6
C. Groß 1 · I. Haußer 2 · A. von der Wense 3 · C. Langner 1 · W. Simoens 4 · O. Bau 5 · R. Rompel 6 W. Meyer 1 · J. Rüschoff 1 1 Institut für Pathologie, 3 Kinderklinik, 4 Frauenklinik 6 Hautklinik des Klinikum Kassel, Akademisches Lehrkrankenhaus der Philipps-Universität Marburg 2 Hautklinik der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 5 Frauenklinik Kreiskrankenhaus Eschwege Restriktive Dermopathie* O-förmig offenen Mund, tiefsitzenden Ohren und schmächtiger Sattelnase. Dazu kommen multiple Gelenkkon- trakturen. Die Schwangerschaft wird häufig durch Polyhydramnion (>85%) und vorzeitigen Blasensprung kompli- ziert. Überdies bestehen in der Regel ei- ne intrauterine Wachstumsretardie- rung und deutlich verminderte Kinds- bewegungen im Sinne einer fetalen Akinesie [4, 17, 21, 23, 28, 32]. Kasuistik Anamnese und Verlauf Stationäre Aufnahme einer 29 Jahre al- ten Zweitgravida und Erstpara – ein ätiologisch unklarer Abort war vorauf- gegangen – mit Polyhydramnion 5 Tage präpartal wegen vorzeitiger Wehen und Fiebers. Keine Konsanguinität der El- tern. Der Mutter waren keine vermin- derten Kindsbewegungen aufgefallen. Nach Induktion der Lungenreifung durch Betamethason, spontanem Bla- sensprung und unaufhaltsamer Wehen Geburt eines 1230 g schweren hypotro- phen weiblichen Frühgeborenen aus Schädellage in der vollendeten 31. SSW. Relativ kurze Nabelschnur.Ausgedehnte glatte Rißwunde der Haut in der vorde- Die Perinatalpathologie hat in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl bislang unbekannter letal verlaufender Syndrome hervorgebracht. Ihre Identi- fikation ist insbesondere für die Neo- natologen und Gynäkologen von Be- deutung, da in ihren Händen die Ver- antwortung zur genetischen Beratung liegt. Unter diesen Erkrankungen sind Dermatosen jedoch selten. Hierzu ge- hört das Krankheitsbild der restrikti- ven Dermopathie (RD), das eine erst in der jüngeren Zeit definierte kongenitale Hauterkrankung mit autosomal rezes- sivem Vererbungsmuster darstellt. Ge- schaffen wurde der Terminus 1986 von Witt et al. [32], nachdem bereits mehre- re Fälle unter verschiedenen Namen, wie z.B. Aplasia cutis congenita [2, 15, 26] oder letale Ichthyosis [22], in der Li- teratur veröffentlicht worden waren [16]. Gleichzeitig erfolgte damit eine eindeutige Abgrenzung dieser Entität von anderen mit fetaler Akinesie/Hy- pokinesie Sequenz einhergehenden Krankheiten [18]. In der deutschen Li- teratur beschrieb 1929 als erster Dr. Tas- silo Antoine von der Universitäts-Frau- enklinik Wien [1] diese Erkrankung mit dem Titel:„Ein Fall von allgemeiner, an- geborener Hautatrophie“ [14], als zwei- ter 1938 Dr. Wilhelm Wepler von der Universität Göttingen unter dem The- ma: „Zur Frage allgemeiner Hypoplasie der Haut“ [31]. Insgesamt finden sich bis 1998 33 Fallvorstellungen [23]. Typi- sche morphologische Befunde sind ei- ne extrem straffe glänzende glatte Haut mit durchscheinenden Blutgefäßen und Einrissen unter der Geburt oder bei Flexionsversuchen [6]. Folge der zu straffen Haut sind eine charakteristisch fixierte Gesichtsmorphe mit zu kleinem Der Pathologe 6·99 | 365 Fallbericht Pathologe 1999 · 20:365–370 © Springer-Verlag 1999 Zusammenfassung Die restriktive Dermopathie ist eine seltene autosomal rezessive letal verlaufende Geno- dermatose. Die Straffheit der dünnen, durch- scheinenden, leicht einreißenden Haut be- wirkt intrauterin Die „Fetale Akinesie bzw. Hypokinesie Deformation Sequenz“ (FADS), eine charakteristische Fazies mit fixierter Ge- sichtsmorphe und O-förmig offenem Mund sowie Gelenkkontrakturen (Arthrogryposis). Dem Polyhydramnion folgt die stets vor- zeitige Geburt etwa in der 31. SSW sowie pulmonale Hypoplasie und respiratorische Insuffizienz.Wir berichten über einen weite- ren Fall eines Frühgeborenen mit den typi- schen klinisch-morphologischen Stigmata, beschreiben die licht- und elektronenmikro- skopischen Befunde und diskutieren das Leiden vor dem Hintergrund der vorliegen- den Literatur. Schlüsselwörter Restriktive Dermopathie · Autosomal rezessive Genodermatose · Fetale Akinesie/Hypokinesie-Deformationssequenz · Arthrogryposis · Polyhydramnion * Herrn Prof.Dr.med.W.Wepler, ehemals Leiter des Instituts für Pathologie Kassel, als Erstbeschreiber des Krankheitsbildes in der pathologisch-anatomischen Fachliteratur zum 90. Geburtstag gewidmet Dr. C. Groß Institut für Pathologie, Klinikum Kassel, Mönchebergstraße 41–43, D-34125 Kassel& / f n - b l o c k : & b d y :

Restriktive Dermopathiey

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C. Groß1 · I. Haußer2 · A. von der Wense3 · C. Langner1 · W. Simoens4 · O. Bau5 · R. Rompel6

W. Meyer1 · J. Rüschoff1

1 Institut für Pathologie,3 Kinderklinik,4 Frauenklinik6 Hautklinik des Klinikum Kassel, Akademisches Lehrkrankenhaus der Philipps-Universität Marburg2 Hautklinik der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg5 Frauenklinik Kreiskrankenhaus Eschwege

Restriktive Dermopathie*

O-förmig offenen Mund, tiefsitzendenOhren und schmächtiger Sattelnase.Dazu kommen multiple Gelenkkon-trakturen. Die Schwangerschaft wirdhäufig durch Polyhydramnion (>85%)und vorzeitigen Blasensprung kompli-ziert. Überdies bestehen in der Regel ei-ne intrauterine Wachstumsretardie-rung und deutlich verminderte Kinds-bewegungen im Sinne einer fetalenAkinesie [4, 17, 21, 23, 28, 32].

Kasuistik

Anamnese und Verlauf

Stationäre Aufnahme einer 29 Jahre al-ten Zweitgravida und Erstpara – einätiologisch unklarer Abort war vorauf-gegangen – mit Polyhydramnion 5 Tagepräpartal wegen vorzeitiger Wehen undFiebers. Keine Konsanguinität der El-tern. Der Mutter waren keine vermin-derten Kindsbewegungen aufgefallen.Nach Induktion der Lungenreifungdurch Betamethason, spontanem Bla-sensprung und unaufhaltsamer WehenGeburt eines 1230 g schweren hypotro-phen weiblichen Frühgeborenen ausSchädellage in der vollendeten 31. SSW.Relativ kurze Nabelschnur.Ausgedehnteglatte Rißwunde der Haut in der vorde-

Die Perinatalpathologie hat in denletzten Jahren eine zunehmende Zahlbislang unbekannter letal verlaufenderSyndrome hervorgebracht. Ihre Identi-fikation ist insbesondere für die Neo-natologen und Gynäkologen von Be-deutung, da in ihren Händen die Ver-antwortung zur genetischen Beratungliegt. Unter diesen Erkrankungen sindDermatosen jedoch selten. Hierzu ge-hört das Krankheitsbild der restrikti-ven Dermopathie (RD), das eine erst inder jüngeren Zeit definierte kongenitaleHauterkrankung mit autosomal rezes-sivem Vererbungsmuster darstellt. Ge-schaffen wurde der Terminus 1986 vonWitt et al. [32], nachdem bereits mehre-re Fälle unter verschiedenen Namen,wie z.B. Aplasia cutis congenita [2, 15,26] oder letale Ichthyosis [22], in der Li-teratur veröffentlicht worden waren[16]. Gleichzeitig erfolgte damit eineeindeutige Abgrenzung dieser Entitätvon anderen mit fetaler Akinesie/Hy-pokinesie Sequenz einhergehendenKrankheiten [18]. In der deutschen Li-teratur beschrieb 1929 als erster Dr. Tas-silo Antoine von der Universitäts-Frau-enklinik Wien [1] diese Erkrankung mitdem Titel:„Ein Fall von allgemeiner, an-geborener Hautatrophie“ [14], als zwei-ter 1938 Dr. Wilhelm Wepler von derUniversität Göttingen unter dem The-ma: „Zur Frage allgemeiner Hypoplasieder Haut“ [31]. Insgesamt finden sichbis 1998 33 Fallvorstellungen [23]. Typi-sche morphologische Befunde sind ei-ne extrem straffe glänzende glatte Hautmit durchscheinenden Blutgefäßen undEinrissen unter der Geburt oder beiFlexionsversuchen [6]. Folge der zustraffen Haut sind eine charakteristischfixierte Gesichtsmorphe mit zu kleinem

Der Pathologe 6·99 | 365

FallberichtPathologe1999 · 20:365–370 © Springer-Verlag 1999

Zusammenfassung

Die restriktive Dermopathie ist eine seltene

autosomal rezessive letal verlaufende Geno-

dermatose. Die Straffheit der dünnen, durch-

scheinenden, leicht einreißenden Haut be-

wirkt intrauterin Die „Fetale Akinesie bzw.

Hypokinesie Deformation Sequenz“ (FADS),

eine charakteristische Fazies mit fixierter Ge-

sichtsmorphe und O-förmig offenem Mund

sowie Gelenkkontrakturen (Arthrogryposis).

Dem Polyhydramnion folgt die stets vor-

zeitige Geburt etwa in der 31. SSW sowie

pulmonale Hypoplasie und respiratorische

Insuffizienz.Wir berichten über einen weite-

ren Fall eines Frühgeborenen mit den typi-

schen klinisch-morphologischen Stigmata,

beschreiben die licht- und elektronenmikro-

skopischen Befunde und diskutieren das

Leiden vor dem Hintergrund der vorliegen-

den Literatur.

Schlüsselwörter

Restriktive Dermopathie · Autosomal

rezessive Genodermatose · Fetale

Akinesie/Hypokinesie-Deformationssequenz ·

Arthrogryposis · Polyhydramnion

* Herrn Prof. Dr. med.W.Wepler, ehemals Leiter

des Instituts für Pathologie Kassel, als

Erstbeschreiber des Krankheitsbildes in der

pathologisch-anatomischen Fachliteratur

zum 90. Geburtstag gewidmet

Dr. C. GroßInstitut für Pathologie, Klinikum Kassel,

Mönchebergstraße 41–43, D-34125 Kassel&/fn-block:&bdy:

C. Groß · I. Haußer · A. von der Wense ·

C. Langner · W. Simoens · O. Bau · R. Rompel ·

W. Meyer · J. Rüschoff

Restrictive dermopathy

Summary

Restrictive dermopathy is a rare, fatal,

autosomal recessive, congenital skin disease.

Rigidity of translucent thin skin, which is

thus highly vulnerable and tears, spontane-

ously causes intra-uterine fetal akinesia or

hypokinesia deformation sequence (FADS),

characteristic dysmorphic facies with fixed

open mouth in O position, and generalized

joint contractures (arthrogryposis). Poly-

hydramnios and pulmonary hypoplasia are

distinctive manifestations, leading to respi-

ratory insufficiency and premature delivery

at about 31 weeks of gestation.We report on

a case of a prematurely born infant who

presented with the typical morphological

features and describe the light- and

electronmicroscopical findings as described

in the literature.

Key words

Restrictive dermopathy · Autosomal

recessive genodermatosis · Fetal

akinesia/hypokinesia deformation sequence ·

Arthrogryposis · Polyhydramnios

deutlich reduzierten Tonofilamenten[32]. Dilatation der interzellulären Räu-me bevorzugt in den basalen und sup-rabasalen Keratinozytenlagen. Gele-gentlicher Mangel an Desmosomen. Inder Dermis sehr wenige, winzige Frag-mente von elastischen Fasern (Abb. 3b),die zum subkutanen Fettgewebe hinimmer kleiner werden. Relativ dünneKaliber der Kollageneinzelfibrillen inirregulärer, auffallend wenig kompak-ter Anordnung. Dazwischen deutlich„degenerierte“ Fibroblasten mit ge-buchteten Kernen und Zytoplasmava-kuolen (Abb. 3c).

Sektionsergebnis

Keine Mißbildungen der inneren Orga-ne. Die Autopsie bestätigte den klini-schen Befund einer respiratorischenInsuffizienz infolge Lungenhypoplasiemit zahlreichen hyalinen Membranen.

Plazenta

770 g schwere für die 31. SSW deutlichübergewichtige Frühgeborenenplazen-ta (Normal: P10 230 g, P50 335 g, P90 450 g)mit diffuser Zottenreifungsarretierung,fokalen morphologischen Zeichen dereingeschränkten Perfusionskapazitätund eben beginnendem Amnioninfek-tionssyndrom [29].

Diskussion

Das Krankheitsbild der RD zeigt socharakteristische klinische Befunde,daß – sofern man mit dem Krankheits-bild vertraut ist – die Verdachtsdiagno-se sofort gestellt werden kann. Die bis1998 nur sehr geringe Zahl von 33 in derWeltliteratur publizierten Fällen könntemöglicherweise in der Unkenntnis be-gründet liegen [23]. Während die Enti-tät erst 1986 von Witt et al. [32] geschaf-fen wurde, hatte bereits 1929 T. Antoine[1] die wesentlichen Kriterien darge-stellt: „Die Hauptveränderung zeigtaber die Haut... . Am Schädel ist sie engund fast unverschieblich auf der Unter-lage, so daß ... das Gesicht einen mas-kenartigen Eindruck macht. Es siehtaus, als ob die Haut zu kurz wäre undjeden Augenblick irgendwo einreißenmüßte... . Der Mund ständig offen... .“

Zusätzlich zu den bereits beschrie-benen Hautveränderungen, dem charak-teristischen fixierten fazialen Ausdruck –

ren Halsfalte (Abb. 1a).Dünne glänzendestraff gespannte Haut mit durchschei-nenden Blutgefäßen sowie initial deut-liche, später rückläufige Hyperkeratoseder Fußsohlen und Handinnenflächen;Hypertelorismus; Hypoplasie der Lider,Fehlen der Wimpern; sehr kleiner O-förmig offener Mund, unbeweglicheLippen; kurze flache Sattelnase; tief an-setzende Ohrmuscheln; Mikrognathie;multiple Beugekontrakturen vornehm-lich der großen, aber auch der Finger-gelenke, ausgeprägt reduzierte Spon-tanmotorik, keine Mimik (Abb. 1a). ImRöntgenbefund Hypoplasie beider Kla-vikel (Abb. 1b). Wegen primärer Atem-insuffizienz Intubation und Beatmungnach 5 Lebensminuten.Wenige Stundenpostnatal Naht der Rißwunde am Halsin Vollnarkose. Entnahme von Haut-biopsien zur histologischen und elek-tronenmikroskopischen Untersuchung.Nach Diagnosestellung keine Auswei-tung der Intensivtherapie aufgrund derinfausten Prognose. Tod am 20. Lebens-tag infolge globaler Ateminsuffizienztrotz IPPV-Beatmung.

Hautbefunde

In der Übersicht fällt eine deutliche Re-duktion der Dermisdicke auf, die höch-stens 4mal so breit ist wie die Epider-mis, während die Dicke im Normalfalldas 5–8fache beträgt [32]. Die stärkereVergrößerung zeigt eine intakte Schich-tung der Epidermis und leichte Hyper-keratose. Auffallend ein vollständigerVerlust der Reteleisten sowie eine deut-liche Verminderung der Hautanhangs-gebilde, wobei die vorhandenen Haar-follikel zudem hypoplastisch, Haar-muskeln nicht erkennbar sind (Abb. 2a).Diagnostisch entscheidend in der Der-mis sind der Mangel an elastischen Fa-sern und dicht gepackte, zur Hautober-fläche parallel ausgerichtete kollageneLamellen, woraus ein sehnenartigesMuster resultiert (Abb. 2b). Weitgehendunauffälliges subkutanes Fettgewebemit regulär gestalteten elastischen Fa-sern.

Elektronenmikroskopie

Meist orthokeratotische leicht abschil-fernde Hornschicht der Epidermis. ImStratum granulosum ausgesprochengrobe fleckig verteilte Keratohyalingra-nula (Abb. 3a) ohne Verbindung zu den

| Der Pathologe 6·99

Fallbericht

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Pathologe1999 · 20:365–370 © Springer-Verlag 1999

Verloes sprach von einer asiatischen Por-zellanpuppe [28] – und der Arthro-gryposis sind in der Literatur [28, 30] fol-gende Auffälligkeiten beschrieben wor-den: Polyhydramnion, fetale Akinesie,Blepharophimosis, Risse der Haut desfrontalen Halses oder der Leiste häufigwährend der Entbindung, Ektropion,Fehlen der Wimpern, kleine schmächtigeNase, tief sitzende Ohren, schaukelstuhl-artige Füße [30, 32], gelegentlich vorzeiti-ger Zahndurchbruch [11, 17, 28] sowie ra-diologische Anomalien vielfältiger Art:schlecht mineralisierte Schädelknochenmit weiten Fontanellen, Mikrognathie,dünne dysplastische Klavikel, irreguläreRippen, sog.„overtubulation“ der Hume-ri [21, 28] und Unterarmknochen.

In allen Fällen handelte es sich umFrügeburten [28], wobei die Plazentenhäufig sehr schwer und die Nabel-schnüre zu kurz waren. Alle Kinderstarben trotz Intensivtherapie sofort

ohne Verbindung zu den zahlenmäßigverminderten Tonofilamenten [10, 19,32]. Biochemisch konnte eine Reduktionhochmolekularer Keratine und zusätzli-che 48- und 56-kDa-Keratine nachge-wiesen werden [3, 13, 32], die eine Hyper-proliferation nahelegen, was gestütztwird durch den Nachweis vonZytokeratin Antikörper AE1 in densuprabasalen Zellen [19]. Eindeutig faß-bare sich stets wiederholende diagnosti-sche Kriterien sind reduzierte Dicke derDermis und tatsächlicher Mangel an ela-stischen Fasern im Korium. Ein ähnli-cher Mangel kommt auch bei der Cutislaxa vor. Der paradoxe Effekt der Rigidi-tät der RD ist noch ungeklärt [10], erwird offensichtlich durch die sehnen-ar-tige Textur der kollagenen Fasern ausge-löst [12]. Veränderungen der elastischenFasern sollen auch in den Eihäuten vor-kommen [12, 22, 32]; hierdurch ließe sichzwanglos der regelmäßig beobachtetevorzeitige Blasensprung erklären [12].

Der klinischen Symptomatik derRD liegen somit Mangel und Struktur-änderung sowohl der Elastika [12] alsauch der kollagenen Filamente zugrun-de. Die kollagenen Filamente weisen ei-nen kleineren Durchmesser als normal

oder wenige Tage nach der Geburt in-folge Steifheit des Thorax und Lungen-hypoplasie an chronischer respiratori-scher Insuffizienz [28]. Die Beatmungwurde mitunter durch temporomandi-buläre Ankylose erschwert [28].

Die RD stellt eine autosomal rezes-sive Genodermatose dar [10, 12, 32] – sodie Schlußfolgerung an zwei betroffenenGeschwistern beiderlei Geschlechtesund unauffälligen, nicht verwandten El-tern [32]. Chromosomale Analysen er-brachten jedoch keine Abweichung vomNormalbefund [3, 6, 12, 25]; Genlokusund Strukturdefekt sind also weiterhinunbekannt. Auch die Pathogenese mußerst geklärt werden [12, 23]. Berichtetwurde über epidermale, morphologi-sche, biochemische und immunhisto-chemische Veränderungen [13]: Elektro-nenmikroskopisch auffällig ist das Stra-tum granulosum, das fleckig verteilteglobuläre Keratohyalingranula besitzt

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Abb. 1a,b m a Frühgeborenes mit charakteristischer fixierter Gesichtsmorphe (O-förmig offenerMund) und glatter Rißwunde der Haut in der vorderen Halsfalte (➡). b Rö-Thoraxaufnahme mitHypoplasie beider Klavikel (c)

Abb. 2a,b m a Reduktion der Dermisdicke, Verlust der Reteleisten und Hypoplasie derHautanhangsgebilde (HE 40×). b Sehnenartige Textur des Koriums (EvG 100×)

F

auf [13]; ihr mittlerer Durchmesser be-trägt 630±120 A, verglichen mit 900 Abei normalen Neugeborenen.Paige et al.[19] vermuten eine primäre Störung derFibroblasten aufgrund deutlicher Dege-nerationserscheinungen in der Elektro-nenmikroskopie; Fibroblastenkulturenweisen ein sehr schlechtes Wachstumauf und keinerlei Kollagenproduktion.Normalerweise erfolgt der kutane Kol-lagenumsatz relativ schnell. Bei ihrenFällen von RD hingegen erbrachte diegleiche Arbeitsgruppe [19] den bioche-

Schweißdrüsen verlaufen zwar normal,indes fehlt der sekretorische Anteil. DieHaarfollikel sind in gehöriger Zahl vor-handen, ihre Orientierung in der Der-mis ist jedoch variabel [13, 20], überdiesbleiben sie auf der Entwicklungsstufedes späten ersten Trimesters stehen [13]und Haare fehlen – im Gegensatz zumKapillitium, das unauffällige Haarfolli-kel aufweist [1, 28, 30]. Da die Rolle derDermis für die Induktion und Entwick-lung von Epidermis und Hautanhangs-gebilden bekannt ist [12, 13, 19], führen

mischen Nachweis eines hohen Anteilsvon Histidinohydroxylysinonorleucin,der auf einen abnorm reifen Kollagen-status hindeutet und eine starke Abnah-me oder komplette Hemmung des kolla-genen Umsatzes impliziert. Dean [4]zeigte an Fibroblastenkulturen eine ab-norme Zunahme an alpha1- und 2-In-tegrin-Untergruppen, die für die Kolla-genbindung und Gewebedifferenzie-rung verantwortlich sein sollen.

Auch die Hautanhangsgebilde sindalteriert: Die Ausführungsgänge der

| Der Pathologe 6·99

Fallbericht

368

Abb. 3a–c b a Globoide Keratohyalingranula (➡) ohne Verbindung zu denreduzierten Tonofilamenten (13500×). b Winzige Fragmente vonelastischen Fasern (➡) zwischen Kollagenfibrillen (20000×).

c „Degenerierter“ Fibroblast mit gebuchteten Kernen und Zytoplasma-vakuolen (11000×)

dermale Strukturanomalien wahr-scheinlich zur gestörten Interaktionzwischen Dermis und Epidermis.

Insgesamt sind die Veränderungender Epidermis, die in den ersten Publi-kationen besonders hervorgehobenwurden [32], offensichtlich von unter-geordneter Bedeutung, sie müssen alssekundäre Folge der dermalen patholo-gischen Veränderungen aufgefaßt wer-den. Bedeutsam ist die Reduktion derDermis und die lichtmikroskopischeparallele Anordnung der kollagenenFasern als konstantes Phänomen! Dadie histologischen Veränderungen beiden betroffenen Kindern nicht immergleich kräftig ausgeprägt sind und esauch in ein und demselben Fall zu ört-lich unterschiedlicher Ausprägung desKrankheitsbildes kommt, sind mituntermultiple Hautbiopsien zur Diagnose-findung erforderlich [30]. Selbst nachder Geburt zeigt die Haut keine Rei-fungstendenzen, sie wird eher zuneh-mend gespannt und rissig [28].

Hinsichtlich des subkutanen Fett-gewebes berichtet ein Teil der Autoren[20, 28] über unreife Adipozyten, wäh-rend andere keine wesentlichen struk-turellen Abweichungen [1, 10] nachwei-sen konnten.

Folge der Rigidität der Haut sindfetale Akinesie und Gelenkkontraktu-ren – Erscheinungen, die auch unterdem Oberbegriff „Fetale Akinesie De-formation Sequenz“ (FADS) bzw.„PenaShokeir Phänotyp“ zusammengefaßtwerden [4, 7, 9, 10, 17, 30, 32]. Damit sollbetont werden, daß die ungehinderteintrauterine Bewegung für die normalefetale Entwicklung erforderlich ist –wie das auch an Tierversuchen nachge-wiesen werden konnte [30]. WeitereFolgen der rigiden Haut sind die intra-uterine Wachstumsretardierung [21],die pulmonale Hypoplasie durch einenweitgehend starren Thorax und dashäufig entstehende Polyhydramnion,das durch unzureichendes Verschluk-ken von Amnionflüssigkeit erklärtwird, sowie die oft zu kurze Nabel-schnur [12, 32].

Darüber hinaus wurde über einemangelhafte oder irreguläre Minerali-sation der medialen Klavikelabschnitte[21, 30], über eine übermäßige Beto-nung des tubulären Aspektes der lan-gen Röhrenknochen (sog. „overtubula-tion“) und über weitere Skelettverände-rungen berichtet [21]. Die Ursache die-

drome“, dem Sclerema neonatorumvorkommt, kann jedoch durch typischeklinische und histologische sowie ultra-strukturelle Besonderheiten abge-grenzt werden [5, 28, 30]. Im Gegensatzzur Sklerodermie ist die Abwesenheitder elastischen Fasern differentialdia-gnostisch von Bedeutung [10, 11]. Kon-trakturen und Immobilität sieht manauch bei der Harlekin-Ichthyosis; histo-logisch imponieren jedoch dicke Kera-tinkrusten mit vorzeitiger Reifung undPapillomatose [5, 10]; Beeinträchtigun-gen der fetalen Bewegung und kurzeNabelschnur kommen auch hier vor.

Andere Formen, die ebenfalls miteiner fetalen Akinesie einhergehen –wie das zerebro-okulo-fazio-skeletaleSyndrom und das Neu-Laxova-Syn-drom – sind Folge eines primären ZNS-Defekts, verbunden mit Mikrozephalieoder Verlust der Vorderhörner desRückenmarks [7, 9, 10, 18]. Ähnliche Be-funde wie bei RD konnten in einem iso-lierten Fall des M. Gaucher Typ II asso-ziiert mit Ichthyosis erhoben werden:Hierbei zeigte sich eine verdickte Hautmit offenem Mund und fixierten Extre-mitäten; jedoch bestimmten typischeGaucher-Zellen das histologische Bild[9, 24].

Fazit für die Praxis

RD ist eine eigenständige, leicht vonanderen kongenitalen Hauterkrankungenabzugrenzende Genodermatose. DieKenntnis dieses Krankheitsbildes ist wich-tig, um bei gesicherter Diagnose ange-sichts der infausten Prognose auf eineweitergehende Intensivtherapie zu ver-zichten sowie die betroffenen Familien zuberaten, da das Risiko ein weiteres Kindmit demselben Krankheitsbild zu zeugen,25% beträgt.

Wir danken Frau I. Segschneider für die her-vorragende technische Assistenz bei derHerstellung der elektronenmikroskopischePräparate.

Addendum

Nach Einreichen des Manuskripts hatdie Mutter ein weiteres weibliches Früh-geborenes mit demselben Krankheits-bild in der 30. SSW nach vorzeitigemBlasensprung zur Welt gebracht, welcheswenige Stunden nach der Geburt ver-starb (Platzentagewicht 900 g!).

ser Störungen läßt sich nicht einfachauf der Basis reduzierter Kindsbewe-gungen oder Knochenkompressiondurch die gestraffte Haut erklären [9],möglicherweise ist sie Folge eines überdas bisher Bekannte hinaus reichendenDefekts des Kollagenmetabolismus [19,20, 21].

Eine pränatale Diagnostik ist bis-lang nicht etabliert. Eindeutige histolo-gische Veränderungen treten erst nachder 20.–22. SSW auf [8, 10, 17, 21], wenndie mesenchymale Entwicklung derDermis und die Keratinisation der Epi-dermis sich dem Ende zuneigt [26, 27].Hamel und Mitarbeiter berichten übereinen Fall, in dem fetale Hautbiopsienin der 20. SSW einen falsch-negativenBefund ergaben [8, 10]. Erst nach der 21.SSW entwickelt sich das Polyhydramni-on, erscheinen die Kindsbewegungenreduziert [26, 27]. Deshalb ist es wenigwahrscheinlich, daß immunhistoche-mische oder biochemische Verände-rungen (AE1 Nachweis in den supraba-salen Zellen der Epidermis, Abnahmeder hochmolekularen Keratine, Auftre-ten von niedermolekularen) als früh-zeitige Marker für die pränatale Dia-gnostik dienen könnten [3, 8, 10]. DerDifferenzierungsarrest muß zwischender 20. und 29. SSW liegen [4]. Ein kon-tinuierlich offener Mund war das auf-fallendste Merkmal in der pränatalenSonographie (31. SSW) und könnte – sovan der Stege et al. [25] – ebenso wie dasPolyhydramnion und die Abnahme derfetalen Bewegung ein Hinweis für dieErkrankung sein. Solange ein spezifi-scher Gendefekt nicht identifiziert ist,sind in betroffenen Familien sorgfältigeUltraschalluntersuchungen indiziert[30]. Dagegen kann in nicht betroffenenFamilien ein fixiert offener Mund ledig-lich als Indiz für eine Hauterkrankunggewertet werden [25]. Obwohl verschie-dene andere Syndrome eine verdickteHaut einschließen, gibt es unter Be-rücksichtigung sowohl des klinischenals auch des histologischen Befundeskeine tatsächliche Differentialdiagnose[28, 32]: Die Aplasia cutis congenita hatzwar ähnliche Aspekte, betrifft indesnur ganz bestimmte Hautareale [5, 28]und weist gewöhnlich ausgedehnte Epi-dermisablösungen unterhalb der Basal-membran auf. Die ungewöhnliche Rigi-dität der Haut bei RD, die auch bei Ich-thyosis congenita, dem „stiff skin syn-drome“, dem „Parana hard skin syn-

Der Pathologe 6·99 | 369

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