended periods of disuse have a negative impact. With repeated use a novel structure becomes progressively entrenched, to the point of becoming a unit; more-over, units are variably entrenched depending on the frequency of their occurrence [...] (Langacker 1997a: 59; meine Hervorhebungen, T.W.)

Muss oder kann man dies jedoch im Sinne der Annahme verstehen, dass „das Lexikon einer Sprache“ mehr als das Produkt einer wissenschaftlichen Abstrak-tion darstellte, als ein „gewisser Durchschnitt“ (Paul 1995: 29107) vom Wissen-schaftler zu einem bestimmten Zeitpunkt beobachteten Sprachgebrauchs? Die folgende Bestimmung dessen, was Langacker als lexikalische Einheit gilt, gibt hierauf noch keine klare Antwort:

A lexical item is “fi xed” in the sense of being both learned by individual speakers and conventional within a certain speech community. (Langacker 1998: 12)

Das Verhältnis zwischen den beiden hier genannten Bedingungen ist nicht auf den ersten Blick eindeutig. Sicher kann man nicht davon sprechen, dass eine lexikalische Einheit in einer Sprechgemeinschaft konventionalisiert ist, wenn sie nicht von individuellen Mitgliedern dieser Gemeinschaft erlernt worden ist und verwendet wird. Der Umkehrschluss, wonach einem sprachlichen Element, das von einem Individuum erlernt bzw. gebildet wurde, erst dann der Status einer lexikalischen Einheit zuzuschreiben ist, wenn es in einer Gemeinschaft konventionalisiert ist, gilt jedoch nicht.

Der Führer, der zum 137sten Mal einer Reisegruppe Raffaels Sixtinische Madonna näher zu bringen versucht, wird bestimmte Formulierungen und Schemata, wie /das leuchtende Blau des Schleiers/, /die frechen Engelchen am unteren Bildrand/ oder /Bitte beachten Sie NP

AKK/ als Einheiten verinner-

licht haben. Dass er u. U. der einzige Sprecher des Deutschen ist, für den eine bestimmte Formulierung eine festgefügte Gestalt darstellt, beeinträchtigt die

107 Paul stellt an dieser Stelle bereits einen Zusammenhang zwischen der Häufi gkeit, mit der ein Individuum Gebrauch von einem sprachlichen Element macht und der „Kraft“ – Langacker würde wohl von entrenchment sprechen – dieses Elements im individuellen „psychischen Organismus“, d. h. im sprachlichen Wissen, her (Paul 1995: 24).

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Verständlichkeit der Ausführungen für jemanden, der zum ersten Mal an seiner Führung oder vielleicht sogar an einem Museumsrundgang überhaupt teilnimmt, in keiner Weise. Diese Zuhörer, für die etwa /frech/, /engelchen/ und /bildrand/ selbständige Einheiten bilden, gelangen auf weitgehend dekompositionalem Wege durch die Analyse der gehörten Äußerungen bis hinunter zu den einfachen substanziellen Einheiten zu einem Verständnis.

Diese Überlegungen rechtfertigen den Schluss, dass es individuelle, noch nicht konventionalisierte lexikalische Einheiten geben muss. Das Lexikon ist dann jedoch keine sprachliche Entität mit selbständigem ontologischem Status, die unabhängig vom sprachlichen Wissen einzelner Sprecher Bestand hätte:

A lexical item embodies the commonality in form and meaning observable across a substantial number of usage events (i.e. actual utterances in their full phonetic detail and contextual understanding). Its acquisition comes about through the rein-forcement of recurrent features, the progressive entrenchment of whatever aspects of form and meaning are constant across events. It thus involves a process of de-contextualization, whereby non-recurrent features are fi ltered out, as well as sche-matization, for it is only by abstracting away from specifi c points of fi ne detail that commonalities become apparent. (Langacker 2000a: 1 f.)

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass für Langacker kognitive Prozesse wie der Erwerb lexikalischer Einheiten, ihre Verstärkung, Verinnerlichung, De-kontextualisierung und Schematisierung an Personen und deren ganz konkrete phonologisch-konzeptuelle Erfahrungen gebunden sind, erschiene die Einfüh-rung einer zusätzlichen Entität Sprache in die Theorie also ebenso überfl üssig wie problematisch.

Ockhams Rasierklinge fällt dieses Konzept deshalb anheim, weil es im Rahmen der Cognitive Grammar nicht gebraucht wird, um verstehbar zu ma-chen, dass Individuen sich miteinander verständigen können. Hierfür genügt es anzunehmen, dass jeder Einzelne sein sprachliches Wissen auf der Basis angeborener kognitiver Strukturen im Austausch mit anderen Mitgliedern sei-ner Sprechgemeinschaft erwirbt und adaptiert (assimiliert und akkommodiert). Zwar machen nicht zwei Sprecher identische kommunikative Erfahrungen, doch sind die Familienähnlichkeiten zwischen den sprachlichen Sozialisatio-nen der Gemeinschaftsmitglieder in Abhängigkeit von regionaler und sozialer Herkunft und anderen Faktoren (Alter, Geschlecht etc.) mehr oder weniger stark ausgeprägt.

Problematisch ist die Annahme, es gäbe neben dem individuellen sprachlichen Wissen der einzelnen Sprecher noch eine Entität Sprache, weil nun zu erklären wäre, welche Relevanz diese für die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft haben kann, in welchem Verhältnis sie zum individuellen sprachlichen Wissen steht, wo ihr Ort ist, wie sie zustande gekommen ist etc.

Diese Sichtweise steht nicht im Widerspruch zu Langackers Charakterisierung des Lexikons als „Destillat geteilter menschlicher Erfahrung“. Im Gegenteil

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weist diese Formulierung darauf hin, wie im sprachlichen Wissen Individuelles und Soziales vermittelt sind. Der Destillierende – um in Langackers Bild zu bleiben – der Herausbildung eines Lexikons ist das Individuum. Das Destillat ist eine Funktion der kommunikativen Erlebnisse, des „Inputs“, sowie indivi-dueller kognitiver Operationen. Letztere beruhen auf einer universellen Basis, die genetisch bedingt ist. Dass sich jeder innerhalb einer Sprechgemeinschaft108 mit jedem anderen, jedoch nicht unbedingt über die Grenzen der Gemeinschaft hinweg verständigen kann, beruht auf der großen Ähnlichkeit der Erfahrungen und damit der sprachlichen Sozialisation, die Mitglieder einer Sprechgemein-schaft miteinander, nicht jedoch mit Mitgliedern anderer Gemeinschaften teilen. Diese Ähnlichkeit wiederum ergibt sich nicht daraus, dass alle Gemeinschafts-mitglieder in gleichem Umfang mit den gleichen Partnern interagierten. Das ist sicher nicht der Fall. Ein Dreijähriger, der in Wentorf bei Hamburg aufwächst, ist in seinem bisherigen Leben mit ganz anderen Personen zusammengetroffen als die gleichaltrigen Mädchen aus Schellerhau im Osterzgebirge oder Adenau in der Eifel.

Dass alle in einer Sprechgemeinschaft in etwa gleicher Weise zu sprechen lernen, liegt daran, dass alle in ihrer Umgebung in etwa gleicher Weise sprechen und, darüber hinaus, in der Regel in gleicher Weise zu sprechen bemüht sind, weil sie verstanden werden bzw. andere verstehen wollen. Hier liegt übrigens der eigentliche Witz des Grice’schen Denkansatzes (Grice 1989 [1967]), der weit über die Implikaturentheorie hinaus in das Gebiet der allgemeinen Sprach- und Interaktionstheorie hineinreicht. Sprecher bemühen sich nicht deshalb, wie die anderen zu sprechen (sie handeln nicht deshalb kooperativ bzw. rational), weil sie dazu gezwungen oder durch eine Moral oder eine gesetzliche Norm verpfl ichtet wären, sondern weil dies normalerweise der einzig Erfolg verspre-chende, d. h. rationale, Weg zu einer Verständigung und zur Verwirklichung der eigenen kommunikativen Ziele ist.

Ein Destillat des gemeinsamen Wissens – wenn nicht der gesamten Mensch-heit, so doch der Sprechgemeinschaften, denen es angehört – erwirbt das In-dividuum, weil Sprechen und Verstehen zum Zweck der sozialen Interaktion einerseits immer auf Annahmen über das Wissen und Interpretieren der Partner beruht. Andererseits wirkt die Erfahrung gelungener Verständigung auf das ei-gene Wissen zurück, das sich auf diese Weise auf das der anderen so weit zu entwickelt, wie es für die normalen Kommunikationszwecke notwendig ist. In den gar nicht so seltenen Fällen, in denen das Maß der sprachlichen Überein-stimmung nicht ausreicht und Verständigungsprobleme auftreten, führt dies nicht notwendigerweise zum Zusammenbruch der Interaktion. Vielmehr verfügen die

108 Selbst wenn wir annehmen, dass alle Varietäten einer „Sprache“ für deren Sprecher verstehbar sind, beträgt die Zahl der Sprechgemeinschaften auf der Erde gegenwärtig mehr als 6.000 (Atlas of languages 1996: 16).

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Sprecher über interaktive Reparaturverfahren, die es ihnen ermöglichen, solche Schwierigkeiten zu überwinden (vgl. Weber 1998, 2002). Erfahrungen dieser Art geraten anschließend entweder als situationsspezifi sche Ad-hoc-Lösungen in Vergessenheit; sie können u. U. jedoch auch modifi zierend auf das sprachli-che Wissen der Beteiligten einwirken und damit für zukünftiges Sprechen und Verstehen zu Verfügung stehen.

Langacker ist nicht der erste, der diese Dialektik von Individuellem und Sozialem anklingen lässt. Sie durchzieht bereits Humboldts gesamte Sprach-auffassung und kommt in der kleinen Schrift Ueber den Dualis prägnant zum Ausdruck:

Das Wort an sich selbst ist kein Gegenstand, vielmehr, den Gegenständen gegen-über, etwas Subjectives, dennoch soll es im Geiste des Denkenden zum Object, von ihm erzeugt und auf ihn zurückwirkend werden. Es bleibt zwischen dem Wort und seinem Gegenstande eine so befremdende Kluft, das Wort gleicht, allein im einzelnen geboren, so sehr einem blossen Scheinobject, die Sprache kann auch nicht vom Einzelnen, sie kann nur gesellschaftlich, nur indem an einen gewagten Versuch ein neuer sich anknüpft, zur Wirklichkeit gebracht werden. Das Wort mussalso Wesenheit, die Sprache Erweiterung in einem Hörenden und Erwidernden ge-winnen. (Humboldt 1988b: 139, Hervorhebung von mir, T.W.)

Der „Ort“ der Sprache ist allein das Individuum, das jedoch den Austausch mit und die Rückmeldung von einem Gegenüber benötigt, um „seine“ Sprache herausbilden und zur Wirklichkeit bringen zu können.

Mit Blick auf den Erwerb eines mentalen Lexikons tritt also auch aus Langa-ckers Perspektive das Individuum als zentrale Instanz hervor, das in vielfältigen Interaktionsbeziehungen zu anderen sprachlich sozialisiert wurde und sein Leben lang sozialisiert wird.

3.4.2.4 Ein gebrauchsbasierter konzeptualistischer Ansatz

Für Langacker sind alle sprachlichen Einheiten unabhängig vom Grad ihrer sym-bolischen Komplexität und Schematizität bilaterale Zeichen, d. h. Assoziationen von phonologischer Form und konzeptuellem Gehalt. Das Verhältnis zwischen Form und Gehalt betrachtet er als nicht-arbiträr oder, genauer, als nicht absolut arbiträr.109 Denn kein Vertreter der kognitiven Linguistik wird behaupten, dass etwa – um ein klassisches de Saussure’sches Beispiel zu bemühen – die pho-nologische Form der Wörter /baum/ (dt.), /arbor/ (lat.) und /tree/ (engl.) in all

109 Diese letzte Einschränkung, die auch Langacker formuliert (z. B. 1987b: 53), ver-steht sich einerseits von selbst. Andererseits erscheint ihre explizite Hervorhebung angebracht, um Karikaturen konzeptueller und funktionaler Sprachauffassungen zuvorzukommen.

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ihren Aspekten110 semantisch bzw. funktional motiviert ist. Entscheidend für die Zurückweisung der These, wie sie etwa dem Generativismus zu Grunde liegt, ist vielmehr die Ansicht, dass es nicht möglich ist, eine Sprache entlang der Arbitraritätsgrenze in zwei scharf voneinander zu trennende Teile zu scheiden. Deren einer und – wovon Strukturalisten wie Generativisten ausgehen – bei weitem umfangreichster unterläge demnach dem Arbitraritätsprinzip, während dies im anderen, aber marginalen Bereich nicht gelten würde.

Die diskursfunktionale Variante dieser Sichtweise und ihre Begründung habe ich oben bereits im Zusammenhang mit Hoppers und Thompsons Auffassung lexikalischer Kategorisierung erörtert. Für die Diskursfunktionalisten refl ektiert aber nicht nur die morphosyntaktische Form die Funktion, sondern diese ist auch bestimmend für die Semantik lexikalischer Einheiten. Ich habe jedoch zu zeigen versucht, dass alle in diesem Kapitel 3 erörterten, auf ihre Konsequenzen überprüften und weitergedachten Argumentationslinien inklusive der der Gene-rativen Grammatik und derjenigen Hoppers und Thompsons (1984) zu einem anderen Ergebnis führen. Demnach müssen konzeptuell-lexikalisches Wissen (Semantik) und die konkrete Erfahrung der Diskursfunktion beim jedesmaligen Sprechen und Verstehen (Pragmatik) in einer dialektischen Beziehung gedacht werden. Einerseits erwerben wir lexikalische Einheiten durch Abstraktion, Dekontextualisierung etc. auf der Basis konkreter Diskurserfahrungen (Erfah-rung prägt Wissen); andererseits sprechen/verstehen wir sprachliche Formen als Realisierungen lexikalischer Einheiten auf der Basis unseres erworbenen lexikalischen Wissens (Wissen prädisponiert Diskurserfahrung).

Die Klärung des Verhältnisses zwischen Konzeptualisiertheit und Diskursist auch für Langackers Sprachtheorie im Allgemeinen und für die daraus folgen-de Auffassung lexikalischer Kategorisierung relevant. Während Langacker an einer Reihe von Stellen die semiologische und damit die semantisch-konzeptuelle Funktion von Sprache hervorhebt (z. B. Langacker 1987a: 12, 1987b: 55,2000a: 1), entwirft das folgende Zitat ein Bild, das mit den oben gezogenen Schlussfolgerungen zum Verhältnis von Diskursfunktion und Konzeptualisierung in Einklang zu bringen ist:

110 Dass es sich in allen drei Fällen um relativ kurze, d. h. um ein- bzw. zweisilbige, Wörter mit relativ hoher Token-Frequenz handelt, lässt sich z. B. vor dem Hintergrund von Zipfs Gesetz der Abkürzung (Zipf 1938) und damit als kognitiv-funktional motiviert verstehen:

[...W]e may say that the length of a word tends to bear an inverse relationship to its relative frequency; and in view of the infl uence of high frequency on the shor-tenings from truncation and from durable and temporary abbreviatory substitution, it seems a plausible deduction that, as the relative frequency of a word increases, it tends to diminish in magnitude. This tendency of a decreasing magnitude to result from an increase in relative frequency, maybe tentatively named the Law of Abbreviation. (ebd.: 38)

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Language has two basic and closely related functions: a semiological function, allo-wing thoughts to be symbolized by means of sound, gestures, or writing, as well as an interactive function, embracing communication, expressiveness, manipulation, and social communion. [...]

Within functionalism, cognitive linguistics stands out by emphasizing the semiolo-gical function of language and the crucial role of conceptualization in social interac-tion. (Langacker 1998: 1; Hervorhebungen des Autors)

Zunächst einmal subsumiert Langacker also seinen eigenen Ansatz unter den Funktionalismus, was angesichts seines Anti-Arbitrarismus und der Parallelen mit der Konzeption von Hopper und Thompson nachvollziehbar ist. Er konsta-tiert, dass Sprache eine konzeptuell-diskursfunktionale Doppelfunktion erfülle. Im Hinblick auf die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Semantik und Prag-matik ist die Differenz zwischen Diskursfunktionalismus und Cognitive Gram-mar demnach keine tiefgreifend theoretische, sondern eine der Akzentsetzung und Perspektivierung (vgl. „by emphasizing the semiological function“).

Aus der Zurückweisung der Arbitraritätsthese und der zuletzt zitierten An-nahme über die Funktion von Sprache folgt, dass die Zeichenform in einem gewissen Maße vom Zeichen-„Inhalt“ bestimmt ist und nicht das umgekehrte Bedingungsverhältnis vorliegt. Das hat Konsequenzen für die Defi nition sprach-licher Kategorien:

In the orthodox view, basic grammatical categories are defi ned for a particular langu-age according to their morphosyntactic behaviour. [...] This is eminently reasonable as a matter of analysis and practical description, since it is the parallel grammatical behaviour of a set of expressions that alerts us to their status as a category. However, the behavioral properties responsible for our initial DISCOVERY of a category must be distinguished from its ultimate CHARACTERIZATION. I maintain that the grammatical behavior of the noun or verb class is best regarded as SYMPTOMATIC of its semantic value, not the sole or fi nal basis for a criterial defi nition.

(Langacker 1987b: 54 f.; meine Kursivschreibung, T.W.).

Während Langacker hier also mit einem argumentativen Topos (vgl. Marty 1950a: 384; Otto 1965; Coseriu 1987c: 35; Schmidt 1973b: 56 FN 1) das Primat der Semantik gegenüber der Morphosyntax hervorhebt, bleibt das Verhältnis zwischen Semantik und Pragmatik, zwischen Konzeptualisierung und Diskurs-funktion, zunächst noch unbestimmt.

Doch bereits seine Rede von den „zwei grundlegenden und eng verwandten Funktionen“ von Sprache deutet an, dass von Langackers Standpunkt aus im Grunde keine Priorität einer der beiden Seiten festgestellt werden kann. Die enge Verwandtschaft zwischen Konzeptualisierung und Funktionalität beruht darauf, dass beide Funktionen nicht unabhängig voneinander sind.

Grundlage der Konzeptualisierung sind sinnliche Wahrnehmungen der au-ßersprachlichen Welt, die sich von Individuum zu Individuum wohl in Bezug auf den jeweils erfassten Ausschnitt, nicht aber grundsätzlich in struktureller

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Hinsicht unterscheiden. Auch sind die Mechanismen von Konzeptualisierung und Zeichenbildung angeboren und daher universell. Schon Hopper und Thomp-son hatten hierauf als Ursache dafür verwiesen, dass Sprecher allgemein dazu neigen, sich mit prototypischen Substantiven auf räumlich-zeitlich klar abge-grenzte, sinnlich wahrnehmbare Gegenstände zu beziehen. Doch ist unter den lexikalischen Einheiten der Anteil jener, deren Verwendungsdisposition eine Bezugnahme auf konkrete und diskrete Gegenstände wahrscheinlich macht, relativ gering. Während sich die Umrisse eines Baums noch scharf gegenüber der Umgebung abzeichnen, ist das bereits bei „Dingen“ wie Hals, Gipfel (eines Berges) oder Stadt nicht so offensichtlich.

Für sprachliche Elemente, die auf dem Funktionalitätskontinuum eher am prädikativen als am referenziellen Pol zu verorten sind, ist nicht einmal ganz klar, in welchem Sinne man von ihnen sagen könnte, dass sie einen bestimmten Ausschnitt der „Wirklichkeit“ abbilden. Handlungen, Eigenschaften, Relationen etc. entziehen sich der unmittelbaren Wahrnehmung. Ein einfaches Abbildungs-verhältnis zwischen Welt, Denken und Sprache liegt also nicht vor. Entsprechend wendet sich Langacker (1987b: 57) gegen eine „objektivistische“ Sprachauffas-sung; für ihn ist das Verhältnis von Kognition und somit von Sprache zur Welt eines der deutenden Konstruktion (construal).

Wie bereits bei den Diskursfunktionalisten rücken damit konkrete Diskurs-erfahrungen bei dem Bemühen in den Blickpunkt, das Zustandekommen von Konzeptualisierung und damit Spracherwerb und kognitiver Sprachverarbeitung zu erklären:

Most fundamentally, Cognitive Grammar makes contact with discourse through the basic claim that all linguistic units are abstracted from usage events, i.e., actual instances of language use. Each such event consists of textual understanding, paired with an elaborate vocalization, in all its phonetic detail. (2001: 144)

Die erlebte Häufi gkeit bestimmter Konstruktionen unterschiedlicher Komple-xität und Schematizität hat Einfl uss darauf, welche Einheiten ein Sprecher im mentalen Lexikon verinnerlicht (vgl. auch Bybee 1985; Bybee/Slobin 1982; Bybee/Thompson 1997; Bybee/Hopper 2001; Croft/Cruse 2004: 291 ff.). Dies bedeutet, je häufi ger ein Sprecher ein Schema bestimmten Typs (Typenhäu-fi gkeit) bzw. eine bestimmte substanzielle Einheit (Tokenhäufi gkeit) realisiert bzw. realisiert sieht oder hört, in desto stärkerem Maße verinnerlicht er diese Einheit als Einheit. Welche konzeptuellen Gestalten ein Sprecher bildet, hängt also zumindest teilweise von seinen kommunikativen Erfahrungen ab.111

111 Auch hier ist auf nahezu identische Gedanken aus der älteren Sprachwissenschaft(s. in diesem Fall: Paul 1995: 27) zu verweisen.

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Konzeptualisierung und Zeichenbildung stellen sich somit als Prozesse dar, die durch drei Faktoren bestimmt sind: (I) die vom Individuum unabhängige, ihm über seine Sinne in jeder Situation aktuell zugängliche Außenwelt inklusive der sprachlichen Äußerungen, (II) universelle kognitive Fähigkeiten und Prinzipien, die den Rahmen und ein Raster für die Wahrnehmung und (Re-)Konstruktion der Welt bilden, und (III) die dem Individuum zugängliche sprachliche Sozialisation innerhalb einer Sprechgemeinschaft. Damit läuft auch Langackers Sicht des Ver-hältnisses zwischen Konzeptualisierung und Diskurs auf die Schlussfolgerung hinaus, dass nicht einem der beiden Faktoren Priorität zukommt, sondern sich die beiden wechselseitig bedingen. Von unterschiedlichen Punkten ausgehend, konvergieren die diskursfunktionale und die konzeptualistisch-semantische Be-trachtungsweise in einer übergreifenden funktionalen Konzeption von Sprache im Allgemeinen und lexikalischer Kategorisierung im Besonderen.

3.4.2.5 Lexikalische Kategorien als Verbindungen von Prototypen und Schemata

Wenn das Verhältnis zwischen Konzeptualisierung und Diskurs ein wechsel-seitiges ist, dann muss erstere auch die Kategorisierung lexikalischer Einhei-ten beeinfl ussen. Langacker relativiert denn auch die bekannten prinzipiellen Einwände gegen semantische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung, um im Anschluss die Umrisse einer möglichen, die Beobachtungen von Diskurs-funktionalisten und Prototypentheoretikern berücksichtigenden Variante zu skizzieren:

[...] The impossibility of a semantic defi nition is also argued on the grounds that expressions with the same meaning sometimes belong to different grammatical clas-ses, for example, explode (a verb) and explosion (a noun). But it should be evident that if all nouns or all verbs have something in common semantically, it must be more abstract than notions like ‘physical object’ and ‘action’ (which do however describe the category prototypes), and it must be independent of any specifi c con-ceptual content. A viable conceptual characterization should instead be sought at the level of general cognitive abilities, in particular our capacity to conceive of the same situation in alternate ways. Category membership does not refl ect conceptual content so much as it does the construal imposed on it.

(Langacker 1998: 17 f.; s. a. 1987b: 53)

Dass Langacker in diesem Zitat gerade ein Substantiv und ein Verb als Bei-spiele wählt, ist kein Zufall. Zum einen schließt er sich vielen anderen an, die diese beiden lexikalischen Kategorien für universal halten, und zum anderen handelt es sich, wie oben bereits deutlich wurde, um Kategorien, die sich morphosyntaktisch als entgegengesetzte Extreme zueinander verhalten. So stellt Langacker (1987b) im Rahmen seiner Diskussion grammatischer Kategorien ausdrücklich Substantiv und Verb in den Mittelpunkt seiner Bemühungen um eine semantisch-konzeptuelle Defi nition. Dies wirft nun im Rahmen der Cognitive

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Grammar die Frage nach dem Sonderstatus dieser beiden Kategorien auf, die die Diskursfunktionalisten aus ihrer Perspektive bereits beantwortet haben.

Auch Langacker muss zunächst zumindest erwägen, ob neben einer semanti-schen nicht auch eine morphosyntaktische Auffassung lexikalischer Kategorien denkbar wäre. Dies verneint er jedoch auf der Basis seiner funktionalistischen Überzeugung, derzufolge die Beziehung zwischen Zeichenform und Zeichen-inhalt nicht (völlig) arbiträr ist und erstere in vielen Fällen als Symptom für letzteren zu gelten hat, nie jedoch das umgekehrte Verhältnis vorliegt (Langacker 1987b: 54 f.). Diese Einschätzung wird im Wesentlichen durch die Argumente gestützt, die schon im Anschluss an Hopper und Thompson (1984, 1985) ent-wickelt wurden.

Langackers Ansatz zu einer semantischen Defi nition lexikalischer Kategorien erhebt den Anspruch, von Grund auf anders zu verfahren als diejenigen, die Klassen von Wörtern mit Bezug auf binäre semantische Merkmale, wie z. B.[± wahrnehmbar] oder [± zeitstabil], voneinander abgrenzen und auf diese Weise notwendige und hinreichende Bedingungen für eine Klassenmitgliedschaft fest-legen. Er wird in seiner Skepsis gegen dieses Vorgehen durch die Geschichte der gescheiterten Versuche gestützt, solche einfachen semantischen Klassifi zierun-gen durchzuführen. Auch eine Ursache sowohl für die Prima-facie-Plausibilität als auch für das letztliche Scheitern dieser Ansätze deutet er an. Betrachtet man z. B. eine Reihe typischer Verben (essen, geben, fahren, schneiden etc.), dann lässt sich tatsächlich feststellen, dass diese Eigenschaften wie [verläuft in der Zeit], [wird von einem Akteur vollzogen] etc. teilen. Auch heute lernen Schüler im Deutschunterricht nicht selten „Ding-“, „Tätigkeits-“ und „Eigenschaftswör-ter“ als Ausdrücke kennen, die sich auf Dinge, Tätigkeiten und Eigenschaften beziehen (z. B. Jensen 1982). Aufgrund dieser im Hinblick auf typische Fälle richtigen Beobachtung davon auszugehen, dass Verben prinzipiell auf Hand-lungen und Ereignisse und alle Substantive auf (konkrete) Dinge verweisen, ist jedoch kein zulässiger Schluss.

Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten stellt Langacker den semanti-schen Ansätzen, die Wortarten als diskrete aristotelische Kategorien defi nieren, eine Konzeption gegenüber, in deren Rahmen er die Prototypikalität lexikalischer Kategorisierung betont:

In fact, recent fi ndings by cognitive psychologists strongly favor an alternative con-ception: categorization by PROTOTYPES, where membership in a category is determi-ned by perceived resemblance to typical instances. Categorization is then a matter of human judgement, and no attributes need be shared by all class members.

(Langacker 1987b: 54; meine Hervorhebung, T.W.)

Sprachliche Kategorisierung im Rahmen der Prototypentheorie zu analysieren, ist unter Funktionalisten Konsens (vgl. Taylor 1995; Lakoff 1987). Dabei ver-tritt Langacker einen abstrakten Begriff von Prototypen (vgl. Lakoffs (1987) Idialized Cognitive Models), die sich als Produkte von Abstraktionsprozessen auf der Basis konkreter Diskurserfahrungen herausbilden:

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Though itself schematic, the prototype is grounded in experience. It embodies a recurrent commonality so frequent in our everyday experience that it can reasonably be called a conceptual archetype. [...]

The archetypal notion defi ning the noun-class prototype is that of a physical object. The symbolic structure representing this prototype thus takes for its semantic pole the schematized conception of a physical object, which functions as its profi le.

(Langacker 2000a: 9 f.)

Bis hierhin erscheint Langackers Konzeption noch ganz im Einklang mit der diskursfunktionalistischen. Spezifi sch für ihn ist jedoch die Ansicht, dass ein Prototyp nicht ausreicht, um eine lexikalische Kategorie zu defi nieren bzw. um die Kategorisiertheit sprachlicher Einheiten erklärbar zu machen:

I have come to believe that basic and universal linguistic notions—noun and verb being prime examples—have this privileged status precisely because they combine a cognitively salient prototype with a highly abstract schema refl ecting a basic cog-nitive ability. (Langacker 2000a: 9)

Während der Prototyp erfahrungsbasiert sei, beruhten die kognitiven Schemata auf „wahrscheinlich angeborenen“ Fähigkeiten, wie z. B. die zur begriffl ichen Verdinglichung (conceptual reifi cation), die für die Substantivbildung entschei-dend sei.

A schema is an abstract template representing the commonality of the structures it categorizes, which thus ELABORATE or INSTANTIATE it. [...] A schema differs from a list of criterial attributes in being an integrated concept in its own right; it is simply characterized with lesser specifi city and detail than its instantiations.

(Langacker 1987b: 54; meine Kursivsetzung, T.W.)

In der Natur von prototypikalisch strukturierten Kategorien liegt es, dass die Ähnlichkeit eines Mitglieds zum Prototyp mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann. Langacker sieht das genauso, stellt jedoch im Hinblick auf die Ka-tegorienschemata fest:

Though I accept this [i.e., the prototype] analysis, I claim that nouns and verbs also lend themselves to schematic semantic characterization; this is the novel (and surely controverisal) aspect of the following proposals. More precisely, I maintain that ALL members of the noun class (not just the central members) instantiate an abstract noun schema, while all verbs elaborate an abstract verb schema.

(Langacker 1987b: 54)

Hier scheint ein Widerspruch vorzuliegen: Prototypikalische Kategorien sind als solche radial strukturiert (s. Lakoff 1987) und randbereichsunscharf, auf Schemata beruhende jedoch homogen und diskret. Dieses Problem löst sich im Rahmen der Cognitive Grammar auf, weil Langacker zwischen dem „intrinsi-schen Inhalt“ (intrinsic content) einer sprachlichen Einheit und der Art und Weise unterscheidet, wie dieser Inhalt von Sprechern gestaltet (construed) und profi liert (profi led; s. u.) wird. Diese Zweiteilung der Bedeutung fi ndet sich – bis in die

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Art der englischsprachigen Beispiele hinein – ganz ähnlich auch bei Coseriu, der zur Funktion der Wortkategorien (in Abgrenzung zu den Wortklassen) als „Seinsweise der Wörter in der Rede“112 (Coseriu 1987c: 26) feststellt:

Wir müssen hier folglich eine neue Unterscheidung zwischen zwei Arten der Bedeutung einführen: die zwischen lexikalischer und kategorieller Bedeutung. Im Englischen sind (the) fi re und (to) fi re vom Gesichtspunkt der lexikalischen Bedeutung her dasselbe abstrakte Wort, jedoch nicht vom Gesichtspunkt der kategoriellen Bedeutung. [...] Die lexikalische Bedeutung umfaßt das sprachlich Organisierte, die kategorielle Bedeutung die Art dieser Organisierung: die lexikali-sche Bedeutung betrifft das Was, die kategorielle das Wie der Wortbedeutung. [...]

Die Wortkategorien sind zweifelsohne semantische Kategorien, jedoch keine lexi-kalischen, sondern kategorielle Bedeutungen: sie sind Gußformen, in denen sich der lexikalische Inhalt im Sprechen organisiert. (Coseriu 1987c: 27 f.)

Es wurde bereits festgestellt, dass sprachliche Einheiten im Rahmen der Cogni-tive Grammar unabhängig vom Grad ihrer Schematizität und Komplexität als zeichenhaft, d. h. als Form-Inhalt-Paare, angesehen werden. Dem anti-modu-laristischen, kognitionsholistischen Charakter des Ansatzes entsprechend, sieht Langacker keine Grenze zwischen sprachlicher Bedeutung und enzyklopädi-schem Wissen:

Our knowledge of trees, for example, subsumes physical properties (e.g. shape, height, color), biological characteristics (growth rate, root system, reproduction, photosynthesis, dropping of leaves), utility (wood, shade, food source), and nume-rous other specifi cations (forests, host for animals, how to cut one down, etc.). In principle, each of these specifi cations fi gures to some extent in the meaning of tree. A lexical item is [...] thought of [...] as providing access to indefi nitely many con-ceptions and conceptual systems, which it evokes in a fl exible, openended, context-dependent manner. (Langacker 2000a: 4)

Die Bedeutung einer sprachlichen Einheit tritt also als Figur vor dem Hin-tergrund der von ihr aktivierten, mit ihr in hierarchischer Weise (vgl. ebd.) assoziierten, kognitiven Domänen und konzeptuellen Systeme hervor. Dabei handelt es sich sowohl um elementare Bereiche (z. B. sind Bäume oder Stühle Entitäten in Zeit und Raum) als auch um komplexe und abgeleitete Domänen,

112 Hier tritt allerdings ein grundlegender Unterschied zu Langacker zutage. Denn die partes orationis können als Elemente des Diskurses für Coseriu keine Relevanz für das Lexikon einer Sprache besitzen, das für ihn nur abstrakte, und d. h. hinsichtlich der Redeteile unspezifi zierte Formen der Einheiten mit lexikalischer Bedeutung:

Eben deswegen sind die Wort-„Klassen“ notwendigerweise Klassen abstrakter Wörter, und deren Umfang und Anlage hängen von dem Sinn ab, in dem die Abs-traktion vorgenommen wurde. Dagegen sind die Kategorien partes orationis, d. h. sie treten konkret als Seinsweise der Wörter in der Rede, als semantische Funktion auf. (Coseriu 1987a: 26)

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wie die des gegenwärtigen deutschen Schulsystems, das durch /hauptschule/ aufgerufen wird.113

Die kognitiven Domänen – man könnte auch von intern hochgradig, nach außen weniger stark vernetzten konzeptuellen Rahmen sprechen (vgl. Fillmore 1975; Konerding 1993) – tragen zur Bedeutung einer sprachlichen Einheit den konzeptuellen Inhalt bei. So lässt sich dann mit Langacker konstatieren, dass /baum/ in prototypischerer Weise die Domäne der Gegenstände instanziiert und damit das Substantivschema elaboriert, als dies /ehre/ oder /freiheitlich demokra-tische Grundordnung/ tun. Doch betont Langacker zu Recht, dass sich Bedeutung auf diese Weise auch im Rahmen seines theoretischen Ansatzes nicht hinreichend fassen lässt. Sprachliche Konzeptualisierung schließt die deutende Gestaltung (construal) dieses Inhalts mit ein. Die für Langacker zentrale Dimension dieser Gestaltung wird durch das Begriffspaar Profi l/Basis bezeichnet.

The BASE for a linguistic predication is its domain, i.e. the cognitive structures it presupposes; its PROFILE is a substructure of the base that is elevated to a distinctive level of prominence as the entity which the expression DESIGNATES.

(Langacker 1987b: 56)

Jedes sprachliche Zeichen designiert seine Bedeutung demnach, indem es eine Figur (Profi l) gegenüber einem Grund (Basis, aktivierte kognitive Domäne) hervortreten lässt, wie dies z. B. /vorwärts/ im Bereich der Bewegungsrichtungen tut. Profi lierung ist eine deutende Leistung des individuellen Sprechers, nicht etwa die bloße Abspiegelung der objektiven Wirklichkeit. So lässt sich dieselbe Menge von Sternen als Kassiopeia, als Sternbild, als W oder als Lichtpunkte im Himmel bezeichnen und damit je ein spezifi sches „Bild“ (image) der be-zeichneten Gegenstände entwerfen. Diese Bild -Gestaltung oder Profi lierung kann unter anderem in Bezug auf eine bestimmte Perspektivierung (/kommen/ vs. /gehen/), unterschiedliche Grade der Spezifi tät (/korbsessel/ > ...> /möbel/ > ... > /ding/) und eine Reihe anderer Dimensionen (vgl. Langacker 2000a: 5 ff.) erfolgen.

In genau diesem Zusammenhang bestimmt Langacker die Funktion der lexikalischen Kategorien Substantiv und Verb:

Category membership does not refl ect conceptual content so much as it does the construal imposed on it. What sort of cognitive abilities might be involved in a conceptual characterization of the noun class? One is profi ling. As we saw [...], the words advise, advisor, and advisee have basically the same conceptual content, the semantic contrast residing in their choice of profi le. It is in fact the nature of an expression’s profi le—not its overall content—that determines its grammatical class.

(Langacker 1998: 15)

113 Detailliert geht Langacker auf Typen und Struktur kognitiver Domänen z. B. in Langacker 1987a: Kap. 4.2.3 und Langacker 2000: 4 ff. ein.

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Bei den lexikalischen Kategorien handelt es sich demnach um mehr oder we-niger abstrakte Schemata, die unterschiedliche Rahmen oder „Gussformen“ (Coseriu 1978c: 28) für die Elaboration konzeptueller Inhalte bilden. LangackersBestimmung des von ihm als „Ding“ bezeichneten Schemas, das den Inhalt aller Substantive strukturiere, lautet:

A “thing” is thus defi ned as any product of grouping and reifi cation; and a noun is characterized as an expression that profi les a thing.

(Langacker 1998: 19; s. a. 2000a: 10)

Den Substantiven stellt Langacker nicht direkt die Verben gegenüber, sondern die gesamte Gruppe der „relationalen“ Ausdrücke (1987b: 68). Deren Bedeut-samkeit beruht demnach auf der menschlichen Fähigkeit, Beziehungen zwischenEntitäten zu „sehen“, d. h. kognitiv herzustellen. Relationale Ausdrücke profi lie-ren nicht „Dinge“, sondern Beziehungen zwischen Dingen. Diese Eigenschaft teilen Verben mit Präpositionen, Adjektiven, Adverben. Gegenüber den letzteren drei, wie auch in Abgrenzung zu Infi nitiven und Partizipien, zeichnen sich (fi -nite) Verben durch die Art aus, in der sie diese Beziehungen konstruieren. Das prototypische Verb bezeichnet ein Ereignis, in dessen Verlauf ein Handelnder (agent) auf ein Objekt (patient) einwirkt. Diese inhaltliche Bestimmung ist zu ergänzen durch ein strukturelles Schema, für das laut Langacker eine weitere Fähigkeit grundlegend ist: diejenige, Strukturen nicht nur als zeitlich ausgedehnt, sondern auch in zeitlicher Weise, d. h. ein Element bzw. einen Abschnitt nach dem anderen, zu erfassen (to scan). Auf dieser Grundlage geht Langacker von Folgenem aus:

It is claimed that every verb profi les a process, defi ned as a relationship that evolves through time and is scanned sequentially along this axis. A process might also be called a temporal relation, where „temporal“ refers to both its evolution through time and the sequential nature of its scanning. A non-verbal relational expression can then be described as profi ling an atemporal relation. (Langacker 2000a: 10)

Prototypische Verben prädizieren also Ereignisse, die sich als solche in der Zeit erstrecken. Damit ist für Langacker jedoch weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Verbalität angegeben. Periphere Verben wie /passen/, /existieren/, /ruhen/ bzw. deren Realisationen im Sprechen beziehen sich in der Regel nicht auf Prozesse. Andererseits ist es unmöglich, auf Ereig-nisse in anderer Weise zu referieren als mittels Substantiven (Dein Tritt vor mein Schienbein tut mir heut noch weh). Hingegen gilt vom Standpunkt der Cognitive Grammar für alle Substantive und alle Verben in gleicher Weise, dass sie das jeweilige konzeptuelle Schema realisieren. Gemäß dieser Auffassung defi niert das Schema dann die Außengrenze der Kategorie, während der zentrale Prototyp für ihre interne Struktur maßgeblich ist.

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3.4.2.6 Eine Beispielanalyse: /yellow/

An dieser Stelle ist es angebracht, die bisher dargelegten Vorstellungen Lang-ackers von lexikalischer Kategorisierung anhand eines seiner eigenen Beispiele zu konkretisieren und zu veranschaulichen. Einige Grundannahmen der Cog-nitive Grammar sollten zu diesem Zweck noch einmal in Erinnerung gerufen werden:

– Lexikon: Einfache substanzielle lexikalische Einheiten (Wortstämme) sind als solche kategorial unspezifi ziert im mentalen Lexikon gespeichert (z. B. /_geh_/, /farb_/, /rot/). Sie fi nden sich dort zusammen mit symbolisch komple-xeren Elementen, die aufgrund häufi gen Gebrauchs als kategorial spezifi ziert (/gehen/, /die Farbe/) oder gar als Bestandteil größerer Syntagmen (/in die Schule gehen/) erworben wurden.

– Grammatik: Komplexe Syntagmen werden, sofern sie nicht als Gestalten Elemente des lexikalischen Wissens darstellen, im Diskurs gebildet, indem Schemata – worunter auch einfache substanzielle Einheiten, wie Wortstämme oder Flexionsmorpheme, als Extremfälle zu subsumieren sind – miteinander montiert werden. Eine solche Montage erfolgt, indem die „Variablen“ der Schemata durch Einheiten elaboriert werden, deren lexikalische Eigenschaf-ten sie für diese Funktion prädisponieren.

– Zeichenhaftigkeit: Alle sprachlichen Einheiten, also auch die abstraktesten grammatischen Schemata, sind zeichenhaft, d. h. Assoziationen von phono-logischer Form und semantischem Gehalt.

Lexikalische Kategorisiertheit ist im Rahmen dieser Konzeption als das Ergebnis der Montage eines lexikalischen Stamms mit einem Kategorienschema oder als Elaboration der Leerstelle in einem Kategorienschema durch einen lexikalischen Stamm aufgefasst. Langacker verdeutlicht dies in der unten als Abbildung 3.24 wiedergegebenen Skizze am Beispiel der Einheit /yellow/. Die Darstellungen (a) – (d) repräsentieren jeweils den semantischen Pol der entsprechenden lexi-kalischen Substantiv-, Adjektiv-, Verb- bzw. Partizipialschemata.

Der einfachste, für Langackers Sichtweise jedoch repräsentative, Fall stellt der des Substantivs yellow (wie in Yellow is a warm color) dar. Das Substantiv profi liert (s. die fette Ellipse) einen bestimmten Ausschnitt des Farbraums (s. das Rechteck), der die Basis und kognitive Domäne des Zeichens bildet. Während der Farbraum universell ist, ist die Region, die durch ein Adjektiv profi liert wird, spezifi sch für das System der Farbadjektive, über das ein Sprecher verfügt.114

114 Sprecher des Englischen oder des Deutschen verfügen über bis zu elf verschiedene einfache Farbadjektive, während Sprechern des Dani, einer Sprache Papua Neugui-neas, nur zwei zur Disposition stehen (Rosch 1973a; Kay et al. 2003).

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Farbraum

komplexes Zeichen (composite struc ture)

Farbraum

yellow

[ ]

yellow

Farbraum

yellow

/´ /

DOMÄNE

DING/REGION

/…/

Komponenten (component struc tures)

ⓑ ⓒ

Abb. 3.24: Lexikalische Kategorisierung als Schema-Elaboration am Beispiel des semantischen Pols von /yellow/

In den Darstellungen oben bildet Langacker lediglich die jweilige Inhaltsseite der komplexen lexikalischen Einheiten ab. Abbildung 3.25 zeigt yellow (N) hingegen als Konstruktion, d. h. als bilaterales Produkt der Montage zweier symbolischer Schemata.

(Langacker 2000a: 11)

Abb. 3.25: Das englische yellow als Instanziierung der lexikalsichen Einheit /yellow/ im Substantiv-Schema (vgl. Langacker 2000: 8 ff.)

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(a) Zeichenschema

Horizontale gestrichelte Linien verbinden die Zeichen, die montiert werden, bzw. deren semantische und phonologische Seiten.

Diagonale gestrichelte Linien verbinden die komplexe Kon-struktion und die Komponenten, aus deren Montage sie her-vorgeht, bzw. deren semantische und phonetisch-phonologi-sche Seiten.

einfache Ellipsen repräsentieren „Dinge“ bzw. „Regionen in einer Domäne“.

Fette Ellipsen und Linien repräsentieren profi lierte Strukturen.

Deutschsprachige Angaben in durchgängiger GroßschreibungDOMÄNE beziehen sich auf schematische, d. h. zu elaborierende, univer-

selle kognitive Strukturen. Es handelt sich also um „Leerstellen“ oder „Variablen“ auf der semantischen Seite des Schemas.

Farbraum Orthografi sche deutschsprachige Angaben beziehen sich auf spezifi sche universelle kognitive Strukturen.

yellow Englischsprache Angaben beziehen sich auf sprachliche bzw. kognitive Strukturen, die spezifi sch für Sprecher des Englischen sind.

[′jɛloʊ] Phonetisch-phonologische Repräsentation eines Zeichentoken.

/′jɛloʊ/; /.../ Phonologische Repräsentation einer lexikalischen Einheit.

Das oben entworfene Konstruktionsschema basiert auf Langackers Darlegun-gen und orientiert sich an zahlreichen ähnlichen Illustrationen, die Langacker für symbolisch komplexe Zeichen unterschiedlicher Art ausführt (Langacker 1987a, 1998, 2000a, 2001). Im oberen Teil (a), der die komplexe Konstruktion als Ergebnis einer Schemamontage zeigt, repräsentiert [′jɛloʊ] die phonetisch-phonologische Ausdrucksseite eines Äußerungstokens. Das äußere Rechteck dieser Figur steht für das Zeichen als Ganzes, das als Assoziation von phone-tisch-phonologischer Form [′jɛloʊ] und konzeptuellem Inhalt (vgl. Abb. 3.25 (a)) wiedergegeben ist. Der konzeptuelle Farbraum an sich ist universell (vgl. Berlin/Kay 1969), während die Profi lierung des Farbraums spezifi sch für die von einem Individuum gesprochene Sprache ist. <yellow> steht also für den fokalen Farbbereich, der im Englischen durch das Adjektiv /yellow/ bezeichnet wird.

Das Substantiv yellow (a) erscheint in Abbildung 3.25 als Produkt der Mon-tage zweier einfacherer Einheiten, einem akategorialen lexikalischen Stamm (b) und dem Substantivschema (c). Dies entspricht dem kognitiven Status okkasioneller Bildungen von Sprechern, die dieses Substantiv, anders als z. B. Maler oder Fotografen, nicht als häufi g realisiertes sprachliches Element des mentalen Lexikons verinnerlicht haben.

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Die Akategorialität von /yellow/ äußert sich im Fehlen einer – grafi sch durch fette Umrandung zu symbolisierenden – Profi lierung. In der Verbindung mit dem Substantivschema, elaboriert /yellow/ sowohl dessen phonologische als auch die konzeptuelle Leerstelle. Umgekehrt überträgt sich die Profi lierung des Substantivschemas auf die resultierende Konstruktion (c).

Für die hier im Mittelpunkt stehende Frage nach dem Wesen lexikalischer Kategorisierung ist vor allem Langackers Auffassung der kategorialen Schemata entscheidend. Diese haben im Rahmen der Cognitive Grammar den Status bilate-raler Elemente des mentalen Lexikons. Nur so können sie als Einheiten gedacht werden, die zusammen mit anderen in komplexe Konstruktionen eingehen. Ihre phonologische Seite – im Englischen ebenso wie im Deutschen – ist maximal unbestimmt. Zwar kennen beide Sprachen morphologische Schemata, die ka-tegorial sind (/__ship/, /__tion/ etc. bzw. /__ung/, /__heit/ etc.). Der kategoriale Unterschied zwischen englisch man, can und than bzw. deutsch Mann, kann und dann ist aus Langackers Perspektive jedoch nicht phonologisch, sondern semantisch begründet.115

Die Kategorienschemata N und V refl ektieren für Langacker auf unmit-telbare Weise angeborene kognitive Fähigkeiten. Er betrachtet sie daher als universell.

3.4.2.7 Zur Frage der Vereinbarkeit von Prototypikalität und Schematizität

Langacker (1987b: 54, 2000a: 9) formuliert den Anspruch, lexikalische Kategorisierung als Zusammenspiel von kognitiv salienten, auf der Basis kom-munikativer Erfahrungen gewonnenen Prototypen und abstrakten, auf angebo-renen Fähigkeiten beruhenden Schemata zu erklären. Mit dem Verweis auf die Prototypikalität lexikalischer Kategorisierung ließen sich einige der Schwächen traditioneller semantischer Ansätze ausräumen, die sich z. B. mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass nicht alle Referenten von Substantiven typische „Dinge“ darstellen. Allerdings ist auf den ersten Blick nicht ohne weiteres erkennbar, wie es widerspruchsfrei möglich sein könnte, Kategorien zur gleichen Zeit als prototypikalisch und schematisch, d. h. also als radial und homogen, als rand-bereichsunscharf und diskret, zu charakterisieren.

Langacker vermeidet den drohenden Widerspruch, indem er zwischen Be-deutungsinhalt (intrinsic content) und Bedeutungsstruktur (construal), als zwei separaten Domänen von Kategorisierung, unterscheidet und Prototypikalität mit ersterem, Schematizität mit letzterer in Verbindung bringt. Fraglich ist jedoch,

115 Nur diese beiden Optionen gibt es im Zusammenhang der Cognitive Grammar, die der Morphologie und der Syntax, als rein formal bestimmten Ebenen der Grammatik, einen eigenständigen Status abspricht.

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ob sich die Faktoren auf diese Weise so in Beziehung setzen lassen, dass sie, wie von Langacker nahegelegt, beide für das Zustandekommen lexikalischer Kategorien wesentlich erscheinen. Es entsteht vielmehr der Eindruck, als ob sich von Langackers Standpunkt aus der Bedeutungsinhalt zur Bedeutungs-struktur im Hinblick auf die Kategorialität sprachlicher Ausdrücke wie ein akzidentieller zu einem wesentlichen Faktor verhielte. Dies entspräche – um ein Beispiel aus einem ganz anderen Gegenstandsbereich heranzuziehen – dem Unterschied zwischen den Eigenschaften von Wasser, einerseits eine Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff zu sein und andererseits auf der Erde meist in fl üssigem Aggregatzustand aufzutreten. Wir können uns zwar ohne weiteres nicht-fl üssiges Wasser vorstellen, nicht aber Wasser, das eine andere molekulare Struktur als H

2O aufweist.116 Eine analoge Betrachtungsweise klingt an, wenn

Langacker klarstellt:

Category membership does not refl ect conceptual content so much as it does the construal imposed on it. (Langacker 1998: 15)

Lexikalische Einheiten defi nieren sich als Verben bzw. Substantive somit ganz klassisch aristotelisch als Instanziierungen des Verb- bzw. des Substantivsche-mas. Im Hinblick auf die Fragen der externen Kategoriengrenzen besteht keiner-lei Widerspruch zu den Auffassungen der Schulgrammatik, des Strukturalismus oder des Generativismus. Die von Langacker berücksichtigten Prototypeneffekte, die auf die interne Struktur der Kategorien zurückgeführt werden können, lassen sich auch im Rahmen dieser Sprachkonzeptionen beschreiben.

Die Auswirkungen der kategorialen Prototypikalität, wie sie Langacker ver-anschlagt, erscheinen insbesondere deshalb marginal, weil nicht zu erkennen ist, dass sie sich auf die im Zusammenhang dieser Untersuchung vor allem inter-essierende Beziehung zwischen Lexikon und Diskurs, zwischen sprachlichem Wissen und Sprechen und somit zwischen der Kategorisiertheit lexikalischer Einheiten und deren grammatischer Realisierung im Diskurs erstrecken. Nach Langacker korreliert nicht der prototypikalisch organisierte Inhalt, sondern die diskrete schematische Struktur der Bedeutung lexikalischer Einheiten mit der Morphosyntax ihrer Instanziierung.

Es ist vor diesem Hintergrund aber nicht einzusehen, wie die Annahme dis-kreter Kategoriengrenzen auf der Ebene des mentalen Lexikons mit der oben ausführlich referierten Auffassung Langackers zu vereinbaren ist, derzufolge der Erwerb sprachlicher und damit auch lexikalischer Einheiten auf den kommuni-

116 Gedankenexperimente mit Zwillingserden und wasserähnlichen Substanzen anderer Struktur (z. B. Putnam 1975), stützen diese Überlegung, wenn sie hier überhaupt re-levant sind. Wer andererseits darauf verweist, dass selbst (die meisten) Chemiker im Alltag gerade die Flüssigkeit als defi nierendes Merkmal von Wasser betrachten und es deshalb von Eis und Dampf unterscheiden, der erwäge das Eigenschaftspaar fl üssig (wesentlich) und zwischen 10 und 30°C warm (prototypisch, aber akzidentiell).

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kativen Erfahrungen der Sprecher beruht. Im kontextualisierten Sprechen und Verstehen erleben Sprecher im Laufe ihrer fortwährenden und weitestgehend kontinuierlichen sprachlichen Sozialisation zwar, dass lexikalische Einheiten meist in einer bestimmten prototypischen Funktion und der entsprechenden morphosyntaktischen Form realisiert werden; darüber hinaus aber begegnen ihnen auch andere Varianten (z. B. Haus, aber auch Haustür, hausen, häuslich) in mehr oder weniger ausgeprägtem Umfang. Wäre es der Fall, dass Sprecher neue lexikalische Einheiten überwiegend oder gar ausschließlich als Instanziierungen bestimmter kategorialer Schemata erwürben, müssten sie im Erwerbsprozess von nicht-schemagerechten Gebrauchsweisen absehen. Dann bliebe allerdings zu erklären, wie sie diese „Ausnahmeformen“ im Diskurs überhaupt verstehen, und erst recht, wie sie sie selbst äußern können.

Die gerade geschilderten Probleme können vermieden werden, wenn man kog-nitive Operationen (z. B. Schemamontage) und Strukturen (z. B. Prototypikalität des Zeicheninhalts) den beteiligten Ebenen (kognitive Fähigkeiten, Lexikon und Sprecherlebnis, in anderer Weise zuordnet, als Langacker dies tut. Zunächst soll eine tabellarische Übersicht (s. Abbildung 3.26) verdeutlichen, welche kogni-tiven Ebenen im vorliegenden Zusammenhang zu betrachten sind und welche Eigenschaften ihnen zukommen. Es folgt eine Erläuterung dieser Darstellung und eine Entfaltung ihrer Implikationen.

Abb. 3.26: Kognitive Ebenen, ebenenspezifi sche Strukturen und deren Dynamik

Auf der x-Achse ist hier Wissen vom aktuellen Erleben (z. B. des Diskurses) unterschieden. Unter Wissen subsumiere ich alle kognitiven Strukturen, die Sprechen und Verstehen ermöglichen. Dem Wissen steht als kognitives Pendant nicht das Tun, das Sprechen, der Diskurs, sondern das individuelle Erlebnis des

kognitiveEbenen

Wissen Erleben

Art der Strukturen

kognitive Fähigkeiten

lexikalische Einheiten

kontextualisierte Äußerungen

kognitiver „Ort“

genetisch deter-mi- nierte neuro-nale Strukturen („Menschheitsge- dächtnis“)

Langzeitgedächtnis Kurzzeitgedächtnis („Arbeitsspeicher“)

Dynamik angeboren,statisch,universell

erworben,plastisch (wenig dynamisch), inivi-dualsprachlich

erlebt (online),hochdynamisch,kontextualisiert

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Sprechens gegenüber. Ein Sprecherlebnis ist die Erfahrung des aktuellen Spre-chens, sein zeitlicher Horizont entsprechend eng. Damit Sprechen auf das Wissen zurückwirken und dadurch auch über längere Zeit hinweg zukünftiges Sprechen beeinfl ussen kann, muss es erlebtes Sprechen sein. Nicht, was tatsächlich gesagt wird, ist entscheidend, sondern das, was die Beteiligten wahrnehmen, und wie sie es wahrnehmen und verstehen. Dies ist der Bereich der von Langacker so oft angesprochenen und für das Sprechen und Verstehen zentralen konstruierenden Deutung (construal). Der „tatsächliche“ Diskurs, die physikalischen Laut- bzw. Schriftphänomene, auch die vom Sprecher selbst geäußerten, sind Faktoren der Welt, die den am Diskurs Beteiligten prinzipiell äußerlich bleiben und nur über ihre Wahrnehmung, d. h. durch Konstruktion, zugänglich sind.

Das bis hierhin entworfene Bild lässt noch die Frage offen, welcher Ebene Lang-ackers abstrakte N-, V-, ADJ- und PRTC-Schemata zuzuordnen sind. Der Bereich der angeborenen kognitiven Ausrüstung kann dabei sogleich ausgeschlossen werden. Hierhin gehören die Fähigkeiten, Gegenstände zu identifi zieren (d. h. zu profi lieren) und zu bestimmen, und, darüber hinaus, kognitive Einheiten in Komplexen zu verbinden. Diese Fähigkeiten entsprechen, wenn man sprachliche Strukturen und Prozesse als Sonderfall der Kognition analysiert, denjenigen zu referieren, zu prädizieren und grammatische Verknüpfungen herzustellen.

Das mentale Lexikon, als zweite kognitive Ebene, umfasst all diejenigen sprachlichen Gestalten, die ein Sprecher im Laufe seines Lebens erwirbt. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist vor allem von Bedeutung, dass darin kate-gorial spezifi zierte lexikalische Schemata (/das Rot/, /ich gehe/ usw.) ebenso eingeschlossen sind, wie Einheiten, die lediglich mehr oder weniger ausgeprägte Verwendungsdispositionen auszeichnen (/rot/, /geh/ usw.). Auch Langackers abstrakte Kategorienschemata wären als symbolische Einheiten dieser Ebene zuzuordnen:

Consider fi rst the noun class. Largely constituting this complex category are indi-vidual nouns, which serve as nodes in the networt.[...] A noun is symbolic in nature, residing in the association between a meaning and a phonological shape; I refer to these as its semantic and phonological poles. Also serving as nodes in the network are schematic symbolic structures [...]. The category prototype is one such structure, as is the highly abstract schema expressing what is common to the class of nouns overall. (Langacker 2000a: 9 f.; Hervorhebungen des Autors)

Nur unter dieser Bedingung nämlich lassen sich kategorial spezifi zierte Le-xikoneinheiten als Niederschlag und Verfestigung häufi g erfolgter Montagen einfacherer Einheiten, hier von abstrakten Kategorienschemata und lexikalischen Stämmen, auffassen. Und dies wiederum ist notwendig, weil eine andere Weise ihres Erwerbs im Rahmen der Cognitive Grammar nicht denkbar ist.

Spracherwerb ist nämlich – unabhängig davon, welchen theoretischen Standpunkt man einnimmt – ein Prozess des Dekontextualisierens und Abstra-

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hierens von konkreten Diskurserfahrungen auf der Basis kognitiver Fähigkei-ten und Strukturen. Dass Referenzialität bzw. Prädikativität Prädispositionen lexikalischer Einheiten und Diskursfunktionen kontextualisierter sprachlicher Ausdrücke darstellen, beruht auf der Art und Weise, wie sich Menschen kog-nitiv gegenüber ihrer Welt verhalten (müssen). Die Bildung relativ einfacher lexikalischer Einheiten, wie Morpheme oder Stämme, auf der Grundlage ge-stalthafter Wahrnehmungen ist möglich, weil wir über die Fähigkeit verfügen, solche Gestalten zu analysieren, zu vergleichen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erkennen etc. In komplementärer Weise sind wir in der Lage, aus Einheiten Komplexe zu fügen und diese, wenn wir sie häufi g verwenden oder sie uns häufi g begegnen, als Konstruktionen im Langzeitgedächtnis zu bewahren. All dies sind allgemeine und im Wesentlichen angeborene kognitive Fähigkeiten, die uns u. a. auch ermöglichen, in bestimmter Weise eine Sprache zu erwerben.

Lexikalische Einheiten werden aufgrund sprachlicher Erfahrungen gebildet; anders als die kognitiven Grundfähigkeiten sind sie nicht genetisch determiniert. Dies gilt für einfache substanzielle Einheiten ebenso wie für komplexe sche-matische. Daraus folgt, dass auch die von Langacker postulierten kategorialen S-, V-, ADJ- und PRTC-Schemata erlernt sind. Sie sind, wie alle sprachlichen Elemente, zeichenhafter Natur, also Paarungen phonologischer Form und kon-zeptuellen Inhalts. Den konzeptuellen Pol beschreibt Langacker ausführlich (s.o). Über die Formseite der Kategorienschemata hingegen äußert er sich eher beiläufi g in einer Fußnote:

What about the phonological pole? Perhaps we can say that a prototypical noun comprises a segment sequence containing at least one syllable. And for the class of nouns as a whole? There is probably no specifi c phonological trait that all nouns share without exception, in which case the noun-class schema is maximally sche-matic (essentially vacuous) at the phonological pole. This should not be considered odd: although nouns are symbolic elements, their crucial distinguishing property is a semantic one. (Langacker 200: 378 f.)

Tatsächlich lässt sich mit Langacker die Universalität von Kategorienschemata nur behaupten, wenn man deren phonologische Komponente als vollkommen unbestimmt (/.../) betrachtet, wie dies oben in Abbildung 3.26 angedeutet ist. Diese Annahme ist jedoch „merkwürdiger“ und problematischer, als es Lang-acker wahrhaben möchte, was allein schon aus der Tatsache erhellt, dass man für „noun“ in dem obigen Zitat jede beliebige andere lexikalische Kategorie und eine Reihe grammatischer Kategorien (z. B. Subjekt oder Satz) einsetzen könnte, ohne die Angemessenheit der Feststellung zu beeinträchtigen. Zwar geht Langacker auch in anderen Fällen davon aus, dass der phonologische Pol einer Konstruktion abstrakt ist (z. B. im Fall des Transitiv-Schemas /NP V NP/). Doch handelt es sich dabei um symbolisch komplexe Gestalten, d. h. um verfestigte Montagen einfacherer und schließlich einfachster Elemente, die eine konkrete phonologische Form aufweisen.

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Auch mag man einräumen, dass die Abstraktheit der Schemata in Hinblick auf ihre formale Seite einem Sprecher, der bereits über sie verfügte, keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten würde. Der phonologische Gehalt kategorial bestimmter Einheiten, unabhängig davon, ob sie als verinnerlichte Gestalten im mentalen Lexikon gespeichert oder als jeweils aktuelle Verknüp-fungen eines Kategorienschemas mit einem Stamm „on-line“ im Diskurs ge-bildet werden, würde dann vonseiten durch das Wissen um die lautliche Form des lexikalischen Stamms so beigesteuert, wie dies Abbildung 3.25 für das Substantiv /yellow/ rekonstruiert.

Das entscheidende Problem jedoch wirft die Frage auf, wie ein Sprecher die in konzeptueller Hinsicht unterschiedenen, jedoch phonologisch gleichermaßen leeren symbolischen Schemata erwerben könnte. Zwar refl ektieren Schemata, wie Langacker dies auch immer wieder hervorhebt, grundlegende kognitive Fähigkeiten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie als bipolare phonologisch-se-mantische Einheiten auf der Ebene des Lexikons ohne äußeren Einfl uss entstehen oder vorhanden sind. Dieser Vorschlag ist schon allein deshalb inakzeptabel, weil Fähigkeiten Entitäten ganz anderer Art sind als lexikalische Einheiten, ein direktes Abbildungsverhältnis zwischen diesen beiden also nicht bestehen kann. Stattdessen erscheint es plausibel, die kognitiven Fähigkeiten in dem Sinn als bestimmend für die Bildung lexikalischer Einheiten zu betrachten, dass sie gleichsam Filter oder Raster darstellen, durch die hindurch sprachli-che Phänomene beim Sprechen und Verstehen (aber auch bei der sinnlichen Wahrnehmung) analysiert und interpretiert werden. Die Struktur und Form der so gebildeten Einheiten ist also durch den kognitiven Apparat bestimmt, nicht aber ihre Substanz.

Die Bildung lexikalischer Einheiten ist ein Prozess der Dekontextualisierung und Abstrahierung auf der Basis wiederkehrender Diskurserfahrungen. Der Aus-gangspunkt solcher Erfahrungen ist notwendigerweise die Wahrnehmung von Äußerungen, d. h. der eines phonetischen Phänomens. Phonetische Phänomene, die identisch sind, die kein relevantes Merkmal unterscheidet, können nicht als Ausdrucksseiten zweier unterschiedlicher Zeichen erlernt werden. Wenn aber, wovon Langacker offenbar ausgeht, der phonologische Pol aller Kategoriensche-mata ganz und gar unbestimmt ist, bedeutet dies umgekehrt, dass jede beliebige phonetische Form jedes beliebige Schema realisieren kann.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Kategorienschemata in der von Langacker angesetzten Form weder angeboren sein noch erworben werden können. Beide Annahmen führen theorieintern zu Widersprüchen. Da es sich andererseits um die einzigen denkbaren Alternativen handelt, muss die Schwie-rigkeit im Bereich anderer Prämissen begründet liegen. Am problematischsten erscheint dabei die Annahme, Kategorienschemata seien phonologisch leer. Gibt man diese auf, stellt sich allerdings die Frage nach der phonologischen Form kategorialer Schemata.

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3.4.2.8 Kategoriale Schemata vs. kategorial implikative Schemata

Die bisherigen Ausführungen lassen bereits eine Reihe allgemeiner Schlussfol-gerungen zu: Schemata, die phonologisch zumindest teilweise substanziell, d.h. lautlich konkret sind, sind nicht universell. Jede Sprache verfügt über mehrere Verfahren, einzelne sprachlich relevante kognitive Fähigkeiten zu realisieren und die damit korrelierenden Diskursfunktionen zum Ausdruck zu bringen. Für das Deutsche ist also nicht das N- (V-, ADJ- etc.) Schema zu erwarten, eine Reihe von N- (V-, ADJ- etc.) Schemata. Und schließlich haben die Untersuchungen der Diskursfunktionalisten deutlich gemacht, dass sich auch hinsichtlich des Verhält-nisses zwischen lexikalischen Stämmen und kategorial bestimmten Schemata Prototypeneffekte beobachten lassen. Es gibt also wenige sprachliche Mittel, die für den Ausdruck bestimmter Funktionen absolut notwendig sind, jedoch kommen bestimmte Verfahren häufi ger zur Anwendung und weisen eine höhere funktionale Indikativität oder Signalstärke (cue validity) auf als andere.

Es gilt also nun zu bestimmen, welcher Art die kategorialen Schemata sind, die Sprecher des Deutschen erwerben. Die Semantik dieser Schemata muss die Strukturen einschließen, die Langacker als unterschiedliche Formen der Profi lierung vor dem Hintergrund einer kognitiven Basis beschreibt und die in universellen kognitiven Fähigkeiten von Gegenstandsbezug und Gegenstands-bestimmung gegründet sind. Auf der formalen Seite der Schemata sollten all die Merkmale zu fi nden sein, die man mit Langacker als „Symptome“ für die Kategorialität des Zeichens oder mit Hopper und Thompson als Mittel zum Ausdruck einer bestimmten Diskursfunktion bezeichnen könnte. Hierzu gehören im Deutschen Flexionsmorphologie und Konstituentenstellung, in geringerem Maße auch Derivationsaffi xe, und für die Substantive das, was Seiler (1988: 11) die Mittel der „Determination im weiteren Sinne“ (z. B. Relativierung, Attribuierung) nennt.

Abb. 3.27: Die N-Kategorialität deutscher Pluralschemata (in Anlehnung an Köpcke 1993: 8 ff.)

Da alle diese grammatischen Verfahren nicht unilateral formaler, d. h. rein aus-drucksseitiger, sondern semiotischer Natur sind, also eine Zeichenform mit einer Bedeutung assoziieren, lassen sich die kategorialen konzeptuellen Strukturen

/di:_(e)n/ /di:_s/ /di:_en/

………

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Langackers als eine Komponente ihres semantischen Pols betrachten. Anders als dies Langacker nahelegt, bilden diese Komponenten dann allerdings keine eigenständigen bilateralen Schemata. Dies lässt sich am Beispiel einiger von Köpckes Pluralschemata des Deutschen und ihrer konkreten Instanziierungen illustrieren, wie sie oben in Abbildung 3.27 dargestellt sind.

Beispiele für Instanziierungen dieser drei Schemata sind etwa /die lampen/, /die dosen/ bzw. /die briefe/ bzw. /die autos/. Die Schemata sind hier als komplexe Zeichen aufgefasst, die die Mehrzahligkeit von „Dingen“ profi lieren (s. fette Umrandung) und durch eine Reihe unterschiedlicher phonologischer Strukturen zum Ausdruck bringen. Eine notwendige Komponente ihrer Bedeutung ist ge-rade diejenige konzeptuelle Struktur, die Langacker als semantischen Pol seines phonologisch leeren N-Schemas angibt. Pluralität impliziert also Dingbezug in Langackers abstraktem Sinn von „Ding“ (region in some domain). Ähnliches lässt sich auch für die Kasus- und für Flexionsschemata im Allgemeinen feststel-len. So erscheint es nicht überraschend, dass sich im Deutschen wie in anderen Sprachen eigenständige bilaterale Kategorienschemata des Langacker’schen Typs nicht fi nden.

Dabei ist kein prinzipielles Hindernis auszumachen, das der Bildung sol-cher Einheiten im Wege stünde. Im Deutschen und in Sprachen vergleichbaren Typs wären sie jedoch redundant. Prototypische Verben und Substantive sind fl ektiert und damit verbal oder nominal markiert. Bei nicht-prototypischen Instanziierungen lexikalischer Stämme mit prädikativer bzw. referenzieller Verwendungsprädisposition, wie z. B. bei Bestimmungselementen von Kom-posita (Lauffeuer, Flughafen), im Kontext von Funktionsverbgefügen (infrage/in Frage stellen) oder bei (partiell) grammatikalisierten Präpositionalphrasen (zur Zeit/zurzeit; auf Grund von NP

DAT/aufgrund NP

GEN), erscheint das Fehlen klarer

kategorialer Markierungsmittel, insbesondere von Flexionsaffi xen, durchaus im Einklang mit ihrer nicht-referenziellen und nicht-prädikativen Funktion. So ist festzustellen, dass die Kategorienschemata gerade bei den Formen erwartbar wären, die Prädikativität bzw. Referenzialität mittels ihrer morphosyntaktischen Merkmale ohnehin zum Ausdruck bringen; gerade hier wären sie aber auch im höchsten Maße redundant.

Zuletzt war wieder ausschließlich von (prototypischen) Substantiven und Verben und den für sie charakteristischen Schemata die Rede. Die Gründe für die Fokussierung gerade dieser beiden Kategorien bringen eine weitere Schwie-rigkeit für die Annahme mit sich, lexikalische Einheiten seien mit universellen phonologisch leeren Kategorienschemata verknüpft. Langacker kann nämlich auch nur für Substantive und Verben kognitive Fähigkeiten angeben, die sie in mehr oder weniger direkter Form refl ektierten und dadurch universelle Gültig-keit erlangen (Langacker 1987b). Daraus ist aber selbstverständlich nicht zu schließen, dass das Lexikon in lediglich zwei Klassen zerfällt. Und tatsächlich

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defi niert Langacker ja auch sowohl Adjektiv- als auch Partizipial-Schemata und veranschaulicht sie, wie oben referiert, z. B. anhand des lexikalischen Stamms /yellow/.

Weder Adjektiv noch Partizip sind jedoch universelle lexikalische Katego-rien. Stattdessen stehen sie für Verfahren der Mitglieder bestimmter Sprechge-meinschaften, einen bestimmten Ausschnitt des Spektrums zwischen idealer Thematizität und idealer Prädikativität mittels bestimmter morphosyntaktischer Markierungen zu symbolisieren. Gerade Langackers Darstellung der vier Pro-fi lierungsformen in Abbildung 3.25 führt, wenn man die Abbildungen in der Reihenfolge (a) > (b) > (d) > (c) liest, den Charakter von Adjektivität und Par-tizipialität als Übergangsstufen zwischen Nominalität und Verbalität vor Augen. Je näher man dem Verbalitätspol kommt, desto stärker werden Relationalität und Zeitlichkeit der Zeicheninhalte profi liert, tritt der Gegenstandsbezug in den Hintergrund, wo er sich jedoch nicht völlig aufl öst, sondern als eine Hin-tergrundkomponente eine wichtige Funktion ausübt. Während die Endpunkte des konzeptuellen bzw. funktionalen Kontinuums universell sind, was der Universalität der Kategorien Substantiv und Verb entspricht, „unterteilen“ die Sprachgemeinschaften der Welt das sich dazwischen aufspannende Kontinuum in unterschiedlichen Weisen, indem sie unterschiedliche formale Verfahren ver-wenden, um Abschnitte des Kontinuums zu grammatikalisieren.

Somit ist, bezogen auf das Englische und das Deutsche, zumindest für Lang-ackers ADJ- und PRTC-Profi le klar, dass die Sprecher die entsprechenden Sche-mata erlernen müssten. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn sie phonologisch leer sind, was noch einmal vor dem Hintergrund der bereits zitierten funktiona-listischen Grundannahme deutlich wird, die Langacker selbst formuliert:

I maintain that the grammatical behavior of the noun or verb class is best regarded as SYMPTOMATIC of its semantic value. (Langacker 1987b: 54 f.)

Für Langacker äußert sich „grammatisches Verhalten“ in grammatischen Kon-struktionen. Grammatische Konstruktionen, wie alle sprachlich relevanten Ein-heiten, gelten im Rahmen der Cognitive Grammar als Paare aus konzeptuellem Inhalt und phonologischer Form. Spracherwerb setzt die verstehende Beteiligung an Diskursen voraus. Dabei sind die Sprachlerner, wie Hörer allgemein, darauf angewiesen, dass ihre Interaktionspartner sich in einer Weise äußern, die sich als phonetisch-phonologisches „Symptom“ für das von ihnen Gemeinte inter-pretieren lässt. Ein phonologisch leeres Zeichen – wenn sich dieser Begriff überhaupt widerspruchsfrei bilden lässt – kann eine solche symptomatische Wirkung nicht entfalten. Es zu erwerben ist daher unmöglich. Eine Einheit, die nicht erworben werden kann, kann aber keine Einheit des sprachlichen Wissens, des mentalen Lexikons sein.

Am Ende dieser Argumentationskette steht die Folgerung, dass eine Theorie, die die Kategorisiertheit von Einheiten des mentalen Lexikons als deren Instan-

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ziierung in relativ einfachen, aber abstrakten kategorialen Schemata betrachtet, nicht widerspruchsfrei möglich ist. Dieses Verdikt bezieht sich nicht auf den konstruktionsgrammatischen Schemaansatz insgesamt. Es ist Langackers Prämisse, Kategorienschemata seien phonologisch leer, die große Probleme aufwirft. Diese scheinen mir jedoch innerhalb des von der Cognitive Grammar defi nierten theoretischen Rahmens vermeidbar, wenn man, wie hier geschehen, davon ausgeht, dass Kategorialität nicht in der Einheit eines eigenständigen symbolischen Schemas unmittelbar mit einer phonologischen Form assoziiert ist, sondern eine Teilkomponente der konzeptuellen Seite unterschiedlicher grammatischer Konstruktionen ist. Langackers Annahme einer relativ kleinen Anzahl von universellen Kategorienschemata ist also aufzugeben zugunsten des Konzepts der kategorialen Implikativität einer Vielzahl einzelsprachspezifi scher grammatischer Schemata.117

3.4.3 Konzeptualistische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung

Die Vorstellung, Klassen von Wörtern müssten sich analog zu den Klassen von Entitäten unterscheiden lassen, die mit ihnen bezeichnet werden können, ist unmittelbar plausibel. Die Rede von Ding-, Tätigkeits-, Eigenschaftswörtern etc. ist im Alltag und selbst im Schulunterricht durchaus geläufi g. Dass diese alltagsweltliche Sichtweise einen Kern in sich trägt, der auch einer theoreti-schen Prüfung stand hält, wurde in den vorangegangenen Abschnitten deutlich: Dinglichkeit, Gegenstandskonstitution und Gegenstandsbezug einerseits und Prozesshaftigkeit, Gegenstandsbestimmung und Prädikation andererseits sind Konzepte, kognitive Fähigkeiten und Diskursfunktionen, die ihre Basis in der universellen kognitiven Grundausstattung des Menschen fi nden. Diese bildet

117 Diese Schlussfolgerung stimmt mit den Annahmen überein, die Köpckes Schemaansatz zugrunde liegen. Es wäre in dessen Rahmen nämlich durchaus möglich gewesen, ein einziges abstraktes Pluralschema, das das oben explizierte konzeptuelle Pluralprofi l (Abb. 3.27) mit einer maximal abstrakten (d. h. im Grunde: mit keiner) phonologischen Form assoziiert ist. Stattdessen geht Köpcke von einer Reihe unterschiedlicher, aber phonetisch konkreter Schemata aus, die unterschiedlich zentrale/periphere Mitglie-der der radialen Kategorie Pluralschema darstellen. Ein solches Vorgehen ist auch für die kategorial implikativen Schemata nahe liegend (mit den Tempus- und den Pluralschemata als Beispiele für prototypische Fälle).

Hieran schließt sich die – an dieser Stelle nicht weiter zu verfolgende – Über-legung an, ob das skizzierte Argument und die Skepsis gegenüber der Einführung phonologisch abstrakter Schemata nicht auf die Analyse von Konstruktionen aller Art ausgeweitet werden müsste, also z. B. auch auf die Annahme einer abstrakten Transitivkonstruktion [NP V

FIN NP].

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ein Raster und richtet die Perspektive aus, die unsere kognitive und damit auch unsere sprachliche Beziehung zur Welt in wesentlichen Zügen bestimmt.

Dass lexikalische Kategorien konzeptuelle oder gar ontische Kategorien refl ektieren, ist die Grundannahme vieler sprachtheoretischer Konzeptionen seit Platons Kratylos und Aristoteles’ Kategorienschrift. Damit setzen sie sich bereits auf der ersten Stufe der Refl exion über Sprache von Auffassungen ab, die (I) Sprache als autonomes Modul innerhalb der Kognition, (II) Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik als autonome Module innerhalb der Sprache und (III) lexikalische Kategorisierung als arbiträren, unmotivierten Strukturaspekt von Sprachen betrachten.

Sämtliche konzeptualistischen Vorschläge – wie auch die hier zu vernachläs-sigenden ontologischen – sehen sich mit den gleichen Fragen und Problemen konfrontiert:

– Weder die Welt bzw. unser Bild von ihr noch die Elemente einer Sprache (oder gar aller Sprachen) lassen sich in einer offensichtlichen Weise einer überschaubare Anzahl konzeptuell defi nierter Klassen zuordnen.

– Bei einigen Wörtern fällt die semantische Kategorisierung leicht (Frau, Stein, laufen, schenken), während sie bei anderen weit schwieriger und/oder im Widerspruch zu nicht-semantischen sprachlichen Intuitionen zu stehen scheint (Lauf, Liebe, Salz, passen, verharren).

– Eine konzeptualistische Vorgehensweise leuchtet zunächst einmal für die so genannten „Inhaltswörter” ein, für die klassischen „Hauptwortarten”. Wie aber sind die „Funktionswörter” zu behandeln, denen traditionell keine semantische, sondern eine grammatische Funktion zugeschrieben wird?

– Selbst wenn man die semantische Analyse auf die Inhaltswörter beschränken möchte, setzt dies die Möglichkeit einer klaren Grenzziehung zwischen diesen und den Funktionswörtern voraus. Eine solche gelingt jedoch nicht. Viele Präpositionen und Konjunktionen drücken zusammen mit ihrer grammati-schen, z. B. Kasus zuweisenden, Funktion auch konzeptuelle Bedeutungen aus, vor allem lokale (auf, vor) und temporale (nachdem, seit). Einige davon sind noch aufgrund von Homophonie-Beziehungen und im Kontrast zu mor-phosyntaktischen Varianten als Produkte von Grammatikalisierungsprozessen zu erkennen (während; nahe (Wien)/nahe bei (Wien)). Andererseits ist die Valenz eine grammatische Eigenschaft von Inhaltswörtern, vor allem von Verben.

– Eine weitere Komplikation ergibt sich, wenn man versucht, die grammati-schen Wörter (Artikel, Präpositionen, viele so genannte Partikel etc.) von den grammatischen Verfahren (z. B. Prosodie, Wortstellung, Flexion, Derivation etc.) einer Sprache zu unterscheiden, d. h. die Funktionswörter als Einheiten des Lexikons den Regeln und Prinzipien der Grammatik entgegenzustellen. Vom konzeptualistischen Standpunkt aus fällt es schwer, Artikel gegen Fle-xionsmorpheme, Präpositionen wie nach und zu (in nach Hause/zu Hause)

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gegen Kasusmarkierungen oder Hilfsverb+Partizip-Konstruktionen (beim deutschen Perfekt) gegen synthetische Tempusformen als Phänomene ab-zugrenzen, von denen die einen das Lexikon, die anderen die Grammatik repräsentieren.

Zwei Konzeptionen lexikalischer Kategorisierung, die im Kontext konzep-tualistischer Sprachtheorien stehen, wurden hier rekonstruiert und eingehend erörtert: die von Anton Marty und die auf seinen Vorschlag aufbauenden Ernst Otto und Hans Pollak sowie die Ronald W. Langackers. Marty kann als einer der ersten gelten, die auf der Basis der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert entwickelnden Psychologie, vor allem derjenigen seines Lehrers Franz Brentano (1971 [1874]), eine moderne kognitive Theorie sprachlicher Kategorisierung formuliert. Diese Modernität erweist sich unter anderem darin, dass rund 70 Jahre nach Martys einschlägiger Veröffentlichung (1908) im Paradigma der Kognitiven Linguistik viele seiner und seiner Nachfolger wesentlichen Gedanken in einem anderen, vor allem durch die Auseinandersetzung mit dem Generativismus geprägten wissenschaftlichen Diskussionskontext neu formuliert wurden.

Langacker ist zweifellos einer der prominentesten und originellsten Prota-gonisten der Kognitiven Linguistik. Als solcher steht er mit seinen für die hier verhandelten Probleme lexikalischer Kategorisierung relevanten Ansichten nicht allein, sondern stellvertretend für ein ganzes kognitionswissenschaftli-ches Paradigma.

Die frühen wie die zeitgenössischen Vertreter der Kognitiven Linguistik erkennen die oben skizzierten Probleme an, beanspruchen jedoch, sie im Rah-men ihrer kognitivistischen Überzeugungen zu lösen. Das für ihr Festhalten am Konzeptualismus ausschlaggebende Argument ist im Grunde seit der Antike dasselbe geblieben und lautet in zugespitzter Form: Sprache ist Kognition. Kognition im Allgemeinen ebenso wie Sprache im Besonderen sind integrativ, nicht-modular strukturiert. Wie wir uns sprachlich auf die Welt beziehen bzw. Welt konstruieren können, hängt ebenso wie unsere Techniken, sprachlich miteinander zu interagieren, in den Grundzügen von unseren angeborenen ko-gnitiven Fähigkeiten und Strukturen ab. Daher müssen sprachliche Kategorien konzeptuelle Kategorien refl ektieren.

Von diesen Annahmen ist unter denen, die sprachliche Strukturen und Pro-zesse für kognitive Strukturen und Prozesse halten, nur eine, allerdings die grundlegende, kontrovers: der Integratismus oder Anti-Modularismus. Und tatsächlich defi niert diese Annahme, für deren Plausibilität auch in der hier vorgestellten Studie verschiedendlich argumentiert wurde, eine Paradigmen-grenze, über die hinweg ein argumentativer Austausch offenbar nur schwer möglich ist (vgl. Weber 2007).

Am Ausgangspunkt dieses Kapitels 3 war kaum zu erwarten gewesen, dass eine konzeptualistische Herangehensweise an die Probleme lexikalischer Kategorisierung zu Ergebnissen führen würde, die mit denen aus diskursfunk-

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tionaler Perspektive gewonnenen wo nicht identisch, so doch kompatibel er-scheinen und als in einem Ergänzungsverhältnis zu ihnen stehend. Zu Beginn hatten sich zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen als grundsätzlich mögliche abgezeichnet (s. o. Abb. 3.1): Die Kategorisierung lexikalischer Einheiten könnte das Ergebnis der Abstraktion von grammatischen Eigenschaften sprachlicher Formen im Satz bzw. im Diskurs sein oder ein Refl ex allgemeiner kognitiver Kategorien. Am Ende der hier gebotenen systematischen Rekonstruktion theoretischer Standpunkte hat sich die prinzipielle Unterscheidung zwischen grammatischen und konzeptualistischen Ansätzen durchaus bewährt. Bezogen auf eine Theorie lexikalischer Kategorisierung hat sich jedoch gezeigt, dass es sich dabei nicht um einander ausschließende Auffassungen handelt, sondern um solche, die, von unterschiedlichen Ausgangspunkten ausgehend, auf ein gemeinsames Ergebnis hin konvergieren.

Vor diesem Hintergrund wäre es nicht sinnvoll, die spezifi sch konzeptualistische Sichtweise lexikalischer Kategorisierung zusammenfassen zu wollen, wie sie anhand der Positionen Martys, Ottos, Pollaks und Langackers expliziert wurde. Stattdessen lässt sich am Ende des Kapitels eine übergreifende funktionalistische Konzeption lexikalischer Kategorisierung als Schlussfolgerung aus Prämissen formulieren, die sowohl Diskursfunktionalisten als auch Konzeptualisten als konsequenteste Vertreter der grammatischen bzw. der semantischen Auffassung teilen.

3.5 Fazit: Lexikalische Kategorisierung im Spannungsfeld zwischen Konzeptualität und Diskursfunktionalität

In Kapitel 2 habe ich die verschiedenen Facetten des Themas lexikalische Kategorisierung im Deutschen sichtbar gemacht, indem ich eine Reihe von in diesem Zusammenhang relevanten Begriffen untersuchte und die mit ihrem Gebrauch einhergehenden Präsuppositionen explizierte. Zu diesen zentralen Konzepten gehören Wort, Redeteil, lexikalische Kategorie, (eine) Sprache, Lexikon und Grammatik. Diese Untersuchung diente dem Zweck, ungeeignete Begriffe, irreführende Fragestellungen und theoretische Scheinprobleme mög-lichst früh als solche zu erkennen und von der Betrachtung auszuschließen. Vor allem aber sollte herausgearbeitet werden, welche derjenigen theoretischen Pro-bleme ungelöst geblieben sind und eine erneute Untersuchung rechtfertigen, die Philosophen, Sprach- und Kognitionswissenschaftler seit der Antike im Hinblick auf lexikalische Kategorisierung aufgeworfen haben. Zu diesen Prolegomena gehörte auch die Gewinnung und Rechtfertigung der individualkognitiven Forschungsperspektive, die im Grunde genommen schon in Humboldts (1988:

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tionaler Perspektive gewonnenen wo nicht identisch, so doch kompatibel er-scheinen und als in einem Ergänzungsverhältnis zu ihnen stehend. Zu Beginn hatten sich zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen als grundsätzlich mögliche abgezeichnet (s. o. Abb. 3.1): Die Kategorisierung lexikalischer Einheiten könnte das Ergebnis der Abstraktion von grammatischen Eigenschaften sprachlicher Formen im Satz bzw. im Diskurs sein oder ein Refl ex allgemeiner kognitiver Kategorien. Am Ende der hier gebotenen systematischen Rekonstruktion theoretischer Standpunkte hat sich die prinzipielle Unterscheidung zwischen grammatischen und konzeptualistischen Ansätzen durchaus bewährt. Bezogen auf eine Theorie lexikalischer Kategorisierung hat sich jedoch gezeigt, dass es sich dabei nicht um einander ausschließende Auffassungen handelt, sondern um solche, die, von unterschiedlichen Ausgangspunkten ausgehend, auf ein gemeinsames Ergebnis hin konvergieren.

Vor diesem Hintergrund wäre es nicht sinnvoll, die spezifi sch konzeptualistische Sichtweise lexikalischer Kategorisierung zusammenfassen zu wollen, wie sie anhand der Positionen Martys, Ottos, Pollaks und Langackers expliziert wurde. Stattdessen lässt sich am Ende des Kapitels eine übergreifende funktionalistische Konzeption lexikalischer Kategorisierung als Schlussfolgerung aus Prämissen formulieren, die sowohl Diskursfunktionalisten als auch Konzeptualisten als konsequenteste Vertreter der grammatischen bzw. der semantischen Auffassung teilen.

3.5 Fazit: Lexikalische Kategorisierung im Spannungsfeld zwischen Konzeptualität und Diskursfunktionalität

In Kapitel 2 habe ich die verschiedenen Facetten des Themas lexikalische Kategorisierung im Deutschen sichtbar gemacht, indem ich eine Reihe von in diesem Zusammenhang relevanten Begriffen untersuchte und die mit ihrem Gebrauch einhergehenden Präsuppositionen explizierte. Zu diesen zentralen Konzepten gehören Wort, Redeteil, lexikalische Kategorie, (eine) Sprache, Lexikon und Grammatik. Diese Untersuchung diente dem Zweck, ungeeignete Begriffe, irreführende Fragestellungen und theoretische Scheinprobleme mög-lichst früh als solche zu erkennen und von der Betrachtung auszuschließen. Vor allem aber sollte herausgearbeitet werden, welche derjenigen theoretischen Pro-bleme ungelöst geblieben sind und eine erneute Untersuchung rechtfertigen, die Philosophen, Sprach- und Kognitionswissenschaftler seit der Antike im Hinblick auf lexikalische Kategorisierung aufgeworfen haben. Zu diesen Prolegomena gehörte auch die Gewinnung und Rechtfertigung der individualkognitiven Forschungsperspektive, die im Grunde genommen schon in Humboldts (1988:

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418) Begriff des „jedesmaligen Sprechens“ angelegt ist und ganz emphatisch von Hermann Paul (1995: 39) eingenommen wird.

Zu den Ergebnissen dieser Überlegungen gehörte auch die Feststellung, dass das sprachtheoretische Problem lexikalischer Kategorisierung (der Wortarten, der Redeteile) von jeher darin besteht, zu klären, wie die beiden sprachlichen Grundkomponenten, Lexikon und Grammatik miteinander in Beziehung stehen. Die Prozesse lexikalischer Kategorisierung erwiesen sich dabei als Teil der Gesamtdynamik von mentalen Lexika individueller Sprecher.

Von dem so gewonnenen Ausgangspunkt aus ergaben sich eine Reihe von Fragen nach dem Wesen lexikalischer Kategorien und den ihnen zu Grunde lie-genden Unterscheidungskriterien, nach ihrer internen Struktur und ihrer wechsel-seitigen Abgrenzung, nach der Dynamik lexikalischer Kategorisierung und nach dem Verhältnis zwischen der monadischen Individualität sprachlichen Wissens und der sozialen Inter- oder gar Superindividualität sprachlicher Interaktion.

Diese Fragen konnten durch reine Begriffsexplikation nicht beantwortet wer-den. Da sie jedoch – und dies gilt im vorliegenden Fall der „Grundlage unseres ganzen Gebäudes der Grammatik“ (Schmidt 1973: 39) mit seiner 2500-jährigen Forschungstradition mehr als für die meisten anderen Themen – nicht zum ersten Mal gestellt wurden, bestand der nächste notwendige Schritt darin, bei Autoren von Platon bis in die Gegenwart nach Antworten zu suchen. Dabei konnte es sich nicht um eine chronologische Nachzeichnung der Forschungsgeschichte als kontinuierliche Folge wissenschaftlicher Fortschritte innerhalb eines kohärenten Diskurses handeln. Zum einen liegen bereits eine Reihe summarischer Aufar-beitungen vor (u. a. von Brøndal 1948; Robins 1966; umfangreiche Abschnitte in Arens 1969; Kaltz 1983; Knobloch 1988b,c,d; Borsche 1989; Splett 2002).

Zum anderen jedoch ist der wissenschaftliche Diskurs über lexikalische Kategorisierung weder ein kontinuierlich fortschreitender, noch ein einheitli-cher. So lassen sich von unserem Standpunkt vor allem seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts mehrere Teildiskurse beobachten, deren Teilnehmer von je eigenen Prämissen und Fragestellungen ausgehen und nur begrenzt über die Paradigmengrenzen hinweg kommunizieren.

Zudem ist festzustellen, dass grundlegende Probleme, begriffl iche Unter-scheidungen und Einsichten, die uns auch heute zu denken geben, bereits in den antiken Schriften formuliert oder doch angelegt sind. Wissenschaftlicher Fortschritt besteht hier also nicht so sehr im Denken des so noch nie Gedach-ten, sondern darin, die Einsichten zurückliegender Generationen als solche zu erkennen und im eigenen aktuellen Forschungs- und Diskussionszusammenhang fruchtbar zu machen. Dass dabei gelegentlich das sprichwörtliche Rad zum wiederholten Mal neu erfunden wird, zeigt das Beispiel Anton Martys, dessen Sprachauffassung im Rückblick als erster, aber weitgehend folgenlos gebliebe-ner Schritt in Richtung hin auf eine Konstruktionsgrammatik betrachtet werden kann, wie sie gegenwärtig von Langacker, Croft und anderen im Paradigma der Kognitiv-Funktionalen Linguistik vertreten wird.

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Das Bemühen, die sich im Zusammenhang einer Untersuchung lexikali-scher Kategorisierung stellenden Fragen zu beantworten, erfolgte daher in der Form einer systematischen Rekonstruktion der Forschungsgeschichte. Der erste Schritt (3.1) bestand darin zu klären, welche theoretischen Auffassungen überhaupt möglich sind. Dass es sich dabei um eine überschaubare Anzahl von Vorgehensweisen handeln würde, folgte schon aus der Beobachtung, dass es bei aller Verschiedenheit der Ansätze über die Jahrhunderte hinweg im Grunde stets semantische, morphologische, syntaktische und/oder – in jüngerer Zeit – diskursfunktionale Kriterien sind, die zur Unterscheidung der Kategorien herangezogen werden. Bei genauerem Hinsehen lassen sich diese lediglich zwei Vorgehensweisen zuordnen: Lexikalische Kategorien spiegeln entweder Kate-gorien außerhalb der Sprache wider, der Kognition und/oder des Seins, oder sie re ektieren Kategorien auf einer sprachlichen Ebene außerhalb des Lexikons, der Grammatik, d. h. des Verhaltens sprachlicher Einheiten in Zusammenhang des Satzes bzw. des Diskurses:

Mit dieser Unterscheidung, die im Hinblick auf Abbildung 3.28 (= Abb. 3.1) als die zwischen vertikaler und als horizontaler Kategorisierung zu beschreiben ist, war gleichsam der logische Raum vermessen, innerhalb dessen lexikalische Kategorisierung erfolgen und entsprechend bestimmt werden kann, und somit auch die Grundstruktur für die eigentliche Sichtung der Forschungsliteratur vorgezeichnet. Bevor aber unterschiedliche grammatische und anschließend konzeptualistische Ansätze miteinander in Beziehung gesetzt und ihre Ant-worten auf die gestellten Forschungsfragen hin überprüft wurden, erfolgte ein Rückblick auf die Anfänge des Kategoriendiskurses (3.2), die bei Platon und in differenzierterer Form bei Aristoteles zu nden sind.

Abb 3.28: Die beiden möglichen Ansätze für eine De nition lexikalischer Kategorien (s. Abb. 3.1)

Die Kategorienschrift und die Hermeneutik als die für die Linguistik ein uss-reichsten aristotelischen Schriften sind weder ohne weiteres als auf einander bezogene Teile einer kohärenten Gesamtkonzeption zu lesen, etwa im Verhältnis

Lexikon Grammatik

grammatische Ansätze

ⓐ Ontologisch-konzeptuelle Ansätze nehmen Bezug auf das VerhältnisSprache–Denken–Sein.

ⓑ Grammatische Ansätze nehmen Bezug auf das VerhältnisLexikon–Grammatik(in einem weiten Sinn).

ontologisch-konzeptuelleAnsätze

ⓐ` ⓐ``

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einer Lexikologie (Teilelehre) zu einer Grammatik (Verknüpfungslehre), noch überhaupt als Beiträge zu einer Sprachtheorie. Und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – war die erneute Auseinandersetzung mit diesen Texten ge-rechtfertigt. Gleich zu Beginn des wissenschaftlichen Diskurses über lexikalische Kategorisierung vereinen sie im Werk eines einzigen Autors die wesentlichen Positionen, Begriffe und Probleme, die in den folgenden Jahrtausenden theo-retische Debatten und Paradigmengrenzen defi nieren. Mit der ausführlichen Rekonstruktion der Auffassung des Aristoteles verband sich die Aussicht auf die Möglichkeit einer Konzeption, die im Kontext des sprachwissenschaftlichen Diskurses der Gegenwart eine Synthese der beiden Sichtweisen darstellt und dabei die Schwächen der schulgrammatischen Klassifi kation vermeidet.

Den gemeinsamen aristotelischen Wurzeln sowohl der grammatischen als auch der konzeptualistischen Auffassung entspricht die bis heute für viele Zwecke bewährte Mischklassifi kation der Redeteile von Dionysios Thrax. Die Frage Ivos und Schlieben-Langes (1989: 11), „ob die traditionellen Wort-artdistributionen nicht gerade zentrale Einsichten in das Funktionieren von Sprache enthalten“, kann also in konkreter Weise bejaht werden. Die sich in der Schulgrammatik ausdrückende Einsicht ist darin zu sehen, dass lexikalische Kategorisierung eine sowohl grammatische als auch konzeptuelle Basis hat. Diese Einschätzung neutralisiert aus theoretischer Perspektive jedoch nicht die bekannten Schwächen der schulgrammatischen Konzeption. Aus eben diesem Grund bietet die Schulgrammatik auch keine befriedigenden Antworten auf die in dieser Studie verhandelten Fragen.

Nach der Beschäftigung mit den aristotelischen Grundlagen waren nun jün-gere grammatische und konzeptualistisch-semantische Ansätze einer Theorie lexikalischer Kategorisierung im Detail zu erörtern und damit die Höhe des gegenwärtigen Forschungstands zu erreichen.

Unter den in einem weiteren Sinn grammatischen Ansätzen (3.3) ließen sich, durchaus entlang der Grenzen traditioneller linguistischer Teildiszipli-nen, morphologische, syntaktische und pragmatische (diskursfunktionale) unterscheiden. Sie alle gehen davon aus, dass der Kategorialität lexikalischer Einheiten, Verknüpfungseigenschaften von Realisierungen dieser Einheiten im Satz bzw. im Diskurs zu Grunde liegen. Allerdings werden jeweils unterschied-liche grammatische Ebenen als hierfür maßgebend betrachtet. Demnach spiegelt die Zugehörigkeit zu einer Kategorie das Potenzial einer lexikalischen Einheit wider, sich mit Flexionsmorphemen zu Wortformen zu verbinden, morpholo-gisch markiert im Satz bestimmte syntaktische Positionen einzunehmen bzw. durch morphosyntaktische Merkmale im Zusammenhang kontextualisierter Äußerungen bestimmte kommunikative Funktionen zu realisieren.

Rein morphologisch orientierte Wortartenklassifi kationen, wie die von Süt-terlin (1923), Glinz (1973) oder van der Elst (1992), konnten schnell als theo-retisch irrelevant ausgeschlossen werden. Zum einen sind sie aus typologischer Perspektive überhaupt nur auf Sprachen mit ausgeprägter Flexionsmorphologie

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zu beziehen, was sie aus der hier vertretenen kognitiven Perspektive unplausibel macht. Ein gravierenderer Mangel besteht jedoch darin, dass sie keine oder zumindest eine äußert unzureichende Antwort auf die Frage nach dem Verhält-nis zwischen Lexikon und lexikalischen Einheiten einerseits und Grammatik und grammatischen Formen andererseits zu geben vermögen. Gerade in dieser Schnittstellenfunktion aber ist die zentrale Aufgabe einer Konzeption lexikali-scher Kategorisierung für die Linguistik insgesamt zu sehen.

Diese Kritikpunkte treffen weder (morpho-)syntaktische noch diskursprag-matische Auffassungen lexikalischer Kategorisierung. Darüber hinaus stimmen beide – in ihren jüngeren Varianten – darin überein, dass sie die Vorstellung einiger weniger nach außen diskreter, nach innen homogener lexikalischer Kategorien aufgeben. Wie sich diese Sichtweise von den distributionalisti-schen (Bloomfi eld 1933, Fries 1952; Bergenholtz/Schaeder 1977) Anfängen bis zum Minimalistischen Programm (Chomsky 1995; Radford 1998) und dem Kategorienverständnis Gisa Rauhs (1998, 1999, 2000, 2001) schrittweise herausgebildet hat, habe ich ausführlich nachvollzogen. So lässt sich aus den Perspektiven sowohl der zuletzt genannten generativen Ansätze als auch der Diskursfunktionalisten die Kategorialität lexikalischer Eigenschaften über-einstimmend als Verwendungspotenzial beschreiben, das auf einer größeren Anzahl morphosyntaktischer Eigenschaften sprachlicher Formen in Sätzen bzw. in kontextualisierten Äußerungen beruht.

Im Zentrum der folgenreichsten von mehreren Kontroversen zwischen den beiden grammatischen Ansätzen steht die Modularitätsfrage und die damit eng verknüpfte These von der Arbitrarität der Beziehung zwischen Zeichenform und Zeicheninhalt.118 Denn für die Formalisten, allen voran Chomsky, sind morphosyntaktische Merkmale von Wortformen lediglich konventionell und in arbiträrer Weise mit Bedeutungen und Funktionen assoziiert. Dagegen bilden sie gemäß funktionalistischer Überzeugung fundamentale Diskursfunktionen (teilweise) ikonisch ab und haben ihre konkrete formale Ausprägung über Ge-nerationen hinweg als Mittel zum Ausdruck spezifi scher Funktionen erlangt.

Auch hier ist der Gegensatz zwar theoretisch folgenreich, aber nicht so schroff, wie es das Begriffspaar arbiträr–ikonisch als alternative Charakterisierungen der Zeichenbeziehung nahe legt. Denn zum einen gehen auch Funktionalisten nicht davon aus, dass sich, selbst wenn man lange Zeiträume in Betracht zieht, alle Aspekte der sprachlichen Form – etwa der Kontrast zwischen deutsch

118 Auch dieser Dissens, der bis in die Gegenwart die linguistische und kognitionswis-senschaftliche Debatte bestimmt und weitgehend inkommensurable Paradigmen voneinander trennt, ist in der Antike im Werk eines einzigen Autors, hier Platons Kratylos, vorgeprägt, in dem die beiden konträren Positionen geradezu idealtypisch vertreten werden. Man kann in dem Gespräch zwischen Hermogenes, Kratylos und Sokrates den ersten Versuch einer ernsthaften und offenen Verständigung über die Paradigmengrenzen hinweg sehen.

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/baum/, englisch /tree/ und französisch /arbre/ – auf kommunikative Funktionen zurückführen lassen. Zum anderen ist offensichtlich, dass in einer konkreten Sprechsituation der „funktionale Druck“ auf die Form nur in dem Maße wirksam werden kann, in dem einem Sprecher mehrere Formvarianten zur Verfügung stehen. Da Sprecher jedoch nicht in erster Linie die Sprache sprechen, die ihren kommunikativen Bedürfnissen optimal dient, sondern die Sprache derjenigen, in deren Umgebung sie sprachlich sozialisiert wurden,119 ist die Bandbreite der dem Einzelnen möglichen Variation und damit der Einfl uss der Funktion auf die konkrete Form einer Äußerung begrenzt.

Modularitätshypothese und Arbitraritätsannahme wurden in ihrer absoluten Form auf der Basis von Überlegungen und Befunden zurückgewiesen, die hier, die Argumentation (vgl. 3.3.3.6/7) mehr andeutend als kohärent rekonstruierend, noch einmal zusammenzufassen sind:

In den Sprachen der Welt lassen sich starke Korrelationen zwischen den durch eine sprachliche Form im Diskurs ausgedrückte Funktionen Thematizität bzw. Prädikativität einerseits und den nominalen bzw. verbalen morphosyntaktischen Markierungen dieser Form andererseits beobachten. Thema-einführend verwen-dete Elemente sind typischerweise mit allen möglichen nominalen Merkmalen gekennzeichnet; für prädikativ verwendete Ausdrücke trifft das Entsprechende zu. Umgekehrt gilt, dass mit geringerer Ausprägung der Thema-einführenden/prädizierenden Funktionalität graduell auch die Nominalität/Verbalität (z. B. Relativierbarkeit, Anaphorisierbarkeit; Markierung für Tempus, Modus) schwindet.120

Zufall wurde als „Ursache“ dieser Korrelationen ausgeschlossen. Vier mög-lichen Erklärungsansätze waren unterschieden worden:

(I) die Form richtet sich an der Funktion aus

(II) die Funktion richtet sich an der Form aus

(III) Form und Funktion haben sich in der weit zurückliegenden Vergangenheit (in welcher Richtung auch immer) aneinander ausgerichtet, tun es jetzt aber nicht mehr

(IV) beide richten sich an einem dritten Faktor aus.

Hiervon erwies sich der erste als der plausibelste. Dieses Urteil wurde durch Überlegungen und Befunde zum Verhältnis von Sprachvariation und Sprachwan-

119 Oder vielmehr: Sprache kann kommunikativen Zwecken nur dann optimal dienen, wenn sie auch die Sprache der Kommunikationspartner ist.

120 Bedenkt man, dass Hopper und Thompson (1984) nur diejenigen Formen als Verben bzw. Substantive bezeichnen, die morphosyntaktische Verbalität bzw. Nominalität in prototypischer Weise realisieren, erscheint die Entscheidung des Aristoteles, die obliquen Kasus aus der Klasse der vollwertigen Onomata auszuschließen (Herm 2, 16 b 1), und diejenige Martys (1950: 107f.), sie gar unter die synsemantischen Sprach-mittel zu subsumieren, aus diskursfunktionaler Sicht durchaus nachvollziehbar.

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del, zum Spracherwerb, zum Verhältnis sprachlicher Strukturen zu allgemeinen kognitiven Strukturen und Prinzipien sowie zur mindestens partiell funktionalen Motiviertheit des Sprechens gestützt.

Welche Folgen die Etablierung der funktionalen, nicht-modularistischen Betrach-tungsweise für eine Konzeption lexikalischer Kategorisierung mit sich brachte, ist nun unter Einbeziehung konzeptualistisch-semantischer Ansätze zusammen zu fassen, die ich in der Variante Ronald W. Langackers als komplementär zu den diskursfunktionalen Vorschlägen beschrieben habe. Ohne den wesentlichen diskursfunktionalen Annahmen zu widersprechen, bieten die Konzeptualisten eine schlüssige Antwort auf eine Frage, die für die Sprachwissenschaft insgesamt grundlegend ist: Was sind die Einheiten des mentalen Lexikons.

Die Einschätzung, Diskursfunktionalismus und Konzeptualismus seien mit-einander vereinbar, beruht auf folgendem Gedankengang: Wenn für die einen die Diskursfunktion, für die anderen aber die Bedeutung die morphosyntaktische Form von kontextualisierten Zeichen bestimmt, dann stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Bedeutung und Funktion. Ich habe jedoch gezeigt, dass sowohl Hoppers und Thompsons als auch Langackers Prämissen den Schluss rechtfertigen, dass die Diskursfunktionen kontextualisierter sprachlicher For-men und die Bedeutungsseite kategorial implikativer Schemata zwei Aspekte derselben Struktur sind. Diese wird einmal aus der Perspektive des jeweiligen Sprechens im Diskurs und einmal aus der Perspektive des sprachlichen Wissens betrachtet, ohne dass der jeweils andere Aspekt dabei als irrelevant angesehen würde. So entspricht, vom Diskursstandpunkt aus, der aktualisierten Funktion der geäußerten Form die funktionale Prädisposition der lexikalischen Einheit als Element des sprachlichen Wissens; umgekehrt korrespondiert, konzeptualistisch betrachtet, die Kategorialität lexikalischer Einheiten, d. h. deren Assoziiertheit mit kategorial implikativen Schemata, der konkreten Elaboration eines dieser Schemata im Diskurs.

Zwischen Langacker und Hopper/Thompson besteht Einigkeit sowohl darü-ber, dass Diskursfunktionen in allgemeinen, angeborenen, kognitiven Fähigkei-ten (Gegenstandsbezug und Gegenstandsbestimmung) verwurzelt sind, als auch darüber, dass lexikalische Einheiten und deren Verwendungsprädispositionen durch einen Prozess erworben werden, in dessen Verlauf Diskursteilnehmer morphosyntaktische Formen als Indikatoren gemeinter Funktionen interpre-tieren.

So mündet die in diesem Kapitel vollzogene Rekonstruktion der Forschungs-geschichte in ein Bild lexikalischer Kategorisierung, dessen Grundzüge hier noch einmal zu resümieren sind: Das Lexikon hat sich als die Domäne der kognitiv einfachen sprachlichen Einheiten erwiesen, die der individuelle Sprecher auf der Basis angeborener kognitiver Fähigkeiten durch Abstraktion von konkre-ten rekurrenten Diskurserfahrungen erworben hat. Hierin eingeschlossen sind Elemente unterschiedlicher symbolischer Komplexität, vom Flexionsmorphem

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bis zum routinisierten Text, und unterschiedlicher Grade von Schematizität, von weitgehend substanziellen lexikalischen Stämmen, z. B. /__geh__/, bis zu hochabstrakten grammatischen Schemata, wie der Transitivkonstruktion /NP

NOM

VFIN

NPAKK

/. Welche lexikalischen Einheiten ein Sprecher durch verstehende Analyse kontinuierlicher Lautströme (Affi xe, lexikalische Stämme), Routini-sierung (substanzielle Kollokationen, Phraseologismen etc.) und Abstraktion (Schemata) erwirbt, hängt wesentlich ab von seinem eigenen Sprachgebrauch und der kommunikativen Umgebung, innerhalb deren er sprachlich sozialisiert wird, ab. Mit der Auffassung von der Gestalthaftigkeit lexikalischer Einheiten ist der für die Lexikologie und für die Sprachwissenschaft insgesamt so zentrale Begriff der Einfachheit, der, wie in Kapitel 2 gesehen, in unbestimmter und unbestimmbarer Weise auch dem Wortkonzept zu Grunde liegt,121 hinreichend geklärt.

Eine radikale, aber zwingende Konsequenz aus dieser Sicht auf das Lexikon liegt darin, dass sich nun auch Phänomene wie Flexion, Kongruenz und Rektion, Passiv, Topikalisierung, Transitivität, Ko- und Subordination etc., die traditio-nell als typisch grammatische Erscheinungen betrachtet werden, in der Form entsprechender Schemata, als bilaterale Zeichen darstellen. Als Grammatik, im Sinn der Gesamtheit sprachlicher Verknüpfungsmechanismen, ist nun lediglich noch das auf der Ebene allgemeiner kognitiver Fähigkeiten verankerte Monta-ge- oder Instanziierungsprinzip zu charakterisieren, wenn auf dessen Funktion der Verknüpfung sprachlicher Einheiten (und nicht z. B. von Wahrnehmungen) fokussiert wird.

Die Kategorialität lexikalischer Einheiten ist gleichzusetzen mit deren funktional-formalen Verwendungspotenzialen oder -prädispositionen. Im Zu-sammenhang der Sprachtheorie erfüllt der Begriff Kategorialität also genau die Funktion, die dem Konzept Redeteil bereits in der Antike zukam. Er bezeichnet und erhellt die Schnittstelle des Lexikons zum Diskurs, zwischen Prädisposi-tionen und kontextualisierten Realisationen sprachlicher Einheiten, zwischen plastischem, d. h. überwiegend trägem,122 aber stetig sich veränderndem, Wissen und hochdynamischen Erleben.

121 Die z. B. von Pollak (1958: 35) gewählte Alternative, den Begriff Wort so zu erwei-tern, dass er den gleichen Umfang erhält wie der hier gewählte Terminus lexikalische Einheit, halte ich nicht für sinnvoll. Eine solche Verwendungsweise, die Phraseolo-gismen und grammatische Konstruktionen mit einbeziehen würde, würde sich sehr stark vom Alltagsgebrauch unterscheiden und gerade deshalb im Zusammenhang sprachwissenschaftlicher Argumentation die Gefahr von Missverständnissen mit sich bringen.

122 Diese Charakterisierung trifft, im Kontrast zur Zeitlichkeit des aktuellen Erlebens, selbst auf frühe Phasen des Spracherwerbs zu, wie etwa die Periode der so genannten „Wortschatzexplosion“ ab ungefähr dem 18. Lebensmonat (vocabulary spurt; vgl. Klann-Delius 1999: 36).

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Das Spektrum möglicher von sprachlichen Elementen auszudrückenden Diskursfunktionen, von der Thematizität (bzw. deren referenziellen „Kern“) bis zur Prädikativität, ist verankert in angeborenen und daher universellen kognitiven Fähigkeiten. Die tatsächlich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer bestimmten Lexikoneinheit assoziierten funktional-formalen Prädis-positionen spiegeln die Erfahrungen wider, die der Sprecher bisher und vor allem in jüngerer Zeit mit dieser Einheit im Diskurs gemacht hat. Einheiten, die immer Thema-einführend/nominal verwendet und gehört wurden, werden in Zukunft sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht zwingend, ebenfalls Thema-einführend/nominal verwendet, usw. Die Kategorialität lexikalischer Einheiten ist also kognitiv universell vorgeprägt, wird aber durch konkrete und individuelle kommunikative Erfahrungen ausgeprägt und umgeprägt.

Aus der hier entwickelten konstruktionsgrammatischen Perspektive bedeutet Kategorialität nicht die Mitgliedschaft einer lexikalischen Einheit in einer Ka-tegorie, wobei diese eine Entität eigener und ganz anderer Art wäre als die „in“ ihr „enthaltenen“ Elemente. Vielmehr handelt es sich um die Verknüpfbarkeit einer lexikalischen Einheit mit einer größeren Anzahl kategorial implikativer Schemata (z. B. einem Pluralschema, Kasusschemata, Relativierungsschemata, einem Komperationsschema, Konjugationsschemata usw.). Verknüpfbarkeit spiegelt im Diskurs erfahrene Verknüpfungen wider und ist daher eine gradier-te Eigenschaft.

Sicherlich sind viele Sprecher des Deutschen in der Lage, den lexikalischen Stamm /kanzler/ referenziell-nominal (der Kanzler), attribuierend-adjektivisch (kanzlerische) und prädizierend-verbal (er kanzlerte) zu realisieren (s. o. die kon-struierten Beispiele in 3.3.3.1). Der prototypische Fall ist jedoch ohne Zweifel der referenziell-nominale, so dass man in erster Näherung feststellen könnte, dass die Verbindbarkeit mit den referenziell implikativen Schemata bei /kanzler/ „stärker ausgebildet“ ist als die mit anderen. Hierin besteht der wichtigste der von Diskursfunktionalisten wie von Kognitivisten hervorgehobenen Prototy-peneffekte des kategorialen Status lexikalischer Einheiten.

Mentale Lexika entwickeln sich auf einer universellen angeborenen und solcherart – an der Lebensspanne eines einzelnen Menschen bemessen – sta-tischen Basis, die durch eine Reihe allgemeiner, d. h. nicht-modularer, kog-nitiver Fähigkeiten und Strukturen, wie das Vorhandensein eines Lang- und eines Kurzzeitgedächtnisses, bestimmt ist. Innerhalb dieses fi xen Rahmen jedoch sind sie dynamisch, energeia, nicht ergon, in Bezug auf die zu einem bestimmten Zeitpunkt erworbenen Elemente, auf deren symbolische Komple-xität, Schematizität und Kategorialität. Diese Dynamik ist Folge der Tatsache, dass lexikalische Einheiten mit allen ihren Eigenschaften in einem Prozess der Analyse, der Abstraktion und der Dekontextualisierung sprachlicher Erfahrungen einerseits sowie – und dies ist zentral – der Adaptation an so noch nie erlebte Situationen andererseits erworben werden müssen. Vom Zustand eines menta-len Lexikons, von der Kategorisiertheit einer lexikalischen Einheit zu einem

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beliebigen Zeitpunkt zu sprechen, ist in gleicher Weise eine Idealisierung, wie dies für die strukturalistische Rede von der langue und das Konzept sprachlicher Synchronie gilt.

Die Verfügbarbeit eines mentalen Lexikons als wesentliche Komponente des sprachlichen Wissens ist eine notwendige Vorausaussetzung für das Sprechen und Verstehen, für die erlebende Teilnahme eines Sprechers an sprachlicher Interaktion, am Diskurs. Umgekehrt jedoch ist das Erleben des Diskurses, die Erfahrung kommunikativen (Miss-)Erfolgs, von (Miss-)Verstandenwerden und eigenen (Miss-)Verstehens, die Grundlage für den Erwerb des mentalen Lexikons. Dieses Wechselspiel, der permanente Rückkopplungsprozess zwi-schen Wissen und Erleben ist nicht auf eine bestimmte Lebensphase, etwa eine „kritische Periode“ des Spracherwerbs, begrenzt, sondern es kommt mit jedem Sprechen und Verstehen neu in Gang.

So steht die hier Schritt um Schritt entwickelte Auffassung von lexikalischer Kategorisierung weitestgehend im Einklang mit dem, was Paul Hopper zu den Begriffen Emergenz und emergent grammar in seinem gleichnamigen program-matischen Aufsatz (Hopper 1987; vgl. auch Weber 1997) ausführt:

The notion of Emergent Grammar is meant to suggest that structure, or regularity [or categoriality; T.W.], comes out of discourse and is shaped by discourse as much as it shapes discourse in an on-going process. Grammar [or categoriality; T.W.] is hence not to be understood as a pre-requisite for discourse, a prior possession attributable in identical form to both speaker and hearer. Its forms are not fi xed templates, but are negotiable in face-to-face interaction in ways that refl ect the individual speakers’ past experience of these forms, and their assessment of the present context, inclu-ding especially their interlocutors, whose experiences and assessments may be quite different. (Hopper 1987: 142).

Mit der Hervorhebung der Dynamik und Individualität lexikalischen Wissens im Besonderen und sprachlicher Struktur im Allgemeinen wird schließlich die Frage nach der Sozialität von Sprache aufgeworfen. Wie ist es in Übereinstim-mung mit dem hier Dargelegten möglich, mag man fragen, was doch ein Faktum ist, nämlich dass Menschen sich mit Sprache mühelos verständigen, dass wir englische Äußerungen ungeachtet aller interindividuellen Unterschiede von deutschen und von chinesischen unterscheiden können?

Gerade prononcierte Vertreter des Individualsprachenkonzepts, wie Herman Paul, Hans Pollak und Paul Hopper, verlieren diese Frage nie aus dem theore-tischen Auge. Im Gegenteil denken sie die Sozialität des Sprechens untrennbar mit seiner Individualität verbunden. Tatsächlich ist diese Beziehung auch nichts als eine Facette des Wechselspiels zwischen notwendigerweise monadischem Wissen und notwendigerweise nach außen gerichtetem Diskurs. Wir sprechen ungefähr so wie die anderen, weil wir in deren Umgebung sprechen lernten, weil wir ähnliche, aber nicht identische, sprachliche Erfahrungen gemacht haben wie sie. Wir sprechen ungefähr so wie die anderen, weil wir sie verstehen möchten und von ihnen verstanden werden möchten. Diesen Wunsch, dieses Bedürfnis,

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diese Notwendigkeit einer – tendenziellen, natürlich in Einzelfällen neutrali-sierten oder gar ins Gegenteil sich kehrenden – Orientierung auf den anderen hin haben wir nicht individuell erworben; sie ist auf derselben fundamentalen Ebene angeborener kognitiver Strukturen verankert wie die Fähigkeiten, uns auf Objekte zu beziehen und Einzelnes zu Komplexem zu verbinden.

Aus der permanenten Spannung zwischen unüberschreitbarem, in sich eingeschlossenem Wissen einerseits und der sozialen Orientierung auf den Anderen hin andererseits entsteht die Dynamik, in der der Einzelne sein Wis-sen immer aufs Neue nur im Rückblick auf die auf seiner Grundlage erfolgten (Sprech-)Handlungen bestätigt sieht und damit tiefer „eingräbt“ (en-trench) und verinnerlicht oder aber anpasst. Auf diese Weise entstehen keine Sprachgemein-schaften, als Verband von Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, wohl aber Gemeinschaften von Individuen, die bei wechselnder Beteiligung immer wieder miteinander sprechen und deren Individualsprachen dabei mindestens so weit konvergieren, wie es die Zwecke ihrer Interaktion verlangen.Damit sind die am Ende des letzten und zu Beginn dieses Kapitels formulierten theoretischen Fragen zum Thema lexikalische Kategorisierung beantwortet. Die beiden nun folgeden und den Hauptteil dieser Untersuchung abschließenden Kapitel ergänzen das Bisherige, indem sie aus zwei unterschiedlichen Perspek-tiven darstellenn, wie die zuvor entwickelten abstrakten Konzepte einerseits anschaulich modelliert werden können und sich zum anderen in der sprachlichen Wirklichkeit konkret widerspiegeln.

In Kapitel 4 werden Parallelen zwischen den Phänomenen, die das mentale Lexikon charakterisieren, und Strukturen und Prozessen in Netzwerken her-ausgestellt, wie sie Kennektionisten vorgestellt haben, vor allem die PDP-For-schungsgruppe um David E. Rumelhart und James L. McClelland (Rumelhart/McClelland/PDP Research Group 1986). Die Domäne der manchmal auch so genannten neuronalen Netze wird als Vergleichsobjekt vorgestellt, als Quelle für eine strukturelle Metapher im Sinne von Lakoff und Johnson (1980), die es erlaubt, abstrakte und dem Nicht-Experten schwer zu vermittelnde Konzepte in einer anschaulichen Weise darzustellen. Damit kommt der Netzwerkmetapher im hier vorgeschlagenen Theoriezusammenhang eine ähnliche Rolle zu wie der Computermetapher im Kontext des Generativismus.

Kapitel 5 schließlich widmet sich einem sprachlichen Bereich, der aus unten darzulegenden Gründen besonders dafür prädestiniert ist, die beschriebenen Kategorisierungsprozesse und ihre Konsequenzen konkret und im Wortsinne vor Augen zu führen: die deutsche Schriftsprache, die Orthografi e, das norm-gerechte, vor allem aber auch das normabweichende Schreiben.

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4 Lexikalische Kategorisierung aus der Perspektive der Netzwerkmetapher

In Kapitel 3 habe ich gezeigt, dass die verschiedenen Forschungsdiskurse zu Pro-blemen lexikalischer Kategorisierung in einer konzeptuell-funktionalen Konzep-tion konvergieren. Insofern diese semantische und grammatische Gesichtpunkte aufeinander bezieht, knüpft sie an die antiken Wurzeln sprachtheoretischer und sprachpraktischer Refl exion an, die sich vor allem in den Schriften des Aristo-teles fi nden (s. o. 3.2). Und auch mit der seit zwei Jahrtausenden kanonischen schulgrammatischen Mischklassifi kation stimmt sie darin überein, dass der kategoriale Status des sprachlichen Zeichens auf seinen beiden Seiten, Form und Bedeutung/Funktion, verankert ist.

Das Bemühen darum, die mit dem Konzept lexikalische Kategorisierung verbundenen theoretischen Probleme zu identifi zieren und zu lösen, zwang dazu, das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik zu bestimmen, was letztlich gleichbedeutend damit ist, ein sprachtheoretisches Gesamtkonzept mindestens in seinen Umrissen zu entwerfen. Die konstruktionsgrammatische Sprachauf-fassung, auf die die angestellten Betrachtungen schließlich hinausliefen, bildete dabei nicht eine stillschweigend vorausgesetzte Prämisse, sondern stand am Ende einer vielgliedrigen Argumentationskette. Das Bild von lexikalischer Kategorisierung, das innerhalb dieses Rahmens entstand, integriert wesentliche Elemente der diskursfunktionalen Vorschläge, von denen diejenigen Hoppers und Thompsons (1984, 1985) hervorzuheben sind, sowie von Langackers kon-zeptualistisch-semantischem Ansatz. Die wesentlichen Aspekte seien hier noch einmal zusammenfassend angeführt:

– Lexikalische Kategorisierung ist der Prozess der Herausbildung von for-mal-funktionalen Verwendungsprädispositionen der Einheiten individueller mentaler Lexika.

– Die formalen wie die funktionalen Prädispositionen lexikalischer Einheiten sind einerseits universell durch angeborene kognitive Fähigkeiten vorgeprägt, andererseits refl ektieren sie – durch die dekonstruktiven Filter von Analyse, Abstraktion und Dekontextualisierung hindurch – konkrete Erfahrungen des Einzelnen im Diskurs.

– Lexikalische Kategorisierung ist prototypikalisch strukturiert und dyna-misch. Beide Eigenschaften folgen unmittelbar aus dem Wechselspiel zwischen lexikalischem Wissen und konkreter Diskurserfahrung, ohne das Sprechen nicht möglich ist. Im Verlauf dieses ununterbrochenen Prozesses bilden sich lexikalische Einheiten mit ihren Eigenschaften heraus und das

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heißt, sie verändern sich, jede neue sprachliche Erfahrung assimilierend oder akkommodierend.

– Der Prototypikalität und Dynamik lexikalischer Kategorisierung lässt sich am besten im Rahmen einer konstruktionsgrammatischen Sprachauffassung gerecht werden. Das Lexikon erscheint dementsprechend als Domäne gestalt-hafter bilateraler sprachlicher Einheiten von unterschiedlicher symbolischen Komplexität und Schematizität. Lexikalische Kategorisierung stellt sich nun nicht mehr als „Mitgliedschaft” „in” einer Klasse dar, sondern kann als dyna-mische und mehr oder weniger stark ausgeprägte Verknüpfung mehrerer lexikalischer Einheiten aufgefasst werden. Von diesen ist eine kategorial nicht bestimmt, während die anderen kategorial implikativ sind.

Die in Kapitel 3 verfolgte argumentative, sich an den zum Teil konfl igierenden Vorschlägen anderer Autoren abarbeitende Vorgehensweise brachte es mit sich, dass die vielen Aspekte und Facetten des Gesamtkomplexes, der lexikalische Kategorisierung ausmacht, nur nach und nach entwickelt und eingeführt wurden. Hier wurde der Nachweis, dass die sukzessive vollzogenen Gedankenschritte auf der Basis des bis dahin Geleisteten stimmig und notwendig sind, für wichtiger erachtet als der Entwurf eines anschaulichen Gesamtbildes, das gleichsam alle oder doch die wichtigen Aspekte mit einem Blick erfassbar macht. Zunächst musste gleichsam der Weg durch ein Labyrinth gesucht, eine Reihe von Sackgas-sen und Umwegen erprobt und letztlich der Ausgang gefunden werden, der, unter mehreren sich anbietenden, als der aussichtsreichste erschien. Im Folgenden ist nun eine anschauliche Darstellung von Weg und Ziel möglich.

Wie sich die theoretisch nachgewiesenen Eigenheiten lexikalischer Katego-risierung in der Wirklichkeit des Sprechens konkret äußern, wurde bisher zum einen indirekt berührt, wenn etwa auf typologisch-sprachvergleichende Studien Bezug genommen wurde. Zum anderen wurde auf konstruierte Beispiele Bezug genommen, die vor allem dem Zweck dienten, die vorgetragenen Überlegun-gen zu illustrieren, ohne selbst einen argumentativen Beitrag zu leisten. Eine systematische Untersuchung von Effekten lexikalischer Kategorisierung in der sprachlichen Wirklichkeit steht hingegen noch aus.

Die folgenden Abschnitte (wie dann auch anschließend Kapitel 5) dienen der Aufgabe, diese Desiderata zumindest im Ansatz aufzuarbeiten. Die the-oretischen Einsichten in die Natur lexikalischer Kategorisierung, die dabei beteiligten Faktoren und deren Zusammenspiel werden mit Bezug auf konnek-tionistische Netzwerkmodelle (Rumelhart/McClelland/PDP Research Group 1986) von Kognition anschaulich gemacht und konkretisiert. Dieses Vorgehen ergänzt die theoretischen Ausführungen auch dadurch, dass es die Prozesse lexikalischer Kategorisierung und das System, innerhalb dessen sie ablaufen, im Modus des Anschauens „auf einen Blick“ in ihrem Gesamtzusammenhang erfassbar macht.

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4.1 Konnektionistische Netzwerke und lexikalische Kategorisierung

In den folgenden Abschnitten soll demonstriert werden, dass konnektionisti-sche (PDP) Netzwerke wesentliche Eigenschaften mit sprachlichem Wissen von Individuen teilen; die Prozesse der Aktivierungsausbreitung und der Rückkopp-lung innerhalb solcher Systeme haben vieles mit den Prozessen lexikalischer Kategorisierung gemein. Als physische, dreidimensional vorstellbare Systeme, deren Struktur und Dynamik zudem exakt berechenbar ist, bilden konnektionis-tische Netzwerke geeignete Vergleichsobjekte, um die Struktur und die Dynamik des sprachlichen, insbesondere des lexikalischen, Wissens zu veranschaulichen. Sie erlauben es darüber hinaus, sich den hier fokussierten sprachlichen Prozessen von einer Seite zu nähern, die einige bisher noch offen gebliebene Fragen (z. B. nach dem Status schematischer lexikalischer „Einheiten“) beantwortbar macht bzw. die Modifi zierung einiger bereits gegebener Antworten nahe legt.

Es geht im Folgenden also um die Konstruktion eines Vergleichsobjekts, um die Entwicklung und Ausdeutung einer strukturellen Metapher zum Zweck der Veranschaulichung. Ein solches Verfahren entfaltet nicht die argumentative Kraft der Vorgehensweise, die, wie im vorangegangenen Kapitel geschehen, Schlussfolgerungen aus zuvor als zuverlässig erwiesenen Prämissen ableitet. Das anschauliche, gestalthafte und gleichsam mit einem Blick erfassbare Bild verhält sich komplementär zur Argumentation. Wo diese zu überzeugen suchte, leuchtet jenes ein; wo diese sequenziell in kleinen Schritten voranging und oft alternative Wege prüfte, präsentiert jenes einen Gegenstand in seiner Gestalt-haftigkeit; wo diese jede einzelne Annahme skeptisch hinterfragte, bietet jenes das Ganze in seinem Zusammenhang.

Das Bild lässt die wesentlichen Elemente des Abgebildeten in ihrem Verhältnis zueinander hervortreten. Bezogen auf eine Theorie lexikalischer Kategorisierung wird auf diese Weise deutlich, dass die untersuchten Probleme keinen strikt begrenzten Ausschnitt der Sprache betreffen, sondern genau diejenigen weit reichenden Fragen etwa nach dem Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik oder zwischen Wissen und Erleben aufwerfen, die oben erörtert wurden.

4.2 Vorbemerkung zur Rolle der Netzwerkmetapher und anderer strukturellen Metaphern in den Sprach- und Kognitionswissenschaften

Die Frage nach dem Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft ist notorisch schwer zu beantworten. Unmittelbar beobachtbar sind Sequenzen

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menschlichen Verhaltens, von phonetischen, gestischen, grafi schen etc. Äuße-rungen. Beobachtbar sind – zumindest im Prinzip und abhängig vom aktuellen technischen Entwicklungsstand – auch physiologische und neuronale Strukturen und Prozesse. In seltener Übereinstimmung lehnen jedoch Schulgrammatiker, Strukturalisten, Generativisten und Funktionalisten sowohl behavioristische als auch reduktionistisch mechanistische Sprachauffassungen ab und lokalisieren Sprache auf Ebenen zwischen makroskopischem Verhalten und mikroskopischer Physik. Nur so können sie an Konzepten wie Bedeutung, Verstehen, Intention, Grammatik, Regel, Konstruktion als an Begriffen festhalten, die nicht lediglich die abkürzende und vereinfachende Rede über die „tatsächlichen“ und „zugrunde liegenden“ Strukturen und Prozesse erlauben, sondern eine fundamentale Dimen-sion der Wirklichkeit erfassen.

Der Preis, den Sprach- und Kognitionswissenschaftler für diese Annahme zahlen, ist der Verzicht auf Anschaulichkeit. Kognitionswissenschaftliche „Gegenstände“, wie Begriffe, Interpretationen, Wahrnehmungen, Bedeutung, Klassen und Kategorien sprachlicher Elemente, sind als solche erschlossen. Ihre Realität kann nur durch Schlussfolgerungen, nicht durch direktes Darauf-Zeigen nachgewiesen werden. Diese Entitäten werden, nach Maßgabe von Wissen-schaftsprinzipien wie Ockhams Messer, dem Satz vom zu vermeidenden Wider-spruch etc., in eine Theorie eingeführt, um tatsächlich Beobachtetes erklären zu können. Möchte man ihnen Gestalt verleihen, sie anschaulich machen, ist dies nicht anders möglich als mithilfe von Modellen, Gleichnissen, Metaphern. Ankersmit formuliert zuspitzend – in einem anderen, aber durchaus verwandten Diskussionszusammenhang:

Ich möchte an den Anfang meiner Darlegungen [...] die etwas ungewöhnliche Behauptung stellen, daß nämlich die Epistemologie generell ihrem Wesen nach metaphorisch ist. [...]

Epistemologische Argumentationen laufen gewöhnlich auf optische oder räumliche Metaphern hinaus. Und wer kann schon der Anziehungskraft räumlicher Metaphern widerstehen, wenn es um eine epistemologische Defi nition der Beziehungen zwi-schen den beiden „parallelen Ebenen“ Sprache und Wirklichkeit geht.

(Ankersmit 1993: 66)1

Die Geschichte des westlichen Nachdenkens über den menschlichen Geist und über Sprache hat viele Bilder dieser Art hervorgebracht. Descartes’ Auffassung, der Körper sei ein mechanischer, uhrwerkgleicher Apparat (Kather 1995), hat die Vorstellung vom Menschen über Jahrhunderte geprägt und fi ndet seinen Niederschlag noch im Ansatz der gegenwärtigen Schulmedizin. Der Geist wurde als Spiegel der Natur begriffen (Rorty 1979). Vor allem im 19. Jahrhundert haben Sprachphilosophen und -wissenschaftler Sprache als vom Menschen unabhängi-

1 Diese Auffassung wird auch von Rorty (1979) vertreten.

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gen „Organismus“ (Schleicher 1863) oder als „bildendes Organ des Gedankens“ (Humboldt 1988b; s. a. Chomsky) angesehen. Kommunikation wurde später analog zum Austausch von elektronischen Signalen (Shannon/Weaver 1949) und als eine Art Rohrpostsystem analysiert (Reddy 1979), mittels dessen Sen-der Nachrichten, die sie zunächst verpacken, Empfängern übermitteln, die die Informationspakete dann öffnen, um an den Inhalt zu gelangen. Der Baum diente und dient als metaphorische Quelle zunächst zur Darstellung genealogischer Beziehungen in der Form von Stammbäumen; Das Vorbild der Laubbäume wie das der Stammbäume prägten die Vorstellungen über diachrone wie synchrone Sprachstrukturen bis heute.

Obwohl alle genannten Bilder, Analogien und Konzeptualisierungen ihre Spuren nicht nur in unserem alltäglichen, sondern auch im wissenschaftlichen Denken und Reden über Sprache hinterlassen haben,2 ist die für die Kogni-tionswissenschaften wie für unser Alltagsbild vom Menschen gegenwärtig wohl erfolg- und folgenreichste Strukturmetapher (Lakoff/Johnson 19803) die Computermetapher. Der menschliche Körper lässt sich nun als hardware, der Geist als software betrachten. Eingabegeräte, wie Tastatur, Maus, Mikrophon, Scanner und Web-Kamera, werden zu den Ohren und Augen des Rechners, Bildschirm, Drucker und Lautsprecher zu seinen Sprech- und Schreibwerkzeu-gen. Unterschiedliche kognitive Fähigkeiten, wie Schlussfolgern, räumliches Sehen, Verallgemeinern einzelner Erfahrungen, können mit unterschiedlichen Programmen gleichgesetzt werden. Autonome technische Systeme interagie-ren miteinander über Schnittstellen oder interfaces, aber auch Menschen und Maschinen (Wagner 2001).

Metaphorische Konzepte wie Zeit ist Geld werden zunächst aufgrund der Erfahrung geprägt, dass eine relativ unvollständig verstandene abstrakte Domäne (z. B. Zeit) auffällige Parallelen zu einer gut verstandenen anschaulichen Domäne (z. B. Geld) aufweist. Eine eigene Dynamik bewirken sie – und darin liegt ihr potenzieller Wert wie eine Gefahr4 –, wenn sie Hypothesen über den zu konzep-tualisierenden Gegenstand motivieren, die sich (zunächst) allein aus der Struktur der Quelldomäne ergeben. Der Organismusbegriff Schleichers etwa ist geeig-net, auf die Dynamik und Veränderlichkeit von Sprache hinzuweisen, darauf, dass alle sprachlichen Komponenten miteinander interagieren, dass Sprachen

2 Lakoff und Johnson (1980) zeigen dies für das Englische anhand der Analyse gängiger Metaphern und Phraseologismen.

3 Lakoff und Johnson bestimmen diesen Begriff wie folgt:[...S]tructural metaphors [... we will call] cases where one concept is metapho-rically structured in terms of another (Lakoff/Johnson 1980: 14; Hervorhebung der Autoren).

4 Bezogen auf die strukturelle Metapher Zeit ist Geld, zeigt Michael Endes Roman Momo dies in dramatischer Weise, etwa wenn Menschen dort dazu gebracht werden, „überfl üssige“ Stunden und Minuten auf Zeitsparkonten einzuzahlen.

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miteinander in Beziehung treten, wechselseitig aufeinander einwirken usw. Die Metapher motiviert jedoch auch Vorstellungen, die aus heutiger Sicht problema-tisch erscheinen. Organismen treten zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Leben, durchlaufen verschiedene Stadien in unabänderlicher Folge von der Jugend bis zum Alter und sterben schließlich unweigerlich ab; manche Organismen sind stärker, lebensfähiger als andere.

Vergleiche und Metaphern sind also als Mittel der Darstellung geeignet, Abs-traktes vor Augen zu führen. Als Mittel der Erkenntnis sind sie unverzichtbar, ja unvermeidlich; sie können dazu dienen, Aspekte eines Untersuchungsgegen-stands überhaupt erst ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, seine Verbin-dungen zu scheinbar nicht mit ihm zu Vereinbarendem hervortreten zu lassen, neue Perspektiven auf ihn zu öffnen und dadurch neue Fragen aufzuwerfen. Die Grenze zwischen Veranschaulichung und Suggestion ist jedoch fl ießend, und so bleibt stets kritisch zu prüfen, ob, was die Bilddomäne so offensichtlich erscheinen lässt, auch tatsächlich an das letztlich abstrakt bleibende und nie im metaphorischen Gegenstück aufgehende Forschungsobjekt rückgebunden werden kann.

Auch im Zusammenhang der in dieser Untersuchung verhandelten Fragen verwenden alle zitierten Autoren ebenso wie ich selbst ein Reihe, vor allem räumlicher, Metaphern zu dem Zwecke, ihren Leserinnen und Lesern die Struktur und die Dynamik des Lexikons „vor das innere Auge zu führen“. Zu nennen sind hier die Merkmalmatrizen der Generativisten, vor allem aber auch das Bild des (mentalen, konzeptuellen, semantischen) Raums in der Kognitiven Lingu-istik etwa bei Croft (2000) oder bei Langacker (1987a: 76). Dass es sich hier um unterschiedliche theoretisch implikative Strukturmetaphern handelt, äußert sich u.a. darin, dass das Konzept der Matrix, der Menge oder des Bündels von Merkmalen diskrete Strukturen erwartbar macht, während mit dem Raumbe-griff die Vorstellung mehrerer, vor allem jedoch kontinuierlicher Dimensionen und fl ießender Übergänge zwischen Strukturelementen einhergeht. Gerade das „Konstrukt des Kontinuums“, darauf weist Seiler (Seiler 1988) hin, ist mit einer gewissen Vorsicht zu verwenden. In der vorliegenden Untersuchung wurde dies im Zusammenhang einer diskursfunktionalen Analyse der „Zwischenräume“ zwischen Referenzialität und Prädikativität, zwischen Nominalität und Verba-lität, und zwischen den verschiedenen Varianten einer lexikalischen Einheit zu unterschiedlichen Zeitpunkten deutlich (s. o. 3.3.4).

Im Lichte dieser Vorbemerkung ist nun das im nachfolgenden Abschnitt als Vergleichsobjekt konstruierte Netzwerk zu sehen. Hier wird nicht behauptet, Lexika seien konnektionistische Netzwerke. Ich möchte allerdings zeigen, dass sehr viele Eigenschaften lexikalischer Kategorisierung, die oben argumentativ herausgearbeitet wurden, eine Netzwerkmodellierung nahe legen und nicht etwa umgekehrt von einer solchen, die dann implizit immer schon vorausgesetzt gewesen wäre, erst nahe gelegt wurden.

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4.3 Konnektionistische Netzwerke zur Modellierung sprachlicher Phänomene

Der Konnektionismus oder, genauer, der Ansatz des Parallel Distributed Pro-cessing (PDP; McClelland/Rumelhart 1986) stellt seit den 1980er Jahren eine Alternative zur Künstlichen Intelligenz (KI) dar, wenn es darum geht, kogni-tive, insbesondere auch sprachliche (vgl. verschiedene Beiträge in Rumelhart/McClelland/PDP Research Group 1986a,b; Elman 1992, 1996, 1999, 2001; MacWhinney 1999a,b,c und viele anderen), Prozesse zu modellieren, zu imple-mentieren und zu erklären. PDP-Modelle weisen eine Vielzahl von Eigenschaften auf, die weit über diejenigen von Gitter- oder Fischernetzen hinausgehen, auf die sich die Netzwerkmetapher als Quelldomäne bezieht. Diese Eigenschaften, die den Konnektionismus für die gegenwärtigen Zwecke so geeignet erscheinen lässt, werden unten anhand eines einfachen PDP-Modells eingeführt.

Zunächst jedoch sollten im Zusammenhang sprach- und kognitionswissen-schaftlicher Refl exion drei Formen des Bezugs auf konnektionistische Netzwerke unterschieden werden, die sich als drei unterschiedlich weit reichende Ziele formulieren lassen:

(a) Eliminierung: Kognitive Prozesse sollen auf Prozesse der Aktivitätsaus-breitung innerhalb von neuronalen Netzwerke zurückgeführt werden. Eine eigenständige symbolische Ebene der Zeichen gibt es demnach in der Domäne der Kognition nicht.

(b) Modellierung: Konnektionistische Modelle sind besser als alle anderen ver-fügbaren dazu geeignet, das, was wir über Kognition und Sprache wissen, mathematisch explizit und psychologisch plausibel zu modellieren.

(c) Veranschaulichung: Kognition und Sprache weisen sehr viele Eigenschaften auf, die in PDP-Netzwerken auftreten. Deshalb kann unser Wissen über sol-che Netzwerke als Quelldomäne dienen, mit Bezug auf die wir (bestimmte Bereiche von) Sprache und Kognition veranschaulichen und verstehen können.

Das reduktionistische Anliegen (a) des so genannten eliminativen Konnek-tionismus (Pinker/Prince 1988) widerspricht Grundannahmen, die nicht nur der hier vorgestellten Arbeit, sondern auch dem Werk aller bisher diskutierter Autoren, inklusive der Generativisten, zugrunde liegen. PDP-Modelle sind nicht als Rekonstruktion des menschlichen Geistes auf der Ebene einer physischen Wirklichkeit anzusehen, die durch die „oberfl ächliche“ Rede von Zeichen, Bedeutungen etc. nur indirekt wiederzugeben wären (Smolenski 1988; Marcus 2001). Ansatz (b) ist derjenige von Rumelhart, McClelland und ihrer Forscher-gruppe (McClelland/Rumelhart/Hinton 1986: 11). Ein vergleichbarer Status kommt Netzwerkmodellen im Kontext von kognitiv linguistischen Ansätzen,

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wie dem competition model (Bates/MacWhinney 1989), zu, die MacWhinney (1999a) unter den Begriff Emergentismus5 subsumiert:

The goal of emergentism is the construction of models that avoid stipulation regar-ding specifi c hard-wired neural circuitry. In the place of stipulation, emergentism provides accounts in which structures emerge from the interaction of known proces-ses (MacWhinney 1999b: x).

Konnektionistische Netze werden im Rahmen dieser Ansätze in der Form von Computerprogrammen konstruiert und implementiert, die sprachliche Prozesse modellieren. Dabei geht es um eine funktionale Analyse mentaler Prozesse, nicht um die physische Rekonstruktion neuronaler Abläufe. Als Beispiele konkreter PDP-Projekte seien die Modellierung des Erwerbs der englischen Past-tense-Formen (Rumelhart/McClelland 1986; Plunkett/Marchman 1991), der akustische Spracherkennung (McClelland/Elman 1986), der Aufl ösung syn-taktischer Ambiguitäten (Stevenson 1990) und von Grammatikalitätsurteilen (Allen/Seidenberg 1999) genannt.

Von Ziel (c), das hinsichtlich der damit verbundenen technischen Annahmen am wenigsten weit reicht, geht zuletzt z. B. Diessel (2004: Kapitel 2) bei seiner Untersuchung des Erwerbs komplexer Sätze aus. Es liegt auch dem Folgenden zu Grunde. Der Aspekt konnektionistischer Netze, der dabei im Vordergrund steht, ist ihre Fähigkeit, aus „Erfahrung“ zu „lernen“, d. h. die Effekte ihres Outputs gleichsam zu bewerten und ihre interne Struktur in einem Prozess der Rückkopplung entsprechend anzupassen.6 Im verbleibenden Teil dieses Abschnitts werden die Grundstrukturen eines PDP-Netzwerks anhand eines einfachen Beispiels eingeführt und erläutert. Auf diese Grundlagen soll dann später zur Veranschaulichung der Prozesse lexikalischer Kategorisierung Bezug genommen werden.

4.3.1 Ein einfaches PDP-Netzwerk

Während vom Standpunkt der KI-Forschung Kognition im Wesentlichen als die linear sequenzielle Manipulation von Symbolen innerhalb autonomer Systeme

5 MacWhinneys Konzept der Emergenz weist viele Parallelen zu dem Paul Hoppers (1987, 1988, 1990) auf. Gemäß seiner Natur als Sammelbegriff, der eine Reihe ähn-licher, aber eben doch nicht identischer Sprachauffassungen zusammenfasst, ist er breiter angelegt. Auch scheint MacWhinney weniger radikal zu sein in seiner Skepsis gegenüber jeder Annahme statischer und überindividueller kognitiver Strukturen.

6 Dagegen bleibt die für die konkrete Modellierung und Implementierung wichtige Ar-chitektur des Netzwerks unberücksichtigt, d. h. die Frage, in welcher Weise zwischen den beiden Lagen von Einheiten, die das Lexikon und die phonologische Form von Äußerungen repräsentieren, so genannte „verborgene“ Einheiten (Rumelhart/Hinton/McClelland 1986a: 48) existieren.

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gilt – die Übereinstimmung mit dem Generativismus ist augenfällig –, stellt Kognition aus der PDP-Perspektive die mechanische Abbildung von Aktivie-rungsmustern über Eingabe-Einheiten auf Aktivierungsmuster über Ausgabe-Einheiten dar. Die Ausbreitung von Aktivität ist zunächst kein symbolischer, sondern ein physikalischer, dem Fließen elektrischen Stroms vergleichbarer, Vorgang. Auch die Einheiten des Netzwerks sind für sich genommen keine symbolischen, sie sind bedeutungslos.

Abb. 4.1: Ein einfaches zweilagiges Netzwerk

α–δ Eingabeeinheiten

A–D Ausgabeeinheiten

Verknüpfung

Einheit

Zum Modell wird ein Netzwerk erst, wenn den Einheiten Funktionen und Bedeutungen zugeschrieben werden. Abbildung 4.1 stellt ein einfaches, noch uninterpretiertes7 Beispiel eines konnektionistischen Netzwerks dar.

Netzwerk 4.1 weist einige wenige der typischen PDP-Merkmale auf.8 Einer Lage von Eingabe-Einheiten (α–δ) fi ndet sich eine Lage Ausgabe-Einheiten

7 Die Interpretationsmöglichkeiten sind hier vielfältig. So könnte das Netzwerk – im Prinzip und mit einigem mathematischen Aufwand – z. B. genutzt werden, um die Wahl zwischen vier verschiedenen Paar Schuhen (Ausgabe-Einheiten) entsprechend den Jahreszeiten (Eingabe-Einheiten) zu modellieren oder die Zuordnung von vier Dachformen (Ausgabe-Einheiten) zu unterschiedlichen Gebäudetypen.

8 Die Ausführungen in diesem Abschnitt stützen sich auf Rumelhart/Hinton/McClelland 1986. Das Kapitel A dynamic model of grammatical constructions in Diessel (2004) bietet eine allgemeine und kurze Einführung aus sprachwissenschaftlicher Sicht, die – der Titel macht das bereits deutlich – dem hier verfolgten Anliegen sehr nahe steht.

Eingabe-Einheiten

A

B

C

D

Ausgabe-Einheiten

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(A–D) gegenüber. Im vorliegenden Fall ist das Konnektivitätsmuster (pattern of connectivity) dadurch gekennzeichnet, dass jede Eingabe-Einheit über Ver-knüpfungen mit einer Ausgabe-Einheit oder mit mehreren verbunden ist und dass einige Eingabe-Einheiten untereinander verbunden sind. Verknüpfungen sind keine „Einbahnstraßen“. Das Signal breitet sich immer von der zuerst aktivierten Einheit in Richtung der mit dieser verbundenen aus.

Prozesse innerhalb von PDP-Netzwerken werden durch die Aktivierung von Eingabe-Einheiten initiiert und resultieren zunächst in der Aktivierung bestimmter Ausgabe-Einheiten. Um in einem solchen Rahmen die Darstellung von interessanten, d. h. unterschiedlichen, komplexen und vor allem dynami-schen, Prozessen zu erlauben, genügt jedoch eine statische Architektur nicht, die Einheiten in einer vorbestimmten, unveränderlichen Weise miteinander verbindet. Statischen Systemen fehlt insbesondere diejenige Eigenschaft, die PDP-Netzwerke für die Modellierung kognitiver Prozesse besonders attraktiv macht, nämlich die „Lernfähigkeit“, d. h. die Fähigkeit, die eigene Struktur aufgrund von „Erfahrungen“ zu modifi zieren und an sich verändernde Situati-onen zu adaptieren.

Wie sich Aktivität in einem PDP-Netzwerk ausbreitet, ist daher von wei-teren Faktoren abhängig, die im Folgenden unter weitgehendem Verzicht auf technische, insbesondere mathematische, Details kurz eingeführt werden (vgl. Rumelhart/Hinton/McClelland 1986):

– der Aktivierungszustand jeder Einheit– die Stärke der Aktivierung der einzelnen Eingabeeinheiten (z. B. 0 oder 1

oder ein beliebiger Wert zwischen 0 und 1)– eine Ausgabefunktion für jede einzelne Einheit, die jeden möglichen Akti-

vierungszustand in ein Ausgangssignal umwandelt. Eine einfache Funktion der Form F(x) = x führte dazu, dass von einer Einheit, die eine Aktivität von 2 aufweist, ein Signal der Stärke 2 ausgeht

– die Gewichte (weights) der einzelnen Verbindungen. Das individuelle Gewicht jeder Verbindung ist eine Funktion, die das von einer sendenden Einheit ausgehende Signal auf ein Signal abbildet, das an die empfangende Einheit weitergegeben wird. Wenn diese Funktion eine einfache Multiplikation mit einem bestimmten Wert darstellt, kann das Gewicht der Verbindung durch diesen Wert angegeben werden. Ist das Gewicht der Verbindung zwischen zwei Einheiten α und C z. B. gleich 0,1, dann erreicht C von dem α verlas-senden Signal der Stärke 2 ein Signal mit dem Wert 0,2 (d. h. 2 x 0,1).

– ein Ausbreitungsalgorithmus (rule of propagation), der festlegt, wie die einzelnen Signale, die eine Einheit über unterschiedliche Verbindungen erreichen, einen Gesamtwert ergeben.

– ein Aktivierungsalgorithmus (activation rule), der festlegt, wie die Gesamt-stärke der eintreffenden Signale mit dem aktuellen Aktivierungszustand der Einheit

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– einen neuen Aktivierungszustand ergeben. Eine einfache Aktivierungsregel berechnet den neuen Wert als Summe aus dem aktuellen Wert und allen eintreffenden Signale.

– ein Lernalgorithmus (learning rule), der festlegt, wie sich das Gewicht der Verbindungen in Abhängigkeit zu dem über sie verlaufenden Aktivierungs-prozess, d. h. aufgrund von Erfahrung, verändert.9

– ein Verfallsalgorithmus, der festlegt, wie sich Gewichte von Verbindungen verringern, die über einen gewissen Zeitraum nicht genutzt bzw. ohne Akti-vierungseffekt genutzt wurden.10

– ein Update-Verfahren: Entweder erfolgt die Aktivierung von Eingabe-Ein-heiten synchron in Runden, oder asynchron. Eine Aktivierungsrunde dauert an, bis das System einen Gleichgewichtszustand erreicht hat, einen optimalen Zustand, indem das herrschende Konnektivitätsmuster weitere sekundäre, tertiäre etc. Aktivierungen verhindert.

– eine Umgebung, in die das Netzwerk eingebettet ist.

Nehmen wir nun für das Netzwerk 4.1 die folgenden Parameter an:

(I) Aktivierungszustände:Es gibt für alle Einheiten nur zwei mögliche Aktivierungszustände, 1 oder 0 (ein oder aus).

(II) Ausgabefunktion:F(x) = x

(III) Ausbreitungsalgorithmus: Der Input einer Einheit ist gleich der Summe der eintreffenden Signale.

(IV) Aktivierungsalgorithmus: Ist die Summe aus eingehenden Signalen und einem Fünftel des aktu-ellen Aktivitätswerts größer als oder gleich 0,5 beträgt der neue Wert 1, andernfalls 0. Nur die Eingabe-Einheiten werden nach jeder Aktivierung wieder auf 0 zurückgesetzt.

(V) Lernalgorithmus:Folgt der Aktivierung einer bestimmten Eingabe-Einheit die Aktivierung einer bestimmten Ausgabe-Einheit, vergrößert sich das Gewicht der Ver-bindung zwischen den beiden um 0,01.11

9 Eine solche Lernregel implementiert und konkretisiert sich durch das aus der Neu-rophysiologie bekannte Hebb’sche Gesetz (Hebb 1949), das McClelland/Rumelhart/Hinton (1986: 36) wie folgt reformulieren:

Perhaps the simplest version [of Hebb’s rule; T.W.] is:When unit A and unit B are simultaneously excited, increase the strength of theconnection between them.

10 Es handelt es sich hier gleichsam um die konnektionistische Implementierung des Sprichworts Wer rastet, der rostet.

11 Die hier angenommenen Funktionen, Regeln und Werte dienen allein dem Zweck der Illustration eines Prinzips und sind daher eher unter dem Gesichtspunkt relativer

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218

(VI) Verfallsalgorithmen:(a) Das Gewicht jeder Verbindung, die in einer Aktivierungsrunde nicht

genutzt wird, verringert sich um 0,001. (b) Bleibt eine Einheit inaktiv, obwohl eine andere, mit ihr verknüpfte

Einheit aktiviert wurde, verringert sich das Gewicht der Verbindung zwischen diesen beiden um 0,002.

(VII) Update-Verfahren:Die Aktivierung der Eingabe-Einheiten und die Ausbreitung der Aktivität im Netz erfolgt gemäß dem synchronen Update-Verfahren (synchronous update procedure; Rumelhart/Hinton/McClelland 1986: 61). Demzufolge fi ndet die Eingabe-Aktivierung in „Runden“ statt, d. h. nach einer ersten synchronen Aktivierung von Eingabe-Einheiten erfolgt eine zweite erst dann, wenn das System am Ende der ersten Runde eine stabiles Gleichge-wicht erreicht hat. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass sich aufeinander folgende Aktivierungen nicht überlagern.

Alle Angaben bis hierhin beziehen sich auf alle Einheiten bzw. die Verbindungen zwischen ihnen in gleicher Weise. Die Modellierbarkeit unterschiedlicher Pro-zesse wird auch in einem vergleichsweise simplen Modell wie dem vorliegenden aufgrund von weiteren Faktoren gewährleistet:

(VIII) Es ist möglich, Eingabe-Einheiten in unterschiedlichen Kombinationen zu aktivieren. So könnten in einem konkreten Fall in der ersten Runde z. B. nur α und δ eingeschaltet werden und entsprechend der Ausgabefunktion Aktivität über ihre Verbindungen weitergeben.

Einfachheit gewählt als mit dem Ziel ein Netzwerk zu schaffen, das auch nach 10, 100 oder 1000 Aktivierungsrunden noch funktionstüchtig ist oder sich gar auf ein mehr oder weniger stabiles Gleichgewicht einpegelt.

Abb. 4.2: Runde 1: Die Eingabeeinheiten α und δ sowie die davon ausgehenden Verknüpfungen sind aktiviert

Eingabe-Einheiten

A

B

C

D

Ausgabe-Einheiten

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219

(IX) Die Gewichte der Verbindungen unterscheiden sich voneinander. Obwohl also von α in Richtung aller anderen Einheiten Signale der Stärke 1 ausge-hen, variiert der Input, der bei diesen Einheiten eintrifft, in Abhängigkeit von dem Konnektivitätsmuster und dem Gewicht der jeweiligen Verbin-dung. Gehen wir von folgenden Anfangswerten aus:

– W (αA) = 0,3– W (δA) = 0,3– Alle anderen Gewichte haben den Wert von 0,1.

Nun treffen gemäß Ausgabefunktion (III) und der Ausbreitungsregel (IV) Signale mit den folgenden Stärken (S) bei den acht Einheiten ein:

S(A) = 0,6S(B) = 0,1S(C) = 0,2S(D) = 0,2

S(α) = 0,1S(β) = 0,1S(γ) = 0,2S(δ) = 0,1

Da der Zustand aller Einheiten vor der ersten Runde gleich 0 ist, führt die Aktivierung von α und δ aufgrund Regel (VI) nur zum Einschalten von A (S ≥ 0,5). Diese Einheit wird in den Zustand 1 versetzt, während alle anderen im Zustand 0 verharren. Am Ende dieser Phase, in der sich nur Aktivität von links nach rechts ausbreitet, ergibt sich das folgende Bild:

Abb. 4.3: Runde 1: Zustände am Ende der Aktivierungsphase

Mit dem Einschalten der Ausgabeeinheit ist die Aktivierungsrunde jedoch noch nicht abgeschlossen. Es folgen zwei weitere Schritte:

– die Gewichte der Verknüpfungen werden in einem Rückkopplungsprozess gemäß der Lern- (v) und der Verfallsregel (VI) modifi ziert, so dass sich zu Beginn von Runde 2 die folgenden Werte ergeben:

Eingabe-Einheiten

A

B

C

D

Ausgabe-Einheiten

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Eingabe-Einheiten

A

B

C

D

Ausgabe-Einheiten

Gewichte der Verknüpfungen zwischen Einheiten, von denen ...

... beide aktiv sind: ... beide inaktiv sind: ... nur eine aktiv ist:

W(αA) = 0,31W(δA) = 0,31W(αδ) = 0,31

W(βA) = 0,299W(βD) = 0,299W(γD) = 0,299

alle anderen:W(xy) = 0,298

– die Einheiten α und δ werden zurück auf 0 gestellt (s. o. (IV)).

Vor Beginn der zweiten Runde hat sich das Netzwerk gegenüber seinem Aus-gangszustand in zweifacher Hinsicht gewandelt:

Abb. 4.4: Das Netzwerk nach Abschluss der Rückkopplungsphase am Ende von Runde 1

Zum einen ist nun die Ausgabe-Einheit A aktiv. Zum anderen sind die Gewichte im Netzwerk nicht mehr dieselben wie ursprünglich. Als eine Folge dieser Ver-änderungen hat sich nun die Wahrscheinlichkeit, dass A auch am Ende von Runde 2 aktiv ist, gegenüber dem Ausgangszustand des Netzwerks erhöht. Waren in Runde 1 für eine Aktivierung noch Signale sowohl von α als auch von δ nötig, um A einzuschalten, reicht in Runde 2 die Aktivierung einer dieser beiden Eingabe-Einheiten aus.

4.3.2 Vom Netzwerk zum Modell

Mit dem oben vorgestellten einfachen Netzwerk sind die meisten der für eine Modellierung lexikalischer Kategorisierung benötigten Elemente in den Grundzügen eingeführt. Eine im Hinblick auf die Modellierung von Prozessen sprachlicher Dynamik notwendige Ergänzung besteht darin, dass es möglich sein sollte, dem System erfahrungsabhängig neue Eingabe- und Ausgabe-Einheiten sowie neue Verknüpfungen hinzuzufügen.

W (xy) = 0,31W (xy) = 0,299W (xy) = 0,298

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221

Eingriffe dieser Art lassen sich aus der Netzstruktur selbst heraus nicht moti-vieren. Doch sind PDP-Netzwerke, sofern sie zu Zwecken der Modellierung dienen sollen, in einer Umgebung eingebettet zu denken. Die Ausgabe-Einheiten wirken zwar rückkoppelnd wieder ins System hinein, vor allem jedoch auch über das System hinaus. Von außen wird u.a. festgelegt, welche Ausgabe-Akti-vierungsmuster bei gegebenen Eingabe-Aktivierungen wünschenswert sind bzw. angestrebt werden.

So könnte man etwa ein Netzwerk wie das oben skizzierte „lehren“, den Jahreszeiten, repräsentiert durch die Eingabe-Einheiten, in sinnvoller Weise unterschiedliche Paare von Schuhen (Pelzstiefel, leichte Halbschuhe, Sandalen und Wanderstiefel) zuzuordnen, für die die Ausgabeeinheiten stehen. Wenn also beispielsweise Winter eingeschaltet wird, sollte das Schuhwahlmodell Pelzstie-fel, bestenfalls noch Wanderstiefel, keinesfalls aber Sandalen aktivieren. Um dieses Ergebnis (und andere gleichermaßen plausible) verlässlich zu erhalten, genügt es nicht, viele Runden lang unterschiedliche durch einen Zufallsgenerator bestimmte einzelne Eingabe-Einheiten zu aktivieren und abzuwarten, welche Effekte sich dadurch auf die Aktivierungsmuster der Ausgabe-Einheiten ergeben. Wenn man so vorgeht, werden sich die Gewichte der Verbindungen zwar ständig ändern, das gewünschte Ausgabemuster wird sich aber bestenfalls zufällig und nur vorübergehend einstellen.

Um einen solchen unbefriedigenden Verlauf zu vermeiden, stehen mehrere Optionen offen. So könnte man die Gewichte von Beginn an so festlegen, dass die Aktivierung jeder beliebigen Jahreszeit die Aktivierung des entsprechenden Schuhs nach sich zöge. In diesem Fall würde das Modell zwar die erwarteten Ergebnisse produzieren; von einer erworbenen oder gar erlernten Fähigkeit könnte man jedoch nicht sprechen. Im Grunde leistete dieses gemessen am Resultat aufwändige Modell das Gleiche auf gleiche Weise, wie vier einfache Wenn-dann-Regeln.

Eine zweite Option besteht in einem Training durch Korrektur. In diesem Fall vergleicht der Trainer in jeder Runde den Zustand der Ausgabe-Einheiten am Ende der Aktivierungsphase mit dem erwünschten und erwarteten Ergeb-nis. Stellt er Übereinstimmung fest, läuft die Rückkopplungsphase ohne seine Intervention ab. Produziert das Modell jedoch ein falsches Ergebnis, greift er korrigierend ein. Dies erfolgt, indem er die Werte der Ausgabe-Einheiten entspre-chend seinen Erwartungen festsetzt und erst dann den Rückkopplungsprozess in Gang setzt. Durch dieses Verfahren verändern sich die Gewichte im Netz nun allmählich in eine Richtung, die das Erreichen gewünschter Ausgabezustände in der Zukunft zunehmend wahrscheinlich macht. Falls – wovon in dem oben lediglich zu Illustrationszwecken konstruierten und nicht durchgerechneten Netzwerk allerdings nicht auszugehen ist – die Parameter (u.a. Ausgabefunk-tion, Aktivierungs-, Lern- und Verfallsregel) in geeigneter Weise defi niert sind, sollte sich das System nach einer mehr oder weniger großen Anzahl von Runden

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in einem Zustand befi nden, der verlässliche Ergebnisse produziert. In diesem Stadium kann das Training abgebrochen werden.

Entscheidende Schritte vom mechanischen Netzwerk zum bedeutungsvollen Modell bestehen also in der Interpretation der Einheiten (z. B. als Jahreszeiten) sowie in der Vorgabe und der Motivation von Zielzuständen, die relativ zu einem gegebenen Input zu erreichen sind. Diese Interpretationen, Zielvorgaben und deren Begründungen können dem Netzwerk von außen auferlegt werden. In gleicher Weise ist es nun denkbar, dass dem System neue Einheiten und Ver-knüpfungen hinzugefügt werden. Um bei unserem Beispiel zu bleiben, könnte ein Trainer den Schuhwähler durch eine weitere, als ein Paar frühlings- und sommertauglicher Schönwetterschuhe interpretierte, Ausgabe-Einheit erwei-tern.12 Diese wäre mit allen Eingabe-Einheiten zu verknüpfen und diese Ver-knüpfungen würden dann in geeigneter Weise, z. B. mit einer für alle identischen Stärke von 0,1, gewichtet. Diesem Eingriff folgte eine erneute Trainingsphase, in deren Verlauf die Gewichte im Gesamtnetzwerk sich an die neue Situation anpassen würden.

Mit diesen Ausführungen ist die Domäne der PDP-Modelle in einem Umfang eingeführt und ausgeleuchtet, die hinreicht, sie im Sinne von Lakoff und Johnson (1980) als Quelle einer reichhaltigen strukturellen Metapher zur Veranschau-lichung der in Kapitel rekonstruierten Prozesse lexikalischer Kategorisierung tauglich erscheinen zu lassen.

4.4 Lexikalische Kategorisierung und die Dynamik der Gewichte in einem konnektionistischen Netzwerk

4.4.1 PDP und funktional-kognitive Linguistik

So wie die Generative Linguistik mit dem Paradigma der Künstlichen Intel-ligenz eine Reihe von Prinzipien teilt (Modularität, Serialität, Kognition als Manipulation von Symbolen), so lässt sich zwischen funktional-kognitiven Sprachauffassungen und dem PDP-Ansatz eine Affi nität feststellen, die eben-falls auf grundlegenden strukturellen Gemeinsamkeiten beruht. Funktionalisten wie Konnektionisten

– betrachten sprachliches Wissen als gebrauchsbasiert (usage-based). Das Sprachwissen ist, im Rahmen angeborener kognitiver Fähigkeiten, das tem-

12 In ähnlicher Weise ist es möglich, die Lage der Eingabe-Einheiten durch ein als „fünfte Jahreszeit“ zu interpretierendes Element zu erweitern.

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poräre, sich ständig im Fluss befi ndende Produkt von Rückkopplungsprozes-sen im Verlaufe konkreter Einzelerfahrungen (Langacker 2000a; Croft/Cruse 2004: ch. 11; Croft 2001; Hopper 1987, 2000; Bybee/Hopper 2001; Tomasello 2003; Elman et al. 1996; Morris/Cottrell/Elman 2000)

– gehen davon aus, dass kognitive Strukturen vielfach unscharf, prototypika-lisch und dynamisch sind

– vertreten eine (eher13) integrative, nicht-modulare Auffassung von Kognition und Sprache.

Vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeiten, ist der Konnektionismus vom Standpunkt einer funktionalistisch orientierten Linguistik auch deshalb ein attraktiver Partner, weil ihn zwei Merkmale auszeichnen, die sprachwissen-schaftlichen Theorien nicht ohne weiteres zuzubilligen sind: Zum einen lassen sich mit PDP-Modellen gestalthafte und intuitiv verständliche Bilder verbin-den, zum anderen sind sie mathematisch exakt beschrieben. Zwar gelingt die konnektionistische Implementierung konkreter sprachlicher Prozesse bisher nur in relativ kleinen und gut begrenzten Domänen des Sprachgebrauchs, wie der Bildung der englischen Past-tense-Formen (Rumelhart/McClelland 1986; Plunkett/Marchman 1991) oder der Phonologie (Touretzky/Wheeler 1993; Nadeau 2001). Andererseits sind eine Reihe funktionalistischer Kernbegriffe im Rahmen des Konnektionismus expliziert worden. Dies gilt vor allem auch für das im Zusammenhang dieser Untersuchung lexikalischer Kategorisierung zentrale Konzept des Schemas (Rumelhart 1975; Rumelhart/Otorny 1977). Rumelhart et al. (1986) bringen dies prägnant zum Ausdruck, wenn sie konstatieren:

Thus, the language of schema and schema theories should be considered an appro-ximation to the language of PDP. (ebd.: 21)

Der Konnektionismus stellt also für Ansätze wie die Prototypentheorie, kon-struktionsgrammatische Sprachauffassungen und den Diskursfunktionalismus adäquate Darstellungsformen bereit, um auch nach außen hin einer immer wieder geäußerten Skepsis begegnen zu können, die Ross im Kontext seiner Analyse des Kontinuums lexikalischer Kategorien (category squish) zu folgender War-nung veranlasst:

That is, we must not allow ourselves to obscure the fact that some proposed squishy analysis fi ts the data badly by using fuzziness as a rug to sweep the bad fi t under.

(Ross 1973: 232)

13 Aus konnektionistischer Perspektive löst sich der Gegensatz zwischen einer modularen und einer integrierten Auffassung von Kognition zugunsten einer Sichtweise auf, die von Graden der Verknüpftheit innerhalb von und zwischen verschiedenen „Regionen“ eines Gesamtnetzwerks ausgeht. Kognitive Module (Fodor 1983) repräsentierten demnach den Extremfall von (Teil-)Netzen, die innerhalb des Gesamtsystems nur minimal integriert, d. h. vernetzt, sind.

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14 Die Annahme von nur zwei Ebenen von Einheiten ist eine der offensichtlichen Vereinfachungen, die dieses Netzwerk vor dem Hintergrund des Untersuchungs-gegenstands einerseits und im Vergleich mit implementierten PDP-Modellen sprachlicher Phänomene andererseits aufweist. Vgl. zur Architektur konnekti-onistischer Netzwerke und den darin enthaltenen so genannten „verborgenen“ Einheiten (hidden units) McClelland/Rumelhart 1986b: 209–214 und Marcus 2001: Kapitel 2. Weitere Vereinfachungen, die die Vergleichbarkeit der Domä-nen bezüglich der hier herausgestellten Aspekte nicht beeinträchtigen, die mich aber zögern lassen, von einem Netzwerkmodell lexikalischer Kategorisierung zu sprechen, betreffen: – die Anzahl der Knoten– die Repräsentation aller lexikalischen Einheiten durch je einen einzigen

Knoten

Langacker bezieht sich auf denselben naheliegenden Einwand gegen eine Lin-guistik der Unschärfe, wenn er insistiert:

But to posit a continuum is not to abandon the goal of rigorous description: we must still describe the individual structures in explicit detail, even as we articulate their parameters of gradation. (1987a: 17)

PDP-Netzwerke erlauben es über die argumentative Darlegung hinaus zu zeigen, dass die funktionalistische Auffassung, kognitive Strukturen seien häufi g unscharf begrenzt und dynamisch, in der Sache selbst und nicht in einer unscharfen Analyse begründet ist.

4.4.2 Lexikalische Kategorisierung und die Adaptation der Verknüpfungsmuster in einem konnektionistischen Netz. Eine Strukturmetapher

Lexikalische Kategorisierung ist der Prozess der wechselseitigen Rückkopplung zwischen Wissen und Erfahrung eines Sprechers, in dessen Verlauf sich die Verwendungsprädispositionen lexikalischer Einheiten mal mehr, mal weniger graduell verändern. Dies erfolgt in einem Rahmen, der durch angeborene kognitive Fähigkeiten begrenzt ist, und als Reaktion auf je neue sprachliche Erfahrungen. Sprachliches Wissen umfasst das mentale Lexikon und die mentale Grammatik. Das Lexikon wurde oben (3.4.2.2) – in theoretischem, wenn auch nicht in vollständigem terminologischem, Einklang mit konstrukti-onsgrammatischen Auffassungen – als das System der gestalthaften Einheiten beschrieben; die Grammatik dagegen als das einfache, nicht einmal sprachspe-zifi sche Montage- oder Instanziierungsprinzip, das die Montage von Einheiten zu Komplexen erlaubt.

Aus dieser groben Skizze lässt sich die Grundstruktur eines Netzwerks ableiten, in dem sich zwei14 Ebenen gegenüberstehen: L, zu interpretieren als

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das System der lexikalischen Einheiten, und P, die phonologischen Einheiten. Sprechen und Verstehen sind als gegenläufi ge Aktivitäten aufzufassen, in deren Verlauf Aktivitätsmuster von der einen auf die jeweils andere Ebene abgebildet werden. Entsprechend wechselt die Funktion der beiden Ebenen mit der Rolle des Individuums im Diskurs.

Bezogen auf das in Abbildung 4.4 isoliert dargestellte System dienen die L-Einheiten dem Sprecher zur Eingabe, während die P-Einheiten die Ausgabe des Netzes repräsentieren; im Fall des Hörers kehrt sich das Verhältnis von Eingabe und Ausgabe um. Die L-Einheiten sind vielfältig miteinander verknüpft, wobei diese Verknüpfungen unterschiedlich gewichtet sind.

– die linearen (Aktivierung-, Lern-, Verfalls- etc.) Algorithmen– die Annahme, dass alle Einheiten, die durch eine Äußerung instanziiert

werden, synchron aktiviert werden.15 Vgl. Allen/Seidenberg (1999), die Grammatikalitätsurteile auf der Basis eines

durchgerechneten PDP-Modells simulieren.

Abb. 4.5: Das L-P-Netzwerk

Auch die Grammatik hat ihren „Sitz“ in den Verknüpfungen; sie ist gleichsam verteilt (distributed) über das Konnektivitätsmuster. Bestimmte Konstruktionen sind demnach nicht notwendigerweise deshalb „ungrammatisch“ oder zumindest auffällig, weil die beteiligten Einheiten nicht miteinander in Verbindung stünden oder eine bestehende Verbindung inaktiv wäre, sondern weil konkurrierende Einheiten stärker aktiviert werden.15 Abbildung 4.6 illustriert dies anhand eines minimalen Beispiels aus dem Bereich der deutschen Pluralschemata (Köpcke 1993). Die Aktivierung von /geist/ (4.6 (a)) führt zur Aktivierung des Schemas /die __er/ (4.6 (b)), während /die __s/ inaktiv bleibt:

Lexikon PhonologischeEinheiten…

……

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226

ph

onol

ogis

che

Ein

hei

ten

W= 0,3

W= 0,6

W=

–0,6

Geist

die_s

die_er

ph

onol

ogis

che

Ein

hei

ten

Geist

die_s

die_erVerknüpfungen, die

positiv aktivieren

deaktivieren

inaktiv bleiben

ⓐ ⓑ

Abb. 4.6: Grammatik als Konnektivitätsmuster aus Einheiten, Verknüpfungen und Gewichten am Beispiel der deutschen Pluralbildung; (a) vor, (b) nach der Aktivierung des Pluralschemas

Das Bild des Netzwerks verdeutlicht auch, dass die durch „__“ symbolisierte Leerstelle innerhalb grammatischer Konstruktionen, sei es der Pluralschemata oder anderer Schemata, neutral ist. Es handelt sich gleichsam um die äußerste Verallgemeinerung des strukturalistischen Valenzbegriffs. Dass die Pluralsche-mata nur durch bestimmte lexikalische Stämme mit prototypischer nominaler Prädisposition elaboriert werden können, ist nicht in der Struktur der Schemata selbst festgelegt (etwa in der Form /die N-er/), sondern eine Folge des Konnek-tivitätsmusters im Netzwerk und der Position, die der einzelnen Einheit darin zukommt.

Das in dieser Form vor dem Hintergrund des Parallel Distributed Processing(PDP) entwickelte Konzept einer distribuierten Grammatik (Fox 1994) steht in Übereinstimmung mit der oben völlig unabhängig davon aus einer konstrukti-onsgrammatischen Sprachauffassung abgeleiteten Annahme, dass Grammatik, als Prinzip der Montage sprachlicher Einheiten, letztlich einen Spezialfall eines allgemeinen kognitiven Mechanismus darstellt, der die Dynamik innerhalb von Netzwerken bestimmt.

Das Netzwerk aus L- und P-Einheiten ist nicht isoliert und nach außen hin abgeschlossen. Die P-Einheiten sind verbunden mit einem phonetischen Netz und dieses wiederum mit den Systemen der Lautproduktion und -wahrnehmung. Die L-Einheiten sind integriert in das kognitive Gesamtsystem dar, innerhalb dessen sich u.a. Aktivitäten wie Planen, Schlussfolgern, episodisches Erinnern usw. vollziehen.

In Kapitel 3 habe ich eine theoretische Konzeption lexikalischer Kategorisierung entwickelt. In den vorangehenden Abschnitten wurden die Grundelemente konnektionistischer Netzwerke eingeführt und deren Funktionsweise in groben Zügen erläutert. Dies geschah zum einen in der Absicht, die Struk-

die __erdie __er

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turmetapher Kognition ist die Gesamtheit der Aktivierungsprozesse in einem konnektionistischen Netz plausibel erscheinen zu lassen. Zum anderen musste die Domäne der Netzwerke mindestens so differenziert dargestellt werden, wie es den Strukturen und Prozessen entspricht, zu deren Veranschaulichung sie nun im Folgenden als Vergleichsobjekt dienen soll.

Vor dem Hintergrund konnektionistischer Netzwerkmodelle erscheint lexi-kalische Kategorisierung, wie andere kognitive Vorgänge auch, als ein Prozess der Adaptation von Konnektivitätsmustern innerhalb eines Netzes lexikalischer Knoten (s. die L-Ebene in Abb. 4.5). Dieses Netz ist eingebettet in umgebende Netzwerke bzw. eine Region innerhalb eines Gesamtnetzwerks, die intern hoch-gradig und nach außen hin in geringerem Maße vernetzt ist, ohne autonom zu sein. Diese Umgebung repräsentiert in die eine Richtung das kognitive System insgesamt und in die andere Richtung die Ebene phonologischer Einheiten (s. die P-Ebene in Abb. 4.5). Letztere wiederum stehen zunächst in Verbindung mit einem phonetischen Netz und, durch dieses vermittelt, mit den Organen der Sprachwahrnehmung und der Sprachproduktion.

Im Folgenden werden die zentralen Begriffe und Sachverhalte, die die Prozesse lexikalischer Kategorisierung charakterisieren, in der Sprache des Konnektionismus reformuliert und auf diese Weise veranschaulicht:

Lexikalische Kategorisierung ist der Prozess der Verinnerlichung (entrenchment) kategorialer Prädispositionen. Verinnerlichung ist die Stärkung der Verknüpfung zwischen lexikalischen Einheiten.

Lexikalische Kategorisierung lässt sich nun als der Prozess auffassen, in dessen Verlauf sich die Gewichte der Verknüpfungen zwischen kategorial neutralen Ein-heiten (z. B. lexikalischen Stämmen) und kategorial implikativen Einheiten (z. B. Flexionsschemata), die z. B. das von Langacker (1987b, 2000a) beschriebene Gegenstands- oder das Ereignisprofi l als Komponente ihrer Bedeutung einschlie-ßen, verändern. Diese Vorgänge, als Teil der Gesamtdynamik des Netzwerks, vollziehen sich permanent. Denn sowohl die Aktivierung (s. o. Lernalgorith-mus (V)) als auch die Nicht-Aktivierung einer Einheit (s. o. Verfallsalgorithmus (VI)) hat, in Abhängigkeit vom Verhalten ihrer Nachbarn, einen Effekt auf die Gewichte der von ihr ausgehenden bzw. eintreffenden Verbindungen. Verges-sen bedeutet nun Schwinden der Aktivierbarkeit einer lexikalischen Einheit, die längere Zeit nicht eingeschaltet wird und damit zu einer kontinuierlichen Schwächung aller zu ihr hin laufenden Verknüpfungen beiträgt.

Werden hingegen z. B. /kanzler/ und /__t/ gleichzeitig aktiviert, sei es, weil ein Sprecher die Form kanzlert selbst entsprechend kontextualisiert äußert oder im Gespräch von anderen hört, gewinnt die Verknüpfung zwischen dem lexikali-schen Stamm und dem verbal-prädizierend implikativen Flexionsschema gemäß dem implementierten Lernalgorithmus an Gewicht. Kognitive Linguisten wie Bybee, Langacker oder Croft bezeichnen diesen Prozess als „Verinnerlichung“

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(entrenchment; s. o. 3.4.3.2). Durch zunehmende Verinnerlichung verstärkt sich auch die Prädisposition von /kanzler/, zukünftig verbal-prädizierend verwendet bzw., wenn von anderen in dieser Weise geäußert, als „normal“ akzeptiert zu werden. Als lexikalische Einheit rückt /kanzler/ somit vom Pol der Nominalität/Thematizität in Richtung auf den Pol der Verbalität/Prädikativität.

Die Interpretation stilistisch markierter, schwer verständlicher Äußerungen ist der Effekt sich wechselseitig hemmender Aktivierungsprozesse.

Umgekehrt führt die nahezu ausschließliche Realisierung einer Einheit in Verbindung mit nominal implikativen Schemata dazu, dass Verknüpfungen zu kategorial implikativen Einheiten anderer Typen erst gar nicht entstehen bzw. „verkümmern“. So erscheint es nicht völlig unmöglich, im Deutschen eine Einheit wie /berg/ in der 3. Person Singular (er bergt (auf) etwa im Sinne von er häuft/türmt auf) zu verwenden; allerdings wäre dies, wenn überhaupt verstehbar, stilistisch sehr markiert und ungewöhnlich. Vor dem Hintergrund konnektionistischer Mechanismen, lässt sich ein solches Gefühl der Markiertheit, des Ungewöhnlichen, z. B. aus der Perspektive eines sich mit seinem Nachbarn unterhaltenden Hörers wie folgt rekonstruieren:

Aufgrund eines phonetischen Inputs werden die Einheiten /berg/ und /aufge__t/gleichzeitig aktiviert. Die im mentalen Lexikon des Hörers zwischen dem Stamm und dem verbalen Schema bestehenden Verknüpfungen tragen jedoch ein nega-tives Gewicht, so dass die Aktivierung der einen eine deaktivierende Wirkung auf die jeweils andere ausübt. Im vorliegenden Beispiel ist die Gesamtaktivität, die die beiden Einheiten über unterschiedliche Verknüpfungen16 erreicht, jedoch groß genug, um ihr Einschalten und zugleich die Inaktivität nominal implika-tiver Schemata zu bewirken und damit zu einem hinreichenden Verständnis zu führen. Als Reaktion auf diese synchrone Aktivierung wird nun die Verknüpfung zwischen den beiden Einheiten gestärkt. Dies äußert sich für unseren Hörer u.a. darin, dass, sollte der Nachbar beim nächsten Treffen wieder einmal vom „Aufbergen“ des Komposts oder irgendeines anderen Haufens sprechen, dies weniger überraschend erscheinen wird.

16 Zu nennen sind die Verknüpfungen zu anderen in der Äußerung realisierten lexika-lischen Einheiten. So ist das Signal, das /berg/ von /kompost/ empfängt sicherlich stärker einzuschätzen, als es in Verbindung mit /wasser/ oder /ruhe/ wäre. Andererseits erhält /aufge__t/ einen starken Input von /hat __/. Zudem fl ießen in die Aktivitätsbi-lanz auch nichtsprachliche Kontextinformationen von außerhalb des Lexikons ein. Der Hörer könnte z. B. morgens beobachtet haben, wie der Nachbar einen riesigen Komposthaufen aufschichtet. Im Vorfeld der Äußerung könnte allgemein von den Mühen der Gartenarbeit die Rede gewesen sein. Möglicherweise ist der Sprecher als Kauz bekannt, der es liebt, sich eigenartig auszudrücken, etc.

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Verständnisprobleme als wechselseitige Blockade lexikalischer Einheiten

In analoger Weise lässt sich der Fall unverständlicher Äußerungen darstellen. Berichtete der besagte Nachbar z. B. vom „Auffl aschen“ oder vom „Auftüren“ seines Komposts, würde die Aktivität, die das lexikalische Netzwerk ja zunächst über die phonologischen, d. h. funktional-konzeptionell noch nicht interpretier-ten, Einheiten der P-Ebene erreicht, wohl kaum zum synchronen Einschalten von /fl asche/ bzw. /tür/ und /auf__(e)n/ führen. Ein Verständnis käme somit nicht zustande; der Hörer könnte nun eine Reparatur einleiten und um Klärung bitten oder aber die Bemerkung des Nachbarn stillschweigend übergehen.

Multikategorialität lexikalischer Einheiten als Verknüpftheit mit kategorial implikativen Einheiten unterschiedlicher Typen

Einheiten, wie /tür/, /auf/, /der/ oder /sing/, bei denen für die meisten Sprecher des Deutschen die Neigung zu einer bestimmten Verwendungsweise klar domi-niert, lassen sich solche gegenüberstellen, die sowohl verbale als auch nominale Prädispositionen aufweisen, wie dies etwa für /lauf/, /tadel/ oder /jubel/ der Fall ist. Anstatt hier von jeweils zwei unterschiedlichen Einheiten auszugehen, liegt es aus der Netzwerkperspektive nahe, ungefähr gleich starke Verknüpfungen der lexikalischen Stämme zu den entsprechenden verbalen und nominalen Schemata anzunehmen. Von diesen wird dann im konkreten Diskurs in der Folge einer Vielzahl synchroner Signale nur eines tatsächlich aktiviert, während die anderen ausgeschaltet bleiben.

Diese Sicht ist im Prinzip auch auf Fälle zu übertragen, in denen sich die verbalen und die nominalen Formen in ihrem konzeptuellen Gehalt deutlicher unterscheiden, als dies bei der Tadel-tadeln und in noch geringerem Maße bei der Jubel-jubeln17 der Fall ist. Allerdings ist es häufi g plausibler, zwei unter-schiedliche Einheiten anzusetzen, zumal es hier nicht um die Rekonstruktion diachroner Verwandtschaftsverhältnisse, sondern um mentale Lexika individu-eller Sprecher geht, für die historische Gemeinsamkeiten, etwa von /Genosse/ und /genieß__/ oder von /wend__/ und /auswendig/, meist ohne Relevanz sind. Ob Paare, wie sie segelt/das Segel, sie strömt/der Strom, sie googelt/Google

17 Tatsächlich abstrahiert Tadel als deverbales Substantiv in prototypischen Verwen-dungszusammenhängen stärker als Jubel von der durch das jeweils verwandte Verb ausgedrückten Prozesshaftigkeit. Während Tadel in vielen Kontexten mit Mittel oder Ergebnis des Tadelns paraphrasiert werden kann (Er sprach einen Tadel aus. Sie er-hielt einen schriftlichen Tadel), erscheint dies für Jubel kaum möglich. Dass bei der Verwendung dieses Substantivs oft ein Bezug auf eine sich in der Zeit erstreckende Handlung vorliegt, drückt sich u.a. darin aus, dass seine Funktion auch durch nominal verwendete Verbformen ausgedrückt werden kann: Bei allem Jubel [Jubeln] über die neuen Messungen – für die Theoretiker [...]. Der Jubel [das Jubeln] währte nur kurz (Die Zeit Nr. 14, 31. März 2005, 42).

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oder gar sie sucht/die Sucht18 im hier skizzierten Rahmen als Realisierungen je einer Lexikoneinheit oder von zweien gelten sollten, würde erst eine konkrete Implementierung erweisen. Entscheidend ist zunächst, dass beide Varianten vor dem Hintergrund eines Netzwerkmodells denk- und darstellbar sind.

Die Knoten des Netzwerks repräsentieren lexikalische Einheiten unterschied-licher Art.

Die bisher angeführten Beispiele stehen im Wesentlichen für zwei Arten lexi-kalischer Einheiten: lexikalische, insbesondere prototypisch nominale und prototypisch verbale, Stämme (genauer: Schemata der Form /__STAMM__/) und Flexionsschemata. Diese beiden repräsentieren jedoch nur eine „Ecke“ eines lexikalischen Raums, in dem sich zwei Dimensionen zwischen Substan-zialität und Schematizität einerseits und zwischen symbolischer Einfachheit und Komplexität anderseits erstrecken. Darüber hinaus sind jedoch Einheiten unterschiedlicher, sich teilweise überschneidender Typen hinsichtlich ihres kategorialen Status zu bestimmen. Zunächst gilt dies für (vorwiegend) sub-stanzielle Elemente:

(I) so genannte „Funktionswörter“(II) so genannte „phrasale lexikalische Einheiten“ (z. B. Croft/Cruse 2004:

23719), die, wie z. B. Funktionsverbgefüge (in Betracht ziehen), verfestigte Präpositionalphrasen (zurzeit/zur Zeit, auf der Grundlage von) oder wieder-kehrende Nominalphrasen (die freiheitlich demokratische Grundordnung, meine sehr geehrten Damen und Herren), ähnlichen Diskursfunktionen dienen wie entsprechende prototypische Verben, Präpositionen bzw. Substantive

(III) lexikalische Einheiten, wie Sprichwörter, mit denen im Normalfall voll-ständige Sprechakte vollzogen werden.

Zu klären ist ferner die Kategorialität von

(IV) mehr oder weniger abstrakten grammatischen Konstruktionen unter-schiedlicher symbolischer Komplexität, von den Flexionsschemata über Schemata wie die Wenn-dann-Konstruktion bis zu den Schemata kom-munikativer Gattungen.

zu (I) Die so genannten „Funktionswörter“

Als „Funktions-“ oder gar als „Formwörter“ werden Konstruktionen unterschied-licher Art bezeichnet. Die mit diesen Termini nahe gelegte Auffassung, diese

18 Vorausgesetzt sind „normale“ Verwendungen dieser Formen im Zusammenhang kontextualisierter Äußerungen.

19 Lyons (1977: 23) spricht von phrasal lexems.

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Konstruktionen drückten nur grammatische Funktionen, jedoch keinen konzep-tuellen Gehalt aus, wurde oben als falsch erwiesen. Im Deutschen lässt sich am ehesten noch die Infi nitivpartikel /zu __/ als „bedeutungslos“ charakterisieren, aber schon die Funktion des Artikels, der prototypischerweise Defi nitheit bzw. Indefi nitheit signalisiert, ist auch konzeptueller Natur. Dies gilt umso mehr für Präpositionen wie /nach __/ oder Konjunktionen wie /während __/, so dass von einem Quasi-Kontinuum der Konzeptualität gesprochen werden kann, das von minimal bedeutsamen Elementen über die – nicht scharf markierte – Grenze zwischen Form- und Inhaltselementen hinweg bis zu den prototypischen Sub-stantiven und Verben reicht.

Dieses Quasi-Kontinuum der Konzeptualität lässt sich in der Form einer Reihe lexikalischer Einheiten mit zunehmend starken Verknüpfungen zu kategorial implikativen Schemata darstellen. Für die Flexionsschemata und die Infi nitivpar-tikel /zu __/ ist eine solche Verknüpfung nicht anzunehmen, wogegen Elemente wie /fern __/ (fern der Heimat) oder /während/ (während sie dort saß/während ihres Aufenthalts) zwar nicht typischerweise zur Bestimmung von Gegenständen (die ferne Heimat, der lang währende Aufenthalt) prädisponiert sind, eine solche Verwendung aber immerhin möglich ist.

Die hier synchron beschriebene Gradiertheit der Verknüpfung zu kategorial implikativen Schemata entspricht in struktureller Hinsicht dem diachronen Pro-zess der Grammatikalisierung (Lehmann 1991, 1995; Hopper/Traugott 1993) als allmähliche Abschwächung der Kategorialität. Zwei der drei von Lehmann genannten Charakteristika von Grammatikalisierung lassen sich sehr gut in das Bild sich verändernder Konnektivitätsmuster übersetzen:20

The element in question turns from a less grammatical (initially, lexical) element into a more grammatical one.

[...]

The freedom to manipulate the element decreases. It is integrated into a paradigm, it becomes increasingly obligatory in certain constructions, and it occupies a fi xed (ultimatively, morphological) position. (Lehmann 1991: 493)

20 Der dritte Bestimmungspunkt lautet: The element loses substance both on the phonological and the semantic sides; its selection restrictions are loosened (Lehmann 1991: 494).

Wenn man, wie oben geschehen, lexikalische Einheiten als einzelne Knoten im Netzwerk abbildet, handelt es sich bei dem von Lehman genannten Prozesses um einen, der sich innerhalb der Einheiten vollzieht. Stellt man aber, was zum Zwecke einer detaillierten Modellierung zweifellos geschehen müsste, lexikalische Einheiten selbst als Verbünde mehrerer Knoten dar, dann kann auch der im Zuge von Gramma-tikalisierungsprozessen auftretende Substanzverlust als graduelle Veränderung von Konnektivitätsmustern aufgefasst werden.

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Abbildung 4.7 stellt diesen Zusammenhang zwischen synchronen und diachro-nen Kategorialitätsstrukturen im Bild zweier Dimensionen des lexikalischen Raums dar:

Abb. 4.7: Zwei Dimensionen des lexikalischen Raums: Thematizität/Prädikativität und minimale/maximale Konzeptualität

Die Position einer Einheit in der (vertikalen) Konzeptualitätsdimension sym-bolisiert sowohl den Grad ihrer (diachronen) Grammatikalisiertheit als auch das relative, nach unten hin abnehmende, Gewicht ihrer Verknüpfungen zu kategorial implikativen Schemata. Daher wird auch der Gegensatz zwischen thematischer Referenzialität und Prädikativität in Richtung auf den Pol mini-maler Konzeptualität zunehmend irrelevant, was hier durch die Verengung der horizontalen Dimension zum Ausdruck gebracht wird. Am absoluten Ende eines Grammatikalisierungsprozesses verschwinden Schemata völlig, wie dies im Deutschen z. B. mit den Flexionssuffi xen der Singularformen femininer Substantive geschehen ist.

zu (II) Die „phrasalen“ Einheiten

Phrasalen Einheiten des Lexikons kann derselbe kategoriale Status zugeschrie-ben werden, wie strukturell einfachen Verben, Substantiven etc., die zum Aus-druck der entsprechenden Diskursfunktion prädisponiert sind. Diejenigen unter ihnen, die kompositional strukturiert sind, d. h. deren Gesamtbedeutung sich durch Montage der Bedeutungen ihrer Komponenten erschließt, lassen sich als Verbünde lexikalischer Knoten auffassen, deren kategoriale Eigenschaften

/_kanzler_/ /_gelb_/ /_geb_/

/nahe_/ (Adj., Präp.)

/während_/(Konj., Präp.; Part. II)

/durch_/ /an_/ (lok./dir. Präp.)

/der_/ (Art.)

/_t/ (3. P. Sg. …)

/zu_/ (Inf.-Part.)

/_ / (z. B. ehem. Gen. Sg. Fem.)

Prädikativitätm

axThematischeReferenzialität

min

Konz

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alit

ät

Funktionalität

min

max

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d de

r Gra

mm

atik

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im Wesentlichen identisch sind mit denen einer ihrer Komponenten.21 Die Verknüpfungen zwischen ihren Elementen sind so stark, dass die Aktivierung eines davon die Aktivierung der anderen sehr wahrscheinlich macht. Hier wirkt dasselbe Prinzip, das Kollokationen aller Art in zum guten Teil sprecherspezi-fi scher Weise zu relativ festen Verbindungen werden lässt ( „Ich bitte Sie ...“, „Tag und Nacht“, „meine liebe Mutter“, „in diesem unserm Lande“ etc.).

Idiomatische, d. h. nicht-kompositionale, phrasale Fügungen, wie /im Auge behalt__/ oder solche mit unikalen Komponenten, wie /in Betracht zieh__/, /keinen Hehl mach__/, lassen sich am ehesten als einzelne lexikalische Knoten auffassen, weil (hier) nicht absehbar ist, wie ihre idiosynkratischen Eigenschaf-ten durch die Interaktion zwischen vorhandenen Einheiten zustande kommen könnten. Sie werden auch als Einheiten, gleichsam mit einem Mal, erworben. Dies ist auch für kompositionale Fügungen möglich.

Diese werden jedoch in der Regel in einem längeren Prozess verinnerlicht, der sich über viele, die jeweiligen Verknüpfungen jeweils inkrementell stärkenden Realisierungen im Diskurs erstreckt. So macht es kaum einen Unterschied, ob ein Hörer Tag und Nacht in der Äußerung Und dann hab ich Tag und Nacht durchgearbeitet als Instanziierung einer festen Fügung oder als okkasionelle Bildung versteht. In dem einen Fall stellt sich das Verständnis aufgrund des hohen Gewichts der Verknüpfung zwischen den Elementen /Tag/, /und/ und /Nacht/ ein, im anderen Fall beruht es auf einer starken momentanen Aktivierung der /__ und __/-Konstruktion einerseits und der beiden anderen Einheiten, die das Schema elaborieren, andererseits. Je häufi ger der Hörer diese Fügung jedoch hört und selbst verwendet, desto stärker werden die Verknüpfungen zwischen ihren Elementen, desto „tiefer“ wird sie als feste Fügung verinnerlicht.

zu (III) Lexikalische Einheiten mit der Funktionalität von Sprechakten

Für Sprichwörter (/Morgenstund hat Gold im Mund/), routinisierte Äußerungen (z. B. die Frage des Verkäufers /Was kann ich für Sie tun?/) und andere Einhei-ten, deren typische Verwendung der Vollzug eines Sprechakts (oder einer noch komplexeren sprachlichen Handlung) darstellt, gilt dieselbe Unterscheidung wie für phrasale Elemente: Es scheint plausibel, idiomatische Phraseologismen in einem Netzwerk als einzelne Einheiten zu repräsentieren, während kompositio-nale Fügungen als Komplexe eng verknüpfter Einheiten gelten können, die sich allmählich aufgrund wiederkehrender sprachlicher Erfahrung herausgebildet haben. (Vgl. hierzu Martys 1950a: 277 ff.)

Der kategoriale Status, d. h. die Verwendungsprädispositionen, dieser Ein-heiten und Einheitencluster lässt sich nicht relativ zu den Diskursfunktionen

21 Diese Komponente ist der Phrasenkopf, eine Kategorie, deren Funktion aus der PDP-Perspektive im Prinzip rekonstruierbar ist, nicht jedoch mit den vereinfachten Mitteln, die oben für die Zwecke dieser Untersuchung eingeführt wurden.

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Referenzialität und Prädikativität bestimmen, sondern mit Bezug auf Typen sprachlichen Handelns (z. B. Searle 197622). Hier sei lediglich festgestellt, dass sie als Ganze ähnlich wie, wenn auch aus anderen Gründen als, z. B. Flexi-ons- und Derivationsschemata, nicht in direkter Verbindung mit den kategorial implikativen Einheiten zu sehen sind.

zu (IV) Schematische Einheiten unterschiedlicher symbolischer Komplexität und Schematizität

Einheiten der Typen (I) bis (III) sind minimal schematisch, d. h. sie weisen Ela-borationsstellen auf, die ihre Montierbarkeit zu größeren sprachlichen Kom-plexen gewährleisten. Sie repräsentieren im Wesentlichen jedoch substanzielle sprachliche Elemente. Im Zuge des Spracherwerbs bilden und verinnerlichen Sprecher jedoch durch Dekontextualisierung und Abstraktion Konstruktionen von größerer Schematizität, wie z. B. die Sowohl-als-auch-Konstruktion oder die Koordinierungs-Konstruktion, die nur einen geringen Anteil phonologisch substanzieller Komponenten enthalten.

Generell ist zu erwarten, dass nur diejenigen abstrakten Konstruktionen relativ schwergewichtige Verknüpfungen zu kategorial implikativen Schemata aufwei-sen, deren Instanziierungen zum Ausdruck der entsprechenden Diskursfunktio-nen dienen. Zu denken wäre dabei an Schemata der Wortbildung (Komposition und Derivation) oder der Determination (z. B. Attribuierung, Relativierung). Konstruktionen hingegen, die, wie die oben genannten, die Satz- oder die Diskursstruktur bestimmen, sind hinsichtlich der hier fokussierten Form der Kategorialität neutral.

Die Frage, ob (komplexe) Schemata als einzelne Einheiten oder als Verbünde von Einheiten mit hoher Konnektivität zu betrachten sind, beantworten Rumel-hart et al. (1986) mit großem Nachdruck:

Schemata are not „things.“ There is no representational object which is a schema. Rather, schemata emerge at the moment they are needed from the interaction of large numbers of much simpler elements all working in concert with one another. Schemata are not explicit entities, but rather are implicit in our knowledge and are created by the very environment that they are trying to interpret—as it is interpreting them. [...]

[...] Certain groups, or subpatterns of units tend to act in concert. They tend to activate one another and, when activated, tend to inhibit the same units. It is these coalitions of tightly interconnected units that correspond most closely to what have been called schemata. (Rumelhart et al. 1986: 20)

22 Allerdings entspricht Searles Taxonomie illokutionärer Akte, z. B. hinsichtlich der Diskretheit der angesetzen Kategorien, eher der traditionellen Wortartenklassifi kation als dem N-V-Kontinuum Hoppers und Thompsons.

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Diese Auffassung ist umso plausibler, als die Herausbildung abstrakter Sche-mata im sprachlichen Wissen eines Sprechers kaum als das Ergebnis eines instantanen, einmaligen Ereignisses zu begreifen ist, sondern als ein relativ langwieriger Prozess über viele unterschiedliche Diskurserlebnisse hinweg. Eine Schwierigkeit, die oben bereits anlässlich Langackers kategorialen N- und V-Schemata angesprochen wurde, zeichnet sich jedoch im Zusammenhang der konstruktionsgrammatischen Sprachauffassung ab. Wenn nämlich sprachliche Einheiten immer die Assoziation eines konzeptuellen Gehalts mit einer pho-nologischen Form darstellen (Langacker 2000a: 1), dann wirft das die Frage auf, wie Sprecher Einheiten erwerben und später zu komplexen „Koalitionen“ verknüpfen können, die phonologisch völlig abstrakt sind. Mit Bezug auf die Kategorienschemata habe ich vorgeschlagen (3.4.2.8), dieses Problem durch die Einführung des Begriffs der kategorial implikativen Schemata zu lösen. Ob sich dieses Verfahren generalisieren und auf andere Formen abstrakter Konstruktio-nen übertragen lässt, ist an dieser Stelle nicht abzusehen.23

Als Fazit zum kategorialen Status unterschiedlicher Typen lexikalischer Einheiten ist also aus der Netzwerk-Perspektive festzuhalten: Nicht alle lexi-kalischen Einheiten sind mit den kategorial implikativen Schemata verknüpft, deren konzeptuelle Seite eines der von Langacker beschriebenen, den Dis-kursfunktionen zwischen thematischer Referenz und Prädikativität zu Grunde liegenden, Profi le umfasst. Für die lexikalischen Einheiten, die mit kategorial implikativen Einheiten in Verbinden stehen, gilt, dass diese Verbindungen unterschiedlich stark sind und damit die Verwendungsprädisposition in unter-schiedlichem Maße prägen.

Die Entstehung von Sprechgemeinschaften ist das Ergebnis geteilter Erfahrun-gen auf der Basis ähnlicher kognitiver Voraussetzungen.

Die Herausbildung von Sprechgemeinschaften erklärt sich vor dem Hintergrund des Parallel Distributed Processing ganz zwanglos, ohne dass dabei das Konzept einer allen Mitgliedern gemeinsamen Sprache bemüht werden müsste. Ähnli-che Erfahrung führen innerhalb ähnlich strukturierter Netzwerke zu ähnlichen Konnektivitätsmustern. Da die kommunikativen Erfahrungen zweier beliebi-ger Personen nie identisch sind, unterscheiden sie sich auch hinsichtlich ihres sprachlichen Wissens. Dies beeinträchtigt ihre Fähigkeit, sich zu verständigen, allerdings nicht. Das menschliche kognitive System teilt mit konnektionistischen Netzwerken die Eigenschaft, robust zu sein. Letzteren wohnt die Tendenz inne, aus jedem Input „das Beste“ zu machen, ihn zu assimilieren bzw. sich selbst zu akkommodieren und dadurch einen inneren Gleichgewichtszustand zu errei-

23 Immerhin scheint Köpckes (1993, 1998) Analyse der Pluralbildung im Deutschen von ähnlichen Annahmen auszugehen. Auch Köpcke identifi ziert für das Deutsche kein einziges phonologisch abstraktes Pluralschema, sondern eine Reihe konkreter Konstruktionen, die sich hinsichtlich ihrer Prototypikalität unterscheiden.

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chen. Dies bedeutet umgekehrt, dass ein bestimmter Gleichgewichtszustand als Reaktion auf Eingaben eintreten kann, die sich in einer gewissen Bandbreite der Variabilität unterscheiden.

4.5 Lexikalische Kategorisierung und die Netzwerkmetapher

Bereits McClelland, Rumelhart und Hinton (1986: 10) heben hervor, dass das Bild des Netzwerks im Kontext der Kognitionswissenschaften gleich auf den ersten Blick plausibel erscheint. Wissenschaftliche Anknüpfungspunkte fi nden sich im Bereich der Neurophysiologie, insofern PDP-Netze eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit den uns gegenwärtig bekannten Hirnstrukturen, den neuronalen Netzen, aufweisen. Die Attraktivität der Netzwerkmetapher beruht aber nicht zuletzt auch darauf, dass sie – zu Recht oder zu Unrecht – Phäno-menen, wie Assoziationen, Geistesblitzen, Intuitionen, Versprechern, „dunklen Gefühlen“ und Prototypeneffekte aller Art, gerecht zu werden scheint, die auch Nicht-Wissenschaftlern aus dem Alltag vertraut sind.

Mentale Lexika sind keine Gegenstände in Zeit und Raum oder zumindest nicht solche, die einer Beobachtung ohne weiteres zugänglich wären. Über ihre Beschaffenheit, über ihre Eigenschaften lässt sich entweder im Modus notwen-digerweise abstrakt bleibender Analysen Auskunft geben oder aber im Modus des Bilds bzw. der Bildung von Analogien zu anschaulichen Vergleichsobjekten. In den vorangehenden Abschnitten wurde über den ersten Eindruck hinaus in einiger Ausführlichkeit gezeigt, dass die Domäne konnektionistischer Netzwerks hinreichend komplex und derjenigen lexikalischer Kategorisierung hinreichend ähnlich ist, um für die Zwecke der Veranschaulichung der vor allem in Kapitel 3 dargelegten Strukturen und Prozesse dienen zu können. Die Grenzen des Verfahrens wurden dabei nicht ignoriert. Insbesondere die Lernfähigkeit von PDP-Netzen aber und die Tatsache, dass Veränderungen ihrer Struktur in der Regel nicht abrupt, sondern infolge ständiger Wechselwirkung zwischen augen-blicklichem Systemzustand und empfangenen Signalen inkrementell erfolgen, entspricht dem, was oben im Rahmen eines gebrauchsbasierten Ansatzes über die Dynamik mentaler Lexika im Allgemeinen und über Prozesse der lexikalischen Kategorisierung im Besonderen ausgeführt wurde.

Der Wert der Netzwerkmetapher für die sprachwissenschaftliche Argumen-tation besteht u.a. darin, dass sie Konzepte wie Prototypikalität, Varianz und Kontinuität nicht im Bereich des Ungreifbaren, des theoretisch Unscharfen, der squishy analysis (Ross 1973) belässt, sondern plausible Analogien mit Ver-gleichobjekten ermöglicht, die bildlich darstellbar, vor allem aber hinsichtlich ihrer Struktur und Dynamik im Detail analysierbar sind.

Darüber hinaus erweiterte der Bezug auf konnektionistische Netzwerke den Fokus der Betrachtung auf Aspekte des sprachlichen Wissens, deren direkter

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Zusammenhang mit den Problemen lexikalischer Kategorisierung dabei deutlich wurde. Diese lassen sich vor allem mit zwei Fragen verbinden:

– Sind lexikalische Einheiten tatsächlich Ein-heiten oder sollten sie als „Koaliti-onen“ von Einheiten mit hoher wechselseitiger Verknüpftheit konzeptualisiert werden?

– Wie ist das mentale Lexikon in das kognitive Gesamtsystem einerseits und die Organe des Sprechens und der Sprachwahrnehmung andererseits einge-bunden?

Die detaillierte Beantwortung dieser Fragen bildet das Programm je eigenstän-diger Untersuchungen. Allerdings haben sich im Verlauf der zurückliegenden Ausführungen zumindest Hinweise darauf ergeben, dass auch die relativ einfa-chen lexikalischen Einheiten (z. B. Flexionsschemata, Stämme) Eigenschaften aufweisen, die eine Modellierung in der Form von Einheitenkomplexen nahe legen.

Bezüglich der Einbettung des mentalen Lexikons in das kognitive Gesamt-system hat die konnektionistische Betrachtungsweise Möglichkeiten aufgezeigt, zwischen einer radikal modularistischen und einer radikal integrativen Auf-fassung Zwischenpositionen einzunehmen. Demnach stellen sich Module als Extremfall extern gering vernetzter Systeme dar, die jedoch gegenüber anderen Systemen nicht vollständig isoliert sind, sondern mit ihnen über mindestens eine Verbindung in Kontakt stehen. Das andere Extrem bilden Gesamtsysteme, die intern so hochgradig und homogen vernetzt sind, dass sich keine Teilsysteme unterscheiden lassen. Zwischen diesen Polen jedoch lassen sich Netzwerke denken, die in verschiedene Bereiche hoher interner Konnektivität gegliedert sind, die wiederum untereinander mehr oder weniger intensiv verknüpft sind. Was hier vor dem Hintergrund des Konnektionismus formuliert ist, stimmt weitestgehend überein mit der funktionalistischen Haltung zum Problem der Zeichenbeziehung, die oben (3.5) anlässlich von Hoppers und Thompsons diskursfunktionaler Theorie lexikalischer Kategorisierung thematisiert wurde. Auch hier steht der Saussure’schen (und Chomsky’schen) Arbitraritätsthese nicht die konträre Annahme allumfassender Ikonizität gegenüber, sondern eine Auffassung, die von der partiellen Motiviertheit des Verhältnisses zwischen Form und Funktion ausgeht.

Nachdem der erste Schritt, die Dynamik lexikalischer Kategorisierung zu veranschaulichen und im Detail darzustellen, anhand der Ausführungen zur Netzwerkmetapher vollzogen wurde, richtet sich die Aufmerksamkeit Kapitel 5 nun auf konkrete Phänomene der sprachlichen Unsicherheit, der Unschärfe, der Varianz und des Wandels, die sich im Sprachgebrauch von Sprechern und, vor allem, von Schreibern antreffen lassen.

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5 Lexikalische Kategorisierung im Spiegel der Schreibung

Im Anschluss an die theoretischen Darlegungen sowie deren Veranschau-lichung wird nun exemplarisch gezeigt, wie sich Prozesse lexikalischer Kategorisierung in konkretem sprachlichem Verhalten, d. h. in der phonetisch-phonologischen bzw. der grafematischen (Dürscheid 2005: 41; Eisenberg 1998) Form kontextualisierter Äußerungen, niederschlagen.

Zunächst ist zu erörtern, wie sich lexikalische Kategorisierung im deutsch-sprachigen Diskurs überhaupt widerspiegeln kann, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, Phänomene welcher Art im Hinblick auf die hier diskutierten Probleme zu betrachten sind (5.1). Im Zentrum dieses Abschnitts steht die These, dass aus methodologischen Erwägungen für das Deutsche schriftsprachliche Äußerungen als Basis der durchzuführenden Untersuchung geeignet sind. In einem zweiten Schritt werden dann authentische Äußerungen aus Texten unter-schiedlicher Art im Hinblick auf den kategorialen Status ihrer Komponenten analysiert (5.2). Der Fokus richtet sich dabei auf Fälle, deren Kategorialität (und Identität) Schreibern wie Lesern und, zumindest teilweise, auch Recht-schreibkommissionen offensichtlich Schwierigkeiten bereitet und sich aus der Perspektive unterschiedlicher Sprachauffassungen unterschiedlich darstellt.

5.1 Wie der kategoriale Status lexikalischer Einheiten in deren Instanziierungen zum Ausdruck kommen kann

Der kategoriale Status einer lexikalischen Einheit war in Kapitel 3 bestimmt worden als die Gesamtheit ihrer permanent im Wandel begriffenen formal-funktionalen Verwendungsprädispositionen, die als statische Zustände nur durch Idealisierung und Abstraktion konstituiert und dadurch fassbar werden. Hieran schließen sich aus der Perspektive von Individuen, die ihr sprachliches Wissen entsprechend ihren kommunikativen Erfahrungen permanent modifi zieren und adaptieren, zwei Fragen an, die zum einen die Segmentierung lexikalischer Einheiten und zum anderen deren unmittelbar damit einhergehende kategoriale Spezifi kation betreffen:

(I) Segmentierung: Welche Lautsequenzen analysieren und verstehen Indi-viduen, und vor allem Sprache erwerbende Hörer, als Einheiten, und an welchen formalen Merkmalen können sie sich dabei orientieren?

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(II) Kategorisierung: Welche kognitiv-kommunikativen Funktionen assoziie-ren Sprecher und Hörer mit einer sprachlichen Einheit, und an welchen formalen Merkmalen können sie sich dabei orientieren?

5.1.1 Die Segmentierung sprachlicher Einheiten und ihre Relevanz für die lexikalische Kategorisierung

Mit dem Problem der Segmentierung sind Individuen jedes Mal konfrontiert, wenn sie eine Äußerung zu verstehen suchen. Verstehen bedeutet, einen wahr-genommenen Lautstrom oder eine Sequenz von Grafemen als spezifi sche Ver-knüpfung von Elementen zu analysieren und diese Elemente als Instanziierungen lexikalischer Einheiten zu interpretieren. Die gesprochene Sprache zeichnet sich dadurch aus, dass die Einheiten, die strukturell durch Tonhöhenverläufe, Akzente, Pausen etc. defi niert sind, nicht systematisch mit den Instanziierun-gen lexikalischer Einheiten zusammenfallen. Es ist also zu klären, wie Hörer – vor allem solche in den ersten Phasen des Spracherwerbs – Einheitengrenzen erkennen und damit lexikalische Einheiten überhaupt erwerben können.

Die Segmentierungsaufgabe stellt sich auf allen Ebenen symbolischer Komplexität, vom Erwerb der Flexions- und Derivationsschemata bis hin zur Verinnerlichung von Phraseologismen jeglicher Form. Zum sprachpraktischen (z. B. in der Didaktik) wie sprachtheoretischen Problem wird sie im Zusam-menhang mit Elementen wie /vonnöten sein – von Nöten sein/, /in Zweifel ziehen/, /Bezug nehmen auf/ etc., bei denen nicht ohne weiteres klar ist, ob der kategoriale Status von Zweifel, nöten etc. in dem selben Sinn zu bestimmen ist, wie bei anderen Realisierungen der Einheiten /not/, /zweifel/ etc. Ähnliches ist auch für die Analyse von Komposita, etwa von /laufrad/ als V+N oder von /kanzleramt/ als N+N zu sagen, deren Bestimmungsglied jedes formale Kate-gorialitätsmerkmal abgeht.

Schwierigkeiten der Segmentierung ergeben sich erst recht in Fällen struk-turell komplexerer (phrasaler, phraseologischer) Einheiten. Bevor man also den kategorialen Status lexikalischer Einheiten anlässlich ihrer Realisierungen im Diskurs analysieren kann, muss zunächst einmal bestimmt werden, anhand welcher Eigenschaften phonetische bzw. grafematische Sequenzen überhaupt als Einheiten zu identifi zieren sind. Hier steht der Sprachwissenschaftler vor einem ähnlichen Problem wie Diskursteilnehmer und der Einzelne im Sprach-erwerb. Sie alle müssen sich bei der Bestimmung von Einheitengrenzen an der Laut- bzw. an der Schriftstruktur orientieren.Das wesentliche Verfahren, das Sprecher wie Schreiber anwenden, um Gestalt-haftigkeit auszudrücken, lässt sich in einer Formel kondensieren: Zusammen-gehörendes steht häufi g zusammen. Kookkurrenz und Varianz – denn nur in der Differenz erweist sich die Identität – bilden dann auch die entscheidende

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1 In einem mittleren Stadium des Prozesses, den die Briefformel bereits weitgehend abgeschlossen hat, befi ndet sich in der gesprochenen Sprache die Wendung Wie geht’s. Hier scheinen die Pragmatisierung und der damit verbundene Verlust semantischen Gehalts jedoch noch nicht so weit fortgeschritten zu sein, dass eine Interpretation im Sinne einer Frage nach der Befi ndlichkeit immer ausgeschlossen werden kann. In manchen US-amerikanischen Sprechgemeinschaften hingegen bildet “How’s it goin’. – How’s it goin’.” bereits ein Nachbarschaftspaar analog zu “Hi. – Hi.”.

Erfahrungsbasis beim Erwerb lexikalischer Einheiten. Dass das Kookkurrenz-prinzip seine Wirkung erst über viele Diskurse und über lange Zeiträume hinweg entfalten kann, entspricht dem Wesen des Spracherwerbs als eines graduellen, verschiedene kognitive Entwicklungsphasen durchlaufenden und nie vollständig abgeschlossenen Prozesses.

Das Kookkurrenzprinzip ist statistischer Natur und lässt damit über die lexi-kalischen Einheiten, die einer gegebenen Äußerung zugrunde liegen, lediglich probabilistische Urteile zu. Wenn, was häufi g gemeinsam auftritt, in einem konkreten Fall tatsächlich zusammenhängend geäußert wird, bildet es wahr-scheinlich, jedoch nicht notwendigerweise die Instanziierung einer einzigen Einheit. Zwar stellt z. B. /mit freundlichen Grüßen/ in Deutschland eine stark verfestigte Fügung, geradezu einen Textbaustein, zur Beendigung förmlicher Briefe dar. Dies schließt jedoch nicht aus, dass ein Schreiber diese Formulierung im Einzelfall okkasionell bildet und kompositional mit der Absicht verwendet, seinen Adressaten freundlich zu grüßen.1

Was aus der Perspektive der individuellen Sprecher als Voraussetzung für den Spracherwerb gelten kann, konfrontiert den Sprachwissenschaftler, der eine spezifi sche Einzeläußerung analysieren möchte, mit einem Problem. Für Hörer/Leser ist es meist ganz ohne Bedeutung, ob der Sprecher/Schreiber eine Äußerung okkasionell und kompositional oder als Realisation einer von ihm verinnerlichten gestalthaften Fügung realisiert hat. Um in dieser Hinsicht im konkreten Einzelfall zu einer begründeten Entscheidung zu gelangen, ist selbst eine genaue Kenntnis des Sprachusus, des „normalen“ Sprachgebrauchs, innerhalb einer Sprechgemeinschaft eine unsichere Grundlage, da sie von der stillschweigenden, aber durchaus problematischen Voraussetzung ausgeht, bei dem beobachteten Sprecher oder Schreiber handle es sich um ein prototypisches Exemplar und Durchschnittsmitglied seiner Sprechgemeinschaft.

Da jedoch „jedes Individuum seine eigene Sprache und jede dieser Sprachen ihre eigene Geschichte hat“ (Paul 1995: 39), muss im Grunde diese individu-elle Sprachgeschichte in Betracht gezogen, von dieser aus auf das lexikalische Wissen des Sprechers/Schreibers geschlossen und die in den Blick genommene Äußerung vor diesem Hintergrund analysiert werden. Ein solches Unternehmen wäre äußerst aufwändig und in seiner Reichweite dennoch beschränkt, da es sich auch dann nur auf einen relativ kleinen Ausschnitt des mentalen Lexikons eines Sprechers erstrecken könnte.

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Für die Identifi zierung von Einzelfällen, in denen sich lexikalische Sequenzie-rung und Kategorisierung im sprachlichen Verhalten äußern, bieten sich alterna-tive Beobachtungsansätze. Zwar sind die sprachlichen Mittel zur Signalisierung lexikalischer Einheitengrenzen offenbar begrenzt.2 Die wesentliche und oben bereits angedeutete Ursache hierfür dürfte darin liegen, dass es Sprecher in den seltensten Fällen für nötig erachten, phraseologische und selbst idiomatische Verwendungsweisen von okkasionellen abzugrenzen, weil sie den Unterschied entweder für kommunikativ irrelevant halten oder aber davon ausgehen, dass ihre Diskurspartner als Mitglieder der gleichen Sprechgemeinschaft ohne weiteres zum gewünschten Verständnis gelangen werden.

Begibt man sich dennoch auf die Suche nach Signalen im Diskurs, die lexikalische Einheitengrenzen refl ektieren, so sind zunächst einmal diejenigen zu nennen, die Sprechern und Schreibern zur expliziten Kennzeichnung von Gestalthaftigkeit und Idiomatizität dienen. Hierzu ist z. B. die Verwendung von entsprechenden Markern zu rechnen, wie dies in der folgenden Sequenz (11) zu beobachten ist. Im Rahmen eines Telefonforums beantwortet ein Ratgeber die Frage eines Anrufers zur Altervorsorge und erteilt die folgende Auskunft:

(11) en_02_b_013

29 Ratg äh und ähm

30 -> dann gIbts eine sogenannte

rentengaranTIEzeit

31 fünf jahre nach be- beginn des

RENtenbezugs.

2 In „syntaktischen, lexiko-semantischen, pragmatischen, Aktivitätstyp-spezifi schen und prosodischen Mittel“ (Selting 2000: 487; meine Übersetzung, T.W.), die Gesprächs-teilnehmer als Ressourcen nutzen, um interaktional relevante Einheitengrenzen zu markieren und zu projezieren (ebd.; Auer 2002, 2004; Ford/Thompson 1996; Ford/Fox/Thompson 2002), sind im hier untersuchten Zusammenhang nicht von Bedeutung. Der wesentliche Grund hierfür ist, dass die Grenzen von interaktionalen Einheiten, wie die der TCU (turn constructional unit), nicht systematisch mit den Grenzen von Instanziierungen lexikalischer Einheiten zusammenfallen.

3 Alle folgenden Transkripte, auch die von anderen Autoren zitierten, entsprechen den Konventionen von GAT (Selting et al. 1998). Die folgenden Einzelpunkte sind für ein Verständnis der Transkripte relevant:

– GROSSschreibung, primärer bzw. sekundärer AkzentgrOßschreibung

– (.), (..), (0.5) Pausen– T: ge[DACHT], synchrones Sprechen

D: [DAB.]

– ick=sach=ma=so Zusammenziehen, unmittelbares Aufeinanderfol- gen der Silben (latching)

– ich mein Fett gedruckt sind die Äußerungsteile, die im Fokus der Analyse stehen.

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Mit dem vorgestellten sogenannte (Z. 30) signalisiert der Ratgeber, dass das Folgende ein feststehender und zusammengehöriger Ausdruck ist, dessen Bedeu-tung im Zusammenhang des aktuellen Gesprächs zur Rentenproblematik als kompositionale Verknüpfung der Elemente /rente/, /garantie/ und /zeit/ nicht hinreichend zu erschließen ist. Im weiteren Gesprächsverlauf zeigt sich dann auch, dass die Frage der Rentengarantiezeit, im verwaltungstechnischen Sinne des Wortes, für den Ratsuchenden wichtig ist.

Auch prosodische oder lautliche Merkmale, wie Rhythmisierung oder Reim, können Kennzeichen verfestigter Fügungen sein. Dies gilt vor allem für Sprich-wörter:

(12) Morgenstund hat Gold im Mund.´x x x x ´x x x

(13) Wer rastet, der rostet.x ´x x x x x

Zu den Phänomenen, die die Einheit verfestigter Fügungen durch Kontrast im unmittelbaren Äußerungskontext hervortreten lassen können, gehören auch Strukturen, die sich im Zuge von Prozessen sprachlichen Wandels herausbil-den. In ihrer Untersuchung zur Entstehung von Diskursmarkern im Deutschen analysieren Auer und Günthner (2003) u.a. Fälle, in denen sich Matrixsätze mit Verben des Meinens, Wissens und Sagens zu sprachlichen Mitteln entwickeln, die vorwiegend der Diskursorganisation dienen. Im Laufe dieses Prozesses „verblasst“ (ebd.: 10) – im Rahmen der untersuchten Konstruktionen – nicht nur Bedeutung und Funktion der fi niten Verben, sondern auch die syntaktischen Eigenschaften der Fügungen verändern sich und sie verlieren, was hier von besonderem Interesse ist, an phonologischer Substanz. Die folgenden Beispiele aus Auer/Günthner (2003) illustrieren dies:

(14) SUCHT – ABSTINENT (ebd.: Bsp. (7))

05 P: und eh die frAge die ich natürlich habe

ist,

06 wenn SIE: (0.5) darauf verZICHten würden;

07 also wenn sie (.) abstinEnt wären;=

08 A: = [ja:- .hh ]

09 P: [und mal Eine] woche lang NICHT

waschen [würden.]

10 A: [ha:::: ]

11 P: ja. (.)

12 eh was was was wÄr da;

13 A: oh gAr nix.

14 wär gAr nix;

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15 -> woll mer sAgn ich mein es gi- ich mein

ich bin-

16 hhh ich bin ja praktisch schon (.) ne

ÄLtere dame

17 [->4] wolln mer sAgen-

18 siemundsECHzich;

(15) BRANDENBURG 9 (ebd.: Bsp. 10)

55 Udo: ach das is iDIOtisch;

56 -> ick- ick- ick=sag=mal=so,

57 will- willst du denn all- all- allet

solche IDIOten

58 am bundestach äh sitzen haben;

59 -> ick=sach=mal=so,

60 die mußte doch jut bezahlen;

61 die leute die- die muß (..) jut

bezahlen;

62 -> ick=sag=mal=so,

63 son- sonst kannste da irgendwelche

idioten einsetzen.

(16) SCHWABEN 12 (ebd.: Bsp. 15)

17 –>Didi: der isch TOP in ordnung verstohsch,

18 mit dem kannsch e FESCHT ham;

19 bloß d=MUTter die hat e=weng en SCHUSS

in der kapsel;

20 (so )

21 -> [( )] woisch

22 Otto: [ha ] desch ja GUT-

Phonologischer Substanzverlust, das bedeutet unter anderem, dass die Elemente der betroffenen Konstruktion näher zusammenrücken und damit relativ zu ihrer Umgebung auch als Einheiten hervortreten. Dass es sich zumindest in den beiden letzten Sequenzen um Dialektsprecher handelt, beeinträchtigt diesen Befund nicht. Das Zusammenrücken äußert sich in Klitisierung (weiste, woll(n) mer), Apokopen (ich mein) und Verschleifungen (latching; ick=sach=ma=so). Auch die grammatische Einbindung in die Äußerung, an deren Peripherie sie erscheinen,

4 Auf „woll mer sAgn“ (Z 15) und „wolln mer sagen“ (Z 17) gehen Auer und Günthner nicht ein. Diese Fälle scheinen mir jedoch sowohl in phonologischer (Substanzverlust) als auch in syntaktischer (peripher) und funktionaler (diskursstrukturierend, das Fol-gende abschwächend) Hinsicht dem „ick=sach=ma=so“ in Sequenz (5) zu gleichen. Zu detaillierten Analysen aller anderen zitierten Beispiele vgl. Auer/Günthner 2003: 9 ff.

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spiegelt sich lautlich darin, dass sie dort „als selbständige prosodische Einheiten auftreten können“ (ebd.: 25).

Vielfältiger als die hier dargestellten Optionen von Sprechern sind die Mög-lichkeiten und gleichzeitig die Zwänge, die Grenzen sprachlicher Einheiten zu markieren, für Schreiber. Schreiben ist gegenüber dem Sprechen die kontrollier-tere Tätigkeit, die refl ektierte Entscheidungen ermöglicht und verlangt. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Schreiben meist im Rahmen eines didaktisierten Unterrichts auf der Basis expliziter Anleitungen und Regelformu-lierungen erlernt wird. Diese dienen Schreibern – in z.T. vereinfachter oder auch verzerrter, in jedem Fall durch individuelle Aneignung gebildeter Form5 – auch Jahre nach Abschluss des Rechtschreibunterrichts vor allem in Zweifelsfällen als Orientierungsmaßstab. Zudem ist Schreiben aufgrund seines mechanischen Charakters sowie seiner „segmentalen Organisation“ (Günther 1996: 910) eine vergleichsweise langsame Tätigkeit. Dass Schriftproduktion und -rezeption nur selten simultan erfolgen,6 eröffnet dem Schreiber zusätzlichen Spielraum zur Entscheidungsfi ndung, zur Refl exion und zur Korrektur seiner Tätigkeit.

Für die Gliederung der grafi schen Form gilt – meist (s. u.) – die Bemerkung von Maas (1992: 7): „[W]ir schreiben in grammatischen Strukturen“, und dies bezieht sich nicht nur auf die Abgrenzung von Wörtern, sondern betrifft auch die Identität anderer grammatischer Einheiten (vgl. hierzu auch Eisenberg/Feilke 2001: 7 und Coulmas 1981). Mit Schreiben ist hier nicht nur das orthografi -sche, das Recht-Schreiben gemeint, das einer sozialen Norm zu genügen sucht, sondern alle Versuche, Sprachliches im Medium der Schrift zu repräsentieren. Dies schließt linguistische Transkripte, als Verschriftlichung von Gesproche-nem, ebenso ein wie beabsichtigte oder unabsichtliche Normabweichungen in anderen Kontexten.

Die Optionen, die die Schriftsprache bietet und die aus sprachdidaktischer Perspektive als Ressource einer verstehenden Sprach- und Schriftvermittlung wahrgenommen werden können,7 stellen viele dem Schreibunterricht längst entwachsene Schreiber buchstäblich vor die Qual der Wahl. Spatien, Binde-striche und Apostrophen, Interpunktionszeichen, die Wahl zwischen Groß- und Kleinschreibung, die Worttrennung am Zeilenende bzw. den Zeilenumbruch erscheinen ihnen nicht als Mittel, die ihnen zum fl exiblen Ausdruck ihrer Absich-ten, ihrer sprachlichen Intuitionen oder auch nur ihres ästhetischen Empfi ndens zu Verfügung stehen, sondern als Instrumente, zwischen denen sie ein in dieser Form nur der Schrift immanentes „Ideal der Eindeutigkeit“ (Eisenberg/Feilke 2001: 8) zu wählen zwingt.

5 Zum konstruktiven Charakter der Aneignung von Sprachnormen vgl. Gloy 1997.6 Vgl. jedoch zum Chat Schönfeld (2001).7 Vgl. den Basisartikel von Eisenberg und Feilke (2001) in Heft 170 der Zeitschrift

Praxis Deutsch auch die sich daran anschließenden Beiträge anderer Autorinnen und Autoren aus der Unterrichtspraxis.

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Schreiber, wie Sprecher, haben von sich aus nur in begrenztem Maße das Bedürfnis, Einheiten im Hinblick auf deren lexikalische Basis zu segmentieren. Kinder etwa, die die Schrift in der Form eines „eigenaktiven“ (Friedrich 1996: 1252) oder gar eines „forschenden Lernens“ (Eisenberg/Feilke 2001: 7) erwer-ben, separieren Wörter zunächst nicht durch Zwischenräume. In der ersten Phase der Verschriftlichung von Gehörtem ist dies nicht überraschend, denn:

Wörter sind nicht zu hören, eine Gliederung in Wörter fehlt bei einer rein instrumen-tellen phonetischen Umschrift. (Maas 1992: 7)

Da die gesprochene Sprache keine systematische Markierung von Wortgrenzen auf-weist, kann sie den Kindern keine eindeutige Hilfestellung geben.

(Tophinke/Röber-Siekmeyer 1991: 53)

Zu segmentieren erlernen Kinder erst im Zuge der Aneignung der Norm, die in vielen Fällen nicht an der Sprachstruktur und das heißt vor allem am verinner-lichten sprachlichen Wissen der Schreiber orientiert ist. Für die Realisierung dieser Norm hält das deutsche Schriftsystem die oben bereits angeführten grafi schen Mittel bereit.

Der Segmentierungszwang, der Schreibern des Deutschen auferlegt ist, ist nicht nur die komplementäre Seite von Spielräumen, die Schrift-Stellern, wie Dichtern oder Werbetextern, zur Umsetzung ihrer Ausdrucksabsichten offen stehen und die Sprachdidaktiker als Anlass zur grammatischen Refl exion nutzen können. Auch für die sprachwissenschaftliche Beobachtung schafft er Ansatz-punkte. Schreiber markieren Einheitengrenzen, und in jedem einzelnen Fall lässt sich fragen, warum sie dies gerade an der vorgefundenen Stelle und in der vorgefundenen Form tun. Die Besonderheit des Schreibens ist darin zu sehen, dass ungesteuert und ungeplant erworbenes, routiniertes sprachliches Können interagiert und gelegentlich konfl igiert mit einem Wissen um orthografi sche Normen. Diese wurden von jedem Einzelnen auf der Basis von expliziten Regel-formulierungen erlernt, auf die dann zurückgegriffen wird, wenn sich Schreib-unsicherheiten ergeben (und kein orthografi sches Wörterbuch zur Hand ist).

Bevor die zuletzt angesprochenen Phänomene der Segmentierung jedoch an einer Anzahl konkreter Beispiele vorgeführt und untersucht werden, ist noch darzulegen, wie sich der kategoriale Status lexikalischer Einheiten in ihren gesprochenen und geschriebenen Realisierungen äußert.

5.1.2 Die Markierung der Funktion sprachlicher Einheiten im gesprochenen und im geschriebenen Diskurs

Lexikalische Einheiten sind als solche weder sicht- noch hörbar. Sie sind Ele-mente des sprachlichen Wissens, die selbst nicht in den Wahrnehmungsraum treten, sondern vom Einzelnen im Diskurs erworben werden und eine Grundlage

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für sein jedesmaliges Sprechen und Verstehen bilden. Lexikalische Einheiten werden durch kontextualisierte sprachliche Formen realisiert, instanziiert, konkretisiert. Dies gilt auch für ihren kategorialen Status, also für ihre proba-bilistischen funktionalen und die damit assoziierten formalen Verwendungs-prädispositionen.

Die Frage, wie sich Funktionen im Diskurs äußern, ist vor dem Hintergrund der folgenden Voraussetzungen zu beantworten, die im Zusammenhang der Diskussion diskursfunktionaler Konzeptionen lexikalischer Kategorisierung (3.3.3) ausführlich begründet wurden:

– Thema-einführende Referenzialität (Thematizität, Bezugnahme auf einen neuen Gegenstand) und Prädikativität (Bestimmung eines Gegenstands) sind die beiden fundamentalen, kognitiv verankerten Diskursfunktionen unterhalb der Ebene des (illokutionären) Sprechakts.

– Im Diskurs werden diese Funktionen nicht immer in prototypischer Form realisiert. So kann man, bezogen auf Einzelsprachen wie das Deutsche, von einem funktional-formalen Quasikontinuum zwischen den beiden Polen sprechen, auf dem sich die kontextualisierten Formen anordnen lassen.

– Entsprechend dem kognitiven Prinzip des maximalen Kontrasts (Rosch 1978) bzw. Hoppers und Thompsons (1985) Ikonizitätsprinzip sind prototypische Realisierungen unterschiedlicher Diskursfunktionen auch in prototypischer und maximal voneinander unterschiedener Weise formal gekennzeichnet.

– Ein Dissens besteht seit Beginn der wissenschaftlichen Refl exion über lexikalische Kategorisierung nicht bezüglich der prototypischen Vertreter (/frau_/, /schwarz_/, /schenk_/) und der Unterschiede zwischen ihnen, sondern hinsichtlich der problematischen, der Zweifelsfälle. Es geht dabei um die Bestimmung der Grenzen und Übergänge zwischen lexikalischen Kategorien bzw. um die Frage, ob es überhaupt begründbar ist, von diskreten Kategorien auszugehen.

Für eine empirische Untersuchung, die die Refl exe des kategorialen Status lexi-kalischer Einheiten im Diskurs analysiert, bedeutet dies, dass den Rand- oder, besser, den Zwischenphänomenen besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Tatsächlich ist für das Deutsche die Frage nach den Verfahren der Markierung von Diskursfunktionen für die prototypischen Fälle sehr leicht zu beantworten. Prototypisch referierende Formen sind defi nit und hinsichtlich Numerus und Kasus markiert, wobei Thema-einführende Referenzen nicht pronominal, son-dern nominal erfolgen; dagegen sind typische prädizierende Formen in Bezug auf Tempus, Modus, Numerus und Person bestimmt. Zwischen diesen Polen hat sich im Deutschen, wie auch in anderen indoeuropäischen, bei weitem aber nicht in allen Sprachen der Welt, eine weitere Position auf der N-V-Skala als formaler Schwerpunkt herausgebildet, dem traditionell die Wortart der Adjektive aufgrund des attributiven Verwendungspotenzials ihrer prototypischen Reprä-

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sentanten8 zugeordnet wird. Gegenstandsbezug und Gegenstandsbestimmung sind nicht nur sprachliche, sondern allgemeine kognitive Grundfunktionen. Sie bilden gleichsam das Gerüst des Satzes9 wie des Gedankens und der Wahrneh-mung. Die sprachlichen Elemente, die zum Ausdruck dieser beiden Funktionen dienen, sind formal entsprechend deutlich markiert und dadurch im Rahmen der Äußerung gegenüber anderen Elementen hervorgehoben.

Für die gesprochene Sprache bedeutet dies, dass Äußerungselemente, die zwar einen substanziellen konzeptuellen Gehalt ausdrücken (also in Abb. 4.9 nahe am Maximum der Konzeptualitätsdimension liegen), hinsichtlich ihrer Funktionalität jedoch eine Stellung zwischen den Polen Thema-einführender Referenzialität und Prädikativität einnehmen, morphosyntaktisch weniger ausgeprägt bzw. weniger eindeutig gekennzeichnet sind. Sie tragen entweder gemischte (attributive Partizipien), weniger (attributive Adjektive10) oder gar keine Funktionsmarkierungen (die Bestimmungsglieder in manchen Kompo-sita, wie Rennpferd oder Turmspringer) oder solche mit geringerer funktionaler Signalstärke (cue validity; z. B. oblique Kasus,11 prädikative Adjektive).

Die gesprochene Sprache zeichnet sich, im Kontrast zur geschriebenen, durch einige Eigenheiten aus, die die Frage des kategorialen Status der Äußerungs-elemente, wie bereits das Problem ihrer Segmentierung und der Grenzziehung zwischen ihnen, für Muttersprachler erst gar nicht aufkommen lässt. Wir ler-nen zu sprechen unabhängig von formulierten, erlernten und zu befolgenden Regeln. In der gesprochenen Sprache bleibt die Entscheidung darüber offen bzw. ungestellt, ob es sich bei Vater in dem – normalerweise in der folgenden Form verschriftlichten – Sprichwort <Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr> um ein Substantiv handelt. Zweifellos liegen hier Instanziierungen der lexikalischen Einheit /vater/ vor, die prototypischerweise, allerdings nicht im vorliegenden Fall, referenziell-nominal verwendet wird. Schreiber bzw.

8 Auch die deutschen Adjektive bilden keine homogene Klasse. So stellen z. B. /wert/ und /gewiss/ (im Sinn von sicher) periphere Fälle dar, weil sei beinahe ausschließlich prädikativ und damit morphologisch unmarkiert realisiert werden.

9 Vor diesem Hintergrund ist der Bezeichnung von Substantiv und Verb als Haupt-wortarten (z. B. Neumann 1967; Charitonowa 1977; Jensen 1982) in einem gewissen Maße plausibel und damit begründbar, dass deren prototypische Instanziierungen im Diskurs zum Ausdruck der beiden Hauptfunktionen dienen.

10 Attributive Adjektive sind vor allem nicht hinsichtlich Defi nitheit zu kennzeichnen, was ein wichtiges Merkmal zum Ausdruck der Referenzfunktion darstellt. Dennoch werden Adjektive bei Dionysios Thrax und seinen Nachfolgern, wohl vor allem wegen ihrer Flektierbarkeit für Kasus, Numerus und Genus, noch unter die Nomina subsumiert.

11 Das mag Aristoteles (Herm 2, 16 b 1) dazu veranlasst haben, die obliquen Kasus nicht den Onomata zuzurechnen, sondern sie als „Abwandlungen“ von solchen zu bezeichnen. Ähnlich subsumiert auch Marty (1950: 207) die obliquen Kasus unter die Synsemantika.

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12 Eine solche Schreibung ist weder nach der neuen noch nach der alten Orthografi enorm zulässig. Die hier angestellten Überlegungen deuten jedoch an, dass die Probleme einer plausiblen Normierung der Groß- und Kleinschreibung sowie der Getrennt- und Zusam-menschreibung im unsicheren kategorialen Status der beteiligten sprachlichen Elemen-te angelegt sind, der als solcher im Medium der Schrift nicht abgebildet werden kann. Zur Frage, ob werden und sein hier tatsächlich als Verben klein- oder aber als Substantive großzuschreiben sind, s. u. die Diskussion zu /Geben ist seliger als neh-men-Nehmen/.

Schreibnormierer müssen sich zwischen einer lexikalisch und einer grammatisch motivierten Variante entscheiden. Mit der ersten dieser beiden folgen sie dem Prinzip der Schemakonstanz (Gallmann 1989, 1996) und gelangen als Ergebnis einer Art Dreisatz zu der Form <Vater werden [...]>/<Vater sein [...]>:

Abb. 5.1: Die lexikalische Motivierung der Schreibung <Vater sein>

Im zweiten Fall könnten sie von der Feststellung, dass vater im vorliegenden Kontext morphosyntaktisch gänzlich unmarkiert ist, darauf schließen, dass es sich nicht um ein Substantiv handelt, und dementsprechend die Formen <Vater-werden>/ <vatersein> wählen.12

Dieses letzte Beispiel deutet noch einmal auf den Zusammenhang zwischen Segmentierung und kategorialem Status hin. Vor allem aber macht es erneut deutlich, in welchem Maße die Schrift den Schreiber zu expliziten sprachlichen Analysen nötigt, die ihm als routiniertem Sprecher seiner Sprache fremd sind. Für die Schreibung des Deutschen gilt dies in besonderem Maße, weil hier neben den Schwierigkeiten der Getrennt- und der Zusammenschreibung der Zwang zur Großschreibung der Substantive tritt.

Die Grundregel in diesem Bereich wird meist in der Form „Substantive schreibt man groß“ (Amtliche Regelung 1996: 884, §55) oder „Namenwörter schreibt man groß“ (Dörr 2004: 85) formuliert. Betrachtet man diese Norm vor dem Hintergrund der Nominialität-Verbalität-Dimension, dann erscheint sie dadurch motiviert, dass sie nicht eine beliebige Klasse sprachlicher Formen auszeichnet, sondern die „Extremformen“, die dem einen Pol bzw. seiner näheren Umgebung zuzuordnen sind.

Diskurs: Lexikon: Orthografi e:

['fɑtǝɑ] /fater/ <Vater>

(kategorialunmarkiert)

(prototypisch:referenziell/nominal)

(nominalmarkiert durch Großschreibung)

= =>

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Wenn es dennoch, wie Dörr (ebd.) bemerkt, „[... m]anchmal [...] aber nicht so einfach [ist], Namenwörter zu erkennen“, dann hat das mehrere Gründe. Der erste ist darin zu sehen, dass es – im Normalfall (s. aber das Beispiel Vater werden ...) – nicht der kategoriale Status einer lexikalischen Einheit ist, die für die Groß- oder die Kleinschreibung der sie instanziierenden Formen ausschlag-gebend ist, sondern die Funktion eines sprachlichen Elements im konkreten Kontext einer Äußerung:

Erst durch ein bestimmtes grammatisches Verhalten wird ein Wort zum Substantiv.(Eisenberg/Feilke 2001: 9; s. a. Maas 1992: 14. Kapitel).

Das für die Großschreibung relevante Verhalten beschreiben Eisenberg und Feilke in folgender Weise:

Entscheidend ist nun: Ein echtes Substantiv kann als Kern einer NGr fungieren. Ist das der Fall, wird es zweifellos großgeschrieben. (Eisenberg/Feilke 2001: 9)

Die Autoren führen eine Reihe von Tests an, die den syntaktischen Status einer sprachlichen Form zu klären erlauben (Artikel-, Attribut-, Kasustest; ebd.; vgl. auch Maas 1992 und nahezu alle schreibdidaktischen Werke). Diese auch nur zu kennen und, erst recht, sie adäquat anzuwenden, erfordert jedoch ein nicht geringes Maß an Übung und grammatischer Refl exionsfähigkeit. Die Probleme, die gerade auch Schreiber haben, deren schreibdidaktischer Unterricht Jahre und Jahrzehnte zurückliegt, deuten darauf hin, dass die genannten Verfahren, wenn sie korrekt angewandt werden, zwar die Befolgung der Norm erlauben mögen. Diese ist dann als arbiträre Konvention hinzunehmen, kann jedoch kaum als sprachlich begründet verstanden werden, als (Esels-)Brücke, die den Unsicheren einen bewussten Zugang zu Ihrem im Zweifelsfall relevanten, jedoch zunächst unzugänglichen sprachlichen Wissen eröffnen.

An dieser Stelle kann festgehalten werden: Die Segmentierung in separate Ein-heiten sowie die, oft damit einhergehende, kategoriale Bestimmung sprachlicher Formen durch explizite formale Signale ist eine Aufgabe, die sich Sprechern nur begrenzt und vor allem in Bezug auf die prototypische Realisierung der grundle-genden Diskursfunktionen stellt. Demgegenüber sind Schreiber des Deutschen mit der Schwierigkeit konfrontiert, sozialen Schriftnormen genügen zu müssen, die gerade in Bezug auf die Zwischen- und Übergangsphänomene häufi g nicht mit ihrem sprachlichen Wissen und den darauf basierenden sprachlichen Rou-tinen in Deckung zu bringen sind. So kann es erst zu dem kommen, was Antos (2003) als „sprachliche Zweifelsfälle“ bezeichnet:

„Sprachliche Zweifelsfälle“ [...] beruhen auf einem fehlenden, eingeschränk-ten oder unsicheren Wissen von Sprechern/Schreiberinnen (oder bestimmten Sprechergruppen) über die sozial akzeptierte Korrektheit oder Angemessenheit der geplanten oder verwendeten Formulierung für bestimmte kommunikative Aufgaben. (Antos 2003: 36).

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Antos betont, dass „,Zweifel‘ [...] Zweifelnde, also Subjekte des Zweifels, voraus[setzten]“ (ebd.). Der Zweifel ist jedoch die Ausnahme von der Regel der Routine. Individuen zweifeln nur, wenn sie einen Anlass dazu haben.13 Im Bereich lexikalischer Kategorisierung entstehen solche Anlässe, wenn Sprecher oder Schreiber zu einer eindeutigen morphosyntaktischen Markierung gezwun-gen werden, wo ihre sprachlichen Intuitionen kein routiniertes Verhalten ermög-lichen, wo also Entscheidungen darüber zu treffen ist, welche der kategorialen Prädispositionen einer lexikalischen Einheit in einem gegebenen Fall realisiert ist. Ist Geben etwa seliger als Nehmen oder nehmen seliger als geben? Sollte man das eine zu Gunsten des Anderen sein lassen oder das andere zulasten des Einen vorziehen?

Die Schwierigkeiten entstehen hier zuallererst dadurch, dass es sich in dem einen Fall (geben/Geben und nehmen/Nehmen) um periphere, untypische Rea-lisierungen der referierenden Diskursfunktion handelt, die morphosyntaktisch entsprechend undeutlich und widersprüchlich zum Ausdruck kommt (infi nite Formen prototypischer Verben in der Position von Subjekt und Vergleichs-Kon-junkt (Eisenberg 1994: 333)). Im zweiten Fall entsteht eine Spannung zwischen einer formalen Markierung mit großer referenzieller Signalstärke (defi niter Arti-kel) und dem am Prinzip der Schemakonstanz orientierten Wissen, dass man ein, einer, eines und ihre Varianten, als unbestimmte Artikel, klein schreibt. Hier steht also die grammatische Analyse in Konfl ikt mit dem lexikalischen Wissen um normale Verwendungsweisen.

Die Schreibung von zugunsten/zu Gunsten und zulasten/zu Lasten schließ-lich hängt davon ab, ob Schreiber und Rechtschreibkommissare l/Lasten und g/Gunsten als Dat.-Pl.- oder, allgemeiner, als Flexionsformen von /Last/ und /Gunst/ und damit als Komplemente interpretieren oder als Konstituenten kom-plexer Präpositionen. Gerade bei /zu Gunsten – zugunsten/ scheint die erstere Analyse schlecht motiviert, weil selbst das Substantiv /Gunst/, wenn außerhalb von verfestigten Fügungen (/__ Gunst gewähr_/; /__ Gunst erweis_) überhaupt noch, nur im Singular gebräuchlich und entsprechend als Singularetantum in den Wörterbüchern (Duden 1977; WDG) verzeichnet ist. Komplexere Präposi-tionalphrasen, wie zu seinen Gunsten oder *zu der von uns allen verehrten Prä-sidentin Gunsten, lassen sich nicht kompositional, sondern als Instanziierungen das Schemas /zu (NP

GEN) gunsten/ analysieren. Selbst für diejenigen, die das

Substantiv /Gunst/ heute noch in nicht-phraseologischen Kontexten gebrauchen,

13 Dieser unvermeidlichen Wechselbeziehung zwischen Routine und Zweifel entspre-chen „zwei für den Rechtschreiberwerb grundlegende, gegenläufi ge Prozesse [...]: Automatisierung und Bewußtwerden. Beide – darin besteht das Paradoxe – nehmen zu: Aneignung des Rechtschreibens bedeutet also sowohl mehr Fertigkeit als auch mehr Wissen“ (Friedrich 1996: 1253 f.). Und nur, wo Schreiben nicht-automatisiertes, nicht-routiniertes Verhalten darstellt, gilt, was Friedrich wenige Seiten zuvor pauschal formuliert: „Rechtschreiben ist Entscheidungsverhalten [...]“ (ebd.: 1249).

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wird die Form Gunsten außerhalb des präpositionalen Zusammenhangs kaum motiviert oder gar verwendbar sein.14

In allen genannten Fällen kommt es zum Zweifel und damit zu einer Form von Sprachbewusstwerdung. Das Wissen, das unserem routinierten Sprechen zugrunde liegt, führt hier eine Entscheidung zwischen Nominalität und Nicht-Nominalität deshalb nicht fraglos herbei, weil eine solche Entscheidung für das Sprechen irrelevant ist. Wo die Routine unterbrochen wird, müssen Schreib-normen befragt werden, um den Ausschlag für eine der möglichen Varianten zu geben. Sind die einschlägigen Normen nicht bekannt, die operationalen Verfahren zu ihrer Umsetzung nicht hinlänglich eingeübt oder sind die Nor-men nicht hinreichend bestimmt und widersprüchlich, entstehen Zweifel und Unsicherheit gleichsam als sprachliche Probleme zweiten Grades. Nachdem das Wissen als erste Routineinstanz versagt hat, bietet auch die Befragung der zweiten Instanz, der sprachlichen Norm, keine Abhilfe. An diesem Punkt wird der souveräne Schreiber seine Entscheidung unter Abwägung der vorliegen-den Anhaltspunkte und im Bewusstsein der objektiven Schwierigkeiten treffen, der weniger souveräne Schreiber wird dies mit schlechtem „orthographischem Gewissen“ (Kainz 1958; zitiert nach Friedrich 1996: 1251) tun, und mit dem Gefühl, möglicherweise doch gegen eine Norm verstoßen zu haben.

14 Zum Lemma GUNST vermerkt das Grimm’sche Wörterbuch (2004: lemid= GG27453):

[...] die fl exion ist ahd. und mhd. die eines masc. bezw. fem. i-stammes. im 17. jh. dringt in den plural des femin. wie allgemein die schwache fl exion ein [...] der umlautlose dat.plur. zu gunsten seit dem 15. jh. sp. 1121. [...].

Zahlreiche Fundstellen für zu (+ NPGEN

) + gunsten (Dat. Pl.) im Sinne von „im Inte-resse, zum Nutzen“ werden seit dem 18. Jahrhundert vermerkt. Nicht ohne weiteres zu bestimmen ist jedoch, ab welchem Zeitpunkt die Form für die Sprecher als Dat. Pl. von /Gunst/ nicht mehr durchschaubar war. In diesem Zusammenhang bemer-kenswert ist die Feststellung, dass auch die Präpositionen /neben/ und /zwischen/, die keine Verwandtschaft zu heute noch gebräuchlichen Substantiven erkennen lassen, sich auf der Basis (ahd.) Präpositionalphrasen, /in ebani/ (in Gleichheit) und /in zwisken/ (in der Mitte von beiden), entwickelt haben (di Meola 200: 126). Es wäre zu prüfen, ob Schreiber und Sprecher das Dat.-Pl.-Schema /__en/, das durch schwach deklinierende feminine Substantive elaboriert wird, mittlerweile in Verknüpfungen mit bestimmten Präpositionen als komplexes Schema /PRÄP N-en __/ reanalysieren (/zuzeiten, zugunsten, zulasten, zuhanden, zu Händen, inmitten, aufseiten/), das (im Standarddeutschen) eine Elaboration durch eine Genitiv-NP verlangt.

Die Verfestigung von häufi g verwendeten Präpositionalphrasen zu Adpositionen (an-stelle, zuliebe) und zu (prädikativ/adverbial verwendbaren) Adjektiven (zu Diensten, im Stande, zu Lande), ist offensichtlich ein gegenwärtig sehr produktiver Prozess. Di Meolas (2000) Studie zur Grammatikalisierung deutscher Präpositionen zeigt das anhand zahlreicher Beispiele.

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Nur in diesen Zweifelsfällen, die typisch sind für die Schriftsprache, gilt also Friedrichs Feststellung:

Orthographische Entscheidungen lassen sich [...] auf drei wesentliche Wissensdo-mänen zurückführen: Konfi gurationen und Schemata [Routine; T.W.], Prozeduren und Begriffe [orthografi sches Regelwissen; T.W.] sowie Metakognitionen und Bewertungen. (ebd.: 1249)

Die vorangegangene Diskussion hat anhand einer Reihe von Beispielen im Grundsatz deutlich gemacht, dass kategoriale Gering- oder gar Unmarkiertheit sprachlicher Formen im gesprochenen Diskurs nicht nur routiniert bewältigt wird. Sie erscheint im Sinne kognitiver Effi zienz (s. Roschs Prinzip der maxi-malen Differenz) optimal, um diejenigen Elemente der Äußerung in ikonischer Weise möglichst deutlich gegenüber ihrer Umgebung hervortreten zu lassen, die die zentralen sprachlichen Funktionen, Referenz und Prädikation, prototypisch realisieren, also nominal und verbal eindeutig markiert sind. Schreibern des Deutschen ist solche kategoriale Neutralität nicht gestattet. Sie werden nicht nur, wie die Nutzer anderer Buchstabenschreibsysteme auch, dazu gezwungen, Einheitengrenzen deutlich zu kennzeichnen, sondern müssen darüber hinaus das Quasikontinuum zwischen thematischer Referenzialität und Prädikativität entlang der Grenze zwischen Groß- und Kleinschreibung in zwei homogene und diskrete Abschnitte teilen.

Welche Schlüsse lassen sich von der Beobachtung von Schreibvarianten hinsichtlich der Kategorialität der realisierten lexikalischen Einheiten ziehen? Gehen die auf dieser Basis möglichen Befunde über die bloße Unterscheidung zwischen Substantiven (Großschreibung) und Nicht-Substantiven (Kleinschrei-bung) hinaus? Diese Fragen zu beantworten ist das Anliegen der folgenden Analysen.

5.2 Kategorialität und Schreibung: Beispielanalysen

Die aus theoretischer Sicht besonders umstrittenen Fragen stellen sich angesichts der peripheren, der nicht-prototypischen Fälle lexikalischer Kategorisierung, die in den Grenz- und Übergangsbereichen zwischen den Kategorien bzw. in den Bereichen zwischen den Polen idealer Thematizität/Nominalität und idealer Prädikativität/Verbalität liegen. Diese Grenzphänomene äußeren sich im routinierten Sprechen und Schreiben, indem sprachliche Formen entweder morphosyntaktisch keine kategorial implikative Markierung bzw. eine mit relativ schwacher Signalstärke aufweisen oder aber widersprüchlich, nominal-verbal, gekennzeichnet sind.

Denkbar sind zwei Szenarien, in denen Grenzphänomene aufgrund des Zusammenspiels zwischen lexikalischem Wissen und grammatischer Analyse

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der aktuellen Äußerung zustande kommen: Im ersten wird eine lexikalische Einheit, deren prototypische Verwendungsweise, also ihre primäre Verwendungs-prädisposition, eine referenzielle (bzw. eine prädikative) ist, zur Realisierung anderer Funktionen verwendet, z. B. als Bestimmungsglied in einem Komposi-tum oder im Kontext eines Funktionsverbgefüges (bzw. als Subjekt eines Satzes). Im zweiten, umgekehrten, Szenario wird eine lexikalische Einheit, deren stärkste Verwendungsprädisposition im Normalfall weder eine prototypisch nominale noch eine prototypisch verbale Realisation erwarten lässt, zum Zwecke der Referenz (das Auf-und-Ab) oder als Prädikat instanziiert.

Während diese Zwischenräume in der gesprochenen Sprache weitgehend unproblematisch bleiben, weil sich abnehmende Kategorialität ikonisch vor allem in abnehmender Markiertheit niederschlägt, zwingen die Schrift bzw. die Schreibnormen des Deutschen zur Eindeutigkeit. Vor allem aber führen sie zur Anwendung von Regeln, die nicht, wie die gesprochene Muttersprache, in einem unrefl ektierten und langwierigen Prozess allmählicher Verinnerlichung erworben wurden. Stattdessen haben Schreiber sie auf der Basis expliziter, in den meisten Varianten ebenso einfacher wie strikter, Regelformulierungen erlernt, die Schreiber im Zweifelsfall möglichst genau zu folgen suchen.

Ein Ausdruck abgestufter, peripherer Nominalität ist hierbei nicht möglich. Substantive schreibt man eben groß und, was großgeschrieben ist, ist im Nor-malfall – mit relativ unproblematischen Ausnahmen, wie Satzanfängen – als Substantiv zu lesen. Während das Schreiben den Schreiber also einerseits zu Entscheidungen zwingt, die sein verinnerlichtes sprachliches Wissen nicht zu rechtfertigen vermag, eröffnen ihm die grafi schen Mittel andererseits Spielräume und Kontrastmöglichkeiten, die, wer souverän damit umzugehen versteht, für die eigenen Ausdrucksabsichten nutzen kann. Schreiben wird dann zum Ausloten sprachlicher Potenziale. Beides, das Sich-abarbeiten-und-manchmal-Scheitern an Schreibproblemen und der kreative Umgang mit den Zwängen und den Möglichkeiten der Schrift und der Sprache, äußert sich in Phänomenen, die im Folgenden als Ausdruck sprachlicher Analysen der Schreiber interpretiert werden.

5.2.1 <Getrennt- und Zusammenschreibung> oder <Getrennt-und-zusammen-Schreibung>? Eine Fallstudie

Die komplexe Bildung Getrennt- und Zusammenschreibung konfrontiert seine Verwender in sehr direkter Weise mit den Problemen, die mit ihr bezeichnet werden können. Diese Erfahrung machen nicht nur diejenigen, die versuchen, diesen Ausdruck zu schreiben (und nicht nur ab- oder nachzuschreiben). Hier wird besonders deutlich, dass sprachliche Analyse, orthografi sche Regeln und der der Grafematik allgemein innewohnende Zwang zur Eindeutigkeit zu Kon-fl ikten führen können.

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Eine genauere Lektüre der einschlägigen Abschnitte in der Amtlichen Rege-lung der deutschen Rechtschreibung von 1996 (Amtliche Regelung 1996) führt die angedeutete Problematik vor Augen. Dort wird <die Getrennt- und Zusam-menschreibung> (Kapitel B, Abschnitt 0, Absatz (1)) als Thema eingeführt. Für eine Rekonstruktion der Regeln, die diese Schreibung rechtfertigen, liegt es nahe, im Kapitel C Schreibung mit Bindestrich nachzuschlagen, wo es u.a. heißt:

Man setzt einen Bindestrich zwischen allen Bestandteilen mehrteiliger Zusammen-setzungen, in denen eine Wortgruppe oder eine Zusammensetzung mit Bindestrich auftritt. (Amtliche Regelung 1996: § 44)

Als illustrierende Beispiele werden u.a. <Frage-und-Antwort-Spiel> sowie <Berg-und-Tal-Bahn> angeführt. Im Kontrast hierzu erscheint es zweifelhaft, ob Getrennt- und Zusammenschreibung in die in § 44 angesprochene Klasse fällt. Schließlich sind sowohl /Getrenntschreibung/ als auch /Zusammenschreibung/, nicht jedoch die als Ad-hoc-Bildungen möglichen *Talbahn und *Antwortspiel, gebräuchliche Komposita, mit denen auf unterschiedliche Referenten verwiesen werden kann. Die Schreibung der Amtlichen Regelung, legt also offenbar nahe, dass mit dem komplexen Terminus, nicht eine einzige (<Berg-und-Tal-Bahn>, <Getrennt-und-zusammen-Schreibung>), sondern zwei voneinander zu unter-scheidende Entitäten gemeint sind. Diese Interpretation leuchtet insofern ein, als Getrenntschreibung und Zusammenschreibung einander ausschließen.15 Der Bindestrich ist einerseits ein Grenzsignal (Syngrafem; Gallmann 1989, 1996). Andererseits ist darin ein Mittel zum Ausdruck von Kohäsion mittleren Grades zu sehen (vgl. Maas 1992: 190), dessen Verwendung der „,Quasi-Zusammen-schreibung‘“ (ebd.: 176) und als Alternative zur Zusammenschreibung dient:

Der Bindestrich bietet dem Schreibenden die Möglichkeit, anstelle der sonst bei Zusammensetzungen und Ableitungen üblichen Zusammenschreibung die einzel-nen Bestandteile als solche zu kennzeichnen, sie gegeneinander abzusetzen und sie dadurch für den Lesenden hervorzuheben. (Amtliche Regelung 1996: C-0-(1))

Wenn das weithin gebräuchliche <die Getrennt- und Zusammenschreibung> (z. B. auch in Maas 199216) im Sinne der oben angestellten Überlegungen zu lesen ist, dann fungiert der Strich weder als Verbindung zweier Konstituenten eines Kompositums noch zur Vermeidung einer Unübersichtlichkeit, die eine durchgängige Zusammenschreibung (<Getrenntundzusammenschreibung>) mit

15 Eine „Getrennt-und-zusammen-Schreibung“ liegt am ehesten bei Bildungen wie <Ge-trennt- und Zusammenschreibung> vor, die teils getrennt, teils zusammengeschrieben werden.

16 Bei Maas fi ndet sich als Schreibvariante <die Getrennt-/ Zusammenschreibung> (Maas 1992: 176, 186 usw.). Im Gegensatz zum von Maas synonym verwendeten <Getrennt- und Zusammenschreibung> handelt es sich hier um eine rein schrift-sprachliche Form.

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sich bringen würde (vgl. Amtliche Regelung 1996: § 45). Stattdessen werden die Leser aufgefordert, etwas Ausgespartes zu „restituieren“ (Gallmann 1989: 96). Bei dem zu Restituierenden handelt es sich um ein Element, das – z. B. aus stilistischen (Vermeidung von Wiederholungen) oder ökonomischen Gründen (Streben nach Kürze) oder um die Zusammengehörigkeit der beiden Elemente zu betonen – ausgelassen wurde, das jedoch aus dem Folgenden erschlossen werden kann. Es liegt dann ein so genannter Ergänzungsstrich vor, der in der Amtlichen Regelung an ganz anderer Stelle, im Kapitel E Zeichensetzung, Abschnitt 4 Markierung von Auslassungen, behandelt wird:17

Mit dem Ergänzungsstrich zeigt man an, dass in Zusammensetzungen oder Ableitungen einer Aufzählung ein gleicher Bestandteil ausgelassen wurde, der sinn-gemäß zu ergänzen ist. (Amtliche Regelung 1996: §98)

Wie dieser Paragraph anzuwenden ist, illustriert die Amtlichen Regelung u.a. mittels der Beispiele Haupt- und Nebeneingang (= Haupteingang und Nebeneingang) und Eisenbahn-, Straßen-, Luft-, und Schiffsverkehr. Über den Gebrauch, insbesondere über den Skopus, des Artikels in Bildungen dieser Art, lässt sich den Ausführungen ebenso wenig entnehmen, wie den Publikationen von Gallmann (1989) und Maas (1992). Im Hinblick auf den hier betrachteten Fall sind zwei Analysen möglich: Entweder ist die Reichweite des Artikels auf die erste und abgekürzte der beiden koordinierten Komposita ([die Getrennt-] und [Zusammenschreibung]) begrenzt oder sie erstreckt sich auf beide als ihre Bezugskonstituente (die [Getrennt- und Zusammenschreibung]).

Von den beiden Lesarten scheint letztere zunächst unplausibel zu sein (s. jedoch unten). Dem Modell /Berg-und-Tal-Bahn/ folgend, legt sie nahe, dass es hier um eine Form der Schreibung geht, die sich gleichzeitig durch Trennung und Zusammenfügung auszeichnet. Auf der Grundlage dieses Verständnisses wäre aber wohl die Variante <Getrennt-und-zusammen-Schreibung> vorzuziehen. Aber auch die erste Lesart ist aus syntaktischer Sicht nur akzeptabel, wenn man davon ausgeht, dass der Artikel in der zweiten Konstituente der Koordinations-konstruktion zu ergänzen ist (im Sinne von die Getrennt(schreibung) und (die) Zusammenschreibung), ohne dass diese Ergänzungsbedürftigkeit markiert wäre. Im Normalfall gilt, dass die letzte von zwei koordinierten Nominalphrasen, die sich auf unterschiedliche Referenten beziehen, selbst dann einen Artikel erfordert, wenn sich beide im Numerus und, beim Singular, im Genus nicht unterscheiden. Die folgenden konstruierten Beispielsätze verdeutlichen dies (identische Indizes verweisen auf identische, unterschiedliche Indizes auf unterschiedliche Referenten):

17 Im Gegensatz dazu sieht Gallmann (1989: 85) in dem Ergänzungsstrich einen Typ des Bindestrichs neben dem Trenn- und dem Kopplungsstrich (d. h., dem Bindestrich i.S. der Amtlichen Regelung).

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(16) *Sie erlebte die Vorkriegszeitx und die Nachkriegszeit

y.

(17) *Sie erlebte die Vorx- und die Nachkriegszeit

y.

(18) ?*Sie erlebte die Vorkriegszeitx und Nachkriegszeit

x/y.

(19) *Sie erlebte die Vorx- und Nachkriegszeit

x.

Satz (19) legt eine Interpretation nahe, der zufolge die Vorkriegszeit und die Nachkriegszeit, von denen hier die Rede ist, identisch sind, also etwa die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen gemeint sind.

Allerdings ist bei Koordinierungen, die einen gewissen Grad der Verfestigung erreicht haben und deren Referenten als Ganzheit oder als Gruppe angesprochen werden, eine Konstruktion der Form /DETERMINANS N und N/ möglich und gebräuchlich:

(20) Meine sehr verehrten Damen und Herren (Viereck 2004)!18

(21) Die Damen und Herren von der Union haben bereits [...] dem ehrenamt-lichen Engagement [...] Schaden zugefügt (Viereck 2004).

(22) [...] bis er uns den Freunden und Verwandten übergeben konnte, die uns abholten (Sinclair 2004).19

Analysiert man < - > als Ergänzungsstrich, so tritt die Analogie von <die Getrennt- und Zusammenschreibung> zu den entsprechenden Koordinativkon-struktionen in (11)–(13) hervor. /Damen und Herren/, /Freunde und Verwandte/ sowie /Getrennt- und Zusammenschreibung/ wären dann nicht nur als verfestigte, sondern auch als idiomatische Fügungen zu betrachten und ihre syntaktische Struktur mit [DET [N und N]] anzugeben.

Der folgende Satz (23), der einer älteren Ausgabe eines Rechtschreib-Wör-terbuchs (Duden 1986) entstammt, unterstützt diese Analyse.

(23) Im Bereich der Zusammen- und Getrenntschreibung gibt es keine allge-meingültige Regel (Duden 1986; zitiert nach Maas 1992: 176).

Neben dem weiten Skopus des Artikels der ist, auf der Ebene der Bedeutung, die „Lokalisierung“ der Getrennt- und Zusammenschreibung in einem gemein-samen Bereich als Indiz dafür zu deuten, dass (14) nicht eine Aussage über zwei Entitäten trifft, sondern einen einzigen, allerdings komplexen, „Gegenstand“ charakterisiert. Dabei handelt sich nicht um eine Menge konkreter, jedoch mit-einander nicht zu vereinbarender Eigenschaften von schriftsprachlichen Formen (d. h. ihr Getrennt- und Zusammengeschrieben-Sein), sondern um eine abstrakte

18 Siehe http://www.spd-landtag-nds.de/web/content.jsp? nodeld =6065&lang=de (15. April 2005). Diese Form der Anrede empfi ehlt auch die Dudenredaktion (Du-den 2001: 191).

19 Siehe http://home.t-online.de/home/RIJONUE/sincla2d.html (15. April 2005).

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Domäne, die alle Aspekte sowohl der Getrenntschreibung als auch der Zusam-menschreibung sowie des Verhältnisses zwischen beiden umfasst.

Zum Abschluss dieser Überlegungen erscheint also die konventionelle Schreibvariante <die Getrennt- und Zusammenschreibung> auch aus sprach-wissenschaftlicher Sicht gerechtfertigt. Wichtiger als dieser Befund ist im gegenwärtigen Argumentationszusammenhang jedoch der Nachweis, dass die Frage „Warum wird das so geschrieben?“ nicht nur unhinterfragte Routinen aufbricht, sondern auch in Irritationen münden kann. Diese Irritationen sind im Falle von <Getrennt- und Zusammenschreibung> wiederum darauf zurückzu-führen, dass die explizierten sprachlichen Strukturen auf der Basis einer kom-positionalen, an der verschriftlichten sprachlichen Struktur orientierten Lesart nicht miteinander vereinbar scheinen. Dieses Problem wurde erst durch eine idiomatische Interpretation der fraglichen Fügung aufgelöst. Was Eisenberg und Feilke (2001) mit der Bezeichnung Rechtschreiben-Erforschen zum didaktischen Programm erheben, erweist sich hier auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht als aufschlussreich. Sobald Schreibung problematisch wird, sobald die Frage gestellt wird, warum Schreiber in einer bestimmten Weise schreiben, wird die Schreibung zum Anlass und zum Ansatzpunkt einer Analyse grammatischer und lexikalischer Einheiten, ihrer Grenzen und ihres kategorialen Status, als Faktoren, die in der Routine des Sprechens teilweise unmarkiert, fast immer jedoch unrefl ektiert bleiben.

Ausgehend von dem zuletzt ausführlich analysierten Fall, soll dies im Fol-genden durch den Verweis auf eine größere Zahl unterschiedlicher Beispiele demonstriert werden.

5.2.2 Getrennt- und Zusammenschreibung

Die bisherigen Überlegungen zur Schreibung des Deutschen, vor allem die Analyse der komplexen Einheit <Getrennt- und Zusammenschreibung>, haben gezeigt:

– Die Kategorialität sprachlicher Einheiten steht in engem Zusammenhang mit ihrer internen Struktur und ihren externen Grenzen. Diesbezügliche Ana-lysen und Intuitionen von Schreibern äußern sich vor allem auf der Ebene der Getrennt- und Zusammenschreibung. Im Hinblick auf die Kategorialität sprachlicher Elemente müssen Schreiber also nicht nur zwischen Substantiven und Nicht-Substantiven (Groß- bzw. Kleinschreibung) entscheiden, sondern auch zwischen sprachlichen Elementen mit eigenem kategorialen Status und solchen, die als Komponente gestalthafter komplexerer Einheiten kategorial unbestimmt bleiben, wie etwa bestimmte „Substantive“ in Funktionsverbge-fügen oder komplexen Präpositionen.

– Probleme der Schreibung (groß vs. klein, zusammen vs. getrennt) ergeben sich vor allem anlässlich von Formen, die keine der beiden kommunikativen

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20 Die Funde entstammen in erster Linie Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln (Druck- und On-line-Ausgaben), die ergänzt werden durch Beispiele aus studentischen Arbeiten, aus der Belletristik und solchen, die in der linguistischen Fachliteratur zitiert werden. Bei Zitaten aus Zeitungen und Zeitschriften verzichte ich aus Gründen der Lesbarkeit auf exakte Nachweise der Belegstellen.

Grundfunktionen, Referenz und Prädikation, realisieren, die also kategorial eher neutral und in der Mitte des funktionalen Spektrums (s. o. 3.3.3) einzu-ordnen sind.

Die im Folgenden vorgestellten Beispiele stützen und konkretisieren diese bei-den Feststellungen. Sie entstammen – ebenso wie die bisher analysierten Fälle – einer Zufallssammlung, die ich in den Jahren 2003 bis 2005 auf der Basis von Alltagslektüre20 zusammengetragen habe. An dieser Stelle der Untersu-chung sollen (und können) nicht neue und eigenständige Schlussfolgerungen gerechtfertigt werden. Allerdings zeigt sich: Phänomene, die sich auf die oben in theoretischer Hinsicht beschriebenen Prozesse lexikalischer Kategorisierung zurückführen lassen, zeigen sich im Medium der Schreibung auf vielfältige Art, die über die einfache Unterscheidung zwischen großgeschriebenen Substantiven und kleingeschriebenen Nicht-Substantiven hinausgeht.

Drei Gruppen von Fällen normabweichender Schreibungen werden präsen-tiert:

(I) Präpositionen und Präpositionalgefüge(II) komplexe Adjektive/adjektivische Konstruktionen und komplexe

Verben/verbale Konstruktionen(III) sprachliche „Klischees“ (Grass 1963; zitiert nach Texte 1971: 140)

zu (I) Der kategoriale Status von Einheiten mit prototypisch nominaler Verwendungsweise im Kontext von präpositionalen Konstruktionen

In seiner Untersuchung deutscher Präpositionen deutet Di Meola (2000: 223) „eine veränderte Rechtschreibung des betreffenden Präpositionalausdrucks [... als] ein offenkundiges Anzeichen für fortschreitende Grammatikalisierung“. Davon betroffen sind „präpositionale Bildungen mit der Form eines Substantivs“ (dank seines guten Willens) ebenso wie solche „mit der Form einer Präpositi-onalphrase“ (ebd.; aufgrund seines guten Willens). Die Grammatikalisierung der Substantive, ihre Präpositionalisierung bzw. ihr Aufgehen in komplexen Präpositionen oder Funktionsverbgefügen, geht einher mit einer Dekategori-sierung, d. h. dem Verlust aller kategorial implikativen formalen Merkmale, wie Flexion und Artikel.

Wenn man Rechtschreibung mit sprachlicher Norm gleichsetzt, die die Ent-wicklungen der Schreibgemeinschaft häufi g erst mit einer gewissen Verzöge-

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rung nachvollzieht, dann muss man gegenüber di Meolas Vorgehensweise den Blickwinkel auch auf Fälle nicht-normgerechten Schreibens erweitern. Gerade ein Nebeneinander von teilweise durch die Norm nicht sanktionierten Varianten kann als Indiz kategorialer Undeutlichkeit und eines anhaltenden, noch nicht abgeschlossenen Sprachwandelprozesses interpretiert werden.

Die kategoriale Unbestimmtheit bzw. Uneindeutigkeit der unten unterstri-chenen und typischerweise nominal verwendeten Elemente spiegelt sich in der Varianz ihrer Schreibung.21 Das Spektrum reicht von Getrennt- und Großschrei-bung (Nominalität) über Getrennt- und Kleinschreibung (Nicht-Nominalität) bis hin zur Zusammenschreibung von Präposition und (ursprünglichem) Nomen (Akategorialität).

(24) [...] Durch die Misswirtschaft des korrupten Diktators Mobutu Sese Seko, der mithilfe [mit Hilfe]22 Belgiens und der USA jahrzehntelang an der Macht gehalten wurde, [...].

(25) (a) Trifft die FR-Meldung vom 17. Oktober 1997 zu, derzufolge [der zufolge] die Bundeswehr ihre ursprüngliche Teilnahme am Treffen der ODR zurückgezogen hat?

(b) (wie die „Dunkelheitshypothese“, der zufolge die Kinder der nordi-schen Staaten besser lesen, weil es früher dunkel wird [...]).

(c) Eine besondere Brisanz erhält der Paragraf durch eine Folgeverpfl ich-tung, der zu Folge [der zufolge] der Lauschangriff [...].

(26) Henri Becquerel entdeckt die Radioaktivität [...] des Uran an Hand [anhand] der Schwärzung in Papier gehüllter fotografi scher Platten.

(27) Auch das Angebot der Weiterbeschäftigung [...] ist in bezug [in Bezug] auf Arbeitsaufgaben [...] nicht untersetzt.

Ähnliche Beobachtungen lassen sich im Bereich von Konstruktionen machen, die je nach Schreibung entweder als adverbial verwendete Präpositionalphrasen oder als Adverben, die aus Präpositionalphrasen hervorgegangen sind, analysiert werden können.

(28) Die Behörden ermitteln zurzeit [zur Zeit] noch wegen 174 Todesfäl-len.

(29) Angesichts des weltweit stark eingetrübten Konjunkturklimas habe sich die gesamtwirtschaftliche Produktion hier zu Lande [hierzulande] damit „noch relativ gut gehalten“.

Den Abschluss dieser Abteilung bilden Präpositionalphrasen, die in komplexe Verbgefüge aufgehen.

21 Vgl. für weitere einschlägige Beispiele auch die von di Meola 2000 im Rahmen seiner Korpusuntersuchung kompilierten Funde.

22 Normgerechte Varianten belege ich nur ausnahmsweise mit authentischen Zitaten. Stattdessen ich füge sie eckig geklammert in die jeweiligen Beispiele ein.

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(30) Der Konsens über den Weg zum geeinten Europa wird dadurch zwar nicht leichter zustande kommen [zu Stande kommen].

(31) Ich halte ihm aber zu gute [zugute], dass er selbst die Notbremse gezogen hat.

(32) [...] und daß dies auch zutage getreten [zu Tage getreten] sei.(33) Bundeskanzler Gerhard Schröder machte sich die Meinung der deutschen

Wirtschaft zu Eigen [alt: zu eigen], die mehr Rechte für den Vorstand bei Abwehrmaßnahmen fordert.

(34) [...] d. h. es kann durchaus sein, dass die Vereinbarung nicht in Kraft tritt.Im Fall des Inkrafttretens [In-Kraft-Treten] der Vereinbarung [...]

zu (II) So genannte Nomen-Verb-Verbindungen; Partizipial- und Adjektiv-konstruktionen

Bereits die Tatsache, dass die Schreibung der hier zu betrachtenden Fügungen der Anlass für einen sprachwissenschaftlichen Disput bilden konnten (Gallmann 1999, 2000; Bredel/Günther 2000), deutet darauf hin, dass ihre grammatische Analyse und deren adäquate grafematische Repräsentation problematisch sind. Ohne dass an dieser Stelle die Debatte im Einzelnen rekonstruiert werden müsste, schließe ich mich der Position von Bredel und Günther (2000) an, die mit den hier vertretenen theoretischen Auffassungen in Einklang steht und die sie selbst so zusammenfassen:

[...] Das heißt aber doch nichts anderes, als dass die Schreibung darüber Auskunft gibt, wie der Schreiber syntaktisch konstruiert hat, und es gibt eben gerade im Bereich der GZS [Getrennt- und Zusammenschreibung; T.W.] von N + V-Verbindungen eineVielzahl von Ausdrücken, die syntaktisch mehrdeutig sind. (ebd.: 109)

Diese Mehrdeutigkeit und ihre Folgen für die Schreibung umreißen die Autoren wie folgt:

Von der Prämisse ausgehend, dass die Regelung der GZS syntaktisch basiert sein muss, kommen für die Schreibung der verbalen Pendants zu den Nomina Radfahren, Autofahren [... etc.] zwei grundsätzliche Möglichkeiten in Betracht:

a) Die N-Bestandteile werden als Wortbestandteile erfasst oder können zumin-dest als solche erfasst werden. [...] Die Konsequenz daraus lautet: Schreibt ein Schreiber ich halte Maß, so analysiert er Maß als das Substantiv einer Akkusativergänzung[...] des zweiwertigen Verbs halten; schreibt er ich halte maß, so benutzt er das einwertige Verb maßhalten.[23]

23 In diesem zweiten Fall kann von einer „N + V-Verbindung“ nur in dem Sinne die Rede sein, dass maß eine nicht-prototypische, d. h. eine nicht-nominale Realisierungsform der lexikalischen Einheit /Maß/ darstellt, deren primäre Verwendungsprädisposition in funktionaler Hinsicht nahe dem Pol der Thematizität liegt und in formaler Hinsicht eine nominale ist.

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b) Die N-Bestandteile werden als substantivische Konstituenten erfasst. Daraus folgt, dass in Kontaktstellung der nominale Bestandteil getrennt und groß ge-schrieben wird. (ebd.: 103 f.)

Bredel und Günther plädieren vor dem Hintergrund ihrer Befunde in plausibler Weise dafür, dass die Rechtschreibnorm den oben beschriebenen Umständen „Rechnung tragen und alternative Schreibweisen gemäß alternativen Analy-sen zulassen“ (ebd. 109) muss. Lenkt man den Blick von den Problemen der Schreibnormung zur Schreibwirklichkeit, die zwar an Normen orientiert, nicht aber durch sie determiniert ist, so fi ndet man, dass Schreiber in Fällen, die mit denen von Gallmann und Bredel/Günther diskutierten vergleichbar sind, tatsächlich zu Alternativen gelangen und entsprechend schreiben:

(35) [... D]ann wurde Mittag gegessen, und man ging auseinander.(36) Derweil verdichtet sich der Verdacht, dass der DFB in der Affäre selbst

seinen heiligsten Vorsatz [...] nicht allzu Ernst [ernst] genommen hat. (37) Michelin-Reifen vielleicht Renn entscheidend [rennentscheidend; Arti-

kelüberschrift](38) Viktoria Niemann-Stirnemann [...] kann jederzeit von Omi oder Papa

Olli versorgt werden, wenn Mutti Eisschnellläuft.

Das Beispiel (27) zeigt, dass Schreiber gelegentlich auch Analysen verschrift-lichen, die nicht nur von der Norm abweichen, sondern sprachlich auch kaum nachvollziehbar sind. So wird hier ernst in <Ernst genommen> als Instanziierung des Substantivs /Ernst/ verschriftlicht und nicht als Form des Adjektivs /ernst/, was angesichts der adverbialen Modifi zierung durch <nicht allzu> nahezuliegen scheint. <Eissschnellläuft> in (29) bringt hingegen eine in sich widersprüchli-che Intuition zum Ausdruck, der zufolge es sich zwar um ein komplexes Verb handelt (deshalb Zusammenschreibung), Eis aber doch als Realisierung eines prototypischen Substantivs aufgefasst wird (deshalb Großschreibung).

Was Gallmann und Bredel/Günther für die Verben beschreiben, lässt sich ebenso ausgeprägt und mit demselben Niederschlag in der Schreibung für den Bereich der Partizipial- und Adjektivkonstruktionen beobachten:

(39) Die PDS Dresden unterstützt Ingolf Roßberg als parteiunabhängigen Kandidaten [...]

(40) Mehrere Reform orientierte Minister der iranischen Regierung werfen das Handtuch.

(41) Eine knappe Stunde später saß ich in einem Tel Aviver Cafe und kam mir vor, als wäre ich eben in einem Kino gewesen und hätte einen B-Movie gesehen, der auf der Erd abgewandten Seite des Mondes spielte.

(42) Auf eintausend Maschinen geschriebenen Seiten hat er 1987 seine „Lebens- und Bibliothekserinnerungen“ festgehalten.

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(43) Wie Dean linkisch mit Elizabeth Taylor fl irtet und sich später von allem, auch von sich selbst abwendet, ist so Herz zerreißend, dass man ihm wirklich alles zutrauen konnte.

(44) Bei dem Treffen, das von einem Resistance-freundlichen, irakischen Journalisten aus Falludscha vermittelt worden war, kündigte der Partisa-nenführer an, der Widerstand gegen die amerikanischen Truppen werde sich bald über das „Sunnitische Dreieck“ hinaus ausdehnen.

Im letzten Beispiel (35) kann die Verwendung des Kopplungsstrichs als Versuch interpretiert werden, zwei einander widersprechende Analysen – demnach han-delt es sich einerseits um ein einziges Wort, andererseits ist Resistance jedoch ein typisches Substantiv – in schriftlicher Form simultan zum Ausdruck zu bringen.

zu (III) Sprachliche „Klischees“

Mit dem Terminus sprachliche Klischees greife ich eine Formulierung von Günther Grass auf, die dieser in einem Schülergespräch (Texte 1971: 139–165) zur Charakterisierung bestimmter Schreibweisen in seinem Roman Katz und Maus verwendet. Die Zusammenschreibung signalisiert in diesen und ähnlichen Fällen, dass die so gebildeten, auf komplexe syntaktische Fügungen zurück-gehenden grafemischen Wörter hochgradig verfestigte Einheiten, Phraseolo-gismen der stärksten Ausprägung, bilden, deren ursprüngliche Konstituenten ihre Eigenständigkeit nicht nur grammatisch, sondern auch phonetisch verloren haben. Ein längeres Zitat aus dem Gespräch mit Grass macht deutlich, was hier gemeint ist:

(45) ab:47

[...] unter anderem haben sie in diesem Stück z+ Wirliebendiestürme +z und mehrere andere Worte zusammengeschrieben [...]

ac:(ja) das sind +g+ das ist also als Stilmittel mein ich damit s+ das sind so Begriffe [...] s sind ja eigentlich Schlagworte Klischees [...] es wurde gesagt s+ wir singen jetzt z+ Wirliebendiestürme +z +s und es is pho-netisch auch übernommen . und dazu kommt,+ daß dieses z+ Wirlie-bendiestürme +z ein Zeitkolorit ist +, . s wurde zu einer bestimmten Zeit zu bestimmten Anlässen gesungen . deswegen läßt sich das so zusammenfassen.

[...] (ja) zuerst noch mal zu zu zu zu den +g+ zusammengeschriebenen Phrasen das ist natürlich kein beliebiges +g+ Stilmittel sondern bewußt gesetzt . teilweise werden klischees übernommen. / teilweise werden

47 <ab> und <ac> sind vereinfachte Sprechersiglen. Darüber hinaus entspricht die Gestalt des Transkripts weitgehend dem Original.

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+g+ Formulierungen also vom Autor her [...] auch zusammengefaßt und zu eim zu eim Begriff geformt [...] (Texte I 1972: 139 ff.)

Ein den Grass’schen Schreibungen ähnlicher Fall fi ndet sich in dem unten zitierten Zeitungskommentar:

(46) [...] Und sie erleben, dass all das, was politisch unter stets großem Etikett zur Bekämpfung der himmelschreienden Missstände beschlossen worden ist, Hartz IV, Agenda 2010, die Gesundheitsreform und wasweißich-nochalles in Effekt und Ergebnis so berückend und wirksam ist wie das Tarifsystem der Bahn: Irgendwo rappelt es in der Phrasendreschkiste, Raider heißt dann Twix und alles wird noch teurer.

Anders als bei den unter (I) und (II) versammelten Schreibungen handelt es sich hier natürlich um bewusst eingesetzte, die Schreibnorm absichtsvoll brechende Stilmittel.

5.3 Lexikalische Kategorisierung und deutsche Schriftsprache

In Kapitel 5 sollte am Beispiel einer übersichtlichen Domäne des Sprachge-brauchs illustriert werden, wie sich die zuvor theoretisch erwiesenen Merk-male von Prozessen lexikalischer Kategorisierung konkret in der Realität des Sprechens und Schreibens äußern. Ich habe versucht plausibel zu machen, dass sich zu diesem Zweck die deutsche Schriftsprache als Untersuchungsobjekt in besonderer Weise eignet. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die deut-sche Orthografi enorm mit ihrer Regelung der Groß- und Kleinschreibung sowie der Getrennt- und Zusammenschreibung Schreiber dazu zwingt, grammatische Analysen in zweierlei Hinsichten zu verschriftlichen, die sich auch für die lexi-kalische Kategorisierung als wesentlich herausgestellt hatten: Segmentierung, d. h. die Abgrenzung sprachlicher Einheiten durch Spatien, Kopplungs- oder Ergänzungsstriche etc., sowie – damit verbunden – Kategorisierung, die formale Kennzeichnung von Substantiven durch die Großschreibung.

Die Schriftsprache zeichnet sich gegenüber dem Sprechen nicht nur dadurch aus, dass sie dem Leser wie dem Sprachwissenschaftler vor Augen tritt und sich dort einer gründlichen Betrachtung darbietet, ohne sich zu verändern. Ent-scheidender war im Rahmen dieser Studie, dass Schreiben eine refl ektiertere Tätigkeit ist als Sprechen. Die oben dargestellten Gründe können an dieser Stelle stichwortartig zusammengefasst werden: relative Langsamkeit des Schreibens, Asynchronizität von Schreiben und Lesen („zerdehnte Sprechsituation“; Ehlich 1984), Interaktion und möglicherweise Konfl ikte zwischen erworbenem sprach-lichem Können und erlerntem orthografi schem Wissen.

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Den Hintergrund der Fallstudien und Beispiele bildet die in Kapitel 3 dar-gelegte Theorie, die den lexikalischen Status von Einheiten mentaler Lexika auf zwei Quasi-Kontinua zwischen Thema-einführender Referenzialität und Prädikativität einerseits und zwischen Konzeptualität und Grammatikalität ande-rerseits bestimmt. Diese Auffassung des kategorialen Raums begründete die Erwartung, dass es beim Schreiben immer dann zu Problemen, Unsicherheiten, „Zweifelsfällen“ (Antos 2003; Klein 2003) und, damit verbunden, zu Variation kommen müsste, wenn Schreibnorm und Schreibusus nicht die Mittel bereit stellen, um die prototypikalische Struktur der Kategorialität sprachlicher Ele-mente in prototypikalischer, d. h. in gradueller oder zumindest abgestufter, Weise zu repräsentieren. Diese Erwartung wurde durch die Fallanalysen bestätigt. Es sind offensichtlich nicht die prototypischen Realisierungen der referenziellen und der prädikativen Diskursfunktionen, die Schreiber vor Probleme stellen, sondern die Elemente in den kategorialen „Zwischenräumen“.

Die hier zum Zwecke der Konkretisierung angeführten Beispiele repräsentie-ren nicht das gesamte Spektrum der Phänomene, die die Kategorialität sprach-licher Einheiten im Schreiben überhaupt erst zum Problem machen bzw. solche Strukturen deutlicher hervortreten lassen, die auch die gesprochene Sprache auszeichnen. Zu den Erscheinungen, die eine umfassende Untersuchung des Verhältnisses zwischen lexikalischer Kategorisierung und deutscher Schrift-sprache in den Blick nehmen müsste, gehören u. a.

– Infi nitive ohne Artikel, Präpositionen oder nähere Bestimmung (<Geben ist seliger als nehmen/Nehmen>)

– der Gebrauch der Syngrafeme, vor allem auch der des Apostrophs (<Einkauf’s-Eck>)

– die Inhomogenität der „Wortarten“ hinsichtlich des morphologischen Verhal-tens ihrer Mitglieder und der Sprachwandelprozesse, denen diese unterworfen sind (Schmitz 2000; Bittner 1996; Sick 2005).

Damit ist im Anschluss an die Abfolge von Themenmotivation, Begriffsbil-dung und Problemstellung (Kapitel 2), Theorieentwicklung (Kapitel 3) sowie schließlich Veranschaulichung und Konkretisierung der theoretischen Einsichten (Kapitel 4 und 5) der Punkt erreicht, an dem die Ergebnisse dieser Arbeit in ihrer Gesamtheit zusammengefasst werden können.

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6 Schluss

Die in dieser Arbeit vorgestellte funktional-konzeptualistische Auffassung von lexikali scher Kategorisierung ist motiviert durch eine der Grundfragen sprachwissenschaftli cher Theorie: Wie verhalten sich die Einheiten des Lexi-kons und die in der Rede mit einander verbundenen Einheiten der Grammatik zueinander? Alle mit theoretischem Anspruch auftretenden Antworten, die in der Geschichte der Linguistik hierauf formu liert wurden, bringen die Annahme zum Ausdruck, dass die Kategorisiertheit einer Ein heit des Lexikons gleichzusetzen ist mit ihrem Verwendungspotenzial (z. B. Admoni 1970f.; Plank 1984: 490; Hopper/Thompson 1984: 747; Croft/Cruse 2004: 98). Darüber hinaus jedoch ist die Forschungslage durch „notorische Kontroversen“ geprägt, von denen „man nicht unbedingt den Eindruck [hat], sie ließen sich einer Lösung zuführen, indem man einfach die empirische Datenlage klärt“ (Plank 1984: 490).

Von dieser Situation ausgehend, habe ich zunächst gezeigt, dass sich alle denkbaren Konzeptionen lexikalischer Kategorisierung genau zwei prinzipiellen Ansätzen sowie deren Mischung bzw. Synthese zuordnen lassen (s. 3.1) und dass diese Grundformen bereits in der Hermeneutik bzw. in der Kategorien-schrift des Aristoteles vorbereitet sind: Aus einer grammatischen Perspektive erscheint der kategoriale Status lexikali scher Einheiten gleichbedeutend mit ihrem Verwendungspotenzial auf unterschiedli chen sprachlichen Ebenen (Wort, Satz, Diskurs). Vom konzeptualistischen Standpunkt ist eben dieses Verwen-dungspotenzial nicht primär, sondern ein Effekt und Ausdruck eines bestimmten konzeptuellen Gehalts.

Die Rekonstruktion des Kategoriendiskurses in Kapitel 3 hat gezeigt, dass sich die Kon zepte diskreter und ontologisch eigenständiger Kategorien im Rahmen sowohl grammatischer (Radford 1998; Rauh 2000, 2001; Hopper/Thompson 1984) als auch konzeptualistischer (Langacker 1987a, 2000a; Croft/Cruse 2004) Theorien zuletzt weitgehend aufgelöst haben. Die Kategorisiertheit lexikali-scher Einheiten wird nun nicht als Mit gliedschaft „in“ oder Zuordnung zu einer Kategorie dargestellt, sondern als Position in einem kategorialen Raum, dessen Dimensionen sich quasi-kontinuierlich bzw. in meh reren Schritten zwischen je zwei gegenüberliegenden Polen aufspannen. Kategorialität wird also jenseits von fi xen Kategorien gedacht. Einigkeit herrscht ferner darüber, dass eine Theorie lexikalischer Kategorisierung eine kognitive Theorie sein, d. h. sich auf mentale Lexika und damit auf eine Form sprachlichen Wissens beziehen muss.

Diskursfunktionale und kognitivistische Sprachauffassungen haben sich einander in wesentlichen Hinsichten angenähert. Aus der Diskursperspektive wurde festgestellt, dass die kommunikativen Funktionen Referenzialität und Prädikativität auf den univer sellen kognitiven Prinzipien und Fähigkeiten zu Gegenstandsbezug und Gegenstandsbe stimmung basieren. Umgekehrt wurde

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von Kognitivisten zunehmend berücksichtigt, dass die konzeptuellen Gehalte sprachlicher Zeichen nicht das Ergebnis selbstbezügli cher kognitiver Prozesse oder gar angeboren sind, sondern im Zuge sozialer Interaktio nen durch konkrete Diskurserfahrungen der einzelnen Sprecher zustande kommen, also gebrauchs-basiert (usage-based) sind (Barlow/Kemmer 2000; Langacker 2000b, 2001; Bybee/Hopper 2001; Croft/Cruse 2004: Kap. 11).

Ein unüberbrückbarer Dissens entzündet sich hingegen an der Frage nach der Struktur von Kognition im Allgemeinen und von Sprache (d. h. sprachli-chem Wissen) im Beson deren. Hier stehen sich die integrative, von allgemein kognitiven Prinzipien ausgehende Sprachauffassung der Funktionalisten und die modularistische Sichtweise der Generativisten unvermittelt gegenüber. Ich habe dargelegt, warum sich dieser Streit empirisch nicht entscheiden lässt, um dann die Argumente herauszuarbeiten, die die funktionalisti sche Position als die letztlich überlegene erscheinen lassen (3.3.4).

Im Ergebnis konvergierte die Rekonstruktion der verschiedenen theoretischen Ansätze in einer funktional-konzeptualistischen Auffassung von lexikalischer Kategorisierung, deren wichtigste Züge im Folgenden zusammengefasst wer-den:

Mentale Lexika sind dynamische kognitive Systeme. Lexikalische Katego-risierung ist ein Teil dieser Dynamik. Sprecher erwerben Lexika auf der univer-sellen Basis allge mein kognitiver Grundlagen (s.o). Der Prozess des Lexikoner-werbs ist gebrauchsba siert, d. h. er erfolgt vorwiegend als Dekontextualisierung konkreter kommunikativer Erfahrungen im Zuge sozialer Interaktionen. Mit jeder Erfahrung des Sprechens und Verstehens erwerben, erweitern und restruk-turieren Individuen lexikalisches Wissen; umgekehrt ist lexikalisches Wissen die Grundlage des Sprechens und Verstehens.

Lexikalische Kategorisierung kann also nicht außerhalb der Gesamtdyna-mik des Lexi kons, d. h. unabhängig von der Konstitution derjenigen Elemente betrachtet werden, die der Kategorisierung unterliegen. Diese Dynamik äußert sich in der Bildung von ein fachsten Einheiten (Flexionsschemata, Stämme) durch Analyse sprachlicher Äußerungen,1 in der Verinnerlichung komplexer Einheiten (substanzielle Phraseologismen) durch Gestaltbildung auf der Basis immer wieder angetroffener Zeichenverbindungen sowie in der Konstruktion komplexer schematischer Einheiten (grammatische Kon struktionen) durch Abs-traktion. Infolge dieser Vorgänge umfassen mentale Lexika zu jedem Zeitpunkt bilaterale, zeichenhafte Einheiten unterschiedlicher symbolischer Komplexität und unterschiedlicher Schematizität, so wie dies Konstruktionsgramma tiker, wie Croft (2002; Croft/Cruse 2004) und Langacker mit seiner Cognitive Grammar (1987a, 2000a), dargelegt haben.

1 Hierzu muss das Kind in gewissem Umfang bereits ganz zu Beginn des Spracherwerbs in der Lage sein, wenn es noch über keinerlei erfahrungsbasiertes Wissen verfügt.

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Kategorisierungsvorgängen sind alle Einheiten des mentalen Lexikons unterworfen. Die hier vorgelegte Untersuchung beschäftigte sich primär mit denjenigen Elementen des Lexikons, deren Funktionalität in einer Dimension zwischen den beiden Polen Thematizität (Thema-einführende Referenz; du Bois 1980, 1987; Givón 1981) und Prädikativität zu bestimmen ist. Einheiten, die ihrem Potenzial nach typischerweise zum Vollzug illokutionärer Sprechakte (Austin 1962) dienen (z. B. Sprichwörter), rückten damit an den Rand der Betrachtungen. Gleiches gilt für abstrakte grammatische Schemata (z. B. die Je-desto-Konstruktion oder das W-Frage-Schema), ohne dass damit die Annahme ver bunden war, es handle sich um diskrete Teilbereiche oder gar „Module“ des sprachli chen Wissens.

Hopper und Thompson (1984, 1985) haben zwar überzeugend dargelegt, dass lexikali sche Kategorisierung als Herausbildung von funktional-formalen Verwendungsprädispositionen anzusehen ist. Erst im Rahmen einer konstruk-tionsgrammatischen Auffas sung des mentalen Lexikons konnte jedoch eine konkretere Vorstellung davon gewon nen werden, in welcher Weise diese Dispositionen mit lexikalischen Einheiten assoziiert sind. Im Zentrum dieser Klärung stand dabei das Konzept des kategorial implikativen Schemas, das auf der Basis von Langackers (1987b; 2000a) Kategorienschemata und in Anlehnung an Köpckes Pluralschemata des Deutschen (1993) entwickelt wurde.

Demnach sind Einheiten, vor allem Stämme, im System des Lexikons in unterschiedli cher Weise mit kategorial implikativen Schemata verbunden. Zu letzteren sind all jene lexikalischen Einheiten zu rechnen, deren konzeptueller Gehalt ein kategoriales Profi l (Langacker 2000a: 11; s. 3.4.2.8) einschließt. Pro-totypische deutsche Verben z. B. sind demnach solche Stämme oder komplexere Zeichenverbindungen, die mit zahlreichen Konjugationsschemata verknüpft sind und keine oder nur wenige Verknüpfungen zu nominal implikativen Schemata aufweisen.

Diese Konzeption erlaubt es, lexikalische Kategorisierung sowohl in struktu-reller als auch in diachroner Hinsicht als graduell und kontinuierlich aufzufassen. Damit wird sie zum einen den gebrauchsbasierten Prozessen des individuellen Spracherwerbs und des teilweise Generationen überspannenden Sprachwandels innerhalb von Sprechgemein schaften gerecht. Zum zweiten entspricht sie der Beobachtung, dass sich lexikalische Einheiten zu einem gegebenen Zeitpunkt hinsichtlich ihrer Kategorialität in prototypikalischer Weise voneinander unterscheiden. So lassen sie sich entlang zweier Dimensi onen zwischen den Prototypen Thema-einführende Referenzialität und Prädikativität einerseits sowie zwischen den maximal konzeptuellen und den maximal grammatikali-sierten Prototypen andererseits (3.3.3.4 und 4.4.2, Abb. 4.9) anordnen. Der in der sprachlichen Realität nicht nachzuvollziehende scharfe Gegensatz zwischen „Inhalts wörtern“ und „Funktionswörtern“ wird auf diese Weise auch als the-oretischer zugunsten einer Sichtweise aufgehoben, die von einem graduellen Übergang ausgeht.

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Lexikalische Kategorisierung ist der Prozess der Herausbildung von mit-einander asso ziierten funktionalen und formalen Verwendungspotenzialen. Während die Diskurs funktionen und die ihnen zugrunde liegenden kognitiven Fähigkeiten universell sind, sind die formalen Strukturen, auf die sie abgebildet werden, spezifi sch für die Einzel sprache (vgl. Croft 2000). Auch lassen sich die Repertoires einzelsprachlicher Markierungsverfahren zwar gemäß dem Kriterium der kategorialen Signalstärke (cue validity) anordnen; homogene Kontinua bilden sie jedoch nicht.

So ist die Beschreibungskategorie Adjektiv für das Deutsche durch die Beobachtung gerechtfertigt, dass zwischen idealen Substantiven und idealen Verben eine relativ große Gruppe lexikalischer Einheiten liegt, die gemeinsame formale Verwendungspo tenziale auszeichnen. Zu diesen Potenzialen prototypi-scher Adjektive gehören ihre attri butive Verwendbarkeit, die damit verbunden formale Anpassungsfähigkeit an den je weiligen syntaktischen Kontext sowie die Komparierbarkeit. Diese Feststellung impli ziert nicht, dass das Spektrum zwischen Nominalität und Verbalität im Deutschen durch einen der „Adjektivi-tät“ zuzuordnenden Bereich in drei diskrete Abschnitte zer gliedert wäre. Denn wie die Substantive und die Verben repräsentieren die Adjektive eine un scharf begrenzte Region, deren periphere Vertreter die morphosyntaktischen Merk-male der Prototypen nur in beschränktem Umfang aufweisen und partiell dem „benachbarten“ nominalen bzw. dem verbalen Pol nahe kommen.

Versucht man abschließend die zuletzt bereits resümierte theoretische Position in einem Satz zu verdichten, lässt sich mit einer Formulierung Hermann Pauls tun, die bereits ganz zu Beginn dieser Untersuchungen zitiert wurde: „Gehen wir von dem unbestreitbar richtigen Satze aus, dass jedes Individuum seine eigene Sprache und jede dieser Spra chen ihre eigene Geschichte hat“ (Paul 1995 [1920]: 39). Mit dieser in ihrer Selbstge wissheit provozierenden Feststellung kondensiert Paul drei Grundüberzeugungen, die am Ende der hier vorgelegten Untersuchungen als gut belegt gelten können: Sprache ist ein Prozess, also geschichtlich; Sprache ist ein kognitiver Prozess; Sprache ist individu ell.

Eine Begleiterscheinung einer an theoretischer Stringenz orientierten Vorge-hensweise, die der Entwicklung der funktional-konzeptualistischen Auffassung lexikalischer Kate gorisierung diente, ist deren Abstraktheit. Die beiden letzten Kapitel veranschaulichten die so gewonnene Position, indem sie durch Entfal-tung der Netwerkmetapher ein Bild mentaler Lexika und ihrer Dynamik entwarf (Kapitel 4) und durch die Analyse von Phänomenen der deutschen Schriftsprache exemplarisch demonstrierte, wie sich Prozesse lexikalischer Kategorisie rung im Sprachgebrauch niederschlagen (Kapitel 5).

Das veranschaulichende Potenzial der Netzwerkmetapher entspringt im Wesentlichen den Parallelen zwischen den hier untersuchten abstrakten und der direkten Beobachtung entzogenen sprachlich-kognitiven Prozessen und dem Verhalten konnektionistischer Netzwerkmodelle, wie sie seit den 1980er

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Jahren im Paradigma des Parallel Distributed Processing konstruiert und imp-lementiert wurden (Rumelhart/McClelland/PDP Research Group 1986a,b). Mit Verweis auf solche Netzwerke wurde vorgeführt, dass die Eigenschaften, die dem Lexikon im theoretischen Rahmen zugeschrieben wurden, in gut verstandenen und beobachtbaren kognitiven Modellen realisierbar sind. Dies gilt vor allem für die Prototypikalität der Kategorisierung und die Fähigkeit zur graduellen Strukturbildung und -adaptation aufgrund von Erfahrung (Lernfähigkeit).

Kategorialität schlägt sich in der gesprochenen Sprache ikonisch und ent-sprechend Roschs (1978) Prinzip des maximalen Kontrasts nieder: Lexikalische Einheiten mit stark ausgeprägter referenzieller oder prädikativer Verwendungs-potenz werden typi scherweise nominal oder verbal realisiert, d. h. durch Formen die durch morphosyntakti sche Merkmale mit hoher funktionaler Signalwirkung gekennzeichnet sind. Schwach ausgebildete morphosyntaktische Markiertheit refl ektiert hingegen eine relativ schwach ausgebildete Kategorialität.

In weit höherem Maße als das Sprechen konfrontiert die Schreibung des Deutschen den Einzelnen mit dem Zwang zur refl ektierten grammatischen Analyse (Maas 1992; Eisen berg/Feilke 2001), die den Einzelnen nicht selten verunsichern und sich in einer Vielfalt von Varianten niederschlagen. Eine partielle Bestätigung der theoretischen Überlegun gen bedeutet diese Feststel-lung, dass die Varianz mit Bezug auf die Groß- und Klein schreibung und, eng damit verbunden, die Getrennt- und Zusammenschreibung (einschließlich der Verwendung der Grenzsignale, Apostroph, Kopplungs- und Ergän zungs strich) nicht alle sprachlichen Einheiten in gleicher Weise betrifft. Vielmehr ist festzu-stellen, dass die einschlägigen Schreibprobleme und Varianzen mit zwei Fakto-ren zu sammenzufallen scheinen: Auch in dem kategorial relativ unbestimmten Bereich zwischen den funktionalen Polen zwingen die Eigenheiten der Buchsta-benschrift zur eindeutigen Markierung von Kategorialität. Dies führt vor allem dann zu Problemen, wenn es sich um die Schreibung relativ selten begegnender Formen handelt, wenn Schreiben also nicht Ab- oder Nachschreiben ist, sondern Verschriftlichung.

In dieser Untersuchung wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen lexi-kalischen Einheiten und ihrer Realisation im Sprechen, zwischen sprachlichem Wissen und kom munikativer Erfahrung, zwischen Lexikon und Grammatik mit dem Entwurf einer funktional-konzeptualistischen Theorie lexikalischer Kategorisierung beantwortet. Da bei traten die Prozesshaftigkeit, der Energeia-Charakter, von Sprache und, verbunden damit, strukturelle Rand-, Übergangs- und Varianzphänomene ins Zentrum der Auf merksamkeit. Aus der Perspek-tive einer dynamischen Sprachauffassung bilden diese nicht etwa zufällige Ausnahmen, die den wissenschaftlichen Blick vom systematischen Kern der Sprache ablenken, sondern spezifi sche Indikatoren für das Verhältnis zwi schen sprachlicher Funktion und sprachlicher Form und den Wandlungen, denen dieses Verhältnis unterliegt. Dies dürfte auch für sprachlich(wissenschaftlich)e Bereiche gel ten, die jenseits einer Konzeption lexikalischer Kategorisierung liegen.

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