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Skript zur Vorlesung “Risikomanagement und Derivate” Prof. Dr. Dr. Andreas L¨ offler bearbeitet von Dr. J¨ org Laitenberger letzte ¨ Anderung am 10. April 2007

Risikomanagement Und Derivate

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Skript zur Vorlesung“Risikomanagement und Derivate”

Prof. Dr. Dr. Andreas Lofflerbearbeitet von Dr. Jorg Laitenberger

letzte Anderung am 10. April 2007

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Inhaltsverzeichnis

1 Risikomanagement 41.1 Risikomanagement ist uberflussig ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2 Wozu Risikomanagement ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2 Ein Besuch im Derivate–Zoo 82.1 Arbitragefreiheit – eine Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.2 Unbedingte Termingeschafte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.2.1 Forwards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.2.2 Futures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.2.3 Swaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.3 Bedingte Termingeschafte (Optionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.3.1 Vanilla option (I): Calls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3.2 Vanilla option (II): Puts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3.3 Aus Vanillas zusammengesetzte Positionen . . . . . . . . . . . . . . . 162.3.4 Exotische Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.4 Motive fur den Einsatz von Termingeschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.4.1 Spekulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222.4.2 Hedging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3 Forwards und Futures 243.1 Arbitragefreiheit – eine zweite Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243.2 Zinsstrukturkurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253.3 Bestimmung von Futures– und Forward–Preisen . . . . . . . . . . . . . . . . 26

3.3.1 Forward–Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.3.2 Hedging mit Forwards und Futures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.3.3 Futures–Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303.3.4 Basisrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

4 Optionen 344.1 Put-Call-Paritat fur europaische Vanilla–Optionen . . . . . . . . . . . . . . . 344.2 Das Zwei–Zeitpunkte Zwei–Zustande Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4.2.1 Was passiert bei drei Zustanden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

5 Ein allgemeines Bewertungsmodell 415.1 Das Grundmodell bei zwei Zeitpunkten: Umweltzustande, Erwartungen und

Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415.2 Arrow–Debreu–Titel und Vollstandige Markte . . . . . . . . . . . . . . . . . 425.3 Arbitragefreie Markte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445.4 Die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit Q . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

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5.5 Theorie mit mehreren Zeitpunkten: das Binomialmodell . . . . . . . . . . . . 495.5.1 Umweltzustande, Erwartungen und Wertpapiere . . . . . . . . . . . . 495.5.2 Strategien und Vollstandige Markte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525.5.3 Arbitragefreie Markte und risikoneutrale Wahrscheinlichkeit . . . . . . 555.5.4 Ein Beispiel: der Preis eines Calls im Binomialmodell . . . . . . . . . 57

6 Die Black–Scholes–Formel zur Bewertung europaischer Optionen 626.1 Die Black–Scholes–Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626.2 Delta Hedging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

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1 Risikomanagement

1.1 Risikomanagement ist uberflussig !

Betrachten Sie eine deutsche Firma, die von einem japanischen Konzern zwecks Lieferung vonAusrustungsgegenstanden im Wert von 100 Mio. Yen angesprochen wird. Die Produktion derErzeugnisse dauert ein Jahr, wobei die Kosten in Hohe von 8,8 Mio. Euro am Anfang desJahres anfallen, wahrend die Zahlung naturgemaß erst bei Lieferung in einem Jahr stattfindenwird. Der Wechselkurs des Yen zum Euro wird in einem Jahr entweder bei 100 Yen je Eurooder bei 125 Yen je Euro liegen. Entsprechend werden also Einnahmen entweder in Hohe von10 Mio. Euro oder von 8 Mio. Euro erzielt, je nachdem wie sich der Wechselkurs des Yenentwickelt. Dir Firma rechnet aus diesem Geschaft also entweder mit einem Gewinn in Hohevon 1,2 Mio. Euro oder mit einem Verlust in Hohe von 0,8 Mio. Euro. Die Firma uberlegt,ob sie dieses Geschaft abschließen soll.

Daruber hinaus hat die Firma die Moglichkeit auf dem Kapitalmarkt einen Future abzu-schließen, mit dem sie in einem Jahr die 100 Mio. Yen zu einem festen Wechselkurs von 115Yen je Euro tauschen kann. Sollte die Firma diese Absicherungsstrategie nutzen und hat diesAuswirkungen auf die Entscheidung, den Auftrag anzunehmen ?

Das Management der Firma wird in Abhangigkeit des Aktienkurses der Firma bezahlt. Kanndas Management durch seine Entscheidungen bezuglich der Auftragsannahme und der Absi-cherungsstrategie seine Verdienstmoglichkeiten verbessern ?

Auf vollkommenen und vollstandigen Kapitalmarkten1 lassen sich diese Fragen eindeutig be-antworten. Fangen wir mit der letzten Fragestellung an. Kann das Risikomanagement einerFirma (die Anzahl und Qualitat der Absicherungsstrategien) einen Einfluss auf den Unter-nehmenswert haben ? Dies konnte nur dann der Fall sein, wenn die Firma durch das Risi-komanagement fur mogliche Aktionare interessanter oder weniger interessant werden wurde,wenn also das Risikomanagement die Zahlungen des Unternehmens an die Anteilseigner mehroder weniger wunschenswert machen wurde. Angenommen das Unternehmen wurde derzeitvornehmlich von Investoren gehalten, die es bevorzugen, wenn keine Absicherungsstrategiedurchgefuhrt wird (zum Beispiel, weil die Aktionare Japaner sind, die die ausgeschuttetenEuro sowieso wieder in Yen zurucktauschen). Das Unternehmen fuhrt nun aber trotzdem dieAbsicherungsstrategie durch. Werden nun alle Investoren ihre Aktien abstoßen ? Nein, dennum die ursprunglich von ihnen bevorzugte nicht abgesicherte Zahlung zu bekommen, konnendie Investoren einfach eine entgegengesetzte Absicherungsstrategie durchfuhren, indem sie auf

1Ein Kapitalmarkt ist vollkommen, wenn alle Marktteilnehmer zu den gleichen Bedingungen (Zinsen, Preise)handeln konnen. Es gibt keine Transaktionskosten und alle Marktteilnehmer verfugen uber die gleichenInformationen.Ein Kapitalmarkt ist vollstandig, wenn jeder denkbare Konsumstrom gehandelt werden kann.Wir werden spater noch genauer auf diese Begriffe eingehen.

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dem Kapitalmarkt einen Future abschließen, mit dem sie Euro in Yen zu einem festen Wech-selkurs von 1 zu 115 tauschen. Die Investoren bekommen dann insgesamt genau 100 Mio.Yen ausbezahlt. Bevorzugen die Investoren eine abgesicherte Strategie und das Unternehmenverzichtet darauf, dann konnen die Investoren die Absicherungsstrategie selbst durchfuhren,indem sie den Future zum Tausch von Yen in Euro erwerben. Das bedeutet, den Investo-ren ist es unter diesen Rahmenbedingungen egal, ob das Unternehmen die Wechslkursrisikenabsichert oder nicht. Deshalb wird die Absicherungsstrategie auch keinen Einfluss auf denAktienkurs des Unternehmens haben.

Hat die Moglichkeit sich absichern zu konnen, Auswirkungen auf die Entscheidung, dasGeschaft durchzufuhren ? Nehmen Sie an, das Geschaft wurde mit Absicherung einen po-sitiven NPV haben, sollte also unter diesen Bedingungen durchgefuhrt werden. Wenn wiran die Herleitung des NPV im Grundstudium aus dem Fisher–Modell zuruckdenken, danndenken wir daran, dass der NPV nichts anderes als der Wert des Projekts ist. Wir habenaber gerade schon gezeigt, dass der Wert der Firma nicht davon abhangt, ob die Absiche-rungsstrategie durchgefuhrt wird oder nicht. Dies gilt naturlich auch fur das einzelne Projektund daher andert sich der NPV des Geschafts nicht, wenn man die Absicherungsstrategiehinzunimmt. Entsprechend hat also das Risikomanagement unter diesen Umstanden keineAuswirkungen auf die Investitionsentscheidungen. Das Risikomanagement ist also auf Ebeneder Unternehmen auf vollkommenen und vollstandigen Kapitalmarkten irrelevant !

1.2 Wozu Risikomanagement ?

Wie wir im letzten Abschnitt angedeutet haben, ist unter der Annahme vollkommener undvollstandiger Finanzmarkte Risikomanagement auf Ebene eines Unternehmens im Prinzipuberflussig, da sich die Investoren die gewunschte Risikodiversifikation selbst zusammen stel-len konnen. Das Unternehmen stellt aus Sicht der Investoren nur eine Kombination aus diver-sen Investitionen dar. Die fur einen Investor optimale Kombination von Ertragserwartungenund Risiko kann dieser sich durch Zusammenstellung seines individuellen Portfolios am Ka-pitalmarkt selbst zusammen stellen. Einen daruber hinaus gehende Unternehmenspolitik zurErzielung eines bestimmten Risikoprofils ist nicht notwendig.

Damit Risikomanagement fur Unternehmen einen Sinn haben kann, muss man also davonausgehen, dass Finanzmarkte Unvollkommenheiten aufweisen oder unvollstandig sind. In ei-nem solchen Rahmen konnen Maßnahmen des Risikomanagements auf UnternehmensebeneWertauswirkungen haben und dadurch von Bedeutung sein. Auf unvollkommenen und un-vollstandigen Finanzmarkten, verursacht die Nutzung externer Finanzierungsquellen fur dasUnternehmen in der Regel hohere Kosten als die Verwendung der aus der eigenen Innen-finanzierungskraft generierten Mittel. Wir wollen an dieser Stelle nicht detailliert auf dieAuspragungen dieser Kosten und deren Ursachen eingehen.2 Zum Beispiel kann das so ge-nannte Problem der Unterinvestition auftreten, d.h. dass Investitionen, die einen positivenKapitalwert haben und damit den Unternehmenswert erhohen, nicht durchgefuhrt werden,weil der Wertzuwachs aufgrund von Finanzierungsengpassen nur zu einem geringen Anteilden Anteilseignern zufließt. In einem solchen Fall kann eine Unternehmenspolitik, die dafur

2Diese werden in der Vorlesung ,,Unternehmensfinanzierung” behandelt und konnen in jedem Lehrbuch derUnternehmensfinanzierung studiert werden.

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sorgt, dass solche Engpasse nicht oder moglichst selten auftreten, garantieren, dass das Unter-nehmen tatsachlich alle wertsteigernden Investitionsmoglichkeiten ergreift, und dadurch denGesamtwert des Unternehmens erhohen.

Das wichtigste Beispiel fur Marktunvollkommenheiten, die dazu fuhren, dass Risikomanage-ment eine wichtige Funktion auf Unternehmensebene hat, sind Insolvenzkosten. Insolvenz-kosten sind Kosten, die entstehen, wenn ein Unternehmen Insolvenz anmelden muss (direkteInsolvenzkosten) oder wenn sich die Menge der durchfuhrbaren Investitionsprojekte verandert,wenn die Gefahr einer moglichen zukunftigen Insolvenz steigt (indirekte Insolvenzkosten). Di-rekte Insolvenzkosten bestehen vorwiegend aus den Anwaltskosten und den Kosten fur denInsolvenzverwalter, und konnen erstaunlich hoch sein. Trotzdem sind die aus wirtschaftlicherSicht relevanten Kosten die indirekten Insolvenzkosten, die sich zum Beispiel dadurch ergeben,dass manche Geschaftspartner eines Unternehmens abgeneigt sind mit einem UnternehmenGeschafte zu machen, das moglicherweise kurz vor dem Bankrott steht. Das betrifft vor al-lem Unternehmen, deren Wert stark von ihrer Reputation abhangt. Dies sind insbesondereBanken und Versicherungen. Wie man sich leicht vorstellen kann, haben die meisten Inve-storen eine gewisse Zuruckhaltung ihre Gelder einer Bank anzuvertrauen, uber die Geruchteeiner moglichen Insolvenz kursieren. In jungster Vergangenheit konnte das sehr plastisch beider Insolvenz der Firma Enron beobachtet werden. Enron war Ende der Neunziger Jahre einhoch profitables Energiehandelsunternehmen und das siebtgroßte Unternehmen der Vereinig-ten Staaten. Im November 2001 wurde die Kreditwurdigkeit nach einigen Unregelmaßigkeitenbei der Bilanzierung herabgestuft. Innerhalb weniger Wochen wollte niemand mehr mit En-ron handeln und die Firma musste Insolvenz anmelden. Marktunvollkommenheiten wie dieeben beschriebenen Insolvenzkosten konnen dazu fuhren, dass bestimmte Ereignisse fur einUnternehmen sehr kostspielig sein konnen und das Unternehmen also versuchen sollte sichgegen diese Ereignisse abzusichern, indem es Risikomanagement betreibt.

Neben dem Unterinvestitionsproblem und den Insolvenzkosten werden haufig auch Steuernals Motiv fur das Risikomanagement genannt. Dies liegt an der asymmetrischen Behandlungvon Gewinnen und Verlusten in allen Steuersystemen der Welt. Im deutschen Steuersystemwerden zum Beispiel positive Gewinne sofort besteuert, wahrend Verluste unter Umstandennur als Verlustvortrag zu spateren Zeitpunkten zu einer Steuerersparnis fuhren. BetrachtenSie zur Illustration ein Unternehmen, dass erwagt ein Investitionsprojekt durchzufuhren, dasin der kommenden Periode entweder einen Gewinn in Hohe von e 100.000 oder einen Verlustvon e 80.000 erbringt. Bei einem Steuersystem, in dem Verluste steuerlich uberhaupt nichtgeltend gemacht werden konnen, wurde das Unternehmen im Falle eines Gewinns Steuernauf den vollen Gewinn bezahlen, wahrend bei einem Verlust keine Steuern zu bezahlen sind.Bei einem Steuersatz in Hohe von 25 % wurden sich also Nachsteuercashflows von e 75.000bzw. von e -80.000 und also ein negativer erwarteter Ertrag ergeben. Nehmen Sie nun an,das Unternehmen konne ein Versicherungsvertrag abschließen, bei dem es, in dem Fall einesVerlustes e 90.000 erhalt und in dem Fall eines Gewinns e 90.000 zu zahlen hat. Nach Ab-schluss dieses Vertrags erwartet das Unternehmen vor Steuern einen sicheren Gewinn von e10.000 und nach Abzug der Steuern positive Zahlungen von e 7.500. Der Abschluss des Ver-sicherungsvertrags hat also aus dem unsicheren Projekt mit negativen erwarteten Cashflowsein Projekt mit sicheren positiven Zahlungen gemacht.

Speziell in Hinblick auf die Konkursrisiken von Unternehmen hat der Gesetzgeber seit 1998fur Kapitalgesellschaften außerhalb des Finanzdienstleistungssektors durch das ,,Gesetz zur

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Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich” (KonTraG) festgelegt, dass der Vor-stand geeignete Maßnahmen zu treffen und ein Uberwachungssystem einzurichten hat, damitden Fortbestand des Unternehmens gefahrdende Entwicklungen fruhzeitig erkannt werden.Die Ordnungsmaßigkeit des Uberwachungssystem hat der Abschlussprufer fur Aktiengesell-schaften, die borsennotiert sind, zu bestatigen. Fur Unternehmen aus dem Finanzdienstlei-stungsbereich bedeutet Risikomanagement schon durch ihre operative Tatigkeit als Finan-zintermediare auf naturliche Weise eines wesentlichen Inhalt ihrer Geschaftspolitik. Daruberhinaus werden diese Unternehmen durch diverse Vorschriften schon seit langen gehalten, vor-sichtig zu wirtschaften. Der Gesetzgeber hat zur Sicherung der Stabilitat des Bankensystemsund der Versicherungsmarkte dafur gesorgt, dass in diesen Branchen das Management vonRisiken zur Verhinderung von Konkursrisiken gepflegt wird. Diese Vorschriften sind in denletzten Jahren durch internationale Regelungen erganzt worden (Stichwort Basel I und II).

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2 Ein Besuch im Derivate–Zoo

2.1 Arbitragefreiheit – eine Vorbemerkung

Der Grundgedanke der Bewertung von Derivaten an Finanzmarkten ist die Idee der Arbitrage-freiheit. Darunter versteht man etwas lax die Tatsache, dass es unmoglich ist, einen sicherenGewinn ohne Aufwand bzw. Kosten zu erzielen. Anderenfalls wurden alle Investoren dieseGelegenheit nutzen und der Gewinn wurde sofort am Markt verschwinden. Ziel der Vorle-sung ist es, diese simple Idee zu nutzen, um sie fur die Zwecke der Bewertung nutzbar zumachen. Dabei werden wir jedoch in zwei Schritten vorgehen. Zuerst wird es uns anhandeinfacher Beispiele gelingen, mit der eben formulierten laxen Version auszukommen. Etwa beider Put–Call–Paritat (siehe Abschnitt 4.1) oder der Bewertung von Futures (siehe Abschnitt3.3) reicht diese eher unwissenschaftliche Formulierung noch aus. Wir werden aber sehen, dasswir fur die Bewertung von Optionen eine wesentlich ausgefeiltere Theorie brauchen, um unsdiesem Konzept zu nahern – eine prazise Definition werden wir im Abschnitt 5.3 angeben.Im folgenden verstehen wir unter “Arbitragefreiheit” erst einmal die Unmoglichkeit, sichereGewinne ohne Kosten zu erzielen. Jetzt wenden wir uns einer allgemeinen Charakteristik vonKaufvertragen zu.

Bei einem Kaufvertrag lassen sich grundsatzlich drei relevante Zeitpunkte unterscheiden:

t0 Vertragsabschluss,

t1 Erfullung durch den Verkaufer (Lieferung) und

t2 Erfullung durch den Kaufer (Bezahlung).

Bei einem Kassageschaft liegen Vertragsabschluss und Erfullung zeitlich eng beieinander.Ein Termingeschaft unterscheidet sich von einem Kassageschaft (Spotgeschaft) dadurch, dasszwar der Vertragsabschluss heute stattfindet, aber die Erfullung durch den Verkaufer erstspater (t0 < t1). So kann man eine Tageszeitung jeden Morgen im Zeitungsladen kaufen(Kassageschaft) oder aber abonnieren (Termingeschaft).

Es gibt Termingeschafte fur Guter wie Gold, Kaffee oder Schweinehalften und fur Finanztitelwie Bundesanleihen, Aktien, fremde Wahrungen oder gar Aktienindizes. Man unterscheidetzwischen unbedingten (festen) und bedingten Termingeschaften. Im ersten Fall mussen beideParteien liefern beziehungsweise bezahlen. Im zweiten Fall erfolgt die beiderseitige Erfullungnur unter der Voraussetzung, dass der Erwerber der Terminposition das im Zeitpunkt derFalligkeit ausdrucklich wunscht. Ein Zeitungsabonnement ist demnach ein unbedingtes Ter-mingeschaft, da sich beide Seiten binden, die Zeitungen gegen einen bestimmten Geldbetragzu tauschen.

Im folgenden sagen wir statt kaufen auch “long halten” und statt verkaufen auch “short hal-ten”. Eine long position ist demnach die Vermogenssituation des Kaufers, eine short position

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die Vermogenssituaion des Verkaufers. Dies entspricht im ubrigen auch der Umgangsspracheder Handler.

2.2 Unbedingte Termingeschafte

Bei unbedingten Termingeschaften muss der Kaufer die Ware annehmen und bezahlen, derVerkaufer muss liefern.

In der Regel besteht allerdings die Moglichkeit, das Umkehrgeschaft durchzufuhren und aufdiese Weise den Kontrakt zu “schließen” oder – wie man auch sagt – sich “glatt zustellen”.So kann der Kaufer seinen Kontrakt schließen, indem er einen identischen Kontrakt verkauft.Der Verkaufer hat dieselbe Moglichkeit, indem er einen Kontrakt zuruckkauft.

Man unterscheidet zwischen Forwards und Futures. Fur beide ist typisch, dass der Kaufer imZeitpunkt des Vertragsabschlusses nichts zahlt, wenn man von der Stellung von Sicherheitenabsieht.

2.2.1 Forwards

Ein Forward verpflichtet den Kaufer (Verkaufer), einen bestimmten Gegenstand (das “under-lying asset”, zum Beispiel Aktien, Anleihen, Wahrungen oder Waren usw.)

• zu einem im Voraus festgelegten Preis und

• zu einem bestimmten zukunftigen Zeitpunkt

zu kaufen (verkaufen). Sie sind nicht weiter standardisiert und werden in der Regel im Tele-fonhandel vertrieben (OTC– oder over–the–counter–Geschafte). Die Vermogenspositionen desKaufers und des Verkaufers eines Termingeschafts im Zeitpunkt der Falligkeit sind in Abbil-dung 2.1 dargestellt. Entspricht der Kassakurs (spot) im Zeitpunkt der Falligkeit des Forwardsdem vereinbarten Terminpreis K, ergibt sich fur den Kaufer des Forwards weder ein Verlustnoch ein Gewinn. Liegt der Kassakurs uber dem Terminpreis, erweist sich der Abschluss desTermingeschafts als vorteilhaft, denn das underlying asset kann auf Grund des abgeschlos-senen Termingeschafts gunstiger bezogen werden als am Markt. Sollte der Kassakurs jedochunter dem Terminpreis liegen, resultiert ein Verlust. Die moglichen Vermogenspositionen desVerkaufers sind spiegelbildlich zu denen des Kaufers.

Bei Forwards (fur Futures gilt das ubrigens ebenso) muss man genau zwischen dem Termin-preis eines bestimmten Vertrages, dem Forward Preis zu einem bestimmten Zeitpunkt unddem Marktpreis eines Forwards zu einem bestimmten Zeitpunkt unterscheiden. Der Termin-preis (’delivery price’) ist der im voraus festgelegte Preis, auf den sich die Vertragsparteienbeim Abschluss des Vertrages einigen. Er wird vertraglich festgehalten und andert sich danachnicht mehr. Da sich die Erwartungen der Marktteilnehmer zeitlich andern, wurde man sichbei Abschluss des Vertrages zu einem anderen Zeitpunkt mit ziemlicher Sicherheit auf einenanderen Terminpreis einigen. Zu jedem Zeitpunkt t existiert also ein bestimmter Terminpreis,auf den sich die Vertragsparteien einigen. Dieser zeitlich schwankende Preis wird der Forward

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Preis (bzw. Future Preis) zum Zeitpunkt t genannt. Termin- und Forward Preis sind nur zumZeitpunkt des Vertragsabschlusses gleich.

Angenommen wird sind zum Zeitpunkt t = 0 eine short position in einen Forward Vertragzu einem Terminpreis K0 eingegangen. Einige Zeitpunkte spater habe sich der Forward Preisgeandert und liege nun bei Kt. Unser ursprunglicher Vertrag verpflichtet uns aber immer nochzur Lieferung des Underlying zum Preis K0. Nun sei weiter angenommen, wir wollten ausdiesem Vertrag aussteigen und unsere Verpflichtungen verkaufen. Wenn der aktuelle ForwardPreis gestiegen ist, Kt > K0, dann durften wir Schwierigkeiten haben, jemanden zu finden, derfreiwillig diese Verpflichtungen ubernimmt, da man ja offensichtlich mit dem gleichen Vertragam Kapitalmarkt mehr verdienen kann. Umgekehrt wurden wir Werte verschenken, wennder Forward Preis gesunken ware, Kt < K0. Der Verkauf unserer Verpflichtungen wird alsodie Zahlung oder den Erhalt eines Geldbetrages beinhalten, der fur die Differenz zwischenaktuellem Forward Preis Kt und dem in unserem Vertrag festgehaltenen Terminpreis K0

entschadigt. Dies ist der Marktpreis Vt des ursprunglichen Forwards. Zum Zeitpunkt desursprungliche Vertragsabschlusses, t = 0, ist der Marktpreis V0 = 0. Danach wird er mit denMarkterwartungen schwanken. Zum Zeitpunkt der Falligkeit des Forwards ist der MarktpreisVT = ST −K0, wobei ST den Spot Preis des Underlyings bei Falligkeit bezeichnet. WeitereZusammenhange zwischen Terminpreis, Forward Preis und Marktpreis werden wir in denUbungen kennen lernen.

Wahrend Forwards ein passgenaues Produkt fur die Risiken eines Unternehmens darstellen,haben sie einen nicht zu unterschatzenden Nachteil: zu jedem Verkaufer eines Forwards musssich auch ein Kaufer finden. Und nicht in allen Fallen stimmen die Bedurfnisse der Verkauferund Kaufer so uberein, wie es bei einem Forward notwendig ist. Zum anderen besteht furbeide Seiten ein durchaus hohes Ausfallrisiko der anderen Partei. Diese Schwierigkeiten sindbeim Future beseitigt.

K

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

............................................................................................................................................................................................................................................................

K

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

............................................................................................................................................................................................................................................................

Abbildung 2.1: Long- und Short-Position eines Forwards

2.2.2 Futures

Ein Future unterscheidet sich von einem Forward zuerst dadurch, dass er an einer Borsegehandelt wird. Das setzt voraus, dass die Vertrage weitestgehend standardisiert sind, wasdie handelbaren Guter, Mengen, Erfullungstermine und so weiter angeht. Das Einzige, woraufsich die Vertragspartner in der Borsensitzung verstandigen mussen, sind der Preis und dieZahl der Kontrakte. Durch die Standardisierung vermeidet der Future ein Grundproblembeim Forward – es ist mit diesen Kontrakten viel einfacher, einen Vertragspartner zu finden,

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der bereit ist das Geschaft einzugehen.

Des weiteren erfolgen Abrechnung und Abwicklung nicht direkt zwischen den Vertragspartei-en, sondern uber besondere Kreditinstitute, die so genannten Clearinghauser. Diese uberneh-men jedem der Vertragspartner gegenuber die Garantie, dass der jeweils andere Vertragspart-ner seine Pflichten erfullt. Kaufer und Verkaufer mussen bei den Clearinghausern Sicherheitenhinterlegen. Fallt also eine der beiden Seiten aus, so werden die Anspruche der anderen Seiteaus diesen Sicherheiten bedient. Damit ist bei einem Future kein Ausfallrisiko mehr gegeben.

Jede Vertragspartei muss wahrend der Laufzeit des Vertrages standig Sicherheiten hinterlegen.Diese Sicherheiten werden margins genannt. Es existieren zwei Arten von Zahlungen, die

initial margin die in einigen Fallen zu Beginn des Vertrages zu leisten ist und die

maintenance margin die zu zahlen ist, wenn der Preis des zugrundeliegenden Titels untereine bestimmte Grenze sinkt.

Daruber hinaus sieht der Future anders als der Forward nicht eine einzige Zahlung am Lauf-zeitende vor, sondern es werden taglich entsprechend den Preisentwicklungen an den Akti-enmarkten Zahlungen geleistet, die sich am Ende gerade auf die vorgesehene Gesamtzah-lung aufaddieren. Dieses Vorgehen wird das marking–to–market genannt. Dieses marking–to–market1 funktioniert im Detail wie folgt.

Wir betrachten einen Future auf Lieferung einer Aktie im Zeitpunkt T . Im Zeitpunkt t = 0werde der Preis vereinbart, wir nennen ihn den Preis des Future und bezeichnen ihn mit F0.Wird nun in den Zeitpunkten t = 0, 1, . . . , T ein weiterer Future wieder auf die Lieferung in Tabgeschlossen, so werden aufgrund geanderter Marktkonditionen eventuell andere Lieferpreisevereinbart, die wir mit Ft bezeichnen werden. Sinnvollerweise muss der Preis im EndzeitpunktFT gerade dem aktuellen Aktienkurs ST des Zeitpunktes T entsprechen.

Wir betrachten die Vertragspartei, die die Aktie zum Preis von F0 am Zeitpunkt T liefernwird. Da diese Vertragspartei die Aktie verkaufen wird, nennt man sie auch den Verkauferdes Future (oder: “sie halt den Future short”). Versuchen wir zu verstehen, in welcher HoheSicherheiten von der Vertragspartei zu leisten sind. Dazu nehmen wir an, dass beim Clearing-haus zwei Vertragsparteien einen Future abgeschlossen haben: es gebe also im Zeitpunkt t = 0sowohl einen Kaufer als auch einen Verkaufer des Futures. Das Clearinghaus verlange der Ein-fachheit halber im Zeitpunkt t = 0 keine Sicherheiten. Wir nehmen weiter an, dass der Preiseines (nunmehr neuen) Futures mit Lieferung in T im Zeitpunkt 1 gerade F1 betrage. DasClearinghaus verlangt als margin Zahlung nun genau die Differenz F1−F0 vom Verkaufer desFuture.2 Wurde namlich der Verkaufer ausfallen, dann musste das Clearinghaus einspringenund die Lieferverpflichtung ubernehmen. Um diese Lieferverpflichtung zu ubernehmen, wurdedas Clearinghaus selbst den Future am Markt zum Preis von F1 erwerben. Das Clearinghauswurde aber vom Kaufer des Futures (also der Gegenseite) am Laufzeitende nur F0 erhalten,da das Gegengeschaft in t = 0 abgeschlossen wurde. Es bliebe somit fur das Clearinghauseine Differenz F1 − F0 als Verlust. Dieser Verlust wird durch das margin Konto gedeckt. Die

1Auch Handler in Deutschland benutzen in diesem wie auch den folgenden Bezeichnungen die englischenVarianten. Eine deutsche Ubersetzung findet man selten.

2Der Kaufer des Future wurde die Differenz F0 − F1 als margin Zahlung erhalten. Das Clearinghaus reichtgewissermaßen den Betrag durch.

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margins sichern somit, dass das Clearinghaus verlustfrei bleibt, auch wenn eine Vertragsparteiausfallt.

Die Marking–to–market Margins sind noch einmal in Abbildung 2.2 zusammengefasst.

t Futurepreis margin fur Verkaufer in t margin fur Kaufer in t

0 F0 0 01 F1 F0 − F1 F1 − F0

2 F2 F1 − F2 F2 − F1...

......

...T − 1 FT−1 FT−2 − FT−1 FT−1 − FT−2

T FT FT−1 − FT FT − FT−1

Abbildung 2.2: margins bei einem Future

Summiert man die Zahlungen erkennt man, dass der Verkaufer insgesamt

T∑t=1

(Ft−1 − Ft) = F0 − FT

zu leisten hat. Da FT = ST entspricht das also gerade dem moglichen Gewinn oder Verlust desVerkaufers, wenn er in T das Underlying am Kapitalmarkt erwirbt, um es liefern zu konnen.Fur den Kaufer gilt das Gleiche mit umgekehrten Vorzeichen. Allerdings haben wir hierbeiZinseffekte unberucksichtigt gelassen. Da die Zahlungen bis auf die letzte schon vor T geleistetwerden, konnen diese am Kapitalmarkt angelegt werden, und haben entsprechend verzinst inT einen anderen Wert. Dies wird uns in Abschnitt 3.3 noch beschaftigen.

In den allermeisten Fallen werden Futurekontrakte nicht bis zur Falligkeit gehalten, sondernvorher glatt gestellt, indem ein Umkehrgeschaft abgeschlossen wird. Im folgenden Beispielist man in t = 0 short in einem Future und stellt sich in t = t glatt, indem man in einemidentischen Futurekontrakt long geht:

t Futurepreis margin des ersten Kontrakts margin des zweiten Kontrakts0 F0 0 01 F1 F0 − F1 0...

......

...t Ft Ft−1 − Ft 0

t + 1 Ft+1 Ft − Ft+1 Ft+1 − Ft...

......

...T − 1 FT−1 FT−2 − FT−1 FT−1 − FT−2

T FT FT−1 − FT FT − FT−1

Abbildung 2.3: glattgestellter Futurekontrakt

Unter Vernachlassigung der Zinseffekte summieren sich die Gesamtzahlungen der beiden Kon-

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trakte auf

T∑t=1

(Ft−1 − Ft) +T∑

t=t+1

(Ft − Ft−1) =t∑

t=1

(Ft−1 − Ft) = F0 − Ft (2.1)

Aufgrund der Standardisierung der Vertrage kann es moglich sein, dass eine der Vertrags-parteien Lieferengpassen ausgesetzt ist: wenn beispielsweise alle Futurekontrakte uber Ol aneinem Tag im Monat terminieren, dann wird es schwer moglich sein, die vorgesehenen riesi-gen Olmengen an eben diesem Tag zur Verfugung zu stellen. Daher weisen viele Futures eineReihe von Besonderheiten auf. Zu diesen Besonderheiten gehort beispielsweise die timingoption, wonach der Verkaufer des Future die Lieferung an jedem Geschaftstag eines Monatsvornehmen kann. Selbstverstandlich wird der Verkaufer, wenn er keine Lagerkosten hat, dieLieferung dann soweit wie moglich verzogern. Muss er das Produkt dagegen lagern, so konnteer moglichst spate Lieferung jedoch Kosten verursachen.

Die quantity option erlaubt dem Verkaufer des Future, von der zu liefernden Mengen ingewissen Grenzen abzuweichen. Der vereinbarte Futurepreis wird dann linear angeglichen.Da die Angleichung zu den am Lieferzeitpunkt gultigen Preisen erfolgt, stellt die quantityoption keinen Vorteil fur eine der beiden Vertragsparteien dar und hat eine eher geringfugigeBedeutung.

Die quality option erlaubt dem Verkaufer, bei der Lieferung aus einer vorher festgelegtenMenge an qualitativ verschiedenen Gutern auszuwahlen. Beispielsweise erlaubt die ChicagoerCBOT bei Mais Futures die Lieferung dreier verschiedener Sorten. Der benchmark ist Maisder Qualitatsstufe zwei. Wird dagegen Qualitatsstufe eins geliefert, so muss der Empfangereine Pramie von einem halben Prozent zahlen. Bei Lieferung der Qualitatsstufe drei dagegenerhalt er einen Discount von anderthalb Prozent. Bei Weizen Futures hat man sogar die Wahlzwischen elf verschiedenen Qualitatsstufen. Sinnvollerweise wird der Verkaufer des Futuresdenjenigen Weizen wahlen, der fur ihn die niedrigsten Kosten verursacht. Man spricht daherauch von einer cheapest–to–deliver option (auch CTD abgekurzt).

Die location option existiert nur fur Futures auf physische Guter (Waren). Sie erlaubt demVerkaufer, die Waren an vorher bestimmte Orte zu liefern. Diese Option erweist sich dannals sinnvoll, wenn die Aufbewahrung der Guter am Lieferort durch Lagerengpasse verteuertwird.

Eine der wichtigsten Optionen ist die wildcard option. Sie ist dann von Bedeutung, wennder spot Markt nach dem Markt fur Futures schließt. Ereignet sich zwischen beiden Zeit-punkten etwas unvorhergesehenes und wird dadurch der spot Markt beeinflusst, so kann derFutures Preis nicht mehr reagieren – der Markt wurde ja bereits geschlossen. Dennoch hatder Verkaufer des Futures die Moglichkeit, den vor dem Ereignis festgelegten Preis zugrundezu legen.

2.2.3 Swaps

Bei einem Swapgeschaft (wortliche englische Ubersetzung: Tauschgeschaft) werden zwei Ver-mogenspositionen und die mit ihnen verbundenen Zahlungsverpflichtungen getauscht. Grund-satzlich besteht ein Swapgeschaft aus drei Phasen.

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Page 14: Risikomanagement Und Derivate

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• Zu Beginn werden zwei verzinsliche Vermogenspositionen getauscht. Je nachdem, ob essich um Forderungen oder Schulden handelt, spricht man von Aktiv– oder Passivswaps.

• Spater werden die wahrend der Laufzeit anfallenden Zinszahlungen getauscht.

• Am Ende der Laufzeit werden die Nominalbetrage der Vermogenspositionen zuruckgetauscht.

Die ersten Swaps wurden in den spaten siebziger und den fruhen achtziger Jahren durch-gefuhrt. Inzwischen sind die Swaps ein Hauptgeschaftsfeld der Investment Banken. Eine be-sonders große Bedeutung haben Zinsswaps, Wahrungsswaps und Kombinationen aus beiden.

• Zinsswaps: Ein Zinsswap ist ein Tausch von festen gegen variable Zinsanspruche. FesteZinsanspruche konnen zum Beispiel gegen variable Zinsanspruche auf LIBOR-Basis3

getauscht werden. In der Regel verzichtet man bei einem Zinsswap auf den Austauschder Nominalbetrage und beschrankt sich auf den Tausch der Zinszahlungen. Gelegentlichwird das Geschaft sogar so weit reduziert, dass nur noch die Spitzenbetrage ausgeglichenwerden.

• Wahrungsswaps: Bei einem einfachen Wahrungsswap wird eine festverzinsliche Positi-on gegen eine festverzinsliche Position in einer anderen Wahrung getauscht. Beispielswei-se konnen Nominalbetrage und Zinsanspruche aus einem fest verzinslichen Euro-Kreditgegen die eines festverzinslichen Dollar-Kredits getauscht werden.

• Zins- und Wahrungsswaps: Ein Zins- und Wahrungsswap ist eine Kombination auseinem Wahrungs- und einem Zinsswap. Der Tausch von Nominalbetragen und Zins-anspruchen einer festverzinslichen Euro-Anleihe mit denen einer variabel verzinslichenDollaranleihe ist ein Beispiel dafur.

In der Praxis spielen Kreditinstitute bei der Vermittlung von Swapgeschaften eine großeRolle. Haufig treten sie auch als Intermediar zwischen die Swap-Interessenten und schließenmit beiden Seiten separate Vertrage ab oder nehmen selbst aktiv am Swapgeschaft teil, umihre Zinsanderungsrisiken zu begrenzen.

2.3 Bedingte Termingeschafte (Optionen)

Der Kaufer eines bedingten Terminkontraktes hat das Recht, aber nicht die Pflicht, das un-derlying asset bei Falligkeit von seinem Vertragspartner (dem Stillhalter) zu einem im Vor-aus bestimmten Preis (dem Basispreis, englisch: strike price) zu erwerben oder an diesen zuveraußern. Im Gegensatz zu den unbedingten Termingeschaften muss der Erwerber einer Op-tion an den Stillhalter im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einen Preis (die Optionspramie)zahlen.

3LIBOR ist eine Abkurzung fur “London Interbank Offered Rate”. Das ist ein Zinssatz fur kurzfristigeEinlagen unter Banken am Euromarkt in London.

Skript Risikomanagement und Derivate Loffler/Laitenberger

Page 15: Risikomanagement Und Derivate

15

Man unterscheidet je nach Ausubungszeitpunkt zwischen europaischen und amerikanischenOptionen. Europaische Optionen konnen nur am Verfalldatum ausgeubt werden. Ameri-kanische Optionen dagegen konnen wahrend der gesamten Laufzeit ausgeubt werden undhaben daher immer mindestens den Wert einer vergleichbaren europaischen Option. Manbezeichnet diese einfachsten Arten von Optionen als vanilla Optionen.4

2.3.1 Vanilla option (I): Calls

Bei einem Call erwirbt der Kaufer das Recht, eine bestimmte Ware zu einem bestimmten Preisbis zu einem bestimmten Zeitpunkt (Falligkeitstermin) zu kaufen. Kann er das Recht nur amFalligkeitstermin ausuben, so handelt es sich um eine europaische, sonst um eine amerikani-sche Option. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden an den Terminborsen amerikanischeOptionen gehandelt.

Ist der Kassapreis bei Falligkeit hoher als der Basispreis K, lohnt sich die Ausubung desCalls, da man das underlying asset am Markt teurer verkaufen kann. Der mogliche Gewinneines Callkaufers ist unbeschrankt, da der Kassapreis zumindest theoretisch unendlich hochsteigen kann. Der maximale Verlust des Callkaufers beschrankt sich auf die Optionspramie.Allerdings geschieht es haufig, dass Optionen am Falligkeitstermin nicht mit Gewinn ausgeubtwerden konnen und wertlos verfallen.

In Abhangigkeit vom aktuellen Kassakurs besitzt die Option eine so genannten inneren Wert.Dieser Wert beschreibt die Auszahlung, die der Inhaber der Option bekame wurde sie heuteausgeubt. Im Fall eines Calls ließe sich dieser innere Wert wie folgt ermitteln. Wenn S derPreis des zugrundeliegenden Assets und K der Ausubungspreis ist, dann ist der innere Wertgerade

innerer Wert = max(S −K, 0).

Man sagt die Option sei “im Gelde” (auch in–the–money), wenn der innere Wert positivist. Sie ist “am Gelde” (auch at–the–money), wenn der Kassakurs und der Ausubungspreiszusammenfallen. Am Ausubungstag fallen tatsachlicher Wert der Option und innerer Wertsinnvollerweise zusammen. Damit zahlt die Option im Falligkeitszeitpunkt T

Auszahlung = max(ST −K, 0). (2.2)

2.3.2 Vanilla option (II): Puts

Puts (auch Verkaufsoptionen) geben dem Kaufer das Recht, das underlying asset zum Basis-preis an den Stillhalter zu verkaufen. Der maximale Gewinn eines Putkaufers ist – anders alsbeim Call – beschrankt, da der Kassapreis des underlying assets nicht unter null fallen kann.Sein maximaler Verlust beschrankt sich aber wieder auf die gezahlte Optionspramie. AuchPuts haben einen inneren Wert, der sich analog dem Fall der Kaufoption ermittelt

innerer Wert = max(K − S, 0).4Der Name hat vermutlich in der Tat etwas damit zu tun, dass Vanilleeis als eine “grundlegende Eissorte”

gilt. Die ersten bekannten Optionen existierten schon zu Zeiten des Mathematikers Thales, der bereits inder Winterzeit den Preis fur Olivenpressen im nachfolgenden Fruhling aushandelte und dabei von der Erntedes Fruhjahres abhangig machte. Die Worte “put” und “call” stammen aus dem fruhen 19. Jahrhundert.

Skript Risikomanagement und Derivate Loffler/Laitenberger

Page 16: Risikomanagement Und Derivate

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Man sagt die Option sei “aus dem Gelde” (auch out–of–the–money), wenn der innere Wert nullist. Sie ist wieder “am Gelde” (auch at–the–money), wenn der Kasskurs und der Ausubungs-preis zusammenfallen. Am Ausubungstag fallen tatsachlicher Wert der Option und innererWert sinnvollerweise zusammen. Damit zahlt die Option im Falligkeitszeitpunkt T

Auszahlung = max(K − ST , 0).

2.3.3 Aus Vanillas zusammengesetzte Positionen

Calls, Puts sowie das zugrunde liegende Asset konnen auf vielfaltige Weise miteinander kom-biniert werden. Dabei entsteht eine Vielzahl neuer Optionen, man spricht auch von Opti-onspositionen. Der Name dieses so konstruierten Termingeschaftes setzt sich aus mehrerenKomponenten zusammen, die die Eigenschaften des neuen Produktes bilden. Man spricht voneiner

naked position wenn nur ein Asset (also ein Vanilla oder eine Aktie) gehalten wird,

hedge position wenn neben einer Vanilla noch der zugrunde liegende Titel gehalten wird,

spread wenn zwei Vanillas eines Typs (also nur calls oder nur puts) einmal long und einmalshort gehalten werden,

combinations wenn zwei Vanillas verschiedenen Typs nur long oder nur short gehalten wer-den.

Wir gehen jetzt auf diese vier zusammengesetzten Positionen naher ein.

naked positions. Welche Wirkungen naked positions haben, ist leicht anhand der Gewinn–Verlust–Diagramme analysiert. Fur Calls sind in Abbildung 2.4 diese Diagramme dargestellt.Die entsprechenden Großen fur Puts findet man in Abbildung 2.5. Diese Diagramme gebeninsoweit die tatsachliche Situation nicht ganz korrekt wieder, weil sie sowohl Optionspramieals auch den Gewinn bzw. Verlust miteinander verrechnen (sie erkennen das beispielsweisedaran, dass der Call bei ST < K einen Verlust macht, obwohl der Call selbst ja nichts zahlt).Diese Verrechnung ist deshalb nicht korrekt, da die Optionspramie zu Beginn der Laufzeitgezahlt werden muss (also bei Erwerb der Option), der Gewinn bzw. Verlust jedoch erst amEnde der Laufzeit anfallt. Fairerweise mussten wir den Gewinn bzw. Verlust geeignet diskon-tieren, aber an dieser Stelle konnen wir noch nicht sagen, welche Risikopramie angemessenware. Trotzdem werden wir diese nicht ganz korrekte Darstellung weiter verwenden, weilsie uns besonders ubersichtlich die Zahlungswirkung der Option verdeutlicht und der Fehleruberschaubar bleibt.

hedge position. Bei einer hedge position halt der Handler sowohl eine Option als auch dasunderlying. Da Verhaltnis, in dem sich Option und zugrunde liegende Aktie im Portfoliobefinden, wird auch hedge ratio genannt. Eine hedge ratio von 1:2 bedeutet also, dass imPortfolio zu einer Option zwei Aktien gehalten werden. Hedge ratios von 1:100 sind nicht

Skript Risikomanagement und Derivate Loffler/Laitenberger

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K

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

.......................................................................................................................................................................................................................

.............................................................

K

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST....................................................................................................

...................................................................................................................

.............................................................

Abbildung 2.4: Long- und Short-Position eines Calls

K

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

.......................................................................................................................................................................................................................

.............................................................

K

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

.......................................................................................................................................................................................................................

.............................................................

Abbildung 2.5: Long- und Short-Position eines Puts

untypisch. Viel seltener dagegen findet man eine Situation, in der zu einer Aktie mehr alseine Option gehalten wird. Welche Wirkung die hedge ratio fur das Gesamtportfolio hat, kannman sich anhand einfacher Beispiele verdeutlichen. Halt man etwa Calls short, so bedeuteteine hedge ratio großer als eins ein starkes Verlustpotential bei hohen Kursen.

spread positions. Bei spread positions wird danach unterschieden, von welcher Kursbewe-gung der Halter profitiert. Man spricht von

bullish5 spreads wenn der Halter von wachsenden Kursen profitiert und

bearish6 spreads wenn der Halter von fallenden Kursen profitiert.

Neben der Charakterisierung entsprechend dem Gewinn unterscheidet man auch hinsichtlichder Art und Weise, welche Optionen im Portfolio kombiniert werden. Hier gibt es drei ver-schiedene Moglichkeiten, die wie folgt bezeichnet werden. Ein spread ist vertical, wenn bisauf den Ausubungspreis identische Optionen gehalten werden. Betrachten wir zur Illustrati-on das Beispiel eines vertical bullish call spread. Der Halter muss in diesem Fall einen Callkaufen und einen Call verkaufen, um einen vertical spread zu halten. Damit er von steigendenKursen profitiert, muss der gekaufte Call einen niedrigeren Ausubungspreis als der verkaufteCall haben. Die Optionspramie fur den verkauften Call wird dann niedriger sein, da auch die

5Das Wort leitet sich von bull (Stier) ab, da der Stier sein Opfer mit gesenktem Kopf, also von unten, angreift.Man spricht von einem bull market, wenn die Kurse steigen.

6Das Wort leitet sich von bear (Bar) ab, da der Bar sein Opfer mit der Tatze, also von oben, angreift. Manspricht von einem bear market, wenn die Kurse fallen.

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Page 18: Risikomanagement Und Derivate

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Gewinnchancen niedriger sind.7 Die Abbildung 2.6 zeigt das Gewinn– und Verlustdiagrammdieser Position, wobei die Optionspramien in der Darstellung berucksichtigt wurden. In derTat profitiert der Halter der Position von steigenden Kursen, fallen dagegen die Kurse, sogeht er mit einem (begrenzten) Verlust aus dem Handel.

K1 K2

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

..............................................................................................................................................................................................................................

.......................................................

K1 K2

=⇒ -

6Gewinn

Verlust

Spot ST

............................................................................................................................................................................................................................................

Abbildung 2.6: Vertical bullish call spread

Man spricht von einem horizontal spread wenn Optionen gehalten werden, die sich bis aufden Ausubungszeitpunkt unterscheiden. Die Idee, die horizontal spreads zugrunde liegt, ist dieUberlegung, dass Optionen kurz vor ihrem Ausubungszeitpunkt im Wert schneller verfallenals Optionen, die erst in ferner Zukunft ausgeubt werden. Die Unterscheidung in horizontalund vertical spread ruhrt daher, dass typischerweise Optionspreise in Tabellenform wiederge-geben werden, siehe etwa Abbildung 2.7. Horizontal positions bestehen aus Optionen, derenPreise sich in dieser Tabelle in einer horizontalen Linie wiederfinden. Vertical positions beste-hen aus Optionen, deren Preise sich in dieser Tabelle in einer vertikalen Linie wiederfinden.Man spricht auch von diagonalen Positionen, wenn die Preise dieser Optionen sowohl in ver-schiedenen Zeilen als auch verschiedenen Spalten stehen.

Ausubungspreis April Juli Oktober25 15,06 – –30 10,88 12,12 –35 7,00 8,69 –40 4,01 5,75 7,3845 0,88 2,38 5,39

Abbildung 2.7: Preise fur Call Optionen

combinations. Neben einer Vielzahl von Moglichkeiten sind hier insbesondere die stradd-les und strangles zu nennen. Unter einem straddle8 versteht man eine Position, bei derein Call und ein Put mit selben Ausubungspreis und identischer Laufzeit gehalten werden.

7In diesem Satz versteckt sich bereits das erste Mal der Gedanke der Arbitragefreiheit. Eine Option mit einemhoheren Ausubungspreis hat in jedem zukunftigen Zustand der Welt eine kleinere Auszahlung. Aus demPrinzip der Arbitragefreiheit folgt, dass dann der Preis dieser Option auch kleiner sein muss. Anderenfallskonnte man aus der Situation ohne Kosten sichere Gewinne erzielen, indem man die Option mit demhoheren Ausubungspreis verlauft und eine Option mit dem niedrigeren Ausubungspreis erwirbt.

8Die deutsche Ubersetzung heißt “mit gespreizten Beinen stehen”. Schauen Sie sich das Gewinn– und Ver-lustdiagramm verkehrt herum an, dann verstehen Sie, warum diese Bezeichnung gewahlt wurde.

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Das Gewinn– und Verlustdiagramm 2.8 zeigt, dass ein straddle eine Wette auf einen sichverandernden Preis des underlying darstellt.

K

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

............................................................................................................................................................................................................................................................................................

K

=⇒ -

6Gewinn

Verlust

Spot ST

.......................................................................................................................................................................................................................................

Abbildung 2.8: straddle

Bei einem strangle9 dagegen kauft man einen Call und einen Put. Der Call hat einenAusubungspreis uber dem derzeitigen Kassakurs, der Put dagegen einen Ausubungspreis un-ter dem gegenwartigen Kassakurs. Auch der strangle zeichnet sich dadurch aus, dass Gewinnenur beim Abweichen des Kurses vom gegenwartigen Niveau erzielt werden. Im Gegensatz zumstraddle muss jetzt aber die Abweichung viel starker sein, dafur ist aber der hochstmoglicheVerlust geringer. Dies verdeutlicht die Abbildung 2.9

K1 K2

-

6Gewinn

Verlust

Spot ST

............................................................................................................................................................................................................................................

..................................................................

K1 K2

=⇒ -

6Gewinn

Verlust

Spot ST

...................................................................................................................................................................................................................................................

Abbildung 2.9: strangle (rechts nicht maßstabsgetreu)

2.3.4 Exotische Optionen

Eine große Klasse von Optionen, die weder Puts noch Calls sind, fallen in die Kategorie derexotischen Optionen.Dabei bedeutet exotisch keineswegs, dass diese Optionen nur von wenigenHandlern angeboten werden. Vielmehr haben sich die Exoten zu einem festen Bestandteil derOptionsmarkte entwickelt und bedienen ganz spezifische Bedurfnisse einzelner Investoren.Drei Klassen exotischer Optionen haben an den Markten einige Bedeutung erlangt.10

Asiatische Optionen. Die Bezeichnung hat weder etwas mit dem Ausubungs– noch demHerkunftsort zu tun, zudem wird eine asiatische Option vom amerikaischen oder europaischen

9Zu deutsch “erwurgen”. Ich habe nicht in Erfahrung bringen konnen, woher diese Bezeichnung stammt.10Unsere Aufzahlung ist bei weitem nicht erschopfend. Mehr uber exotische Optionen finden Sie bei Paul

Wilmott, Jeff Dewynne, Sam Howison: “Option Pricing”, Oxford Financial Press, Oxford, 1993.

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Page 20: Risikomanagement Und Derivate

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Typ sein.11 Eine asiatische Option unterscheidet sich von einer vanilla Option dahingehend,dass nicht der am Ausubungstag vorliegende Aktienkurs uber die Auszahlung entscheidet,sondern man den Durchschnitt der bisherigen Aktienkurse uber die Laufzeit nimmt. Fur dieAuszahlung in T gilt also

Auszahlung = max

(1

T + 1

T∑t=0

St −K, 0

)

und fur den Fall eines asiatischen Puts

Auszahlung = max

(K − 1

T + 1

T∑t=0

St, 0

)

Asiatische Optionen werden von Unternehmen gekauft, die beispielsweise zu festgelegten Zeit-punkten in einem Jahr ihr Produkt verkaufen mussen, aber uber die gesamte Laufzeit hinwegMaterial– und Personalkosten in einer anderen Wahrung ausgesetzt sind. Das Unternehmenist dann einem starken Wahrungsrisiko ausgesetzt. Durch eine asiatische Option kann das Un-ternehmen die Wahrungsschwankungen auf der Aufwandsseite hedgen. Insbesondere Olfirmengreifen auf asiatische Optionen zuruck.

lookback Optionen. Lookback Optionen werden relativ selten gehandelt und sind im Ge-gensatz zu den vanilla Optionen verhaltnismaßig teuer. Sie dienen Anlegern, die Hochstkurseeiner Aktie mitnehmen wollen. Ein lookback call ist eine Wette auf einen Maximalpreis, deneine Aktie uber eine Laufzeit hatte und fur die Auszahlung gilt

Auszahlung = max(

max0≤t≤T

St −K, 0)

,

analog fur den lookback put.

binary Optionen. Die letzte große Klasse exotischer Optionen, auf die wir eingehen wollen.Binary Optionen stellen das dar, was wir landlaufig als Wette bezeichnen wurden. Kennzeicheneiner binary option ist, dass die Auszahlung dieser Option entweder null oder nur ein festerWert ist

Auszahlung =

{B wenn ST ≥ K,

0 wenn ST < K,

wobei B eine vorher vereinbarte feste Zahlung bezeichnet.11Asiatische Optionen wurden zuerst vom Tokioter Office des Bankers Trust gehandelt, daher die Bezeichnung.

Eine kleine Geschichte mag verdeutlichen, wie Namen exotischer Optionen entstehen konnen. Den amerika-nischen Okonomen Darrell Duffie und Michael J. Harrison gelang Anfang der neunziger Jahre die Bewertungeiner amerikanischen Option, die eine unendliche Laufzeit hat. Bis heute existiert an den Finanzmarktenjedoch kein Beispiel fur eine solche Option, sie ist nicht mehr als eine mathematische Gedankenspiele-rei (zugegebenermaßen mit einer durchaus eleganten Herleitung). Um aber den russischen MathematikerShirjayev zu ehren, dessen Arbeiten bahnbrechend fur die Bewertung der amerikanischen Optionen wa-ren, wurde dieser Spezialfall “russische Option” getauft. Unter diesem Namen finden Sie ihn heute wieselbstverstandlich in den Handbuchern uber exotische Optionen.

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2.4 Motive fur den Einsatz von Termingeschaften

Die Motive eines rationalen und risikoaversen Investors fur den Einsatz von Derivaten sindvor allem auf komparative Informationsvorteile und -nachteile zuruckzufuhren (Informati-onsineffizienz). Sie hangen daher typischerweise von der Art und dem Ort der gewohnlichenGeschaftstatigkeit eines Unternehmens ab. Ein international agierendes Brokerhaus kann bei-spielsweise Informationsvorteile bei der Einschatzung kunftiger Devisenkurse haben. Ein deut-sches Industrieunternehmen hingegen kann ein besonderes Know-how im Bereich Maschinen-bau als Vorteil fur sich nutzen. Im Folgenden werden wir die typischen (rationalen) Motivefur den Einsatz von Derivaten an Hand dieser beiden Beispiele illustrieren.

Komparative Kostenvorteile Ein wesentliches Motiv fur den Abschluss von Swapgeschaftenbesteht im Ausnutzen von komparativen Kostenvorteilen. Der typische Anwendungsfall furWahrungsswaps ist gegeben, wenn eine inlandische Mutter ihre auslandische Tochter zu fi-nanzieren hat und auf dem auslandischen Finanzmarkt nicht das gleiche Standing wie einevergleichbare auslandische Muttergesellschaft hat. Unter der Voraussetzung, dass die inlandi-sche Mutter im Ausland einen Partner findet, der daran interessiert ist, ein entsprechendesGegengeschaft abzuschließen, konnen beide von einem Wahrungsswap profitieren. In diesemFall kann die Mutter einen im Inland relativ gunstigen Kredit aufnehmen und mit einemWahrungsswap in die benotigte auslandische Wahrung umwandeln. Mit solchen Geschaftengelingt es auch, die Wahrungsrisiken zu vermeiden, die mit normalen Fremdwahrungskredi-ten verbunden sind, weil bereits bei Vertragsabschluss das Austauschverhaltnis zwischen denbeiden beteiligten Wahrungen festgelegt wird.

Beispiel. Eine kanadische und eine deutsche Aktiengesellschaft (CAMO und DEUMU) mitSitz in Toronto beziehungsweise Berlin unterhalten Tochtergesellschaften in Deutschland re-spektive Kanada (CADAU und DEUTO). Die Tochter mussen in der jeweiligen Fremdwahrungfinanziert werden. Die Mutter haben in ihren Heimatlandern ein relativ gutes Standing,mussen aber im Ausland auf Grund der Tatsache, dass ihr Name dort nicht so gut bekannt ist,verhaltnismaßig unvorteilhafte Konditionen hinnehmen, vergleiche Tabelle 2.1. Die CAMO ist

Tabelle 2.1: Zinskonditionen fur Kredite in Landeswahrung

Land CAMO DEUMUDeutschland 16 % 15 %Kanada 10 % 13 %

dazu bereit, der DEUMU einen Wahrungsswap vorzuschlagen. Zu diesem Zweck wurde sieeinen Kredit in Kanada aufnehmen und das Geld dem deutschen Partner zur Verfugung stel-len, wenn dieser seinerseits die kanadische Gesellschaft mit einem in Deutschland aufgenom-menen Kredit versorgt. Der augenblickliche Wechselkurs belauft sich auf 0.80e je kanadischenDollar. Beide Tochtergesellschaften besitzen einen Finanzbedarf von etwa 50 Mio.e fur dienachsten funf Jahre.

Wie konnte unter diesen Bedingungen ein fur beide Seiten vorteilhafter Wahrungsswap aus-

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sehen?

Um zu zeigen, dass ein fur beide Parteien vorteilhaftes Swapgeschaft moglich ist, unterstellenwir, dass beide Muttergesellschaften einen Kredit in eigener Landeswahrung aufnehmen unddiesen mit dem Vertragspartner tauschen. Der Wahrungsswap wird nun wie folgt abgewickelt.

• Die Mutter nehmen zunachst Kredit in der “falschen Wahrung” auf.

– CAMO emittiert eine Dollar–Anleihe mit einem Nennwert von 62.5 Millionen ka-nadischen Dollar und muss dafur 10 % Dollar–Zinsen zahlen.

– DEUMU begibt eine Anleihe im Nennwert von 50 Mio.e mit einem Kupon von15 %.

• Die Swap–Vertragsparteien verpflichten sich zur laufenden Ubernahme der Zinszahlun-gen. Die falligen Betrage werden von den jeweiligen Tochtern geleistet.

– DEUTO zahlt uber ihre Mutter an CAMO laufend 10 % Dollar–Zinsen, die diesean ihre kanadischen Kreditgeber weiterleitet.

– DEUMU erhalt von der CADAU laufend 15 % Euro–Zinsen und kommt damitihren Zahlungsverpflichtungen fur die in Deutschland begebene Anleihe nach.

• Beide Tochtergesellschaften zahlen nach Ablauf der funf Jahre ihre Kredite zuruck, unddie Anleihebetrage werden zum ursprunglichen Wechselkurs von 0.8 : 1 zuruckgetauscht.

Beide Unternehmen konnen dadurch ihre Zinskosten senken, was man in Tabelle 2.2 leichtnachrechnen kann.

Tabelle 2.2: Vorteile eines Wahrungsswaps

CAMO DEUMU

Euro–Zins (direkt) −16% Dollar–Zins (direkt) −13%Euro–Zins (indirekt) −15% Dollar–Zins (indirekt) −10%

Vorteil fur CAMO +1% Vorteil fur DEUMU +3%

2.4.1 Spekulation

Investoren konnen versuchen, ihre individuellen Erwartungen uber kunftige Preisentwicklun-gen gewinnbringend auszunutzen. Rational ist das jedoch nur, wenn diese Erwartungen aufGrund eines komparativen Informationsvorteils gebildet werden.

2.4.2 Hedging

Investitionsprojekte sind typischerweise mit den unterschiedlichsten Risiken verbunden, wiebeispielsweise

Skript Risikomanagement und Derivate Loffler/Laitenberger

Page 23: Risikomanagement Und Derivate

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• Absatzmengen- und Absatzpreisrisiken,

• Zinsanderungsrisiken und

• Wahrungsanderungsrisiken.

Unter hedging versteht man die Eliminierung solcher Risiken durch den Abschluss von Termin-geschafte (vollstandiger Hedge). Ein rationaler und risikoaverser Investor sollte nur bereit seindie Risiken zu tragen, bei denen er einen komparativen Informationsvorteil besitzt. AndereRisiken sollte er – mit fair bewerteten Derivaten – hedgen.

Ein deutsches Maschinenbauunternehmen, das aus einem Geschaft mit einem amerikanischenKunden im August eine Einzahlung von US$ 500.000 erwartet, und gleichzeitig Zahlungs-verpflichtungen von e540.000 zu tatigen hat, sieht sich einem Wechselkursrisiko ausgesetzt.Sinkt der Dollar gegenuber dem Euro, so konnte das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeitengeraten. Steigt dagegen der Dollar, so wurde das Unternehmen seinen Verpflichtungen nach-kommen konnen und einen Uberschuss aus dem Dollargeschaft erwirtschaften. Gegen diesesRisiko kann sich das Unternehmen absichern, indem es zum Beispiel heute mit einem August-Future auf Dollar zu 1,13 short geht. Dies verursacht heute keine Zahlungen. Im Augustliefert das Unternehmen die US$ 500.000 termingerecht und erhalt unabhangig davon, wiesich der Wechselkurs entwickelt, dafur e560.000 mit denen es seinen eigenen Verpflichtungennachkommen kann.

Alternativ konnte das Unternehmen eine Option auf den Verkauf von US$ 500.000 zu 1,13erwerben. Bei einem fallenden Dollarkurs waren dem Unternehmen weiterhin e560.000 ga-rantiert, wahrend es bei steigenden Dollarkursen die Option nicht ausuben wurde. Gegenuberdem Future unterscheidet sich diese Strategie dadurch dass

• bei steigenden Dollarkursen kann ein Uberschuss erwirtschaftet werden,

• die Option im Gegensatz zum Future bei Vertragsabschluss einen Preis hat, der unterUmstanden erheblich sein kann.

Ist das Unternehmen ausschließlich daran interessiert die Wechselkursschwankungen zu hed-gen, sollte daher der Future bevorzugt werden.

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Page 24: Risikomanagement Und Derivate

3 Forwards und Futures

3.1 Arbitragefreiheit – eine zweite Vorbemerkung

Bei der Bewertung von Derivaten – und bei allen anderen Finanzmarktprodukten – spielt dasGrundprinzip der Arbitragefreiheit eine herausragende Rolle: das Prinzip, dass auf gut funk-tionierenden Kapitalmarkten keine Arbitragegewinne moglich sind. Arbitragegewinne sind –wir werden das spater noch genauer definieren – Gewinne ohne Einsatz von Kapital. Diesedarf es nicht geben, da offensichtlich sonst jeder versuchen wurde diese Art von Gewinnen zumachen. Als einfachstes Beispiel fur Arbitragegeschafte sei auf Preisdifferenzen des gleichenWertpapiers an verschiedenen Borsenplatzen hingewiesen. Ohne Transaktionskosten konnteman in diesem Fall das Wertpapier an derjenigen Borse kaufen, an der es billiger zu haben ist,und an dem Handelsplatz, an dem es teurer ist, wieder verkaufen. Damit macht man positiveGewinne, ohne Kapital einzusetzen. Dies liesse sich theoretisch unendlich oft wiederholen,was zwangslaufig zu Preisanderungen an beiden Handelsplatzen fuhren wurde, so dass nachkurzer Zeit die Preise des Wertpapiers an beiden Orten wieder identisch waren. In der Rea-litat tauchen Arbitragegelegenheiten zwar auf, werden aber wie in dem obigen Beispiel sofortvon sogenannten Arbitrageuren – Marktteilnehmer, die nichts anderes tun, als die Marktenach solchen Gelegenheiten zu durchsuchen – ausgenutzt und daher schnell wieder zunichtegemacht.

Arbitragegeschafte nutzen haufig sogenannte Leerverkaufe (auf englisch ’short selling’). EinLeerverkauf bedeutet den Verkauf eines Wertpapiers, das man gar nicht besitzt, mit dem Ziel,es spater – moglichst billiger – zuruckzukaufen. Leerverkaufe sind Transaktionen, die nur be-stimmten institutionellen Marktteilnehmern wie zum Beispiel Hedge Fonds erlaubt sind. ImPrinzip borgt man sich dabei die Wertpapiere, die man verkauft, von anderen Marktteilneh-mern. Da dies in der Regel von Aktienhandlern organisiert wird, merken die Leihgeber davongar nichts. Als borgender Investor ist man dann naturlich verpflichtet, den Leihgebern anfal-lende Dividenden- oder Zinszahlungen aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Bei Leerverkaufenverlangen die Aktienhandler erhebliche Sicherheiten, die aber auch in Form anderer Wertpa-piere erbracht werden konnen und die man beim Gegengeschaft zuruckerhalt, so dass sie keineechten Kosten darstellen.

Als Beispiel betrachten man einen Investor, der im April 500 SAP Aktien zum Preis von 120 eleerverkauft und sie im Juni zum Preis von 100 e zuruckkauft. Im Mai werden eine Dividendevon 4 e je Aktie fallig. Der Investor erhalt im April 500 ∗ e120 = 60.000 e. Die Dividendefuhrt zu einer Zahlung von 500 × 4 e = 2.000 e im Mai. Im Juni werden schließlich beimRuckkauf 500× 100 e = 50.000 e fallig. Insgesamt macht der Investor einen Gewinn von

60.000 e− 2.000 e− 50.000 e = 8.000 e.

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Page 25: Risikomanagement Und Derivate

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3.2 Zinsstrukturkurve

Wir wollen uns bei der Diskussion uber den Zusammenhang von Forward– und Futurepreisenmit festverzinslichen Wertpapieren beschaftigen. Dazu gehen wir von folgendem Modell aus.Es gebe in der Zukunft T Zeitpunkte, die Zukunft sei sicher.1 Wir betrachten nur festverzins-liche Wertpapiere (“bonds”), die Zahlungen in diesen Zeitpunkten versprechen. Bevor wir aufdie Forwards und Futures eingehen, wollen wir den Kassamarkt genauer betrachten.

Betrachten wir dazu ein festverzinsliches Wertpapier, das eine Zahlung von einer Geldeinheitin einem Zeitpunkt t verspreche und sonst keine weiteren Zahlungen leiste. Man bezeichneteinen solchen Titel auch als Zerobond. Dieser Zerobond moge heute Z0(t) kosten. Der Preisdieses Zerobonds hangt den den Zinssatzen ab, die an den Kapitalmarkten vorherrschen. Dabeiunterscheiden sich die Zinssatze entsprechend den Laufzeiten, die diese Zerobonds aufweisen.Wir wollen einen einjahrigen Zinssatz fur eine Geldanlage vom Zeitpunkt 0 bis zum Zeitpunktt mit r0,t bezeichnen (im englischen spricht man vom “yield”). Fur den Preis des Zerobondsgilt dann

Z0(t) =1

(1 + r0,t)t.

Durch die Angabe der Kassazinsatze r0,t oder die Angabe der Preise fur Zerobonds ist derKassamarkt vollstandig beschrieben.

Im Rahmen unseres Modells konnen wir noch keine weiteren Aussagen uber die Hohe dereinzelnen Kassazinssatze treffen. Eine Abbildung, die die verschiedenen Kassazinssatze r0,t

auf einer Zeitachse abtragt, heißt Zinsstrukturkurve (“term structure” oder “yield curve”).Ein Beispiel einer solchen Zinsstrukturkurve ist in Abbildung 3.1 dargestellt. Man beobachtetan den Finanzmarkten verschiedene Formen von Zinsstrukturkurven. Die Abbildung 3.1 zeigteinen wachsenden Verlauf, und diese Verlaufsform ist durchaus typisch. Es ist aber auchmoglich, dass die Zinsstrukturkurve fallend ist (wenngleich solch ein Zustand typischerweisenur von kurzer Dauer ist) und auch Strukturkurven mit Buckeln (“humped term structure”)wurden beobachtet.

-

6yield r0,t

Zeit...........................

.....................................................................................................

.......................................................

Abbildung 3.1: term structure

Kommen wir nun zu den Forward sowie den Futures auf Zinsprodukte. Ein Forward ist einVertrag, bei dem heute eine Geldanlage in einem zukunftigen Zeitpunkt vereinbart wird. DieVertragsparteien einigen sich, dass im Zeitpunkt t eine Geldanlage fur eine Periode auf t + 1

1Es ist formal außerst aufwendig, in einem Modell mehrere Zeitpunkte und Unsicherheit zu vereinen.

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erfolgen wird. Welchen Zinssatz sollen beide Parteien vereinbaren? Wir bezeichnen diesenZinssatz als forward rate rt,t+1.

Um den Zinssatz zu ermitteln, greifen wir zu folgender Uberlegung. Statt des forward Geschaftesvollziehen wir zwei Kassageschafte. Wir borgen uns Geld von heute bis zum Zeitpunkt t undgleichzeitig legen wir fur den Zeitraum von heute bis t + 1 denselben Betrag am Kapital-markt an. Dieser Betrag ist beliebig, der Einfachheit halber sei er G. Schauen wir uns dasErgebnis dieses gekoppelten Geschaftes an. In den Zeitpunkten 0, 1, . . . , t − 1 betragen dieNettozahlungen jeweils 0, da sich Geschaft und Gegengeschaft ausgleichen oder erst gar keineZahlungen vorgesehen sind. Im Zeitpunkt t haben wir den zu Beginn geborgten Geldbetragzuruckzugegeben. Da G geborgt wurde, sind jetzt (1 + r0,t)tG zu zahlen. Einen Zeitpunktspater erhalten wir die Auszahlung aus der Kapitalmarktanlage. Sie betragt entsprechendden gultigen Kassazinssatzen gerade (1 + r0,t+1)t+1G.

Die Uberlegung, die uns die Hohe der forward rates offenbart, ist nun die folgende. Wir mussenfeststellen, dass das gekoppelte Geschaft (am Kassamarkt Geld borgen und gleichzeitig anle-gen) und das forward Geschaft aus Sicht der Zahlungsstrome keine Unterschiede aufweisen. Inbeiden Fallen finden bis zum Zeitpunkt t−1 keine Zahlungen statt, erst in den nachfolgendenbeiden Perioden kommt es zu einer Aus– und dann einer Einzahlung. Daher ist auch nichteinzusehen, warum beide Geschafte eine unterschiedliche Rendite aufweisen sollen. Waren dieRenditen unterschiedlich, so konnte jedermann durch ein so genanntes Arbitrageschaft einenbeliebig hohen Geldbetrag am Kapitalmarkt erzielen, ohne dafur selbst Kapital aufwenden zumussen und ohne jegliches Risiko einzugehen. Solche Situationen konnen an Kapitalmarktenkeinen Bestand haben.

Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn das forward Geschaft und das gekoppelte Kassa-geschaft eine identische Rendite aufweisen mussen? Es gilt notwendigerweise

rt,t+1 =(1 + r0,t+1)t+1G

(1 + r0,t)tG− 1

und daraus erhalten wir folgenden Zusammenhang zwischen forward rates und Kassazinssatzen

(1 + r0,t)t · (1 + rt,t+1) = (1 + r0,t+1)t+1.

Die forward rates sind vollstandig bestimmt, wenn man samtliche Kassazinssatze kennt.

Die von uns angestellten Uberlegungen lassen sich auch auf andere forward Markte ubert-ragen. Die fur uns entscheidende Uberlegung ist dabei, inwieweit Kosten der Lagerung furdas zu betrachtende Gut anfallen. Im Falle der Bonds entsprechen den Lagerkosten geradedie Zinsertrage, bei forwards auf Waren (wie etwa Ol oder Mais) mussen weiter eventuellerSchwund berucksichtigt werden. Man spricht von einer cash–and–carry Arbitrage.

3.3 Bestimmung von Futures– und Forward–Preisen

3.3.1 Forward–Preis

Betrachten Sie nun eine Aktie mit einem aktuellen Kurs von 50 e, auf die Sie einen Forwardzum Kauf oder Verkauf der Aktie in einem Jahr zum Preis von 53 e abschließen konnen. Die

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Aktie zahlt keine Dividenden und der risikolose Zinssatz fur einjahrige Anlagen sei 5%. Be-trachten Sie nun die folgende Anlagestrategie: Kauf der Aktie durch Aufnahme eines Kreditsvon 50 e, Verkauf auf Termin der Aktie mit dem Forward. Netto hat man dadurch heutekeine Zahlungsverpflichtungen. in t = 1 zahlt man den Kredit inklusive Zinsen in Hohe von52,5 e zuruck und lost durch den Forward 53 e ein. Insgesamt macht man also einen Gewinnvon 0,5 e.

Wurde der Forward–Preis heute bei 51 e liegen, dann wurde man die Aktie leerverkaufenund den Erlos risikolos anlegen. Daruber hinaus wurde man mit dem Forward die Aktie aufTermin kaufen. Netto hat man heute wieder keine Zahlungen, in t = 1 hat man aus derrisikolosen Anlage 52,5 e, mit denen man seine Verpflichtungen aus dem Forwardgeschaft inHohe von 51 e nachkommen und die Aktie wieder zuruckgeben kann. Bleibt ein Gewinn von1,5 e.

In beiden Fallen liegt offensichtlich ein Arbitrage–Geschaft vor, da man diese Strategie beliebigoft wiederholen konnte, um ohne Einsatz von Kapital sehr schnell sehr reich zu werden. Nurwenn der Forward–Preis in t = 0 gleich

FO0 = S0(1 + rf )T

ist, liegt keine Arbitrage vor.

Was passiert, wenn die Aktie in einem halben Jahr eine Dividende von 5 e zahlt? DerForward–Preis heute liege wieder bei 51 e. In diesem Fall wurde man die Aktie allerdingsdurch die Aufnahme eines Kredits von 50 e kaufen und einen Forward short abschließen. Ineinem halben Jahr wurde man die Dividendenzahlung erhalten, die man sofort wieder risikolosanlegen wurde. Nach einem Jahr liefert man die Aktie und erhalt vertragsgemaß 51 e. Aus derAnlage der Dividendenzahlungen erhalt man außerdem inklusive Zinsen 5∗(1+0, 05)0,5 = 5, 12e. Damit lasst sich der Kredit inklusive Zinsen in Hohe von 52,5 e locker zuruckzahlen. Ins-gesamt hatte man mit dieser Strategie einen Gewinn von 3,62 e gemacht.

Bei einem Forward mit Termin in t2 auf ein Underlying mit einer sicheren Dividende d int1 < t2 liegt eine arbitragefreie Bewertung des Forwards nur dann vor, wenn

FO0 = S0(1 + rf )t2 − d(1 + rf )t2−t1 .

3.3.2 Hedging mit Forwards und Futures

Bevor wir uns anschauen, wie Futures–Preise zustande kommen, wollen wir noch einmal aufeinen entscheidenden Unterschied eingehen, den man beim hedgen mit Futures im Gegensatzzu Forwards beachten muss. Betrachten Sie eine Olraffinerie, die mit einem Kunden einenLiefervertrag geschlossen hat, in 3 Perioden eine Million Barrel Benzin zu einem festen Preiszu liefern. Um dieser Verpflichtung nachzukommen wird die Raffinerie in 2 Perioden zweiMillionen Barrel Rohol am Markt einkaufen mussen. Der Preis von Rohol in 2 Perioden istunsicher. Die Raffinerie konnte nun heute in t = 0 einen Forward abschließen uber den Kaufvon 2 Millionen Barrel Rohol und sich so zum aktuellen Forward–Preis von 50 $ absichern.In t = 2 hatte die Raffinerie mit Sicherheit 50× 2 = 100 Millionen $ zu zahlen, egal wie sichder Olpreis in der Zwischenzeit entwickelt.

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Alternativ konnte die Raffinerie sich auch mit Futures absichern. Angenommen die Raffinerieschließt in t = 0 Futures auf 2 Millionen Barrel Rohol ab. Der Futures–Preis in t = 0 liegeebenfalls bei 50 $. Angenommen der Futures–Preis fallt in t = 1 auf 25 $. Durch das Marking–to–Market hat die Raffinerie beim Futures–Hedging schon in t = 1 Zahlungen zu leisten, indiesem Fall in Hohe von (50− 25)× 2 Millionen = 50 Millionen $. Die Raffinerie kann dieseZahlung durch Aufnahme eines Kredits uber 50 Millionen $ begleichen. Dies fuhrt in t = 2allerdings zu einer Ruckzahlung des Kredits inklusive Zinsen in Hohe von (1+rf )50 Millionen$. Dazu kommt dann noch die letzte Zahlung aus dem ursprunglichen Futures–Vertrag inAbhangigkeit des Olpreises in t = 2 in Hohe von (S2− 25)× 2 Millionen $. Die Zahlungen beidieser Strategie sind in der folgenden Tabelle zusammen gefasst:

Tabelle 3.1: Futures–Strategie ohne Tailing

t = 1 t = 2Future in t = 0 F1 − F0 S2 − F1

Anlage/Kredit −(F1 − F0) (1 + rf )(F1 − F0)Kauf des Rohols 0 −S2

Zahlungen 0 rf F1 − F0

Es ergibt sich eine Zahlung in t = 2, die von der Kursentwicklung des Futures–Preises aufRohol abhangt und in der Regel unsicher sein durfte.

Um auch mit Futures eine vollstandigen Absicherung des Roholpreises hinzukriegen, mussman etwas geschickter vorgehen, und die Hedging–Strategie etwas anpassen. Im Englischennennt man das ,,tailing the hedge”, also den Hedge zuschneiden. Dies funktioniert wie folgt:

Die Raffinerie schließt in t = 0 Futures nur auf (1 + rf )−1 × 2 Millionen Barrel Rohol zumaktuellen Futures–Preis von 50 $ ab. Dies fuhrt in t = 1, wenn der Futures–Preis auf 25 $fallt, zu einer Zahlung von (1+rf )−1×50 Millionen $, fur die wieder ein Kredit aufgenommenwird. Außerdem werden weitere Futures abgeschlossen, zum Kauf von (1 − (1 + rf )−1) × 2Millionen Barrel Rohol, diesmal naturlich zum aktuellen Futures–Preis von 25 $. In t = 2sind fur den Kredit inklusive Zinsen 50 Millionen $ zu zahlen. Außerdem fuhren die in t = 0abgeschlossenen Futures zu einer Restzahlung von (1 + rf )−150 Millionen $ und die in t = 1abgeschlossenen Futures zu einer Zahlung von (1− (1 + rf )−1)50 Millionen $. Zusammenge-rechnet ergibt das eine sichere Zahlung von 100 Millionen $.

Tabelle 3.2: Futures–Strategie mit Tailing

t = 1 t = 2Future in t = 0 (1 + rf )−1(F1 − F0) (1 + rf )−1(S2 − F1)Anlage/Kredit −(1 + rf )−1(F1 − F0) F1 − F0

Future in t = 1 0 (1− (1 + rf )−1)(S2 − F1)Kauf des Rohols 0 −S2

Zahlungen 0 −F0

Man sieht, eine Hedging–Strategie mit Futures, die zu einer sicheren Zahlung in T fuhrt, mussdynamisch sein. Das Ganze funktioniert im Ubrigen nur dann, wenn die zukunftigen Zinssatze

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bekannt sind. Wir haben in dem obigen Beispiel der Einfachheit halber angenommen, dassdie Zinssatze sogar konstant sind. Bei mehr als drei Perioden sieht eine Hedging–Strategie mitFutures, die zu einer vollstandigen Eliminierung des Risikos fuhrt bei konstanten Zinssatzenwie folgt aus: fur jede Einheit des zu hedgenden Underlyings werden in t = 0 (1 + rf )−(T−1)

Futures abgeschlossen. In t = τ werden ((1 + rf )−(T−τ−1) − (1 + rf )−(T−τ)) neue Futuresabgeschlossen. Marginzahlungen werden zum risikolosen Zinssatz angelegt bzw. geliehen. DieHedging–Strategie fuhrt dazu, dass wir in jeder Periode genau (1 + rf )−(T−τ−1) Futures jeEinheit des Underlyings halten, also

im Zeitpunkt 0 genau (1 + rf )−(T−1) Einheiten des Futures,

im Zeitpunkt 1 genau (1 + rf )−(T−2) Einheiten des Futures,

...

im Zeitpunkt T − 1 genau (1 + rf )0 (=eine) Einheit des Futures.

Etwas lax gesprochen konnte man sagen: wir bauen die Futures–Position schrittweise auf: wirbeginnen bei (1 + rf )−(T−1) und erhohen mit der Zeit schrittweise auf eins.

Welche Zahlungsstrome lost diese Strategie aus? Im nullten Zeitpunkt fließt kein Geld zwi-schen dem Investor und der Clearingstelle. Im ersten Zeitpunkt hat sich der Futures–Preisvon F0 zu F1 geandert und wir haben Margins zu zahlen. Insgesamt betragt die Hohe diesermargins

(1 + rf )−(T−1)︸ ︷︷ ︸in t = 0 gehaltene Menge

· (F1 − F0)︸ ︷︷ ︸margin je future

. (3.1)

Unmittelbar nach Zahlung der margins erhohen wir Futures–Position von (1 + rf )−(T−1) auf(1+ rf )−(T−2) und halten sie fur den Rest der Periode. Nach Ablauf eben dieser Periode sindwir im Zeitpunkt t = 2. Der Futures–Preis hat sich von F1 nach F2 bewegt – also sind wiederMargins an das Clearinghaus zu leisten. Wieder sind die zukunftigen Futures–Preise heutenoch nicht sicher, daher die Tilden. Die Margins betragen

(1 + rf )−(T−2)︸ ︷︷ ︸in t = 1 gehaltene Menge

· (F2 − F1)︸ ︷︷ ︸margin je future F1

. (3.2)

Dieses Spiel setzt sich weiter fort und wir erkennen, dass im Zeitpunkt t = T letztmaligMargins in Hohe von

(1 + rf )0(FT − FT−1) (3.3)

zu leisten sind.

Jetzt mussen wir nur noch zusammenzahlen, um die Gesamtmenge der Zahlungen in T zubestimmen. Die Zahlung in T setzt sich aus der Summe der Margin–Zahlungen uber dieLaufzeit zusammen, die man zwischenzeitlich am Kapitalmarkt zum Zinssatz rf angelegt

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bzw. geborgt hat. Wir erhalten aus (3.1), (3.2) und (3.3)

Gesamtzahlung = (1 + rf )−(T−1)(F1 − F0) · (1 + rf )T−1+

+ (1 + rf )−(T−2)(F2 − F1) · (1 + rf )T−2+

+ . . . + (1 + rf )0(FT − FT−1) · (1 + rf )0

= (F1 − F0) + (F2 − F1) + . . . + (FT − FT−1)

= (ST − F0) = ST − F0.

Unabhangig davon wie sich die Futures–Preise F in der Zukunft entwickeln, erzielt man dieserStrategie immer den gleichen Zahlungsstrom wie beim Forward. Zwar erzwingt dieses Geschaftzwischendurch Einzahlungen (die Margins), die aber durch das Endvermogen wieder finanziertwerden. Jede Bank sollte also bereit sein, dafur dem Investor einen Kredit zu gewahren.2

3.3.3 Futures–Preis

Wir haben verstanden, wie Preise fur Forwards zustande kommen. Wie aber sind Futures zubewerten? Wie halten das folgende wichtige Resultat fest.

Satz 1 (Forwards und Futures) Sind die Kassazinssatze nicht stochastisch, dann stim-men Forward– und Future–Preise uberein.

Beweis: Wir werden uns hier der Einfachheit halber auf eine Situation beschranken, beider die Kassazinssatze konstant sind (so genannte “flache Zinsstrukturkurve”). Wer einenallgemeineren Beweis haben will, muss dies in der Literatur nachlesen.3 Wir betrachten einenForward Kontrakt auf ein im Zeitpunkt T zu lieferndes Gut. Dieses Gut wird im ZeitpunktT den Preis ST haben. Dieser Preis kann heute unsicher sein, wir haben ihn daher mit einerSchlange gekennzeichnet.

Der Investor kann heute einen Forward auf eine Lieferung zum Preis FO0 in T abschließen. Desweiteren gebe es einen Future, der ebenfalls im Zeitpunkt T die Aktie liefere; der vereinbarteFuture Preis sei gerade F0. Wir wollen zeigen, dass die Relation

FO0 = F0 (3.4)

gilt. Angenommen, die Relation ware nicht erfullt und der Forward und der Future Preiswurden nicht ubereinstimmen

FO0 6= F0.

2Der Investor erhielte also beispielsweise im Zeitpunkt t = 1 einen Kredit in Hohe von (1+rf )−T (fF1−F0) (oder

wurde diesen Geldbetrag anlegen), im Zeitpunkt t = 2 einen Kredit in Hohe von (1 + rf )−(T−1)(fF2 −fF1)(oder wurde diesen Geldbetrag anlegen) usw. und musste dafur im Zeitpunkt T den Betrag

(1 + rf )−T (fF1 − F0) · (1 + rf )T + . . . + (1 + rf )−1(fFT − gFT−1) · (1 + rf ) = fST − F0

zuruckzahlen (oder wurde ihn aus der Geldanlage erhalten).3Siehe Cox, Ingersoll & Ross (1981).

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Der Einfachheit halber sei FO0 großer als F0.4 Dann werden wir zeigen, dass es fur denInvestor eine Moglichkeit gibt, unendlich reich zu werden. Das aber ist an Finanzmarktenunmoglich: also konnen Forward und Future Preis nicht auseinanderfallen. Gleichung (3.4)gilt.

Fur die nun folgenden Uberlegungen wird es wichtig sein, die zukunftige Preisbewegung desFutures genauer zu beobachten. Im Zeitpunkt t = 0 wurde ein Preis von F0 vereinbart, einePeriode spater wird ein (heute unsicherer) Future Preis von F1 vereinbart, danach F2 usw. biszum Endzeitpunkt FT = ST .

Der Forward hat in t = T eine Auszahlung (nachdem man das Underlying damit verrechnethat) in Hohe von ST − FO0. Die Gewinn-und-Verlust-Position des Futures hangt dagegenvon der Entwicklung der Future-Preise zwischen t = 0 und t = T und von den herrschendenZinssatzen. Wurde man zum Beispiel genau einen Future in t = 0 shorten, so ergaben sich injeder Periode t laufende Margin-Zahlungen von Ft− Ft−1. Diese Zahlungen fuhren wiederumbis zum Falligkeitsdatum T zu Zinszahlungen von (1 + rf )T−t je gezahlter bzw. erhaltenerGeldeinheit fuhren. Bis zum Falligkeitszeitpunkt hatten sich also

T∑t=1

(Ft − Ft−1)(1 + rf )T−t

angesammelt. Dies ist etwas ganz anderes als die Zahlung des Forwards. Insbesondere istvollkommen unklar, ob dies mehr oder weniger als die Zahlung des Forwards ist.

Deshalb mussen wir wie im vorangehenden Abschnitt eine Hedging–Strategie zuschneidern(,,Tailing the Hedge”) mit der wir genau die gleichen Zahlungen wie beim Forward erhalten.Wir halten einen Forward short und und verfolgen wie die im letzten Abschnitt beschriebenedynamische Hedging–Strategie, bei der wir in t = 0 (1 + rf )−(T−1) Einheiten des Futureshalten und diese Position schrittweise auf Eins erhohen.

Unabhangig davon wie sich die Futures–Preise F in der Zukunft entwickeln, erzielt man immerein positives und sicheres Endvermogen in Hohe von FO0−F0. Wurde der Investor also unsereStrategie oft genug durchfuhren, dann wurde er durch die Koppelung von futures und demforward Geschaft am Laufzeitende auf ein positives Endvermogen kommen. Dieser Gewinn istsicher, am Ende der Laufzeit betragt der Kontostand immer FO0−F0, unabhangig davon wiesich die Futures–Preise wahrend der Laufzeit entwickelt haben! Unser Investor kann durch dievon uns gewahlte Strategie unendlich reich werden. Das aber war nicht moglich, also mussenForward und Futures–Preise ubereinstimmen.

Haben Sie bemerkt, an welcher Stelle im Beweis die Voraussetzung sicherer Zinssatze einging?Achten Sie auf die Gleichung (3.1). Diese Gleichung beschreibt, wie viel von dem erstenFuture der Investor erwerben muss. Der Zinssatz vor dem Term F1 − F0 kurzte sich in derEndvermogensrechnung bei VT wieder: (1 + rf )−(T−1) · (1 + rf )T−1 = 1. Waren nun dieZinssatze unsicher, so musste der Aufzinsungsfaktor rechts unsicher sein. Dann aber musstedemzufolge auch die Menge an futures, die der Investor kaufen muss, von diesem unsicherenFaktor bestimmt werden, damit wir im Ergebnis wieder eins erhalten. Wir wussten also garnicht, wie viel Mengen an future der Investor zu erwerben hatte (diese Menge ware unsicher).5

4Im anderen Fall muss nur die Strategie angepaßt werden.5Eine unsichere Strategie kann man nicht durchfuhren, das ware genauso wie der Rat “kaufen Sie die Aktie

heute nur dann, wenn sie ihr zukunftiger Wert verdoppeln wird.” Wie soll man jetzt wissen, ob sich der

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Mithin konnten wir unsere Strategie bei unsicheren Zinssatzen nicht durchfuhren.

3.3.4 Basisrisiko

Idealerweise wurde man immer gerne alle Risiken komplett hedgen. Dies ist nicht immermoglich. Forwards sind haufig nicht zu haben und Futures werden nur auf bestimmte Under-lyings mit bestimmten Qualitatseigenschaften und nur zu bestimmten Terminen gehandelt.Es wird eher selten vorkommen, dass man den Future kaufen kann, der genau die Risikeneliminiert, mit denen man es zu tun hat. In der Regel wird man ein solches Derivat nichtfinden und sich deshalb mit einem eng verwandten Future zufrieden geben mussen. Grundehierfur sind:

• Das Gut, dessen Preis gehedget werden soll, entspricht nicht genau dem Underlyingdes Futures. Zum Beispiel wird man sich, wenn keine Futures auf Flugbenzin gehandeltwerden, mit Futures auf Heizol begnugen mussen.

• Der Termin, an dem das Gut ge- oder verkauft werden soll, entspricht nicht dem Termin,an dem der Future fallig wird. Futures werden in der Regel nur mit Falligkeiten zubestimmten Monaten gehandelt und sind haufig bei langeren Laufzeiten recht illiquide.

In solchen Fallen wird es in der Regel nicht moglich sein, die Risiken vollstandig zu eliminieren.Das nicht hedgbare Restrisiko wird als Basisrisiko bezeichnet. Trotzdem ist es moglich durchden Einsatz von Derivaten die Risiken (verstanden als Varianz der Gewinne) zu mindern.Wenn es zu dem gewunschten Termin kein Future gibt, wird die risikomindernde Strategiedann so aussehen, dass man Futurevertrage mit einer etwas langeren Laufzeit als das zuhedgende Geschaft eingeht und diese zum Zeitpunkt des Geschaftes durch ein Gegengeschaftglattstellt. Bei einem Underlying, auf das gar keine Futures gehandelt werden, wird manFutures auf ein nahe verwandtes Underlying verwenden. Die Hedge Ratio gibt die optimaleHohe der Verpflichtungen an, die mit Futures eingegangen wird, im Verhaltnis zur Position, dieabgesichert werden soll. Bei passgenauen Hedges ist die Hedge Ratio gleich 1,0, das heißt, umein Wechselkursrisiko von US$ 500.000 abzusichern, wird man Futures auf genau US$ 500.000abschließen. Wenn kein passgenaues Produkt zur Verfugung steht, ist eine andere Hedge Ratioals 1,0 unter Umstanden optimal. Die optimale Hedge Ratio ergibt sich wie folgt. Wenn wirlong in einem bestimmten Gut sind und short in den Futures in einem Verhaltnis h zum Gut,dann entspricht unsere erwartete Vermogensposition derzeit S − hF , wobei S den Spot Preisdes Gutes und F den Future Preis bezeichnet. Bei einem long Hedge ist es genau umgekehrt:hF − S. In beiden Fallen ist die Varianz unserer Position

ν = σ2S + h2σ2

F − 2hρσSσF ,

wobei σS und σF die Standardabweichungen der Preise des Gutes bzw. des Futures und ρ denKorrelationskoeffizienten bezeichnen. Die optimale Hedge Ratio ergibt sich fur dasjenige h∗,bei dem die Varianz minimal ist. Dies ergibt sich aus

∂ν

∂h= 2hσ2

F − 2ρσSσF = 0,

zukunftige Wert verdoppeln wird?

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Page 33: Risikomanagement Und Derivate

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woraus folgt:

h∗ = ρσS

σF.

Beispiel. Ein Unternehmen beabsichtigt in drei Monaten 1 Million Liter Flugbenzin zu kau-fen. Der Preis von Flugbenzin hat eine Standardabweichung von 0,032. Der nachstbeste Hedgeist Heizol. Der Future Preis von Heizol hat eine Standardabweichung von 0,040 und der Kor-relationskoeffizient ist 0,8. Die optimale Hedge Ratio ist folglich

0, 8× 0, 0320, 040

= 0, 64.

Das Unternehmen sollte also Futures auf 640.000 Liter Heizol erwerben.

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Page 34: Risikomanagement Und Derivate

4 Optionen

4.1 Put-Call-Paritat fur europaische Vanilla–Optionen

Wir wollen in diesem Abschnitt einen fundamentalen Zusammenhang von Put– und Callprei-sen herleiten, der als Put–Call–Paritat bekannt ist. Dazu gehen wir von einem Modell mitzwei Zeitpunkten und einer unsicheren Zukunft aus. Eine Aktie werde heute zum Preis S0

gehandelt und verspreche in der Zukunft einen unsicheren Ertrag S1. Ebenso werde heute eineuropaischer Call zum Preis von C0 und ein europaischer Put zum Preis von P0 angeboten.

Ein Marktteilnehmer, der

• eine Aktie erwirbt,

• einen europaischen Put kauft und

• einen europaischen Call verkauft,

nimmt eine vollkommen risikolose Position ein. Dabei gehen wir davon aus, dass beide Optio-nen auf die gleiche Aktie geschrieben werden, diese Aktie wahrend der Laufzeit keine Dividen-den zahlt und beide Optionen das gleiche Verfalldatum und einen identischen AusubungspreisK haben. Betrachten wir Tabelle 4.1. Die Tabelle enthalt eine Fallunterscheidung bei den

Tabelle 4.1: Risikoloses PortfolioFinanztitel Preis in t = 0 Ruckflusse in t = 1

S1 > K S1 ≤ K

Kauf einer Aktie S0 S1 S1

Kauf einer Verkaufsoption P0 0 K − S1

Verkauf einer Kaufoption −C0 K − S1 0Portfolio S0 + P0 − C0 K K

Ruckflussen im Zeitpunkt t = 1: entweder ist der zufallsabhangige Aktienkurs S1 dann großerals der Basispreis oder nicht.

• Betrachten wir zunachst die Aktie. Ihr kunftiger Kurs S1 ist nicht vorhersehbar.

• Wer eine Verkaufsoption erworben hat, wird diese ausuben, wenn spater der ZustandS1 < K eintritt. Gegen Lieferung der Aktie erhalt man vom Stillhalter den Basispreis.Also belaufen sich die Ruckflusse auf K − S1.

Tritt der aus Sicht des Putkaufers ungunstige Zustand auf, so ist die Verkaufsoptionwertlos und verfallt.

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• Durch den Verkauf der Kaufoption erwirbt der Kaufer das Recht, die Aktie zu kaufen,wenn dieser das wunscht. Die Ausubung wird stattfinden, wenn der Zustand S1 > Keintritt. Auch in diesem Fall belaufen sich die Ruckflusse auf K − S1.

Tritt dagegen die Situation S1 < K ein, so wird der Callkaufer darauf verzichten, dieOption auszuuben.

Die Tabelle zeigt deutlich, dass die Ruckflusse im Zeitpunkt t = 1 ebenso groß sein werdenwie der Basispreis K. Die Erklarung ist einfach. Dadurch, dass wir sowohl einen Put kaufenals auch einen Call verkaufen, sorgen wir dafur, dass die Aktie im Zeitpunkt t = 1 aufjeden Fall zum Preis K verkauft wird. Damit sind die kunftigen Einnahmen absolut sicher.Wir haben aus drei – zum Teil hochst riskanten – Komponenten ein vollkommen risikolosesPortfolio konstruiert. Der Preis dieses Portfolios muss auf einem arbitragefreien Markt daherdem mit dem risikofreien Zins rf diskontierten Basispreis K entsprechen. Mithin gilt der alsPut–Call–Paritat bezeichnete Zusammenhang

(1 + rf )(S0 + P0 − C0) = K. (4.1)

4.2 Das Zwei–Zeitpunkte Zwei–Zustande Modell

In diesem Kapitel wollen wir uns mit der Frage beschaftigen, ob und inwieweit auch Options-preise ohne Ruckgriff auf die Psychologie des Marktes oder die Risikoneigung von Investorenbestimmt werden konnen. Bei Futures und Forwards gelang dies unter bestimmten Annah-men. Wir werden sehen, dass die Herleitung bei Optionen um einiges aufwendiger ist.

Zuerst werden wir uns dazu eines sehr einfachen Modelles bedienen. Wir betrachten zuersteine Situation, in der es nur einen Zeitpunkt in der Zukunft gebe. Diese Zukunft sei zwarunsicher, aber die Unsicherheit bestehe nur aus zwei moglichen Zustanden. Wir betrachtenzuerst zwei Titel: eine Aktie S sowie einen risikolosen Titel (bond) B. Die Auszahlungen derbeiden Titel in den beiden Zustanden werden wir durch Indizes darstellen. Die Aktie zahltalso im Zustand 1 den Geldbetrag S1 und S2 im zweiten Zustand. Der Einfachheit halber seiS1 < S2. Der Bond ist risikolos und zahlt

(0 <) B1 = B2.

Will ein Investor heute die Aktie erwerben, dann muss er den Betrag S0 zahlen, fur den Bondwaren B0 fallig. Damit auch Aktien tatsachlich gekauft werden, muss die Rendite des Bondeszwischen den beiden unsicheren Renditen der Aktie liegen:

S1

S0≤ B1

B0≤ S2

S0. (4.2)

Jetzt fuhren wir einen Call in unsere Welt ein. Dieser Call sei eine Option mit Laufzeit t = 1und Basispreis K. Damit unsere Option auch wirklich ein bedingtes Termingeschaft wird,muss sinnvollerweise

(0 <) S1 < K < S2

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sein. Anderenfalls wurde die Option immer ausgeubt (und ware nicht mehr als eine Aktieabzuglich einer festen Gebuhr) oder nie ausgeubt (und dann wertlos). Was konnen wir uberden Preis dieses Calls C0 aussagen?

Bevor wir diese Frage beantworten, betrachten wir die Auszahlungsstruktur des Calls. Es gilt

Cs = max(Ss −K, 0) =⇒ C1 = 0, C2 = S2 −K.

Wir werden jetzt zur Bewertung des Calls wie folgt vorgehen. Wir bilden ein Portfolio aus derAktie und dem Bond, das eine identische Auszahlungsstruktur wie der Call hat. Wenn diesebeiden Wertpapier (Call und Portfolio) aber identische Auszahlungen haben, mussen auchdie Preise identisch sein. Daraus werden wir eine Gleichung fur den Preis des Calls ableiten.

Man kann die Idee, die wir jetzt verfolgen werden, auch wie folgt beschreiben. Bisher habenwir am Markt nur die Aktie und den Call betrachtet. Dadurch, dass wir in unser Blickfeld nunden Bond mit einbeziehen (der ja auf den ersten Blick nichts mit dem Call zu tun zu habenscheint), gelingt uns die Nachbildung und damit letztendlich die Bewertung des Call. DieserTrick ist keinesfalls offensichtlich, und er stellte (naturlich in einem etwas aufwendigerenModell) die eigentliche Leistung von Black und Scholes dar.

Wie muss ein Portfolio aus Aktie und Bond aufgebaut sein, damit wir eine zum Call identischeZahlungstruktur erhalten? Wir wurden nS Aktien und nB Bonds erwerben und hatten imZeitpunkt t = 1 die Auszahlungen

Zustand 1: nSS1 + nBB1 = 0 (= C1)Zustand 2: nSS2 + nBB1 = S2 −K (= C2)

Dieses Gleichungssystem hat eine Losung in den Variablen nS und nB genau dann, wenn dieDeterminante nicht verschwindet. Diese Bedingung bedeutet aber

S1B1 − S2B1 6= 0 =⇒ S1 6= S2, B1 6= 0

und genau das hatten wir vorausgesetzt. Die Losung des Gleichungssystems (CramerscheRegel) ergibt

nS =0B1 − (S2 −K)B1

S1B1 − S2B1nB =

S1(S2 −K)− S20S1B1 − S2B1

=S2 −K

S2 − S1= −S1

B1

S2 −K

S2 − S1

Wenn wir nS und nB kennen, heißt das: der Call muss zu einem Preis von

C0 = nSS0 + nBB0 =S2 −K

S2 − S1S0 −

S1

B1

S2 −K

S2 − S1B0

=B0

B1︸︷︷︸= 1

1+rf

·(S2 −K) · S0B1 − S1B0

(S2 − S1)B0(4.3)

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gehandelt werden. Ware der Call teurer, dann wurden wir ihn mittels der Aktie und demBond nachbauen und hatten ein identisches Produkt zu einem niedrigeren Preis. Wir konntendieses Produkt anbieten und niemand ware bereit, den Call zu kaufen. Der Preis eines Callsist damit allein durch die Daten der Aktie, des Bonds und dem Ausubungspreis vollstandigbestimmt.

Wir konnen folgenden Merksatz fur die weiteren Uberlegungen formulieren:

In unserem spezifischen Modell ist der Preis eine Calls weder von der Risikoeinstel-lung der Investoren noch der Psychologie des Marktes bestimmt. Vielmehr ermittelter sich anhand einer festen Regel aus den Daten der zugrundeliegenden Aktie unddem risikolosen Bond

C0 = C0(B,S, K).

Dieser Merksatz wurde nur fur Calls bewiesen. Er gilt offensichtlich auch fur Puts und, wiewir uns leicht uberlegen konnen, auch fur andere Optionen und Derivate. Wir halten weiterfest, dass wir den Preis der Derivate ermitteln konnten, weil es uns gelang, die Auszahlungender Derivate mit Hilfe des Bonds und der Aktie nachzugestalten.

Wir halten eine weitere interessante Eigenschaft fest. Uns hat im Verlauf der Rechnungnicht interessiert, mit welchen Wahrscheinlichkeiten der Investor das Eintreten der einzelnenZustande fur moglich hielt. Auch fur die Bewertung des Calls waren diese Wahrscheinlichkei-ten vollig irrelevant. Wir gehen jetzt noch einen Schritt weiter. Angenommen, der Investorhielte zufallig folgende Wahrscheinlichkeiten fur die beiden Zustande fur moglich

q2 =S0B1 − S1B0

(S2 − S1)B0, q1 = 1− q2. (4.4)

Bevor wir weiterrechnen: wieso sind das wirklich Wahrscheinlichkeiten (einmal abgesehen vonder Tatsache, dass diese Ausdrucke scheinbar vom Himmel fallen)? Prufen wir nach, ob q1

zwischen 0 und eins liegt. Ist das der Fall, dann stellen (4.4) in der Tat Wahrscheinlichkeitendar.

q2 ≥ 0

⇐⇒ S0B1 − S1B0

(S2 − S1)B0≥ 0

⇐⇒ S0B1 ≥ S1B0

⇐⇒ B1

B0≥ S1

S0

und das hatten wir zu Beginn vorausgesetzt (siehe Ungleichung (4.2)). Vollig analog folgt,

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dass q2 auch kleiner als eins ist

q2 ≤ 1

⇐⇒ S0B1 − S1B0

(S2 − S1)B0≤ 1

⇐⇒ S0B1 − S1B0 ≤ (S2 − S1)B0

⇐⇒ B1

B0≤ S2

S0

und auch das steht in Ungleichung (4.2).

Zuruck zu unserem Investor mit den auf den ersten Blick merkwurdigen Wahrscheinlichkeiten.Wir werden den Erwartungswert unter diesen Wahrscheinlichkeiten besser nicht mit E [·]bezeichnen, da wir dies fur die tatsachliche (man sagt auch subjektive) Wahrscheinlichkeit desInvestors reservieren wollen. Statt dessen schreiben wir besser E Q[·]. Wenn dieser Investordiesen Erwartungswert der Zahlungen aus dem Call ermittelt und diese Zahlung risikolosdiskontiert, dann erhalt er folgenden Ausdruck

11 + rf

E Q[C] =B0

B1

(q1 · 0 + q2 · (S2 −K)

)=

B0

B1

S0B1 − S1B0

(S2 − S1)B0(S2 −K)

= C0 siehe (4.3).

Dieses Ergebnis halten wir in einem zweiten Merksatz fest.

In unserem spezifischen Modell ist der Preis eine Calls auch als diskontierter Erwar-tungswert unter einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ermittelbar

C0 =1

1 + rfE Q[C].

Welchen Vorteil hat diese Formulierung? Auf den ersten Blick erlaubt sie eine sehr starkeAnalogie zu einer risikolosen Situation. Dort gilt ja selbstverstandlich

C0 =1

1 + rfC.

Die Verallgemeinerung auf Unsicherheit bedeutet nun: wahle die (bisher immer noch vomHimmel gefallenen) Wahrscheinlichkeiten und du bist in einer Situation, die der unter Si-cherheit außerst ahnlich ist. Diese Wahrscheinlichkeit hat in der Literatur verschiedene Be-zeichnungen: “risikoneutrale Wahrscheinlichkeit”1, “Pseudowahrscheinlichkeiten” oder auch“Martingalmaß”. Wie konnen wir unsere Erkenntnis des letzten Merksatzes okonomisch in-terpretieren? Die Aussage bedeutet nichts anderes, als das unter dem Martingalmaß Q dieWelt fur den Investor risikoneutral scheint. Er interessiert sich nur fur den Erwartungswert

1Warum diese Wahrscheinlichkeit ausgerechnet “risikoneutral” heißt, klart sich spater.

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und den risikolosen Zins, beide Großen determinieren den Preis des Calls. Dieser Zusammen-hang gilt nun, und das ist bis jetzt erst eine Vermutung, auch fur alle anderen Derivate. Undnun erkennen wir den Vorteil unsere Sichtweise. Wenn ein noch so kompliziert konstruiertesDerivat bewertet werden soll, dann lauft diese Bewertung nur noch auf eine einfache Dis-kontierung und die Bildung eines Erwartungswertes hinaus. Ob und inwieweit diese Ideenwirklich beweisbar sind – damit werden wir uns gleich beschaftigen.

Einen weiteren Vorteil des letzten Merksatzes werden wir hier nur kurz notieren, ohne daraufnaher eingehen zu konnen. Dieser Merksatz lasst sich problemlos2 auf Modelle mit mehrerenPerioden verallgemeinern. Zahlt etwa ein Derivat in den Zeitpunkten t den Betrag Ct, dannist sein Preis wieder die Summe der diskontierten Erwartungswerte

C0 =1

1 + rfE Q[C1] +

1(1 + rf )2

E Q[C2] + . . . +1

(1 + rf )TE Q[CT ].

Die Details dieser Verallgemeinerung sind leider fur uns zu schwierig.

4.2.1 Was passiert bei drei Zustanden?

Bisher haben wir zwei Merksatze, deren Inhalt sich kurz gesagt wie folgt darstellt: der Preiseines Calls ist bestimmt durch die Daten eines Bonds sowie des underlying Asset und er kanninterpretiert werden als diskontierter Erwartungswert unter dem risikoneutralen Wahrschein-lichkeitsmaß. Das hort sich nach einer klaren Erfolgsstory an. Um die Erwartungen ein wenigzu dampfen, wollen wir das spezifische Modell unseres Abschnittes um ein eher nebensachli-ches Detail andern und schauen, ob wir immer noch zu unseren Ergebnissen kommen. Stattzwei seien jetzt drei Zustande in der Zukunft moglich. Der Bond zahlt immer noch B1, dieAktie hat aber nun mogliche Auszahlungen der Hohe

S1 < S2 < S3.

Der Ausubungspreis K bewege sich zwischen S1 und S2. Gelten unsere Merksatze immernoch? Um diese Frage zu beantworten, werden wir einfach die oben durchgefuhrten Rechnungwiederholen. Wir fragen also, wie viel Bonds und Aktien wir kaufen mussen, damit wir denCall duplizieren konnen. Wie oben lauft dies auf die Losung eines Gleichungssystems hinaus.Wir fragen, welche nB und nS das folgende Gleichungssystem erfullen

Zustand 1: nSS1 + nBB1 = 0 (= C1)Zustand 2: nSS2 + nBB1 = S2 −K (= C2)Zustand 3: nSS3 + nBB1 = S3 −K (= C3)

Und jetzt haben wir ein Problem. Unser lineares Gleichungssystem ist uberbestimmt: dreiGleichungen fur zwei Variablen. Es gibt verschiedene Moglichkeiten. So konnte beispielsweise

2“Problemlos” heißt hier nicht “einfach”. Der Beweis ist ziemlich aufwendig, aber er ist ohne unrealistischeAnnahmen moglich.

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uberhaupt keine Losung existieren. Das bedeutet, dass der Call sich nicht aus der Aktie unddem Bond replizieren lasst. Und dann ist auch nicht mehr nachzuvollziehen, inwieweit derPreis des Calls C0 allein eine Funktion des Bonds B und der Aktie S sein soll. Unser Merksatzzum Preis des Calls fußte ja auf der Idee, die Auszahlungen des Calls nachbauen zu konnen.Wir stellen fest, dass in diesem Modell alles andere als klar ist, ob der erste Merksatz3 oderder zweite Merksatz4 gelten. Wir mussen uns jetzt etwas ausfuhrlicher mit den Annahmenbeschaftigen, die eine Bewertung von Optionen erlauben. Wann kann man den Preis einerOption aus dem underlying und dem Preis des Bonds ableiten? Diese Frage stellen wir uns imnachsten Abschnitt. Unser Ziel ist es, die eher vage formulierten Merksatze auf eine fundierteGrundlage zu stellen und exakt zu beweisen.

3Anmerkung: er gilt nicht.4Anmerkung: er gilt.

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Page 41: Risikomanagement Und Derivate

5 Ein allgemeines Bewertungsmodell

5.1 Das Grundmodell bei zwei Zeitpunkten: Umweltzustande,Erwartungen und Wertpapiere

Wir wollen nun ein Modell naher betrachten, das eine unsichere Zukunft zum Gegenstand ha-ben wird. Wie wird die Unsicherheit formal dargestellt? Wir unterscheiden zwei Zeitpunkte,die eine festgelegte Einheit (etwa ein Jahr) auseinanderliegen. Wahrend der heutige Zeitpunktsicher ist, soll diese Zukunft unsicher sein. Wir setzen voraus, dass es insgesamt S einanderwechselseitig ausschließende Zustande in dieser Zukunft geben kann, die wir mit dem Indexs = 1, . . . , S bezeichnen. Wir gehen weiter davon aus, dass wir jedem Zustand s eine Wahr-scheinlichkeit seines Eintretens zuordnen konnen. Diese Wahrscheinlichkeit bezeichnen wirmit q(s), sie ist sinnvollerweise großer null und alle q(s) summieren sich naturlich zu eins.Da wir Wahrscheinlichkeiten der Zustande kennen, werden wir Erwartungswerte berechnenkonnen. Es gebe an unserem Markt insgesamt nur ein handelbares Gut, und dabei soll es sichum Geld handeln. Ein Finanztitel wird durch einen lateinischen Großbuchstaben beschrieben

X =

X(1)X(2)

...X(S)

←− Menge an Zahlung im ersten Zustand←− Menge an Zahlung im zweiten Zustand

...←− Menge an Zahlung im S–ten Zustand

Der Erwartungswert der Zahlung von X unter der subjektiven Wahrscheinlichkeitsverteilungdes Investors kann durch die Gleichung

E [X] =S∑

s=1

q(s) ·X(s)

berechnet werden. Der Preis des Titel X ist derjenige Geldbetrag, den man im Zeitpunkt0 zahlen muss. Daher bezeichnen wir den Preis auch mit X0. Wir verfolgen hier folgendesPrinzip bei den Bezeichnungen: Zeitpunkte werden als Indizes dargestellt, Zustande durchArgumente in Klammern. Fur X ist im Zeitpunkt 0 also X0 zu zahlen, im Zustand 5 liefertdann der Titel X(5). Praziserweise mussten wir X1(5) schreiben, und das werden wir imnachsten Abschnitt auch tun.

Ein Wertpapier in dem Grundmodell der Unsicherheit ist genau dann risikolos, wenn es genaueine Geldeinheit in jedem Zustand auszahlt. Wir werden es auch durch eine fett gedruckte

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eins darstellen:

1 :=

11...1

.

Der Preis dieses Wertpapiers wird den risikolosen Zins determinieren, und es gilt

10 =1

1 + rf.

5.2 Arrow–Debreu–Titel und Vollstandige Markte

Wir wollen uns zuerst mit der Frage beschaftigen, unter welchen Voraussetzungen ein Call oderein anderes Derivat aus vorhandenen Wertpapieren zusammengesetzt werden kann. Dabeigehen wir von der Annahme aus, dass bestimmte Wertpapieren X und Y gegeben sind.Neben diesen Wertpapieren konnen auch Portfolios der Form aX + bY gehandelt werden.Die Koeffizienten a und b konnen gebrochene Zahlen sein (in diesem Fall erwerben wir nurTeile einer Aktie) und es ist auch moglich, dass die Koeffizienten negative Werte annehmen.Ein negatives a bedeutet, dass der Investor in diesem Fall die Aktie oder das Wertpapierin der Zukunft zuruckgeben muss – negative Koeffizienten sind somit als Leerverkaufe vonFinanztiteln zu interpretieren.1 Wenn wir nun ein Wertpapier mit beliebigen Zahlungen voruns haben – wie konnen wir entscheiden, ob es ebenfalls gehandelt wird? Diese Fragestellungfuhrt auf den Begriff des vollstandigen Marktes.

Ein Markt ist vollstandig, wenn (lax gesprochen) jedes nur mogliche Wertpapier gehandeltwerden kann. Wir mussen an dieser Stelle etwas praziser werden.

Definition 1 Ein Markt ist vollstandig genau dann, wenn jedes Wertpapier mit irgendwel-chen Zahlungen X(s) in den Zustanden s gehandelt wird.

Sei s ein beliebiger Zustand. Wir bezeichnen mit As denjenigen Arrow–Debreu–Titel, welcherim Zustand s gerade 1 Geldeinheit und sonst nichts auszahlt. Arrow–Debreu–Titel werdenauch reine Wertpapiere genannt.

Arrow–Debreu–Titel sind deshalb fur einen Finanzmarkt von grundlegender Bedeutung, weilmit ihrer Hilfe jedes beliebige Wertpapier konstruiert werden kann. Betrachten wir dazu einBeispiel.

Beispiel. Wir betrachten einen Markt mit drei moglichen Zustanden und wollen ein Wert-papier handeln, das im ersten Zustand gerade 3 Geldeinheiten, im zweiten Zustand 4 Geldein-heiten und im letzten Zustand –2 Geldeinheiten auszahlt. Dieses Wertpapier kann mit Hilfeeines Portfolios aus den drei Arrow–Debreu–Titeln wie folgt konstruiert werden

X = 3A1 + 4A2 − 2A3.1Ein Titel wird leer verkauft, wenn man ihn sich borgt, einer anderen Person verkauft und eine Periode spater

wieder zuruckgibt. Ein “Leerverkauf von Geld” ist ein klassischer Kredit.

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Wir erkennen unmittelbar

Satz 2 Ein Markt ist genau dann vollstandig, wenn zu jedem Zustand s der Arrow–Debreu–Titel As gehandelt wird.

An einem vollstandigen Markt kann jedes Derivat (beispielsweise ein Call, aber auch einPut) durch Zahlungen der Arrow–Debreu–Titel dupliziert werden. Diese Duplizierbarkeit wareine Grundvoraussetzung, um Aussagen uber die Bewertung der Derivate treffen zu konnen.Eine realistische Situation stellt sich uns aber typischerweise anders dar. Wir gehen vonbestimmten Wertpapieren aus, die wir handeln konnen, aus denen wir also Portfolios durchZusammenlegen oder Trennen bilden konnen. Diese Titel sind aber nicht notwendigerweiseArrow–Debreu–Titel. Wie konnen wir anhand einer vorgegebenen Menge von WertpapierenX1, X2, . . . , Xn erkennen, ob aus dieser Menge alle notwendigen Arrow–Debreu–Titel gebildetwerden konnen? Eine diesbezugliche Aussage werden wir jetzt beweisen.

Satz 3 (Vollstandiger Markt) Ein Markt werde aus einer Menge von WertpapierenX1, X2, . . . , Xn und den daraus moglichen Portfolios gebildet. Wenn die Bedingungen

• n = S

• die Determinante der Matrix der Wertpapierzahlungen ist von null verschieden

erfullt sind, dann ist der Markt vollstandig.

Beweis: Wir betrachten die Wertpapiere X1, X2, . . . , XS und die Matrix der entsprechendenWertpapierzahlungen X1(1) X2(1) . . . XS(1)

......

...X1(S) X2(S) . . . XS(S)

Soll aus den Wertpapieren X1, X2, . . . , XS nun beispielsweise der Arrow–Debreu–Titel A1

gebildet werden, dann konnen wir wie folgt vorgehen. Wir mussen Koeffizienten a1, . . . , aS

derart bestimmen, dass das Gleichungssystem

(A1(1) =) 1 = a1X1(1) + a2X2(1) + · · ·+ aSXS(1)

(A1(2) =) 0 = a1X1(2) + a2X2(2) + · · ·+ aSXS(2)...

(A1(S) =) 0 = a1X1(S) + a2X2(S) + · · ·+ aSXS(S)

eine Losung in den Koeffizienten besitzt. Die entsprechende mathematische Voraussetzungbesagt gerade, dass die Determinante der Matrix auf der rechten Seite nicht verschwindet.Eben das hatten wir im Satz vorausgesetzt.

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Jetzt erkennen wir, weshalb in unserem Beispiel mit drei Zustanden und einer Aktie sowieeinem Bond eine Bewertung des Calls nicht moglich war: dieser Markt ist nicht vollstandig.Bei drei Zustanden benotigen wir mindestens drei Wertpapiere. Ware allerdings der Preis desCalls auch noch gegeben, so konnen wir jedes beliebige andere Derivat durch diese drei Titelrekonstruieren.

5.3 Arbitragefreie Markte

Fur die Bewertung einer Option war wichtig, dass sie durch die zugrundeliegende Aktie undden risikolosen Titel dupliziert werden konnte. Um aber tatsachlich bewerten zu konnen, istnoch eine weitere Voraussetzung notwendig. Betrachten wir dazu ein Beispiel. Angenommen,ein Wertpapier ohne spatere Auszahlung (also X = 0) wurde heute einen Preis von einerGeldeinheit haben. In einer solchen Situation macht es keinen Sinn, einen Call nachzubauenund dann auf eine Aussage uber die Preisbildung zu hoffen. Zwar konnen wir eine bestimmteMenge Aktie und eine bestimmte Menge Bonds zu einem festgelegten Preis erwerben: wennwir aber diesem Portfolio noch unseren Finanztitel X hinzufugen (oder ihn leer verkaufen),dann andert das die Auszahlungen morgen nicht. Aber der Preis des Gesamtportfolios heuteandert sich um eine Geldeinheit – und es wird vollends unverstandlich, was der Preis des Callssein soll. Der Call ist duplizierbar, aber das zu verschiedenen Preisen. Derartige Situationendurfen an Finanzmarkten nicht auftreten. Man spricht von einer Arbitragegelegenheit, unddiesen Gelegenheiten werden wir uns jetzt zuwenden.

Man kann zwei Typen von Arbitragegelegenheiten unterscheiden:

1. Morgen eine echt positive erwartete Einzahlung, ohne heute einen positiven Kapitalein-satz zu leisten,

2. Heute eine positive Einzahlung ohne morgen irgendwelche Verpflichtungen einzugehen.

Um formal mit diesen Grundsatzen zu arbeiten, mussen wir diese beiden Aussagen in einemathematische Sprache ubersetzen. Ein Wertpapier X ist eine Arbitragegelegenheit, wenneine der beiden folgenden Bedingungen erfullt ist:

1. X ≥ 0 undX 6= 0, X0 ≤ 0,

2. X ≥ 0, X0 < 0.

Diese Bedingungen wirken auf den ersten Blick etwas unubersichtlich. Um sie zu verstehen,wollen wir uns Arbitragegelegenheiten etwas genauer ansehen.

Wir wollen uns zuerst auf Arbitragegelegenheiten des ersten Typs konzentrieren. Wir habendann drei Ungleichungen, die gleichzeitig gelten sein mussen

X ≥ 0, X 6= 0, X0 ≤ 0.

Beachten Sie, dass wir die beide ersten Bedingungen nicht in der Ungleichung X > 0 zusam-menfassen konnen – dies wurde ja bedeuten, dass X in jedem Zustand eine positive Zahlung

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leiste. Wir setzen vielmehr voraus, dass X in mindestens einem Zustand eine positive Zahlungleistet und in den verbleibenden Zustanden “schlimmstenfalls” null ist. Wie sind diese dreiBedingungen zu verstehen? Wir sehen, dass X ein Wertpapier darstellt, das im Zeitpunktt = 1 keine Verluste und in mindestens einem Zustand einen Zahlung erzielt. Die Arbitrage-gelegenheit besteht nun darin, dass dieses Wertpapier den Investor heute nichts kostet oder ersogar fur den ’Kauf’ Geld erhalt: X0 ≤ 0. Er bekommt also, lax gesprochen, ein Wertpapiergeschenkt, das in der Zukunft keine Verluste erzielt und vielleicht (genauer: in mindestenseinem Zustand) etwas Wert ist. Das ist offensichtlich eine Arbitrage.

Betrachten wir nun die Arbitragegelegenheit des zweiten Typs. Dann sind die folgenden beidenUngleichungen erfullt

X ≥ 0, X0 < 0.

Jetzt haben wir ein Wertpapier, bei dem der Investor in der Zukunft keine Zahlungen zuleisten hat (es gilt ja X ≥ 0) und fur dessen Erwerb er heute sogar Geld bekommt (X0 < 0).In diesem Fall wird ihm also heute Geld dafur geschenkt, damit er in der Zukunft keineVerluste macht.

Wir treffen nun die folgende Annahme, die uns den gesamten Text hindurch begleiten wird.Wir nehmen an, dass die Preise der Wertpapiere arbitragefrei sind. Im Grunde ist dies dieeinzige Annahme, die wir fur unsere Theorie benotigen.

Definition 2 (Arbitragefreiheit) Ein Markt ist arbitragefrei genau dann, wenn es keinWertpapier X 6= 0 gibt, dass einer der beiden Typen von Arbitragegelegenheiten in (5.3)entspricht.

Wir sind jetzt in der Lage, folgenden Sachverhalt zu beweisen: legt man Wertpapiere zusam-men, dann addieren sich auch die Preise entsprechend.

Satz 4 (Linearitat) In einem arbitragefreien Markt gilt fur alle Zahlen a und b sowie Wert-papiere X1 und X2

∀s Y (s) = a ·X1(s) + b ·X2(s) =⇒ Y0 = a ·X10 + b ·X2

0 . (5.1)

Beweis: Wir nehmen an, dass keine Linearitat gegeben sei und werden dann zeigen, dass eineArbitragegelegenheit existiert. Es sei ohne Beschrankung der Allgemeinheit (im anderen Fallwird analog argumentiert)

Y0 < a ·X10 + b ·X2

0 .

Dann erwerben wir das Portfolio Y und verkaufen a ·X1 + b ·X2. Das Portfolio X wird alsowie folgt gebildet

X = Y −(a ·X1 + b ·X2

).

Im Zeitpunkt t = 1 gilt dann X = 0 und im Zeitpunkt t = 0 ist folgender Preis zu zahlen

X0 = Y0 −(a ·X1

0 + b ·X20

)< 0.

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Das ist eine Arbitragegelegenheit des zweiten Typs.

Wir konnen nun anhand der Eigenschaften der Arbitragefreiheit und der Linearitat uber-prufen, ob eine Preisfunktion, d.h. eine Funktion, die jedem Wertpapier einen Preis zuordnet,die von uns gewunschten Bedingungen erfullt.

Wir wollen anhand zweier elementarer Beispiele zeigen, wie das funktoniert. Dazu betrachtenwir einen Markt, an dem Wertpapiere mit Zahlungen in zwei Zustanden gehandelt werden

X =(X(1), X(2)

).

Der Preis eines jeden Titels X sei durch folgende Rechenregel festgelegt

X0 :=√

X(1) + X(2).

Diese Preisfunktion hat die Eigenschaft, dass mit wachsender Auszahlung X(1) der Preislangsamer wachst. Eine doppelte Menge an erstem Arrow–Debreu–Titeln kostet also nichtnotwendigerweise doppelt soviel (sondern nur 1.26 Mal soviel). Es ist, als bekamen Sie Men-genrabatt auf den Kauf der ersten Arrow–Debreu–Titel. Bei einer derartigen Preisfunktionist die Linearitat verletzt:

X = (1, 0), Y = (2, 0) =⇒ 2 ·X = Y

=⇒ X0 = 1, Y0 = 1.4142 6= 2 ·X

und dies widerspricht (5.1).

Wahlen wir dagegen beispielsweise

X0 := −X(1) + X(2),

dann sind die Preise zwar linear, nicht aber monoton. Vielmehr hat der erste Arrow–Debreu–Titel einen Preis von −1, und damit ist das Preissystem nicht arbitragefrei:

X = (1, 0) =⇒ X ≥ 0, X 6= 0=⇒ X0 = −1 6> 0

und das widerspricht (5.3).

5.4 Die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit Q

Jetzt kommen wir zum schwersten Teil der Vorlesung: wir werden zeigen, dass unter denAnnahmen eines vollstandigen und arbitragefreien Marktes immer eine risikoneutrale Wahr-scheinlichkeit existiert. Das bedeutet: erfullen die Markte die genannten Voraussetzungen,dann konnen wir jedes noch so komplizierte Derivat auf einfache Art und Weise (also durchErwartungsbildung und Diskontierung) bewerten. Wir formulieren zuerst den so genanntenFundamentalsatz der Preistheorie.2

2Dieser Satz findet sich das erste Mal (mehr oder weniger) in einer Arbeit von Ross (1976), gemeinhin geltenaber Harrison & Kreps (1979) als Entdecker. Eine sehr weit reichende Verallgemeinerung stammt von Back& Pliska (1991).

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Satz 5 (Erster Fundamentalsatz der Preistheorie) Ein Markt sei vollstandig und ar-bitragefrei. Dann gibt es eine Wahrscheinlichkeitsverteilung Q uber die Zustande derart, dassfur alle Wertpapiere der Zusammenhang

X0 =1

1 + rfE Q[X] (5.2)

gilt.

Kennen wir die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit Q, so konnen wir jedes Derivat und uber-haupt jeden Titel im Markt bewerten.

Bevor wir in den Beweis einsteigen, wollen wir noch einmal festhalten, weshalb unser Funda-mentalsatz uberhaupt beweisbar ist: wir konnen ein beliebiges Derivat oder Asset X auf dieseeinfache Art und Weise bewerten, weil sich X anhand von Arrow–Debreu–Titel oder anderenWertpapieren, deren Preise wir ermitteln konnen, nachbauen lasst. Beim Beweis werden wirdiese Besonderheit unseres Marktes hervorheben.

Beweis: Wir beginnen den Beweis mit einer expliziten Konstruktion der Wahrscheinlichkeits-verteilung. Der Markt war vollstandig, also sind fur jeden Zustand s die Arrow–Debreu–TitelAs handelbar. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung Q wird nun wie folgt konstruiert. Der Zu-stand s habe die Wahrscheinlichkeit3

qQ(s) := (1 + rf )As0. (5.3)

Wir mussen jetzt zwei Dinge klaren:

• Handelt es sich wirklich um eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, liegen also die q(s) zwi-schen 0 und 1 und summieren sie sich uber alle Zustande zu 1?

• Gilt mit dieser Wahrscheinlichkeitsverteilung auch die Aussage des Satzes?

Wir beginnen mit der ersten Frage. Der Markt ist arbitragefrei, also ist der Preis eines Arrow–Debreu–Titels wegen der Monotoniebedingung (5.3) positiv

As0 > 0.

Damit sind die qQ(s) nichtnegativ.

Jetzt zeigen wir, dass sich die Einzelwahrscheinlichkeiten zu eins summieren (damit ist auchjede Einzelwahrscheinlichkeit hochstens gleich eins). Dazu betrachten wir samtliche Arrow–Debreu–Titel und bilden daraus ein Portfolio

S∑s=1

As.

3Sie sollten sich an dieser Stelle nicht von der Frage aus der Fassung bringen lassen, wie man auf derartigeDefinitionen kommt – das ist ein Kapitel fur sich. Gehen Sie davon aus, diese Gleichung sei “von Himmelgefallen”.

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Dieses Portfolio zahlt also in jedem Zustand genau eine Geldeinheit. Damit ist dieses Portfolioaber nichts anderes als ein risikoloser Titel

S∑s=1

As = 1

und damit ist nach der Linearitatsannahme (5.1) der Preis dieses Portfolios durch den risiko-losen Zins determiniert

S∑s=1

As0 = 10 =

11 + rf

.

Aus der letzten Gleichung folgt nun

1 =S∑

s=1

(1 + rf )As0 =

S∑s=1

qQ(s)

und das war zu zeigen. Wir halten fest: Q ist in der Tat eine Wahrscheinlichkeitsverteilung.Es fehlt noch der Beweis der Preisgleichung (5.2).

Betrachten wir ein beliebiges Wertpapier X. Im ersten Schritt bauen wir dieses Wertpapierdurch eine Kombination von Arrow–Debreu–Titeln nach. Dazu wahlen wir gerade X(1) TitelA1, X(2) Titel A2 usw. und erhalten ein Portfolio, dass (wie auch X) im ersten Zustand dieMenge X(1), im zweiten Zustand genau die Menge X(2) usw. zahlt:

X =S∑

s=1

X(s)As.

Jetzt ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Preisgleichung

X0 =S∑

s=1

X(s) ·As0 wegen (5.1)

=S∑

s=1

X(s) · 11 + rf

· (1 + rf )As0 erweitern

=1

1 + rf

S∑s=1

X(s) · qQ(s) Def. Q (5.3)

=1

1 + rfE Q[X] Def. Erwartungswert

und das war zu zeigen.

Wir haben uns bisher nur mit der Frage beschaftigt, ob uberhaupt eine risikoneutrale Wahr-scheinlichkeit existiert. Naturgemaß muss man die Frage stellen, inwieweit diese Verteilungeindeutig bestimmt ist. Gibt es vielleicht mehrere Q? (Dann konnte es eventuell mehreremogliche Preise geben?!) Wir beweisen folgenden Satz.

Satz 6 (Zweiter Fundamentalsatz der Preistheorie) Ein Markt sei vollstandig und ar-bitragefrei. Dann ist die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit eindeutig bestimmt.

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Beweis: Angenommen, es gebe zwei voneinander verschiedene risikoneutrale Wahrschein-lichkeitsverteilungen Q1 und Q2. Zum Beweis des Satzes mussen wir ein Wertpapier X fin-den, das unter den beiden von den Wahrscheinlichkeitsverteilungen erzeugten Preisfunktionen

11+rf

E Q1 [X] bzw. 11+rf

E Q2 [X] unterschiedliche Preise hat. Das ist dann ein Widerspruch zumPrinzip der Arbitragefreiheit, da es offensichtlich auf einem arbitragefreien Markt nur eineneinzigen Preis fur jedes Wertpapier geben kann.

Wenn die Wahrscheinlichkeitsverteilungen Q1 und Q2 verschieden sein sollen, heißt das, dasses mindestens einen Zustand s gibt, bei dem qQ1

(s) 6= qQ2(s). Wir betrachten dann den

Arrow-Debreu-Preis As. As hat unter den beiden Preisfunktionalen die Preise

As0 =

11 + rf

qQ1(s) 6= 1

1 + rfqQ2

(s) = As0

Das ist offensichtlich ein Widerspruch. Deshalb kann es nur eine einzige Wahrscheinlichkeits-verteilung geben.

Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass auch eine Umkehrung des zweiten Fundamen-talsatzes beweisbar ist. Es gilt folgender Zusammenhang: wenn der Markt nicht vollstandigist (wenn also einige Wertpapiere nicht dupliziert werden konnen – oder wenn einige Arrow–Debreu–Titel nicht gehandelt werden), dann existieren nicht eine, sondern mehrere risikoneu-trale Wahrscheinlichkeiten. Wir konnen auf die Details jedoch hier nicht genauer eingehen.

5.5 Theorie mit mehreren Zeitpunkten: das Binomialmodell

5.5.1 Umweltzustande, Erwartungen und Wertpapiere

Im letzten Abschnitt hatte unsere Welt nur zwei Zeitpunkte: heute und morgen. Diese Sicht-weise ist sehr unrealistisch. Wir wollen uns jetzt einem Modell zuwenden, bei dem mehrereZeitpunkte in der Zukunft moglich sind. Leider bedeutet diese (sinnvolle) Verallgemeinerungaber auch einen immens hoheren formalen Aufwand. Es wird sich zeigen, dass das Modell furuns nur dann in einem handlichen Rahmen bleibt, wenn wir uns auf eine ganz spezielle Artder Aktienkursbewegung beschranken.4 Zuerst sind einige Vorbereitungen notwendig.

Wir werden in unserem Modell annehmen, dass es zwar mehrere Zeitpunkte t = 1, 2, . . . , T ,jedoch nur zwei Wertpapiere gibt: einen festverzinslichen risikolosen Titel (Bond) und einenTitel, dessen Verzinsung unsicher ist. Das letztere Papier werden wir Aktie nennen und deshalbmit S (fur “stock”) bezeichnen.

Der Bond habe eine sichere und konstante Verzinsung. Die Zinsen des Bonds werden reinve-stiert. Der Wert des Bonds im Zeitpunkt t ist also durch die Relation

Bt = (1 + rf )Bt−1

gegeben. Die Wertentwicklung der Aktie sei zufallig. Es werden keine Dividenden gezahlt. DerAktienkurs kann sich in jedem Zeitpunkt t− 1 entweder um einen festgelegten Prozentsatz u

4Verallgemeinerungen sind selbstverstandlich moglich. Ublicherweise wird dies in finanzmathematischenLehrbuchern behandelt. Der Stoff ist etwa auf dem Niveau des Hauptstudiums der Mathematik angesiedelt.Ein sehr gut lesbares Buch ist Irle (1998).

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Page 50: Risikomanagement Und Derivate

50

aufwarts (“up”) oder einen festgelegten Prozentsatz d abwarts (“down”) bewegen:

St =

{(1 + u) · St−1 bei Bewegung up,(1 + d) · St−1 bei Bewegung down.

Sie erkennen, dass sowohl Aufwarts– und Abwartsbewegung in beiden Fallen mit zeitun-abhangigen Parametern erfolgt. u und auch d hangen nicht von t ab. Dies ist eine Verein-fachung, die wir aufheben konnten. Der leichteren Handhabbarkeit wegen werden wir siedennoch beibehalten.

Wir wollen diese Wertentwicklung durch die Abbildung 5.1 veranschaulichen. Da in jedemKnoten nur zwei weitere Verzweigungen moglich sind, spricht man von einem Binomialmodell.

s�����

HHHHH

S0

ss���

��

HHHHH

HHHHH

�����

S1(u)

S1(d)

sss

�����

HHHHH

HHHHH

�����

HHHHH

�����

ssss

S3(uuu)

S3(uud)

S3(ddu)

S3(ddd)-

Zeitt = 0 t = 1 t = 2 t = 3

�����

�����HH

HHH

Abbildung 5.1: Wertentwicklung der Aktie

Nach diesen Vorbemerkungen konnen wir jetzt zur Beschreibung des Modells kommen. Die-se Beschreibung soll sich analog dem vorigen Abschnitt vollziehen. Dazu mussen wir zuerstdie Zustande der Okonomie beschreiben. Im vorigen Abschnitt gab es S mogliche Zustande,die die Auspragungen der Wertpapiere im Zeitpunkt t = 1 beschrieben. Hier ist die Situa-tion etwas komplizierter. Ein Zustand ist nicht mehr auf einen Zeitpunkt beschrankt: einZustand muss sich nun auf alle Zeitpunkte t beziehen. Ein Zustand stellt jetzt einen Pfad(auch “Weg”) in unserem Diagramm dar. Betrachten Sie dazu den etwas fetter gedrucktenWeg in Abbildung 5.1. In den ersten beiden Knoten geht es jeweils aufwarts, dann folgt eineAbwartsbewegung. Dieser Pfad uud (fur up, up, down) beschreibt einen Zustand der Oko-nomie. Weitere Zustande sind etwa dud, ddd, usw. Beachten Sie, dass zwei Zustande, die zugleichen Endpreisen der Aktie fuhren konnen (wie etwa uud und udu, falls ud = 1 geltensollte) dennoch verschieden sind: die sich wahrend der Laufzeit einstellenden Aktienkursesind ja unterschiedlich. Insgesamt gibt es bei t Zeitpunkten 2t = 8 mogliche Zustande in derOkonomie. Einen Zustand werden wir auch mit dem Buchstaben s bezeichnen; der in derAbbildung eingezeichnete Zustand ist dann s = uud.

Ein Wertpapier wird in diesem Modell wieder durch seine Zahlungen charakterisiert. Wir wer-den einen Finanztitel durch Großbuchstaben wie X bezeichnen. Allerdings mussen wir nundie Auszahlungen sowohl in den Zustanden als auch in den verschiedenen Zeitpunkten kenn-zeichnen. Daher ist ein Wertpapier nicht nur ein eindimensionaler Vektor, vielmehr handelt es

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Page 51: Risikomanagement Und Derivate

51

sich um eine Folge X = (X1, X2, . . . , XT ) der Zahlungen je Zeitpunkt. Die Eintrage Xt sindwiederum Vektoren in R2t

, die die Auszahlungen in den einzelnen Zustanden beschreiben.

Beachten Sie bitte beim letzten Satz folgendes Detail: wir sagten nicht die “Eintrage Xt sindwiederum Vektoren, die die Auszahlungen in den einzelnen Knoten beschreiben”. BemerkenSie den Unterschied? In der Abbildung 5.1 sehen Sie einen Zustand, der hervorgehoben ist (eshandelt sich um uud). Betrachten wir die Auszahlung eines Wertpapiers im Zeitpunkt t = 3.Dann wurde der Satz “Eintrage Xt sind wiederum Vektoren, die die Auszahlungen in deneinzelnen Knoten beschreiben” bedeuten, dass die Auszahlung in t = 3 nur von der Tatsacheabhangt, dass sich gerade ein Aktienkurs der Hohe

S0(1 + u)2(1 + d)

eingestellt hat. Wie man zu diesem Kurs gelangte (und immerhin sind die drei Zustande uud,udu und duu moglich) wurde dagegen keine Rolle spielen. Sagten wir aber “Eintrage Xt sindwiederum Vektoren, die die Auszahlungen in den einzelnen Zustanden beschreiben” dannwurde die Auszahlung davon abhangen, auf welchem der drei Wege man zu dem genanntenAktienkurs

S0(1 + u)2(1 + d)

gelangt ware. Denken Sie an ein exotisches Derivat wie etwa dem lookback Call und nehmenSie an, Sie befanden sich im Endzeitpunkt t = 3. Ein lookback zahlt in Abhangigkeit von demhochsten Aktienkurs, der auf dem Weg zum Zeitpunkt t = 3 erreicht wurde. Um diesen Wertaber zu bestimmen, mussen Sie den gesamten Weg der Aktie bis zum Endzeitpunkt t = 3beobachtet haben. Die Auszahlung des Derivates hangt also nicht nur vom Knoten ab, in demSie sich befinden – der gesamte Weg ist fur die Auszahlung relevant (man spricht hier auchvon einer pfadabhangigen Option). Daher ist nur die Bezeichnung Xt(s) angemessen, die aufdie Abhangigkeit der Auszahlung vom Pfad s (dem Zustand) hinweist.

Geben wir ein Beispiel eines europaischen Calls mit Basispreis K entsprechend unserer Ab-bildung 5.1. Dieser Call zahlt in den Zeitpunkten t = 1, 2 nichts

X1(s) = 0, X2(s) = 0

und in dem Endzeitpunkt t = 3 nur dann etwas, wenn der Aktienpreis großer als K ist

X3(s) = max(S3(s)−K, 0).

Fur die Zustande s = ddd, ddu, . . . ware nun die Auszahlung zu ermitteln. Durch die dreiVektoren X = (X1, X2, X3) ist dann ein Call vollstandig beschrieben.

Die Bildung von Erwartungswerten muss ebenfalls an das Modell angepasst werden. Im voran-gegangenen Kapitel interessierten uns Erwartungswerte E [X]. Ein derartiger Ausdruck machthier keinen Sinn mehr, weil X ja Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten umfasst. Wassoll ein Erwartungswert fur zeitlich auseinanderliegende Zahlungen (X1, X2 . . .)?! Wir werdendaher Erwartungswerte von Zahlungen in einzelnen Zeitpunkten ermitteln: E [Xt]. Dazu gehenwir wie folgt vor: wir ermitteln zuerst die Wahrscheinlichkeiten einzelner Zustande (Pfade) s.

Dazu nehmen wir im folgenden an, wie wurden die Wahrscheinlichkeit kennen, mit in jedemKnoten eine Aufwarts– oder eine Abwartsbewegung erfolgt. Betrachten wir beispielsweise denKnoten im Zeitpunkt t = 0 (siehe Abbildung 5.2).

Skript Risikomanagement und Derivate Loffler/Laitenberger

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s�����

HHHHH

S0

ss��

���

HHHHH

HHHHH

�����

pu

pd

sss

�����

HHHHH

HHHHH

�����

HHHHH

�����

ssss-

Zeitt = 0 t = 1 t = 2 t = 3

p2upd

�����

�����H

HHHH

Abbildung 5.2: Wahrscheinlichkeiten der Zustande

Wir gehen davon aus, dass in diesem und jedem anderen Knoten eine Aufwartsbewegung mitder Wahrscheinlichkeit pu und eine Abwartsbewegung des Aktienpreises mit der Wahrschein-lichkeit pd = 1 − pu erfolgen kann. Diese Bewegung erfolge auch in der Zukunft unabhangigdavon, wie die bisherige Entwicklung der Aktie verlief. Fur einen Zustand (einen Pfad) sinddann die Einzelwahrscheinlichkeiten miteinander zu multiplizieren. Betrachten wir also un-seren dick eingezeichneten Pfad in Abbildung 5.2, dann erhalten wir als Wahrscheinlichkeitseines Eintretens

p(s) = p(uud) = pu · pu · pd. (5.4)

Auf diese Art und Weise konnen die Wahrscheinlichkeiten aller Zustande ermittelt werden:der Erwartungswert der Zahlung eines Wertpapiers X im Zeitpunkt t ergibt sich als

E [Xt] =S∑

s=1

Xt(s) · p(s).

Wieder summieren wir also uber alle moglichen Pfade s, weil eventuell die Auszahlung desFinanztitels X im Zeitpunkt t vom gesamten Pfad und nicht nur dem gerade erreichten Knotenabhangen kann.

Fur unseren Call ergabe sich als Erwartungswert der Zahlungen

E [X1] = 0, E [X2] = 0

und in dem Endzeitpunkt t = 3

E [X3] =8∑

s=1

p(s) max(S3(s)−K, 0).

5.5.2 Strategien und Vollstandige Markte

Rekapitulieren wir fur einen Moment die entscheidende Idee, die uns zu einer Bewertung vonDerivaten und anderen Wertpapieren verhalf. Wir waren in der Lage, einen Preis beispielsweise

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Page 53: Risikomanagement Und Derivate

53

fur eine Option zu ermitteln, weil wir diese Option “nachbauen” (duplizieren) und die Kostendes Nachbaus exakt bestimmen konnten. Die Markte waren (unter bestimmten Annahmen)vollstandig. Wir formulieren analog zu Definition 1

Definitionsversuch Das Binomialmodell heißt vollstandig genau dann, wenn jedes Wertpa-pier mit irgendwelchen Zahlungen Xt(s) in den Zustanden s und den Zeitpunkten t gehandeltwerden kann.

Unsere Formulierung war aber etwas vorschnell: was heißt hier “handeln”? Handeln kann nurbedeuten, dass wir mit Hilfe des Bonds und des Stocks ein Wertpapier nachbauen (dupli-zieren), das die genannten Auszahlungen Xt(s) in den Zustanden und Zeitpunkten hat. ImZwei–Zeitpunkte–Modell gelang diese Duplizierung durch die Arrow–Debreu–Titel (siehe Satz2). Leider konnen wir im Binomialmodell so nicht vorgehen, weil wir hier nur zwei Wertpapie-re, den Bond und den Stock, haben – auf reine Wertpapiere konnen wir nicht zuruckgreifen.Auch eine Charakteristik analog dem Satz 3 ist im Binomialmodell nicht mehr moglich.

Wir mussen vielmehr uberlegen, wie wir aus dem Bond und dem Stock alle moglichen Wert-papiere erzeugen konnen. Dies erfordert den Begriff der Strategie. Der Unterschied einerStrategie zu der (im letzten Abschnitt vorgenommenen) einfachen Addition von Wertpapie-ren und Multiplikation mit reellen Zahlen besteht darin, dass wir in jedem Zeitpunkt einGeschaft (Kauf oder Verkauf) des Bonds und des Stocks vornehmen konnen. Dabei mussenwir jedoch gewisse Budgetrestriktionen beachten: wenn wir beispielsweise bestimmte Mengendes Bonds verkaufen, konnen wir das verbleibende Geld der Strategie entnehmen oder in dieAktie investieren. Soll kein Geld entnommen werden und wird kein Geld mehr in die Strategieinvestiert, so konnen wir auch nur bestimmte Mengen an Aktien kaufen usw.

Wie kann eine Strategie in unserem Binomialmodell formal prazise beschrieben werden? Untereiner Strategie verstehen wir eine Folge von Vektoren, die angibt, wie viel Bonds und wie vielAktien wir in jedem Zeitpunkt halten. Betrachten wir beispielsweise den Zeitpunkt t = 0.Es ist in der Literatur ublich, die Menge an Bonds und an Aktien, die im Zeitpunkt t = 0gehalten werden, durch den Vektor H0 = (HB

0 ,HS0 ) zu kennzeichnen, der Eintrag HB

0 gibtdann die Menge an gehaltenen Bonds im Zeitpunkt t = 0 an usw. Im nachsten Zeitpunktbeschreibt H1(s) = (HB

1 (s),HS1 (s)) die Menge an gehaltenen Bonds sowie Stocks in unserem

Portfolio in Abhangigkeit des eingetretenen Zustands.

Wovon hangen die Mengen an Bonds und Stocks ab, die der Investor in einem Zeitpunkt halt?Um diese Frage zu beantworten, schauen wir auf den Zweck einer Strategie. Der Investorverfolgt mit einer Strategie das Ziel, die Zahlungen eines Wertpapiers (etwa eines Derivates)nachzubauen. Daher wird er bei seiner Strategie in einem beliebigen Zeitpunkt t wie folgtvorgehen. Unmittelbar nach dem Zeitpunkt t lost der Investor sein Portfolio aus Bonds undStocks auf und stellt es gemaß der Vorschrift Ht+1 neu zusammen. Dieses Portfolio halt ergenau eine Periode, um es dann unmittelbar nach dem Zeitpunkt t+1 wieder aufzulosen undneu zusammenzustellen (siehe auch Abbildung 5.3). Im Zeitpunkt t = T wird das Portfolioganzlich aufgelost und die Ertrage dem Investor ausgezahlt, wir werden daher im folgendenHT = 0 unterstellen.

Diese Strategie ist dynamisch, weil der Investor nach Eintritt des Zeitpunktes t sein Portfolioumschichten kann. Dabei kann es moglich sein, dass die Strategie von Ereignissen abhangt,

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-

t = 0 t = 1 t = 2 . . . t = T − 1 t = T

? ? ?

H0 H1 H2

?

HT−1

Abbildung 5.3: Zeitstruktur des Modells

die in der Gegenwart t = 0 noch nicht bekannt sind (dies ware beispielsweise bei der Strategie“verkaufe alle Aktien bei einem Kurs von Z und investiere das Geld in Bonds” der Fall).Die Strategie kann aber sinnvollerweise nur von Informationen abhangig sein, die zu demZeitpunkt vorhanden sind, an dem die Umschichtung vorgenommen wird. Auf die prazisemathematische Formulierung dieser Eigenschaft werden wir hier nicht eingehen konnen.

Der Investor schichtet unmittelbar nach dem Zeitpunkt t − 1 sein Portfolio von Ht−1 nachHt um. Welche Zahlungen lost diese Umschichtung aus? Wir schauen uns dazu den Wert desPortfolios in jedem Zeitpunkt an und nehmen an, dass die Differenz der Portfoliowerte demInvestor zufließt. Die wahrend der Portfolioumschichtung geltenden Bondpreise und Aktien-kurse sind gerade Bt sowie St. Wir stellen fest: einer Strategie H kann in einem Zeitpunkt tdie Geldmenge

∆tH :=

{(HB

t−1 ·Bt + HSt−1 · St

)−(HB

t ·Bt + HSt · St

), t > 0

−(HB

0 ·B0 + HS0 · S0

), t = 0

entnommen werden. Diese langwierigen Vorbereitungen waren notwendig, um die Vollstandig-keit der Markte beschreiben zu konnen.

Definition 3 Ein Binomialmodell heißt vollstandig genau dann, wenn fur beliebige ZahlungenXt(s) in Zeitpunkten t und Zustanden s eine Strategie H derart existiert, dass die Zahlungendupliziert werden konnen

Xt = ∆tH.

Fassen wir die Grunde fur unser aufwendiges Vorgehen noch einmal zusammen. Im Zwei–Zeitpunkte–Modell konnten die Wertpapiere X mit den beliebigen Zahlungen aus Arrow–Debreu–Titeln zusammengestellt werden. Wurden also alle Arrow–Debreu–Titel gehandelt,dann war der Markt vollstandig. Im Binomialmodell aber hatten wir uns darauf verstandigt,nur einen Bond und eine Aktie zur Verfugung zu haben. Ein Wertpapier mit beliebigen Zah-lungen musste jetzt anhand einer dynamischen Strategie aus diesen beiden Titeln konstruiertwerden. Dies geschah in der Definition 3.

Nach diesen langwierigen Vorbereitungen verwundert es nicht, dass wir auf den Beweis derfolgenden Aussage verzichten:5

Satz 7 Fur die Parameter u und d gelte u > d und der risikolose Zinssatz rf sei positiv.Dann gilt: das Binomialmodell ist vollstandig.

5Einen Beweis kann man etwa bei Irle (1998, S. 76) nachlesen.

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Page 55: Risikomanagement Und Derivate

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Die Schwierigkeit des Beweises besteht in der folgenden Uberlegung. Naturlich konnte man inden ersten Zeitpunkten eine beliebige Strategie verfolgen, der man mit Hilfe einer mehr oderweniger beliebigen Verfahrensweise die Zahlungen des Assets Xt nachbildet (etwa nach demSchema: “wenn ich Geld brauche, verkaufe ich eben so lange, bis ich es habe”). Die Leistungdes Beweises besteht darin zu zeigen, dass es unter diesen wahllosen Vorgehensweisen einegibt, bei der aber auch die Zahlungen am letzten Zeitpunkt T aufgehen – bei der also aucham Zeitpunkt T gerade diejenige Wertpapiere im Depot sind, die dann einen Wert von XT

aufweisen. Handelt man vollig wahllos, so durfte sich dieses Ergebnis in T bestenfalls zufalligeinstellen.

Als Beweisidee konstruiert man eine Strategie H, die die Auszahlungen einer Art Arrow-Debreu-Titels im mehrperiodischen Fall repliziert, also eines Wertpapiers X(t,s), mit X

(t,s)τ = 0

fur alle τ 6= t und X(t,s)t = As, wobei As der Arrow-Debreu-Titel im einer Welt mit 2t

Zustanden.

Wir wollen eine weitere Anmerkung zu diesem Satz machen. Der Beweis der Vollstandig-keit des Binomialmodells ist aus folgendem intuitiven Grund moglich. In jedem Knoten kanndie zukunftige Entwicklung eines beliebigen Wertpapiers nur in zwei mogliche Richtungenverzweigen. Beim Stock war nur eine Aufwarts– und eine Abwartsbewegung moglich, bei ei-nem beliebigen Wertpapier waren durchaus verschiedene Reaktionen denkbar. Entscheidendist nun die Beobachtung, dass es zu den zwei Entwicklungsrichtungen beim Wertpapier auchzwei Finanztitel gibt, die am Markt gehandelt werden: ein Bond und ein Stock. Setzen wir die-se Intuition fort, so bedeutet das beispielsweise im Falle eines Trinomialmodells (drei moglicheVerzweigungen je Knoten), dass jetzt neben dem Bond zwei Stocks gehandelt werden mussten,damit das Modell vollstandig wird. Allerdings sind Beweise dieser Aussagen alles andere alseinfach.

5.5.3 Arbitragefreie Markte und risikoneutrale Wahrscheinlichkeit

Fassen wir die bisher erhaltenen Ergebnisse zusammen. Wir wissen, dass jede beliebige Zah-lungsstruktur X in unserem Binomialmodell durch eine geschickt gewahlte HandelsstrategieH aus Bonds und Stocks dupliziert werden kann. Da wir weiter die Kosten fur diese Duplizie-rungsstrategie ermitteln konnen, gehen wir zumindest intuitiv davon aus, dass wir Wertpa-piere mit beliebigen Zahlungen auch bewerten konnen. Dazu allerdings mussten die Marktearbitragefrei sein. Dies wiederum wurde erfordern, den Begriff der Arbitragefreiheit erst ein-mal fur unser Modell prazise zu definieren. Eine Arbitrage ist weiterhin eine Situation, in derein Investor etwas “geschenkt” bekommt. Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass derartigeGeschenke in jedem Zeitpunkt t = 0, . . . , T stattfinden konnen. Wir definieren daher wie folgt

Definition 4 Der Markt ist arbitragefrei genau dann, wenn keine Handelsstrategie H derartexistiert, bei der man in keinem Zeitpunkt Zahlungen leistet

∀t ≥ 0 ∆tH ≥ 0

und die Handelsstrategie von der null verschieden ist

∃t ≥ 0 ∆tH 6= 0.

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Page 56: Risikomanagement Und Derivate

56

Wir erkennen unsere Definition aus dem Zwei–Zeitpunkte–Modell durchaus wieder: in diesemModell bestand eine Strategie aus einem Kauf im Zeitpunkt t = 0 (mit der Auszahlung−X0) und dem sofortigen Verkauf im Zeitpunkt t = 1 (mit der Auszahlung X). UnsereArbitragebedingung lautet, dass beide Zahlungen immer nichtnegativ sein mussen und inmindestens einem Zeitpunkt t = 0 oder t = 1 die Großer–Relation echt erfullt ist.

Nun gilt

Satz 8 Fur die Parameter u, d, rf gelte der Zusammenhang

d < rf < u.

Dann ist das Binomialmodell arbitragefrei.

Wenn ein Wertpapier dupliziert und damit bewertet werden kann, vermuten wir, dass aucheine risikoneutrale Wahrscheinlichkeit existiert. Des weiteren scheint nahe liegend, dass furdiese risikoneutrale Wahrscheinlichkeit die folgende Verallgemeinerung des Satzes 5.2 gilt. Aufeinen Beweis (auch dieser ist alles andere als einfach) verzichten wir jedoch.

Satz 9 (Fundamentalsatz der Preistheorie im Binomialmodell) Es gibt eine eindeu-tig bestimmte Wahrscheinlichkeitsverteilung Q derart, dass fur jedes Wertpapier der Zusam-menhang

X0 =T∑

t=1

E Q[Xt](1 + rf )t

gilt.

Wir sind damit auf dem Hohepunkt unserer Vorlesung angelangt. Wir konnen aufgrund derBehauptung des Satzes 9 jedes noch so komplizierte Wertpapier im Rahmen des Binomi-almodells bewerten, ohne die individuelle Risikoneigung der Investoren oder psychologischeMomente zu berucksichtigen. Wir mussen nur die Zahlungen in den Zeitpunkten kennen,ermitteln den Erwartungswert unter Q und diskontieren die einzelnen Summanden entspre-chend. Das Ergebnis ergibt den fairen Preis des Wertpapiers X.

Allerdings waren wir etwas vorschnell bei unserer Behauptung, den Preis von X berechnen zukonnen. Noch kennen wir die risikoneutrale Verteilung Q nicht. Wir wollen im folgenden aufeher anschauliche Weise zeigen, wie man die Wahrscheinlichkeitsverteilung Q bestimmt. Eswird sich zeigen, dass dann ein sehr ubersichtlicher Ausdruck fur diese Verteilung angegebenwerden kann – und dann steht einer Bewertung von Optionen wirklich nichts mehr im Wege.

Um die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit zu ermitteln, gehen wir von folgender Uberlegungaus. Die Wahrscheinlichkeit eines Zustandes setzt sich aus einem Produkt der up– und down–Wahrscheinlichkeiten zusammen, dies haben wir anhand eines Beispiels in Gleichung (5.4)erkannt. Daher wurde es genugen, nur pQ

u und pQd zu ermitteln. Um diese Wahrscheinlichkeiten

zu bestimmen, betrachten wir den Wert des Stocks in einem beliebigen Zeitpunkt t. DerStock kostet jetzt St und wird einen Zeitpunkt spater die Werte (1 + u)St oder (1 + d)St

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Page 57: Risikomanagement Und Derivate

57

annehmen. Diese Moglichkeiten treten mit den Wahrscheinlichkeiten pQu oder pQ

d ein, und furdie risikoneutrale Bewertung muss

E Q[St+1]1 + rf

= St

oder nach Ausmultiplizieren

pQd (1 + d)St + pQ

u (1 + u)St = (1 + rf )St

gelten. Wir sehen, dass sich der Term St kurzt und wir erhalten, da sich die beiden Wahr-scheinlichkeiten zu 1 summieren, das Gleichungssystem

pQd · d + pQ

u · u = rf ,

pQd + pQ

u = 1.

Wir erhalten nach kurzer Rechnung

pQd =

u− rf

u− d, pQ

u =rf − d

u− d. (5.5)

Damit kann die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit fur jeden Zustand ermittelt werden.

5.5.4 Ein Beispiel: der Preis eines Calls im Binomialmodell

Wir wollen unsere Theorie an einem einfachen Beispiel illustrieren. Wir betrachten eineneuropaischen Call (bezeichnet mit C) auf unsere Aktie mit Basispreis K. Welchen Preis be-sitzt dieser Call? Zuerst erinnern wir uns, dass europaische Optionen nur im EndzeitpunktZahlungen leisten. Daher vereinfacht sich die Bewertungsgleichung des Satzes 9 sofort zu

C0 =1

(1 + rf )TE Q[CT ].

Des weiteren wissen wir, dass der Call nur dann Zahlungen leistet, wenn der Aktienkurs hoherals der Ausubungspreis K wird, also (siehe dazu Gleichung (2.2)

C0 =1

(1 + rf )TE Q[max(ST −K, 0)].

Jetzt bilden wir den Erwartungswert, indem wir fur jeden Zustand s den zugehorigen Aktien-kurs ST (s) und die Wahrscheinlichkeit pQ(s) bestimmen sowie uber alle moglichen Zustandes summieren:

C0 =1

(1 + rf )T

2T∑s=1

pQ(s) ·max(ST (s)−K, 0).

Ein kleiner Trick erleichtert unsere Uberlegungen. Ein Zustand s wird durch eine Folge voninsgesamt T Auf– und Abwartsbewegungen beschrieben. Ein Beispiel fur einen solchen Zu-stand ware

s = uud . . . d︸ ︷︷ ︸T Mal

.

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Page 58: Risikomanagement Und Derivate

58

Dabei ist zu berucksichtigen, dass beim Verandern der Reihenfolge dieser u’s und d’s ein neuerZustand entsteht – wir hatten auf diese Eigenheit bereits hingewiesen. Wir konnen dennochdie Summation uber alle Zustande nun durch folgenden Trick vereinfachen. Weil sowohl dieWahrscheinlichkeit pQ(s) als auch die Auszahlung des Calls in den Zustanden mit genau kAbwartsbewegungen unverandert bleiben wird (St und qQ(s) hangen in Wirklichkeit nur vonder Anzahl der up– und down–Bewegungen ab, nicht aber von deren Reihenfolge), konnenwir diese Zustande bei der Summation zusammenfassen. Wir summieren dann nur noch uberdie Anzahl der Abwartsbewegungen k = 0, 1, . . . , T . Nur: wie wie viel mogliche Zustande gibtes, die genau k Mal eine Abwartsbewegung enthalten?

Das ist ein einfaches kombinatorisches Problem. Es geht um die Frage, wie viel Moglichkei-ten der Auswahl von k Elementen (= einer Abwartsbewegung) in einer Gesamtheit von TObjekten (= allen moglichen Bewegungen) bestehen. Diese Anzahl wird durch den Binomi-alkoeffizienten angegeben(

T

k

)=

T !k!(T − k)!

.

Wurde sich im Zustand s insgesamt k Mal abwarts und T − k Mal aufwarts bewegt, danngilt fur den zugehorigen Aktienkurs (unabhangig davon, in welcher Reihenfolge die Auf– undAbwartsbewegungen stattfanden)

ST (s) = S0(1 + d)k(1 + u)T−k.

Die Wahrscheinlichkeit errechnet sich ebenso aus der Anzahl der Aufwarts– bzw. Abwartsbe-wegungen im Zustand s (unabhangig davon, in welcher Reihenfolge die Auf– und Abwarts-bewegungen stattfanden)

pQ(s) = (pQd )k · (pQ

u )T−k =(

u− rf

u− d

)k

·(

rf − d

u− d

)T−k

.

Jetzt konnen wir alle Elemente sammeln und erhalten einen Ausdruck fur den Preis deseuropaischen Calls

C0 = 1(1+rf )T

T∑k=0

(Tk

) (u−rf

u−d

)k·(

rf−du−d

)T−kmax

(S0(1 + d)k(1 + u)T−k −K, 0

)(5.6)

Wir konnten uns an dieser Stelle mit der Binomialgleichung des Calls zufrieden geben. Furdie Betrachtungen des zeitstetigen Modelles aber ist es sinnvoll, eine geeignete Umformungder Gleichung (5.6) vorzunehmen. Zuerst bemerken wir, dass fur die Summanden folgenderZusammenhang gilt: je kleiner der Summationsindex k, um so großer der Aktienkurs S0(1 +u)T−k(1+d)k. Daher wird es einen Summationsindex k∗ derart geben, dass fur alle Indizes k >k∗ der Aktienkurs unter dem Ausubungspreis K liegt. Fur alle Indizes k ≤ k∗ dagegen wirdder Aktienkurs uber dem Ausubungspreis liegen, die Option wurde in diesem Fall ausgeubt.Uber die Große der Zahl k∗ konnen wir ebenfalls Aussagen treffen. Dazu stellen wir einfachdie Bedingung

S0(1 + d)k∗(1 + u)T−k∗ −K = 0

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Page 59: Risikomanagement Und Derivate

59

nach k∗ um. Allerdings mussen wir beachten, dass fur eine sinnvolle mathematische Aussagedas Ergebnis dieser Rechnung eine ganze Zahl sein muss, korrekterweise haben wir also immermit dem ganzzahligen Teil des Ergebnisses zu rechnen. Die Umstellung ergibt(

1 + d

1 + u

)k∗

=K/S0

(1 + u)T

oder

k∗ =ln(

KS0(1+u)T

)ln(

1+d1+u

)oder

k∗ =ln(

KS0

)− T ln(1 + u)

ln(1 + d)− ln(1 + u). (5.7)

Unsere Bewertungsgleichung vereinfacht sich jetzt zu der Summe

C0 =1

(1 + rf )T

k∗∑k=0

(T

k

)(u− rf

u− d

)k

·(

rf − d

u− d

)T−k (S0(1 + d)k(1 + u)T−k −K

).

oder nach Ausklammern des letzten Faktors

C0 =1

(1 + rf )TS0

k∗∑k=0

(T

k

)(u− rf

u− d

)k

·(

rf − d

u− d

)T−k

(1 + d)k(1 + u)T−k−

− 1(1 + rf )T

Kk∗∑

k=0

(T

k

)(u− rf

u− d

)k

·(

1−u− rf

u− d

)T−k

Wir vereinfachen den zweiten Summanden unter Verwendung der Definition von pQd

C0 =1

(1 + rf )TS0

k∗∑k=0

(T

k

)(u− rf

u− d

)k

·(

rf − d

u− d

)T−k

(1 + d)k(1 + u)T−k−

− 1(1 + rf )T

Kk∗∑

k=0

(T

k

)(pQ

d )k · (1 − pQd )T−k.

Im ersten Summanden fassen wir die beiden Faktoren mit gleichem Exponenten sowie demTerm mit dem risikolosen Zins jeweils zusammen

C0 = S0

k∗∑k=0

(T

k

)(u− rf

u− d

1 + d

1 + rf

)k

·(

rf − d

u− d

1 + u

1 + rf

)T−k

− 1(1 + rf )T

K

k∗∑k=0

(T

k

)(pQ

d )k · (1 − pQd )T−k.

Skript Risikomanagement und Derivate Loffler/Laitenberger

Page 60: Risikomanagement Und Derivate

60

Jetzt konnen wir im letzten Schritt noch einmal vereinfachen: definieren wir

p :=u− rf

u− d

1 + d

1 + rf, (5.8)

dann gilt der Zusammenhang

1− p =rf − d

u− d

1 + u

1 + rf

und mit dieser Vereinfachung haben wir endlich

C0 = S0

k∗∑k=0

(T

k

)pk · (1− p)T−k − 1

(1 + rf )TK

k∗∑k=0

(T

k

)(pQ

d )k · (1− pQd )T−k.

Die beiden Summanden stellen einen aus der Theorie diskreter Verteilungen bekannten Aus-druck dar. Dazu betrachten wir eine Binomialverteilung6 zweier Ereignisse A und A (das be-deutet nicht A) uber T–malige Wiederholung bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit Prob(A) =q. Abbildung 5.4 zeigt einen typischen Verlauf dieser Verteilung fur den Fall q = 0.25 bei 5–fachen Wiederholungen. Jeder Eintrag gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der das Ereignis Amit der angegebenen Haufigkeit eintritt. Die kummulierte Wahrscheinlichkeit ermittelt sichgerade anhand der Gleichung

B(k∗;T, q) :=k∗∑

k=0

(T

k

)qk · (1− q)T−k,

es handelt sich um nichts anderes als die Verteilungsfunktion der Binomialverteilung.

0.5

1

1 2 3 4 5-

6Verteilungsfunktion B(k∗; 5, 0.25)

Haufigkeit k∗

Abbildung 5.4: Verlauf der Binomialverteilung

Wir sehen, dass sich die Bewertungsgleichung des Calls mit Hilfe der Binomialverteilungeinfacher schreibt als

C0 = S0 ·B(k∗;T, p)− 1(1+rf )T K ·B(k∗;T, pQ

d ). (5.9)

6Mehr uber Binomialverteilungen finden Sie in jedem Lexikon der Mathematik, beispielsweise Bronstein,Semendjajew, Musiol & Muhlig (1993, S. 506).

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Im Prinzip konnten wir nun die Black–Scholes herleiten, indem wir die Abstande zwischenzwei Perioden immer kleiner machen und dabei darauf achten, auch die Hohe der Kurssprungeder Aktie und die Wahrscheinlichkeiten auf geeignete Weise kleiner werden zu lassen. Im Limiterhalt man dann die beruhmte Black–Scholes Formel. Nachteil bei diesem Vorgehen ist, dassman zwar so eine Preisformel fur eine Option berechnen kann, aber keine Informationenuber die Art und Weise erhalt, wie eine solche Option uberhaupt gehedgt werden kann.Deshalb werden wir im Folgenden Kapitel den ursprunglichen Ansatz von Black und Scholesverwenden, um den Preis einer Option zu bestimmen.

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6 Die Black–Scholes–Formel zur Bewertungeuropaischer Optionen

6.1 Die Black–Scholes–Formel

Black und Scholes gehen davon aus, dass die Rendite der Aktie eine bestimmte Dynamikbesitzt. Zuerst gehen sie davon aus, dass es nicht mehr wie im Binomialmodell diskrete Zeit-punkte gibt, sondern dass die Zeit kontinuierlich ist und auch der Handel mit der Aktiekontinuierlich stattfindet. Das heißt, es gibt jetzt nicht mehr Zeitpunkte t = 0, 1, . . . , T , son-dern der Zeitindex kann jeden beliebigen Wert im Intervall t ∈ [0, T ] annehmen. In eineminfinitesimalen (unendlich kleinen) Zeitintervall dt moge sich der Preis der Aktie um denzufalligen Betrag dSt bewegen. Dieser zufallige Betrag habe einen Erwartungswert µSdt undeine Standardabweichung σS

√dt. Wir sagen dann µ ist die “Drift” und σ die “Volatilitat”.

Statt

E[dSt

St

]= µdt, Std

[dSt

St

]= σ√

dt

schreiben wir nun

dSt

St= µdt + σdWt, (6.1)

wobei dWt als eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert null und Varianz dtaufgefasst werden kann. Die Drift kann als infinitesimale erwartete Rendite der Aktie inter-pretiert werden, die Volatilitat ist ein Maß fur die Schwankung dieser Rendite.

Falls die Volatilitat der Aktie null ist (die zukunftige Entwicklung der Aktie also nicht sto-chastisch), dann ist

dSt

St= µdt,

oder, etwas umgestellt

dSt

dt= µSt. (6.2)

Dies ist eine gewohnliche Differentialgleichung, d.h. eine Gleichung die eine Funktion S(t)durch einen Zusammenhang zwischen der Funktion selbst und der Ableitung der FunktiondS(t)/dt beschreibt. Eine Losung dieser Differentialgleichung ist eine Funktion S(t) die derin (6.2) beschriebenen Beziehung genugt. In diesem einfachen Fall ist

S(t) = S0eµt,

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wobei S0 der Aktienkurs im Zeitpunkt Null ist. Das ist einfach der Wert eines Kontos, dassich mit dem sicheren Zinssatz µ verzinst. Man sieht, um eine eindeutige Losung fur das in(6.2) beschriebene Problem zu erhalten, muss man den Startwert S0 der Funktion kennen,da es ansonsten unendlich viele Losungen der Differentialgleichung gibt, eine fur jeden denk-baren Startwert. Diesen Startwert nennt man auch Anfangsbedingung oder Randbedingungder Differentialgleichung. Wir werden gleich sehen, dass wir den Preis unserer Option nachgenau diesem Prinzip bestimmen werden, indem wir eine Differentialgleichung finden, die dieKursbewegung des Optionspreises beschreibt, und eine geeignete Randbedingung angeben.Dies ist nur im Falle der Option mathematisch nicht mehr so einfach, weil der Optionspreisnicht nur von einer Variable t abhangt, sondern noch vom Wert des Underlyings St.

Kommen wir zuruck zur Beschreibung der zeitlichen Entwicklung der Aktie in Gleichung(6.1):

dSt

St= µdt + σdWt.

Wt wird mathematisch als ein Wiener–Prozess oder als Brown’sche Bewegung bezeichnet. Siehat die beiden folgenden fundamentalen Eigenschaften:

1. In einem infinitesimalen Zeitraum dt wird die Anderung von Wt durch

dWt =√

dtε

beschrieben, wobei ε eine standardnormalverteilte Zufallsvariable ist, also mit Erwar-tungswert Null und Varianz 1.

2. Fur zwei infinitesimale Zeitintervalle dt1 und dt2 sind die Anderungen von Wt, also dW1

und dW2 unabhangig.

Die vielleicht auf den ersten Blick seltsame erste Eigenschaft, namlich dass die AnderungendWt durch die Wurzel aus der Zeit t beschrieben werden, ist im Grunde ganz naturlich undhat nichts mit der kontinuierlichen Zeiteinteilung zu tun. Schauen Sie sich eine Aktie an,bei der man annimmt, dass ihre Wertanderung in einem Jahr durch eine NormalverteilungN (0, 1) beschrieben wird, bei der man also annimmt, dass der durchschnittliche Kurs konstantbleibt, deren Wertschwankungen aber durch eine Normalverteilung mit Varianz 1 beschriebenwerden. Welche Wertanderung treten bei dieser Aktie in zwei Jahren auf, wenn man davonausgeht, dass die Wertanderung im zweiten Jahr die gleichen Eigenschaften hat wie im erstenund zudem unabhangig von der Wertanderung im ersten Jahr ist?

Die Wertanderung in zwei Jahren ist die Summe von zwei unabhangigen Normalverteilun-gen. Die Summe aus zwei unabhangigen Normalverteilungen ist eine Normalverteilung, derenErwartungswert die Summe der beiden Erwartungswerte und deren Varianz die Summe derbeiden Varianzen ist. Daher ist der Erwartungswert der Wertanderung Null und die Varianzder Wertanderung gleich zwei. Die Wertanderung der Aktie uber zwei Jahren wird also durcheine Normalverteilung N (0,

√2) beschrieben. Allgemein wird die Wertanderung der Aktie

uber einen beliebigen Zeitraum ∆t durch eine Normalverteilung N (0,√

∆t) beschrieben.

(6.1) besagt demnach, dass die Rendite der Aktie sich aus einer sicheren Verzinsung µdt (derDrift) und einer unsicheren Komponente σdWt (der Volatilitat) zusammensetzt, bei der die

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unsichere Komponente ein Wiener–Prozess ist, bei dem die Anderungen normalverteilt unddie Anderungen uber zwei unterschiedliche Zeitintervalle unabhangig verteilt sind. Abbildung6.1 zeigt ein Beispiel einer stochastischen Preisbewegung mit Drift µ.

0.5

1

1.5

1 2 3-

6 Quotient St/S0

Zeit t

µt

.....................................................

......................................................................................................

.................................................................................................

..................................................

.......................................................................................................

..............................................................................

...................................

....................................................................

..........................................................................

...............................

..........................................................................

.................................................

......

................

................

................

................

................

................

................

................

................

................

................

............

Abbildung 6.1: Beispiel einer chaotischen Preisbewegung (bei Lognormalverteilung)

Der Preis einer Option auf eine Aktie S ist offensichtlich eine Funktion der Zeit, des aktu-ellen Aktienkurses St, des Ausubungspreises und des risikolosen Zinssatzes. Bei festgelegtenZinssatzen und Ausubungspreisen ist die Option also eine Funktion der Zeit und des Ak-tienkurses. Bevor wir uns weiter mit der Preisgleichung der Option beschaftigen brauchenwir noch ein wichtiges mathematisches Resultat, das von auf den Mathematiker Kiyosi Itozuruckgeht.

Satz 10 (Itos Lemma) Sei f(S, t) eine beliebige (hinreichend differenzierbare) Funktiondes stochastischen Aktienkurses S und der Zeit t. Dann folgt fur die infinitesimale Ande-rung des Funktionswertes df

df =∂f

∂SσdWt +

(∂f

∂SµS +

∂f

∂t+

12σ2S2 ∂2f

∂S2

)dt.

Itos Lemma stellt offensichtlich eine Ubertragung der Taylorschen Approximation auf diestochastische Welt dar. Wir erkennen die beiden ersten Ableitungen, die wir im folgenden auchkurzer mit fS und ft bezeichnen werden. Uberraschend ist jedoch der dritte Term, in dem einezweite Ableitung auftaucht. Diese Besonderheit ist charakteristisch fur den Infinitesimalkalkulchaotischer Preisprozesse.

Beweis: Wir werden naturlich keinen formal prazisen Beweis fuhren konnen und begnugenuns mit einer Veranschaulichung. Dazu entwickeln wir die Funktion f(S, t) nach dem Satzvon Taylor bis zur zweiten Ordnung und erhalten

f(St + dSt, t + dt) ≈ f(St, t) + fSdSt + ftdt +12fSSdS2

t +12fttdt2 + fStdStdt.

Die infinitesimale Anderung ergibt sich, indem wir f auf beiden Seiten subtrahieren

df(St + dSt, t + dt) ≈ fSdSt + ftdt +12fSSdS2

t +12fttdt2 + fStdStdt.

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Im nachsten Schritt setzen wir (im rechten Teil der Gleichung) die Bewegungsgleichung desAktienkurses (6.1) ein

df ≈ fSdS + ftdt +12fSS(µSdt + σSdWt)2 +

12fttdt2 + fSt(µSdt + σSdWt)dt.

Terme großerer Ordnung als dt konnen wir vernachlassigen

df ≈ fSdS + ftdt +12fSS(2µSdt σSdWt + σ2S2dWtdWt) + fStσS dWtdt.

Wir wollen nun die beiden folgenden Zusammenhange veranschaulichen:1

dWt · dt ≈ 0, dWt · dWt ≈ dt.

Dazu ermitteln wir in beiden Fallen den Erwartungswert. Fur das erste Produkt gilt

E [dWt · dt] ≈ dt, E [dWt] ≈ (dt)1.5 ≈ 0,

und fur das zweite Produkt gilt

E [dWt · dWt] = Var [dWt] ≈ dt.

Ersetzen wir nun dW 2t durch den Term dt, dann gilt zusammengefasst

df ≈ fSdS + ftdt +12fSSσ2S2dt.

Damit wollen wir unsere Veranschaulichung beenden.

Kommen wir zuruck zu unserer Option, bei der wir nun festlegen, dass es sich um eineKaufoption C handeln soll. Bei festgelegtem Ausubungspreis und fixen risikolosen Zinsen istder Optionspreis eine Funktion der Zeit und des Aktienkurses, C(S, t). Damit folgt mit ItosLemma, dass

dC = CSσdWt + (CSµS + Ct +12σ2S2 CSS)dt, (6.3)

wobei Ct, CS und CSS die ersten und zweiten Ableitungen nach den entsprechenden Variablenvon C(S, t) sind.

Wir stellen nun eine Portfolio einem Leerverkauf der Option und CS Anteilen der Aktiezusammen:

P = CSS − C. (6.4)

Die Wertanderung des Portfolios in einem infinitesimalen Zeitintervall dt ist:

dP = CSdS − dC.

Durch Einsetzen der Gleichungen (6.1) und (6.3) ergibt sich

dP = (−Ct −12σ2S2CSS)dt.

1Hier erkennen Sie, warum die Bezeichnung√

dt ε so suggestiv ist!

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Wie man sieht wird die Wertanderung des Portfolios nur durch nichtstochastische Termebeschrieben (dWt taucht nicht auf). Daher handelt es sich bei dem Portfolio um eine sichereAnlage (jedenfalls uber den infinitesimalen Zeitraum dt) und die Rendite des Portfolios mussaus Arbitrage–Grunden gleich der risikolosen Rendite sein, was bedeutet, dass

dP = rfPdt.

Zusammen ergeben die beiden letzten Gleichungen die folgende Beziehung:

rfPdt = (−Ct −12σ2S2CSS)dt.

Setzt man nun noch (6.4) fur P ein und eliminiert auf beiden Seiten den Term dt, erhalt man

Ct + rfSCS +12σ2S2CSS = rfC. (6.5)

Dies ist eine partielle Differentialgleichung, die den Optionspreis und seine Ableitungen Ct,CS und CSS in Beziehung zueinander setzt. Diese Differentialgleichung ist allein deshalb nichtnach Black und Scholes benannt, weil sie bereits weit vorher in der Physik zur Beschreibungder Warmeleitung in einem festen Korper benutzt wurde (,,Warmeleitungsgleichung”). Ausder physikalischen Theorie weiß man, dass zur Losung der Gleichung eine Randbedingungnotwendig ist. Diese Randbedingung ergibt sich durch die Betrachtung der Auszahlung amLaufzeitende. Im Ausubungszeitpunkt gilt

C(T ) = max(S −K, 0). (6.6)

Die beiden Gleichungen (6.5) und (6.6) ergeben ein mathematisches Problem, dessen Losungdie Black–Scholes–Formel ist:

C0 = S0 · N(

ln(S0/K)+rT+σ2

2T

σ√

T

)− e−rT K · N

(ln(S0/K)+rT−σ2

2T

σ√

T

). (6.7)

6.2 Delta Hedging

Im letzten Abschnitt haben wir bereits gesehen, wie mit recht anspruchsvollen mathemati-schen Verfahren eine Option rein theoretisch vollstandig gehedget werden kann, das heißt einPortfolio aus Aktien und Bonds gebildet wird, das zusammen mit der Option risikolos ist. Inder Praxis sichert man sich tatsachlich genau nach diesem Schema ab, auch wenn naturlichein paar Vereinfachungen vorgenommen werden. Ebenso stellen Arbitrageure, die gegen falschgepreiste Derivate spekulieren, ihre Arbitrage-Strategien nur theoretisch nach dem im letz-ten Abschnitt dargestellten Verfahren zusammen. Das großte Hindernis fur eine einfachenUbertragung der Arbitrage-Strategie (??) in die Praxis, stellt naturlich die Annahme dar,dass das Hedge-Portfolio kontinuierlich angepasst wird. Dies ist offensichtlich selbst fur heu-tige Handelscomputer nicht machbar und kame im Ubrigen wegen der damit verbundenenTransaktionskosten viel zu teuer.

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Eine Bank, die eine Option im OTC-Markt an einen Kunden verkauft, muss darauf achten,dass sie am Ausubungszeitpunkt nicht unerwunschten Zahlungsverpflichtungen nachkommenmuss. Im Extremfall wird sie das so einrichten, dass ihr uberhaupt kein Risiko entsteht. Da-zu wird sie eine Anzahl ∆ von Aktien kaufen, so dass zu jedem Zeitpunkt die moglichenSchwankungen des Wertes der Option durch die Schwankungen der ∆ Aktien wettgemachtwerden. Ein Portfolio aus Option und Aktien, dass derart abgesichert ist, wird Delta-neutralgenannt. Bei kontinuierlichem Handel ist in einem beliebig kleinen Zeitintervall t nur mit klei-nen Schwankungen des Wertes der Option zu rechnen. Fur infinitesimal kleine Zeitintervallet ergibt sich ∆ als

∆ =∂C

∂S.

Ist das Delta gleich 0,6 heißt das also das eine Bank die 10.000 Optionen auf eine Aktieverkauft hat, 6.000 Aktien halt, um sich gegen Schwankungen des Optionspreises abzusichern.Eine Wertveranderung der Aktie um einen Prozent fuhrt dann zu einer Wertveranderung derOption um approximativ 0,6 Prozent. Das Portfolio 0, 6S − C hat dann approximativ eineWertveranderung von Null.

Dieses Delta muss allerdings standig angepasst werden, da es sich in jeder Zeitperiode andert.Die Bank sollte also im Idealfall kontinuierlich ihr Portfolio aus Aktien anpassen. Das wird siewegen Transaktionskosten nicht kontinuierlich aber in gewissen, moglichst kurzen, Abstandentun.

Mit der Black–Scholes Formel lasst sich das Delta einer europaischen Kaufoption ausrechnen.Es lasst sich zeigen, dass zum Zeitpunkt t

∆ = N

(ln(St/K) + r(T − t) + σ2

2 (T − t)σ√

T − t

)In Abhangigkeit des Aktienkurses hat das Delta die folgende Form:

1,0

0,0

K-

6Delta

Aktienkurs.........................

...................................

......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.....................................

...........................

Wir erkennen, dass Delta immer positiv und kleiner Eins ist. Weiter sieht man, dass dasDelta fur Optionen die sehr stark in–the–money oder out–of–the–money sind relativ flach

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wird, sich also bei Schwankungen des Aktienkurses nicht stark verandert, wahrend das Deltaeiner Option, die annahernd at–the–money ist, sehr sensitiv auf Anderungen des Aktienkursesreagiert.

Wir wollen uns nun realistischerweise vorstellen, die Bank konne ihr Hedge-Portfolio nichtkontinuierlich anpassen, sondern nur in diskreten Abstanden von zum Beispiel einer Wocheoder einem Tag. Dadurch kann das Hedge-Portfolio der Bank nicht mehr dauerhaft optimalsein. Zwischen den Anpassungszeitpunkten konnen Schwankungen des Optionspreises nichtmehr vollstandig durch entsprechende Schwankungen des Hedge-Portfolios aufgefangen wer-den. Fur Optionen, die stark in–the–money oder out–of–the–money sind, ist das nicht soschlimm, da auch uber einen etwas langeren Zeitraum das festgelegte Delta fast optimal ist.Fur Optionen, die annahernd at–the–money sind, kann die Bank aber Schwierigkeiten be-kommen. Wenn die Bank zum Beispiel am Montag ihr Portfolio auf das aktuelle Delta einerat–the–money Option von 0,6 anpasst, dann kann es passieren, dass das Delta sich bis zumDonnerstag auf 0,3 geandert hat, ohne dass sich dabei der Aktienkurs oder der Kurs der Op-tion stark verandert haben muss. Eine einprozentige Anderung des Aktienkurses am Freitagfuhrt nun zu einer Anderung des Kurses der Option um 0,3 Prozent. Das Portfolio der Bankmit dem alten Delta von 0,6 wird sich aber um 0, 6 − 0, 3 Prozent verandern. Das kann beihohen Positionen schon ein deutliches Risiko bedeuten. Bei einem Wert der Optionspositionvon 100 Mio.e sind das zum Beispiel bereits 300.000e.

Das Delta reagiert sehr sensibel auf Schwankungen des Aktienkurses, wenn die Ableitung vonDelta nach dem Aktienkurs, das sogenannte Gamma der Option,

Γ =∂∆∂S

=∂2C

∂S2

hohe Werte annimmt. Das Gamma einer Kaufoption zum Zeitpunkt t ergibt sich aus derBlack–Scholes Formel als

Γ =N ′(

ln(St/K)+r(T−t)+σ2

2(T−t)

σ√

T−t

)Stσ√

T − t.

Um gegen Schwankungen des Delta abgesichert zu sein, kann die Bank zweierlei tun. Einerseitskann sie einfach Γ beobachten, und bei hohen Γ–Werten haufiger ihre Portfoliopositionenanpassen.

Eine zweite Strategie besteht darin, das Hedge-Portfolio weiter auszubauen, so dass es auchGamma–neutral wird. Nehmen wir an, auf die zugrundeliegende Aktie wurde eine weitereOption C (mit einem anderen Ausubungspreis) gehandelt. Auch diese Option hat ein Delta∆ und ein Gamma Γ. Das Portfolio C − ∆S ist nun wieder Delta–neutral mit einem Gammavon Γ. Damit wird das Gesamtportfolio

∆S − C − ΓΓ

(∆S − C)

Delta–neutral und Gamma–neutral sein. Die Bank ist hiermit auch gegen Schwankungendes Delta abgesichert. Delta–Neutralitat bedeutet Absicherung gegen sehr kleine Schwankun-gen des Aktienkurses. Gamma–Neutralitat bedeutet Absicherung gegen Schwankungen desHedge–Portfolios zwischen den Anpassungsterminen.

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K-

6Gamma

Aktienkurs...........................

.......................................

..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

Simulationsstudien und die Erfahrung der Optionshandler zeigen, dass man mit Delta– undGamma–Hedging in der Regel bereits die allerwichtigsten Risiken einer Optionsposition sehrgut absichern kann.

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Literaturverzeichnis

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