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ENTWICKLUNG REPORT 952

Riementrieb versus Kettentrieb

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Page 1: Riementrieb versus Kettentrieb

ENTWICKLUNG REPORT

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RIEMENTRIEB VERSUS

KETTENTRIEB

In den Entwicklungsabteilungen der Automobilhersteller und ihrer

Zulieferindustrie ist gegenwärtig Detailarbeit gefragt. Die Verringerung

von CO2-Ausstoß und Kosteneinsparungen beherrschen deren Über-

legungen. Dabei rückt in den letzten Jahren der Steuertrieb von

Motoren immer mehr in den Vordergrund. Und hier insbesondere

eine Abwägung der Vor- oder Nachteile von Ketten- und Riementrieb.

Auf einen einfachen Nenner gebracht: weniger Reibung + weniger

Gewicht = weniger Kraftstoffverbrauch. Und daraus resultiert ein

geringerer CO2-Ausstoß.

BILD © BMW

12I2013 74. Jahrgang 953

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DER RIEMENTRIEB – DIE REVOLUTION

Während Innovationen im Motorenbau die Ventile von unten oder seitlich stehend nach oben in den Motorraum hängend verlagerten, mussten Überlegungen zu deren Antrieb getätigt werden. Der „direkte“ Antrieb der Nockenwelle über Stirnräder, eine Königswelle oder Schubstange wich zugunsten des Ketten- beziehungsweise Riementriebs. Bereits vor mehr als 130 Jahren ließ sich der Schweizer Hans Renold die Hülsenkette und 1895 die Zahnkette patentieren. Von diesem Zeitpunkt an revolutio-nierte der Kettentrieb die Industrie. Erst viele Jahrzehnte später, 1962, wird der Zahnriemen im Motorenbau für den Nocken wel-lenantrieb entwickelt und in Serie verbaut. Die Hans Glas GmbH, Dingolfi ng, übernahm durch diese Innovation zum damaligen Zeitpunkt die Vorreiterrolle im Segment der Motoren mit klei-nerem Hubraum. Dies stellte eine Sensation im Motorenbau dar. Alle anderen Hersteller hielten bei ihren verwendeten Motoren erst einmal an der Steuerkette fest. Seitdem hat sich vieles ver-ändert, insbesondere die Materialien und der Aufbau von Riemen beziehungsweise Kette und der zur Verfügung stehende bauart-bedingte Motorraum.

LUDGER MÜNCH Director Engine Hardware Engineering bei GM/Opel

INTERVIEW: Detlef Krehl

2 FRAGEN AN …MTZ _ Geht Ihre Entwicklungsabteilung weg von der „traditionellen“ Steuerkette auch auf den Zahnriemen? Oder bleiben Sie der Steuerkette treu? Wenn ja, warum?MÜNCH _ Bei den Zahnriemen sehen wir zurzeit den Trend zu „in Öl laufenden Riemen“. Insgesamt sehe ich aber auch längerfristig für beide Systeme eine Zukunft. Wir beschäftigen uns derzeit für die kommenden Opel-Motorgenerationen mit beiden Alternativansätzen: Ketten- und Riemenlösungen. Allerdings werden die Steuertriebs-Systemoptimierungen und die System-Detaildefi nition klar von den CO2-Reduktionszielen dominiert.

Gibt es auch noch andere Vorteile oder gravierende Nachteile für die eine oder die andere Lösung?Bei der Entscheidung Steuerkette oder Zahnriemen spielen viele Kriterien eine Rolle. Neben dem erforderlichen Bau-raum ist dies beispielsweise die Reibung und damit der Einfl uss auf CO2-Emissio-nen. Aber auch das Systemgewicht, die Geräuschcharakteristik, die Kosten und die Wartungsfreundlichkeit sind zu betrachten. Die Frage, welches System besser sei oder welches System zukünf-tig verstärkt in neuen Motoren zu fi nden sein wird, ist nicht leicht zu beantwor-ten. Die Systementscheidung muss viel-mehr aus der besten Balance der diver-sen Kriterien und dann zum Schluss im Gesamtkontext der jeweiligen Motorar-chitektur betrachtet und während der Motorentwicklung gefällt werden.

1,0-l-SIDI-Turbomotor – Opels neuester Motor mit Zahnkette (Bild © Opel)

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12I2013 74. Jahrgang 955

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FUNKTIONSWEISE UND AUFBAU

Für die Steuerung der Ventilöffnungs-zeiten (Ein- und Auslassventile) – gere-gelt durch die Drehzahl der Nocken-welle, wegen des Viertaktprinzips dreht sich die Nockenwelle mit der halben Geschwindigkeit der Kurbelwelle – ist entweder eine Steuerkette oder ein Zahn-riemen zuständig und notwendig. Beide übernehmen jeweils anhand ihrer Anwendung die Aufgabe einer Verbin-dung der Kurbel- mit der Nockenwelle. Als Argument wurde bisher die Über-tragung maximaler Drehmomente für

die eine oder andere Lösung ins Spiel gebracht.

Bei den Riemen unterteilt man auf-grund des Basismaterials in CR-Riemen (Chlororenekautschuk – CR, Polymerisat auf Chlorbutadien-Basis) und PU-Riemen (Polyurethan). Über die Zähne des CR-Riemens wird vor dem Vulkanisations-verfahren (Einzelfertigung) eine schüt-zende und stabilisierende Nylon-Gewebe-schicht eingelegt. In Form eines breiten Bands (Wickel) werden die PU-Riemen im Extrusionsverfahren hergestellt und im Anschluss auf die gewünschte Breite (Einzelriemen) geschnitten. Immer höhe re

Anforderungen zwingen die Industrie zum Übergang vom CR- auf den ACN-HNBR-Riemen (Acrylonitril-hydrierter Nitril-Butadien-Kautschuk). Das Basis-material erfährt eine zusätz liche Beimi-schung von Fasern: E-Glas (Electrical – gute Zug- und Festigkeitswerte und Stei figkeit) und/oder K-Glas (Kohlenstoff – Carbon). Dieser hochspezifische Ver-bundwerkstoff in Form eines Zahnrie-mens erfüllt alle Voraussetzungen die es ihm ermöglichen, zusätzlich durch ein Ölbad geführt zu werden. Eine solche Verfahrensweise war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Daher bündelt ein im

Neuer Vierzylindermotor von Alfa Romeo mit Zahnriementrieb im Alfa 4 C (Bild © Alfa/Fiat)

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Ölbad laufender Zahnriemen noch zu-sätzliche Vorteile: schmalere Bauweise gegenüber der trockenlaufenden Vari-ante, Geräuschentwicklung gegen Null – Dämpfung durch das Öl, im Praxistest er-zielte höhere Dauerhaltbarkeit, Reduktion von Schwingungen und Freisetzung von CO2. Zusätzlich müssen aber auch die Spannrollen, Umlenkrollen und Zahn-scheiben bei der Entwicklung in Betracht gezogen werden. Gewichtseinsparung ist hierbei das Thema. Ziel ist es, nach Aus-sage der Entwickler, vorerst mit einfa-cheren und gleichzeitig leichteren Spann-systemen ihrem Ziel näher zu kommen.

Dahingehend, gänzlich ohne zusätzliche Riemenspannhilfsmittel auszukommen.

Bisherige Vorteile der Steuerkette sind unter anderem das Überbrücken größerer Abstände zwischen den einzelnen Bautei-len. Genauso war es bisher dem Ketten-trieb vorbehalten, das größere Drehmo-ment und die damit verbundene Kraft ent-wicklung weiterzuleiten. Während ihres Produktionsprozesses werden Ketten be-reits vorgelängt, um ihrem eigentümli-chen Merkmal des Längens entgegenzu-wirken. Die Zuhilfenahme von Gleitschie-nen und Kettenspannern mildert die Geräuschentwicklung und sorgt für die

richtige Vorspannung auf den freien Lauf-längen, wodurch das sogenannte Peit-schen, das Schwingen der Kette in Biege-richtung, verhindert wird. Gegenüber dem früher eher gebräuchlicheren Einbau von Duplexketten (doppelte Rollenkette) kommen je nach Anforderung Simplex (einfache Rollenkette) oder aber eine invertierte Zahnkette zum Einsatz. Im Audi TT RS ist aktuell ein zweistufiger Kettentrieb (der aus einer besonders leise laufenden Zahnkette, einer Rollenkette und einem Zwischenrad besteht) für die Übertragung zwischen der Kurbel- und der Nockenwelle verantwortlich.

Bild [M] © ContiTech

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WAS MEINEN WIR DAZU?

„GRUNDLEGENDE ERWÄGUNGEN DER GEGENWART UND ZUKUNFT SIND EINMAL DER KOSTENFAKTOR UND ZUM ZWEITEN DIE VERRINGERUNG VON CO2.“

Hierbei spielt der wirtschaftliche Faktor eine ausschlaggebende Rolle. Und dies, neben anderen Details der Fahrzeugentwicklung, insbesondere in der Motoren herstellung. Aus Downsizing und Gewichts ein sparung resultieren ein geringerer Verbrauch und eine damit ein-hergehende Reduktion von CO2. Eine wichtige Erkenntnis zeigt die Material forschung immer wieder auf. Die Möglichkeiten von gestern, die einmal als unmöglich galten, können heute bereits realisiert werden. Nur eines darf nicht von der Auto mobilindustrie und ihren Zulieferern praktiziert werden: eine nicht ausgereifte Technik auf Kosten des Endver brau chers am Markt lancieren.

DETLEF KREHLMTZ-Korrespondent

TRADITION ODER PHILOSOPHIE?

Auf die Frage: Steuerkette oder Zahn-riemen für den Ventiltrieb, antworteten Motorenentwickler aus den Entwick-lungsabteilungen der verschiedensten Automobilhersteller sehr unterschied-lich. Eine eindeutige Tendenz kristalli-siert sich dennoch heraus. In den Jahren zuvor konnte man einen Zuwachs an Breite und Länge der Zahnriemen fest-stellen, um alle Nebenaggregate antrei-ben zu können. Durch die Veränderung im Fahrzeugbau, Karosserie, Fahrwerks- und Beleuchtungstechnik verändert sich der gesamte Aufbau und damit einher-gehend der zur Verfügung stehende Motorraum. Das wiederum nötigt die Ingenieure, den immer kleiner werden-den Bauraum sinnvoll zu nutzen.

Die Zulieferindustrie trägt durch ihre innovative Materialerforschung einen großen Anteil an der Veränderung bei. Die Weiterentwicklung und die damit verbundene Veränderung von Grund-werk stoffen sowie der Elektrotechnik ermöglicht im Motorenbau einen Ver-zicht auf die langen und energieauf-zehrenden Antriebsriemen. Sukzessive fließen die Erkenntnisse aus jahrelanger Forschung in die Produktion. Somit erhalten die Motorenentwickler die Möglichkeit, die gesetzlichen Vorgaben zur Reduktion von CO2 durch Baugrö-ßenverringerung in eine positive Rich-tung zu verwirklichen. Leichtbau dank festerer Stähle und Nutzung von Ver-bundwerkstoffen tragen dazu bei, das vorgegebene Ziel von Einsparungen an Gewicht und Kraftstoffverbrauch zu realisieren. Auch bei der Herstellung von Steuerketten konnte in der jüngsten Vergangenheit eine zukunftsfähige Ent-wicklung fest gestellt werden. In den

Steuerkette (Bild © Schaeffler)

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Produktionsprozessen und bei der Materialauswahl ist dies insbesondere wahrnehmbar. Daraus resultiert eine Verringerung der Teilungen (Abstand zwischen Kettengelenke in Längsrich-tung) von ehemals 9,525 mm auf 8,0 beziehungsweise 6,35 mm. Ein direkte-rer Eingriff in das Kettenrad ist damit gewährleistet. Bei Ford hat man ein tri-hexagonales (unrundes) Riemen-triebrad für den 1,0-l-EcoBoost-Motor entwickelt, um die Drehschwingungs-kräfte auf den Riementrieb zu reduzie-ren. Der bauart bedingte ungleichför-mige Motorlauf eines Dreizylinders machte diese Entwicklung notwendig. Bei Ford ist „ECO“ schon Bestandteil des Motor namens, um auf die sehr ernst genommene Aufgabenstellung hinzu weisen. Fast unglaubliche Anstrengungen wurden anhand der Vorgaben des Lastenhefts während der Entwicklung in einzelne Motorbauteile

investiert. Als Ergebnis unterschied-licher Überlegungen erfreuen sich die Motorenbauer über Verbesserungen in Promillebereichen gegenüber dem beste-henden Ist-Zustand. 0,1 % längte sich ein Riemen bei Dauertestversuchen nach 240.000 km. Hingegen verfünffachte sich die Längen ausdeh nung bei einer Kette und veränderte dadurch die Steuerzeiten, wodurch eine geringere Leistung und ein höherer Verbrauch festzustellen war. Ein wei teres Beispiel: Der Riementrieb eines 1,6-l-Ottomotors reduziert den Kraftstoffverbrauch um mehr als 1 % und spart bis zu 1,5 g CO2/km ein.

Aktuell sprechen somit viele Para-meter im Downsizingsegment für die Nutzung eines Riementriebs. „Die Frage, ob der Zahnriemen die Kette ersetzen kann, ist nur scheinbar eine akademische Diskussion unter Techni-kern“, so Axel Unruh aus der Produkt-entwicklung der ContiTech Power Trans-

mission Group. „Tatsächlich geht es um mehr: Ein Riemen läuft wesentlich widerstandsärmer und ist – vor allem zusammen mit seinen Systemkompo-nenten – viel leichter als Kettenantriebe.“

EINDEUTIGE TENDENZ ZUM FORTSCHRITT

Auf den unterschiedlichen Weltmärkten war bisher tradi tionell die Steuerkette die meistgenutzte Antriebs variante. In Europa hat sich dies bereits umgekehrt. Etwa 60 % der Motoren werden von einem Zahnriemen getrieben. Fazit aller Aussagen ist: Gegenwart und Zukunft entscheiden in immer schnelleren Ent-wicklungszyklen die Richtung. Dabei bleiben jedoch immer der Umweltgedanke und die damit verbundene Reduktion von CO2 im Fokus.

Detlef Krehl

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KST.Ihr Entwicklungsdienstleister

KST Motorenversuch GmbH & Co. KGBruchstraße 24-32D-67098 Bad DürkheimT +49 (0) 6322-799-0 F +49 (0) 6322-799-353www.kst-motorenversuch.de

Gesellschaft für Entwicklung und Versuch mbH (GEVA) Friedrich-Wöhler-Straße 1D-12489 Berlin-AdlershofT +49 (0) 30-63 92 74-10 F +49 (0) 30-63 92 74-70www.geva-adlershof.de

Überblick Entwicklungsschwerpunkte:

•Entwicklung, Applikationvon Pkw-Motoren inkl. Fahrver-such - sowie Nfz-, Off Highway-und Großmotoren

•Powertrain, Hybride AntriebeAntriebsstrang- und Getriebeerprobung

•Vollmotoren- Schwenkprüfstände

zur Erprobung und Entwicklung des Ölhaushalts (Pkw + Nfz)

•Abgasanlagen-EntwicklungThermoschockprüfung,BetriebsschwingungsanalyseHeißgasbrenner, Shakerprüfung

•CEC zertifi zierte Betriebsstofftests

•Bauteilstrukturprüfungsowie Schleuder- und Bersttests

•E-MobilitätEntwicklung elektrischer Antriebskomponenten

•Komponenten-PrüfungTurboladererprobung

•AbgasemissionenMotorabstimmung/ Zertifi zierung

•Online-Ölverbrauch- und Ölverdünnungsmessung