Richard Strauss - Meister der Inszenierung

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    Daniel Ender

    Richard Strauss

    Meister der Inszenierung

    BHLAU VERLAG WIEN KLN WEIMAR

  • 7/24/2019 Richard Strauss - Meister der Inszenierung

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    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Umschlagabbildung:Richard Strauss, ( ullstein bild Laszlo Willinger)

    by Bhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Kln WeimarWiesingerstrae , A- Wien, www.boehlau-verlag.com

    Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschtzt.Jede Verwertung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist

    unzulssig.

    Umschlaggestaltung: Michael Haderer, WienLayout: Bettina Waringer, WienKorrektorat: Katharina Krones, WienDruck und Bindung: CPI MoraviaGedruckt auf chlor- und surefreiem Papier

    ISBN ----

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    Inhalt

    Ein ffentliches Leben. Zur Einleitung

    Ein Kind seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Die inszenierte Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Selbst- und Fremdbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    1. Vom Epigonen zum Genie

    Ein sogenannter Charakter. Umwelt und Familie. . . . . . . . .

    Nicht von hervorstechender Originalitt.

    Der Weg in die ffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Zum Zukunftsmusiker gestempelt.

    Musik als Ausdruck und Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    2. Opposition und Zustimmung

    Einen ganz neuen Weg betreten. DerStrauische Styl. . . . . .

    Die Berhmtheit schreitet wacker vorwrts.

    Selbstsicherheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Erweiterung meiner Machtstellung.Kampfansagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    3. Vorkmpfer der Moderne

    Ein glnzender Orchester-Virtuose . . . . . . . . . . . . . . . .

    Braucht man den momentanen Erfolg. Strategien. . . . . . . .

    Musikalische Schnheit vllig berden Haufen geworfen. Provokationen . . . . . . . . . . . . . . .

    Die erste Falte im Gesicht. Verherrlicht und verteufelt . . . . .

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    6 Inhalt

    4. Revolutionr und Brger

    Hysterie und Fortschritt. Kollektive Erregungen . . . . . . . . .

    Die groe Medienmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    5. Vom Klassiker zu Lebzeiten zum Reaktionr

    Strauss kommt ins Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Das Ende des Revolutionrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Gute Kasse. Geld und Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Bewhrtes Kulturgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    6. Der Traum der Restauration

    Ein Reaktionr und eingebildete Narren . . . . . . . . . . . .

    Ein zweiter Rosenkavalier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Eine neue Bltezeit der deutschen Kunst. Der Unpolitische .

    Keinerlei musikhistorische Bedeutung. Das Ende. . . . . . . .

    Ausklang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Anhang

    Zeittafel Richard Strauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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    6. Der Traum der Restauration

    Ein Reaktionr und eingebildete Narren

    Sein unangefochtener Status als Klassiker, der als ehemaliger Revolutio-nr eine attraktive Vorgeschichte aufweisen konnte, brachte fr Straussnicht nur die breiteste denkbare Anerkennung er hing inzwischenbuchstblich im Museum: Schon die erste von drei Bsten, die Fritz Behn modelliert hatte, wurde von der Mnchner Pinakothek erworben,und seit befand sich das reprsentative Gemlde von Max Lieber-mann in der Berliner Nationalgalerie. Eines der weiteren berhmtenlbilder, das Max Rimbck um schuf, wurde gleich fr das HausStrauss in Auftrag gegeben.Mehr und mehr wandte sich jedoch diejunge Generation vom Meister ab eine Entwicklung, die in den erund frhen er Jahren ihren Hhepunkt fand und die Strauss durchseine unmissverstndliche Haltung gegenber der nachrckendenModerne noch verstrkte. Zwar stellte er sich dem Ehrenausschuss des

    weltweit ersten Festivals nur fr neue Musik zur Verfgung: denDonau-eschinger Kammermusikauffhrungen zur Frderung zeitgenssischer Ton-kunst, die im Sommer erstmals stattfanden. Und auerdem ber-nahm er ein Jahr spter auch das Prsidium des Grndungskomitees derInternationalen Gesellschaft fr Neue Musik (IGNM). Beides hatte je-doch nur Symbolcharakter, und Strauss hielt mit seiner Meinung ber dieHerrschaften von der Zwlftonleiter (an Willi Schuh, . November

    )

    in seinem letzten Lebensdrittel nie hinter dem Berg. Dafr gibtes seit den frhen er Jahren ausreichend Zeugnisse und eine Anek-dote aus Donaueschingen, wo Strauss am . Juli die Urauffhrungdes . Streichquartetts von Paul Hindemith erlebte und es danach zueinem viel zitierten Wortwechsel kam, den auch Strauss selbst ber Jahre

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    hufig wiedergab. So berichtete etwa die Rheinisch-westflische Zeitungvom . Jnner , auf die Frage nach seiner Beziehung zu den moder-nen Tonsetzern habe er der Triester Zeitung Il Piccolo geantwortet:

    Ausgerechnet mich fragen Sie danach? Schon lngst werde ich zu denAlten, den Vergangenen gezhlt; ich kann also die Kompositionen dieserHerren nicht verstehen und verstehe sie wenn ich ganz offen sein darf auch nicht. Mit Ironie habe er dann nach einer Pause hinzuge-fgt: Ich knnte auch nicht den Eid darauf leisten, ob sie ihre Werkeselbst verstehen. Da ist beispielsweise Hindemith: Er hat ein groesTalent, sogar ein so groes, da er auch mit der alten Kompositionsweise

    Erfolg haben wrde. Ich habe es ihm selbst gesagt: Unterliegt es einerNtigung, um jeden Preis nur nach Extravagantem zu suchen?* Natr-lich wurden solche Bekenntnisse in der Presse eifrig weiterverbreitet. DasChemnitzer Tageblattvom . Dezember berichtete etwa: Was ihmwiderstrebt, ist dieatonale Moderne. Als er bei dem letzten Musikfest inVenedig war er nennt es mit Vorliebe ein atonales Fest , weigerte ersich entschieden, den atonalen Festsaal zu betreten. Und als er bei eineranderen Gelegenheit der atonalen Musik nicht entgehen konnte, versam-melte er spter eine Anzahl Hrer um sich und berauschte sich mit ihnenan einem Mozartschen Quartett. Es war kurioserweise ein Quartett, wieer lachend betont, das just eine atonale Einleitung aufwies [KV , Dis-sonanzenquartett]. Strauss schlo das Gesprch, das sich schlielichRichard Wagner zuwandte, mit dem Ausruf: Und die Atonalen wollenuns weismachen, da Wagner tot ist!Anlsslich der Weltmusiktageder hier erwhntenInternationalen Gesellschaft fr Neue Musik in

    Venedig uerte sich Strauss grundstzlich und vielleicht am ausfhr-lichsten ber sein Verhltnis zur damaligen Moderne: Ich glaube wederan Schulen noch an Tendenzen, weder an die modernsten noch an dieallerltesten. Ich glaube nur an Musik. Anstatt von Schulen sollte manvon wahren und falschen Talenten sprechen. Die Suche nach dem Neuenist eine schne Sache und der Mhe wert. Der Knstler, der sich selberachtet, mu versuchen, sich, wenn mglich, in neuen und nie gehrten

    Worten auszusprechen Auch ich habe gesucht; aber ist meine Straedie richtige? Die Zeit wird darber entscheiden. Auf die Frage des Mu-siklebens meines Vaterlandes und der Nachbarlnder kann ich nur ant-worten, wie ich seinerzeit Mussolini geantwortet habe, als er mich fragte,was unsere jungen Musiker machen: Sie machen ungefhr dasselbe wie

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    die Ihren, Exzellenz. Beim Anschirren des Pferdes beginnen sie mit demSchwanz. Manch einer erfreut sich einer gewissen Berhmtheit. Aber beiwem? Bei einem Snobpublikum, sonst nirgends. Dabei will ich keines-

    wegs bestreiten, da sich unter den Verrckten auch Leute mit Talentbefinden. Aber leider verlieren sie sich. Einer unserer jungen Komponis-ten der sogenannten atonalen Schule bat mich nach einem Konzert, demich beiwohnte, um mein Urteil ber seine neuen Kompositionen. Ichantwortete ihm: Mein Lieber, ich glaube, Sie haben das Talent, auch ineiner anderen Manier komponieren zu knnen.Dass Strauss immerwieder auf dasselbe Hindemith-Erlebnis zurckkommt, lsst freilich er-

    kennen, wie selten er seit dieser Zeit berhaupt noch neue Werke deraktuellen Moderne rezipierte. Seine Einschtzung ber die eigene Posi-tion, die Otto Erhardt ohne Quellenangabe auf das Jahr datiert,deckte sich wohl dennoch mit jener der jungen Generation: Frher be-fand ich mich auf Vorpostenstellung. Heute bin ich fast in der Nachhut.Dies lt mich jedoch gleichgltig. Ich bin in jedem Augenblick meinesLebens aufrichtig gewesen, und ich habe niemals ein Werk geschriebenmit der Absicht, als Futurist zu gelten oder als Revolutionr. Ich bin aller-dings nicht sicher, ob die sogenannten musikalischen Futuristen bei derNiederschrift ihrer atonalen und antimelodischen Arbeiten ebenso auf-richtig sind und ob sie das Publikum nicht einfach zu betuben suchen,um Ruhm von der Art eines Herostratos zu erlangen. Es gibt viele einge-bildete Narren in der Musik, und ich achte lediglich die wirklichenNarren

    Dieser Haltung bleibt Strauss von nun an verhaftet: Die berzeugung

    von der eigenen Meisterschaft ist ihm zur zweiten Natur geworden, an-sonsten haben in seinem musikalischen Weltbild gerade noch die groenMeister der Vergangenheit Platz und einige wenige Namen, denen er sichpersnlich verpflichtet fhlt. Sein Urteil ber die komponierenden Zeit-genossen bleibt bis an sein Lebensende ebenso pauschal wie abfllig.Hans Heinz Stuckenschmidt gab seine diesbezglichen Eindrcke voneinem Gesprch in der schon zitierten Ausgabe der Vossischen Zeitung

    vom . Mai wieder: Richard Strau hat zuviel natrliche Liebens-wrdigkeit und Kultur, um den Gesprchspartner sein Olympiertumfhlen zu lassen. Aber er setzt die Anerkennung seiner Gre als selbst-verstndlich voraus, spricht sozusagen als dritte Person von sich, mit ei-ner gewissen unnachahmlichen Art von Humor. So ist es halb Scherz,

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    halb Ernst, wenn er schmunzelnd erzhlt, bei einer Umfrage im Publi-kum einer rheinischen Stadt, das zwischen alter und neuer Oper whlensollte, habe man sich einstimmig fr alte Oper entschieden: fr Figaro,

    Meistersinger und Rosenkavalier. Strau legt, ohne sie abzulehnen [sic!],Wert darauf, von der musikalischen Moderne distanziert zu sein; er fhltsich durchaus als abgeschlossene Erscheinung, als Klassiker. Und dochwird er keinen Augenblick berheblich; seine Souvernitt wandelt sichin Bescheidenheit, wenn von den groen deutschen Meistern die Redeist: von Mozart und Wagner, die ihm besonders nahestehen.*

    Im letzten Jahrgang der musiksthetisch fortschrittlich gesinnten

    ZeitschriftMelos, die im Dritten Reich noch erscheinen konnte,stellte der auf zeitgenssische Musik spezialisierte Edwin von der Nll inBezug auf den beispiellosen Erfolg von Strauss und seine einmalige Posi-tion im Musikleben fest: Den einstimmigen Beifall aller Zeitgenossenjedenfalls hat Strau nicht zum wenigsten den noch fortschrittlicherenArbeiten eines Schnberg, Bartok, Strawinsky, Hindemith zu danken.Strau galt so lange als radikaler Umstrzler, wie es niemand gab, derber ihn hinausging.Hatte sich die Diskussion zwei Jahrzehnte vordem Rosenkavaliervor allem um Strauss als Umstrzler gedreht, sohatte sich das Blatt danach gewendet: Sptestens seit derFrau ohne Schat-tenund punktuell schon frher ging es nun um ein gegenteiliges Bild desvon den fortschrittlicheren Arbeiten hinter sich gelassenen Meisters.Bis die Nationalsozialisten den offen gefhrten Auseinandersetzungenein harsches Ende bereiteten, erlebte der Streit der Meinungen dazunochmals eine Blte, wobei die politischen und wirtschaftlichen Verhlt-

    nisse nach dem Ersten Weltkrieg vielfach mitschwangen. Dass dabei vordem Hintergrund der Entwicklung des Komponisten vielfach auf frhereJahre zurckgeblickt werden musste, versteht sich von selbst ebenso,dass sich die Schlussfolgerungen oft diametral gegenberstanden.

    So resmierte der Berliner Musikhistoriker und GesangspdagogeBernhard Ulrich in derRheinisch-westflischen Zeitungin einem Straussgewidmeten Essay einer Reihe berDeutsche Musik nach Wagnervom

    . September : Lange Zeit hat Richard Strau als der Fhrer dermusikalischen Moderne gegolten. Er besa den sicheren Instinkt, musi-kalische Fragen, die in der Luft lagen, rechtzeitig anzuschneiden und sieals erster mit hervorragendem Formsinn und technischer Meisterschaftneuartig zu beantworten. Ein groer Teil der Komponisten folgte seinen

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    Bahnen. So hat R. Strau seiner Zeit die musikalische Physiognomie ge-geben. [] Aber bei Salome und Elektra bereitete ihm das Behaupten dergewonnenen Stellung allerhand Schwierigkeit. Strau besann sich. Dann

    folgten der Rosenkavalier und Ariadne Seit Salome und Elektra ltStrau die Zgel der Fhrung schleifen. Er hatte uerste Vorste in dasGebiet des Unmusikalischen versucht, hatte Wnde beklopft. Das Hin-eindringen schenkte er sich. Seit der Zeit gengt sich R. Strau mit derRolle, in der er angefangen hat, mit der Rolle des allerdings glnzendenEklektikers []. Mit Salome gab Strau sein Letztes und uerstes. Dienachfolgenden Opern sind nur noch artistisch zu werten.* Der Dresdner

    Komponist und Musikwissenschaftler Max Broesike-Schoen betonte imHamburger Fremdenblattvom . Juni anlsslich des . Geburts-tags von Strauss, dieser she sich mit zwei Generationen konfrontiert:eine, die das Werken und Sichvollenden des Phnomens Strau als Ge-genwartsmacht miterlebt hat und sich mit dem Schpferischen und Ge-staltgebenden in ihm innerlich verbunden fhlt, und eine, die ihn als fer-tiges, geschichtliches und geistiges Ganzes empfindet und [ihm] schonmit einer gewissen Reserviertheit gegenbersteht.*

    Zweifellos war der Knackpunkt in der Debatte das Verhltnis zur Mu-sik der Moderne, bei der sich die Geister schieden.Schon ber die Be-urteilung der avanciertesten Werke von Strauss ob etwa die dissonantes-ten Passagen von SalomeundElektraein Irrweg gewesen waren oder imGegenteil richtungsweisend, oder darber, ob seine sptere Entwick-lung zu begren oder zu bedauern sei bestand keine Einigkeit. Erstrecht umstritten blieb die Frage, in welcher Beziehung sein Schaffen ge-

    genber den aktuellen musikalischen Strmungen zu sehen sei. DerKomponist Heinz Tiessen, der einen von Strauss geschtzten Auf-satz geschrieben hatte und daraufhin von diesem als Korrepetitor an dieBerliner Oper gebracht worden war, formulierte ebenfalls in einemGeburtstagsartikel zum . Juni im Chemnitzer Tageblatt zwei ge-genstzliche Beobachtungen, die nicht nur aus damaliger Sicht StraussPosition in den musikalischen Entwicklungen seit dem Ende des . Jahr-

    hunderts prgnant umschrieben. Er stellte zum einen fest, dass heute gegenber der Musik der durch Schoenberg durchgegangenen Genera-tion die Strauische Musik viel eindeutiger in ihrem Zusammenhangmit der klassisch-romantischen Klangwelt erscheint. Zum anderen sah ereine Keimzelle der Moderne in einigen khn-polyphonen Partien des

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    Till Eulenspiegel, Zarathustra, Heldenleben da finden sich wesentli-che Grundlagen der heutigen Atonalitt. Nicht als Stil, doch als Klang-welt.*

    Herbert Windt, dessen Biographie alle Widersprchlichkeit der Zeitvereinte er war Schler von Franz Schreker und wurde spter zu einemder wichtigsten Filmmusikkomponisten in der Propagandamaschineriedes Dritten Reichs , stellte in der Zeitschrift Die MusikStraussErrungenschaften als Hhepunkt dar, der danach nicht mehr erreichtworden sei: Wenn jemand auf Entdeckung der Atonalitt Anspruch er-heben drfte, so wre er es; aber der Meister hat sich schwerlich je ge-

    rhmt, dieses Neue erfunden zu haben. Er hat geschaffen, gebaut und inseiner Arbeit Schritt fr Schritt weiter getan; was er fand, genommenund geformt, unbekmmert darum, ob es schon da war oder nicht, in ab-soluter Selbstverstndlichkeit. [] Zu dem Neuen und Khnen, das eruns gab, ist eigentlich nichts mehr hinzugekommen; das Bild hat sich nurinsofern verschoben, als Dinge, die im Rahmen eines geschlossenenKunstwerkes besondere Hhepunkte darstellen, um ihrer selbst willenzum Prinzip erhoben wurden. Der letzte Satz gibt sich hier zwar mode-rat, enthlt jedoch eine Fundamentalkritik an den atonalen Komponis-ten, whrend Strauss als Inbegriff der Kunst gefeiert wird: Da Strausich in seinen Werken voll erfllt hat, dies zu erkennen, sollte unsere vor-nehmste Aufgabe sein. Die Galerien unserer Oper [Berlin] sind bei derElektra traurig leer! Bei jenem Werk, das ein heiliges Lehrbuch seinmte!Heinz Pringsheim, der ebenfalls fr Strauss als Korrepetitorgearbeitet hatte, ging in seiner Geburtstagsbetrachtungin derAllgemeinen

    Musik-Zeitungmit hnlichen Argumenten einen Schritt weiter und ver-suchte, den Meister gegen die Neutner auszuspielen, indem er postu-lierte, Strauss habe Schnberg als Inbegriff des Atonalismus berwun-den. Denn die Strauische Atonalitt ist etwas ganz andres als die derakademischen Atonaliker. Sie ist, wo sie auftritt, Teil eines Ganzen, Gliedeines Organismus, Dissonanz die zur Konsonanz drngt, Spannung dieder Lsung bedarf. [] Richard Strau, der hellugige, hat nie das Wesen

    der Tonalitt verkannt: ja wir sehen ihn, je lter er wird, umso freudigersich zu ihr bekennen. Ob es ihn Ueberwindung gekostet haben mag, denLockungen des von ihm entdeckten Neulandes zu widerstehen? Schwer-lich. Den khnen Bergsteiger lockt der Blick in nie geschaute Abgrndenicht zum Sturz in die Tiefe; mit gesteigertem Lebensgefhl schreitet er

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    rstig weiter. Doch sind Atonalias Schluchten kein Anblick fr Jeder-mann: nur fr Schwindelfreie. Ohne weitere argumentative Fundierungbehauptet Pringsheim schlielich, indem er das Ziel seines Artikels

    Ueberwunden? Ueberwinder!ansteuert: Schnberg und Strawinskij beide fhren rettungslos in eine Sackgasse []. Strau wird die Gefahrvlliger Vernichtung, wird Schnberg und Strawinskij berwinden.

    In seiner Mnchner Festrede vom . Juni , in der er feststellte,dass die Jungen seinen in der Romantik wurzelnden Ausdruck als ber-lebt empfinden wrden, und Strauss bereits historisch gewordeneVerdienste hinsichtlich der Instrumentation und der Formgestaltung

    zuschrieb, brskierte Hermann Wolfgang von Waltershausen, Musik-schriftsteller und bekennender Gegner der Atonalen, die Strauss-Ge-meinde mit dem Eingestndnis, da uns hier und dort das knstlerischeEndergebnis [] enttuscht.Drei Jahre zuvor hatte er in einem kleinenBuch allerhand argumentativen Aufwand aufgeboten, um gerade denklassizistischen Strauss als musikhistorisches Nonplusultra darzustel-len. Aus seiner Sicht war dieElektrakein heiliges Lehrbuch (wie frWindt), sondern hypertrophisch. Mit einer Begrndung, die auch sp-teren Autoren im Sinne nationalsozialistischer Ideen noch ntzlich wer-den sollte, stellte er die Behauptung auf, da gerade die Schwchen derElektra das Ergebnis der Ehrlichkeit sind. Strau mute die Elektraschreiben, um mit dem alten Stil fertig zu werden. Mit logischer Uner-bittlichkeit muten die letzten Konsequenzen des romantischen Stilesgezogen werden; aber der neue Weg konnte sich nicht ber Nacht finden.Der Rosenkavalier trgt noch den Stempel des bergangswerkes, wh-

    rend die Ariadne bereits Zukunftsmusik im neuen und besseren Sinneist.Dass Waltershausen allerdings unter der Zukunft die Vergangen-heit versteht, macht der Autor, der im Erscheinungsjahr mit Strausszumindest einmal zu Mittag gegessen hat, am Ende seiner Broschredeutlich: berblicken wir [] das Positive, das Strau geschaffen hatund das heute bereits der Musikgeschichte angehrt, erwgen wir aus derGegenwart seine Zukunftsmglichkeiten, so wird uns stets aufs neue klar,

    da Strau einen Januskopf besitzt, da er ebenso einer vergangenen Epo-che angehrt wie einer zuknftigen. Dies mssen wir uns vergegenwrti-gen, um uns endlich mit einem Schlagwort auseinanderzusetzen, das ge-gen ihn geprgt worden ist. Der musikalische Reaktionr! []Reaktionr ist, wer aus der Gesetzmigkeit der Welt die Entwickelung

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    in der periodischen Wiederkehr, das langsame Erklimmen einer jenseitsder Augenblickserscheinung stehenden Stufenleiter im steten Wechseldes Individualistischen und Typischen erkennt. Die gute alte Zeit ist

    Symbol fr die bessere Zukunft und nur der Konservative besitzt die divi-natorische Kraft des Sehers. // Worber rgern sich unsere Jngsten ammeisten? Da Strau die Tonalitt gewahrt hat. Das Tonikabewutseinist ein monarchistisches Prinzip, whrend die Atonalitt, geschult an denIdeen des Kommunismus [] alle Zielstrebigkeit und alle Entwicklungaufheben mchte.

    Auch der ansonsten stets besonnene Richard Specht hat ausgerech-

    net in seinem vershnlichenKlassiker-Text von einmal die Kom-munismus-Keule geschwungen und dabei wie Strauss zwischen

    wirklicher Musik und allem anderen unterschieden: [G]egen den Musik-bolschewismus unserer Tage steht das Werk des Meisters Strau, der jafreilich durch seine Ablehnung all der erschreckenden Anarchie in derheutigen Musik viel mehr als durch alles andere die Haltung der Jugendgegen ihn provoziert hat, wirklich wie das eines Klassikers, der Endpunktund neuen Beginn zugleich bedeutet. Denn was in den letzten Jahrenneuartig war und dabei wirklich zu Musik geworden ist, wurzelt in derSalome, der Elektra, dem Eulenspiegel, der Domestica.Derartdeutlich wurden die Fronten spter nur noch selten, doch blieb die Kluftbestehen, die hier ein politisch verbrmter Kampfbegriff verdeutlicht:Musikbolschewismus stand fr alles, das dazu angetan war, die geheilig-ten Traditionen der Tonkunst umzustrzen.Strauss war vom Verteidig-ten zum Bollwerk geworden.

    Allerdings waren dieser rhetorischen Zuspitzung der Lage heftigeAngriffe vorausgegangen. Dass dieMusikbltter des Anbruch ausge-rechnet einen alten Text von Paul Bekker aus dem Jahr wiederver-ffentlichten (vgl. Einleitung), hatte einen aktuelleren Grund. Bekkerwar es gewesen, der Strauss nach einer Serie von Enttuschungen, die sichanhand seiner Kritiken zurAlpensinfonieund zurFrau ohne Schattengutnachvollziehen lassen, als reaktionr bezeichnet hatte. Er tat dies in

    einem legendr gewordenen Aufsatz mit dem programmatischen TitelNeue Musik(), in dem er Strauss ins Visier nahm und dafr musikge-schichtlich weit ausholte: Die romantische Bewegung war evolution-ren Charakters, sie rttelte nicht an den Grundlagen, sie baute sich denKlassizismus nach ihren Gesichtspunkten um. Wir stehen heut der

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    Bankrotterklrung jener klassisch-romantischen Kunst gegenber. berdie genialen Barockschpfungen eines Wagner und Liszt hinaus ist siezur technischen Knstelei, zu einem Handel mit ausgemnzten Werten

    geworden. Stellt eine Erscheinung wie Richard Strau nicht das knstle-rische Gegenstck dar zu dem, was wir im heutigen Wirtschaftsleben In-dustrialismus und Kapitalismus nennen? Ich spreche hier nicht etwa vonder Art seines geschftlichen Gebarens, von seinem Streben, alle uerenMittel der praktischen Beeinflussung unseres Musikbetriebes in seineHnde zu bekommen wie etwa jetzt die Leitung der Berliner und Wie-ner Oper zugleich zu fhren und sich so die Vorherrschaft im deutschen

    Bhnenbetrieb zu sichern. Ich spreche hier hauptschlich von der Artseines knstlerischen Gehabens, wie es in seinem neuesten Schaffen zu-tage tritt, das doch nichts anderes ist als eine Spekulation auf Bourgeois-Instinkte, ein Spielen und Kokettieren mit Fortschrittsallren, hinter de-nen bei genauem Zusehen nichts anderes steckt, als eine sehr geschicktund blendend aufgeputzte, an sich aber uerst drftige und schwacheAltmeisterlichkeit, eine posierende Khnheit und erheuchelte Moderni-tt, die sich ungeheuer revolutionr gebrdet und dabei ihrer Gesinnungund ihrem Charakter nach genau so reaktionr ist, wie das ehrlich philis-trse Akademikertum.

    Die Meinungen junger fortschrittlicher Komponisten ber Strausswaren hingegen bei seinem letzten runden Geburtstag, an dem sie sich inDeutschland frei uern konnten, keineswegs derart einheitlich ableh-nend wie Bekkers Verdikt, das sich allerdings ausschlielich auf die Kom-positionen jngeren Datums bezog und keine Wrdigung lterer Werke

    unternahm. Es war eine weitere Finte der Redaktion des Wiener An-bruch, anlsslich des ers eine Umfrage zum Thema Was bedeutet Ih-nen heute Richard Strau? zu starten. Der Musikreferent derLeipzigerNeuesten Nachrichten,Adolf Aber, der mit dem Komponisten freund-schaftlich verkehrte, fragte auch gleich zurck: Lieber Anbruch! Ist dasnicht eine etwas verdchtige Fragestellung: was uns Richard Strau heutebedeutet? Sollen wir leise dessen gemahnt werden, da viele ihm ,heute

    anders, im ganzen wohl khler gegenberstehen als ,gestern?

    Derscharfe Strauss-Kritiker Adolf Weimann, der den Komponisten auchhier wieder das bisher letzte Genie nannte, beantwortete die Frage hin-gegen gem dieser Erwartung: Htten wir ihn nicht, so wre die deut-sche Musik der Kaiserzeit ohne Mittelpunkt, ohne Glanz gewesen. Aber

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    wahr ist auch, da er, eben Ausdruck dieser prunkvollen Zeit wirtschaft-lichen Aufschwunges, in ihr gro und, im Vollgenu seines Namens,kampflos und bequem geworden ist. Auch seine Musik von unvernderli-

    cher, stereotyper Meisterschaft atmet den Geist der Wohlhabenheit. Da-rum: mgen auch die Heutigen es weder an Umfang noch an Bedeutungdes Gesamtwerkes mit Richard Strau aufnehmen knnen, sie sprechendas Ringen unserer Zeit aus und sind, selbst in ihren Verirrungen noch,uns nher als der Richard Strau der letzten fnfzehn Jahre. Die zweiprominentesten Vertreter der damaligen Avantgarde, die hier zu Wortkamen, antworteten hingegen differenziert und beantworteten nicht nur

    die Frage nach der heutigen Bedeutung: Wie Weimann siedelte auchAlois Hba das Strausssche Hauptwerk in einer vergangenen Zeit an:Der schwungvolle, etwas uerliche Geist der Strauschen Musik wecktdie Erinnerungen an die Zeit des deutschen Kaiserreiches, an den ue-ren Glanz der Monarchen, welcher nicht immer mit der inneren mensch-lichen Gre identisch war. Strau hat vielleicht unbewut diesen Geistder Zeit in seiner Musik aufgefangen. Salome und Elektra wirken aufmich noch immer stark und berzeugend. [] Wo er aber spter aus eige-nem musikalischen Reichtum weiterlebt und nicht mehr so stark vonneuem an sich selbst weiter arbeitet, lt mich sein Ausdruck kalt.Und Kurt Weill legte den Akzent ganz auf die modernen Errungen-schaften des Tondichters und radikalen Opernkomponisten: RichardStrau bedeutet fr mich: an der Schwelle vom . zum . Jahrhundertein Rckblick und eine Verheiung. [] Er schafft sich eine Form, wel-che die Unmusikalitt der beabsichtigten Tonmalerei vergessen macht. Er

    schafft sich eine Harmonik, die Dissonanzen bereits als Ausdrucksmittelbenutzt; seine Linienfhrung gelangt zu jener weiten Ausdeutung derTonalitt, die einer gnzlichen Loslsung von tonaler Harmonik denWeg bereiten half.

    Der Musikkritiker derDeutschen Allgemeinen ZeitungWalter Schrenkwidmete dem ThemaRichard Strauss und die neue Musik nicht nurausfhrliche Zeitungsartikel, sondern auch ein ganzes Buch, das den Weg

    von den Komponisten in der Nachfolge Wagners bis zu Zeitgenossen wieAlban Berg, Ferruccio Busoni, Alois Hba, Paul Hindemith, Ernst Kre-nek, Hans Pfitzner, Arnold Schnberg, Franz Schreker, Igor Strawinsky,Heinz Tiessen oder Anton Webern verfolgte. ber Strauss selbst schriebSchrenk zwar voller Achtung und stellte ihn dadurch, dass er ihm weit

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    mehr Platz widmete als allen anderen Namen zusammen, ins konkurrenz-lose Zentrum. Dennoch sah er sich gentigt, die Werke der jngeren Zeiteinem abschlgigen Urteil zu unterziehen: Doch die Gerechtigkeit ver-

    langt auch den Hinweis, da die Kurve dieses Schaffens sich in den letz-ten Jahren bedenklich gesenkt hat. Das begann schon mit der Frau ohneSchatten, die ein starkes Nachlassen der Erfindungskraft mit sichbrachte, es zeigte sich in der Alpensymphonie und in Josephs Legendeund wurde mit schmerzhafter Deutlichkeit in dem nichtssagenden, ganzmit der kalten Hand gemachten Ballett Schlagobers klar. Und auchSchrenk merkte an, dass Strauss noch immer das Musikleben prgte,

    wenn er auch eine deutliche Ahnung der knftigen Entwicklungen pr-sentierte: Trotz allem, was vom Standpunkt des neuen Geistes gegen dieArt und den Wert seines Werkes gesagt werden kann, ist Richard Straudie glnzendste und reprsentativste Musikererscheinung unserer Zeit.Uns Jngeren, die wir die Unrast und Zerrissenheit der heutigen musika-lischen Situation besonders stark empfinden, gilt er als der groe, fastklassisch gewordene Meister, wenn wir auch deutlich ahnen, da dieWege und Ziele der neuen Musik uns weit von ihm wegfhren werden.

    Ein zweiter Rosenkavalier

    [I]ch bleibe nur als Operndirektor noch weiter in Wien, schrieb Straussam . Juni an den Architekten Michael Rosenauer.Ein halbes Jahrspter, am . Februar , uerte er in einem Brief an Karpath dasglatte Gegenteil: Ich sehe nur nicht ein, warum Sie mir nicht gnnen

    wollen, auch als Exdirektor in meinem schnen Belvederehaus zu woh-nen? Wien ist doch auch schn, auerhalb der Staatsoper. Hausbau u.Staatsoper haben doch gar nichts miteinander zu tun.Franz Schalkwusste ber den Rckzugsgedanken seines Co-Direktors Bescheid, seitihm Strauss am selben Tag schrieb: Auf [das] Straussfest verzichte ichnatrlich, im Falle meine Demission ntig werden sollte. // Ich bleibeauch als Exdirektor in Wien wohnen: wir knnen dann im Belvedere zu-

    sammen vierhndig oder Schach spielen!

    ber das Wiener Haus wardie ffentlichkeit whrenddessen bestens informiert, seit im Vorjahr daskuriose Immobiliengeschft in Angriff genommen wurde. Schon am. Mai wusste die Wiener Allgemeine Zeitung ber Ein RichardStrau-Haus in Wienzu berichten, und nach dem Einzug in die Jacquin-

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    gasse gehrten Mitteilungen wie diese eine Zeitlang zum blichenAufputz fr Zeitungsartikel ber den Komponisten: Strau liebt Wien,er hat sich auf dem ihm freigiebig geschenkten Grunde in dem Belvedere-

    garten ein herrliches Knstlerheim errichtet, von dem aus er behaglich indie Weite sehen kann.* Auch die Aussage des Architekten Rosenauer: Eswurde ein barockartiges Haus, schlielich ist Strauss ein barockerMenschfand ihren Weg in die Presse. Dabei vermischten sich freilichTatsache und Gercht. Denn nachdem im Mai mit der Vertragsun-terzeichnung frIntermezzomit dem Verlag Frstner die Baukosten gesi-chert waren, wurden sogleich hchste Regierungskreise mit der Ange-

    legenheit befasst: Rosenauer berichtete Strauss am . Juli ber eineinterministerielle Konferenz, und in der Folge wurde ein Tausch-geschft vereinbart, nach dem die Partitur desRosenkavalieran die ster-reichische Nationalbibliothek ging und Strauss im Gegenzug fr Jahredie Pacht am Baugrund erhielt. Der Briefwechsel mit Michael Rosenauerist ein aufschlussreiches Dokument fr Strauss Umgang mit einem Mannauerhalb der Musikwelt, den er wie einen Domestiken behandelte, undhat ber Strecken den Ton einer brgerlichen Komdie, bei der der Kom-ponist seine Wutausbrche effektvoll dramatisierte: Ich hre von Anna[Gloner, Bedienerin] zu meinem Entsetzen, dass das Haus innen nochnicht fertig ist. Telefon nicht fertig, die Keller noch ein Saustall, derSpeicherboden noch nicht geschttet, die Gitter nicht fertig, ebenso Ga-rage etc. Das ist ja eine grausliche Wiener Schlamperei. Ich garantiereIhnen, dass Sies mit meiner Frau auf einige Zeit verscherzen, wenn jetztnoch nicht Alles stimmt. Wie ich sie kenne, pfeift sie Ihnen auf Ihre

    schne Fassade etc., wenn die internen Sachen nicht in Ordnung sind. In Tagen kommt sie und ich garantiere Ihnen ein hllisches Donnerwet-ter, wenn nicht alles fix und fertig. Sie haben nun wirklich Zeit genuggehabt. Noch nach der Gruformel setzt Strauss nach: Hintertreppe istauch noch nicht gestrichen; ich wei alles! (. November ).

    Als das Strauss-Haus dann stand, reiste im September FranzSchneiderhan, der Generaldirektor der sterreichischen Bundestheater,

    nach Garmisch, um zu vereinbaren, dass Strauss fnf Jahre lang je Vor-stellungen in der Staatsoper unentgeltlich dirigieren sowie der National-bibliothek die Partitur dergyptischen Helenaberlassen sollte und dafrdas Grundstck beim Belvedere in sein Eigentum bergehen wrde. We-nige Wochen spter schreibt Strauss an Schneiderhan: Ich bin entsetzt,

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    241Ein zweiter Rosenkavalier ...

    da unsre ganzen Verabredungen schon haarklein in den Wiener Zeitun-gen stehn! Wie ist das nur mglich? Von Ihnen stammt es nicht: das weiich. Von uns ist kein Sterbenswrtchen nach Wien gedrungen. Wenn

    sich Complicationen daraus ergeben sollten, besonders wenn ich An-pbelungen erfahren sollte ich habe noch nicht unterschrieben, ich binnoch nicht in Wien. Ich habe mich, hauptschlich Ihnen zu Liebe zumancherlei Opfern bereit erklrt; zu alle dem nicht hervorgedrngt, imGegenteil: man ist an mich herangetreten. Wenn ich nun unliebsameKritik erfahren mte bevor ich mich einem Refus von Seiten derNationalversammlung aussetzen sollte, trete ich lieber noch vorher zu-

    rck (. Oktober ).

    Die ntige Zustimmung zum Lex RichardStrauss gab das Parlament mit sterreichischer Pnktlichkeit ein Jahr,nachdem Strauss im Dezember die erste von hundert Vorstellungendirigiert hatte. ber dieElektrawar in denMnchner Neuesten Nachrich-tenvom . Jnner in einem Bericht von Paul Stefan zu lesen: Gene-raldirektor Schneiderhan ist es nunmehr gelungen [], die Verstimmungdes Meisters zu beseitigen; Direktor Schalk tat das Seine an Ritterlich-keit; der Staat kam Richard Strau als Eigentmer seines auf Erbpacht-grund erbauten Wiener Hauses ganz wesentlich entgegen, und so ist einVertrag zustande gekommen, der Strau gleichsam als Ehrendirigenteneiner ganzen Reihe von Abenden an die Oper zurckgefhrt hat. Alles istdarber zufrieden und gleich der erste dieser Abende glich einemTriumph. Strau dirigierte seineElektra, deren orchestraler Teil ihm herr-lich wie je gelang. [] Die schne Auffhrung wurde als Zeichen neuenAufschwungs unserer Wiener Oper mit grter Freude begrt.*

    Als Komponist hatte Strauss inzwischen trotz aller Anerkennung einen Ruf zu verteidigen, und er versuchte bestndig, an die frheren Er-folge anzuknpfen oder sie in Erinnerung zu rufen. In diesem Zusam-menhang ist es zu sehen, dass eine Auswahl seines Briefwechsels mitHugo von Hofmannsthal bis erschien, die von beiden fr den Druckaufbereitet wurde und etliche Auslassungen und Umformulierungen ent-hlt. Nicht aufgenommen wurde etwa ein Brief von Strauss, in dem er

    whrend der Arbeit an derFrau ohne Schattengeuert hatte: Da kannich mein Hirn anstrengen, wie ich will, und ich plage mich redlich undsiebe und siebe durch, aber das Herz ist nur zur Hlfte dabei, und sobaldder Kopf die grere Hlfte der Arbeit leisten mu, wird ein Hauch aka-demischer Hlfte darin wehen (. Juli ). Hofmannsthal fand dies

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    bedenklichst, und Strauss notierte dazu: So interessant gerade dieserBrief, Sie haben recht, er ist nichts fr Uneingeweihte.Die Briefsamm-lung scheint das Ansehen des Komponisten befrdert zu haben. In den

    Mnchner Neuesten Nachrichtenvom . Mai schrieb etwa Paul Eh-lers: Der vor kurzem verffentlichte Briefwechsel zwischen RichardStrau und Hugo v. Hofmannsthal hat aufs berraschendste klar ge-macht, welch groen dramaturgischen Anteil Strau an den mit demWiener Poeten geschaffenen Werken hat und wie die theaterkrftigeFhrung mancher Szenen gerade von ihm stammt.*

    Eindeutig von Hofmannsthal forciert wurde hingegen das Projekt

    einesRosenkavalier-Films nach einem eigenen Drehbuch, durch den erStrauss eine mchtige Frderung fr das Fortleben und Neuaufleben aufder Bhne in Aussicht gestellt hatte (. Jnner ).Handlung undMusik wurden fr den im Sommer darauf produzierten Stummfilm vonRobert Wiene einem Remix unterzogen: Die neu aufgerollte Geschichtemndete in einem Maskenfest mit amoursen Verwechslungen samtHappy End. Strauss untersttzte das Projekt, berlie aber das Arrange-ment der Musik aus der Oper und lterer Werke wie dem Wilhelm II.gewidmetenMilitrischen Festmarschsowie eines neu komponiertenMi-litrmarschesdem Staatsopern-Dirigenten Karl Alwin sowie Otto Singer,der auch andere Strauss-Werke bearbeitet hatte. Dennoch wurde das am. Jnner in Dresden prsentierte Ergebnis, wobei Strauss die Mu-sik zum Film dirigierte, weitgehend mit dem Komponisten identifiziert.Eine Abhandlung des Musikwissenschaftlers und Kritikers Kurt West-phal inDie Musiknahm das Projekt zum Anlass, um Strauss Tonsprache

    insgesamt einer Kritik zu unterziehen: Er dringt nicht bis zu jenem see-lischen Kern vor, der Anla und Kraftquelle der dichterischen Projektionwurde, sondern er beginnt dort, wo die Dichtung aufhrt: bei dem Ab-bild selbst. Er sieht nicht das Drama durch das Wort hindurch, sondernheftet sich an die Oberflche der Worte, deren bildliche Werte er durchdie Musik klanglich analysiert. Seine Musik wird zur akustischen Kamera[]. An solchen Stellen, die zu einfach-melodischem Ausdruck zwingen,

    bekommt sie jenen so fatalen Stich ins Sentimental-Schwlstige, das invielen seiner Lieder geradezu in Reinkultur wirksam ist und sich oft biszu unertrglichem Kitsch steigert. Westphal verbindet bereits im Raumstehende Vorhaltungen gegen das Illustrative von Strauss Musik und dasFehlen von Tiefe und sieht eine logische Entwicklung im aktuellen Pro-

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    jekt: Nicht das ursprnglich antreibende Gefhl intensiviert seineMusik, sondern die bertragung, die diese erregende Kraft bereits in einanderes knstlerisches Material, die Sprache, erfahren hat. Die Musik

    wird zum Kommentar der Dichtung; sie bersetzt das bereits bersetzte,sie reflektiert das bereits Reflektierte. [] Strau hat unnachsichtig ge-gen sich selbst die radikalste Konsequenz gezogen, die aus seinemSchaffen berhaupt mglich war: Mit der literarisch nur lose gebunde-nen Programmsinfonie beginnend, gelangt er ber die Oper und die nurillustrative Werte der Musik aufsaugende Pantomime hinweg zu Film. [] Hier, in einer Nebenlinie der Moderne, wird sie weiterbeste-

    hen.

    Aus diesen berlegungen geht nicht nur hervor, als wie veraltetdie Musik desRosenkavalierbereits Jahre nach ihrem Entstehen voneinem jungen Zeitgenossen gesehen werden konnte; sie nehmen tatsch-lich auch die knftige Entwicklung der Filmmusik voraus, bei der Straussneben anderen wie Wagner und Mahler geradezu modellhaften Einflusserhalten sollte: Unberhrbar orientierte sich etwa Windt in seinennationalsozialistischen Propagandafilmen an ihm; und auch in Holly-wood sollten Originalwerke und von ihm (mit)inspirierte Partituren einesteile Filmkarriere machen.Der Rosenkavalier-Film allerdings wardurch den bald darauf aufkommenden Tonfilm schon rasch berholt.

    Bereits hatte Strauss an Hofmannsthal geschrieben, dass er einenzweiten Rosenkavalier komponieren wolle.Bevor dieser Plan inAra-bellamndete, griffen die beiden nachAriadneerneut auf einen griechi-schen Stoff zurck, wobei die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeitbereits den geringen Erfolg der OperDie gyptische Helenavorausahnen

    lassen konnten. Am . Juni schrieb der Komponist dem Freund, es seifr ihn schwer, eine Musik zu finden, die fr die Ohren von nochgengend charakteristisch ist, ohne in den sog. Realismus der ,Salomeoder gar in die Exzentrics der heutigen Moderne, die ja nur mit amerika-nischen Ohren (ich will die Neger nicht beleidigen!) hrt, zu verfallen.Wenn Roland Tenschert, einer der vorbehaltlosen publizistischen Befr-worter von Strauss in den spten Jahren, der sich besonders frDie gyp-

    tische Helena einsetzte, Jahre spter schrieb, Strauss habe der Reklame-sucht, die sich besonders zur Zeit seiner ersten blendenden Erfolge umseine Person geschftig zu tun machte [] hchst persnlich das Wasserabzugraben versucht, so lsst sich gerade an diesem Werk ein Bild da-von zeichnen, wie sehr sich der Komponist fr die Wahrnehmung seiner

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    Oper einsetzte. Vor der Wiener Erstauffhrung am . Juni nurfnf Tage nach der Dresdener Urauffhrung schrieb er an seinen SohnFranz Strauss, der die Geschfte des Vaters fhrte: Da im brigen die

    Reklame fr die Wiener Festspiele nicht die richtige ist, merke ich seitMonaten, konnte nichts tun, als fortwhrend bohren, da man endlichdas genaue Programm aufstelle (was von Schalk vor vier Wochen nochnicht zu haben war), die Festspiele in allen Luxuszgen, Amerikadamp-fern, Haupthotels (wie die Mnchner) plakatiere etc. etc. // Ich habeSchneiderhan mitgeteilt, da Dresden [fr Richard-Strauss-Tage im No-vember/Dezember ] M fr Reklame ausgesetzt habe! Da

    die Wiener derartiges nicht verstehen, wei ich von meinem . Geburts-tag her (. Mrz ).Geradezu manisch versuchte Strauss anschlie-end, eine adquate Aufnahme der Novitt zu erwirken. Nachdem be-reits am . April eine Einfhrung von Hugo von Hofmannsthalmitsamt einem imaginren Gesprch mit dem Komponisten in derNeuen Freien Pressesowie in der Vossischen Zeitungerschienen war sp-ter wurde es auch noch an anderer Stelle abgedruckt, regte Strauss am. Mai an, einen Artikel fr die Kritik beizulegen: Vorreden sindzudem heute besonders modern. Sogar Burschen wie Schnberg undKrenek geben zu ihrem Bockmist erluternde Vortrge. Was zur Aufkl-rung geschehen kann, mu vor dem . Juni [dem Urauffhrungsterminin Dresden] geschehen! Gerade das Intermezzo hat gezeigt, da sich dieBonzen der Kritik weniger als sonst an die Musik herangewagt haben.Vor allem lenkt sie so ein Vorwort von dem Stck selbst ab, und sieschreiben dann darber weniger und beschftigen sich mehr mit der Vor-

    rede! Denn je weniger Unsinn ber die Sache selbst geschmiert wird,desto besser! Verstehen tun sies ja doch nicht!Strauss selbst standnoch knapp vor der Urauffhrung Ludwig Karpath fr ein Interview zurVerfgung, das am . Mai in der Neuen Freien Presse erschien:ber die Musik ist wenig zu sagen; sie ist, frchte ich, melodis, wohl-klingend, und bietet fr Ohren, die ber das neunzehnte Jahrhunderthinausgewachsen sind, leider keinerlei Probleme.Und auch noch zwi-

    schen der Dresdener und der Wiener Premiere bettigte sich Straussweiter als Werbender in eigener Sache: Am . Juni berichtete er sei-ner Frau: Habe gestern [Julius] Korngold einen Besuch gemacht: er warsehr geschmeichelt und hat auch wirklich anstndig geschrieben! Sogar

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    Herr Weissmann hat constatiert, da ich der anerkannteste Componistder Welt sei. Was will man mehr?

    In die Anerkennung mischten sich nach der Urauffhrung allerdings

    Zweifel. Eugen Schmitz sprach in seiner Rezension in Die Musikzwarvon allen Anzeichen eines groen gesellschaftlichen und knstlerischenEreignisses, aber auch von einer tagesabgewandten, abgeklrten Alters-kunst des musikalischen Olympiers; in derDeutschen Allgemeinen Zei-tungkritisierte Walter Schrenk eine Neigung zu pathetischem Sichaus-breiten, und allgemein wurde kritisiert, dass die Oper nichts Neuesgebracht habe.In derNeuen Zrcher Zeitungmeinte Paul Stefan zwar:

    Nur trichte Sensation knnte von ihm etwas Neues verlangen.

    KarlSchnewolf pldierte in derMnchener Zeitungdafr, diese Frage ber-haupt zu vergessen, und brachte die zeitgenssische Einschtzung Straussauch allgemein auf den Punkt: Diese Oper wird uns gewi nicht vor-wrts bringen. Aber was ist Fortschritt? Gibt es wirklich einen? Denkenwir nicht daran. [] Diese Oper ist nicht verschwenderisch an Einfllen,an Inspiration, an beglckender Flle. Sie ist ganz einfach schn, wohl-klingend, prchtig, das Werk eines Abgeschlossenen. Sehr viel fr eineGeneration, die keine Meister mehr kennt.

    Aus dieser Generation meldete sich am Vorabend der Diktatur noch-mals Paul Bekker zu Wort. Der Kritiker, der sich auch um die Direk-tion der Berliner Oper bemht hatte (sein Scheitern mochte frhere Aus-flle erklren) und seit Intendant des Hessischen StaatstheatersWiesbaden war, hatte dort inzwischen Strauss Werke angesetzt und mitdem Komponisten im November einen zweistndigen Spaziergang

    unternommen. erschien sein BuchBriefe an zeitgenssische Musi-ker, aus demDie Musikeinen Vorabdruck brachte: Hochverehrter Meis-ter, // wenn ich hier den Versuch mache, Gang und Stand der musikali-schen Kunst unserer Tage durch Briefe an fhrende Zeitgenossen zuermitteln, so mssen Sie der erste sein, an den ich schreibe. Nicht wegender ueren Stellung oder im Hinblick auf die Bedeutung im richtungge-benden Sinne. Ganz einfach weil Sie der erste sind unter den Lebenden.

    Der erste an Genie, der erste an Erfolg, der erste vor allem in der Kunstder Lebensfhrung, des praktischen Erweises dafr, wie der Knstlerdurch seine Kunst Leben und Welt meistert. So sind Sie der wahrhafteMeister, einer, der nicht nur kann, sondern der dieses sein Knnen restlosin die Meisterung aller Materie umzusetzen vermag, von den Noten-

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    kpfen bis zu den Menschenkpfen. In konzilianterem Ton als in denlteren Wortmeldungen folgt Bekker der Entwicklung von drei Jahrzehn-ten und meint, Strauss habe inzwischen sein wahres Wesen gezeigt, wobei

    er die strkste, die reprsentative Begabung der Zeit noch immer um-standslos eingesteht: So sahen wir Sie: als den Kmpfer fr das neuejunge Knstlertum, als den Gegner leeren Herkommens, schlechter Ge-wohnheiten, mder Konzessionen. Und dieses Bild entsprach der Wirk-lichkeit, denn so waren Sie auch. Dann aber zeichnet Bekker nach, wiesich seine Meinung nderte. Dass darin auch Kritik an Strauss als Netz-werker anklingt, mag auch einen persnlichen Hintergrund haben: So

    begann es und so blieb es eine Zeitlang, und dann wurde es so ganz an-ders. Ein Bruch trat ein, den wir nie fr mglich gehalten htten und deruns allmhlich zu vlligem Umdenken zwang. Es kam die uere macht-

    politische Befestigung Ihrer Stellung in Form von Freundschaftsdienstenfr solche, die dieser Freundschaft nur durch willenlose Gefolgschaft wert

    waren. Es kamen die kleinen und die groen Konzessionen an einflurei-che und an hohe Herren. Vielleicht war es Klugheit, die solches gebot,und wahrscheinlich hatten Sie sogar recht. Diese Klugheit aber verdround erschtterte den Glauben. Wenn Bekker auch Strauss Komponieren

    vonElektrabis hin zurFrau ohne Schattenmit wachsender Distanz Revuepassieren lsst, klingt auch hier seine subjektive Erfahrung mit, mit der erdie Wendung Ihres Schaffens feststellte, die er als ein zielloses Umher-streifen im Kreise nach strmischem Anfang vielleicht mit dem innerenSinn eines Sichfindens der gereiften Persnlichkeit sah. Dass Bekker imPlural fr eine ganze Generation ehemaliger junger Strauss-Begeisterter

    sprach, war dabei keine reine Anmaung, sondern entsprach wohl denEmpfindungen vieler. Den historischen Zeitpunkt fr den Bruch sah erdabei nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs: [D]iese ganze Welt,Ihre bisherige Welt, ging unter. Sie aber saen wie der Kaiser in Ihrem

    Werk [Die Frau ohne Schatten] versteint, nur das Auge noch lebend, aufIhrem Thron, zu dem kein Reich mehr gehrte, und das Leben schien er-loschen. // Was konnten Sie uns so sein? Wie gern htten wir uns an Sie

    gehalten, denn damals tat ein Fhrer not aber seine Sprache klang nichtmehr zu uns herber. Wir sahen nur noch einen Meister, der ebenso einerfrheren Zeit htte angehren knnen.

    Whrenddessen suchte der Meister weiterhin seine Stellung zu befes-tigen, dirigierte nach dem Auslaufen der Wiener Verpflichtung im Frh-

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    jahr wieder vermehrt im Ausland, etwa im Herbst desselben Jahresbei Konzerten der BBC in London, erwirkte im Dezember in einerAudienz bei Mussolini eine Auffhrung derFrau ohne Schattenin Mai-

    land (Das nenne ich Diktatorenprzision!, notierte Strauss in seinenprivaten Aufzeichnungen, nachdem der Duce nach dem Besuch gleichentsprechenden Befehl gegeben hatte). Und whrend er bereits mit sei-nem neuen Librettisten Stefan Zweig an der Schweigsamen Frauarbei-tete, vollendete er die Partitur vonArabella, deren Libretto nochvom verstorbenen Hofmannsthal stammte.

    Als die Lyrische Komdie am . Juli in Dresden im Rahmen ei-

    ner routinemigen Strauss-Woche uraufgefhrt wurde, war in Deutsch-land alles anders. Die Oper wurde einhellig als Meisterwerk gefeiert, undauch Alfred Einstein lobte sie imBerliner Tageblatt, obwohl er sie unbe-denklich mit all der routinierten Meisterschaft oder meisterlichen Rou-tine komponiert fand. Musikalisch erkannte er die ursprngliche Inten-tion der Autoren wieder: Diese ,Arabella wird zum Nachklang des,Rosenkavalier. Nicht ein Duplikat. Doch Einstein registrierte auchknapp: Auf dem Titel des Werkes [] steht die Widmung: ,MeinenFreunden Alfred Reucker und Fritz Busch. Diese Widmung ist verdient.Vorhanden sind sie beide nicht mehr. Das Titelblatt darf das nchstemalerst ganz kurz vor der Auffhrung gedruckt werden.Der Generalin-tendant der Schsischen Staatstheater und sein Generalmusikdirektorwaren nicht die Einzigen in Strauss Umfeld, die dem neuen Regime wei-chen mussten (s. u.). Fr den Komponisten selbst hatte der unrhm-lichste Teil seiner Biographie whrenddessen schon lngst begonnen,

    ohne dass er die Tragweite der Ereignisse nur entfernt ahnte.

    Eine neue Bltezeit der deutschen Kunst. Der Unpolitische

    Strauss rege Beteiligungen an den kulturpolitischen Umwlzungen imnationalsozialistischen Deutschland sind trotz intensiver Forschung bisheute noch nicht lckenlos dokumentiert.Es ist aber klar, dass er nach

    ersten Kontakten mit der neuen Fhrung die Mglichkeit gekommensah, das Musikleben nach seinen alten Vorstellungen umzukrempeln unddie genossenschaftlichen und urheberrechtlichen Interessen der Kompo-nisten endlich vollkommen durchzusetzen. Durch die Genossenschaftdeutscher Tonsetzer sowie durch die langjhrigen Kontakte zu Musikpub-

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    lizisten konnte er jetzt auf ein Netzwerk zurckgreifen, dem auch schlag-artig etliche Parteigenossen angehrten. Ein Schreiben an den Kompo-nisten und Musikkritiker des Vlkischen Beobachters Hugo Rasch

    dokumentiert nicht nur das Misstrauen gegenber der Politik imAllgemeinen, sondern auch den absoluten Machtanspruch, den Straussfr sich formulierte. Ebenso zeigt es abermals eindrcklich, wie sehr frStrauss das eigene Werk im Mittelpunkt stand und wie genau er regis-trierte, wer was ber ihn publizierte. So wurde er hier auch auf RolandTenschert aufmerksam, der ber die Urauffhrung der Wiener Fassungdergyptischen Helenabei den Salzburger Festspielen im August berich-

    tet hatte. Im Vordergrund stand jedoch die Neuordnung des Musikle-bens: Rasch sollte zum Prsidenten des geplantenBerufsstands deutscherKomponistenernannt werden und Strauss das Ehrenprsidium berneh-men, whrend der Dirigent, Komponist und Jurist Julius Kopsch, seinVertrauter in urheberrechtlichen Fragen, bereits an Detailfragen arbei-tete. Sowohl Rasch als auch Kopsch waren Mitglieder der NSDAP undgute Bekannte aus der Genossenschaft deutscher Tonsetzer.

    Am . August schrieb Strauss: Lieber Freund Rasch! // Ihr sor-genvoller Brief besttigt leider auch meine Befrchtungen. Es war etwas,harsch von dem guten Dr. Goebbels, den von mir an ihn bersandtenKopschschen Brief ohne weiteres ,nach unten gelangen zu lassen, wasnatrlich den rger und das Mitrauen gegen Kopsch noch verschrfthat. // Der ,Geheimrat hat unter Wilhelm II., unter [dem Reichsprsi-denten Friedrich] Ebert regiert: ich frchte, er wird auch unter Hitler dasletzte Wort behalten und zusammen mit ,kunstsinnigen Dilettanten und

    aufdringlichen Gschaftelhubern auf dem Platze bleiben. Da unsereinsdabei nichts zu tun hat, werden auch Sie, frchte ich, bald einsehen. Ichhabe Jahre unter Wilhelm II. gedient, glaubte Jahre persnlich dieWiener Oper zu leiten. Es ist immer das Gleiche! Kautschuk ist undurch-dringlich! // Mein letzter Brief an den gewi von bestem Willen beseel-ten Dr. Goebbels war eine Kraftprobe! Sie sehen, ich habe darauf keineAntwort erhalten, kann mich also nicht noch einmal direkt an den Mi-

    nister wenden, ohne aufdringlich zu erscheinen. Vor . Oktober drftesich auch keine Gelegenheit ergeben, Dr. Goebbels zu sprechen. In Berlinwerde ich ihm jedenfalls meine Aufwartung machen. Wenn er berhauptgeneigt ist, auf mich zu hren, so mte man dahin wirken, da vor MitteOktober puncto Urheberrechtsgesetz keine entscheidenden Beschlsse

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    gefat werden. // Mein Vorschlag geht nach wie vor dahin, da das Ur-heberrechtsgesetz [] nach unseren Ideen u. der neuen Staatsidee ent-sprechend neu geformt wird, soda im Oktober Herr Dr. Goebbels u.

    ich[]nur das letzte Placet auszusprechen haben, bevor es dem Reichs-kanzler zur Genehmigung vorgelegt wird. // Geschieht dies nicht, habeich mit der Sache nichts mehr zu tun, weder Zeit noch Lust, mich aufmeine alten Tage nochmals mit Geheimrten abzuraufen und in Minis-terien zu antichambrieren. Es mu sich eben jetzt zeigen, wie viel der,Fhrergedanke wirklich lebendig wird. // Damit hngt auch die eventu-elle bernahme des freundlich angebotenen Ehrenprsidiums zusam-

    men, das fr mich wertlos ist, wenn es blo aus ,Ehre besteht. Als Aus-hngeschild und Ehrenpopanz zu fungieren habe ich nicht die geringsteNeigung. Ist das Amt so gedacht, da nach Rcksprache mit Ihnen u. vonmir ausgewhlten Sachverstndigen u. Gesinnungsgenossen die letztedefinitive und autoritative Entscheidung bei mir liegt und von der Regie-rung ohne Murren besttigt wird, va bene! Sonst nicht! // Schade, daSie nicht in Salzburg waren. Auch die Frau ohne Schatten [] war frmich restlose Erfllung! // An [Paul] Schwers [Hauptschriftleiter derAllgemeinen Musik-Zeitung] habe ich gestern einen erklrenden Brief ge-schrieben: Die Besprechung der neuen Helena in seiner Zeitung (wer istDr. Tenschert?) war die erste vernnftige und anstndige Kundgebung(Kritiken lasse ich mir nurmehr von Leuten gefallen, die das Metier bes-ser beherrschen als ich) seit lngerer Zeit. Ich habe das Lesen von Musik-zeitungen nach der letzten Belehrung des Herrn Dr. [Heinrich] Strobel[Schriftleiter von Melos] ber Parsifal u. Beethoventempi aufgegeben.

    Mit Jahren drfte man doch schlielich der Schulbank entwachsensein und allmhlich selbst aufs Katheder gelangen! // Bitte halten Siemich weiter auf dem Laufenden wo ich helfen kann, ohne mir jetzt zuvergeben, tue ichs immer gern. Aber jetzt mu man zu mir kommen!

    Bekanntlich entwickelten sich die Dinge anders: Am . November um Uhr mittags wurde in der Berliner Philharmonie mit einemFestakt die Reichsmusikkammer gegrndet: Wilhelm Furtwngler diri-

    gierte Beethovens Egmont-Ouvertre, die Starschauspielerin HeleneFehdmer-Kayssler rezitierte Schillers ber das Erhabene, der BaritonHeinrich Schlusnus sang Lieder von Schubert und Wolf sowie als ZugabeStraussZueignung, dessen Text von Hermann von Gilm (Ja, du weites, teure Seele, / Da ich fern von dir mich qule, / Liebe macht die Her-

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    zen krank, / Habe Dank.) und triumphaler Schluss durch die An-wesenheit des Fhrers eine neue Konnotation erhielt. Strauss selbst lei-tete anschlieend sein Festliches Prludium,das bereits fr die

    Erffnung des Wiener Konzerthauses entstanden war, und erhielt nachDankesworten von Adolf Hitler, einer Rede von Joseph Goebbels unddem nicht anders als programmatisch zu verstehenden Wach-auf -Choraus WagnersMeistersingerneine Urkunde ber seine Ernennung zumPrsidenten der Reichsmusikkammer. Abends folgte eine FestvorstellungvonArabellaunter Anwesenheit der Reichsregierung.

    Anfang Dezember war Strauss erneut in Berlin und traf neben dem

    Propagandaminister auch den Reichskanzler: Papa eine Stunde bei H:Plne ber Bayreuth, Projekt frs Theater,Festl. Prludiumsoll nur frfestliche Regierungsanlsse gespielt werden, alle Machtbefugnisse, gr-tes Vertrauen, notierte Strauss Schwiegertochter Alice in ihr Tage-buch.Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am . Jn-ner desselben Jahres hatten sich die Ereignisse berschlagen, und dieWelle der Suberungen hatte unmittelbar nach den politischen Stellenauch das Kulturleben mit voller Hrte erfasst. Anfang Mrz wurde derDresdner Generalmusikdirektor Fritz Busch, der an der SemperoperIntermezzoundgyptische Helenauraufgefhrt hatte und dem Straussseither freundschaftlich verbunden war, von der SA aus dem Haus gejagt,nachdem er sich geweigert hatte, als Aushngeschild des Regimes nachBerlin zu gehen, weil er keinem jdischen Kollegen den Platz wegneh-men wrde.Intendant Alfred Reucker legte daraufhin aus Protest seinAmt zurck. Wenige Tage spter informierte der Verleger Otto Frstner

    den Komponisten, dass er seines Amtes enthoben worden sei.GustavBrecher, der Autor einer der frhesten Strauss-Monographien, der am. Mrz gewaltsam aus seinem Amt als Operndirektor entfernt wor-den war, richtete daraufhin einen Hilferuf an Strauss, fragte zweifelnd,warum er ihn bei dessen Besuch in Leipzig nicht gesehen habe, und ver-mutete, da die Verschweigung Ihres Leipziger Aufenthaltes mit meineraugenblicklichen Situation zusammenhing: Sie werden gewiss jetzt von

    Dutzenden bedrngten Berufsgenossen um Hilfe angegangen und ichkann mir denken, da es Ihnen ebenso peinlich wie lstig ist, da immerwieder dasselbe zu sagen, immer wieder erklren zu mssen, da und wa-rum im jetzigen Stadium der Umwlzung auch Ihre Macht keine Hilfe zubringen vermag (. Mrz ).

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    Die Warnsignale mssten also auch fr Strauss deutlich gewesen sein.Der Ernst der Ereignisse bleibt ihm aber dennoch verborgen. GegenberFranz scherzt er: Mama ist wohl und vergngt und hochpatriotisch!

    Wird fr mich ein etwas ungemtlicher Sommer werden, wenn Du auchnoch mit ihr zusammen gegen die Franzosen in den heiligen Kriegziehst . Trotz dieser Distanz zu nationalistischen Neigungen in der ei-genen Familie bezieht er allerdings keine politische Gegenposition, son-dern beharrt auf seiner Haltung, die Politik zu ignorieren und allein dieKunst als Ma der Dinge zu nehmen, indem er WagnersMeistersingerzi-tiert: ,Hier gilts der Kunst, wer sie versteht, der werb um mich (sagt

    Evchen) (an Franz Strauss, . Mrz ). Und ausgerechnet aus Bay-reuth schreibt er an Pauline: Es ist so schn, einmal ganz in Kunst zu le-ben und gar nichts von Politik zu hren (. Juni ).Hier, bei denBayreuther Festspielen, die in der Innen- und Auenwahrnehmung kur-zerhand zu Hitler-Festspielengeworden waren, dirigierte Strauss imSommer ohne Honorar fnf MalParsifal. Nachdem Arturo Tos-canini seine Teilnahme aus Protest gegen die Nationalsozialisten abgesagthatte, war Hitlers enge Vertraute, Wagners Schwiegertochter Winifred,persnlich nach Garmisch gekommen, um Strauss fr die Vorstellungenzu gewinnen. In einer Pause der ersten Auffhrung am . Juli fhrte sieihn zum Fhrer, der sich die Anliegen des Komponisten anhrte: Strausssprach ber Urheberrechtsfragen, denParsifal-Schutz, Theatersubventi-onen aus Film- und Radioeinnahmen, Ehrentantiemen fr notleidendeTchter Blows etc. sowie die Erlaubnis fr seine Reise zu den Salzbur-ger Festspielen im August (fr die Urauffhrung der Wiener Fassung der

    gyptischen Helena).Whrend sein Freund Busch sich geweigert hatte,missliebige Dirigenten zu ersetzen, nutzte Strauss nicht nur in Bayreuthdie Gunst der Stunde, sondern hatte bereits am . Mrz an Stelle des un-erwnschten Bruno Walter ein Konzert der Berliner Philharmonikerbernommen. Darauf wird noch zurckzukommen sein. Als Furtwnglerdrei Tage danach in BerlinElektradirigierte, waren sowohl Hitler alsauch Hermann Gring im Publikum, beim anschlieenden Souper saen

    Richard und Franz Strauss mit dem Generalintendanten der PreuischenStaatstheater Heinz Tietjen und Winifred Wagner zusammen.Noch bevor der von Strauss mitunterzeichnete aufsehenerregende

    Protest der Richard-Wagner-Stadt Mnchen gegen den Aufsatz Tho-mas Manns zu Wagners . Todestag am . April in denMnchner

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    252 6. Der Traum der Restauration

    Neuesten Nachrichtenerscheint Strauss rechtfertigt sich spter damit, erhabe den Text nicht gelesen, wird der persnliche Kontakt zum Fh-rer gesucht. Am . April berichtet er Tietjen: Mein Brief an Hitler []

    wurde von dem Vorsitzenden des Mnchner Kampfbundes [fr deutscheKultur (KfdK)], der befrchtete, der Reichskanzler wrde ihn in Berlinzu spt erhalten, am Ostersonntag dem Kanzler in Berchtersgaden [sic]eingehndigt. Ich bin Sonntag bei den Meistersingern in Mnchen undes ist mglich, dass der Kanzler mich bei dieser Gelegenheit zum erstenMal empfngt.Dass Strauss im selben Schreiben jenem an Tietjen erklrt, sich fr Fritz Busch verwenden und bei seinem Engagement an

    der Berliner Staatsoper vermitteln zu wollen, zeugt von jener unrealisti-schen Einschtzung der Lage und berschtzung der eigenen Position,die insbesondere whrend der Zeit seiner aktiven Beteiligung an der nati-onalsozialistischen Kulturpolitik noch dramatische Auswirkungen habenwird. Bald wird ihn das Gefhl seiner Machtlosigkeit beschleichen.

    Einstweilen ist er aber Feuer und Flamme. Als er die Weltgeschichte desTheatersvon Joseph Gregor erhlt, schreibt er an seinen spteren Libret-tisten: [I]ch verspreche Ihnen, auch fr dieses wieder so schn ausgestat-tete Buch eifrig Propaganda zu machen. [] Ist es auch in Deutschlandzu haben? Was kostet hier das einzelne Exemplar? Ich mchte im Ver-trauen damit ein paar interessante Dedikationen machen! Anschlie-end zitiert Strauss noch launig aus MozartsNozze di Figaro: Il resto nodico (Das Weitre verschweig ich) (. Dezember ).Was er hierverschweigt: Unter den Adressaten befinden sich Hitler und wohl auchGoebbels, zumal sich beide Hitler fr das Buch, Goebbels fr ein

    Weihnachtsgeschenk bei Strauss bedanken.In den nchsten Monaten sind die Kontakte mit der NS-Fhrungs-

    riege ebenso intensiv, wie sich Strauss in seiner neuen Rolle als Prsidentder Reichsmusikkammer engagiert. Geradezu freundschaftlich verkehrtdie Familie mit Hans Frank, zu jener Zeit bayerischer Justizminister;Strauss trifft mit den Ministern Wilhelm Frick (Reichsministerium desInnern), Hermann Gring (Luftfahrt) oder Bernhard Rust (Wissen-

    schaft, Erziehung und Volksbildung) zusammen. Naturgem besondershufig begegnet er dem stellvertretenden Prsident der Reichskulturkam-mer und dem Staatssekretr im Reichsministerium fr Volksaufklrungund Propaganda, Walther Funk sowie selbstverstndlich dem Propa-gandaminister selbst. Ihm widmet Strauss zur Erinnerung an den . No-

  • 7/24/2019 Richard Strauss - Meister der Inszenierung

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    253Der Unpolitische

    vember verehrungsvolldas LiedDas Bchlein, das er bereits am. Dezember geschrieben hat.Am . Februar ist er mit Hitler,Frau Goebbels (der Propagandaminister ist erkrankt), Werner Krauss

    und Franz Strauss bei Funk eingeladen, begleitet Viorica Ursuleac bei denLiedernBefreitund Ccilie, Heinrich Schlusnus wiederum u. a. bei Zu-eignung. Die Programmatik drfte auch hier wieder nicht ganz unbeab-sichtigt gewesen sein.

    Gemeinsam mit Franz verbringt Richard Strauss im Februar fastzwei Wochen in Berlin. Nach Hause berichtet er: Bubi und ich sindwohl und vergngt und in bester Harmonie. Ich erledige hier mndlich

    tausend Sachen mit bestem Erfolg und absoluter Autoritt und werde zuHause dann meine Ruhe haben. Heute abend Filmball, Dienstag beiFunk mit Hitler und Dr. Goebbels in kleinstem Kreis. / Gring war be-geistert von mir, telefonierte noch an Tietjen: ich sei ganz groe Klasse!/ Er war sehr komisch, will meine neue Oper (mit groem Vertrag!) frBerlin allein haben, was natrlich nicht geht. Aber jedenfalls bin ich hierjetzt bestens aufgehoben und kann erreichen, was ich will (an PaulineStrauss, . Februar ).Bereits zweieinhalb Monate spter nimmt erseine neue Rolle, wieder gegenber seiner Frau, mit heiterer Ironie aufsKorn und bringt ihr allem Anschein nach nur wenig Ernst entgegen:Freitag auf der Buchhndlertagung habe ich meine erste improvisierteRede geschwungen, nach Bubis Ansicht groer Fortschritt und allge-meine Begeisterung! Ja, so ein Prsident! Was fr ein groes Tier! Es istzum Lachen! (. April ).Schon wenige Tage zuvor lsst er in ei-nem weiteren Brief an sein Geliebtes durchblicken, dass sich seine

    Funktion nicht mit der Rolle als Komponist, in der er vor allem wahrge-nommen werden mchte, in Einklang bringen lsst einer der seltenenFlle, in denen schon jetzt ein melancholischer Tonfall in seinen ue-rungen mitschwingt, der erst rund um das Kriegsende in vollem Ausmaausbrechen wird: Wie komisch die Menschen sind: gewi bewundernmich die Menschen als Knstler. Aber dasganz groe Tierbin ich fr diemeisten erst als Prsident der R. M. K. (an Pauline, . April ).

    Seine privaten uerungen sind zuweilen hnlich distanziert oder spt-tisch. Zwei Tage nach der Machtergreifung unterschreibt er ohne,dass daraus hervorgehen wrde, worauf sich die Bemerkung bezieht eine Postkarte an Hans Knappertsbusch mit Ein tiefbetrbter Einsied-ler (. Februar ).Zwei Jahre spter unterzeichnet er eine Einladung

  • 7/24/2019 Richard Strauss - Meister der Inszenierung

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    254 6. Der Traum der Restauration

    zum Skat an den Mnchner Generalmusikdirektor: Mit hrzlichemSgad Hoyl! / der derz. Garmischer Sgadwldmeister! (an Knapperts-busch, . Februar ).

    Bei seinen in den Monaten seiner Prsidentschaft zahlreichen offiziel-len Auftritten inszeniert sich Strauss allerdings ganz als linientreuer Ap-paratschik. Allein im Februar hlt er zumindest drei Reden in Berlin, imApril folgen weitere Ansprachen am selben Ort sowie in Leipzig, wo eram . April dieAlpensinfoniedirigiert, die als Reichssendung im Rund-funk ertnt, und tags darauf den erwhnten improvisierten Vortrag pr-sentiert. Die Haltung, die Strauss als Funktionr einnimmt, lsst keinen

    Hauch von Selbstironie erkennen, dafr aber einen durchaus manifestenGestaltungswillen. Sein Ziel, Musik aus anderen Lndern ebenso zu ver-drngen wie die Sphre der Unterhaltungsmusik von der Operette biszu den Bearbeitungen, die von Kur- und Badeorchestern gespielt werden,systematisch zu reglementieren, vertritt er zwar unter dem Deckmantelder Interessen aller ernsten Komponisten (mit Ausnahme der Atona-len, ber die sich seine Meinung und die der Nationalsozialisten voll-kommen decken). Dass Strauss dabei allerdings auch und im Zweifelsfallzuvrderst seine eigenen Interessen im Auge hat, geht aus seinen Aktivit-ten whrend seiner Reichsmusikkammer-Prsidentschaft eindeutig her-vor. So mchte er etwa dem Prsidenten der Reichstheaterkammer OttoLaubinger seine Besorgnisse mitteilen [], da die Spielplne unsererOperntheater sich fortwhrend auf absteigender Linie in der Richtungimmer grerer Verflachung und Oberflchlichkeit bewegen. Das ausln-dische Repertoire, besonders die Italiener, nehmen jetzt eine immer mehr

    vorherrschende Stellung ein, wenn nicht durch einen Ukas [Erlass] vonOben diesem Spiel der Faulheit Einhalt geboten wird. Auch hier vergisster nicht, explizit auf seine selbstverstndlich bei Weitem zu wenig ge-spielten eigenen Werke zu verweisen. Bei dem heutigen Betrieb ist jedestaatliche Subvention hinausgeworfenes Geld, und wenn unsere Opern-huser keine Kultursttten, sondern nur Vergngungslokale sein sollen,ist es besser, man verpachtet sie an spekulative Brsenmnner [].

    Ebenso habe ich schon des fteren beim Herrn Minister [Goebbels] dar-auf gedrungen, da aus unseren subventionierten Opernhusern, viel-leicht mit Ausnahme der Fledermaus, die Operette gnzlich verbanntund der Privatinitiative berlassen werde (. Dezember ).

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    Kein anderer Komponist hat Frauenfiguren derart in das Zentrum seines

    Opernschaffens gerckt wie Richard Strauss. Allein die Titel von Salome

    und Elektra bis hin zu Daphne und Die Liebe der Danae betonen die-

    sen Umstand. In jenem halben Jahrhundert, das diese Werke umreien,

    wandelte sich das Geschlechterverhltnis durch die Errungenschaften der

    Frauenbewegung und die Erkenntnisse der Psychoanalyse grundlegend

    worauf Strauss und seine Librettisten geradezu seismographisch reagierten.

    Die Beitrge dieses Heftes befassen sich unter anderem mit Strauss musika-

    lischer Zeichnung gegenstzlicher Frauengestalten sowie mit den Heroinen

    aus den letzten, whrend des Dritten Reichs entstandenen Opernprojekten.

    2012. 128 S. ZAHL. S/W-ABB. BR. 165 X 230 MM.

    ISBN 978-3-205-78805-8

    DANIEL BRANDENBURG,

    FRIEDER REININGHAUS (HG.)

    DANIEL ENDER,

    DORIS WEBERBERGER (RED.)

    RICHARD STRAUSS UND

    DAS ANDERE GESCHLECHT

    STERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT (MZ)

    JG. 67, HEFT 1/2012

    bhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: +43 1 330 24 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien kln weimar

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