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Folia Psychiatrica et Neurologica Japonica, Vol. 19, No. 1, 1965 REINE DEPRESSION UND ZYKLOTHYME DEPRESSION -Von intrafamiliiirer Psychose her gesehene Beobachtungen- von Ryosuke KUROSAWA, M.D., Hisashi SUWA, M.D. und Sachi KITAMURA, M.D. Neuro-Psychiatrische Klinik, Mcdizinische Fakultat, Universitat Mie (Vorstand: Prof. R. Kurosawa) Bei gleicherweise phasisch verlaufenden Depressionen werden verschiedene klinische Bilder beobachtet. Es besteht klinisch und therapeutisch eine Verwirrung, wenn alle Depressionen als eine einheitliche Krankheit behandelt wurden. Es gibt viele Versuche, in die Auffassung von der Depression eine Ordnung zu bringen. Weitbrecht trennt die Depression in die Zyklothyrne und die reaktive Depression. Wenn aber die reaktive Depression irn Sinne von Weitbrecht eine Neurose ist, so ist es richtig, die reaktive Depression als ein anderes Problem zu behandeln. Dann handelt es sich bei uns nur um die zyklothyme Depression im Sinne von Weitbrecht. Leonhard unterscheidet neben der rnanisch-depressiven Krankheit die reine Melan- cholie und die reine Depression. Weiter wird die reine Depression in funf Untergruppen aufgeteilt. Wir trennen ebenfalls die Depression in die reinen und die zyklothymen Depressionen. Unsere reine Depression ist der reinen Melancholie und der reinen Depression von Leonhard fast entsprechend. Warum unterscheiden wir die Depression in die reine und die zyklothyme Depression6 Es liegt nicht nur in dem klinischen und therapeutischen Unterschied zwischen den beiden, sondern auch an ihrem Verhalten bei intrafamiliaren Psychosen. Wir berichten hier hauptsachlich uber die von den intrafamiliaren Psychosen her gesehenen Beobachtungen. Es handelt sich um 24 Familien, die wir selber untersuchten. Der Umfang der Familie beschrankt sich auf Eltern, Kinder und Geschwister. I. Gruppe. Wie man aus Tabelle 1 ersieht, zeigen sowohl die Probanden als auch die intrafamiliaren Kranken die Bilder reiner Depression, die nur einpolig ablauft. Tabelle 1. Reine Depression Fall 1 T.I. reine Melancholie Fall 2 K.O. reine Melancholie Fall 3 F.T. hypochondrische Depression Fall 4 K.S. hypochondrische Depression Fall 5 R.K. selbstqualerische Depression Fall 6 S.O. hypochondrische Depression (Depersonalisation) Mutter. reine Melancholie mit Hirn- arteriosklerose Vater. reine Melancholie Sohn. hypochondrische Depression (Depersonalisation) Mutter. hypochondrische Depression Bruder. hypochondrische Depression Schwester. manisch-depressive Krankheit Tochter. hypochondrische Depression (Entfremdungserlebnis) Bruder. Zwangsneurose Received for publication Dec. 1964

REINE DEPRESSION UND ZYKLOTHYME DEPRESSION —Von intrafamiliärer Psychose her gesehene Beobachtungen—

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Folia Psychiatrica et Neurologica Japonica, Vol. 19, No. 1, 1965

REINE DEPRESSION UND ZYKLOTHYME DEPRESSION -Von intrafamiliiirer Psychose her gesehene Beobachtungen-

von

Ryosuke KUROSAWA, M.D., Hisashi SUWA, M.D. und Sachi KITAMURA, M.D.

Neuro-Psychiatrische Klinik, Mcdizinische Fakultat, Universitat Mie (Vorstand: Prof. R . Kurosawa)

Bei gleicherweise phasisch verlaufenden Depressionen werden verschiedene klinische Bilder beobachtet. Es besteht klinisch und therapeutisch eine Verwirrung, wenn alle Depressionen als eine einheitliche Krankheit behandelt wurden. Es gibt viele Versuche, in die Auffassung von der Depression eine Ordnung zu bringen. Weitbrecht trennt die Depression in die Zyklothyrne und die reaktive Depression. Wenn aber die reaktive Depression irn Sinne von Weitbrecht eine Neurose ist, so ist es richtig, die reaktive Depression als ein anderes Problem zu behandeln. Dann handelt es sich bei uns nur um die zyklothyme Depression im Sinne von Weitbrecht. Leonhard unterscheidet neben der rnanisch-depressiven Krankheit die reine Melan- cholie und die reine Depression. Weiter wird die reine Depression in funf Untergruppen aufgeteilt. Wir trennen ebenfalls die Depression in die reinen und die zyklothymen Depressionen. Unsere reine Depression ist der reinen Melancholie und der reinen Depression von Leonhard fast entsprechend. Warum unterscheiden wir die Depression in die reine und die zyklothyme Depression6 Es liegt nicht nur in dem klinischen und therapeutischen Unterschied zwischen den beiden, sondern auch an ihrem Verhalten bei intrafamiliaren Psychosen. Wir berichten hier hauptsachlich uber die von den intrafamiliaren Psychosen her gesehenen Beobachtungen.

Es handelt sich um 24 Familien, die wir selber untersuchten. Der Umfang der Familie beschrankt sich auf Eltern, Kinder und Geschwister.

I. Gruppe. Wie man aus Tabelle 1 ersieht, zeigen sowohl die Probanden als auch die intrafamiliaren Kranken die Bilder reiner Depression, die nur einpolig ablauft.

Tabelle 1. Reine Depression

Fall 1 T.I. reine Melancholie

Fall 2 K.O. reine Melancholie Fall 3 F.T. hypochondrische Depression

Fall 4 K.S. hypochondrische Depression

Fall 5 R.K. selbstqualerische Depression

Fall 6 S.O. hypochondrische Depression (Depersonalisation)

Mutter. reine Melancholie mit Hirn- arteriosklerose Vater. reine Melancholie Sohn. hypochondrische Depression (Depersonalisation) Mutter. hypochondrische Depression Bruder. hypochondrische Depression Schwester. manisch-depressive Krankheit Tochter. hypochondrische Depression (Entfremdungserlebnis) Bruder. Zwangsneurose

Received for publication Dec. 1964

2 R Kumawa, H. Suwa und S. Kitamura

Fall 1. Ein Bauer, T. I., gegoren 1933, war 1952 erstmals depressiv und klagte iiber Druck im Kopf. Er wurde von depressiver Stimmung beherrscht und konnte keine Arbeit leisten. Am Abend fiihlte er sich wohl. In der Klinik zeigte er immer eine depressive Stimmung und klagte iiber Druck im Kopf, Schlafstorung und Mange1 an Interesse a n der Arbeit. Unter Elektroschockbehandlung wurde er gebessert. Drei Monate nach der Entlassung kam er wieder in die Klinik. E r zeigte ahnliche Symptome wie vorher. Unter Elektro- schockbehandlung wurde er wieder gesund. Seit dieser Zeit konnte er als Bauer gut arbeiten, aber er war kleinmiitig und nicht froh. Die Mutter, geboren 1895, war 1953 erstmals depressiv und machte einen Selbstmordversuch. 1959 wurde sie wieder depressiv und in die Klinik aufgenommen. Sie klagte iiber Druck im Kopf und Jnteresselosigkeit gegeniiber der Arbeit. In der Klinik war sie bei traurigem Ausdruck bewegungsarm und spracharrn. Unter Elektroschockbehandlung wurde sie munter und konnte entlassen werden. Nach der Entlassung wurde sie bald depressiv und angstlich. Sie klagte neuerdings iiber Druck im Kopf, Brustbeklemmung und Schlafstorung. Elektroschockbehandlung brachte ihr voriiber- gehende Besserung, sie konnte aber wegen der Hypertension nicht energisch durchgefuhrt werden. Danach blieb die Patientin zu Hause in nicht vollkommen gebessertem Zustand. Mit der Verschlimmerung der Hirnartoriosklerose wurde die Besserung von dem depressiven Zustand noch schwieriger. Die Patientin war schiichtern, aber pflichtpetreu und arbeitete gern.

I m Fall 1 zeigten der Proband und seine Mutter gleichmhsig das Bild der reinen Melancholie, die die Gedriicktheit der Stimmung als Hauptsymptom hat. Im Fall 2 waren ebenfalls die Probandin und ihr Vater reine Melancholiker. Den Fallen 3 und 4, die a n hypochondrischer Depression erkrankten, ist das Unlustgefiihl i n der Korpersphare gemeinsam.

Eine Frau, F. T., gegoren 1911, war schiichten und furchtete sich, an einer Versammlung teilzunehmen. Sie war 1957 erstmals depressiv. Sie erklarte weinend, sie habe keine Hoffnung, wieder gesund zu werden. Sie fiirchtete ihre Umgebung zu belitigen. Alle Nerven im Korper seien abgeflossen, Blut tropfe aus dem Kopf herab. Der Korper unter dem Kopf sei leicht wie mit dem Wasser ausgefiillt. Nach vier Monaten konnte sie gebessert entlassen werden. Ein Soh, geboren 1938, war kleinmiitig, schwerfallig und gab nichts auf seine Kleidung. Nach dem Abgang von der Mittelschule war er mit dem Vater im Forstdienst beschaftigt. Dann fiirchtete er sich allem im dunklen Wald zu arbeiten und lief in Osaka fort um ein Maler zu werden. Siet dieser Zeit bestand ein Depersonalisa- tionserlebnis. 1961 kam er in die Klinik. Er klagte dort, sein Kopf flottierend, sein Korpergewicht scheine acht Kilogram zu sein. Er fiihlte kein Interesse mehr an allen Dingen. Er konnte niemals mehr eine Landschaft als schon aufnehmen. Beim Essen fiihlte er sich in seinem Mund nervenlos. Er konnte wohl eine einzelne Szene auffassen, aber nicht als ganzes zusammenfassen. Zeitweise wurde er unruhig und wandelte hin und her. Unter Arbeitstherapie wurde er immer ruhiger und konnte entlassen werden.

In diesem Fall zeigte die Probandin eine Hypochondrie, die sich in abnormen korperlichen Missempfindungen ausserte; ihr Sohn zeigte ein Depersonalisations- symptom, das auch mit abnormen Missempfindungen einherging.

Fall 4. Eine Frau, K. S., geboren 1920, war synton, gesellig und aufgeschlossen. 1948 wurde sie eine Woche lang angstlich, als ein Nachbar Selbstmord beging. 1957 nach einem kiinstlichen Abortus klagte sie iiber Schwindel, Druck und Pulsation irn Kopf. Seit dieser Zeit konsultierte sie viele Landarzte, aber ihre Beschwerden dauerten fluktuierend mit dysphorischer Stimmung an. 1959 nach einer Erkaltung furchtete sie zu sterben und wurde angstlich und bettlagerig. In der Klinik zeigte sie mangelnde Lebhaftigkeit, war erschopft und bettlagerig. Sie klagte iiber abnorme Sensationen im Kopf und Brust und fiirchtete in diesem Zustand zu sterben. Ferner erklarte sie, sie konne alles nicht als real auff assen, was sie sicher sah. Unter Imipramin und Elektroschockbehandlung wurde sie gebessert und entlassen. Die Mutter, geboren €890, war kleinmiitig, schiichtern, sauberkeits- siichtig, haftend, ungesellig und empfindlich. 1954 wurde sie erstmals depressiv. 1959 kam

Fall 3.

Reine Depression und Zyklothymc Depression 3

sie in die Klinik. Sie klagte iiber Schlafstorung, Druck im Kopf und Selbstunsicherheit. Sie war bei depressiver Stimmung bettliigerig und klagte ii ber Verstopfung, Magen- Darmbeschwerde und Geschmackverlust. Unter Elektroschockbehandlung wurde sie besser, aber vier Monaten nach der Entlassung kam sie wieder in die Klinik. Dann zeigte sie psychomotorische Hemmung. Insuffizienzgefuhl und mysophobische Ideen. Ein Bruder, geboren 1924, war pflichtgetreu, fleissig beschaftigt, gesellig und strebte nach Vollkommen- heit. 1945 nach Denguefieber litt er an Verstopfung, Lahmungsgefiihl der Fiisse und Druck im Kopf. 1954 litt er an ahnlichen Beschwerden; unter Elektroschockbehandlung wurde er gebessert. 1959 kam er in die Klinik. Hier klagte er hartnackig iiber Lahmungsge- fuhl der Fiisse und ein allgemeines Erschopfungsgefiihl. Er erklarte, er habe kein Interesse an der Arbeit. er fiirchtete. seine Pflicht ncht mehr zu erfiillen und die Umgebung zu belastigen. Unter 1miprami.n und Elektroschockbehandlung wurde er gebessert. Eine Schwester, geboren 1941, war kleinmiitig, schiichtern und ungesellig. 1957 und 1958 war sie voriibergehend nach Oberarbeitung depressiv und bettlagerig. 1959 wurde sie nach einer neuen depressiven Phase heiter und hypomanisch. Bis spat in die Nacht amiisierte sie sich mit einem Freund und machte riicksichtslos Einkaufe. In der Klinik war sie heiter. redselig, ideenfluchtig und ablenkbar, zeigte also ein typisch hypomanisches Bild. Unter Chlorpromazinbehandlung wurde sie de&essiv und klagte iiber korperliche Missempfindungen. Unter hipraminbehandlung wurde sie immer ruhiger und konnte entlassen werden.

In diesem Fall erkrankten die Probandin, die Mutter und ein Bruder a n hypochondrischer Depression und eine Schwester a n rnanisch-depressiver Krankheit. Es ist sehr interessant, dass nur die Schwester manisch-depressiv erkrankte. Der pramorbide Charakter der Probandin ist synton, die Schwester ist kleinmutig, schuchtern und ungesellig. Daher kann man das klinische Bild der Schwester nicht aus dern pramorbiden Charakter erklaren. Es scheint der Erkrankungsalter aussch- laggebend zu sein. Im Vergleich zu den anderen Familienmitgliedern erkrankte die Schwester schon im 16 Lebensjahr. In diesem Jahr war sie noch unreif und labil. Ausserdem ist bemerkenswert, dass Hypochondrie, Zwang und Entfremdungserlebnis in Gliedern einer Farnilie beobachtet werden konnten.

Fall 5. Eine Frau, R. K., gegoren 1908, war 1958 zum ersten Ma1 depressiv. 1959 sprang sie plotzlich in einen Brunnen, um Selbstmord zu begehen. In der Klinik war sie angstlich, klagsam und wahnhaft. Sie erklarte, ihre Sohne seien gestorben, sic konne nicht leben. Weinend ausserte sie mit hoffnungslosem, traurigem Ausdruck einen Kleinheits-, Verarmungs- und Versiindigungswahn. Unter Elektroschockbehandlung wurde sie immer ruhiger und konnte Kritik an ihren Verarmungs- und Kleinheitswahn iiben. Aber sie ausserte noch lange Zeit hartnackig das Schuldgefuhl und ihre Versiindigungsideen. Eine Tockrer, geboren 1935, war eigensinnig und egoistisch. 1958, ein Monat nach der Hochzeit, klagte sie iiber Magen-Darmstorung. 1959 nahm ihre hypochondrische Klage zu, sie kehrte zum Haus der Mutter zuriick. um sich zu erholen. Dort machte sie einen Selbstrnordversuch und kam dernach in die Klinik. Dort war sie pueril. aggravatorisch und launenhaft. Sie klagte hartnackig iiber Erstickungsgefuhl und Magenbeschwerden. Unter Elektroschockbehandlung wurde sie gebessert und entlassen. Fiinf Monate nach der Entlassung kam sie wieder in die Klinik. Sie war wieder angstlich und klagsam. Zu dieser Zeit gab sie Entfremdungserleb- nisse an.

Im Fall 5 erkrankte die Probandin an einer selbstqullerischen Depression und eine Tochter an einer hypochondrischen Depression. Die Probandin zeigte Kleinheits-, Vararmungs- und Versundigungswahn uncl war lngstlich und klagsam. Die Tochter war hypochondrisch, aber noch pueril und aggravatorisch.

Ein Bauer, S. O., gegoren 1938, war kleinmiitip, misstrauisch und unentschlossen. 1960 kam er in die Klinik. Er zeigte ein hypochondrisches und Depersonalisationssyndrom. So erklarte er, er fuhle sich verlndert, er habe kein Vollgefiihl beim Essen, e r empfinde gar

Fall 6.

4 R. Kurosawa, H. Suwa und S. Kitamura

nichts mehr, auch keine Trauer, usw. Seit diesser Zeit blieb er mit mehr oder weniger deutlichen Schwankungen im subdepressiven Zustand. Sein Rrrcder, geboren 1948, kam I964 in die Klinik. Er litt an Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen.

Oberblickt man die obigen Falle, so kann folgende Charakteristik angegeben werden. Die reine Depression lauft einpolig ab, und obgleich die Symptome zwischen !r:dividuen verschieden sind, zeigt in den meisten Fallen jeder Kranke einfnche Symptome, die urn einen Kern gebildet werden. Zum Beispiel werden die Symptome bei der hypochondrischen Depression (Fall 3, 4) urn die primar abnormen Miss- empfindungen gebildet. Und das Unlustgefiihl richtet sich immer auf die Innensphare des Ich. Je nach der Schichit, mit der eine Unlust verbunden ist, ist das Symptom verschieden. Leonhard unterscheidet die reine Depression in die gehetzte, hypo- chondrische, selbstqualerische, argwohnisch und teilnahmsarme Depression. Wir gebrauchen ebenfalls diese Aufteilung und konnen danach die Form der Depression gut verstehen. Unsere Falle sind sowohl klinisch als auch von den intrafamiliaren Psychosen her gesehen sehr rein. Wir beobachten in diesen FIllen niemals Beziehungs-, Beobachtungs- und Verfolgungswahn. D a dies Symptom aus der Umwelt herkommt, wird es in den reinen Depression nicht gesehen. Dagegen kann man Verarmungs-, Versundigungs- und hypochondrischen Wahn beobachten, der aus der Innensphare des Ich entsteht. Weiter sehen wir darin Zwang, Depersonalisation und Entfremdungserlebnis.

11. Gruppe. Wie man aus Tabelle 2 ersieht, zeigten die Probanden im Er- scheinungsbild die Symptome der reinen Depression, aber die intrafamiliaren Psychosen waren manisch-depressiv oder zykloid.

Tabelle 2. Zyklothyme Depression

Fall 7 E.S. reine Melancholie Mutter. manisch-depressive Krankheit Fall 8 T.N. Depression (reaktiv?) Sohn. Manie Fall 9 S.I. gehetzte Depression Bruder. manisch-depressive Krankheit

Fall 10 T.Y. Depression (stuporos) Schwester. Depression (ratlosig) Schwester. erregt-gehemmte Verwirrtheit Bruder. manisch-depressive Krankheit Schwester. erregt-gehemmte Verwirrtheit Sohn. Angst-Gliickspsychose Sohn. erregt-gehemmte Verwirrtheit Tochter. erregt-gehemmte Verwirrtheit

Fall 11 J.T. hypochondrische Depression Fall 12 C.T. Angst-Psychose Fall 13 Y.N. Depression Fall 14 M.T. Depression

Fall 7. Eine Studentin, E. S., geboren 1944, war kleinmiitig, schuchtern und strebsam. 1960 karn sie in die Klinik. Sie erklarte, sie konne weder rnehr studieren noch weiter leben. Sie war gehmmt und leicht angstlich, aber bei der Unterhaltung reagierte mit lebhaftem Verhalten. Unter Irnipramin- und Chlor-promazinbehandlung wurde sie bald munter, aber nach einer Beurlaubung nach Hause war sie wieder depressiv und sehr gehetzt. Unter Elektroschockbehandlung wurde sie bald ruhig und rnunter. Die Mutter, geboren 1917, kam 1953 in die Klinik. Sie war heiter, redselig, ideenfluchtig und geschaftig. Sie Susserte auch Grossenideen mit gehobenem Selbstbewusstsein und war zeitweise gereizt und aggressiv. Unter Elektroschockbehandlung wurde sie iiber einen hypochondrischen Zustand ruhig.

In Fall 7 zeigte die Probandin das Erscheinungsbild der reinen Melancholie. Aber es ist bemerkenswert, dass sie bei der Unterhaltung lebhaft war. Leonhard wies

Reine Depression und Zyklothyme Depression 5

in seinem Buch darauf hin, dass die Depression der manisch-depressiven Kranken ausserordentlich haufig die bipolare Labilitat erkennen lassen. Trotz eindeutiger vielleicht sogar recht schwerer Depression sind die Kranken im Gesprach anzuregen. Das passt auf unsere Patientin. In der Tat zeigte die Mutter das typische Bild der Manie.

Ein Bauer, T. N., geboren 1897, kam 1956 in die Klinik. Als sein Sohn in die Klinik aufgenommen wurde, wurde er depressiv. Er klagte iiber Druck und abnorme Sensationen im Kopf. Zugleich war er hypochondrisch und wiinschte zu sterben. Unter Elektroschockbehandlung wurde er bald munter. 1957 wurde er wieder depressiv, als sein anderer Sohn, von Hqus fortlief. Ein Sohn, geboren 1927, hatte immer Minderwertigkeitsge- fiihle wegen seiner kleinen Statur. Voriibergehend war er depressiv, als das Vorhaben seiner Verheiratung umgestossen wurde. 1956 kam er in die Klinik, nachdem er jetzt auf der Hochzeitreise unruhig und erregt geworden war. Er war heiter, redselig und erregt. Er fiihlte sich so machtig, als er das ganze Reich unter seine Herrschaft bringen konnte. Gott sein in seinem Bauch. Unter Chlorpromazinbehandlung wurde er immer ruhiger.

Eine Fyau, S. I., geboren 1891, wurde 1920 erstmals depressiv. Als ihr Bruder in die Psychiatrischen Anstalt aufgenommen wurde, war sie bekiimmert; 1957 kam sie in die Klinik. Sie war depressiv und angstlich und klagte unnotigerweise iiber Kleinigkeiten. Sie erklarte, sie konne nicht mehr leben, sie wiinschte zu sterben. Dabei war sie aber etwas theatralisch. Nach der Entlassung beging sie Suicid. Ihr Bruder, geboren 1889, war seit dem 14. Lebensjahr oftmals psychotisch. Jede Phase dauerte monatelang, dazwischen war er fast normal. 1954 kam er in die Klinik. Er wm psychomotorisch erregt und reizbar, oder auch heiter, redselig und ideenfliichtig. Seine Rede war iiberheblich, aber zu gleicher Zeit fiihlte er sich beeintrachtig und querlierte. (Er war friiher ein reicher Mann, aber nachher kam er herunter. Daran kniipfte er argwohnische Ideen gegen die Umgebung.) Unter Elektroschockbehandlung wurde er bald ruhig. Nachher zeigte er hypomanische Zustande aber auch argwohnische und wahnhafte Erscheinungen.

In Fall 8, 9 schien die Depression der PrQbanden durch aussere Faktoren provoziert zu werden. Es handelt sich in diesen Fallen u m eine reaktive Labilitat. Beide intrafamiliare Kranke waren manisch-depressiv.

Ein Arbeiter, T. Y., geboren 1941,-war ernst, gehorsam und gesellig. In der Mittelschule klagte er zeitweise iiber anfallsartige Geistesabwesenheit. 1957 war er wahrend der Arbeit geistesabwesend, dernach kam er in die Klinik. Er war depressiv, stuporos und gab keine Antwort auf die Frage. Nachher erklarte er, sein Vater beeintrachtige ihn, in der Nahrung sei Gift. Unter Elektroschockbehandlung wurde er bald munter. Nach der Entlassung war er zeitweise depressiv und sah einen Freund ungern. Eine Schwester, geboren 1936, war schwermiitig, schweigsam und sehr sparsam. Nach der Heirat wurde sie sehr zuruckhaltend. 1958 kam sie in die Klinik. Sie war ratlos, depressiv und bewegungsarm, aber in ihrer Stimmung labil, launenhaft und mehr oder weniger theatralisch. Sie ausserte Selbstvorwurfe und Beeintrachtgungsideen. Unter Chlorpromazinbehandlung wurde sie bald ausgeglichen. Eine andere Schwester, geboren 1938, war munter und gesellig. 1951 kam sie in die Klinik. Sie zeigte zwei Phasen. In der einen Phase war sie verstimmt, mutistisch und ratlos, in anderer Phase war sie psychomotorisch erregt, heiter, theatralisch, sie sang und tanzte. Dabei wurden die Worte inkoharent. Ein Bruder, geboren 1943, kam 1962 in die Klinik. Er zeigte periodisch neben einer depressiven Phase hypomanische Phasen.

In diesem Fall war der Proband depressiv und stuporos. Er hatte auch Beeintrachtigungs- und Vergiftungswahn. Eine Schwester war auch depressiv und ratlos. Eine andere Schwester zeigte das typische Bild der erregt-gehemmten Verwirrtheit, e in Bruder bot das der manisch-depressiven Krankheit.

Fall 11. Ein Student, J. T., geboren 1949, war folgsam und schuchtern. 1963 kam er in die Klinik. Er klagte uber Dyspnoe, Herzklopfen, Schmerzen in der Occipitalgegend

Fall 8.

Fall 9.

Fall 10.

6 R. Kurosawa.'H. Suwa und S. Kitamura

und Liihmungsgefuhl der Extredtaten. Er war hypochondrisch, still, bettlagerig und zeitweise stuporos. Unter Imipraminbehandlung wurde er bald munter. Er erklarte, er sei nach Oberarbeitung geistesabwesend und depressiv peworden, er war nicht ansprechbar. Eine Schwester, geboren 1937, kam 1953 in die Klinik. Sie zeigte das typische Bild der erregt-gehemmten Verwirrtheit.

Eine Frau, C. K., geboren 1911, war eigensinnig, eifrig in der Arbeit und uberangstlich. 1958 kam sie in die Klinik. Sie war depressiv, misstrauisch, aggressiv und sehr agitiert. Sie war bekummert, dass sie vor ihrer Heirat an Lues erkrankt war. Unter Elektroschockbehandlung wur& sie immer ruhiger und konnte entlassen werden. Sieben Monate nach der Entlassung kam sie wieder in die Klinik. Sic war klagsam und sehr agitiert. Sie ausserte Luophobie, Versiindigungs- und hypochondrische Ideen. Sechs Monate dernach genas sie. Ein Sohn, geboren 1939, war 1959 und 1964 in der Klinik. Er zeigte das Bild der Angst-Glucks-Psychose.

Fsll 13. Eine Frau, Y. N., geboren 1912, war 1956 erstmals depressiv, als ein Sohn betrunken war. Sie machte' @en Sdbstmordversuch. Dann kam sic in die Klinik. Sie war depressiv, angstlich und klagsam, sie furchtete sich nicht mehr zu genesen und klagte uber Erstickungsgefiihl un4 Druck im Kopf. Sie erklarte, Schmerzen an der Haut nicht mehr empfinden zu konnen. Unter Elektroschockbehandlung wurde sie gebessert und entlassen. Ein Sohn. geboren 1931, kam 1958 in die Klinik. Er zeigte das typische Bild der erregt-gehemmten Verwirrtheit. Seither kam er fiinfmal in die Klinik. Dazwischen war er ordentlich und feistete seine Arbeit als Lehrer gut.

M. T., geboren 1904, kam 1956 in die Klinik. Er war ernst und ungesellig. Es bekiimmerte ihn sehr, als seine Frau einen kleinen Diebstahl beging. In der Klinik war er bettlagerig, energielos und bewegungsarm. Er fiirchtete, die Umgebung zu belastigen und war sehr argwohnisch gegen die Frau. Unter Elektroschockbehadlung wurde er munter und konnte entlassen werden. Eine Tochter, geboren 1935, kam 1957 in die Klinik. Sie zeigte das Bild der erregt-gehemmten Verwirrtheit.

Oberblickt man die Fdle der 11. Gruppe, so kann folgende Charakteristik angegeben werden. Das Erscheinungsbild dieser Fallen erscheint einpolig depressiv. Aber im Vergleich mit der reinen Depression waren die Symptome schwankend. Bei der Unterhaltung reagiert eine Kianke trotz des depressiven Zustandes mit dem lebhaften Verhalten (Fall 7). Oder die Depressionen werden durch aussere Faktoren provoziert. (Fall 8, 9) Es scheint sich hier um die bipolare und die reaktive Labilitat zu handeln. Diese Labilitat , kann man auch in den Fallen beobachten, in deren Familien die zykloide Psychose zu findelr ist. In diesen Fallen treten zu der depressiven Grundstimmung einige. weitere Symptome hinzu. Man kann heftige Angst, Stupor und Ratlosigkeit anfuhren. Daher scheint es treffend zu sein, diese Falle als Angst-Psychose oder ratlose Beziehungspsychose aufzufassen. Auf jeden Fall wollen wir die Falle der 11. Gruppe als zyklothym Depressive behandeln. Wir sehen in diesen Fallen haufig Hypomanie oder heftige Agitation bei Elektroschock oder Imipramineingabe. Bei den rein Depressiven sehen wir dagegen weder Hypomanie noch starke Agitation, Daher sollten wir bei der Behandlung der zyklothymen Depression sehr vorsichtig sein.

Ein Wort zu den zykloiden Psychosen, die in den Familien der 11. Gruppe beobachtet wurden. Es handelt sich um Angst-Glucks-Psychose oder erregt-gehemmte Verwirrtheit aber keine hyperkinetisch-akinetische Motilitatspsychose. Wie Kurosawa friiher berichtete, waren die atypischen endogenen Psychosen, die mehr oder weniger ein Defektbild zeigte, periodische Katatonien, die den hyperkinetisch-akinetischen Motilitatspsychosen verwandt sind. Nach diesen Feststellungen scheint die zykloide

Fall 12.

Fall 14.

Reine Depression urid Zyklothyme Depression 7

Psychose, die katatonische Symptome ieigt, eine besondere Stellung bei den zykloiden Psychosen einzunehmen.

Tabelle 3. Manisch-depressive Krankheit

Fall 15 H.K. manisch-depressive Krankheit Fan 16 M.H. manisch-depressive Krankheit Fall 17 H.S. manisch-depressive Krankheit Schwester. manischdepressive Krankheit

Fail 18 T.I. manisch-depressive Krankheit Tochter. erregt-gehemmte Verwirrtheit Fall 19 K.K. manisch-depressive Krankheit

Vater . manisch-depressive Krankheit Vater. manisch-depressive Krankheit

Tochter. Angst-Gluckspsychose

Die Falle, die in Tabelle 3 gezeigt werden, hatten alle eine rnanisch-depressive Krankheit im klassischen Sinne und verliefen periodisch in manischen und depressiven Phasen. Auch in den Familien beobachteten ,wir manisch-depressive Krankheiten oder zykloide Psychosen. Die Symptome dieser Gruppe sind lehrbuchmiissig, so dass es unnotig ist, etwas hinzufugen.

Tabelle 4. Depressive Neurose

Fall 20 T.M. depressive Neurose Bruder. Schizophrenic Schwester. Schizophrenic

Fall 21 Y.S. depressive Neurose Bruder. Schizophrenie Fall 22 H.T. depressive Neurose Sohn. Schizophrenie

Fall 23 F.H. depressive Neurose Fall 24 W.S. depressive Neurose

Tochter. depressive Neurose Bruder. argwohnische Depression Schwester. Schizophrenie

Zuletzt ist noch etwas uber die depressive Neurose bzw. neurotische Depression zu sagen. Intrafamiliare Psychosen der depressiven Neurose waren eine depressive Neurose, eine argwohnische Depression und sechs Schizophrenien wie die Tabelle 4 zeigt. Diese Schizophrenien gehoren jedenfalls zu dem Durchschnittstypus von H. Ey bzw.,,Bleuler Typus,” der von der Dementia praecox von Kraepelin unterschieden werden soll. Ahnliches ausserte Kurosawa schon anderen Orts. Unsere Falle der depressiven Neurose waren alle so schwer, dass sie in die Klinik aufgenommen werden. Die neurotischen Mechanismen konnten aufgeklart werden. Die Symptome entstanden im Konflikt mit der Umwelt. Haufig sahen wir bei depressiven Neurotikern Beziehungs- oder Beobachtungsideen. Es erscheint angebracht, dass die depressiven Neurosen als ein gesondertes Problem behandeln werden.

Zusammenfassend mochten wir folgendes sagen : Die reine Depression zeigt einfache und einpolige Symptome. Ihre intrafamiliare Psychose ist auch eine reine Depression. Die reine Depression scheint der Prototypus in der Depression zu sein. Dagegen zeigt zyklothyme Depression bipolare und reaktive Labilitat. In ihren Familien sieht man hier die manisch-depressive Krankheit oder eine zykloide Psychose. Wenn man starke Agitation oder Stupor im depressiven Zustand beobachtet, sol1 man an eine Beziehung zu einer zykloiden Psychose denken.

8 R. Kurosawa, H. Suwa und S. Kitamura

SUMMARY

W e divided the endogeneous depression into two groups: Pure depression and cyclothymic depression. We observed two groups from the viewpoint of the psychosis of the family.

The pure depression, which had only pure depression in the family. showed monopolar and simple symptoms. In comparison with it the cyclothymic cleprcssion, which had manic-depressiv psychosis or cycloid psychosis (Leonhard) in the family. showed hipolar or reactive unstability in the symptoms. If a violent anxiety or stupor was observed in depressive state, we must consider the relation to the cycloid psychosis.

This article is dedicated to Prof. Murakami in his honour of the tenth anniversary OF the opening of his lecture at Kyoto University School of Medicine respectfully.

LITERATUR

1 ) Kurosawa, R., Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psycholopie, 13 Jahrgang 196 I , 364-370.

2) Kurosawa, R., Proceeding of the joint meeting of the Japanese Society of Psychiatry and Neurology and the American Psychiatric Association, Tokyo, 292-294, 1963.

3 1 Leonhard, K., Aufteilung der endogenen Psychosen. Akademie-Verlag. Berlin. 1957. 4) Leonhard, K., Psychiat. Neurol., Basel 146, 105-115, 1963. 5 ) Weitbrecht, H. I., Depressive und Manische endogene Psychosen. in Psychiatrie der

Gepcnwart. Bd. 11, Springer-Verlag. Berlin, Gottingen, Heidelberg, 1960.