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173 REINHARD FRIEDL Herzchirurg DAS HERZ TANZT MIT VERSTAND - ZUR MESSBARKEIT EINER SENSATION

REINHARD FRIEDL - Herzzeit · 2021. 5. 7. · Am anderen Ende der Größenskala steht das Universum und wir betrachten es als Realität, dass dieses vor 13,7 Milliarden ... unserer

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REINHARD FRIEDLHerzchirurg

DAS HERZ TANZT MIT VERSTAND - ZUR MESSBARKEIT EINER SENSATION

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DAS HERZ TANZT MIT VERSTAND - ZUR MESSBARKEIT EINER SENSATION

Universität für angewandte Kunst Wien19. November 2015

Lebendig Sein

Während ich diesen Beitrag schreibe, wird Donald Trump zumamerikanischen Präsidenten gewählt. Die Bild Zeitung schreibtdazu am 10. November 2016 auf Ihrer Online-Plattform: „Nichtmehr auf Umfragen hereinfallen [...]. Im ultra-emotionalenSocial-Media-Zeitalter kann es nicht schaden, seinem Gefühlzu vertrauen. Das Hirn ist nutzlos ohne das Herz“.Ich bin von Beruf Herzchirurg und habe viele tausend Herzenin meinen Händen gehalten. Ich operierte frühgeborene Babysund reparierte bei hochbetagten Patienten Herzklappen. Ichhabe Kunstherz-Turbinen implantiert und Messerstichverlet-zungen am Herzen genäht. Das Herz ist der Motor unseresmenschlichen Lebens und schlägt im Laufe von 75 Jahren ca. 3Milliarden Mal. Ich bin immer wieder fasziniert von der per-fekten Funktionsweise und schieren Kraft unserer Herzen. Undich habe mich immer wieder gefragt, was ist das für ein wun-dersames Organ, das uns leben lässt und das durch verschie-denste Kulturen und Zeitalter hinweg für Liebe, Mitgefühl,

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Mut, Willen, Weisheit und Stärke steht? Dennoch haben wirbisher am Herzen keine Sensoren für Mitgefühl und Liebe ge-funden, keine Pumpe zum Ausstoß von Mut oder Stärke. Aber wiralle erleben diese Dimensionen von Bewusstsein als eine in-nere Wahrheit, die unser Leben beeinflusst. In welchem Zusammenhang steht das mit unserem biologischenHerzen? Mit großer Freude folgte ich der Einladung von Frau Prof.Marion Elias (Leiterin der Abteilungen Philosophie und GenderArt Lab der Universität für angewandte Kunst in Wien; Ang-wandte) einen Vortrag in einem Curriculum über Aisthesis, diesinnliche Wahrnehmung, zu halten, in welcher sie „…Künstler,Wissenschaftler und Mediziner befragt und definieren lässt,wie ihnen Wahrnehmung - sinnlich- daherkommt…“. Aisthesis,die sinnliche Wahrnehmung, könne aktuell nicht mehr debat-tiert werden ohne Kenntnisse der Hirnforschung miteinzube-ziehen.Die modernen Neurowissenshaften sind der Meinung, dass Wahr-nehmung zu Bewusstsein führt, welches im Gehirn entsteht. DasHerz, und nicht das Gehirn, sei Sitz der Gefühle, glaubteAritoteles. Seine Erfahrungen und Theorien basierten im We-sentlichen auf Introspektion und Selbsterfahrung. Und ichstellte mir die ernsthafte Frage: Haben die Neurowissenschaf-ten dem Herzen die Geheimnisse der Liebe gestohlen?

Wahr Nehmen Wahrnehmen beinhaltet das Wort „wahr“. Wahr im philosophi-schen Sinne ist alles, was ist und kennzeichnet die Wirklich-keit. Dies kann erheblich mehr sein, als wir mit unserenSinnen auf physiologisch messbare Weise objektivieren können.Und es kann auch weit über unsere Vorstellungkraft hinausge-hen. Die Wirklichkeit unterscheidet sich begrifflich und inhalt-lich signifikant von der Realität, welche vom lateinischenWort „res“ abstammt und das Ding oder die Sache meint. Rea-lität ist also die Dinglichkeit. Wir bezeichnen das als real,was wir mit unseren fünf klassischen Sinnen erfassen können.Objekte, die wir mit den Händen und der Haut betasten und mitunseren Augen sehen können. Gerne auch Speisen, die wir mitder Nase riechen und der Zunge schmecken. Und in jedem FallGeräusche, welche wir mit unseren Ohren hören. Das, was wir Menschen mit unseren Sinnen erfassen können, istnicht die Wahrheit, sondern die Realität, welche nur ein

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hoch selektiver Ausschnitt der Wahrheit ist, der Existenz vonAllem. Mit unseren Augen können wir nur einen winzigen Teilder Sterne, der vielen Milliarden existierenden Galaxien amHimmel leuchten sehen. Unser Sinnesorgan Auge erlaubt es uns,bestimmte Wellenlängen von Licht zu sehen, die wir als Farbenempfinden. Allerdings gibt es erheblich mehr Wellenlängen vonLicht (z.B. Röntgenstrahlen oder Radiowellen), die wir nichtsehen können. Bestimmte Schallwellen können wir jedoch hören, wenn wir mor-gens das Radio einschalten oder in ein Konzert gehen. Undmanche Tiere hören, sehen oder riechen sogar sehr viel mehroder auf eine ganz andere Art als wir Menschen. Zugvögel las-sen sich vom Magnetfeld der Erde, welches unseren Sinnennicht zugänglich ist, nach Afrika leiten. Fledermäuse habenein Echosystem. Radarsignale sind ihre Realität und einschwarzes Bild mit vielen weißen Punkten, die von Mücken re-flektiert werden, bedeuten eine gute Nacht für sie. Hunderiechen die Wurst lange bevor wir Menschen sie aus der Tascheholen. Ihr hochsensitiver Geruchssinn lässt ihre Realität an-ders aussehen weil sie vornehmlich in einer Welt von Gerüchenleben.Wir wissen all das, und auf der wissenschaftlichen Suche nachWahrheit erweitern wir die Realität um Phänomene, die wirnachweisen, jedoch nicht mit unseren fünf Sinnen wahrnehmenkönnen. Zum Beispiel gab es lange Zeit einen wissenschaftlichen Kon-sens darüber, dass wir aus kleinsten Teilchen, aus Atomen be-stehen. Mit dem Modell der Atome und ihren Interaktionen, undVerknüpfungen zu Molekülen, lässt sich unsere reale Weltrecht gut erklären, wenngleich niemand jemals ein einzelnesAtom gesehen hat. „Solchen Modellen billigen wir dann denStatus der Wirklichkeit oder absoluten Wahrheit zu“ [1]. DasModell der atomaren „Wahrheit“ wurde vor fast 100 Jahren vonder Quantenphysik abgelöst, die besagt, das alles aus Ele-mentarteilchen besteht. Ein Elementarteilchen darf man sich aber nicht vorstellen wieeinen Mini-Legostein oder ein Atom. Sie sind sehr viel klei-ner, können nur eine Lichtwelle sein. Sie können sich an un-terschiedlichen Orten, die Millionen von Lichtjahrenvoneinander entfernt sind, gleichzeitig aufhalten und ver-halten sich auf vielfältige Art und Weise „spukhaft“, wie Al-bert Einstein es nannte. Kurioserweise scheinen sie es zubemerken, wenn sie beobachtet werden und ändern dann ihr Ver-halten. Zum Beispiel legen sie sich dann fest, ob sie einTeilchen oder eine Welle sind. Wie aus dieser schrägen Mi-

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schung makroskopische Materie entsteht, also auch ein mensch-licher Organismus, ist nach wie vor Gegenstand vieler Wirk-lichkeitsmodelle, Theorien und Diskussionen. Im Juli 2012 wurde die Existenz des sogenannte „Higgs“- oder„Gottesteilchen“ entdeckt und 2013 wurde dafür der Nobelpreisverliehen. Es ist das „Teilchen“, das im Baukastenmodell derTeilchenphysik noch gefehlt hat und das allen anderen Ele-mentarteilchen Masse verleiht. Es ist somit ein wesentlicherPuzzlestein bei der Entstehung von Materie. Quantenphysika-lisch ist alles, was existiert, miteinander verbunden und insteter Wechselwirkung. Dies ist definitiv außerhalb des Vor-stellungs- und Wahrnehmungsvermögens der meisten Menschen.Frage: Was macht denn dieses Higgsteilchen nun? Inwiefernverleiht es anderen Teilchen Masse?Am anderen Ende der Größenskala steht das Universum und wirbetrachten es als Realität, dass dieses vor 13,7 MilliardenJahren aus dem Urknall entstanden ist und wir im weiterenSinne aus dem entstandenen Sternenstaub (aus Elementarteil-chen) bestehen. Vor dem Big Bang war alles Eins, alle Existenzan einem einzigen winzigen Punkt zusammengedrängt. Dieser Zu-stand wird auch als Singularität bezeichnet. Seit dem Urknalldehnt sich das Universum aus. Die wohl bekannteste Theoriedes Universums ist Einsteins allgemeine Relativitätstheorie,die sich mit Raum, Zeit und Gravitation auseinandersetzt. Esgibt auch Theorien, nach denen der Urknall nicht der „Anfangvon Allem“ wahr, sondern die besagen, dass bereits vor demUrknall ein Universum existierte, das sich zu einem einzigenPunkt kontrahierte und seit dem Urknall erneut ausdehnt [2].Man könnte es auch als den „Herzschlag des Universums“ be-zeichnen und unser kleines menschliches Herz, das zeitlebens„Bum Bum“ macht, hätte einen großen Bruder: den Big Bang. Mankönnte auch sagen, alles Sein folgt einem ewigen Rhythmus ausAnspannung und Entspannung. In der Welt des Allerkleinsten, der Elementarteilchen undQuantenphysik, kommt die Gravitation nicht vor. In beidenTheorien spielt die Schwerkraft entweder eine sehr bedeutendeRolle oder gar keine. Das heißt, sie "sind nicht miteinanderin Einklang zu bringen und können nicht beide richtig sein"[3]. Hinzu kommt, wenn wir in den Bereich des Urknalls zu-rückrechnen erreichen wir einen Punkt, an dem die Relativi-tätstheorie und alle physikalische Gesetze ihre Gültigkeitverlieren. Mit anderen Worten, wir haben zwei Modelle oderTheorien der Wirklichkeit, mit denen sich vieles sehr gut er-klären lässt, die sich jedoch letzten Endes widersprechen.Und so verwendet die aktuelle Physik sehr viel Energie aufdie Entwicklung von einer Theorie, welche die Relativitäts-

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theorie und die Gesetze der Quantenmechanik in Einklangbringt und die auch im Angesicht des Urknalls oder davor nochgültig sein könnte.Die bekannteste Variante Relativitätstheorie und Quantenphy-sik zusammenzubringen, ist die Stringtheorie. Laut ihr sinddie Elementarteilchen keine Teilchen mehr, sondern eindimen-sionale Energiefäden (Strings) die ebenfalls Materie bildenkönnen. Auf ihr aufbauend, können ebenfalls unendlich vieleUniversen existieren. Dieses Modell bezeichnet man als Mul-tiversum-Theorie (M-Theorie). Wenn schon das Universum un-endlich ist, muss es das Multiversum natürlich auch sein. Wir können uns das eher nicht vorstellen. Es kann theoretischsein, dass sich unser Universum nicht nur neben anderen Uni-versen, sondern auch innerhalb anderer Universen befindet,wie eine Seifenblase in einer anderen Seifenblase. Oder, dasssich andere Universen innerhalb unseres Universums befindenund Parallelwelten existieren. Das Ganze, oder die Wahrheit,würde sich, entsprechend der M-Theorie, in einem 11-dimen-sionalen Raum abspielen [4]. Die Biologie und die Medizin beschäftigen sich mit der Mate-rie und der Natur des Lebendigen. Ihre Modelle objektiverWahrheit basieren immer noch auf der Vorstellung von Atomenund Molekülen. Damit kann man viele sogenannte Stoffwechsel-vorgänge (Stoffwechsel bezieht sich auf das Stoffliche, Ma-terielle, Dingliche) in unserem Inneren erklären. DieMolekularbiologie und die Genetik werden als die postmoderneUltima Ratio der medizinischen Forschung betrachtet. Das ist schon so unendlich kompliziert, dass eine, der Wirk-lichkeit möglicherweise näher kommende quantenphysikalischeBetrachtung des menschlichen Organismus und seine darauf ba-sierende Verbindung mit Allem, was existiert, in seiner Kom-plexität nicht mehr erfassbar ist. Der Physiker und Empfängerdes alternativen Nobelpreises, Hans Peter Dürr sagt dazu ineinem Interview: „ Die Biologen hängen immer noch im Mate-riellen fest“

Bewusst SeinWie dem auch sei, wir nehmen also unsere Umwelt wahr. Be-stimmte Wellenlägen von Licht treffen auf unser Auge und überbiophysikalische Prozesse entsteht ein Nervensignal, eineelektrisch messbare Erregung. Diese wird weitergeleitet anbestimmte Bereiche in unserem Gehirn und in unserem Körper.Neurobiologen haben inzwischen eine sehr gute Vorstellungdavon, wie so ein Lichtsignal weitergeleitet wird und welche

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Bereiche des Gehirns am Sehen beteiligt sind. Es gibt zumBeispiel die sogenannte Sehrinde in unserem Großhirn und wenndiese geschädigt oder krank ist, verlieren wir unser Sehver-mögen. Dann sind wir im schlimmsten Fall blind. Die Hypothe-sen oder Modelle der Neurobiologie postulieren aufgrunddieser Erkenntnis, dass unsere optischen Sinneswahrnehmungenin einem bestimmten Abschnitt unseres Gehirnes, nämlich derSehrinde, entstehen [5]. Nur, sie haben nicht die geringsteAhnung, auf welche Art und Weise dieses strahlende Kino inunserem Gehirn projiziert wird. Sie kennen die Mechanismennicht. Genau an der Schnittstelle, an welcher das elektrischeNervensignal des Sehnervs auf einen Verband von Gehirnner-venzellen trifft, passiert etwas... Unbekanntes. Es entstehtdieser gewaltige, bewegte, vielfarbige Film als eine innereRepräsentation unserer äußeren Umwelt. Aufgrund der existie-renden Lichtwellen, die wir mit unseren Augen wahrnehmen kön-nen, bildet sich ein optischer Teil von Bewusstsein. Analog verhält es sich mit unseren anderen Sinneswahrnehmun-gen. Duftmoleküle lösen elektrische Reize an den Riechzellenunserer Nasenschleimhaut aus, elektrische Signale werden indas sogenannte Riechhirn weitergeleitet und wir empfinden Ge-rüche als einen weiteren Bestandteil von Bewusstsein. Aberwas ist der zugrundeliegende, zelluläre Mechanismus? Wir hören Worte: Schallwellen bewegen die Knöchelchen in un-serem Innenohr, es entsteht ein elektrischer Impuls. Dieserwird an bestimmte Gehirnnervenzellen weitergeleitet und wirhören und verstehen beispielsweise Sprache. Schallwellen wer-den in Echtzeit zu bewusstem Verstehen decodiert. Aber waspassiert in diesen Hörzellen, die vom Hörnerv innerviert wer-den? Was ist der Code? Mit allen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Methodenkönnen wir diese Fragen nach dem Code von Bewusstsein aus mo-lekularbiologischer Sicht nicht beantworten. Es ist ein völ-liges Mysterium. Die Biochemie im Inneren einer Nervenzelleunterscheidet sich nicht wesentlich von der anderer Zellen.Das Besondere an Nervenzellen ist, dass sie elektrische Er-regung leiten und multiple, vielverzweigte Kontakte mit an-deren Nervenzellen eingehen können. Ihre elektrischen Signalewerden von Millionen anderer Nervenzellen aufgenommen, „ver-arbeitet“ und an viele Millionen anderer Nervenzellen wei-tergeleitet. Auf diese Art und Weise entstehen diesogenannten neuronalen Netze. Wie daraus jedoch Bewusstseinwird, ist unklar. Der bekannte Quantenphysiker Roger Penrose und der kanadischeBiologe und Anästhesist Stuart Hameroff behaupten, dass un-

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sere Gehirnleistung auf quantenphysikalischen Prozessen ba-siert. Also auf einer Ebene, die millionenfach kleiner undverrückter ist als die Modellebene der Atome und Moleküle [6,7]. Dies ist an prominenter Stelle publiziert und mannigfachdiskutiert. Bewiesen werden konnte die Theorie bisher nicht,im Übrigen ebenso wenig wie die String- und Multiversum-Theo-rie.Wir wissen nur Folgendes: Sind bestimmte Gehirnbereich ge-schädigt oder erkrankt, kann es sein, dass wir im Extremfalltaub werden, oder blind oder die Bedeutung der Sprache nichtmehr verstehen. Mit anderen Worten: Anteile von Bewusstseinfallen aus. Die gängige neurobiologische Hypothese, dassTöne, Bilder, Gerüche oder Tastempfindungen in einem damitasoziierten Gehirnteil „entstehen“, mit anderen Worten -hierbewusst werden- ist falsch. Da es hierfür keinerlei moleku-larbiologische Erkenntnisse gibt, können wir nur sagen: dieseGehirnregionen sind am Entstehen von Bewusstsein beteiligt.Das Gehirn ist ein Glied in der Kette der Bewusstseinsentste-hung. Ein Glied in der Kette, die dazu führt, dass unser inneresErleben existent wird. Würden ich uns mit einem Computer ver-gleichen, würde ich sagen, das Gehirn oder bestimmte Ab-schnitte davon, sind ein sehr wesentlicher Teil der Hardware,die es zur Entstehung von Bewusstsein braucht. Wenn dieseHardware erkrankt oder beschädigt ist, funktioniert die bio-logische Mechanik unserer bewussten Wahrnehmung nicht mehrso, wie sie sollte. Ein Computer macht überhaupt nur Sinn,wenn jemand vor ihm sitzt, der zunächst einmal Informationenin ihn eingibt.Was würde also passieren, wenn keine Schallwellen auf unserOhr oder keine Lichtwellen auf unser Auge treffen würden? Waswürde passieren, wenn wir keinen sensorischen Input hätten?Vermutlich Nichts. Wir würden nichts wahrnehmen, was bewusstwerden könnte. Vorgänge die zu bewusstem Erleben führen, ent-stehen also zunächst einmal und in einem erheblichen Maße,außerhalb unseres Körpers.

Herzschlag und GehirnwelleAuf der Suche nach den Geheimnissen von Wahrnehmung und Be-wusstsein können wir den organischen menschlichen Körper je-doch nicht außen vor lassen. Es ist klar, um Bewusstsein zuerleben brauchen wir, als ein Glied in der Kette, unser Ge-hirn. Und um zu leben, unser Herz. Aber was ist mit den ein-gangs erwähnten Dimensionen von Bewusstsein, die dem Herzen

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zugeschrieben werden? Bei meinen Untersuchungen habe ich verblüffende Ähnlichkeitenbei diesen beiden Organen entdeckt, die ja auf den erstenBlick unterschiedlicher nicht sein könnten. Gehirn und Herz sind autonom und können sich jeweils elek-trisch selbst erregen. Diese Selbsterregung passiert über be-stimmte Ionenkanäle in Zellwänden, den sogenannten FunnyChannels. Sie kommen fast ausschließlich in Herz und Gehirnvor. Im Gehirn finden wir sie in einem Bereich, den man Tha-lamus nennt und der als Tor zum Bewusstsein gilt. Auch dasHerz hat seinen eigenen Schrittmacher, mit dem es sich einLeben lang selbst erregt, den sogenannten Sinusknoten. DerSinusknoten besteht aus Herzmuskelzellen, die sich jedoch wieNervenzellen verhalten und in deren Wand Funny Channels zurSelbst-Erregung eingebaut sind. Sie sorgen -unter anderem-dafür, dass unser Herz während unseres Lebens fortlaufendschlägt. Autonome Selbsterregung spielt eine Rolle beim Ge-nerieren von Gedanken und emotionalem Erleben, das nicht un-mittelbar von der Umwelt getriggert wird [8].Sowohl das Herz, als auch das Gehirn haben ein eigenes Reiz-leitungssystem, in dem sich die Erregung ausbreitet. Im Ge-hirn passiert dies über die vielfältigen Verzweigungen derNervenzellen, die sich zu einem dreidimensionalen neuronalenNetz zusammenfinden, im Herzen über die Herzmuskelzellen. Herzmuskelzellen sind etwas sehr Besonderes. Im Gegensatz zuden Muskelzellen der Skelettmuskeln verzweigen sich Herzmus-kelzellen ebenfalls zu einem komplexen dreidimensionalenNetz. Dieses dreidimensionale Muskelfasernetz bildet die Or-ganstruktur des Herzens mit den Herzhöhlen. Herzmuskelzellenkönnen, genauso wie Nervenzellen, elektrische Erregung wei-terleiten. Die Erregungsübertragung läuft dabei über soge-nannte Gap Junctions. Das sind superschnelle Zellverbindungen, die auch bei denNervenzellen des Gehirns vorkommen. Im Gegensatz zu den viellangsameren Synapsen ist eine Erregungsübertragung in beideRichtungen möglich. Elektrische Erregung ist ein inhärenter Bestandteil der Funk-tion beider Organe und beide sind zeitlebens elektrisch er-regt. Im Gehirn trägt die Erregung, auf ungeklärte Weise, zurEntstehung von Bewusstsein bei. Im Herzen führt sie sie zurKontraktion der Herzhöhlen und zum Transport von Blut. Undich wüsste keinen Grund, weshalb der Strom und die Energie,die im Herzen fließen, nicht ebenfalls zur Bewusstseinsbil-dung beitragen sollten. Im Gegensatz zu Gehirnzellen, die abund zu schlafen, sich ausruhen, oder nur arbeiten, wenn sie

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belohnt werden, sind Herzmuskelzellen niemals müde. Das Herzschlägt immer. Findet im Gehirn keine Erregung mehr statt,spricht man vom Hirntod und in analoger Weise von Herztodwenn im Herzen keine Erregung mehr stattfindet. Beide Organesind untrennbar mit unserem Leben und damit unserem lebendi-gen Bewusstsein verbunden.Das Herz und das Gehirn erzeugen durch ihre elektrische Er-regung starke elektromagnetische Felder. Im Gehirn kann mandie Summe aller Nervenerregungen als sogenanntes Elektroen-zepaholgram (EEG) über Elektroden auf unserem Kopf ableiten.Im Herzen wird das bekanntere Elektrokardiogramm, kurz EKGerzeugt. Das Herz generiert das weitaus stärkste elektromag-netische Feld im Körper, dessen elektrische Spannung ca 60mal stärker als die des Gehirns ist. Insgesamt ist das Mag-netfeld des Herzens 5000 mal stärker als das des Gehirns. Die elektrische Erregung und die elektromagnetischen Felderhaben eine jeweils eigene Rhythmik: das gesunde Herz schlägtin einem sogenannten Sinusrhythmus, der sich beim Erwachsenenca. 80-100 Mal pro Minute wiederholt, wobei sich die Frequenzan die Bedürfnisse des Körpers anpasst. Wir können dies fest-stellen, wenn wir unseren Puls tasten. Das Gehirn verändertdas Erregungsmuster zum Beispiel im Wach-Schlaf-Rhythmus,oder in Anspannungs- und Entspannungsphasen. Exemplarischseien die bekannten Beta-Wellen genannt, die eine erhöhteKonzentration anzeigen oder die Delta-Wellen, die auftretenwenn wir schlafen.Beide Organe verfügen über eine Wahrnehmungsfunktion (Senso-rik) und Bewegungssteuerung (Motorik) und sind explizit zuautonomer Informationsverarbeitung fähig. Das Herz hat eineigenes „kleines Gehirn“ mit 40 000 Nervenzellen und einebiologische Sensorik für diverse Rezeptoren: so kann es per-manent den Druck in den Herzhöhlen und im Blut messen, eskann das chemische Milieu des Blutes bestimmen, zum Beispielden Sauerstoffgehalt und pH Wert und es hat Rezeptoren fürzahlreiche Hormone, Neurotransmitter und andere im Blut ge-löste Botenstoffe [9]. Diese Informationen werden in elek-trische Signale umgewandelt und über das autonomeNervensystem an das Gehirn gesendet. Darüber hinaus kann dasHerz über die aufgenommene Information auch selbst steuernund an die wechselnden Anforderungen des Körpers anpassen.Das heißt, neben den bekannten Herzfunktionen als Pumpe undLebensmotor ist das Herz auch ein Sinnesorgan, das biochemi-sche und physikalische Informationen aus dem Blut und denZellen wahrnimmt und an das Gehirn weiterleitet. Das Gehirnkann Informationen aus dem Blut aufgrund der Blut-HirnSchranke nur in sehr eingeschränktem Maße wahrnehmen. Man

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könnte auch sagen, das Herz fühlt für das Gehirn. Und es lau-fen sehr viel mehr Nervenbahnen vom Herzen zum Gehirn als um-gekehrt.Unser Oberstübchen und die Pumpe des Lebens haben energeti-sche bzw. rhythmische Blockaden oder Störungen, die von derSchulmedizin auf verblüffend ähnliche Art und Weise thera-piert werden. Beim Herzen sind es die bekannten Herzrhyth-musstörungen. Im Gehirn treten Denkblockaden oder auchirreguläre Erregungsmuster auf, die zum Beispiel zu Krampf-anfällen oder Bewegungsstörungen führen können. Therapeutischwerden unter anderem direkte Stimulationslektroden in dasHerz (Herzschrittmacher)oder Gehirn (z.B. Neurostimulationbei M. Parkinson) implantiert. Bei bestimmten Krankheitenwerden auch externe Elektroschocks angewendet, zum Beispielbeim lebensbedrohlichem Kammerflimmern am Herzen oder den po-tentiell ebenfalls lebensbedrohlichen Depressionen. Massen-haft eingesetzt werden Medikamente wie Betablocker, die das„nervöse“ Herz beruhigen: also es langsamer machen und denBlutdruck regulieren. Diese haben als „Nebenwirkung“ auch denEffekt, dass sie das Gehirn müde machen. Darüber hinaus sindstimulierende oder hemmende Psychopharmaka, die auf das Ge-hirn einwirken, in jeglicher Couleur auf dem Markt und einMassentherapeutikum.Beide Organe produzieren Hormone und haben dadurch eineSteuerungsfunktion für wichtige Körperprozesse. Das Herz pro-duziert das ANP (Atrial Natriuretic Peptide), welches auchals Balance Hormon bezeichnet wird und für den Flüssigkeits-und Elektrolythaushalt unseres Körpers zuständig ist. Es hatEinfluss auf Niere, Blutgefäße, Nebennierendrüsen, aber auchdiverse regulatorische Gehirnfunktionen. Weiterhin inhibiertes die Freisetzung von Stresshormonen und reduziert die Sym-pathikusaktivität. Es stimuliert die Funktion und das Wachs-tum der Reproduktionsorgane und interagiert mit demImmunsystem. ANP hat auch Einfluss auf Motivation und Ver-halten. Die Herzventrikel sind auch Hauptproduzenten desBrain Natriuretic Peptide. Es heißt so, weil man langedachte, es würde nur im Gehirn produziert. Herz und Hirn pro-duzieren teilweise sogar die gleichen Hormone und Neurotran-mitter. Beispielhaft sei das Dopamin genannt, welches zueiner Steigerung der Herzleistung führt und auch bei Glücks-empfinden, Motivation und Belohnung eine wichtige Rollespielt. Zuletzt fand man auch heraus, dass das Herz das als„Liebeshormon“ bekannte Oxytocin produziert [10]. Es ist in-volviert in Vorgänge bei der Geburt, aber auch in Denkpro-zesse, die Ausbildung von Toleranz, Vertrauen, Sex undmütterlichem Verhalten. Eine wesentliche Rolle spielt es auch

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beim Entstehen von Paarbeziehungen. Interessanterweise wirdim Herzen genauso viel Oxytocin produziert wie im Gehirn.Herz und Hirn sind extrem gut vernetzt und verpackt. Das Ge-hirn schwimmt in Flüssigkeit, man könnte auch sagen in einemWassertank aus Gehirnflüssigkeit und ist von Knochen umman-telt. Das Herz ist von den Lungen umgeben und sozusagen ineine Luftpolsterfolie eingewickelt. Wasser und Luft sind sehrdurchlässige Medien für Wellen und Teilchen mit denen wirquantenphysikalisch und energetisch auf multiple Art mit derUmwelt in Verbindung stehen. Beide Organe stehen zudem inpermanentem Kontakt mit jeder Körperzelle: das Herz über dieetwa 100 000 Kilometer Blutgefäße in unserem Körper, welchees versorgt und das Gehirn über etwa 800 000 Kilometer anNervenbahnen. Beide Organe sind Epizentren intra- und interpersoneller Kom-munikation, und, so meine Hypothese, unmittelbar beteiligtan der Entstehung von Bewusstsein. Wenn elektrische Erregungin den Nervenzellen des Großhirnes an der Aktivierung oderEntstehung von Bewusstsein beteiligt ist, führt auch dieelektrische Erregung in den Herzmuskelzellen zu Bewusstseins-anteilen. Es mag sein, dass man mit dem Herzen nicht die Qua-dratwurzel der Zahl Pi berechnen kann, aber es wird so sein,dass die Bewusstseinsanteile, die wir im Herzen fühlen, auchim Herzen lebendig werden.

Was sich Herz und Hirn zu sagen habenZwischen den beiden Organen bestehen multiple, bidirektionaleInteraktionen in Form von neuronalen, endokrinen sowie bio-chemischen und biophysikalischen Kommunikationsmustern. Das elektromagnetische Feld des Herzens (EKG) ist in bis zumehreren Metern Abstand vom Menschen messbar. Es gibt Mes-sungen die zeigen, dass eine Synchronisierung der Magnetfel-der des Herzens und des Gehirns möglich ist. Etwa beibestimmten, meditationsgeleiteten Zuständen von Empathie undMitgefühl. Die Autoren sprechen von einem Effekt der Reso-nanz. Dieser Resonanzeffekt wurde auch bei Müttern mit ihrenBabies gezeigt, wobei das Herz des Babies das mütterliche Ge-hirnmagnetfeld in Synchronisation zieht [11]. Die Pumpe in unserer Brust und das Denkorgan im Kopf erregensich elektrisch gegenseitig über jeweils zuleitende Nerven-bahnen. Das Herz hat von allen Organen die meisten Nervenver-bindungen zum Gehirn und deutlich mehr Nervenverbindungenlaufen vom Herzen in Richtung Gehirn als umgekehrt. Nerven-leitungen, die vom Herzen zum Gehirn führen, verursachen Än-

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derungen der elektrischen Aktivität desselben wessen. Das istim EEG und mit speziellen Tomographen messbar. Insbesonderefindet man diese Einflüsse in frontocorticalen Gehirnzentrenund den Zentren, die mit Sehen assoziiert werden. Also nichtirgendwo unten im Reptilienhirn sondern in Bereichen, die mitsubjektivem Erleben, Denken und Kreativität assoziiert sind,dem sogenannten Neocortex. In einem der wichtigsten wissenschaftlichen Organe der Neu-rowissenschaften, der Zeitschrift Nature Neuroscience er-schien 2013 ein Artikel der beweist: das Gehirn reagiert aufSignale, die aus dem Herzen stammen und Signale aus dem Herzenbeeinflussen unsere Wahrnehmung und Entscheidungen. Mit jedemHerzschlag leiten Sensoren des Herzens Informationen zum Ge-hirn und an den Neocortex weiter [12]. Wenn das Gehirn daraufantwortet, lassen sich dort sogenannte herzschlagevoziertePotentiale (Heart Beat Evoked Potentials) nachweisen. Dabeihandelt es sich um messbare Änderungen bestimmter Gehirn-ströme als Antwort auf die Nachrichten aus dem Herzen. Dieszu messen, ist sehr aufwendig und bedarf einer äußerst sen-sitiven Technologie.In einem Experiment wurde folgendes durchgeführt: Probandenwurde ein schwacher visueller Stimulus gezeigt, nämlich grau-weiße Muster mit so geringem Kontrast, dass sie an der opti-schen Wahrnehmungsschwelle liegen, also häufig überhauptnicht bewusst wahrgenommen werden. Wenn so ein Stimulus einemProbanden in einer Phase präsentiert wurde, in welcher dasGehirn auf den Herzschlag reagierte, war die Wahrscheinlich-keit signifikant größer, dass er das Bild (den Stimulus) be-wusst sehen konnte. Vor der Stimuluspräsentation konntenweder vielfältige physiologische Körpermessgrößen, noch dieallgemeine Erregbarkeit des Gehirns, die korrekte visuelleErkennung vorhersagen. Wurde der Stimulus erkannt, musstendie Probanden einen Knopf drücken. Die Autoren folgern, dassdie Signale des Herzens an das Gehirn unmittelbar unsere Ent-scheidungen beeinflussen. Des Weiteren transportieren die Signale des Herzens an dasGehirn eine Information, welche das direkte physiologischeSehvermögen beeinflusst. Wurde ein Stimulus erkannt, sah man,dass dieser Vorgang wieder umgekehrt das Herz beeinflusste:es wurde langsamer nach der Entscheidung, es schien sich zuentspannen. Das besondere an diesen Ergebnissen ist: der Sti-mulus war emotional neutral, ein Muster aus Graustufen undWeiß mit geringem Kontrast. Das heißt, Emotionen oder Gefühleoder bestimmte Erwartungen wurden als Störgrößen ausgeschlos-sen.

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Das Elektroenzephalogram, das EKG des Gehirns, ist keine neuemedizinische Erfindung und die Typisierung der größeren Aus-schläge in typische Wach- und Schlafwellen existiert seitJahrzehnten. Die kleinen Wellen und ruckligen Linien dazwi-schen wurden von der Medizin lange Zeit als Artefakte oderStörgeräusche gesehen, welche die Messgenauigkeit trübten.Die Messung mit hochsensiblen Tomographen zeigt nun am Bei-spiel der herzschlagevozierten Potentiale: „permanente neu-rologische Makro-Aktivitäten sind nicht etwa unspezifischeGeräusche, sondern hochstrukturierte Körpersignale, die inder Gehirnaktivität abgebildet werden und die die Wahrnehmungbeeinflussen. Die vorgestellte Studie erbrachte den physio-logischen Beweis, dass der kleine Prinz recht hatte. „Mansieht nur mit dem Herzen gut“.Wir wissen allerdings nicht, wann oder weshalb das Gehirn aufeinen Herzschlag reagiert oder wann nicht. Gegenwärtig wissenwir nur, dass es so ist. Frühere Beobachtungsstudien kamen zudem Schluss: „herzschlagevozierte Potentiale sind Marker derkortikalen Repräsentation kardialer Informationen und ihreAmplituden korrelieren mit der Fähigkeit zur Selbstwahrneh-mung und Empathie“ [13]. Mit anderen Worten: in Situationen,in denen ihr Gehirn deutlich auf ihren Herzschlag reagiert,können haben sie eine intensivierte Wahrnehmung ihrer selbstund emfinden mehr Mitgefühl gegenüber anderen. Herz und Hirn sind über das autonome Nervensystem verbunden.Es regelt innere Prozesse, auf die wir keinen willentlichenEinfluss haben. Unter anderem die Herzfrequenz, Funktionendes Darmes, der Leber, der Nieren und Sexualfunktionen. Esbeeinflusst auch das Hormon- und Immunsystem. Vereinfachtausgedrückt, besteht das autonome Nervensystem aus einem Gas-pedal (sympathisches Nervensystem) und einer Bremse (para-symathisches Nervensystem) und das führt auch dazu, dass dasHerz nicht in einer starren Frequenz schlägt. So wird unserHerz schneller, wenn wir joggen oder langsamer, wenn wirschlafen. Aber auch in der Ruhe ist das Herz kein Metronom,sondern die Herzfrequenz nimmt immer ein ganz kleines biss-chen zu und dann wieder ab. In der Regel passiert dies auchsynchron mit der Atmung. Dieses Phänomen nennt man Herzfre-quenzvariabilität. Es ist ein minimaler Swing, der mit bloßemAuge auf den meisten EKGs nicht sichtbar und auch beim Fühlendes Pulses kaum wahrnehmbar ist. Jedoch, in der Computerana-lyse tritt er deutlicher zu Tage. Die Herzfrequenzvariabili-tät gilt als ein wesentlicher Parameter eines gesunden,schwingungsfähigen Herzens, einer ausgeglichenen Interaktionvon Herz und Gehirn und ist ein Produkt des dynamischen Zu-sammenspiels vieler Körper- und Organsysteme [14]. Die

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Schwingungsfähigkeit des Herzens beeinflusst wiederum dieemotionale Schwingungsfähigkeit und ist assoziiert mit prae-frontalen, subcorticalen Kreisläufen, welche flexible und an-gemessene kognitive Antworten auf Umwelteinflüsse ermöglichen[15]. Sowohl Erkrankungen des Gehirns (z.B. Depressionen),als auch des Herzens (z.B. Herzinfarkt) können mit einer ein-geschränkten Herzfrequenzvariabilität einhergehen.Wir wissen noch sehr wenig über diese Mechanismen. Daher ent-wickelten sich in den letzten Jahren die medizinischen Dis-ziplinen der Neurokardiologie und der Kardiopsychologie, diesich damit näher befassen. Störungen des Herzens haben Ein-fluss auf die Gehirn- und Körperleistung und umgekehrt. Esist wie in einer innigen Liebesbeziehung. Ist das eine Organerkrankt, wird es das Andere häufig auch. Zum Beispiel könnenausgeprägte Herzrhythmusstörungen über Schlaganfälle zu viel-fältigen Erkrankungen des Gehirns und der Psyche führen undumgekehrt machen unter anderem Stress und Angststörungen auchdas Herz krank. Man nennt dies „Störungen der neurokardialenAchse“. Am medial bekanntesten ist das Broken Heart Syndrom,das nun um das Happy Heart Syndrom ergänzt wurde. Starke emo-tionale Belastungen, seien sie positiv oder negativ, veran-lassen das Gehirn in diesen Fällen voll auf das Gaspedal zutreten und es tritt eine Verkrampfung oder Dauerkontraktiondes Herzens ein. Das Herz und das Gehirn wollen oder könnensich nicht mehr entspannen und die Pumpleistung ist am Endeso reduziert, dass ein lebensbedrohlicher Zustand eintritt.Das Herz steht über einen speziellen Blutkreislauf mit demGehirn in enger Verbindung. Man nennt ihn den Gehirnkreislaufund er wird vom autonomen Nervensystem durch Autoregulationunter allen Umständen aufrecht erhalten. 30% des Blutvolumensund Energiebedarfs des Körpers gehen an das Gehirn. Denn ohnedie Funktion unseres einzigartigen Gehirns, verlieren wir dieFähigkeit der bewussten Wahrnehmung und Steuerung. Bewusst-losigkeit ist meistens ein lebensbedrohlicher Zustand. Dieuntrennbare Verbindung beider Organe (Herz und Hirn) erkennenwir auch daran, dass bei einem Herzstillstand nach einigenMinuten der Hirntod als Erstes eintritt. Mit jedem Herzschlag entsteht eine Pulswelle, die sehr vielschneller durch das Blutgefäßsystem wandert als der tatsäch-liche Blutstrom. Diese Pulswellen, die durch die Arterien undGewebe wandern, können jedes Körperorgan beeinflussen undenthalten biophysikalische Informationen, die in der Stärkeder Pulswelle und ihrer Frequenz kodiert sind. Der Neurochi-rurg James R. Doty, schreibt, wenn er den Schädel öffnet undauf das Gehirn blickt, pulsiert das ganze Gehirn im Rhythmusdes Herzens [16]. Die Pulswellen drücken auf Zellproteine und

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durch diesen mechanischen Reiz kommt es zu Ionenströmen ander Zellwand und zu elektrischen Aktivitäten an den Nerven-zellen. Die Psychokardiologie zeigt, dass Menschen sogar dieFähigkeit zur Synchronisierung von Pulswellen haben, sofernsie empathisch verbunden sind. Diese Mechanismen interperso-neller biophysikalischer Phänomene sind noch sehr unvollstän-dig untersucht und verstanden.Die faszinierend bunten Bilder der funktionellen Magnetreso-nanztomographie, die seit einiger Zeit medienwirksam publi-ziert werden, sind im Übrigen nichts anderes alsDarstellungen der veränderten Durchblutung bestimmter Gehir-nareale bei kognitiven Prozessen und nicht etwa neuronale Be-wusstseinsprozesse. Die Gehirndurchblutung wird vielmehrdorthin vermehrt hingeleitet, wo gerade am meisten Energieund Sauerstoff gebraucht wird und ist somit ein indirektesMaß für eine gesteigerte Aktivität bestimmter Nervenzellen.Was wir auf diesen Bilder sehen ist ein vermehrter Blutflußaus dem Herzen zu bestimmten Bereichen im Gehirn.Selbst der Liquor, die Gehirnflüssigkeit, in der unser Gehirnschwimmt und welche die Hohlräume in Gehirn und Rückenmarkfüllt, zirkuliert pulsatil [17]. Da der Liquorraum über einensehr feinen Kanal mit dem Innenohr kommuniziert, kann diesauch unsere akustische Wahrnehmung beeinflussen. In jedem Falle spielen rhythmische Aktivitäten bei der Kom-munikation von biologischen Systemen und Ihrer Umgebung einezentrale Rolle. Information ist in Mustern rhythmischer Ak-tivität kodiert. Genaugenommen in der Länge der Entstammungs-phasen. Ein Aktionspotential an der Nervenfaser ist immergleich lang. Auch eine gesunde Herzkontraktion im EKG hatimmer die gleiche Dauer. Eine Änderung der Frequenz und damiteiner Informationseinheit, ergibt sich aus der Zeitspannezwischen den Kontraktionen, aus der Länge der Entspannung.Aber nicht nur die Qualität der Pulswelle, sondern insbeson-dere auch über die im Blut gelösten Neurotransmitter und Hor-mone schicken sich Herz und Gehirn permanent Nachrichten. Wiebereits erwähnt, produzieren und verwenden Herz und Hirnteilweise die gleichen Hormone und schicken sich darüber un-ablässig Nachrichten. Zum Beispiel synthetisiert das Herz dasals Liebeshormon bekannte Oxytocin und das Gehirn Adrenalin,welches das Herz „mutig“ macht. Schließlich kommuniziert das Herz der Mutter mit dem Gehirndes ungeborenen Babys. Der Herzschlag hat eine enorm beruhi-gende Wirkung auf intrauterine Föten und auf das Kind, wel-ches zum Stillen angelegt wird. Das Herz der Mutter ist dasErste, was wir in unserem Leben hören.

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Die Physiologie der Wahrheit

Das Gehirn steuert unseren Körper und bewusste Wahrnehmungentsteht exklusiv im Gehirn. Dies ist immer noch ein weitver-breitetes Paradigma der Neurowissenschaften. Deren Vertreterbevölkern heute Talkshows und ihre populistischen Äußerungentragen dazu bei, dass sich der Mensch als ein Gehirn betrach-tet, an welchem maschinenhaft ein Körper hängt, den es zu op-timieren gilt. Eine Art Roboter mit zentralerGehirnsteuerung. Es ist auch beliebter Sprachgebrauch „vonseinem Körper zu reden“ und dabei erlebt sich das sprechendeIch als getrennt vom Körper oder als dessen Oberaufseher.„Ich würde ja gerne dies und jenes machen, aber mein Körpermacht nicht mit“. Es herrscht der Irrglaube, wir stünden kurzdavor, den Gehirncode zu entschlüsseln. „Doch die Bilanzfällt eher enttäuschend aus“ heißt es im Memorandum reflexi-ver Neurowissenschaften von 2014. Man könne nicht alle psy-chischen Prozesse abschließend mit biochemischen Prozessenbeschreiben. Und es besteht die völlig ungelöste Kernfrage:Wie kreiert das Gehirn subjektives Erleben? Alle bisherigenTheorien des Bewusstseins seien metaphorisch und empirischnicht zu überprüfen [18].Lange wurde übersehen, oder war nicht bekannt, dass die auf-steigenden neuronalen Signale des Körpers direkten Einflusshaben auf unsere Gefühle und unsere bewussten kognitiven Fä-higkeiten [19]. Solche Signale sind subtil und die Antwortdes Gehirns darauf ist extrem schwer nachzuweisen. Doch wis-sen wir heute, dass solche Signale auch aus dem Darm aufstei-gen, sogenannte vioscerosensorische Signale, und wir könnenspekulieren, dass unser Bauchgefühl eben nicht nur ein Gefühlist, sondern lebenswichtige Signale an das Gehirn enthält.Im wissenschaftlichen Fokus steht derzeit auch die Muskulaturmit ihren Botenstoffen, den sogenannten Myokinen und derenBotschaften an das Gehirn. Seit Stunden arbeite ich an diesemText, aber wenn ich gleich ein paar Runden um den Block laufe,meine Muskeln bewege, ist mein Gehirn wieder „frei“. Ichfühle mich als etwas Ganzes, fühle meinen Körper als Einheit- nicht als zwei Teile, bestehend aus Körper und Gehirn.Die integrative Sicht der gesamten organischen Entität desKörpers als eine Einheit, in welcher sämtliche Kompartimenteunablässig miteinander kommunizieren und im Austausch stehen,bezeichnet man als Embodyment. Ich weiß nicht, ob wir unserBewusstsein jemals entschlüsseln werden, aber ich bin mir si-cher, der Code liegt im wissenschaftlichen Begreifen des Kör-pers als Einheit und keinesfalls nur im Gehirn.Körperzentrierte Therapien und spirituelle Schulen kennen das

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Phänomen, dass man gerade über den Körper Zugang zum Bewusst-sein erlangt und bestimmte Vorgänge dechiffrieren kann, schonlange und arbeiten damit.Die Erkenntnisse der Quantenphysik lassen den Schluss zu,dass unsere Grenzen nicht an der Oberfläche unserer Haut auf-hören, sondern dass wir mit allem Existierenden verbundensind. Unabhängig davon hatten viele Menschen schon einmaldieses Gefühl „mit allem verbunden zu sein“, zum Beispielwenn sie nachts in den Sternenhimmel blickten, ins Univer-sum.Die Ergebnisse der Multiversum-Theorie, in welcher die Ge-setzte der Astrophysik und Quantenmechanik vereint werden,legen nahe, „dass es viele Universen mit vielen verschiedenenVersionen physikalischer Gesetzen gibt“ [1]. Des Weiterenleben wir, so die amtliche Physik, in einem 11-dimenionalenGebilde deren direkt erfahrbare Dimensionen der dreidimen-sionale Raum und die Zeit sind. Hawkins und Mlodinow schrei-ben in ihrem Buch, „Der große Entwurf“ sieben dieserDimensionen seien jedoch „so eng aufgewickelt, dass wir sienicht bemerken“ [1]. Wir können das mit unseren Sinnen nicht mehr begreifen. Oderdoch? Sind Liebe, Wahrheit, Präsenz, Mitgefühl, Weisheit,Stärke und Freude diese Dimensionen? Nicht jede dieser Qua-litäten ist für die meisten von uns spontan verfügbar, je-doch, wenn sie fühlbar oder „fühlwahr“ werden, wenn sie sichabwickeln und entfalten, öffnen sie einen Raum, eine Dimen-sion, ein eigenes Universum. Ist es so, dass wir das Offensichtliche nicht sehen? Ich pos-tuliere, dass wir die Dimensionen der M-Theorie sehr wohlwahrnehmen. Denn Bewusstsein ist nicht nur die Summe von Ge-fühlen, sondern ein Raum mit vielen Dimensionen und eigenenUniversen und mit eigenen Gesetzmäßigkeiten. Als unvollstän-dige Beweiskette dafür dienen mir die Symphonien Beethovens,AC/DC, die Höhlenmalereien der Steinzeit, Picasso, Gandhi,Anne Frank, Einstein, Olivia, Ying und Yang, Marie Curie,Schopenhauer, Pan Tau, Freud und Porsche.Die Evolution des Menschen dauert nun schon sieben MillionenJahre. Die Natur hatte viel Zeit uns mit multiplen Wahrneh-mungsmöglichkeiten auszustatten, auch mit dem guten alten In-stinkt, den ich an dieser Stelle abschließend würdigenmöchte. Das Zeitalter der Technisierung und Naturwissenschaf-ten dagegen dauert bisher maximal drei– bis vierhundertJahre. Es ist sehr verständlich, dass wir in dieser kurzenZeit noch keine Messinstrumente für alle Dimensionen entwi-ckeln konnten, zum Beispiel für Liebe oder Wahrheit. Und es

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ist verständlich, dass wir die Sensorik an unserem Körperdafür noch nicht nachweisen können. Aber wir sollten unsdavor hüten zu behaupten, dass es solche Sensoren nicht gibtund dass Liebe, Weisheit, Mitgefühl und die vielen essentiel-len Qualitäten des Herzens „nur“ Gefühle seien. Es sind Di-mensionen eines Raumes, mit dem Namen Bewusstsein. Die Physikhat diese Dimensionen der Wahrnehmung nun berechnet. ImGrunde kann es an einem Beispiel ganz einfach erklärt werden:wir können unsere dreidimensionale Umwelt unmittelbar mit un-seren Sinnen wahrnehmen oder wir können diesen Raum mathema-tisch darstellen. Beides ist richtig, aber nicht das Gleiche.

Dabei ist das Herz nicht der Speicherort für die genanntenDimensionen, denn Herzen kann man transplantieren und diesbeeinflusst nachweislich nicht oder nur in sehr geringem Aus-maß zum Beispiel die Liebe zu einer Person. Das Herz ist einbiologischer Prozessor von Liebe, nicht der Container. Ebensowenig ist das Gehirn der Container von Bewusstsein oder In-telligenz sondern ein wesentliches Glied im Entstehungspro-zess dieser Dimensionen. Die Topographie des Bewusstseins istin jeder unserer Körperzellen und auch außerhalb unseres Kör-pers lebendig. Wir sind permanent von Bewusstsein umgeben.Seit uralten Zeiten weiß die Menschheit, dass wir die Dimen-sionen des Herzens nicht nur dort wahrnehmen sondern auch,aus dem Herzen heraus, in seiner pulsierenden Exekutivfunk-tion, ins Leben zu bringen. Mit technischem Instrumentariumist Menschlichkeit als ein Akt von Liebe nicht messbar. Andieser Stelle ist das Leben der Technologie um ein paar Mil-lionen Jahre evolutionärer Entwicklung voraus. Es braucht einHerz und ein Gehirn um das zu verstehen.

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KorrespondenzPriv. Doz. Dr. med. Reinhard FriedlHerzchirurgie, Intensivmedizin, EchokardiographieGützkowerstr. 4817489 [email protected]

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