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RISIKOADÄQUATE BEWERTUNG NICHT-BÖRSENNOTIERTER UNTERNEHMEN EIN ALTERNATIVES KONZEPT Robert K. von Weizsäcker a und Katja Krempel b Juni 2004 I. EINLEITUNG Jede unternehmerische Entscheidung ist eine Entscheidung unter Unsicherheit. Keine Theorie, kein Modell kann daran etwas ändern. Die in der Wirtschaftswissenschaft, und hier insbesondere in der Finanzwirtschaft, entwickelten Ansätze zur Kapitalmarkttheorie und Unternehmensfinanzierung sind freilich nicht umsonst mit mehreren Nobelpreisen ausgezeichnet worden. Es wurden substanzielle Fortschritte erzielt. Ein tieferes Verständnis der eigentlichen Natur der Unsicherheit hat uns gleichwohl nicht in die Lage versetzt, der wissbegierigen Praxis ein fertiges Rezept zur Quantifizierung von Risiken an die Hand geben zu können. Sie hat uns vielmehr in die Lage versetzt, die richtigen Fragen stellen zu können. Mehr nicht? Der Purist würde antworten: Mehr nicht. Aus Sicht der Praxis lautet das Urteil: Natürlich lässt sich aus den Erkenntnissen der kapitalmarktorientierten Finanzwirtschaft, die expressis verbis die Rolle der Opportunitätskosten des Kapitals in ihre Überlegungen einbezieht, noch mehr herausholen. Doch der Drang der Praxis nach Konkretisierung und Implementierung führt regelmäßig zu fehlgeleiteten Anwendungen und fundamentalen Missverständnissen. Ein lebendiges Beispiel dafür bietet das weite Feld der Unternehmensbewertung. II. UNTERNEHMENSBEWERTUNG Die Praxis der Unternehmensbewertung kennt inzwischen eine Vielzahl von Verfahren – wissenschaftlich fundierte und wissenschaftlich weniger fundierte. Gerade in der deutschen Bewertungspraxis, die es in der überwiegenden Zahl der Fälle mit mittelständischen, meist nicht börsennotierten Unternehmen zu tun hat, wird z.B. häufig die Multiplikatormethode verwendet. In den USA, zunehmend aber auch in Europa, haben sich indes Bewertungsansätze durchgesetzt, in deren Mittelpunkt zukünftige Ertragsströme des zu bewertenden Unternehmens stehen. Künftige Unternehmenserträge sind freilich, wie alles, was mit der Zukunft zu tun hat, unsicher. Die Quellen der Unsicherheit liegen zum Teil in der Hand des Unternehmers, zum Teil – vielleicht sogar zum größeren Teil – liegen sie jedoch außerhalb seines Entscheidungsspielraumes. Ursachen der Unsicherheit sind zum einen Probleme der unvollständigen und asymmetrischen Information und zum anderen Fragen nach der anzuwendenden Methode der Unsicherheitsberücksichtigung. Die erstgenannte Schwierigkeit kann durch eine Vergangenheitsanalyse etwa der Marktentwicklung, der Wettbewerbssituation, der Rolle des technologischen Wandels und dessen Einfluss auf Produktsortiment und Produktionsbedingungen in Angriff genommen, wenn auch nicht gänzlich gelöst werden. Dieser Beitrag befasst sich im folgenden mit dem zweitgenannten Problem, den methodischen Fragestellungen. a Prof. Dr. Robert K. Frhr. von Weizsäcker, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, Technische Universität München; Research Fellow des Centre for Economic Policy Research (CEPR), London, des CESifo, München, sowie des IZA, Bonn. b Dipl.-Kffr. Katja Krempel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Technische Universität München.

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RISIKOADÄQUATE BEWERTUNG NICHT-BÖRSENNOTIERTER UNTERNEHMEN – EIN ALTERNATIVES KONZEPT

Robert K. von Weizsäckera und Katja Krempelb

Juni 2004

I. EINLEITUNG Jede unternehmerische Entscheidung ist eine Entscheidung unter Unsicherheit. Keine Theorie, kein Modell kann daran etwas ändern. Die in der Wirtschaftswissenschaft, und hier insbesondere in der Finanzwirtschaft, entwickelten Ansätze zur Kapitalmarkttheorie und Unternehmensfinanzierung sind freilich nicht umsonst mit mehreren Nobelpreisen ausgezeichnet worden. Es wurden substanzielle Fortschritte erzielt. Ein tieferes Verständnis der eigentlichen Natur der Unsicherheit hat uns gleichwohl nicht in die Lage versetzt, der wissbegierigen Praxis ein fertiges Rezept zur Quantifizierung von Risiken an die Hand geben zu können. Sie hat uns vielmehr in die Lage versetzt, die richtigen Fragen stellen zu können. Mehr nicht? Der Purist würde antworten: Mehr nicht. Aus Sicht der Praxis lautet das Urteil: Natürlich lässt sich aus den Erkenntnissen der kapitalmarktorientierten Finanzwirtschaft, die expressis verbis die Rolle der Opportunitätskosten des Kapitals in ihre Überlegungen einbezieht, noch mehr herausholen. Doch der Drang der Praxis nach Konkretisierung und Implementierung führt regelmäßig zu fehlgeleiteten Anwendungen und fundamentalen Missverständnissen. Ein lebendiges Beispiel dafür bietet das weite Feld der Unternehmensbewertung.

II. UNTERNEHMENSBEWERTUNG Die Praxis der Unternehmensbewertung kennt inzwischen eine Vielzahl von Verfahren – wissenschaftlich fundierte und wissenschaftlich weniger fundierte. Gerade in der deutschen Bewertungspraxis, die es in der überwiegenden Zahl der Fälle mit mittelständischen, meist nicht börsennotierten Unternehmen zu tun hat, wird z.B. häufig die Multiplikatormethode verwendet. In den USA, zunehmend aber auch in Europa, haben sich indes Bewertungsansätze durchgesetzt, in deren Mittelpunkt zukünftige Ertragsströme des zu bewertenden Unternehmens stehen. Künftige Unternehmenserträge sind freilich, wie alles, was mit der Zukunft zu tun hat, unsicher. Die Quellen der Unsicherheit liegen zum Teil in der Hand des Unternehmers, zum Teil – vielleicht sogar zum größeren Teil – liegen sie jedoch außerhalb seines Entscheidungsspielraumes. Ursachen der Unsicherheit sind zum einen Probleme der unvollständigen und asymmetrischen Information und zum anderen Fragen nach der anzuwendenden Methode der Unsicherheitsberücksichtigung. Die erstgenannte Schwierigkeit kann durch eine Vergangenheitsanalyse etwa der Marktentwicklung, der Wettbewerbssituation, der Rolle des technologischen Wandels und dessen Einfluss auf Produktsortiment und Produktionsbedingungen in Angriff genommen, wenn auch nicht gänzlich gelöst werden. Dieser Beitrag befasst sich im folgenden mit dem zweitgenannten Problem, den methodischen Fragestellungen.

a Prof. Dr. Robert K. Frhr. von Weizsäcker, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, Technische Universität München; Research Fellow des Centre for Economic Policy Research (CEPR), London, des CESifo, München, sowie des IZA, Bonn. b Dipl.-Kffr. Katja Krempel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Technische Universität München.

Risikoadäquate Bewertung nicht-börsennotierter Unternehmen – Ein alternatives Konzept 2

III. DIE DISCOUNTED CASH FLOW-METHODIK

Die internationale Dominanz anglo-amerikanischer Investmentbanken hat dazu geführt, dass der Shareholder Value (vgl. Rappaport, 1997) zum Maß aller Dinge erklärt wurde und damit Bewertungsansätze in den Vordergrund traten, die durch eine strenge Kapitalmarktorientierung und den Oberbegriff „Discounted Cash Flow-Verfahren“ gekennzeichnet sind. Kapitalsuchende Unternehmen werden sich – bedauerlicherweise oder nicht – daran gewöhnen müssen, auf internationalen Finanzmärkten nach den Maßstäben internationaler Kapitalgeber und damit nach Shareholder Value-Konzepten beurteilt zu werden. Die Discounted Cash Flow-Verfahren ermitteln den Marktwert eines Unternehmens als Marktwert des Gesamtkapitals bzw. den Shareholder Value als Marktwert des Eigenkapitals, indem sie die zukünftig verfügbaren freien Mittel in die Gegenwart diskontieren. Charakteristisch für diese Verfahren ist die Bestimmung der in den Diskontierungssatz einfließenden Renditeforderung der Eigenkapitalgeber auf der Grundlage kapitalmarkt-theoretischer Modelle, insbesondere des Capital Asset Pricing Model (CAPM). Im Kern kombinieren alle Methoden der Wertermittlung drei Faktoren: den Cash Flow, die Zeit und das Risiko. Auf zukünftige Ertragsströme gestützte Verfahren benötigen für die Rechenbarkeit der mit der Zukunft unweigerlich einhergehenden Unsicherheit finanzwirtschaftliche Instrumente der Risikoquantifizierung. Zwei methodische Ansätze sind hier zu nennen. Zum einen das klassische Ertragswertverfahren, zum anderen der an einer wertorientierten Unternehmenssteuerung ausgerichtete DCF-Ansatz. Das Ertragswertverfahren versucht die Unsicherheit bei der Unternehmensbewertung entweder durch die Sicherheitsäquivalenzmethode oder die Risikozuschlagsmethode zu erfassen. Unter einem Sicherheitsäquivalent versteht man dabei jenen sicheren Betrag, der für den Investor den gleichen Nutzen stiftet wie die mit Unsicherheit behafteten Unternehmenserträge. Vergegenwärtigt man sich den Unternehmenswert als Barwert diskontierter zukünftiger Ertragsströme – also als einen Bruch, in dessen Zähler der Ertragsstrom und in dessen Nenner der Kapitalisierungszinssatz erscheint – so greift die Sicherheitsäquivalenzmethode in den Zähler ein, indem sie einen Abschlag von den als unsicher einzustufenden Unternehmenserträgen vornimmt. Die Risikozuschlagsmethode wendet sich dagegen dem Nenner zu und berücksichtigt die Unsicherheit durch einen subjektiven Risikozuschlag zum Basiszins (vgl. z.B. Ballwieser, 2001).1 Unter dem Oberbegriff Discounted Cash Flow-Verfahren lassen sich verschiedene Ansätze zusammenfassen, deren wesentlicher Unterschied insbesondere darin besteht, wie die Fremdfinanzierung und die sich daraus ergebenden Steuerwirkungen in die Bewertung eingehen.

1 Bei Verwendung eines Risikozuschlages bzw. eines Sicherheitsäquivalents, das kleiner ist als der Erwartungswert der Unternehmenserträge, wird implizit davon ausgegangen, dass der jeweilige Entscheider risikoavers ist.

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Risikoadäquate Bewertung nicht-börsennotierter Unternehmen – Ein alternatives Konzept 3

DCF-Verfahren

Entity Approach(Bruttoverfahren)

Equity Approach(Nettoverfahren)

Adjusted Present Value Approach

Abbildung 1: Überblick über Ansätze der DCF-Methodik Die in der Bewertungspraxis am weitesten verbreitete Ausprägung der DCF-Methodik ist der so genannte Entity Approach auf Basis von Free Cash Flows. Die Free Cash Flows zeichnen sich durch ihre Finanzierungsneutralität aus, d.h. Zahlungsströme zwischen Unternehmen und Eigenkapital- bzw. Fremdkapitalgebern sowie die daraus resultierenden steuerlichen Wirkungen bleiben hier unberücksichtigt. Bei den Free Cash Flows handelt es sich also um Zahlungsströme aus dem Leistungsbereich des Unternehmens, die von Maßnahmen der Außenfinanzierung unabhängig sind. Die Diskontierung der Cash Flows erfolgt auf Basis eines Mischzinsfußes, der sich als gewichteter Durchschnitt aus den jeweiligen für Eigen- und Fremdkapital relevanten Zinssätzen ergibt und auch als „WACC“ (weighted average cost of capital) bezeichnet wird.

( )

alsEigenkapit des Marktwert:EKalsFremdkapit des Marktwert:FK

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FKEKFKsrr EKFKWACC +

⋅++

⋅−⋅= 1

Aufgrund der Finanzierungsneutralität der Free Cash Flows kommt die Kapitalstruktur des Unternehmens nur über diesen gewogenen Kapitalkostensatz zum Tragen. Im Rahmen des Equity Ansatzes werden zur Bewertung dagegen die Flows to Equity herangezogen, also jene Zahlungsströme, die ausschließlich den Eigenkapitalgebern zustehen. Folglich kommt bei der Diskontierung kein Mischzinssatz zum Einsatz, sondern allein die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber für das (verschuldete) Unternehmen. Der Shareholder Value ergibt sich direkt aus dem Barwert der Flows to Equity. Bei der dritten Variante, dem so genannten Adjusted Present Value Approach, handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren. Im ersten Schritt wird von der Fiktion ausgegangen, dass das Unternehmen vollständig eigenfinanziert ist. Der Wert dieses hypothetisch eigenfinanzierten Unternehmens ergibt sich durch Diskontierung der Free Cash Flows mit der Renditeforderung der Eigenkapitalgeber für das unverschuldete Unternehmen. Im zweiten Schritt werden dann die Auswirkungen der Fremdfinanzierung in das Bewertungskalkül einbezogen. Da Fremdkapitalzinsen die Steuerbemessungsgrundlage mindern und so zu Steuerersparnissen führen, steigt der Wert des Unternehmens durch die Fremdfinanzierung. Der Gesamtwert des Unternehmens ergibt sich als Summe aus dem

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Risikoadäquate Bewertung nicht-börsennotierter Unternehmen – Ein alternatives Konzept 4

Wert des unverschuldeten Unternehmens und dem Barwert der Steuerersparnisse („Tax Shield“). Allen Ausprägungen der DCF-Verfahren ist gemeinsam, dass Risikoaspekte ausschließlich in den Diskontierungssatz eingebunden werden. Dabei gründet sich die Risikoerfassung im Gegensatz zum Ertragswertverfahren nicht auf subjektive Risikozuschläge, sondern auf theoretische und empirische Erkenntnisse der Kapitalmarkttheorie. Nicht immer bleibt die Umsetzung dieser Erkenntnisse in der Praxis jedoch frei von Subjektivität. Kernbaustein der Bestimmung des Diskontierungssatzes in der DCF-Welt ist das aus der Finanztheorie bekannte Capital Asset Pricing Model, in zunehmendem Maße auch die Arbitrage Pricing Theory (vgl. Ross, 1976). Beiden Verfahren zur Quantifizierung der Eigenkapitalrendite ist eines gemein: Sie berücksichtigen als einzige Risikoquelle das so genannte „systematische“ Risiko, also das Marktrisiko, wenn man so will. Unberücksichtigt bleibt dagegen das „unsystematische“, firmenspezifische Risiko. Dies liegt in der Natur der Modelle. Bei beiden handelt es sich um klassische Kapitalmarktansätze aus der Portfoliotheorie. Das Capital Asset Pricing Model wurde nicht mit der Absicht entwickelt, in Verfahren der Unternehmensbewertung eingesetzt zu werden. Die aus der Verwendung des Capital Asset Pricing Model resultierenden Probleme, insbesondere bei der Bewertung nicht-börsennotierter Unternehmen, die gerade in Deutschland eine tragende Rolle spielen, werden im folgenden näher erörtert.

IV. DAS CAPITAL ASSET PRICING MODEL UND DIE BEWERTUNG NICHT-BÖRSENNOTIERTER UNTERNEHMEN

Die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber, die im Rahmen der DCF-Methodik in den Diskontierungsfaktor eingeht, ergibt sich auf Basis des Capital Asset Pricing Model wie folgt:

( )[ ]

( ) oliosMarktportf des Rendite erwartete:rµRisiko chesystematis das für Maß: β

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Das CAPM geht dabei von einer Zerlegung des gesamten Risikos in einen systematischen und einen unsystematischen Bestandteil aus. Die unsystematische Komponente ist firmenspezifisch und z.B. auf Unsicherheiten durch Managementfehler, Wettbewerbs-nachteile etc. zurückzuführen. Da das unsystematische Risiko durch Portefeuillebildung eliminiert werden kann, wird der Anleger für die Übernahme dieser Risikokomponente nicht entschädigt. Vielmehr ist die Renditeerwartung der Eigenkapitalgeber letztlich nur vom systematischen Risiko, ausgedrückt durch den (berühmt-berüchtigten) β-Faktor des Capital Asset Pricing Model, abhängig. Die Ableitung der Renditeforderung aus dem CAPM ist generell mit einigen Problemen verbunden. Zum einen wird dabei implizit von sehr restriktiven Annahmen über das Verhalten der Anleger sowie das Funktionieren des Kapitalmarktes ausgegangen. Zu den CAPM-Prämissen gehören unter anderem die Homogenität der Erwartungen aller Anleger, die beliebige Teilbarkeit der Unternehmensanteile, die Abwesenheit von Transaktionskosten sowie die vollständige Information aller Marktteilnehmer. Zum anderen bestehen bei der Bestimmung von risikolosem Zinssatz, Marktrendite und β-Faktor nicht unerhebliche Ermessensspielräume, so dass man es zwar scheinbar mit einer durch die Orientierung an

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kapitalmarkttheoretischen Modellen objektivierten Risikoprämie zu tun hat, die jedoch tatsächlich auch nicht frei von subjektiven Einflüssen ist. Schwerer wiegen die Nachteile des Capital Asset Pricing Model, wenn es um die Bewertung nicht-börsennotierter Unternehmen geht. In der Portfoliotheorie wird, wie bereits oben dargestellt, nur das systematische Risiko berücksichtigt, weil der Investor annahmegemäß das unsystematische Risiko wegdiversifizieren kann und folglich dafür keine Prämie am Markt erhält. Für eine einzelne Aktie, die in einem effizienten Kapitalmarkt gehandelt wird, mag diese Vorstellung gangbar erscheinen; und möglicherweise könnte man dann auch die klassischen CAPM-Voraussetzungen akzeptieren. Das gilt jedoch nicht für größere Beteiligungspakete und erst recht nicht für nicht-börsennotierte Unternehmen. Der CAPM-Risikozuschlag ist prinzipiell nur für solche Investoren näherungsweise akzeptabel, die geringe Unternehmensanteile erwerben oder über ein so großes Portfolio verfügen, dass die erworbenen Unternehmensanteile die unterstellte Diversifikation nicht unterlaufen. Typischerweise dürfte jedoch bei einem kompletten Unternehmenskauf das firmenspezifische Risiko kaum wegdiversifizierbar sein. Das bedeutet, dass der CAPM-Risikozuschlag des gängigen und breit angewandten DCF-Verfahrens das tatsächlich anzusetzende Risiko nicht korrekt bewertet. Vor diesem Hintergrund ist durchaus in Frage zu stellen, ob das in der anglo-amerikanischen Finanzwirtschaft dominierende Capital Asset Pricing Model überhaupt ein geeigneter Bewertungsbaustein sein kann. Dasselbe gilt prinzipiell auch für die Arbitrage Pricing Theory. Diese stellt jedoch insofern einen Fortschritt gegenüber dem CAPM dar, als sie die Beziehung zwischen Risiko und Rendite nicht aus einer ökonomischen Gleichgewichtsbedingung, sondern lediglich aus einer No Arbitrage-Bedingung ableitet, was auf einen Multifaktoransatz für das systematische Risiko hinausläuft. In der Tat deuten neueste Erkenntnisse zur empirischen Kapitalmarktforschung auf eine Überlegenheit des Multifaktoransatzes gegenüber dem β-Faktor des CAPM hin.

V. VERABSCHIEDUNG AUS DER CAPM-WELT

V.1 MARKTRISIKO Es stellt sich damit die Frage, wie denn die so wichtige firmenspezifische Risikokomponente methodisch erfasst werden könnte. Statt erneut den durch die Kapitalmarkttheorie vorgezeichneten Weg zu gehen, im vorliegenden Falle also die firmenspezifische Unsicherheit in einen eindimensionalen, wie auch immer bestimmten Aufschlag auf die Eigenkapitalrendite zu zwängen, wird ein alternativer Weg vorgeschlagen. Das systematische Risiko, also das Marktrisiko, wird als Aufschlag auf die Rendite einer risikofreien Kapitalanlage im Diskontierungssatz – und nur dort – berücksichtigt. Dabei wird in Anlehnung an das Arbitrage Pricing Model ein Multifaktoransatz gewählt, der etwa einen Branchenaufschlag sowie einen Indikator für die relative Wettbewerbsstellung des betrachteten Unternehmens umfasst.

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V.2 UNTERNEHMENSSPEZIFISCHES RISIKO

Die für Bewertung insbesondere nicht-börsennotierter Unternehmen so kritische firmenspezifische Unsicherheit wird dort belassen, wo sie entsteht, nämlich im Zähler, also in den freien Cash Flows und damit insbesondere im Preis-Mengengerüst der Unternehmensplanung. Hier lassen sich einige der wichtigsten Quellen des unternehmensspezifischen Risikos identifizieren und mit Hilfe von Monte-Carlo-Simulationen explizit modellieren. Ein impliziter, willkürlicher Aufschlag auf die risikoangepasste Renditeforderung der Eigenkapitalgeber wird vermieden. Die Unsicherheit wird nicht in eine einzige Zahl „gepresst“, sondern in ihre Mikroquellen zerlegt und anschließend in die Makroebene hochaggregiert. Auf diese Weise gelangt man zu einer ganzen Verteilung des erwarteten Unternehmenswertes, die durch verschiedene Kennziffern charakterisiert werden kann. Unternehmensspezifische Risikoquellen werden in jenen Faktoren ausgelotet, die den Strom der freien Cash Flows bestimmen. Sie sind folglich im Rahmen einer detaillierten Unternehmensplanung zu erfassen. Zu dieser zählen unter anderem Preis-Mengen-Gerüste, Materialaufwand, Personalaufwand, Investitions- und Abschreibungsplanungen, Kapitalstrukturüberlegungen, Ausschüttungspolitik sowie steuerliche Aspekte. Potentielle Quellen der unternehmensspezifischen Unsicherheit lassen sich überdies durch gezielte Befragungen ergründen. Der Unternehmer ist dabei nicht mehr gezwungen, sich auf eine Wahrheit festlegen zu müssen, und oft gelingt es, sein verstecktes Wissen über das Unwissen aufzuspüren und optimal zu nutzen. Die Planung wird auf eine rationalere Grundlage gestellt und man erzielt eine höhere Projektionssicherheit. Die Ableitung und Darstellung einer expliziten Wahrscheinlichkeitsverteilung für den Unternehmenswert vermeidet schließlich die in der Praxis häufig anzutreffende Doppelzählung von Risiken; die Disaggregierung in unternehmensspezifische Mikroquellen des Risikos legt die Struktur des Unsicherheitsproblems offen, so dass Doppelerfassungen entdeckt und ausgeräumt werden können.

VI. UNTERNEHMENSWERTVERTEILUNG

VI.1 ILLUSTRATION EINES ALTERNATIVEN KONZEPTS Ausgangspunkt einer Ableitung der Unternehmenswertverteilung ist – wie im voran-gegangenen Abschnitt erläutert – die sinnvolle Quantifizierung der unternehmens-spezifischen Unsicherheit. Um nicht allen potentiellen Risikoquellen detailliert auf den Grund gehen zu müssen, ist es ratsam, mit einer Ermittlung der wichtigsten Werttreiber zu beginnen (vgl. Rappaport, 1997). Das ist an sich schon ein Kapitel für sich. Herkömmliche Verfahren der Szenarioanalyse liefern z.B. häufig irreführende Ergebnisse, da sie das relative Gewicht der einzelnen Variablen nur als partielle Elastizität erfassen. Aussagefähige Sensitivitäten erhält man jedoch nur dann, wenn man drei Dinge berücksichtigt. Zum einen müssen alle Inputvariablen simultan variiert werden. Zum zweiten müssen potentielle Korrelationen zwischen den Inputs erfasst werden; dadurch wird ein zusätzlicher Unsicherheitsaspekt berücksichtigt, den eine isolierte Parametervariation übersehen würde, denn Unsicherheiten können sich gewissermaßen aufschaukeln, aber auch gegenseitig aufheben. Zum dritten sollte neben der partiellen Elastizität im Gerüst der Unternehmensbewertung auch die Unsicherheit der Inputvariablen Beachtung finden. Dieser letzte Punkt ist besonders wichtig und verfahrenstechnisch in der Praxis noch wenig verbreitet. Erst die simultane Einbeziehung

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von Variabilität und Unsicherheit liefert realitätsnahe Größenordnungen der Werttreiber. Eine Umsetzung dieser Vorgehensweise kann mit Hilfe einer Kombination aus kombinatorischer Optimierung und Monte-Carlo-Simulation erfolgen. Leider ist bis heute keines der standardmäßig zur Verfügung stehenden Software-Pakete dazu in der Lage. Sind die wichtigsten unternehmensspezifischen Risikoquellen identifiziert worden, so muss in einem nächsten Schritt die Unsicherheit dieser Größen charakterisiert und quantifiziert werden. Es gilt also, Wahrscheinlichkeitsverteilungen dieser Variablen bzw. ihrer Änderungsraten vor dem Hintergrund sämtlicher verfügbarer Informationsquellen zu bestimmen. Diese Stochastisierung wesentlicher Planungsparameter ist für die Aussagekraft der schlussendlich gewonnenen Unternehmenswertverteilung kritisch. Zukünftige Entwicklungen abzuschätzen ist immer schwierig, gelingt jedoch auf der Mikroebene erfahrungsgemäß besser als auf der Makroebene. Das hier entwickelte Verfahren disaggregiert die Unsicherheit in Mikroquellen der Cash Flow-Generierung und tastet sich auf diese Weise etwas näher an die Wurzeln des Unsicherheitsproblems heran. Der Anwender muss alle veröffentlichten Informationen zu der zu stochastisierenden Variablen zusammentragen, sollte durch eine entsprechende Befragung das Wissen des Unternehmensmanagements nutzen, sollte sich über die Eigenschaften der unterschiedlichen Verteilungstypen bei der Auswahl einer spezifischen Wahrscheinlichkeitsverteilung im Klaren sein und möglichst auch historische Daten verwenden, um aus deren Streuungseigenschaften Hinweise für den anzusetzenden Verteilungstyp zu gewinnen. Auf der Basis aller verfügbaren Informationen sowie der Einschätzung des betreffenden Marktes und der Leistungsfähigkeit seines Unternehmens kann der Unternehmer beispielsweise angeben, dass er im Jahr 2004 eine Steigerung der Absatzmenge eines für den Erfolg seines Unternehmens zentralen Produktes um 2 % erwartet (wahrscheinlichster Wert). Unter besonders günstigen Umständen hält er eine Steigerung von maximal 2,5 % für möglich; im ungünstigsten Fall sei eine Steigerung von 1,0 % zu erwarten. Die sich aus diesen Eckdaten ergebende Wahrscheinlichkeitsverteilung könnte die Form einer linksschiefen Dreiecksverteilung haben. Eine solche Abschätzung kann für alle Folgeperioden der Planung sowie für alle übrigen Variablen vorgenommen werden, was in der Summe aller Preis-Mengengerüst-Variationen zu einer stochastisierten Umsatzplanung führt. Sind alle potentiellen Quellen des unternehmensspezifischen Risikos in den Kategorien Umsatz, Materialaufwand, Personalaufwand, Working Capital sowie Investitionsstrategien – um nur einige wichtige Kategorien zu nennen – auf die beschriebene Weise variabilisiert worden, erfolgt im Rahmen einer Monte-Carlo-Simulation die Ableitung der sich aus einer Kombination aller stochastisierten Inputgrößen ergebenden Unternehmenswertverteilung. Dazu „zieht“ der Computer aus allen vorgegebenen Verteilungen, eingedenk eventueller Inputkorrelationen, jeweils einen zufälligen Wert und errechnet daraus – dem vorgegebenen DCF-Modell folgend – einen Unternehmenswert. Dieser Vorgang wird viele Male wiederholt (z.B. 1000-mal), so dass schließlich eine ganze Verteilung des Unternehmenswertes resultiert. Die Monte-Carlo-Simulation ist also ein numerisches Verfahren einer wiederholten Zufallsstichprobe aus vorgegebenen Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die kritischen Modellvariablen, in unserem Falle also die kritischen Größen für die unternehmensspezifische Unsicherheit. Am Ende erhält man ein Risikoprofil des Unternehmenswertes, das alle bekannten und erwarteten Unsicherheiten der realen Welt sowie die spezifischen Eigenschaften des betrachteten Unternehmens und der dort angewandten Strategie des Managements simultan berücksichtigt. Die sich in dieser Verteilung niederschlagende Gesamtunsicherheit aller das Schicksal der Unternehmung betreffenden Faktoren ist durch verschiedene Kennziffern charakterisierbar. Zum einen durch Lagemaßzahlen wie den Mittelwert (Erwartungswert) oder den Median.

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Letzterer kann anschaulich als ein Wert interpretiert werden, dessen Ordinate die Fläche unter dem Histogramm der Verteilung halbiert. Der Median ist unempfindlich gegen Ausreißer und seine Differenz zum Mittelwert liefert einen Hinweis für die Schiefe der Verteilung: Liegt er unterhalb des Mittelwertes, ist die Verteilung rechtsschief, liegt er oberhalb des Mittelwertes ist die Verteilung linksschief. Eine weitere Charakterisierung erfolgt durch Streuungsmaßzahlen wie etwa die Varianz, die einen Eindruck von der Volatilität des im Unternehmen gebundenen Vermögenswertes vermittelt. Schließlich lassen sich aus der gewonnenen Verteilung auch Momente höherer Ordnung ableiten, die immer dann das Phänomen der Unsicherheit zutreffender charakterisieren können als die bloße Varianz, wenn es sich um nicht-symmetrische Verteilungen handelt. Dadurch kann die klassische Zwei-Momente-Sicht der Unsicherheit aufgebrochen und es können ganz andere Fragen gestellt werden. Die Schiefe der Verteilung z.B. (das dritte Moment) erlaubt wichtige Erkenntnisse zu der Frage, wie sich Mikrorisiken kumulieren. Die Wölbung der Verteilung (viertes Moment) liefert Informationen zu den Risikospitzen. Auf diese Weise lassen sich neuartige Einblicke in Verzerrungen und Asymmetrien der Unternehmenswertverteilung und damit in die Natur der Unsicherheit gewinnen.

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VI.2 EIN NUMERISCHES BEISPIEL

Um die Vorteile des oben beschriebenen Konzepts aufzuzeigen, soll zunächst ein „traditionelles“ DCF-Modell zur Unternehmensbewertung aufgestellt werden (vgl. Abbildung 2). Historische Werte Detailplanungszeitraum Continuing Value

Geschäftsjahr 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 ff.

Umsatzerlöse 13.851 14.128 14.411 14.699 14.993 15.293 15.598

Sonstige betriebliche Erträge 178 212 216 220 225 229 234

Materialaufwand 6.121 6.182 6.244 6.306 6.370 6.433 6.498

Personalaufwand 3.989 4.049 4.110 4.171 4.234 4.297 4.362

Planmäßige Abschreibungen 853 777 793 808 825 841 858

Sonstige betriebliche Aufwendungen 631 636 648 661 675 688 702

Operatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) 2.435 2.696 2.832 2.972 3.115 3.262 3.413

Adaptierte Steuerzahlungen 925 1.025 1.076 1.129 1.184 1.240 1.297

Operatives Ergebnis vor Zinsen, nach adaptierten Steuern (NOPLAT) 1.510 1.672 1.756 1.842 1.931 2.023 2.116

Abschreibungen/Zuschreibungen 853 777 793 808 825 841 858 Erhöhung/Verminderung von langfristigen Rückstellungen 273 353 360 367 375 382 0

Operativer Brutto Cash Flow 2.636 2.802 2.909 3.018 3.131 3.246 2.974

Veränderungen des Nettoumlaufvermögens 181 141 144 147 150 153 0 Mittelabflüsse/Mittelzuflüsse aus Investitionen/Desinvestitionen 966 1.060 1.081 1.102 1.124 1.147 858

Free Cash Flow 1.851 1.883 1.972 2.063 2.156 2.252 2.116

Barwerte der Free Cash Flows 7.138 1.674 1.558 1.449 1.346 1.111

Barwert des Continuing Value 9.395

Marktwert des Gesamtkapitals (WACC-Ansatz) 16.533

Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals 6.128

Marktwert des Eigenkapitals (Shareholder Value) 10.405

Steuersatz 38,00%

WACC 12,50%

Abbildung 2: Berechnung des Unternehmenswertes anhand der DCF-Methode Der Detailplanungszeitraum reicht von 2004 bis 2008, ab 2009 wird von jährlich konstanten Free Cash Flows ausgegangen. Die Untersuchung historischer Daten hat in Verbindung mit einer Sensitivitätsanalyse ergeben, dass die wichtigsten Werttreiber die Wachstumsrate der Umsatzerlöse sowie die Entwicklungen von Materialaufwand und Personalaufwand sind. Für

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den betrachteten Basisfall wird zu rein illustrativen Zwecken bis zum Ende des Detailplanungszeitraums in 2008 von folgenden Werten ausgegangen:

− Die Wachstumsrate der Umsatzerlöse beträgt 2 %. − Der Materialaufwand steigt jährlich mit 1%. − Der Personalaufwand nimmt mit 1,5% zu.

Die Wertermittlung anhand des Entity Ansatzes führt zu einem Marktwert des Eigenkapitals in Höhe von 10.405.000 €. Über das entsprechende Risikoprofil des Unternehmenswertes können jedoch auf Basis einer traditionellen DCF-Bewertung keine Erkenntnisse gewonnen werden. Das kann nur erreicht werden, wenn die mit den Werttreibern verbundene unternehmens-spezifische Unsicherheit genauer spezifiziert wird. Eine detaillierte Analyse der verfügbaren Daten sowie Gespräche mit dem Management führen zu den folgenden Annahmen:

− Im wahrscheinlichsten Fall wachsen die Umsatzerlöse im Detailplanungszeitraum mit 1,5%. Im ungünstigsten Fall können die Umsätze jedoch nur auf dem gegenwärtigen Niveau konstant gehalten werden, d.h. die jährliche Wachstumsrate beträgt 0%. Falls die Erschließung eines neuen Marktes gelingt, so ist im besten Fall eine jährliche Steigerung um 2% möglich.

− Die Analyse der Preisentwicklung der wichtigsten Rohstoffe führt zu der Einschätzung, dass der Materialaufwand im Detailplanungszeitraum eine Steigerung zwischen 0,5% und 2% erfahren wird. Am wahrscheinlichsten erscheint eine Erhöhung des Materialaufwandes um 1% pro Jahr.

− In Bezug auf die Entwicklung des Personalaufwandes wird eine Steigerung um jährlich 1,5% für das wahrscheinlichste Szenario gehalten. Im günstigsten Fall ist lediglich mit einer Erhöhung um 1%, im ungünstigsten Fall mit einer Steigerung von 2,5% zu rechnen.

Die sich aus diesen Annahmen ergebenden relativen Häufigkeitsverteilungen nehmen für das Wachstum der Umsatzerlöse eine linksschiefe, für die Entwicklung von Material- und Personalaufwand die Form einer rechtsschiefen Dreiecksverteilung an. Die Durchführung einer Monte-Carlo-Simulation mit 10.000 Iterationen führt zu einer linksschiefen Unternehmenswertverteilung, die in Abbildung 3 dargestellt ist. Die entsprechenden Perzentile sowie die statistischen Maßzahlen, die diese Verteilung charakterisieren, sind in Abbildung 4 bzw. 5 aufgeführt.

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Frequency Chart

Certainty is 12,17% from 10.405 to +Infinity

Mean = 8.456,000

,005

,010

,015

,020

0

51

102

153

204

3.720 5.767 7.814 9.861 11.908

10.000 Trials 9.961 Displayed

Forecast: Marktwert des Eigenkapitals

Abbildung 3: Graphische Darstellung der Unternehmenswertverteilung (10.000 Iterationen)

Perzentil Marktwert des Eigenkapitals 0% 3.123

10% 5.976 20% 6.851 30% 7.588 40% 8.179 50% 8.669 60% 9.143 70% 9.564 80% 10.021 90% 10.540

100% 12.564 Abbildung 4: Perzentile Die Perzentile geben jeweils an, in wieviel Prozent der betrachteten Fälle der angegebene Marktwert des Eigenkapitals unterschritten wurde. So liegt z.B. in 70% der Fälle der Unternehmenswert unter 9.564.000 €.

Mittelwert 8.456 Median 8.669 Schiefe -0,40 Wölbung 2,47 Variationskoeffizient 0,20 Minimum 3.123 Maximum 12.564

Abbildung 5: Statistische Kennzahlen der Unternehmenswertverteilung

Univ.-Prof. Dr. Robert K. Frhr. von Weizsäcker und Dipl.-Kffr. Katja Krempel Juni 2004

Risikoadäquate Bewertung nicht-börsennotierter Unternehmen – Ein alternatives Konzept 12

Die Analyse der resultierenden Verteilung zeigt, dass der für den Basisfall berechnete Marktwert des Eigenkapitals von 10.405.000 € oder ein höherer Wert tatsächlich nur in 12,17% der Fälle erreicht wird. Eine alleinige Betrachtung des statischen Basisfalles verleitet den Entscheider also zu einer zu optimistischen Einschätzung des Unternehmenswertes. Dagegen ist es bei einer expliziten Betrachtung der Verteilung möglich, Erkenntnisse über das entsprechende Risikoprofil des Unternehmenswertes zu erhalten. Darüber hinaus ergeben sich bei einer Berücksichtigung der gesamten Unternehmens-wertverteilung wertvolle Hinweise für Preisgrenzen im Rahmen von Kauf- bzw. Verkaufsverhandlungen. Zum einen zeigt sich, innerhalb welcher Bandbreite die möglichen Unternehmenswerte liegen. Zum anderen lässt sich aus der Verteilung schließen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Marktwert des Eigenkapitals unter- oder überschritten wird. Auf Grundlage dieser Informationen kann beispielsweise ein potentieller Käufer – in Abhängigkeit von seiner individuellen Risikoneigung – seine Preisobergrenze für den Kauf eines Unternehmens festlegen.

VII. AUSBLICK: WACHSTUM, WERT UND RATING Abschließend sei erwähnt, dass das beschriebene Instrumentarium zur Ableitung einer Unternehmenswertverteilung auf vielfältige Weise einsetzbar ist. Eine Charakterisierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung des erwarteten Unternehmenswertes durch Mittelwert, Varianz und Schiefe erlaubt z.B. die Konstruktion neuartiger Ratingkennziffern für nicht-börsennotierte Unternehmen. Die oben angedeutete Konstruktion von Konfidenzintervallen kann herangezogen werden, um etwa anstelle dinglicher Sicherheiten ein geringeres Free Cash Flow-Konfidenzintervall zu setzen. Erste Anwendungen in der Praxis haben gezeigt, dass dieses Konzept in der Lage ist, einen durchaus unerwarteten Konflikt zwischen Rating und Unternehmenswert offen zu legen. In der Tat führen Maßnahmen, die auf ein verbessertes Rating abzielen, nicht notwendigerweise zu einem höheren Unternehmenswert. Hier spielt z.B. die Kapitalstruktur des betrachteten Unternehmens eine entscheidende Rolle. Auch die vielfach verfolgte Strategie eines stetigen Unternehmenswachstums mag in Konflikt geraten mit den Kategorien Wert und Rating. Die Unverträglichkeit der verschiedenen unternehmerischen Ziele tritt nicht immer und überall auf, sondern beschränkt sich häufig auf bestimmte Parameterkonstellationen. Das entwickelte Instrumentarium kann hier genutzt werden, um im Zuge einer realitätsnahen Variabilisierung die konfliktträchtigen Parameterkonstellationen zu identifizieren. Grundsätzlich wird durch das vorgestellte Verfahren die Größe „Risiko“ transparenter und berechenbarer. Das könnte auch einen Beitrag zum Problem einer ausreichenden Kapitalversorgung des Mittelstandes leisten. Denn durch die systematische Disaggregierung des Unsicherheitsproblems werden Schwierigkeiten der unvollständigen und asymmetrischen Information der Marktteilnehmer verringert und damit die Allokationseffizienz dieses Teils des Kapitalmarktes erhöht. Die Opportunitätskosten des Kapitals sollten dadurch zurückgehen, so dass risikobegründete Aufschläge der geforderten Eigenkapitalrenditen der Investoren gesenkt werden könnten. Ein optimistischer Schluss, zweifellos. Aber kein unrealistischer.

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LITERATURHINWEISE

Ballwieser, W. (2001), Unternehmensbewertung, in: Gerke, W., Steiner, M. (Hrsg.), Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, Band VI: Handwörterbuch des Bank- und Finanzwesens, 3. Auflage, Stuttgart, 2082-2095. Copeland, T., Koller, T., Murrin, J. (2000), Valuation: Measuring and Managing the Value of Companies, 3. Auflage, New York u.a. Mandl, G., Rabel, K. (1997), Unternehmensbewertung: Eine praxisorientierte Einführung, Wien. Rappaport, A. (1997), Creating Shareholder Value, New York u.a. Richter, F., (2002), Kapitalmarktorientierte Unternehmensbewertung: Konzeption, finanzwirtschaftliche Bewertungsprämissen und Anwendungsbeispiel, Frankfurt a. M. Richter, F., Timmreck, C. (2004), Unternehmensbewertung. Moderne Instrumente und Lösungsansätze, Stuttgart. Ross, S. A. (1976), The Arbitrage Theory of Capital Asset Pricing, Journal of Economic Theory, 13, 341-360.