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REPORTAGE 2 SAMSTAG 23. MÄRZ 2019 DIE ROUTE Erst Spanferkel, dann Karaoke Im Fünf-Wochen-Takt verbindet die „Atlantic Sea“ Frachthäfen in Europa und Amerika. Wer mitfährt, kann nicht nur beim Verladen dabei sein, sondern auch gemeinsam mit der Crew über der Fischsuppe sitzen. Seemannsgarn gibt es dazu. VON UTA NABERT D as schwierigste Manöver auf der Brücke der „Atlantic Sea“ ist an diesem Vormit- tag, der Kaffeemaschine ei- nen Cappuccino zu entlocken. „Es wird doch erst richtig spannend, wenn es kompliziert wird“, sagt Ka- pitän Piotr Kaminski, während der zweite Offizier Francisco Penita mit Schläuchen, Wasserbehälter und Kaffeebohnen hantiert. Liverpool liegt seit drei Tagen irgendwo hinter dem Horizont. Seitdem ist nichts zu sehen als die weite blaue See, selten mal Gegenverkehr. Ruhe. Ein willkommener Ausgleich für die vergangenen Tage, die be- herrscht waren von Einfahrten in die Häfen von Hamburg, Antwerpen und Liverpool, an denen es galt, hunderte von Containern von Bord zu schaffen und neue aufzunehmen, die Häfen wieder sicher zu verlassen. Geschafft. Europa ist abgefertigt. Da ist dann auch mal Zeit, eine Viertel- stunde mit der Kaffeemaschine zu verbringen. Das Ergebnis lässt sich sehen. „Wie bei Starbucks!“ Der Of- fizier strahlt. In vier Tagen nun wird das Schiff Halifax, Kanada, errei- chen. Flugzeugteile und Giraffen Die „Atlantic Sea“ ist eines von fünf Schiffen der Reederei Grimaldi. Sie bringen Fracht vom alten Kontinent nach Nordamerika und wieder zu- rück. Immer im Kreis. Seit mehr als 50 Jahren. Dabei nehmen sie neben Containern auch Fahrzeuge auf, die über eine Rampe auf verschiedene Decks rollen können. Wie im Parkhaus sieht es im Bauch des Schiffes aus, nur dass hier neben normalen Autos wie Minis und Land Rovern unter anderem auch Landmaschinen von John Dee- re, Wohnmobile oder Baumaschi- nen parken. Blättert man in einem Bildband der Reederei, staunt man, was ebenfalls schon seinen Weg über den Atlantik gefunden hat: Ro- torblätter für Windmühlen, Flug- zeugteile, historische Straßenbah- nen. Sogar die Giraffen eines Zirkus- ses waren in den 1970er Jahren da- bei. Wie gut, dass die Zwischendecks höhenverstellbar sind. Ein paar Tage zuvor. Es ist 17 Uhr 30. Abendbrotzeit. Das Schiff liegt in Hamburg. Der Geruch von gebratenem Speck und Fischsuppe zieht durch die Messe, wie die Kanti- ne auf Schiffen genannt wird. Vom Vegetarismus, der an Land üblich ist, weiß man hier, eine Handbreit vom Kai entfernt, nichts. Hier kommen Fleisch und Fisch auf die vier Tische – zwei Mal am Tag. „Leute, macht’s gut“ Durch die offene Küchentür dudelt Radiomusik: „Time of my life“. Der Koch singt mit, vermutlich trainiert er für den Karaokeabend. Drei Män- ner mit dunklem Teint kommen he- rein, lachen und rufen etwas auf Phi- lippinisch in die Küche. Es heißt so viel wie: „So, Leute macht’s gut. Auf Wiedersehen!“ Alvin, der Steward, kommt aus der Küche. Er klopft ih- nen auf die Schulter. Sie waren nun für neun Monate an Bord. Jetzt wer- den sie für zwei Monate nach Hause fliegen, zurück zu ihren Familien. Der Rest der Mannschaft findet sich ein. In Trainingshose und T- Shirt schlappen die Matrosen, Offi- ziere und der Kapitän oder auch Master, wie er hier genannt wird, an die Tische. Wer fertig ist, steht auf und geht. Kurz nach 18 Uhr liegt der Raum da wie leer gefischt. Wo sind denn alle? Vermutlich im Stress? „Oder im Internet“, sagt Steward Al- vin, und er lacht herzhaft. Die Zeit in den Häfen will gut genutzt sein. Nur in der Nähe der Küste haben die See- männer guten Empfang, nur dann können sie mit ihrer Familie telefo- nieren. Einmal auf hoher See, haben sie dazu kaum mehr Gelegenheit. Zwei Tage später liegt das Schiff im Hafen von Antwerpen. Unten am Kai stehen wie im Fuhrpark eines Autoverleihs unzählige Neuwagen, die darauf warten, verladen zu wer- den. Drumherum stapeln sich wie Duplosteine die Container. Stück für Stück haben Lkw sie herangekarrt, nun hieven sie hochhaushohe Kräne im Minutentakt auf die Frachter. Al- leine die „Atlantic Sea“ fasst bis zu 3850 von ihnen. Die Brücke ist jetzt unbemannt. Jetzt wird nicht navi- giert, jetzt wird organisiert und über- wacht. „Es ist wichtig, dass überall das Schwerste ganz unten platziert wird“, erklärt der Master. Manche Container bräuchten zudem Strom- anschlüsse, da ihr Inhalt gekühlt oder geheizt werden müsse – medi- zinische Geräte etwa. „Außerdem gibt es Container, die aus Sicher- heitsgründen nicht direkt nebenei- nander stehen dürfen“, erklärt Ka- minski. Auch Parfum zähle zur ge- fährlichen Fracht, es brenne leicht. Und auf noch etwas müssen die See- männer achten: auf blinde Passagie- re. In Zeiten der Flüchtlingsströme treiben sie auch die Schifffahrt um. Deswegen steht an jedem Hafen ein Wachmann an der Rampe der Frachter, und Nahaufnahmen von Schiffen sind streng untersagt. Kein Bürojob 12 Uhr mittags. Der Frachter hat die belgische Küste hinter sich gelassen. „Hmm, Eiscreme! Es muss Sonntag sein!“, sagt der Kapitän, als er den Nachtisch erblickt, den es eben nur sonntags gibt. Er grinst und reibt sich die Hände. „Man kann an Bord schon mal vergessen, welcher Wo- chentag ist, jeder Tag fühlt sich an wie Montag“, sagt Alvin. Wochenen- den kennt man hier nicht. Auch der Kapitän nicht. Der nimmt, nachdem er sein Cordon bleu verzehrt hat, das Eis, verlässt den Raum und folgt den Gängen mit ihrem blauen Linoleum, in denen es nach Essen, Duschgel und gewa- schener Wäsche riecht. Bis er wieder auf der Brücke steht. Seit fast zwölf Stunden ist er nun schon auf den Beinen, um ein Uhr nachts, also eine Stunde vor Abfahrt aus Antwerpen, ist er aufgestanden. Er sagt: „Es ist kein Bürojob. Wie ein Arzt im Kran- kenhaus kannst Du nicht einfach so nach acht Stunden gehen.“ In einer Stunde will er sich aufs Ohr legen. Jetzt geht es noch nicht, weil die Stel- le, die der Frachter gerade passiert, seine Aufmerksamkeit erfordert: Es ist eng hier im Ärmelkanal, und es herrscht viel Verkehr. Gleich fünf Fähren auf einmal sind unterwegs, die Dover und Calais miteinander verbinden, dabei von links oder rechts die Route der „Atlantic Sea“ queren werden. Die Regeln seien die gleichen wie im Straßenverkehr, erklärt der Mas- ter: rechts vor links. Und es könne das gleiche passieren wie auf der Straße. „Dass Dir irgendwer rein- fährt, weil er Dir die Vorfahrt nimmt.“ Dabei bleibt es ruhig auf der Brücke, die Schiffe funken sich nicht gegenseitig an. Sie beobachten sich nur mithilfe des Radars und des Fernglases. „Es würde nur Missver- ständnisse geben, wenn wir mitei- nander sprächen. Das Englisch der Seemänner ist mal gut, mal schlecht. Auf den Meeren sind alle Nationen unterwegs, nicht immer halten sie sich an die Regeln.“ Er schüttelt den Kopf. Doch auch diesmal geht alles gut. Wer sich zwei Tage später über die Reling beugt, schaut auf dunkelrote Backsteinhäuser, Kräne und ein rie- siges Containerschiff, größer noch als das eigene. Möwen kreischen. Die „Atlantic Sea“ ist in Liverpool an- gekommen. An diesen Hafen aller- dings hat einer der Matrosen nicht so gute Erinnerungen. „Es war vor etwa 15 Jahren, da liefen wir hier ein, als uns ein anderes Schiff darauf auf- merksam machte, dass bei uns vorne am Wulst des Bugs ein toter Wal steckt. Das war traurig.“ Das ist die dunkle Seite der Schifffahrt. Immer wieder kommt es zu solchen Unfäl- len. Seit dem Jahr 1950 hat die ge- meinnützige Organisation „Whale and Dolphin Conservation“ rund 1200 Vorfälle dokumentiert, wobei sie die Dunkelziffer weit höher schätzt. Tannenbaum am Haken Derweil ist die Stimmung in der Messe besser, Steward Alvin war am Abend im hiesigen Seemannsclub. „Es hat gut getan, für ein paar Stun- den mal andere Gesichter zu sehen“, sagt er und lacht – auch wenn er leichte Kopfschmerzen hat. Wie im- mer ist der 36-Jährige zum Plaudern aufgelegt, und er weiß viele Ge- schichten zu erzählen vom Leben auf den Meeren, das er auf verschie- denen Schiffen verbracht hat. Be- reits neun Weihnachten und neun Silvester hat er nicht mehr zu Hause in Manila gefeiert, so lange ist er schon dabei. Vor dem letzten Heilig- abend hatte der schiffseigene Kran, der sonst den Proviant für die Besat- zung an Bord hievt, einen Weih- nachtsbaum am Haken. „Den haben wir alle gemeinsam geschmückt“, erzählt Alvin. Zu essen gab es Span- ferkel und Torte, hinterher Karaoke. Nur Bier und Wein stand nicht auf den Tischen – Alkohol ist an Bord strikt verboten, darüber wacht der Master. Eigentlich sollte Alvin selbst als Kapitän zur See fahren, den Ab- schluss dafür hat er in der Tasche. „Allerdings habe ich in meinem Land keine Stelle bekommen, sieben Jahre lang habe ich mich beworben“, sagt der Seemann. So habe er an Land gejobbt, bis er seinen ersten Job als Tellerwäscher auf einem Schiff antrat. Seitdem verdient er drei Mal so viel wie früher in der Hei- mat. Das Geld investiert er in den Tante-Emma-Laden seiner Frau und einen kleinen Teil davon in Ak- tien. Alvin lacht sein herzliches La- chen. „Vom Tellerwäscher zum Mil- lionär, das wäre was!“ Einladen, ausladen, umladen, und das Hafen für Hafen. Erst draußen auf dem Atlantik wartet etwas Ruhe. BILD: NABERT New York Halifax Halifax Liverpool Liverpool Portsmouth Portsmouth Antwerpen Baltimore Hamburg TIPPS UND ADRESSEN Folgende Agenturen vermitteln Fahrten auf Containerschiffen: Hamburg Süd Reiseagentur GmbH (hamburgsued-frachtschiffrei- sen.de), Fachreiseagentur für See- reisen (frachtschiffreisen.net), Internationale Frachtschiffreisen Pfeiffer (frachtschiffreisen-pfeif- fer.de), Kapitän Zylmann (fracht- schiffreise.de), Langsamreisen (langsamreisen.de), NSB Reise- büro (nsb-reisebuero.de), Reede- rei Laeisz (frachtschiffreisen-ros- tock.de).

REPORTAGE ErstSpanferkel,dannKaraoke...das Schiff Halifax, Kanada, errei-chen. Flugzeugteile und Giraffen Die „Atlantic Sea“ ist eines von fünf Schiffen der Reederei Grimaldi

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Page 1: REPORTAGE ErstSpanferkel,dannKaraoke...das Schiff Halifax, Kanada, errei-chen. Flugzeugteile und Giraffen Die „Atlantic Sea“ ist eines von fünf Schiffen der Reederei Grimaldi

REPORTAGE 2SAMSTAG23. MÄRZ 2019

DIE ROUTE

Erst Spanferkel, dann KaraokeIm Fünf-Wochen-Takt verbindet die „Atlantic Sea“ Frachthäfen in Europa und Amerika. Wer mitfährt, kann nicht nur beim Verladen

dabei sein, sondern auch gemeinsam mit der Crew über der Fischsuppe sitzen. Seemannsgarn gibt es dazu.

VON UTA NABERT

Das schwierigste Manöver aufder Brücke der „AtlanticSea“ ist an diesem Vormit-tag, der Kaffeemaschine ei-

nen Cappuccino zu entlocken. „Eswird doch erst richtig spannend,wenn es kompliziert wird“, sagt Ka-pitän Piotr Kaminski, während derzweite Offizier Francisco Penita mitSchläuchen, Wasserbehälter undKaffeebohnen hantiert. Liverpoolliegt seit drei Tagen irgendwo hinterdem Horizont. Seitdem ist nichts zusehen als die weite blaue See, seltenmal Gegenverkehr. Ruhe.

Ein willkommener Ausgleich fürdie vergangenen Tage, die be-herrscht waren von Einfahrten in dieHäfen von Hamburg, Antwerpenund Liverpool, an denen es galt,hunderte von Containern von Bordzu schaffen und neue aufzunehmen,die Häfen wieder sicher zu verlassen.Geschafft. Europa ist abgefertigt. Daist dann auch mal Zeit, eine Viertel-stunde mit der Kaffeemaschine zuverbringen. Das Ergebnis lässt sichsehen. „Wie bei Starbucks!“ Der Of-fizier strahlt. In vier Tagen nun wirddas Schiff Halifax, Kanada, errei-chen.

Flugzeugteile und GiraffenDie „Atlantic Sea“ ist eines von fünfSchiffen der Reederei Grimaldi. Siebringen Fracht vom alten Kontinentnach Nordamerika und wieder zu-rück. Immer im Kreis. Seit mehr als50 Jahren. Dabei nehmen sie nebenContainern auch Fahrzeuge auf, dieüber eine Rampe auf verschiedeneDecks rollen können.

Wie im Parkhaus sieht es imBauch des Schiffes aus, nur dass hierneben normalen Autos wie Minisund Land Rovern unter anderemauch Landmaschinen von John Dee-re, Wohnmobile oder Baumaschi-nen parken. Blättert man in einemBildband der Reederei, staunt man,was ebenfalls schon seinen Wegüber den Atlantik gefunden hat: Ro-torblätter für Windmühlen, Flug-zeugteile, historische Straßenbah-nen. Sogar die Giraffen eines Zirkus-ses waren in den 1970er Jahren da-bei. Wie gut, dass die Zwischendeckshöhenverstellbar sind.

Ein paar Tage zuvor. Es ist17 Uhr 30. Abendbrotzeit. Das Schiffliegt in Hamburg. Der Geruch vongebratenem Speck und Fischsuppezieht durch die Messe, wie die Kanti-ne auf Schiffen genannt wird. VomVegetarismus, der an Land üblich ist,weiß man hier, eine Handbreit vomKai entfernt, nichts. Hier kommenFleisch und Fisch auf die vier Tische– zwei Mal am Tag.

„Leute, macht’s gut“Durch die offene Küchentür dudeltRadiomusik: „Time of my life“. DerKoch singt mit, vermutlich trainierter für den Karaokeabend. Drei Män-ner mit dunklem Teint kommen he-rein, lachen und rufen etwas auf Phi-lippinisch in die Küche. Es heißt soviel wie: „So, Leute macht’s gut. AufWiedersehen!“ Alvin, der Steward,kommt aus der Küche. Er klopft ih-nen auf die Schulter. Sie waren nunfür neun Monate an Bord. Jetzt wer-den sie für zwei Monate nach Hausefliegen, zurück zu ihren Familien.

Der Rest der Mannschaft findetsich ein. In Trainingshose und T-Shirt schlappen die Matrosen, Offi-ziere und der Kapitän oder auchMaster, wie er hier genannt wird, andie Tische. Wer fertig ist, steht aufund geht. Kurz nach 18 Uhr liegt derRaum da wie leer gefischt. Wo sinddenn alle? Vermutlich im Stress?„Oder im Internet“, sagt Steward Al-vin, und er lacht herzhaft. Die Zeit inden Häfen will gut genutzt sein. Nurin der Nähe der Küste haben die See-männer guten Empfang, nur dannkönnen sie mit ihrer Familie telefo-nieren. Einmal auf hoher See, habensie dazu kaum mehr Gelegenheit.

Zwei Tage später liegt das Schiffim Hafen von Antwerpen. Unten amKai stehen wie im Fuhrpark eines

Autoverleihs unzählige Neuwagen,die darauf warten, verladen zu wer-den. Drumherum stapeln sich wieDuplosteine die Container. Stück fürStück haben Lkw sie herangekarrt,nun hieven sie hochhaushohe Kräneim Minutentakt auf die Frachter. Al-leine die „Atlantic Sea“ fasst bis zu3850 von ihnen. Die Brücke ist jetztunbemannt. Jetzt wird nicht navi-giert, jetzt wird organisiert und über-wacht. „Es ist wichtig, dass überalldas Schwerste ganz unten platziertwird“, erklärt der Master. MancheContainer bräuchten zudem Strom-anschlüsse, da ihr Inhalt gekühltoder geheizt werden müsse – medi-zinische Geräte etwa. „Außerdemgibt es Container, die aus Sicher-heitsgründen nicht direkt nebenei-nander stehen dürfen“, erklärt Ka-

minski. Auch Parfum zähle zur ge-fährlichen Fracht, es brenne leicht.Und auf noch etwas müssen die See-männer achten: auf blinde Passagie-re. In Zeiten der Flüchtlingsströmetreiben sie auch die Schifffahrt um.Deswegen steht an jedem Hafen einWachmann an der Rampe derFrachter, und Nahaufnahmen vonSchiffen sind streng untersagt.

Kein Bürojob12 Uhr mittags. Der Frachter hat diebelgische Küste hinter sich gelassen.„Hmm, Eiscreme! Es muss Sonntagsein!“, sagt der Kapitän, als er denNachtisch erblickt, den es eben nursonntags gibt. Er grinst und reibt sichdie Hände. „Man kann an Bordschon mal vergessen, welcher Wo-chentag ist, jeder Tag fühlt sich an

wie Montag“, sagt Alvin. Wochenen-den kennt man hier nicht.

Auch der Kapitän nicht. Dernimmt, nachdem er sein Cordonbleu verzehrt hat, das Eis, verlässtden Raum und folgt den Gängen mitihrem blauen Linoleum, in denen es

nach Essen, Duschgel und gewa-schener Wäsche riecht. Bis er wiederauf der Brücke steht. Seit fast zwölfStunden ist er nun schon auf denBeinen, um ein Uhr nachts, also eineStunde vor Abfahrt aus Antwerpen,ist er aufgestanden. Er sagt: „Es istkein Bürojob. Wie ein Arzt im Kran-kenhaus kannst Du nicht einfach sonach acht Stunden gehen.“ In einerStunde will er sich aufs Ohr legen.Jetzt geht es noch nicht, weil die Stel-le, die der Frachter gerade passiert,seine Aufmerksamkeit erfordert: Esist eng hier im Ärmelkanal, und esherrscht viel Verkehr. Gleich fünfFähren auf einmal sind unterwegs,die Dover und Calais miteinanderverbinden, dabei von links oderrechts die Route der „Atlantic Sea“queren werden.

Die Regeln seien die gleichen wieim Straßenverkehr, erklärt der Mas-ter: rechts vor links. Und es könnedas gleiche passieren wie auf derStraße. „Dass Dir irgendwer rein-fährt, weil er Dir die Vorfahrtnimmt.“ Dabei bleibt es ruhig auf derBrücke, die Schiffe funken sich nichtgegenseitig an. Sie beobachten sichnur mithilfe des Radars und desFernglases. „Es würde nur Missver-ständnisse geben, wenn wir mitei-nander sprächen. Das Englisch derSeemänner ist mal gut, mal schlecht.Auf den Meeren sind alle Nationenunterwegs, nicht immer halten siesich an die Regeln.“ Er schüttelt denKopf.

Doch auch diesmal geht alles gut.Wer sich zwei Tage später über dieReling beugt, schaut auf dunkelroteBacksteinhäuser, Kräne und ein rie-siges Containerschiff, größer nochals das eigene. Möwen kreischen.Die „Atlantic Sea“ ist in Liverpool an-gekommen. An diesen Hafen aller-dings hat einer der Matrosen nichtso gute Erinnerungen. „Es war voretwa 15 Jahren, da liefen wir hier ein,als uns ein anderes Schiff darauf auf-merksam machte, dass bei uns vorneam Wulst des Bugs ein toter Walsteckt. Das war traurig.“ Das ist diedunkle Seite der Schifffahrt. Immerwieder kommt es zu solchen Unfäl-len. Seit dem Jahr 1950 hat die ge-meinnützige Organisation „Whaleand Dolphin Conservation“ rund1200 Vorfälle dokumentiert, wobeisie die Dunkelziffer weit höherschätzt.

Tannenbaum am HakenDerweil ist die Stimmung in derMesse besser, Steward Alvin war amAbend im hiesigen Seemannsclub.„Es hat gut getan, für ein paar Stun-den mal andere Gesichter zu sehen“,sagt er und lacht – auch wenn erleichte Kopfschmerzen hat. Wie im-mer ist der 36-Jährige zum Plaudernaufgelegt, und er weiß viele Ge-schichten zu erzählen vom Lebenauf den Meeren, das er auf verschie-denen Schiffen verbracht hat. Be-reits neun Weihnachten und neunSilvester hat er nicht mehr zu Hausein Manila gefeiert, so lange ist erschon dabei. Vor dem letzten Heilig-abend hatte der schiffseigene Kran,der sonst den Proviant für die Besat-zung an Bord hievt, einen Weih-nachtsbaum am Haken. „Den habenwir alle gemeinsam geschmückt“,erzählt Alvin. Zu essen gab es Span-ferkel und Torte, hinterher Karaoke.Nur Bier und Wein stand nicht aufden Tischen – Alkohol ist an Bordstrikt verboten, darüber wacht derMaster.

Eigentlich sollte Alvin selbst alsKapitän zur See fahren, den Ab-schluss dafür hat er in der Tasche.„Allerdings habe ich in meinemLand keine Stelle bekommen, siebenJahre lang habe ich mich beworben“,sagt der Seemann. So habe er anLand gejobbt, bis er seinen erstenJob als Tellerwäscher auf einemSchiff antrat. Seitdem verdient erdrei Mal so viel wie früher in der Hei-mat. Das Geld investiert er in denTante-Emma-Laden seiner Frauund einen kleinen Teil davon in Ak-tien. Alvin lacht sein herzliches La-chen. „Vom Tellerwäscher zum Mil-lionär, das wäre was!“

Einladen, ausladen, umladen, und das Hafen für Hafen. Erst draußen auf dem Atlantik wartet etwas Ruhe. BILD: NABERT

New York

HalifaxHalifax

LiverpoolLiverpool

PortsmouthPortsmouth

Antwerpen

Baltimore

Hamburg

TIPPS UND ADRESSEN

Folgende Agenturen vermittelnFahrten auf Containerschiffen:

Hamburg Süd Reiseagentur GmbH(hamburgsued-frachtschiffrei-sen.de), Fachreiseagentur für See-reisen (frachtschiffreisen.net),Internationale FrachtschiffreisenPfeiffer (frachtschiffreisen-pfeif-fer.de), Kapitän Zylmann (fracht-schiffreise.de), Langsamreisen(langsamreisen.de), NSB Reise-büro (nsb-reisebuero.de), Reede-rei Laeisz (frachtschiffreisen-ros-tock.de).