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VORBEUGENDER BRANDSCHUTZ MATTHIAS DIETRICH Rettungswegfenster – wie groß ist groß genug? Bemessungsverfahren zur Beurteilung von Rettungswegfenstern als Orientierungshilfe zum Umgang mit Abweichungen B ei der Beurteilung von bestehenden Gebäuden im Rahmen des Vorbeu- genden Brandschutzes sind immer wie- der Objekte anzutreffen, deren Ret- tungswegfenster nicht mit den gesetzlich erforderlichen Mindestanforderungen übereinstimmen. Das im Beitrag be- schriebene Bemessungsverfahren wurde entwickelt, um Abweichungen der Größe von Rettungswegfenstern besser beurteilen zu können. Musterbauordnung Personenrettung Tragbare Leitern Bei der Beurteilung von bestehenden Gebäuden werden häufig Objekte ange- troffen, deren Rettungswegfenster die gesetzlich erforderlichen Mindestgrößen nicht aufweisen. Hierbei steht die zuständige Brand- schutzdienststelle, die Baugenehmigungs- behörde, aber auch der Brandschutzsach- verständige häufig vor der Frage, welche Abweichungen toleriert werden können. Erfahrungsgemäß wird diese Situation in den jeweiligen Städten und Kreisen völ- lig unterschiedlich bewertet. Während in verschiedenen Fällen keiner Unterschrei- tung der gesetzlichen Mindestwerte zuge- stimmt wurde, wird die Genehmigung ent- sprechender Abweichungen in anderen Städten und Kreisen vergleichsweise großzügig gehandhabt. Als Grundlage zur Beurteilung von Ab- weichungen in Bezug auf die Größe von Rettungswegfenstern wurde das nachfol- gende Bemessungsverfahren entwickelt. Dieses Bemessungsverfahren soll eine – auf den Erfordernissen der Praxis basie- rende – Diskussionsgrundlage und eine Orientierungshilfe bei Abweichungen von der gesetzlichen Mindestgröße von Ret- tungswegfenstern bieten. Gesetzliche Grundlagen Gemäß den Vorgaben der Musterbau- ordnung (MBO) [1] müssen für jede Nut- zungseinheit in jedem Geschoss mindes- tens zwei Rettungswege vorhanden sein. Hierbei kann der zweite Rettungsweg – un- ter bestimmten Randbedingungen – über eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit führen. Bei dieser erreichbaren Stelle han- delt es sich in der Regel um Rettungsweg- fenster nach § 37 (5) MBO. Aus § 37 (5) MBO ergeben sich die gesetzlichen Min- destanforderungen an Rettungswegfens- ter. Beispielsweise darf die Brüstung dieser Fenster nicht höher als 1,20 Meter über dem Fußboden angeordnet sein. Weiter müssen diese Fenster eine lichte Größe von mindestens 0,90 1,20 Meter auf- weisen. Die Forderungen der Musterbauord- nung sind von den Bundesländern weitest- gehend einheitlich in die Landesbauord- nungen übernommen worden.Abweichun- gen hinsichtlich der Anforderungen an Rettungswegfenster bestehen lediglich in Baden-Württemberg [2] und Bayern [3]. In Hamburg [4] besteht keine eindeutige ge- setzliche Festlegung. Erfahrungsgemäß werden dort aber ebenfalls die Mindest- werte nach § 37 (5) MBO angewendet. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei der Anordnung eines Rettungsweg- fensters in einem Gebäude geringer Höhe die Rettung über tragbare Leitern erfolgt (in der Regel Steckleiter). Bei Gebäuden mittlerer Höhe erfolgt die Rettung in der Regel über Hubrettungsfahrzeuge. Gemäß MBO ist ferner auch die dreiteilige Schiebleiter als »reguläres« Rettungsmittel vorgesehen, was jedoch (noch) nicht in al- len Bauvorschriften der Länder verankert ist. Grundphilosophie der Musterbauordnung Wie bereits erläutert, müssen Rettungs- wegfenster nach MBO eine Größe von mindestens 0,90 1,20 Meter aufweisen. In den gesetzlichen Bestimmungen er- folgt keine Festlegung, welcher der Werte die Höhe des Fensters und welcher der Werte die Breite des Fensters charakteri- siert. Damit sind Fenster mit einer Breite von 0,90 Meter und einer Höhe von 1,20 Meter definiert. Ebenfalls kann das Fens- ter aber auch 1,20 Meter breit und 0,90 Me- ter hoch ausgebildet werden. Daraus folgt, dass ein Mindestverhältnis aus Höhe und Breite des Rettungswegfensters als we- sentliches Beurteilungskriterium gilt. Die Praxis wird jedoch bei der Festle- gung der erforderlichen Breiten und Höhen von Rettungswegfenstern nur un- zureichend berücksichtigt. Beispielsweise kann ein Rettungswegfenster mit einer Breite von 0,85 Metern theoretisch eine unendliche Höhe aufweisen und entspricht trotzdem nicht den Vorgaben des § 37 (5) MBO. Es ist dabei unbestritten, dass eine Rettung von Personen über ein terras- sentürgroßes Fenster auch bei einer Breite von 0,85 Metern problemlos möglich wäre (Bild 1 auf Seite 108). Das Gleiche gilt für Fenster, die in ihrer lichten Größe den Mindestwert von 1,20 Metern unterschreiten. Ein Rettungsweg- fenster mit den lichten Maßen 1,15 1,15 Meter wäre gemäß Musterbauordnung ebenfalls unzulässig, obwohl die zur Ret- tung erforderliche Fensterfläche hier we- sentlich größer ist als bei einem bauord- 107 brandSchutz · Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2/2004 Dipl.-Ing. matthias dietrich Brandschutzsachverständigenbüro Bernd-Dietrich Rassek Wuppertal (NRW) und Höchberg (BY) Bilder: Verfasser (1 – 2, 4 – 6, 8), A. Vonhof (3, 7)

Rettungswegfenster - wie groß ist groß genug? · VORBEUGENDER BRANDSCHUTZ MATTHIAS DIETRICH Rettungswegfenster – Bemessungsverfahren wie groß ist groß genug? zur Beurteilung

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VORBEUGENDER BRANDSCHUTZ

MATTHIAS DIETRICH

Rettungswegfenster –wie groß ist groß genug?Bemessungsverfahren

zur Beurteilung von Rettungswegfenstern als Orientierungshilfe zum Umgang mit Abweichungen

Bei der Beurteilung von bestehendenGebäuden im Rahmen des Vorbeu-

genden Brandschutzes sind immer wie-der Objekte anzutreffen, deren Ret-tungswegfenster nicht mit den gesetzlicherforderlichen Mindestanforderungenübereinstimmen. Das im Beitrag be-schriebene Bemessungsverfahren wurdeentwickelt, um Abweichungen derGröße von Rettungswegfenstern besserbeurteilen zu können.

MusterbauordnungPersonenrettungTragbare Leitern

Bei der Beurteilung von bestehendenGebäuden werden häufig Objekte ange-troffen, deren Rettungswegfenster diegesetzlich erforderlichen Mindestgrößennicht aufweisen.

Hierbei steht die zuständige Brand-schutzdienststelle, die Baugenehmigungs-behörde, aber auch der Brandschutzsach-verständige häufig vor der Frage, welcheAbweichungen toleriert werden können.

Erfahrungsgemäß wird diese Situationin den jeweiligen Städten und Kreisen völ-lig unterschiedlich bewertet. Während inverschiedenen Fällen keiner Unterschrei-tung der gesetzlichen Mindestwerte zuge-stimmt wurde, wird die Genehmigung ent-sprechender Abweichungen in anderenStädten und Kreisen vergleichsweisegroßzügig gehandhabt.

Als Grundlage zur Beurteilung von Ab-weichungen in Bezug auf die Größe vonRettungswegfenstern wurde das nachfol-

gende Bemessungsverfahren entwickelt.Dieses Bemessungsverfahren soll eine –auf den Erfordernissen der Praxis basie-rende – Diskussionsgrundlage und eineOrientierungshilfe bei Abweichungen vonder gesetzlichen Mindestgröße von Ret-tungswegfenstern bieten.

� Gesetzliche GrundlagenGemäß den Vorgaben der Musterbau-

ordnung (MBO) [1] müssen für jede Nut-zungseinheit in jedem Geschoss mindes-tens zwei Rettungswege vorhanden sein.Hierbei kann der zweite Rettungsweg – un-ter bestimmten Randbedingungen – übereine mit Rettungsgeräten der Feuerwehrerreichbare Stelle der Nutzungseinheitführen. Bei dieser erreichbaren Stelle han-delt es sich in der Regel um Rettungsweg-fenster nach § 37 (5) MBO. Aus § 37 (5)MBO ergeben sich die gesetzlichen Min-destanforderungen an Rettungswegfens-ter. Beispielsweise darf die Brüstung dieserFenster nicht höher als 1,20 Meter überdem Fußboden angeordnet sein. Weitermüssen diese Fenster eine lichte Größevon mindestens 0,90 �1,20 Meter auf-weisen.

Die Forderungen der Musterbauord-nung sind von den Bundesländern weitest-gehend einheitlich in die Landesbauord-nungen übernommen worden.Abweichun-gen hinsichtlich der Anforderungen anRettungswegfenster bestehen lediglich inBaden-Württemberg [2] und Bayern [3]. InHamburg [4] besteht keine eindeutige ge-setzliche Festlegung. Erfahrungsgemäßwerden dort aber ebenfalls die Mindest-werte nach § 37 (5) MBO angewendet.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dassbei der Anordnung eines Rettungsweg-fensters in einem Gebäude geringer Höhedie Rettung über tragbare Leitern erfolgt(in der Regel Steckleiter). Bei Gebäudenmittlerer Höhe erfolgt die Rettung in der

Regel über Hubrettungsfahrzeuge. GemäßMBO ist ferner auch die dreiteiligeSchiebleiter als »reguläres« Rettungsmittelvorgesehen, was jedoch (noch) nicht in al-len Bauvorschriften der Länder verankertist.

� Grundphilosophieder MusterbauordnungWie bereits erläutert, müssen Rettungs-

wegfenster nach MBO eine Größe vonmindestens 0,90 �1,20 Meter aufweisen.

In den gesetzlichen Bestimmungen er-folgt keine Festlegung, welcher der Wertedie Höhe des Fensters und welcher derWerte die Breite des Fensters charakteri-siert. Damit sind Fenster mit einer Breitevon 0,90 Meter und einer Höhe von 1,20Meter definiert. Ebenfalls kann das Fens-ter aber auch 1,20 Meter breit und 0,90 Me-ter hoch ausgebildet werden. Daraus folgt,dass ein Mindestverhältnis aus Höhe undBreite des Rettungswegfensters als we-sentliches Beurteilungskriterium gilt.

Die Praxis wird jedoch bei der Festle-gung der erforderlichen Breiten undHöhen von Rettungswegfenstern nur un-zureichend berücksichtigt. Beispielsweisekann ein Rettungswegfenster mit einerBreite von 0,85 Metern theoretisch eineunendliche Höhe aufweisen und entsprichttrotzdem nicht den Vorgaben des § 37 (5)MBO. Es ist dabei unbestritten, dass eineRettung von Personen über ein terras-sentürgroßes Fenster auch bei einer Breitevon 0,85 Metern problemlos möglich wäre(Bild 1 auf Seite 108).

Das Gleiche gilt für Fenster, die in ihrerlichten Größe den Mindestwert von 1,20Metern unterschreiten. Ein Rettungsweg-fenster mit den lichten Maßen 1,15 � 1,15Meter wäre gemäß Musterbauordnungebenfalls unzulässig, obwohl die zur Ret-tung erforderliche Fensterfläche hier we-sentlich größer ist als bei einem bauord-

107brandSchutz · Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2/2004

Dipl.-Ing. matthias dietrichBrandschutzsachverständigenbüroBernd-Dietrich RassekWuppertal (NRW) und Höchberg (BY)

Bilder: Verfasser (1–2, 4–6, 8), A. Vonhof (3, 7)

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108 brandSchutz · Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2/2004

nungskonformen »Mindest-Rettungsweg-fenster«.

Will man eine detaillierte (über dieFestlegung der MBO hinausgehende) Be-urteilung der erforderlichen Größe vonRettungswegfenstern ermöglichen, somuss folglich eine Verknüpfung zwischender Breite und Höhe eines Rettungsweg-fensters erfolgen.

Aus diesem Grund folgt letztendlich,dass eine weiterführende Interpretationder gesetzlich vorgegebenen Mindestwertezur Beurteilung der Benutzbarkeit einesRettungswegfensters praktikabel und sinn-voll ist.

� Definition einesBemessungswertesZu diesem Zweck wurde ein Bemes-

sungswert für Rettungswegfenster (BWR)definiert, welcher sich aus der Addition derBreite und der Höhe des jeweiligen Ret-tungswegfensters (Dimension in Zentime-tern) ergibt.BWR [cm] = lichte Fensterbreite [cm] +lichte Fensterhöhe [cm]

Dieser Bemessungswert weist beispiels-weise bei einem Rettungswegfenster mitden Mindestgrößen nach § 37 (5) MBO ei-nen Wert von 210 (90 plus 120) auf.

Die hier entwickelte Berechnungsfor-mel berücksichtigt sowohl das Breiten-/Höhenverhältnis der Fenster wie auch –daraus resultierend – die freien Öffnungs-flächen.

Eine ausschließliche Betrachtung derlichten Öffnungsfläche ist nicht sinnvoll, daeine reine Flächenbetrachtung die zur Nut-zung eines Rettungswegfensters erforderli-chen Faktoren nicht ausreichend berück-sichtigt.

� Festlegung von Mindestbreitenund -höhenAuf Grundlage des Bemessungswertes

für Rettungswegfenster kann eine ersteEinschätzung der Fenstergröße erfolgen.Die erforderliche Mindestbreite und -höhestellt dabei ein weiteres wesentliches Beur-teilungskriterium dar.

Ein Anleitern über tragbare Leitern (imVergleich zur Anleiterung über Hubret-tungsfahrzeuge) ist bezogen auf die erfor-derliche Fensterbreite der kritischere Fall.Dies ist darin begründet, dass hier ein be-stimmter Teil der vorhandenen Fenster-breite für das Aufsetzen der Leiter benötigtwird und somit als freier Querschnitt füreine Personenrettung nicht mehr zur Ver-fügung steht. Gemäß DIN EN 1147 beträgt

die Breite am Kopf der Steck- bzw.Schiebleiter je nach Überstand bis zu 0,40Meter [5].

Bei der Rettung einer Person muss dieverbleibende Breite des Fensters nach Re-duzierung der Fensterbreite durch die Lei-ter noch ausreichend bemessen sein. BeiVersuchen wurde ermittelt, dass eine Per-son hierfür im Normalfall etwa 0,40 Meterbenötigt (Bild 2).

Addiert man die oben angeführtenWerte, so ergibt sich eine erforderlicheMindestbreite von 0,80 Meter. Dieser Min-destwert sollte bei der Beurteilung von Ab-weichungen nicht unterschritten werden.

Gemäß Artikel 38 (3) der BayerischenBauordnung müssen Rettungswegfensterlediglich eine Mindestbreite von 0,60 Me-ter aufweisen. Entsprechend oben ange-führter Erläuterung kann diese Mindest-

breite bei der Anleiterung durch tragbareRettungsgeräte unter bestimmten Rand-bedingungen unzureichend sein. Beispiels-weise ist bei einem gemäß den Bestimmun-gen der Unfallverhütung erforderlichenÜberstand der tragbaren Leiter von mehrals drei Sprossen (vgl. hierzu [6]) der ver-bleibende Fensterquerschnitt so gering,dass die Nutzung des Rettungswegfensterskaum mehr möglich ist. Eine Anwendungder bayerischen Vorgaben an Rettungs-wegfenster scheint aus diesem Grund nichtsinnvoll.

Auch bei der Beurteilung der minimalerforderlichen Höhe von Rettungsweg-fenstern muss die gegebene Breite berück-sichtigt werden. Realversuche ergaben,dass bei entsprechend ausreichenderBreite eine Mindesthöhe des Rettungs-wegfensters von 0,80 Meter zur Personen-rettung zur Verfügung stehen sollte.

Bild 2Nicht praxisgerechter

Extremfall: Auchdurch dieses lediglich

0,35 Meter breite Fens-ter war im Zuge derVersuchsreihe eine

Selbstrettung möglich.

Bild 1Nicht baurechtskon-form, aber praxisge-

recht: Dieses lediglich0,80 Meter breite, je-

doch 1,35 Meter hoheRettungswegfensterkann im Bedarfsfallproblemlos genutzt

werden.

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109brandSchutz · Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2/2004

Somit ergibt sich, dass Mindestbreiteund Mindesthöhe eines Rettungswegfens-ters jeweils ein Maß von 0,80 Meter nichtunterschreiten sollte.

� Anwendung desBemessungswertesEine Abweichung in Bezug auf die

Größe eines Rettungswegfensters ist nachdem hier beschriebenen Verfahren dannmöglich, wenn ein Bemessungswert(BWR) von 210 nicht unterschritten wird.Bedenken bestehen nicht, da die fehlendeHöhe des Rettungswegfensters durch einezusätzliche Breite (oder umgekehrt) mitmindestens dem gleichen Wert kompen-siert wird.

Liegt der Bemessungswert zwischen200 und 209, so ist auch hier die Zulassung

einer Abweichung in der Regel möglich.Hierbei sollte jedoch eine genaue Einzel-fallbetrachtung erfolgen, ob weitere Fakto-ren die Anleiterung des Fensters ein-schränken. Die Durchführung einer Stell-probe kann hier eine Entscheidungshilfebringen. Ein weiteres Beurteilungskrite-rium ist beispielsweise, ob die Anleiterungim Einsatzfall über tragbare Leitern erfolgtoder ob Hubrettungsfahrzeuge genutztwerden können. Weist der Bemessungs-wert eine Größe von weniger als 200 auf,sollte einer Abweichung in der Regel nichtzugestimmt werden (Bild 3).

Die vorangestellten Ausführungen sindin Tabelle 1 zusammengefasst.

Die Ergebnisse der Bemessungswertefür Rettungswegfenster lassen sich auch ineiner Grafik darstellen (Bild 4).

Bild 3Zu knapp: DiesesFenster kann nicht alsRettungsweg dienen.

Bild 4 Bemessungswerte fürRettungswegfenster

größer 209 a Abweichung in der Regel möglich200 bis 209 a Abweichung eventuell möglich

(detaillierte Einzelfallbetrachtung)kleiner 200 a Abweichung in der Regel nicht möglich

BWR Bewertung

a Mindestbreite und Mindesthöhe von 0,80 Meter sollte nicht unterschritten werden!

Tabelle 1Bemessungswerte für

Rettungswegfenster

Sonderfall: EbenerdigeRettungswegfensterBei der Anordnung von ebenerdigen Ret-tungswegfenstern handelt es sich gemäßMBO um einen Sonderfall. Bei ebenerdi-gen Rettungswegfenstern wird formalnicht zwischen dem ersten und zweitenRettungsweg unterschieden. Dieses istdarin begründet, dass bei ebenerdigenFenstern normalerweise eine Selbstrettungvon Personen, ohne Zuhilfenahme vonLeitern der Feuerwehr, möglich ist (Bild 5auf Seite 110).

Voraussetzung ist allerdings, dass dieBrüstungshöhe dieser Fenster sowohl aufder Raumseite als auch auf der Gebäude-außenseite nicht mehr als 1,20 Meter be-trägt. Dieses Kriterium muss erfüllt sein,wenn eine Sonderbehandlung als ebener-diges Rettungswegfenster erfolgen soll.

Wird ein Rettungswegfenster als eben-erdiges Rettungswegfenster eingestuft, soerfolgt keine Einschränkung der vorhan-denen Fensterfläche durch die Anordnungeiner Leiter. Somit kann einer Verringe-rung der erforderlichen Mindestbreite zu-gestimmt werden. Die bereits erläutertenRealversuche belegen, dass bis zu einerBreite von 0,40 Metern eine Nutzung einesRettungswegfensters möglich ist. Jedochwird eine erforderliche Mindestbreite von0,60 Metern für sinnvoll gehalten.

Bei gleichzeitiger Berücksichtigung derbereits erläuterten Kriterien kann der de-finierte Bemessungswert für ebenerdigeRettungswegfenster wie in Tabelle 2 aufSeite 110 festgelegt werden.

Die Ergebnisse der Bemessungswertefür ebenerdige Rettungswegfenster lassensich ebenfalls in einer Grafik darstellen(Bild 6 auf Seite 110).

Sonderfall: Rettungswegfenster mitnicht öffenbarem MittelpfostenEin weiterer Sonderfall besteht bei der Be-urteilung von Rettungswegfenstern, dieüber einen feststehenden Mittelpfostenverfügen. Hier kann die Leiter in einer der

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110 brandSchutz · Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2/2004

beiden Fensterhälften angelegt werden,während die andere Fensterhälfte zur Per-sonenrettung genutzt wird (Bild 7). Daherkönnen auch in diesem Fall Erleichterun-gen gestattet werden.

Wie bereits aus den vorhergehendenAusführungen hervorgeht, wird für dasAnlehnen einer tragbaren Leiter eineBreite von bis zu 0,40 Metern benötigt.Ebenso sollte für die Personenrettung eineFensterbreite von 0,40 Metern zur Verfü-gung stehen. Somit bestehen bei Rettungs-wegfenstern mit nicht öffenbarem Mittel-pfosten keine Bedenken, soweit beideFensteröffnungen jeweils eine lichte Breitevon mindestens 0,40 Metern aufweisen.Addiert man die beiden lichten Fenster-breiten, so lässt sich unter Anwendung derGrafik in Bild 4 die erforderliche Fenster-höhe ermitteln.

Beispielsweise wäre bei einem »Min-dest-Rettungswegfenster« mit Mittelpfos-ten (Fensterbreite von 0,80 Meter) in derRegel eine Fensterhöhe von 1,30 Meter(ergibt einen BWR von 210) erforderlich.Bis zu einer Fensterhöhe von 1,20 Meter(BWR 200) ist eine Einzelfallbetrachtungsinnvoll.

� Sondernutzung vonRettungswegfenstern Rettungswegfenster werden in der Pra-

xis durch die Feuerwehr auch zum Einstiegin Gebäude genutzt (Bild 8). Erfolgt diesunter dem Einsatz von umluftunabhängi-gen Atemschutzgeräten, so muss hierfüreine zusätzliche Fensterbreite zur Verfü-gung stehen.

Auch bei einer Tragenrettung über Hub-rettungsfahrzeuge sind entsprechendeFenstergrößen notwendig.

Sowohl der Einstieg der Feuerwehr mitumluftunabhängigem Atemschutzgerät alsauch eine Tragenrettung durch ein Ret-tungswegfenster ist jedoch im Sinne desBaurechtes nicht vorgesehen. Daher wer-den hierfür von Seiten des Gesetzgeberskeine Anforderungen gestellt.

Trotzdem wurde bei den vorhergehen-den Untersuchungen berücksichtigt, dassauch bei Anwendung des beschriebenenBemessungsverfahrens diese üblichenSondernutzungen von Rettungswegfens-tern weiterhin möglich sind.

Lediglich bei Fenstern mit nicht öffen-barem Mittelpfosten kann eine Tragenret-tung behindert werden. Hierzu ist jedochanzumerken, dass ein entsprechender Mit-telpfosten bei Bedarf ohne wesentlichenAufwand entfernt werden kann. Da es sichbei einer Tragenrettung über Hubrettungs-fahrzeuge in der Regel nicht um eine »Ad-hoc-Rettung« handelt und hier zeitinten-sive Vorbereitungen erforderlich sind,kann diese Situation toleriert werden.

� FormulierungsvorschlagDie vorhergehenden Erläuterungen

zeigen auf, dass die starre Vorgabe des § 37(5) MBO häufig keine differenzierte, auf

Bild 5Ebenerdiges Rettungs-

wegfenster mit nichtöffenbarem Mittelpfos-

ten und einer lichtenFensterbreite von 0,50Meter: Eine Leiterret-

tung ist hier nicht er-forderlich.

Bild 6 Bemessungswerte fürebenerdige Rettungs-

wegfenster

Tabelle 2Bemessungswerte fürebenerdige Rettungs-wegfenster180 und größer a Abweichung in der Regel möglich

kleiner 180 a Abweichung in der Regel nicht möglich

BWR Einschätzung

a Mindestbreite von 0,60 Meter und Mindesthöhe von 0,80 Meter sollte nicht unter-schritten werden!

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111brandSchutz · Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2/2004

die Praxis anzuwendende Beurteilung vonRettungswegfenstern erlaubt. Es wird da-her eine entsprechende Modifizierung des§ 37 (5) MBO vorgeschlagen:

»Fenster, die als Rettungsweg dienenund von denen eine Rettung über Ret-tungsgeräte der Feuerwehr erfolgt, müssenim Lichten mindestens 0,90 � 1,20 Metergroß sein.

Zwischenwerte sind zulässig, soweit dieSumme aus Fensterbreite und Fensterhöheim Lichten nicht den Wert der vorange-stellten Fenstergröße unterschreitet undsowohl Fensterhöhe als auch Fensterbreiteim Lichten mindestens 0,80 Meter großsind.

Innerhalb dieser Fenster sind nicht öf-fenbare Mittelpfosten zulässig, soweit dieverbleibenden Fensterbreiten jeweils min-destens 0,40 Meter groß sind.

Ebenerdige Fenster, die als Rettungs-weg dienen, müssen im Lichten mindestens0,60 Meter breit und mindestens 1,20 Me-ter hoch sein. Zwischenwerte sind zulässig,soweit die Summe aus Fensterbreite undFensterhöhe im Lichten nicht den Wert dervorangestellten Fenstergröße unterschrei-tet, die Fensterhöhe im Lichten mindestens

0,80 Meter und die Fensterbreite im Lich-ten mindestens 0,60 Meter beträgt.

Innerhalb ebenerdiger Fenster sindnicht öffenbare Mittelpfosten zulässig, so-weit die verbleibenden Fensterbreiten je-weils mindestens 0,40 Meter groß sind.

Fenster, die als Rettungsweg dienen,dürfen nicht höher als 1,20 m über derFußbodenoberkante angeordnet sein. Lie-gen diese Fenster in Dachschrägen oderDachaufbauten, so darf ihre Unterkanteoder ein davor liegender Austritt von derTraufkante horizontal gemessen nichtmehr als 1 Meter entfernt sein.

Fenster gelten als ebenerdig, wenn dieFensterbrüstung an der Gebäudeaußen-seite nicht höher als 1,20 Meter über derGeländeoberfläche vor diesem Fensterliegt.«

� ZusammenfassungDie Formulierung des § 37 (5) MBO

lässt gerade bei bestehenden Gebäudenkeine auf die Praxis bezogene Beurteilungder Größe eines Rettungswegfensters zu.Mit dem hier vorgestellten Bemessungs-verfahren kann eine einzelfallbezogeneBeurteilung eines Rettungswegfensters er-folgen.

Bei ebenerdigen Rettungswegfensternund bei Fenstern mit nicht öffenbaremMittelpfosten ist eine Sonderbehandlungangemessen. Hier können hinsichtlich derMindestgrößen Erleichterungen gestattetwerden.

Literatur[1] Musterbauordnung (MBO) vom November

2002.[2] Landesbauordnung für Baden-Württemberg

(LBO) vom 8. August 1995.[3] Bayerische Bauordnung (BayBO) vom 4. Au-

gust 1994.[4] Hamburgische Bauordnung (HBauO) vom

1. Juli 1986.[5] DIN EN 1147, Tragbare Leitern für die Feuer-

wehr vom Oktober 2001.[6] GUV-V C 53 – Feuerwehren (UVV Feuerwehr)

vom Mai 1989 mit Durchführungsanweisungenvom Oktober 1991 und GUV-V D 36 (Leiternund Tritte) vom Oktober 1992. �

Bild 7Rettungswegfenstermit nicht zu öffnen-dem Mittelpfosten:

Auch mit umluftunab-hängigem Atemschutz-

gerät kann hier in dasGebäude eingestiegen

werden.

Bild 8 Heiße Phase: Brand-bekämpfung über einRettungswegfenster