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Robert M. Russell, Paolo M. Suter 96e Vitamine und Spurenelemente Mangel und Überschuss Für die deutsche Ausgabe Matthias Pirlich Vitamine und Spurenelemente sind notwendige Bestandteile der menschlichen Ernährung, da sie im menschlichen Körper entweder unzureichend oder überhaupt nicht synthetisiert werden. Nur kleine Mengen dieser Substanzen sind erforderlich, damit wesentliche bio- chemische Reaktionen ausgeführt werden können (z. B. in Form von Koenzymen oder prosthetischen Gruppen). Ein deutlicher Mangel an Vitaminen oder Spurenelementen ist aufgrund einer reichlichen, ab- wechslungsreichen und preisgünstigen Nahrungsversorgung sowie durch die Anreicherung von Nahrungsmitteln und den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln in westlichen Ländern selten; dennoch können multiple Nährstomängel bei chronisch kranken oder alko- holabhängigen Personen auftreten. Nach einer Bypassoperation des Magens besteht ein hohes Risiko für zahlreiche Mangelzustände. Au- ßerdem sind subklinische Mängel an Vitaminen und Spurenelemen- ten recht verbreitet in der Normalbevölkerung, besonders bei älteren Personen, wie sich in Laboruntersuchungen zeigt. Allerdings nimmt die pathophysiologische und klinische Bedeutung der Toxizitäten von Nährstoen zu, weil sie so breitflächig eingenommen werden. Von Hungersnot oder Katastrophen betroene und vertriebe- ne Bevölkerung und Flüchtlinge haben ein hohes Risiko für eine Protein-Energie-Mangelernährung, klassische Mikro- nährstomängel (Vitamin A, Eisen, Iod) sowie für Mangelzustände von Thiamin (Beriberi), Riboflavin, Vitamin C (Skorbut) und Niacin (Pellagra). Die Körperdepots von Vitaminen und Mineralien variieren erheb- lich. Die Speicher der Vitamine B 12 und A etwa sind so groß, dass beim Erwachsenen selbst unter ein- oder mehrjährig unzureichender Aufnahme mit der Nahrung keine Mangelerscheinungen auftreten. Die Körperreserven von Folsäure und Thiamin können dagegen in- nerhalb von Wochen entleert sein, wenn diese Substanzen in der Nah- rung fehlen. Therapeutische Maßnahmen können Vorräte essenzieller Nährstoe im Körper erschöpfen; zum Beispiel gehen durch Hämo- dialyse wasserlösliche Vitamine verloren, die durch Supplemente er- setzt werden müssen. Vitamine und Spurenelemente stehen in mehrfacher Hinsicht mit Krankheiten in Verbindung: (1) Vitamin- und Mineralstomangel kann durch eine Krankheit verursacht werden, wie etwa eine Mal- absorption; (2) sowohl ein Mangel als auch ein Überschuss an Vita- minen und Mineralien kann eine Krankheit auslösen (z. B. Vitamin- A-Intoxikation und Leberkrankheit) und (3) Vitamine und Mineral- stoe können hoch dosiert als Medikamente verwendet werden (z. B. Nicotinsäure bei Hypercholesterinämie). Die hämatologisch relevan- ten Vitamine und Mineralstoe (Kap. 126, Kap. 128) werden in die- sem Kapitel nur kurz gestreift oder übergangen, da sie an anderer Stelle besprochen werden. Gleiches gilt für die im Knochenmetabolis- mus bedeutsamen Vitamine und Mineralstoe (Vitamin D, Kalzium, Phosphor; Magnesium; Kap. 423). VITAMINE Siehe auch Tabelle 96e-1 sowie Abbildungen 96e-1 und 96e-2. & THIAMIN (VITAMIN B 1 ) Thiamin war das erste B-Vitamin, das identifiziert wurde. Deshalb wird es auch als Vitamin B 1 bezeichnet. Thiamin wirkt mit bei der Decarboxylierung von α-Ketosäuren, wie Pyruvat, α-Ketoglutarat und verzweigtkettigen Aminosäuren, und trägt so zur Energiegewinnung bei. Außerdem ist Thiaminpyrophosphat als Koenzym einer Trans- ketolasereaktion aktiv, welche die Umwandlung von Hexose- und Pentosephosphaten vermittelt. Ferner wurde postuliert, dass Thiamin eine Rolle bei der peripheren Nervenleitung spielt, obwohl die genau- en chemischen Reaktionen, die dieser Funktion zugrunde liegen, un- bekannt sind. Vorkommen in der Nahrung Die mittlere Thiaminaufnahme allein durch die Nahrung liegt in den USA bei 2 mg/d. In Deutschland beträgt die tägliche mediane Thia- minaufnahme bei Männern 1,6 mg und bei Frauen 1,2 mg. Haupt- nahrungsquellen für Thiamin sind: Hefe, Innereien, Schweinefleisch, Hülsenfrüchte, Rindfleisch, Vollkornprodukte und Nüsse. Geschälter und polierter Reis und Getreide enthalten, wenn überhaupt, wenig Thiamin. Thiaminmangel kommt deshalb häufiger in Bevölkerungen vor, in denen Reis ein Hauptnahrungsmittel darstellt. Tee, Kaee (kof- feinhaltig und koeinfrei), roher Fisch und Krustentiere enthalten Thiaminasen, die das Vitamin zerstören können. Daher kann ein übermäßiger Konsum von Tee oder Kaee theoretisch die Thiamin- speicher reduzieren. Mangel Die weltweit häufigste Ursache für Thiaminmangel ist eine thiamin- arme Ernährung. In westlichen Ländern sind die Hauptursachen für Thiaminmangel Alkoholismus und chronische Krankheiten wie Krebs. Bekannt ist, dass Alkohol direkt in die Thiaminabsorption und in die Thiaminpyrophosphatsynthese eingreift und die Harnexkretion erhöht. Thiamin sollte Patienten mit Alkoholismus immer ver- abreicht werden, weil die Wiederauüllung der Kohlenhydratreserven ohne adäquate Thiaminzufuhr zu einem akuten Thiaminmangel mit Laktatazidose führen kann. Weitere Risikogruppen sind Frauen mit einer verlängerten Hyperemesis gravidarum, anorektische Patienten mit einem allgemein schlechten Ernährungsstatus, die parenterale Glukose erhalten, Patienten nach bariatrischen Bypassoperationen (bariatrischer Wernicke) und Patienten unter chronischer Diureti- katherapie (z. B. wegen Hypertonie oder Herzinsuzienz) wegen er- höhter Thiaminverluste mit dem Urin. Mütterlicher Thiaminmangel kann zu kindlichem Beriberi bei Stillkindern führen. Ein Thiaminmangel führt im frühen Stadium zu Anorexie und un- spezifischen Symptomen (z. B. Reizbarkeit, Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses). Ein langfristiger Thiaminmangel verursacht Beriberi, welche klassischerweise als trockene oder feuchte Variante kategorisiert wird, auch wenn es dabei beträchtliche Überlappungen gibt. Bei beiden Formen von Beriberi können Patienten über Schmerz und Parästhesien klagen. Feuchte Beriberi äußert sich primär in kar- diovaskulären Symptomen aufgrund eines beeinträchtigten Herzmus- kelenergiestowechsels und Dysautonomie und kann nach 3 Mona- ten einer Thiaminmangelernährung auftreten. Die Patienten weisen ein vergrößertes Herz, Tachykardien, eine Herzinsuzienz, periphere Ödeme sowie eine periphere Neuritis auf. Patienten mit trockener Be- riberi zeigen eine symmetrisch periphere Neuropathie des motori- schen und sensorischen Systems mit verminderten Reflexen. Die Neu- ropathie betrit am deutlichsten die Beine, und die Patienten haben Schwierigkeiten, aus hockender Position aufzustehen. Alkoholiker mit chronischem Thiaminmangel können auch zentral- nervöse Systemmanifestationen aufweisen, die als Wernicke-Enzephalo- pathie bekannt sind. Diese äußert sich durch horizontalen Nystagmus, Ophthalmoplegie (aufgrund der Schwäche eines oder mehrerer extrao- kulärer Muskeln), zerebelläre Ataxie und geistige Beeinträchtigung (Kap. 467). Kommt es zudem zum Gedächtnisverlust und einer kon- fabulatorischen Psychose, wird diese Form als Wernicke-Korsakow-Syn- drom bezeichnet. Trotz typischer Klinik und Anamnese wird die Diag- nose eines Wernicke-Korsakow-Syndroms immer wieder übersehen. Die Labordiagnose eines Thiaminmangels wird normalerweise auf- grund eines funktionellen Enzymessays der Transketolase-Aktivität vor und nach Zugabe von Thiaminpyrophosphat gestellt. Eine mehr als 25%ige Stimulierung (also ein Aktivitätskoezient von 1,25) durch den Zusatz des Thiaminpyrophosphats wird als pathologisch angesehen. Um einen Mangel festzustellen, können Thiamin oder sei- ne phosphorylierten Ester in Serum oder Blut auch durch Hoch- druckflüssigkeitschromatografie bestimmt werden (HPLC). 96e-1 Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

Robert M. Russell, Paolo M. Suter 96e Mangel und Überschuss · einer verlängerten Hyperemesis gravidarum, anorektische Patienten mit einem allgemein schlechten Ernährungsstatus,

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Robert M. Russell, Paolo M. Suter

96e Vitamine und Spurenelemente –Mangel und ÜberschussFür die deutsche Ausgabe Matthias Pirlich

Vitamine und Spurenelemente sind notwendige Bestandteile dermenschlichen Ernährung, da sie im menschlichen Körper entwederunzureichend oder überhaupt nicht synthetisiert werden. Nur kleineMengen dieser Substanzen sind erforderlich, damit wesentliche bio-chemische Reaktionen ausgeführt werden können (z. B. in Form vonKoenzymen oder prosthetischen Gruppen). Ein deutlicher Mangel anVitaminen oder Spurenelementen ist aufgrund einer reichlichen, ab-wechslungsreichen und preisgünstigen Nahrungsversorgung sowiedurch die Anreicherung von Nahrungsmitteln und den Einsatz vonNahrungsergänzungsmitteln in westlichen Ländern selten; dennochkönnen multiple Nährstoffmängel bei chronisch kranken oder alko-holabhängigen Personen auftreten. Nach einer Bypassoperation desMagens besteht ein hohes Risiko für zahlreiche Mangelzustände. Au-ßerdem sind subklinische Mängel an Vitaminen und Spurenelemen-ten recht verbreitet in der Normalbevölkerung, besonders bei älterenPersonen, wie sich in Laboruntersuchungen zeigt. Allerdings nimmtdie pathophysiologische und klinische Bedeutung der Toxizitäten vonNährstoffen zu, weil sie so breitflächig eingenommen werden. Von Hungersnot oder Katastrophen betroffene und vertriebe-

ne Bevölkerung und Flüchtlinge haben ein hohes Risiko füreine Protein-Energie-Mangelernährung, klassische Mikro-

nährstoffmängel (Vitamin A, Eisen, Iod) sowie für Mangelzuständevon Thiamin (Beriberi), Riboflavin, Vitamin C (Skorbut) und Niacin(Pellagra).Die Körperdepots von Vitaminen und Mineralien variieren erheb-

lich. Die Speicher der Vitamine B12 und A etwa sind so groß, dassbeim Erwachsenen selbst unter ein- oder mehrjährig unzureichenderAufnahme mit der Nahrung keine Mangelerscheinungen auftreten.Die Körperreserven von Folsäure und Thiamin können dagegen in-nerhalb von Wochen entleert sein, wenn diese Substanzen in der Nah-rung fehlen. Therapeutische Maßnahmen können Vorräte essenziellerNährstoffe im Körper erschöpfen; zum Beispiel gehen durch Hämo-dialyse wasserlösliche Vitamine verloren, die durch Supplemente er-setzt werden müssen.Vitamine und Spurenelemente stehen in mehrfacher Hinsicht mit

Krankheiten in Verbindung: (1) Vitamin- und Mineralstoffmangelkann durch eine Krankheit verursacht werden, wie etwa eine Mal-absorption; (2) sowohl ein Mangel als auch ein Überschuss an Vita-minen und Mineralien kann eine Krankheit auslösen (z. B. Vitamin-A-Intoxikation und Leberkrankheit) und (3) Vitamine und Mineral-stoffe können hoch dosiert als Medikamente verwendet werden (z. B.Nicotinsäure bei Hypercholesterinämie). Die hämatologisch relevan-ten Vitamine und Mineralstoffe (Kap. 126, Kap. 128) werden in die-sem Kapitel nur kurz gestreift oder übergangen, da sie an andererStelle besprochen werden. Gleiches gilt für die im Knochenmetabolis-mus bedeutsamen Vitamine und Mineralstoffe (Vitamin D, Kalzium,Phosphor; Magnesium; Kap. 423).

VITAMINESiehe auch Tabelle 96e-1 sowie Abbildungen 96e-1 und 96e-2.

& THIAMIN (VITAMIN B1)Thiamin war das erste B-Vitamin, das identifiziert wurde. Deshalbwird es auch als Vitamin B1 bezeichnet. Thiamin wirkt mit bei derDecarboxylierung von α-Ketosäuren, wie Pyruvat, α-Ketoglutarat undverzweigtkettigen Aminosäuren, und trägt so zur Energiegewinnungbei. Außerdem ist Thiaminpyrophosphat als Koenzym einer Trans-ketolasereaktion aktiv, welche die Umwandlung von Hexose- undPentosephosphaten vermittelt. Ferner wurde postuliert, dass Thiamineine Rolle bei der peripheren Nervenleitung spielt, obwohl die genau-en chemischen Reaktionen, die dieser Funktion zugrunde liegen, un-bekannt sind.

Vorkommen in der NahrungDie mittlere Thiaminaufnahme allein durch die Nahrung liegt in denUSA bei 2 mg/d. In Deutschland beträgt die tägliche mediane Thia-minaufnahme bei Männern 1,6 mg und bei Frauen 1,2 mg. Haupt-nahrungsquellen für Thiamin sind: Hefe, Innereien, Schweinefleisch,Hülsenfrüchte, Rindfleisch, Vollkornprodukte und Nüsse. Geschälterund polierter Reis und Getreide enthalten, wenn überhaupt, wenigThiamin. Thiaminmangel kommt deshalb häufiger in Bevölkerungenvor, in denen Reis ein Hauptnahrungsmittel darstellt. Tee, Kaffee (kof-feinhaltig und koffeinfrei), roher Fisch und Krustentiere enthaltenThiaminasen, die das Vitamin zerstören können. Daher kann einübermäßiger Konsum von Tee oder Kaffee theoretisch die Thiamin-speicher reduzieren.

MangelDie weltweit häufigste Ursache für Thiaminmangel ist eine thiamin-arme Ernährung. In westlichen Ländern sind die Hauptursachen fürThiaminmangel Alkoholismus und chronische Krankheiten wieKrebs. Bekannt ist, dass Alkohol direkt in die Thiaminabsorption undin die Thiaminpyrophosphatsynthese eingreift und die Harnexkretionerhöht. Thiamin sollte Patienten mit Alkoholismus immer ver-abreicht werden, weil die Wiederauffüllung der Kohlenhydratreservenohne adäquate Thiaminzufuhr zu einem akuten Thiaminmangel mitLaktatazidose führen kann. Weitere Risikogruppen sind Frauen miteiner verlängerten Hyperemesis gravidarum, anorektische Patientenmit einem allgemein schlechten Ernährungsstatus, die parenteraleGlukose erhalten, Patienten nach bariatrischen Bypassoperationen(bariatrischer Wernicke) und Patienten unter chronischer Diureti-katherapie (z. B. wegen Hypertonie oder Herzinsuffizienz) wegen er-höhter Thiaminverluste mit dem Urin. Mütterlicher Thiaminmangelkann zu kindlichem Beriberi bei Stillkindern führen.Ein Thiaminmangel führt im frühen Stadium zu Anorexie und un-

spezifischen Symptomen (z. B. Reizbarkeit, Verschlechterung desKurzzeitgedächtnisses). Ein langfristiger Thiaminmangel verursachtBeriberi, welche klassischerweise als trockene oder feuchte Variantekategorisiert wird, auch wenn es dabei beträchtliche Überlappungengibt. Bei beiden Formen von Beriberi können Patienten über Schmerzund Parästhesien klagen. Feuchte Beriberi äußert sich primär in kar-diovaskulären Symptomen aufgrund eines beeinträchtigten Herzmus-kelenergiestoffwechsels und Dysautonomie und kann nach 3 Mona-ten einer Thiaminmangelernährung auftreten. Die Patienten weisenein vergrößertes Herz, Tachykardien, eine Herzinsuffizienz, periphereÖdeme sowie eine periphere Neuritis auf. Patienten mit trockener Be-riberi zeigen eine symmetrisch periphere Neuropathie des motori-schen und sensorischen Systems mit verminderten Reflexen. Die Neu-ropathie betrifft am deutlichsten die Beine, und die Patienten habenSchwierigkeiten, aus hockender Position aufzustehen.Alkoholiker mit chronischem Thiaminmangel können auch zentral-

nervöse Systemmanifestationen aufweisen, die alsWernicke-Enzephalo-pathie bekannt sind. Diese äußert sich durch horizontalen Nystagmus,Ophthalmoplegie (aufgrund der Schwäche eines oder mehrerer extrao-kulärer Muskeln), zerebelläre Ataxie und geistige Beeinträchtigung(Kap. 467). Kommt es zudem zum Gedächtnisverlust und einer kon-fabulatorischen Psychose, wird diese Form alsWernicke-Korsakow-Syn-drom bezeichnet. Trotz typischer Klinik und Anamnese wird die Diag-nose eines Wernicke-Korsakow-Syndroms immer wieder übersehen.Die Labordiagnose eines Thiaminmangels wird normalerweise auf-

grund eines funktionellen Enzymessays der Transketolase-Aktivitätvor und nach Zugabe von Thiaminpyrophosphat gestellt. Eine mehrals 25%ige Stimulierung (also ein Aktivitätskoeffizient von 1,25)durch den Zusatz des Thiaminpyrophosphats wird als pathologischangesehen. Um einen Mangel festzustellen, können Thiamin oder sei-ne phosphorylierten Ester in Serum oder Blut auch durch Hoch-druckflüssigkeitschromatografie bestimmt werden (HPLC).

96e-1Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

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BEHANDLUNG: THIAMINMANGEL

Bei akutem Thiaminmangel mit kardiovaskulären oder neurologi-schen Symptomen sollte Thiamin 3 × 200 mg/d intravenös gege-ben werden, bis sich die akuten Symptome nicht weiter bessern;anschließend sollte Thiamin bis zur vollständigen Heilung oral ineiner Dosis von 10 mg/d gegeben werden. Eine kardiovaskuläreBesserung tritt innerhalb von 24 Stunden auf wie auch ein Rück-gang von Augenmuskelparesen. Andere Manifestationen lassenallmählich nach, obwohl die Psychose eines Wernicke-Korsakow-Syndroms für einige Monate oder auch dauerhaft weiter bestehenkann. Gleichzeitig sollten auch andere Nährstoffmangelzuständebehoben werden.

ToxizitätObwohl über Anaphylaxien nach hohen intravenösen Thiamingabenberichtet worden ist, gibt es keine Mitteilungen über ungünstige Wir-kungen hoher Mengen in der Nahrung oder in Nahrungsergänzungs-mitteln. In den USA können thiaminhaltige Nahrungssupplemente inDosierungen bis zu 50 mg/d rezeptfrei gekauft werden.

& RIBOFLAVIN (VITAMIN B2)Riboflavin ist wichtig für den Stoffwechsel von Fett, Kohlenhydratund Eiweiß, und zwar in seiner Rolle als respiratorisches Koenzymund Elektronendonator. Enzyme, die Flavinadenindinucleotid (FAD)oder Flavinmononucleotid (FMN) als prosthetische Gruppe enthal-ten, werden als Flavoenzyme bezeichnet (z. B. Succinatdehydrogenase,Monoaminoxidase, Glutathionreduktase). FAD ist ein Kofaktor derMethyltetrahydrofolat-Reduktase und moduliert darüber den Homo-cysteinmetabolismus. Das Vitamin spielt außerdem eine Rolle im Me-dikamenten- und Steroidmetabolismus einschließlich verschiedenerEntgiftungsreaktionen.Obwohl man viel über die chemischen und enzymatischen Reaktio-

nen des Riboflavins weiß, sind die klinischen Manifestationen desRiboflavinmangels unspezifisch und jenen anderer B-Vitaminmangel-zustände ähnlich. Riboflavinmangel manifestiert sich vorwiegend

durch Läsionen der Mundschleimhaut und der Haut. Neben den mu-kokutanen Läsionen sind korneale Vaskularisation, Anämien und Per-sönlichkeitsveränderungen bei Riboflavinmangel beschrieben worden.

Mangel und ÜberschussZu einem Riboflavinmangel kommt es fast immer aufgrund von Nah-rungsmangel. In den USA (und auch in Deutschland) sind Milch, an-dere Molkereiprodukte, Brot und Getreideprodukte die wichtigstenNahrungsquellen für Riboflavin, obwohl mageres Fleisch, Fisch, Eier,Brokkoli und Hülsenfrüchte ebenfalls gute Lieferanten sind. Ribofla-vin ist extrem lichtempfindlich, und Milch sollte daher in Behälterngelagert werden, die vor Photodegradation schützen. Ein Riboflavin-mangel kann im Labor durch Messung der Riboflavinkonzentrationim Erythrozyten oder im Harn diagnostiziert werden oder durch Be-stimmung der Erythrozyten-Glutathionreduktase-Aktivität vor undnach FAD-Zusatz. Weil die Resorptionskapazität für Riboflavin imGastrointestinaltrakt limitiert ist (ungefähr 20 mg nach einer oral ver-abreichten Einzeldosis), ist eine Riboflavintoxizität nicht beschriebenworden.

& NIACIN (VITAMIN B3)Der Begriff Niacin bezieht sich auf Nicotinsäure und Nicotinamid so-wie ihre biologisch aktiven Derivate. Nicotinsäure und Nicotinamiddienen als Vorläufer der zwei Koenzyme Nicotinamidadenindinucleo-tid (NAD) und NAD-Phosphat (NADP), die für zahlreiche Oxidati-ons- und Reduktionsreaktionen im Körper erforderlich sind. Außer-dem sind NAD und NADP an der Adenindiphosphat-Ribose-Trans-ferreaktion beteiligt, die bei der Reparatur der DNS und der Kalzium-mobilisierung eine Rolle spielen.

Metabolismus und BedarfNicotinsäure und Nicotinamid werden gut im Magen und Dünndarmresorbiert. Die Niacinbioverfügbarkeit ist hoch in Bohnen, Milch,Fleisch und Eiern, in Getreide geringer. Seitdem Mehl mit „freiem“Niacin (d. h. nicht der Koenzymform) angereichert wird, ist die Bio-verfügbarkeit ausgezeichnet. In Deutschland findet keine Anreiche-rung von Mehl mit Vitaminen statt. Die Typenbezeichnung des Mehls

ErnährungTeil 6

TABELLE 96e-1 Wesentliche klinische Symptome bei Vitaminmangelversorgung

Vitamin Klinischer Befund Tagesdosis, die beim ErwachsenenMangelsymptome auslöst

Faktoren, die zum Mangelzustand beitragen

Thiamin Beriberi: Neuropathie, Muskelschwäche und -auszehrung,Kardiomegalie, Ödem, Ophthalmoplegie, Konfabulation

< 0,3 mg/1000 kcal Alkoholismus, Hyperemesis, Thiaminasen in derNahrung

Riboflavin Magentarote Zunge, anguläre Stomatitis, Seborrhö, Cheilosis < 0,6 mg Alkoholismus

Niacin Pellagra: pigmentierter Ausschlag in den Sonnenlichtausgesetzten Hautbereichen, tiefrote Zunge, Diarrhö,Apathie, Gedächtnisverlust, Orientierungsstörung

< 9,0 Niacinäquivalente Alkoholismus, Vitamin-B6-Mangel, Riboflavin-mangel, Typtophanmangel

Vitamin B6 Seborrhö, Glossitis, Krämpfe, Neuropathie, Depression,Verwirrung, mikrozytäre Anämie

< 0,2 mg Alkoholismus, Isoniazid

Folat Megaloblastäre Anämie, atrophische Glossitis, Depression,erhöhter Homocysteinspiegel

< 100 μg Alkoholismus, Sulfasalazin, Pyrimethamin,Triamteren

Vitamin B12 Megaloblastäre Anämie, Verlust der Vibrations- und Lage-empfindung, Gehstörung, Demenz, Impotenz, Verlust derBlasen- und Darmkontrolle, erhöhter Homocystein- undMethylmalonsäurespiegel

< 1,0 μg Magenatrophie (perniziöse Anämie), Erkrankungdes unteren Ileums, strikter Vegetarismus,Säuresuppression (z. B. Protonenpumpen-hemmer), Metformin

Vitamin C Skorbut: Petechien, Ekchymosen, gekräuseltes Haar, ent-zündetes und blutendes Zahnfleisch, Einblutungen inGelenke, schlechte Wundheilung

< 10 mg Rauchen, Alkoholismus

Vitamin A Xerophthalmie, Nachtblindheit, Bitôt-Flecke, follikuläreHyperkeratose, eingeschränkte Embryonalentwicklung,Immunstörungen

< 300 μg Fettmalabsorption, Infektion, Masern, Alkoholis-mus, unzureichende Protein- und Energieaufnah-me

Vitamin D Rachitis: Skelettmissbildung, rachitischer Rosenkranz,krumme Beine; Osteomalazie

< 2,0 μg Altern, ungenügende Sonnenlichtexposition, Fett-malabsorption, dunkel pigmentierte Haut

Vitamin E Periphere Neuropathie, spinozerebelläre Ataxie, Skelett-muskelatrophie, Retinopathie

Unbekannt ohne einen zusätzlichenFaktor

Nur mit Fettmalabsorption oder bei genetischbedingter Störung des Vitamin-E-Stoffwechselsoder -transports

Vitamin K Erhöhte Prothrombinzeit, Blutungen < 10 μg Fettmalabsorption, Lebererkrankung, Antibiotika-einnahme

96e-2Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

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gibt allerdings Aufschluss über den Mikronährstoffgehalt des Mehls,so ist z. B. Mehl Typ 405 besonders fein vermahlen und enthält wenigVitamine und Spurenelemente, wohingegen höhere Typen deutlichmehr Mikronährstoffe enthalten. In den USA übersteigt die durch-schnittliche Niacinaufnahme die Empfehlungen (RDA, Recommend-ed Dietary Allowance) beträchtlich. Die Nationale Verzehrsstudie IIhat 2008 für Deutschland ähnliche Befunde erhoben: Die medianeNiacinzufuhr liegt in allen Altersgruppen deutliche über den DACH-Referenzwerten. Eine Mangelversorgung besteht daher nicht. Da Nia-cin eine geringe Toxizität aufweist, wurden Hypervitaminosen durchübermäßige Aufnahme aus der Nahrung bisher nicht beschrieben.

Die Aminosäure Tryptophan kann mit einer Effizienz von 60 : 1 (inGewichtseinheiten) in Niacin umgewandelt werden. Deshalb wird dieempfohlene Niacinzufuhr in Niacinäquivalenten ausgedrückt. Aller-dings findet sich eine niedrigere Umwandlungseffizienz von Trypto-phan zu Niacin, wenn ein Patient einen Vitamin-B6- oder einen Ribo-flavinmangel aufweist oder in Gegenwart von Isoniazid. Zu denHarnausscheidungsprodukten von Niacin zählen 2-Pyridon und 2-Methylnicotinamid, deren Bestimmung zur Diagnose eines Niacin-mangels herangezogen wird.

Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss 96e

Vitamin

Thiamin (B1)

Riboflavin (B2) Flavinmononukleotid (FMN) und Flavinade-nindinukleotid (FAD)

Cofaktor für Oxidations- und Reduktionsreak-tionen sowie als prosthetische Gruppe kovalent an einige Enzyme gebunden

Niacin Nicotinamid-adenin-dinukleotidphosphat (NADP) und Nicotin-adenindinukleotid (NAD)

Coenzyme für Oxidations- und Reduktionsreaktio-nen

Vitamin B6 Pyridoxalphosphat Cofaktor für Enzyme des Aminosäurestoff-wechsels

Folat Polyglutamatformen des (5,6,7,8)-Tetrahydrofolats mit gebundenen Kohlenstoffeinheiten

Coenzym für den Ein-Kohlenstoff-Transport im Nukleinsäure- und Aminosäurestoff-wechsel

Aktive Form bzw. Cofaktor Hauptfunktion

CH2OH

CH2OHHO

N

N N

N

Ribityl

N

O

O

NH2

CH3

CH2CH2OH

N N

N S

Vitamin B12 Methylcobalamin, Adenosylcobalamin

Coenzym der Methioninsynthase und der l-Methyl-malonyl-CoA-mutase

H2N

CH2

N N

N

N C CH

CH2

CH2

COOH

H

NH

NH

O

O

O

C CH

CH2

CH2

COOH

O

C OH

n

Thiaminpyrophosphat Coenzym für Spaltung von Koh-lenstoff-Kohlen-stoff-Bindungen; Aminosäure- und Kohlenhydratstoff-wechsel

CH3

CH3

CH3

CH3

CH3

CH3

CH3

H3CH3C

H3C

CH2

CH2CH2CONH2

NHCOCH2CH2

CH2CH2CONH2

CH2CH2CONH2

CH2CH2CONH2

CONH2

CH2

CH2 CHCH3

CONH2

HOCH2

HO

Co+NN

NN

N

NO

OO

P

O–

O

OH Cbl

NH

O

C O

+

Abbildung 96e-1 Struktur und Hauptfunktionen einiger Vitamine, die mit Erkrankungen des Menschen in Verbindung stehen. (Fortsetzung siehe Abbildung 96e-2.)

96e-3Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

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MangelNiacinmangel verursacht Pellagra, die hauptsächlich bei Personenauftritt, deren Ernährung auf Mais basiert, wie in Teilen von China,Afrika und Indien. In Nordamerika und Europa findet sich Pellagravornehmlich unter Alkoholikern, bei Patienten mit angeborenen De-fekten in der Darm- und Nierenabsorption von Tryptophan (Hart-nup-Krankheit; Kap. 434e) sowie bei Patienten mit einem Karzinoid-syndrom (Kap. 113), bei dem Tryptophan vermehrt in Serotonin um-gewandelt wird. Das Tuberkulostatikum Isoniazid ist ein strukturellesAnalogon von Niacin und kann eine Pellagra auslösen. Bei Hungers-nöten oder Vertreibung tritt Pellagra zum einen wegen des absolutenNiacinmangels auf, zum anderen aber auch durch einen Mangel anMikronährstoffen, die für die Umwandlung von Tryptophan in Niacinbenötigt werden (z. B. Eisen, Riboflavin und Pyridoxin). Zu den frü-hen Symptomen von Pellagra gehören Appetitverlust, eine generelleSchwäche und Reizbarkeit, Bauchschmerz und Erbrechen. Später ent-wickelt sich eine hellrote Glossitis, gefolgt von einem charakteristi-schen pigmentierten und abschilfernden Hautausschlag, besonders inden Hautbereichen, die dem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Dieser Aus-schlag – bekannt als „Casal-Kragen“, da er ringförmig im Nacken-bereich auftritt – wird in fortgeschrittenen Fällen beobachtet. Aucheine Vaginitis und Ösophagitis können auftreten. Durchfall (zum Teilaufgrund der Proktitis, zum Teil aufgrund der Malabsorption), De-pressionen, Anfälle und Demenz gehören ebenfalls zum Pellagra-Syn-drom, das im angloamerikanischen Raum auch als „die vier Ds“ be-zeichnet wird: Dermatitis, Durchfall und Demenz führen zum Tod(Death).

BEHANDLUNG: PELLAGRA

Die Behandlung einer Pellagra besteht darin, über 5 Tage eine ora-le Supplementierung mit 3 × 100–200 mg/d Nicotinamid oder Ni-cotinsäure vorzunehmen. Hohe Nicotinsäuregaben (2 g/d Nicotin-säure in retardierter Form) werden für die Behandlung erhöhterCholesterin- und Triglyzeridspiegel und/oder erniedrigter HDL-Spiegel eingesetzt (Kap. 421). Allerdings musste das Kombinati-onspräparat Nicotinsäure/Laropiprant am 21.01.2013 wegenschwerwiegender Nebenwirkungen vom Markt genommen wer-den.

ToxizitätEin Prostaglandin-vermitteltes Hitzegefühl wird über eine Bindungdes Vitamins an einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor vermitteltund kann bereits bei einer täglich verabreichten niedrigen Dosierungvon 30 mg Niacin entweder als Nahrungsergänzung oder als Therapieeiner Dyslipidämie beobachtet werden. Ein Beleg für eine toxischeWirkung von Niacin aus Nahrungsquellen liegt allerdings nicht vor.Die Flushsymptomatik beginnt grundsätzlich im Gesicht und kannbegleitet sein von Hauttrockenheit, Juckreiz, Parästhesien und Kopf-schmerzen. Eine Prämedikation mit Nikotinsäure in Kombinationmit Laropiprant, einem selektiven Prostaglandin-D2-Rezeptor-1-An-tagonisten, oder mit Aspirin kann diese Symptome lindern. Der Flushunterliegt einer Tachyphylaxie und bessert sich oft mit der Zeit. Beiähnlichen Niacindosierungen können auch Übelkeit, Erbrechen undBauchschmerz auftreten. Eine hepatische Toxizität ist die drama-tischste toxische Reaktion, die durch retardiertes Niacin verursachtwird. Sie kann sich als Gelbsucht mit erhöhten Aspartat-Aminotrans-

ErnährungTeil 6

Vitamin

Vitamin C

Vitamin A Retinol, Retinal, Retinsäure

Bildung von Rhodopsin (Sehfunktion) und Glykoproteinen (epitheliale Zell-funktion); auch Regulation der Gentranskription

Vitamin D 1,25-Dihydroxy-7-dehydrocholesterol

Aufrechterhaltung des Kalzium- und Phosphatspiegelsim Blut; antiprolife-ratives Hormon

Vitamin E Tocopherole und Tocotrienole

Antioxidanzien

Aktive Form bzw. Cofaktor Hauptfunktion

Vitamin KVitamin-K-Hydrochinon Cofaktor für die

posttranslationale Carboxylierung vieler Proteine, einschließlich essenzieller Ge-rinnungsfaktoren

Ascorbinsäure und Dehydroascorbinsäure

Beteiligung als Redoxpartner invielen biologi-schen Wasserstoff-übertragenden und Oxidations-reaktionen

OO

C C

OH OH OH

CC C CH2OH

O

OR

CH2OH

(β-Carotene)

(Retinol)

OH

CH2

OHHO

CH2[CH2 CH2]3HCH

HO

OCH2

CH3

Abbildung 96e-2 Struktur und Hauptfunktionen einiger Vitamine, die mit Erkrankungen des Menschen in Verbindung stehen. (Fortsetzung von Abbildung 96e-1.)

96e-4Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

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ferase(AST)- und Alanin-Aminotransferase-Werten (ALT) zeigen. Ei-nige Fälle einer fulminant verlaufenden Hepatitis, die sogar eine Le-bertransplantation erforderlich machten, sind bei Dosierungen von3–9 g/d beobachtet worden. Andere toxische Reaktionen offenbarensich als Glukoseintoleranz, Hyperurikämie, Makulaödem und Maku-lazysten. Die Kombination von Nikotinsäurepräparaten zur Behand-lung der Dyslipidämie mit 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-(HMG-CoA)-Reduktasehemmern kann das Risiko für eine Rhabdo-myolyse erhöhen. Die Obergrenze für die tägliche Niacineinnahme istbei 35 mg gesetzt worden. Allerdings betrifft diese Obergrenze nichttherapeutische Anwendungen von Niacin.

& PYRIDOXIN (VITAMIN B6)Der Begriff Vitamin B6 bezieht sich auf eine Familie von Verbindun-gen, die Pyridoxin, Pyridoxal, Pyridoxamin sowie ihre 5’-Phosphatde-rivate einschließen. 5’-Pyridoxalphosphat (PLP) ist ein Kofaktor fürmehr als 100 Enzyme, die mit dem Aminosäurestoffwechsel verbun-den sind. Vitamin B6 ist auch an der Häm- und der Neurotransmit-tersynthese beteiligt sowie beim Metabolismus von Glykogen, Lipi-den, Steroiden, Sphingoidbasen und mehreren Vitaminen einschließ-lich der Umwandlung von Tryptophan in Niacin.

Vorkommen in der NahrungPflanzen enthalten Vitamin B6 in Form von Pyridoxin, während intierischem Gewebe 5’-Pyridoxalphosphat und Pyridoxaminphosphatvorkommen. Das Vitamin B6 aus Pflanzen ist weniger bioverfügbarals das aus tierischem Gewebe. Reich an Vitamin B6 sind: Hülsen-früchte, Nüsse, Weizenkleie und Fleisch, wenngleich das Vitaminauch in allen anderen Lebensmittelgruppen zu finden ist.

MangelSymptome eines Vitamin-B6-Mangels zeigen sich als Epithelverände-rungen, wie sie auch beim Mangel an anderen B-Vitaminen häufigsind. Bei einem schwerwiegenden Vitamin-B6-Mangel kommen wei-terhin periphere Neuropathie, anomales Elektroenzephalogramm(EEG) und Persönlichkeitsveränderungen einschließlich Depressionund Verwirrung hinzu. Bei Kleinkindern wurde über Durchfall,Krampfanfälle und Anämie berichtet. Eine mikrozytäre, hypochromeAnämie wird durch eine verminderte Hämoglobinsynthese ausgelöst,weil das erste Enzym (Aminolävulinsäuresynthase), das an der Häm-biosynthese beteiligt ist, das PLP als Kofaktor erfordert (Kap. 126). Ineinigen Fallberichten wurde auch über eine Plättchenfunktionsstö-rung berichtet. Da Vitamin B6 bei der Umwandlung von Homocys-tein in Cystathionin notwendig ist, kann ein chronisch geringgradigerVitamin-B6-Mangel zu einem erhöhten Homocysteinspiegel im Blutführen und das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen(Kap. 291e und 434e). Unabhängig vom Homocystein sind niedrigeSpiegel an zirkulierendem Vitamin B6 mit Entzündungsreaktionenund erhöhtem C-reaktivem Protein assoziiert.Bestimmte Medikamente wie Isoniazid, L-Dopa, Penicillamin und

Cycloserin interagieren über Carbonylgruppen mit PLP. Pyridoxinsollte daher gleichzeitig gegeben werden. Ein erhöhtes Verhältnis vonAST (oder SGOT) zu ALT (oder SGPT) in der Leber von Alkohol-kranken spiegelt die relative Vitamin-B6-Abhängigkeit der ALTwider.Vitamin-B6-abhängige Syndrome, die pharmakologische Dosierungenvon Vitamin B6 erfordern, sind selten. Zu ihnen gehören der Cysta-thionin-β-Synthase-Mangel, pyridoxinabhängige Anämien (in ersterLinie Sideroblastenanämien) und die Gyrusatrophie mit chorioretina-ler Degeneration, die durch eine verminderte Aktivität des mitochon-drialen Enzyms Ornithin-Aminotransferase verursacht wird. In die-sen Situationen ist eine orale Behandlung mit 100–200 mg/d VitaminB6 erforderlich.Hohe Dosierungen von Vitamin B6 wurden zur Therapie des Kar-

paltunnelsyndroms verwendet, gegen prämenstruelle Beschwerden,Schizophrenie, Autismus und diabetische Neuropathie, aber ein über-zeugender Effekt ließ sich nicht feststellen.Die Labordiagnose eines Vitamin-B6-Mangels wird im Allgemei-

nen bei einem niedrigen Plasmawert des PLP gestellt (< 20 nmol/l).Die Behandlung eines Vitamin-B6-Mangels erfolgt mit 50 mg am Tag.Höhere Tagesdosen von 100–200 mg sind angezeigt, wenn der Vita-min-B6-Mangel mit einer medikamentösen Behandlung zusammen-hängt. Vitamin B6 sollte nicht gleichzeitig mit L-Dopa verabreichtwerden, weil beide miteinander interferieren.

ToxizitätDie sichere Obergrenze für Vitamin B6 ist auf 100 mg/d festgesetztworden, obwohl keine nachteiligen Wirkungen bei hoher Zufuhr überNahrungsmittel bekannt sind. Wenn eine Toxizität auftritt, löst dieseeine schwerwiegende sensible Neuropathie aus, die den Patientengehunfähig macht. Auch wurde über einige Fälle mit Lichtempfind-lichkeit und Dermatitis berichtet.

& FOLAT, VITAMIN B12Siehe Kapitel 128.

& VITAMIN CSowohl Ascorbinsäure als auch ihr Oxidationsprodukt Dehydroascor-binsäure sind biologisch aktiv. Zum Wirkungsspektrum des Vitaminsgehören antioxidative Aktivität, verbesserte Resorption von Nicht-Häm-Eisen, die Carnitinbiosynthese und die Umwandlung von Do-pamin in Noradrenalin und die Synthese verschiedener Peptid-Hor-mone. Vitamin C ist auch für den Bindegewebsstoffwechsel und dasCross-linking (Prolin-Hydroxylierung) wichtig und ist zudem ein Be-standteil vieler fremdstoffmetabolisierender Enzymsysteme, beson-ders des mischfunktionellen Oxidasesystems.

Resorption und Vorkommen in der NahrungVitamin C wird nahezu vollständig resorbiert, wenn weniger als100 mg in einer Einzeldosis verabreicht werden. Beträgt die Dosis je-doch über ein Gramm, werden nur 50 % oder weniger resorbiert. Beigrößeren Einnahmemengen kommt es zu erhöhtem Abbau und ge-steigerter fäkaler und renaler Ausscheidung von Vitamin C.Gute Nahrungsquellen für Vitamin C sind Zitrusfrüchte, grünes

Gemüse (besonders Brokkoli), Tomaten und Kartoffeln. Der Verzehrvon fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag liefert Vitamin C imÜberfluss gemäß den Zufuhrempfehlungen der DGE von etwa100 mg/d (RDA in den USA: 90 mg/d für Männer und 75 mg/d fürFrauen. Ungefähr 40 % der US-Bevölkerung nehmen Vitamin C alsNahrungsergänzung zu sich, wobei „natürliche Formen“ von Vita-min C nicht besser bioverfügbar sind als synthetische Formen. Rau-chen, Hämodialyse, Schwangerschaft und Stress (z. B. Infektion, Trau-ma) steigern offenbar den Vitamin-C-Bedarf.

MangelVitamin-C-Mangel verursacht Skorbut. In den USA tritt dies in ersterLinie bei armen und älteren Menschen sowie bei Alkoholikern auf,die < 10 mg Vitamin C am Tag zu sich nehmen. Vitamin-C-Mangelwird auch bei Personen beobachtet, die sich makrobiotisch ernähren,sowie bei jungen Erwachsenen mit sehr unausgewogener Ernährung.In Deutschland tritt ein manifester Vitamin-C-Mangel nur in Einzel-fällen auf. Die mediane Vitamin-C-Zufuhr liegt deutlich über denDACH-Referenzwerten, die allerdings von 32 % der Männer und 29 %der Frauen nicht erreicht werden. Ein erhöhtes Risiko für erniedrigteVitamin-C-Spiegel wiesen allerdings ältere Männer und Raucher auf(Heseker et al. 1992). Zusätzlich zu einer allgemeinen Erschöpfungäußern sich Skorbutsymptome in erster Linie in einer beeinträchtig-ten Bildung des reifen Bindegewebes, wobei es zu Hautblutungen (Pe-techien, Ekchymosen, perifollikulären Hämorrhagien), entzündetemund blutendem Zahnfleisch sowie Einblutungen in die Gelenke, inden Peritonealraum, das Perikard und die Nebennieren kommenkann. Bei Kindern kann ein Vitamin-C-Mangel das Knochenwachs-tum beeinträchtigen. Die Labordiagnose eines Vitamin-C-Mangelswird gestellt auf der Basis erniedrigter Plasma- oder Leukozytenwerte.Die Gabe von Vitamin C (200 mg/d) verbessert die Skorbutsympto-

matik innerhalb einiger Tage. Eine hoch dosierte Vitamin-C-Supple-mentierung (z. B. 1–2 g/d) kann möglicherweise Dauer und Symptomevon Infektionen der oberen Atemwege geringfügig vermindern. Es gibtauch Berichte, dass Vitamin-C-Supplementierung beim Chédiak-Higa-shi-Syndrom (Kap. 80) sowie bei der Osteogenesis imperfecta (Kap. 427)vorteilhaft ist. Von einem hohen Gehalt an Vitamin C in der Nahrungwird auch behauptet, das Auftreten von bestimmten Krebsarten, beson-ders von Ösophagus- und Magenkrebs, könne gesenkt werden. Träfedies zu, dann dürfte diese Wirkung darauf beruhen, dass Vitamin C dieUmwandlung von Nitriten und sekundären Aminen in karzinogene Ni-trosamine verhindern kann. Allerdings fand eine Interventionsstudie inChina keinerlei protektive Wirkung des Vitamins C. Die parenteraleGabe von Ascorbinsäure soll angeblich für die Behandlung fortgeschrit-tener Krebserkrankungen eine Bedeutung haben.

Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss 96e

96e-5Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

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ToxizitätEine Einzeldosis von mehr als 2 g Vitamin C kann zu Bauchschmerz,Durchfall und Übelkeit führen. Da Vitamin C zu Oxalat metabolisiertwerden kann, wurde von chronisch hoch dosierten Vitamin-C-Sup-plementierungen eine erhöhte Prävalenz von Nierensteinen befürch-tet. Dies ließ sich jedoch in mehreren Studien nicht bestätigen, außerbei Patienten, die bereits eine vorbestehende Nierenerkrankung auf-wiesen. Daher ist es ratsam, Patienten mit Nierensteinen in derAnamnese zu empfehlen, keine überhöhten Vitamin-C-Dosen zu sichzu nehmen. Ein weiteres potenzielles, aber ebenfalls bislang ungeprüf-tes Risiko besteht in einer Überversorgung mit Eisen und Eisentoxizi-tät bei dauerhaft hoher Vitamin-C-Aufnahme. Hohe Dosen von Vita-min C können bei Patienten mit Glukose-6-Phosphat-Dehydro-genase-Mangel eine Hämolyse auslösen. Zudem können Dosen vonmehr als 1 g/d falsch negative Guajak-Reaktionen bewirken sowie mitTests für die Bestimmung der Harnglukose interferieren. Außerdemkönnen hohe Dosierungen die Wirkung bestimmter Medikamentebeeinträchtigen (z. B. Bortezomib bei Myelompatienten).

& BIOTINBiotin ist ein wasserlösliches Vitamin, das eine wichtige Rolle beiGenexpression, Glukoneogenese und Fettsäuresynthese spielt und alsCO2-Carrier auf der Oberfläche sowohl zytoplasmatischer als auchmitochondrialer Carboxylasen dient. Das Vitamin ist auch im Kata-bolismus von bestimmten Aminosäuren (z. B. Leucin) sowie über dieBiotynilierung von Histon bei der Genregulation aktiv. Hervorragen-de Nahrungsquellen von Biotin sind Leber, Soja und andere Bohnen,Hefe und Eigelb. Eiklar enthält das Protein Avidin, das das Vitaminstark bindet und seine Bioverfügbarkeit reduziert.Ein Biotinmangel aufgrund zu geringer Zufuhr mit der Nahrung ist

selten, meist beruht der Mangel auf angeborenen Störungen im Meta-bolismus. Biotinmangel ließ sich herbeiführen durch experimentelleErnährung mit Eiklar und findet sich bei Patienten mit Kurzdarm, dieparenteral eine Biotin-freie Ernährung erhielten. Bei Erwachsenenführt ein Biotinmangel zu geistigen Veränderungen (Depression, Hal-luzinationen), zu Parästhesien, Anorexie und Übelkeit. Ein sich schä-lender, seborrhoischer und erythematöser Ausschlag kann um Augen,Nase und Mund und ebenso an den Extremitäten auftreten. Bei Säug-lingen bewirkt ein Biotinmangel Hypotonie, Lethargie und Apathie.Außerdem kann der Säugling eine Alopezie und einen charakteristi-schen Ausschlag entwickeln, der auch die Ohren einschließt. Die La-bordiagnose eines Biotinmangels kann aufgrund einer vermindertenHarnkonzentration von Biotin (oder seinen Metaboliten), einer erhöh-ten Urinexkretion von 3-Hydroxyisovaleriansäure nach einer Leucin-Probe oder der reduzierten Aktivität biotinabhängiger Enzyme in denLymphozyten (z. B. Propionyl-CoA-Ccarboxylase) gestellt werden. DieBehandlung erfordert pharmakologisch wirksame Dosen von Biotinvon bis zu 10 mg/d. Eine toxische Wirkung ist nicht bekannt.

& PANTOTHENSÄUREPantothensäure ist ein Bestandteil des Koenzyms A und des Phospho-pantetheins, die in den Stoffwechsel der Fettsäuren, die Synthese vonCholesterin und Steroidhormonen sowie allen Verbindungen aus Iso-prenoid-Einheiten eingebunden sind. Außerdem ist die Pantothen-säure bei der Acetylierung von Proteinen beteiligt. Das Vitamin wirdmit dem Urin ausgeschieden, und die Labordiagnose eines Mangelsstützt sich auf eine niedrige Vitaminkonzentration im Urin.Das Vitamin kommt in der Nahrung ubiquitär vor. Leber, Hefe, Ei-

gelb, Vollkorn und Gemüse sind besonders gute Quellen. Ein Panto-thensäuremangel ist beim Menschen nur durch experimentelle Panto-thensäure-Mangel-Diäten demonstriert worden oder durch die Gabeeines spezifischen Pantothensäure-Antagonisten. Die Symptome einesPantothensäuremangels sind unbestimmt und manifestieren sich un-ter anderem als gastrointestinale Störungen, Depression, Muskel-krämpfe, Parästhesien, Ataxie und Hypoglykämie. Vermutet wird,dass das Burning-Feet-Syndrom bei Kriegsgefangenen im zweitenWeltkrieg durch einen Pantothensäuremangel verursacht wurde. Übereine Toxizität dieses Vitamins wurde bislang nicht berichtet.

& CHOLINCholin ist ein Vorläufer von Acetylcholin, Phospholipiden und Be-tain. Cholin ist notwendig für die strukturelle Integrität der Zellmem-branen, die cholinerge Neurotransmission, den Fett- und Cholesterin-metabolismus, den Methyl-Gruppen-Stoffwechsel und die transmem-

branöse Signaltransduktion. Kürzlich wurde die Einnahmeempfeh-lung in den USA auf 550 mg/d für erwachsene Männer und auf425 mg/d für erwachsene Frauen festgelegt, obwohl bestimmte geneti-sche Polymorphismen den individuellen Bedarf an Cholin erhöhenkönnen. Eine Zufuhrempfehlung für die Länder des deutschenSprachraums existiert nicht. Cholin wird für einen „bedingt essenziel-len“ Nährstoff gehalten, dessen De-novo-Synthese in der Leber zwarstattfindet, unter bestimmten Stressbedingungen (z. B. alkoholbeding-te Lebererkrankungen) den erhöhten Umsatz aber nicht abdeckt. Diebenötigte Zufuhr an Cholin hängt vom Status anderer Methyl-Grup-pen-Donatoren (Folsäure, Vitamin B12 und Methionin) ab und kanndaher deutlich variieren. Cholin ist in der Nahrung in der Form desLecithins (Phosphatidylcholin) weit verbreitet (z. B. in Eigelb, Wei-zenkeimen, Innereien und Milch). Ein Cholinmangel ist bei cholinfreiparenteral ernährten Patienten aufgetreten. Ein Mangel führt zu einerLeberverfettung, erhöhten Serumtransaminasen sowie zu Skelettmus-kelschäden mit hohen Kreatinphosphokinase-Werten. Die Diagnosedes Cholinmangels wird aufgrund niedriger Plasmawerte gestellt, ob-wohl auch unspezifische Faktoren (z. B. starke körperliche Betäti-gung) den Plasmaspiegel absenken können.Die Toxizität von Cholin zeigt sich durch niedrigen Blutdruck, cho-

linerg ausgelöstes Schwitzen, Durchfall, Speichelfluss und einen fi-schigen Körpergeruch. Die Obergrenze der Cholinzufuhr wird mit3,5 g/d angegeben. Therapeutisch wird Cholin eingesetzt bei Patien-ten mit Demenz und Patienten mit einem hohen Risiko für kardio-vaskuläre Krankheiten aufgrund seiner Fähigkeit, den Cholesterin-und Homocysteinspiegel zu senken. Jedoch muss ein derartiger Nut-zen noch belegt werden. Cholin- und Betain-reduzierte Diäten habeneinen therapeutischen Stellenwert bei der Trimethylaminurie (Fisch-geruch-Syndrom).

& FLAVONOIDEAls Flavonoide wird eine große Gruppe von Polyphenolen bezeichnet,die als Geschmacks-, Geruchs- und Farbstoffe von Obst und Gemüsedienen. Zu bedeutenden Gruppen von Nahrungsflavonoiden gehörendie Anthocyanidine in Beerenfrüchten, die Catechine in grünem Teeund Schokolade, Flavonole (wie Quercetin) in Brokkoli, Kohl, Lauch,Zwiebeln sowie in der Schale von Trauben und Äpfeln sowie die Iso-flavone (z. B. Genistein) in Hülsenfrüchten. Isoflavone haben eineniedrige Bioverfügbarkeit und werden teilweise bereits durch dieDarmflora metabolisiert. Die Zufuhr an Flavonoiden mit der Nah-rung wird auf 10–100 mg/d geschätzt, wobei diese Zahl sicherlich zuniedrig angegeben ist, da eine genaue Kenntnis über den Gehalt anFlavonoiden in vielen unserer Nahrungsmittel noch aussteht. Ver-schiedene Flavonoide weisen eine antioxidative Aktivität auf und kön-nen zelluläre Signalwege beeinflussen. In epidemiologischen Beobach-tungsstudien sowie in kleineren klinischen Untersuchungen an Men-schen und in Tierversuchen zeigte sich eine Bedeutung der Flavonoi-de in der Prävention verschiedener chronischer Erkrankungen,einschließlich neurodegenerativer Krankheiten, Diabetes und Osteo-porose. Die endgültige Bedeutung und der Nutzen der einzelnen Be-standteile bei Erkrankungen des Menschen müssen aber noch durchweitere Studien geklärt werden.

& VITAMIN AStreng genommen bezieht sich die Bezeichnung Vitamin A auf Reti-nol. Allerdings sind die oxidierten Metaboliten Retinal und Retinsäureebenfalls biologisch aktive Verbindungen. Der Ausdruck Retinoide be-inhaltet alle Moleküle (einschließlich synthetischer Moleküle), die sich,chemisch betrachtet, vom Retinol ableiten. Retinal (11-cis) ist die es-senzielle Form des Vitamins A, die für den Sehvorgang benötigt wird,während die Retinsäure für eine normale Morphogenese, normalesWachstum und die Zelldifferenzierung erforderlich ist. Retinsäure hatkeine Funktion beim Sehvorgang und im Gegensatz zu Retinol ist sienicht an der Reproduktion beteiligt. Vitamin A spielt auch eine Rollebei der Eisenverwertung, der humoralen Immunität, der T-Zell-ver-mittelten Immunität, der natürlichen Killerzellenaktivität und derPhagozytose. Vitamin A ist kommerziell wegen der dadurch erhöhtenStabilität in veresterter Form verfügbar (z. B. als Acetat oder Palmitat).In der Natur kommen mehr als 600 Carotinoide vor, von denen et-

wa 50 zu Vitamin A metabolisiert werden können. Beta-Carotin istdas in der Nahrung vorherrschende Carotinoid mit Provitamin-A-Aktivität. Beim Menschen werden bedeutende Anteile von Carotinoi-den intakt resorbiert und in Leber und Fettgewebe gespeichert. Äqui-

ErnährungTeil 6

96e-6Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

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valent zu 1 μg Retinol sind schätzungsweise 12 μg oder mehr (Bereich4–27 µg) des Beta-Carotins in der Nahrung beziehungsweise 24 μgoder mehr von anderen Carotinoiden mit Provitamin-A-Aktivität(z. B. Cryptoxanthin oder Alpha-Carotin). Die Vitamin-A-Äquiva-lenz eines Beta-Carotin-Supplements in Ölsuspension beträgt 2 : 1.

MetabolismusDie Leber enthält etwa 90 % der Vitamin-A-Reserven und sezerniertVitamin A in Form von Retinol, und zwar gebunden an Retinol-bin-dendes Protein. Danach interagiert dieser Proteinkomplex mit einemzweiten Eiweiß, dem Transthyretin. Dieser trimolekulare Komplexhat die Aufgabe, die glomeruläre Filtration des Vitamins A in derNiere zu verhindern, den Körper vor der Toxizität des Retinols zuschützen und dem Retinol die zelluläre Aufnahme über spezifischeZelloberflächenrezeptoren zu ermöglichen, die Retinol-bindendesProtein erkennen. Eine gewisse Menge an Vitamin A gelangt in peri-phere Zellen, auch wenn es nicht an Retinol-bindendes Protein ge-knüpft ist. Nach Aufnahme von Retinol in die Zelle wird es an eineReihe von zellulären Retinol-bindenden Proteinen gekoppelt, die dasSequestrieren und den Transport übernehmen, sowie als Koligandenfür enzymatische Reaktionen agieren. Bestimmte Zellen enthaltenauch Retinsäure-bindende Proteine, die die gleiche sequestrierendeAufgabe und Transportfunktion für Retinsäure in den Zellkern besit-zen und den Metabolismus ermöglichen.Retinsäure ist ein Ligand für verschiedene Rezeptoren im Zellkern,

die als Transkriptionsfaktoren agieren. Zwei Rezeptorfamilien (RAR-und RXR-Rezeptoren) sind aktiv in der Retinoid-vermittelten Gen-transkription. Retinoidrezeptoren regulieren die Transkription, indemsie in Zielgenen als dimere Komplexe an bestimmte DNS-Stellen bin-den, die Retinsäure-Response-Elemente in Ziel-Genen (Kap. 400e).Die Rezeptoren können nach erfolgter Ligandenbindung die Gen-expression sowohl stimulieren als auch unterdrücken. RAR bindet all-trans-Retinsäure und 9-cis-Retinsäure, wohingegen RXR ausschließ-lich 9-cis-Retinsäure bindet.Die Retinrezeptoren spielen eine wichtige Rolle bei der Kontrolle

der Zellproliferation und -differenzierung. Retinsäure ist bei der Be-handlung der promyelozytischen Leukämie nützlich (Kap. 132) undfindet auch Anwendung in der Behandlung der zystischen Akne,denn sie hemmt die Keratinisierung, vermindert die Talgsekretionund verändert möglicherweise die entzündliche Reaktion (Kap. 71).RXRs dimeriseren mit anderen Zellkernrezeptoren, um als Koregula-toren von Genen zu dienen, die auf Retinoide, Schilddrüsenhormonund Calcitriol ansprechen. RXR-Agonisten führen experimentell eineInsulinempfindlichkeit herbei, vielleicht weil RXR ein Kofaktor fürdie Peroxisomen-Proliferator-aktivierten Rezeptoren (PPAR) ist, dieihrerseits Zielpunkte der Thiazolidindion-Medikamente wie Rosiglita-zon und Troglitazon sind (Kap. 418). Aufgrund eines ungünstigenNutzen-Risiko-Profils wurde Troglitazon in Deutschland nicht zuge-lassen und Rosiglitazon vom Markt genommen. In Deutschland istdaher nur noch Pioglitazon verfügbar, das nach Empfehlung des Ge-meinsamen Bundesausschusses 2011 allerdings nur in begründetenAusnahmefällen bei Typ-2-Diabetikern verordnungsfähig ist.

Vorkommen in der NahrungDas Retinol-Aktivitäts-Äquivalent (RAE) wird verwendet, um den Vi-tamin-A-Gehalt der Nahrung auszudrücken. Ein RAE ist definiert als1 µg Retinol (0,003491 mmol), 12 μg Beta-Carotin bzw. 24 μg andererCarotinoide mit Provitamin-A-Aktivität. In der älteren Literatur wur-den Vitamin-A-Werte häufig durch internationale Einheiten (IU)ausgedrückt, wobei 1 RAE etwa 3,33 IU Retinol und 20 IU Beta-Caro-tin entspricht. In der heutigen wissenschaftlichen Literatur findendiese Einheiten jedoch keine Verwendung mehr.Leber, Fisch und Ei sind ausgezeichnete Nahrungsquellen für Vita-

min A. Als Gemüsequellen für Provitamin-A-Carotinoide kommendunkelgrüne und stark gefärbte Früchte und Gemüse infrage. Mode-rates Kochen des Gemüses verstärkt die Freisetzung der Carotinoidefür die Aufnahme im Darm. Durch Fett am Essen kann die Caroti-noidresorption zusätzlich verstärkt werden. Kinder sind besondersanfällig für einen Vitamin-A-Mangel, weil weder die Muttermilchnoch die Kuhmilch ausreichend Vitamin A liefert, um einen Mangelzu verhindern. In Entwicklungsländern ist eine anhaltende Unterver-sorgung mit Nahrung der häufigste Grund für einen Vitamin-A-Mangel, der durch Infektionen noch verstärkt werden kann. In derfrühen Kindheit resultiert ein niedriger Vitamin-A-Spiegel aus einer

inadäquaten Zufuhr an Nahrungsmitteln tierischer Herkunft undSpeiseölen, die kostspielig sind, sowie der saisonalen Nichterhältlich-keit von Gemüse und Früchten sowie einem Mangel an gefertigtenNahrungsprodukten. Ein gleichzeitiger Zinkmangel kann die Vita-min-A-Mobilisierung aus den Leberdepots behindern. Alkohol beein-flusst die Umwandlung von Retinol in Retinal im Auge durch eineKonkurrenz um die Alkohol-(Retinol-)Dehydrogenase. Medikamente,die die Absorption des Vitamins A beeinflussen, beinhalten Mineral-öl, Neomycin und Cholestyramin.

Mangel Vitamin-A-Mangel ist in Gebieten endemisch, in denen eine

anhaltend schlechte Nahrungsversorgung der Bevölkerungbesteht, besonders in Südasien, in Afrika südlich der Sahara,

in einigen Teilen Lateinamerikas und in der Westpazifikregion ein-schließlich Teilen von China. Der Vitamin-A-Spiegel wird üblicher-weise durch die Messung des Serum-Retinols (Normalwert 1,05–3,50 μmol/l bzw. 30–100 μg/dl) oder des „Blood Spot“-Retinols odermittels Testung der Dunkeladaptation bestimmt. Stabile Isotopenmes-sung oder die invasive Leberbiopsie erlauben eine Schätzung der Vita-min-A-Körperreserven. Basierend auf einem erniedrigten Serumreti-nol (< 0,70 μmol/l bzw. 20 μg/dl) gibt es > 90 Mio. Kinder im Vor-schulalter mit einem Vitamin-A-Mangel, von denen > 4 Mio. eine Au-genbeteiligung in Form der Xerophthalmie haben. Dies beinhaltetauch mildere Ausprägungen mit Nachtblindheit und konjunktivalerXerose mit Bitot-Flecken (weißen Flecken aus keratinisiertem Epithelauf der Sklera), aber auch die seltenen Hornhautgeschwüre und -ne-krosen, die zur Erblindung führen können. Die Keratomalazie (dieAufweichung der Kornea) hat eine korneale Vernarbung zur Folge,die bei mehr als 250.000 Kindern jährlich zur Erblindung und bei 4–25 % zum Tode führt. Vitamin-A-Mangel geht in allen Stadien miteiner erhöhten Sterblichkeit durch Diarrhö, Dysenterie, Masern, Ma-laria und Atemwegserkrankungen einher. Vitamin-A-Mangel kanndie Barrierefunktionen der Epithelien beeinträchtigen und das ange-borene und erworbene Immunsystem schwächen. Eine Vitamin-A-Supplementierung kann die Kindersterblichkeit in Prävalenzgebietendeutlich reduzieren (im Durchschnitt um 23–34 %). Etwa 10 % derSchwangeren in unterernährten Gebieten erleiden anamnestisch eineNachtblindheit in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft, und diesermoderate Vitamin-A-Mangel ist mit einem erhöhten Risiko einermütterlichen Infektion und Sterblichkeit verbunden.Die für Deutschland vorliegenden Daten zur Aufnahme von Vita-

min A aus der Nationalen Verzehrsstudie II (2008) zeigen, dass diemediane Zufuhr an Vitamin A deutlich über den DACH-Referenz-werten liegt und nur 15 % der Männer und 10 % der Frauen die Emp-fehlungen für eine bedarfsgerechte Zufuhr nicht erreichen. Anderer-seits ist bei einem Teil der Bevölkerung durch Nahrungssupplementevon einer erhöhten Zufuhr auszugehen. Da die therapeutische Breitevon Vitamin A eng ist, sollte der Bedarf aus natürlichen Quellen ge-deckt und von einer Anreicherung von Nahrungsmitteln abgesehenwerden.

BEHANDLUNG: VITAMIN-A-MANGEL

Bei Auftreten einer Augenmanifestation im Sinne einer Xeroph-thalmie sollte mit 60 mg Vitamin A (in einer öligen Lösung alsWeichgelatinekapsel) behandelt werden. Die gleiche Dosis wird ei-nen und 14 Tage später wiederholt. Für Säuglinge zwischen 6 und11 Monaten sollte die Dosis auf die Hälfte reduziert werden. Müt-ter mit Nachtblindheit oder Bitot-Flecken sollten entweder 3 mg/dVitamin A oder 2 × 7,5 mg/Woche erhalten. Dieses Therapie-regime ist effizient und kostengünstig und besser verfügbar als In-jektionslösungen mit Vitamin A. Eine übliche Vorgehensweise zurPrävention ist die Gabe von Vitamin A in Hochrisikogebieten alle4–6 Monate an Kleinkinder und Säuglinge (sowohl HIV-positiveals auch HIV-negative). Kinder im Alter zwischen 6 und 11 Mona-ten sollten 30 mg Vitamin A erhalten und Kinder im Alter von12–59 Monaten 60 mg. Aus unbekannten Gründen konnte diepräventive Gabe von Vitamin A in Hochrisikogebieten die Morbi-dität und die Mortalität von Säuglingen im Alter von 1–5 Monatennicht reduzieren.Ein unkomplizierter Vitamin-A-Mangel tritt in Industrielän-

dern nur sehr selten auf. Eine Hochrisikogruppe stellen Kinder

Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss 96e

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mit einem extrem niedrigen Geburtsgewicht (< 1000 g) dar, beidenen ein Vitamin-A-Mangel anzunehmen ist und die für ins-gesamt 4 Wochen 3 × 1500 μg/Woche (oder RAE) Vitamin A er-halten sollten. Schwere Masernerkrankungen können zu einem se-kundären Vitamin-A-Mangel führen. Kinder, die mit Masern sta-tionär aufgenommen wurden, sollten an zwei aufeinander folgen-den Tagen eine Dosis von jeweils 60 mg Vitamin A erhalten. Amhäufigsten tritt Vitamin-A-Mangel bei Patienten mit einer Mal-absorption auf (z. B. Sprue oder Kurzdarmsyndrom), die eine pa-thologische Dunkeladaptation oder Symptome der Nachtblindheit,aber ohne andere Augenveränderungen aufweisen. Typischerweisewerden diese Patienten für einen Monat mit 15 mg/d einer wäss-rigen Vitamin-A-Suspension behandelt. Dieser Therapie wirddann eine niedrigere Erhaltungsdosis mit genau der Menge an Vi-tamin A angeschlossen, die sich aus dem Monitoring des Serum-Retinols ergibt.Es gibt keine spezifischen Mangelzeichen oder Symptome, die

aus einem Carotinoidmangel resultieren. Es wurde postuliert, dassBeta-Carotin eine wirksame Prävention gegen Krebs sein könnte,weil zahlreiche epidemiologische Studien eine Beziehung gezeigthatten zwischen einer Ernährung mit hohem Beta-Carotin-Anteilund einer niedrigeren Inzidenz von Krebsarten des Atmungs- undVerdauungssystems. Allerdings erbrachten Interventionsstudienan Rauchern mit hohen Beta-Carotin-Dosen eher eine Häufungvon Lungenkrebs, verglichen mit der jeweiligen placebobehandel-ten Gruppe. Carotinoide ohne Provitamin-A-Funktion wie Luteinund Zeaxanthin werden als Schutz vor einer Makuladegenerationempfohlen, und eine großangelegte Interventionsstudie konntenur bei niedrigem Luteinspiegel einen Nutzen belegen. DemNicht-Provitamin-A-Carotinoid Lycopin wird eine Schutzfunktiongegenüber Prostatakrebs zugeschrieben. Die Wirksamkeit dieserAgenzien ist jedoch bislang nicht durch Interventionsstudien be-wiesen, und die Mechanismen, die diesen biologischen Effektenzugrunde liegen, sind unbekannt.Zuchtverfahren für Pflanzen, die den Provitamin-A-Gehalt von

Grundnahrungsmitteln erhöhen, können die Vitamin-A-Versor-gung der einkommensschwachen Länder verbessern. Ein vor kur-zem durch genetische Modifikation entwickelter Reis (GoldenRice) weist zudem einen verbesserten Konversionsquotienten vonBeta-Carotin zu Vitamin A von etwa 3 : 1 auf.

ToxizitätDie akute Toxizität von Vitamin A wurde zuerst in der Arktis bei For-schungsreisenden nach dem Verzehr von Eisbärenleber beobachtet,gleichfalls nach Aufnahme von 150 mg Vitamin A durch Erwachseneund von 100 mg durch Kinder. Die akute Toxizität manifestiert sichdurch einen gesteigerten intrakraniellen Druck, Schwindel, Diplopie,ein Anschwellen der Fontanellen bei Kindern, Anfälle sowie eine ex-foliative Dermatitis. Dieser Zustand kann zum Tode führen. Bei Kin-dern, die gemäß oben stehendem Protokoll auf einen Vitamin-A-Mangel behandelt wurden, traten in 2 % der Fälle eine Vorwölbungder Fontanellen und transiente Übelkeit sowie Kopfschmerzen in 5 %der Fälle auf. Eine chronische Vitamin-A-Intoxikation ist in Indus-trieländern besorgniserregend und wurde bei Personen beobachtet,die 15 mg/d (Erwachsene) beziehungsweise 6 mg/d (Kinder) Vita-min A über mehrere Monate aufnahmen. Als Manifestationen findensich trockene Haut, Cheilosis, Glossitis, Erbrechen, Alopezie, Entmi-neralisierung des Knochens sowie Skelettschmerzen, Hyperkalzämie,Lymphknotenvergrößerung, Hyperlipidämie, Amenorrhö und Merk-male eines Pseudotumor cerebri mit gesteigertem intrakraniellemDruck und Papillenödem. Außerdem kann im Ergebnis chronischerVitamin-A-Vergiftung eine Leberfibrose mit portaler Hypertensionsowie Knochendemineralisation auftreten. Wenn Vitamin A exzessivvon Schwangeren aufgenommen wird, kann es zu spontanen Schwan-gerschaftsabbrüchen kommen oder es können beim Kind angeboreneMissbildungen wie kraniofaziale Abnormitäten und Herzklappen-erkrankungen auftreten. In der Schwangerschaft sollte die tägliche Vi-tamin-A-Dosis daher 3 mg nicht übersteigen. Auch die kommerziellerhältlichen Retinoidderivate sind toxisch, einschließlich der 13-cis-Retinsäure, die mit angeborenen Fehlbildungen in Verbindung ge-bracht wurde. Daher sollte bei Frauen, die 13-cis-Retinsäure genom-men haben, die Empfängnisverhütung wenigstens über 1 Jahr fort-gesetzt werden, möglicherweise auch länger.

Bei unterernährten Kindern wird die altersabhängige Gabe von Vi-tamin A (30–60 mg) in Zyklen von 2 Jahren erwogen, um die unspe-zifischen Wirkungen von Impfungen zu verstärken. Allerdings gibt esaus unbekannten Gründen eine negative Auswirkung auf die Mortali-tät von unvollständig geimpften Mädchen.Hohe Dosen von Carotinoiden führen nicht zu toxischen Sympto-

men, sollten aber von Rauchern aufgrund eines gesteigerten Lungen-krebsrisikos vermieden werden. Mit sehr hohen Beta-Carotin-Dosen(etwa 200 mg/d) lassen sich die Hautausschläge bei erythropoetischerProtoporphyrie verhindern und behandeln. Allerdings kann es zu ei-ner Carotinämie, also einer charakteristischen Gelbfärbung der Haut(besonders der Handflächen und Fußsohlen), aber nicht der Skleren,nach einer regelmäßigen täglichen Aufnahme von mehr als 30 mg Be-ta-Carotin kommen. Hypothyreote Patienten sind für die Entwick-lung einer Carotinämie besonders anfällig aufgrund der unvollständi-gen Aufspaltung von Carotin zu Vitamin A. Eine Carotinreduktion inder Ernährung lässt die Gelbfärbung der Haut und die Carotinämieinnerhalb eines Zeitraums von 30–60 Tagen verschwinden.

& VITAMIN DDer Metabolismus des fettlöslichen Vitamins D wird in Kapitel 423ausführlich besprochen. Die biologischen Wirkungen werden von Vi-tamin-D-Rezeptoren vermittelt, die in den meisten Geweben vorkom-men, sodass Vitamin D vermutlich auf fast alle Zellsysteme und Orga-ne wirkt (z. B. Immunzellen, Gehirn, Mamma, Kolon und Prostata)und klassische endokrine Wirkungen auf den Kalziumstoffwechselund die Knochengesundheit hat. Vermutlich dient Vitamin D zurAufrechterhaltung der normalen Funktion vieler nicht skelettaler Ge-webe, wie Muskeln (einschließlich Herzmuskeln), Immunfunktionund Entzündungsreaktionen sowie Zellproliferation und Differenzie-rung. Studien haben gezeigt, dass es als Begleittherapie zur Behand-lung von Tuberkulose, Psoriasis, multipler Sklerose sowie zur Vorbeu-gung bestimmter Krebserkrankungen nützlich sein kann. Vitamin-D-Mangel kann das Risiko von Typ-1-Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Insulinresistenz, Bluthochdruck oder Low-grade-Ent-zündungen) sowie von Gehirnfunktionsstörungen (z. B. Depression)erhöhen. Allerdings wurde die Bedeutung der physiologischen Rollevon Vitamin D bei diesen nicht skelettalen Erkrankungen noch nichtgenau geklärt.Eine wichtige Vitamin-D-Quelle ist seine Synthese in der Haut un-

ter Einfluss von UV-B-Strahlen (Wellenlänge 290–315 nm). Abge-sehen von Fisch enthalten Lebensmittel (sofern nicht künstlich ange-reichert) nur wenig Vitamin D. Vitamin D2 (Ergocalciferol) stammtaus Pflanzenquellen und ist die chemische Form, die in vielen Nah-rungsergänzungsmitteln genutzt wird.

MangelDer Vitamin-D-Status wird durch die Messung von 25-Dihydroxy-Vitamin D (25[OH]2-Vitamin D) im Serum ermittelt. Es gibt aberkeine einheitliche Testmethode und keinen Konsens zum optimalenSerumspiegel. Der optimale Serumspiegel hängt vom vorliegendenoder vermuteten Krankheitsbild ab. Anhand von epidemiologischenund experimentellen Daten reicht ein 25(OH)2-Vitamin-D-Spiegelvon > 20 ng/ml (≥ 50 nmol/l; zur Umrechnung von ng/ml in nmol/lmit 2,496 multiplizieren) für eine gute Knochengesundheit aus. EinigeExperten befürworten höhere Serumspiegel (z. B. > 30 ng/ml) für an-dere wünschenswerte Vitamin-D-Wirkungen. Bei gesunden Männernund prämenopausalen Frauen reicht die Evidenz für die Empfehlungeiner kombinierten Supplementation von Vitamin D und Kalzium alsprimärer Präventionsstrategie zur Reduktion der Frakturinzidenznicht aus.Risikofaktoren des Vitamin-D-Mangels sind hohes Alter, mangeln-

de Sonneneinstrahlung, dunkle Haut (vor allem bei Menschen innördlichen Breiten), eine Fettmalabsorption und Fettleibigkeit. Rachi-tis ist die klassische Erkrankung des Vitamin-D-Mangels. Mangel-erscheinungen sind Muskelschmerzen, Schwäche und Knochen-schmerzen. Einige dieser Effekte sind unabhängig von der Kalzium-aufnahme.Vor kurzem hat die US National Academy of Science festgestellt,

dass die meisten Nordamerikaner ausreichend Vitamin D zu sichnehmen (RDA = 15 μg/d oder 600 IU/d; Kap. 95e). Für die Bundes-republik Deutschland liegen aus dem Ernährungssurvey 1998 Datenvor, die ein Risiko eines klinisch manifesten Mangels an Vitamin Dvor allem für Schwangere, Stillende, Säuglinge und Kleinkinder sowie

ErnährungTeil 6

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ältere Menschen nachweisen, wenn diese nur wenig dem Sonnenlichtexponiert sind. Daten der Nationalen Verzehrsstudie II zeigen, dassdie empfohlene Zufuhr in allen Altersgruppen bei beiden Geschlech-tern im Median deutlich unterschritten wird. Bei Menschen über70 Jahre beträgt die RDA 20 μg/d (800 IU/d). Bei Menschen mit Risi-kofaktoren für einen Vitamin-D-Mangel sollte die Aufnahme von an-gereicherten Lebensmitteln sowie eine suberythemale Sonnenein-strahlung gefördert werden. Kann keine ausreichende Zufuhr erreichtwerden, sollten vor allem während der Wintermonate Vitamin-D-Präparate eingenommen werden. Vitamin-D-Mangel kann durch dieorale Verabreichung von 50.000 IE/Woche für 6–8 Wochen, gefolgtvon einer Erhaltungsdosis von 800 IU/d (100 μg/d) aus der Nahrungund Nahrungsergänzungsmitteln nach Erreichen des normalen Plas-maspiegels behandelt werden. Die physiologische Wirkung von Vita-min D2 und D3 ist identisch, wenn sie über längere Zeit eingenom-men werden.

ToxizitätDie obere Aufnahmegrenze wurde mit 4000 IU/d festgelegt. Entgegenfrüherer Annahmen ist eine akute Vitamin-D-Intoxikation selten undentsteht meist durch die unkontrollierte und übermäßige Einnahmevon Nahrungsergänzungsmitteln oder die fehlerhafte Anreicherungvon Lebensmitteln. Typisch für eine Intoxikation sind hohe Plasma-konzentrationen von 1,25(OH)2-Vitamin D und Kalzium. Obliga-torisch ist hier das Absetzen von Vitamin D und Kalzium, und even-tuell erfolgt eine Behandlung der Hyperkalzämie.

& VITAMIN EVitamin E ist der Sammelbegriff für alle Stereoisomeren des α-Toco-pherols und Tocotrienols, obwohl nur die 2R-Tocopherole für denMenschen notwendig sind. Vitamin E agiert als ein kettenabbrechen-des Antioxidans und ist ein effizienter Pyroxylradikalfänger, der Low-density-Lipoproteine (LDL) und mehrfach ungesättigte Fettsäuren inMembranen vor einer Oxidation schützt. Ein Netz weiterer Antioxi-danzien (z. B. Vitamin C und Glutathion) und Enzyme hält VitaminE in einem reduzierten Zustand. Vitamin E hemmt auch die Prosta-glandinsynthese und die Aktivitäten der Proteinkinase C und Phos-pholipase A2.

Resorption und MetabolismusNach der Resorption wird Vitamin E aus den Chylomikronen von derLeber aufgenommen, und ein hepatisches α-Tocopherol-Transport-protein vermittelt den intrazellulären Vitamin-E-Transport und dieInkorporation in Very-low-density-Lipoproteine (VLDL). Das Trans-portprotein hat eine besondere Affinität zum RRR-Isomer des α-To-copherols. Deshalb besitzt dieses natürliche Isomer die höchste biolo-gische Aktivität.

BedarfVitamin E ist in zahlreichen Lebensmitteln enthalten, besondersreichlich in Sonnenblumenöl, Distelöl und Weizenkeimöl. α-Tocotrie-nole finden sich ausgeprägt in Soja- und Maiskeimöl. Vitamin E fin-det sich auch in Fleisch, in Nüssen und Getreide und in kleinerenMengen auch in Obst und Gemüse. Vitamin-E-Tabletten mit Dosenvon 50–1000 mg werden in den USA von etwa 10 % der Bevölkerungeingenommen. Die RDA für Vitamin E liegt bei 15 mg/d (34,9 μmolbzw. 22,5 IU) für Erwachsene. Eine Ernährung, die reich an mehrfachungesättigten Fettsäuren ist, kann einen etwas höheren Bedarf an Vi-tamin E erfordern.Ein Ernährungsmangel an Vitamin E existiert nicht. Ein Vitamin-E-

Mangel wird nur bei schwerwiegenden und lang anhaltenden mal-absorptiven Krankheiten gesehen, wie zum Beispiel bei der Zöliakie,nach Dünndarmresektion oder bariatrischen Operationen. Kinder mitMukoviszidose oder anhaltender Cholestase können einen Vitamin-E-Mangel entwickeln, charakterisiert durch Areflexie und hämolytischeAnämie. Kinder mit Abetalipoproteinämie können Vitamin E nichtresorbieren oder transportieren, sodass sie ziemlich rasch in einenMangelzustand geraten. Eine familiäre Form von isoliertem Vitamin-E-Mangel kommt ebenfalls vor. Dabei besteht ein Defekt im α-Toco-pherol-Transportprotein. Ein Vitamin-E-Mangel verursacht eine axo-nale Degeneration der großen myelinisierten Axone und führt zuSymptomen in der posterioren Wirbelsäule sowie im Kleinhirn. Eineperiphere Neuropathie wird anfangs durch eine Areflexie charakteri-siert, die sich weiterentwickelt in einen ataktischen Gang, sowie durch

ein vermindertes Vibrations- und Lageempfinden. Ophthalmoplegie,Myopathie der Skelettmuskulatur und Retinopathia pigmentosa kön-nen ebenfalls durch einen Vitamin-E-Mangel verursacht sein. Bei Vi-tamin-E- und Selenmangel besteht eine erhöhte Mutationsrate von Vi-ren und somit verstärkte Virulenz. Die Labordiagnose des Vitamin-E-Mangels richtet sich am niedrigen Blutspiegel von α-Tocopherol aus(< 5 μg/ml oder < 0,8 mg α-Tocopherol pro Gramm Gesamtlipide).Biochemische Untersuchungen zur Versorgung mit Vitamin E in

der Bundesrepublik geben keine Hinweise für das Vorliegen von Man-gelzuständen, obwohl nach den Daten der Nationalen Verzehrsstu-die II (2008) knapp die Hälfte aller Männer und Frauen die empfoh-lene Zufuhr der DACH-Referenzwerte nicht erreicht (Quelle: http://www.bfr.bund.de).

BEHANDLUNG: VITAMIN-E-MANGEL

Ein symptomatischer Vitamin-E-Mangel sollte mit 800–1200 mg/dα-Tocopherol behandelt werden. Patienten mit Abetalipoprotein-ämie können sogar einen Bedarf von 5000–7000 mg/d aufweisen.Kinder mit symptomatischem Vitamin-E-Mangel sollten oral mit400 mg/d in wässriger Suspension behandelt werden. Alternativkönnen 2 mg/kg/d intramuskulär verabreicht werden. Vitamin E inhohen Dosierungen kann vor einer oxidativ verursachten retrolenta-len Fibroplasie und bronchopulmonalen Dysplasien sowie vorschweren intraventrikulären Blutungen bei Frühgeburten schützen.Vitamin E soll die sexuelle Leistung steigern, zur Behandlung einerClaudicatio intermittens dienen sowie den Alterungsprozess ver-langsamen, aber Beweise für diese Eigenschaften stehen aus. InKombination mit anderen Antioxidanzien kann Vitamin E einerMakuladegeneration vorbeugen. Hohe Vitamin-E-Dosen (60–800 mg/d) zeigten in kontrollierten Studien eine Verbesserung vonImmunparametern sowie ein vermindertes Auftreten von Erkäl-tungskrankheiten bei Pflegeheimbewohnern, aber eine präventiveWirksamkeit bei kardiovaskulären Erkrankungen oder Krebs hatsich in Interventionsstudien nicht nachweisen lassen. Dagegen zeig-te sich bei Dosen von mehr als 400 mg/d sogar eine erhöhte Sterb-lichkeit.

ToxizitätAlle Formen von Vitamin E werden resorbiert und können zur Toxi-zität beitragen. Allerdings scheint das Risiko für eine Toxizität beinormaler Leberfunktion gering zu sein. Hohe Dosen von Vitamin E(> 800 mg/d) können die Plättchenaggregation reduzieren und mitdem Vitamin-K-Metabolismus interferieren. Sie sind deshalb bei Pa-tienten, die Cumarine und Thrombozytenaggregationshemmer (wieAspirin und Clopidogrel) einnehmen, kontraindiziert. Über Übelkeit,Flatulenz und Durchfall wurde bei Dosierungen von mehr als 1 g/dberichtet.

& VITAMIN KEs gibt zwei natürliche Formen des Vitamins K: Vitamin K I, auch alsPhyllochinon bezeichnet, das aus pflanzlichen und tierischen Quellenstammt, sowie Vitamin K II oderMenachinon, das von der Darmflorasynthetisiert wird und sich in hepatischem Gewebe findet. Phyllochi-non kann in einigen Organen in Menachinon umgewandelt werden.Vitamin K ist für die posttranslationale Carboxylierung der Gluta-

minsäure notwendig, die wiederum die Kalziumbindung an γ-carbo-xylierte Proteine ermöglicht, wie bei Prothrombin (Faktor II), denFaktoren VII, IX und X, Protein C, Protein S und Knochenproteinen(Osteocalcin) sowie Proteinen der glatten Muskulatur von Gefäßen(z. B. Matrix-gla-Proteine). Die Bedeutung von Vitamin K für dieKnochenmineralisation ist allerdings nicht bekannt. Cumarine hem-men die gamma-Carboxylierung, indem sie die Umwandlung von Vi-tamin K in seine aktive Hydrochinonform behindern.

Vorkommen in der NahrungVitamin K kommt im grünen Blattgemüse vor, wie Grünkohl undSpinat, aber auch in Margarine und Leber finden sich beträchtlicheMengen. Vitamin K kommt in pflanzlichen Ölen vor, besondersreichlich in Oliven-, Raps- und Sojaöl. Bei Amerikanern liegt diedurchschnittliche Aufnahme schätzungsweise bei 100 μg/d.

Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss 96e

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MangelDie Symptome eines Vitamin-K-Mangels äußern sich primär in Hä-morrhagien. Neugeborene sind besonders empfindlich wegen nied-rigerer Fettdepots, niedrigem Vitamin-K-Gehalt der Muttermilch,Sterilität des kindlichen Darmtrakts, Leberunreife und vermindertenPlazentatransports. Sowohl intrakraniale als auch gastrointestinaleund Hautblutungen können bei Säuglingen mit Vitamin-K-Mangel1–7 Tage nach Geburt auftreten. Daher wird Vitamin K den Neu-geborenen derzeit (0,5–1 mg i.m.) prophylaktisch nach der Geburtgegeben. In Deutschland erhalten Neugeborene eine Vitamin-K-Pro-phylaxe mit 2 mg oral zur U1 direkt nach der Geburt, zur U2 am 3.–10. Lebenstag und zur U3 in der 4.–6. Lebenswoche.Ein Vitamin-K-Mangel wird bei Erwachsenen mit chronischer

Dünndarmerkrankung (z. B. Zöliakie, Crohn-Krankheit), bei Ob-struktionen des Gallentraktes oder nach Dünndarm-Resektion gese-hen. Breitspektrumantibiotika können durch eine Reduktion vonDarmbakterien, die Menachinon synthetisieren, sowie durch eineHemmung des Vitamin-K-Metabolismus einen Vitamin-K-Mangelauslösen. Unter Cumarintherapie kann das Antiadiposum Orlistat ge-gen Fettleibigkeit durch eine Vitamin-K-Malresorption zu INR-Ver-änderungen führen. Die Diagnose eines Vitamin-K-Defizits wird nor-malerweise aufgrund einer erhöhten Prothrombinzeit oder erniedrig-ter Gerinnungsfaktoren gestellt. Vitamin K kann auch direkt durchHPLC bestimmt werden. Die Behandlung eines Vitamin-K-Mangelserfolgt durch eine parenterale Gabe von 10 mg. Bei Patienten mitchronischer Malabsorption können oral 1–2 mg/d gegeben werdenoder parenteral 1–2 mg/Woche. Patienten mit Lebererkrankung kön-nen eine verzögerte Prothrombinzeit entweder infolge der Zerstörungvon Leberzellen oder eines Vitamin-K-Mangels aufweisen. Wenn eineverzögerte Prothrombinzeit nicht auf eine Vitamin-K-Therapie an-spricht, kann darauf geschlossen werden, dass sie nicht durch einenVitamin-K-Mangel ausgelöst wurde.

ToxizitätEine Toxizität durch mit der Nahrung aufgenommene Phyllochinoneund Menachinone wurde bislang nicht beschrieben. Hohe Dosen vonVitamin K können die Wirkung von oralen Antikoagulanzien beein-trächtigen. Bei der parenteralen Gabe von Vitamin Kwurden schwereanaphylaktische Reaktionen beschrieben.

MINERALSTOFFESiehe auch Tab. 96e-2.

& KALZIUMSiehe Kapitel 423.

& ZINKZink ist ein integraler Bestandteil von vielen Metalloenzymen im Kör-per. Es ist an der Synthese und der Stabilisierung von Proteinen, DNSund RNS beteiligt und spielt eine strukturelle Rolle in Ribosomenund Membranen. Zink ist notwendig für die Bindung von Steroidhor-monrezeptoren und einigen anderen Transkriptionsfaktoren an dieDNS. Es ist absolut notwendig für eine normale Spermatogenese, dasfötale Wachstum und die embryonale Entwicklung.

ResorptionDie Zinkresorption aus der Nahrung wird von Phytaten, Ballast-stoffen, Oxalaten, Eisen und Kupfer sowie von bestimmten Medika-menten wie Penicillamin, Natriumvalproat und Ethambutol ge-hemmt. Fleisch, Meeresfrüchte, Nüsse und Hülsenfrüchte sind guteQuellen von bioverfügbarem Zink, während Zink aus Getreide für dieResorption nur in geringerem Maße verfügbar ist.

Mangel Ein leichter Zinkmangel ist bei vielen Krankheiten beschrie-

ben, darunter Diabetes mellitus, AIDS, Zirrhose, Alkoholis-mus, entzündliche Darmerkrankung, Malabsorptionssyn-

drom und Sichelzellanämie. Unter diesen Krankheiten kann ein leich-ter chronischer Zinkmangel das Wachstum von Kindern beeinträchti-gen, die Geschmacksempfindung vermindern (Hypogeusie) und dieImmunabwehr beeinträchtigen. Schwerwiegender chronischer Zink-mangel ist als eine Ursache von Hypogonadismus und Zwergwuchs ineinigen Ländern des Nahen Ostens beschrieben worden. Bei diesen

Kindern ist hypopigmentiertes Haar ein weiterer Teil des Syndroms.Die Acrodermatitis enteropathica ist eine durch Abnormitäten in derZinkabsorption charakterisierte, seltene autosomal rezessive Störung.Klinische Manifestationen sind Durchfall, Alopezie, Muskelmakulie-rung, Depression, Reizbarkeit und ein Ausschlag, der Gliedmaßen,Gesicht und das Perineum betrifft. Der Ausschlag wird als blasenför-mig und pustulär verkrustet mit Schuppenbildung und Erythem cha-rakterisiert. Gelegentlich haben Patienten mit einer Wilson-Krankheiteinen Zinkmangel infolge einer Penicillamintherapie entwickelt(Kap. 429).Zinkmangel tritt in Entwicklungsländern häufig auf und ist meist

mit anderen Mikronährstoffmängeln vergesellschaftet (z. B. Eisen).Zink (20 mg/d) kann als effektive Begleittherapie bei Durchfall undPneumonien von Kindern im Alter über 6 Monaten eingesetzt wer-den.Die Diagnose eines Zinkmangels wird normalerweise anhand eines

Serumzinkwertes von unter 12 μmol/l (< 70 μg/dl) getroffen. Schwan-gerschaft und Kontrazeptiva können eine leichte Absenkung derZinkwerte verursachen, und eine Hypalbuminämie jeglicher Ursachekann zu einer Hypozinkämie führen. In akuten Stresssituationenkann Zink aus dem Serum in das Gewebe umverteilt werden. Zink-mangel kann mit 2 × 60 mg/d elementarem Zink oral (bezogen aufdie aufzunehmende Menge des Elements) behandelt werden. VonZinkgluconat-Tabletten (13 mg Zink alle 2 h während des Wachseins)wurde – allerdings mit widersprüchlichen Ergebnissen – berichtet,dass sie die Dauer und die Symptome einer gewöhnlichen Erkältungbeim Erwachsenen mindern.

ToxizitätEine akute Zinktoxizität nach oraler Aufnahme verursacht Übelkeit,Erbrechen und Fieber. Aufsteigender zinkhaltiger Dampf beimSchweißen kann ebenfalls toxisch sein und Fieber, respiratorische In-suffizienz, übermäßigen Speichelfluss, Schweißausbrüche und Kopf-schmerz verursachen. Chronisch hohe Dosen von Zink können dasImmunsystem negativ beeinflussen und eine hypochrome Anämieauslösen als Folge eines Kupfermangels. Intranasale Zinkpräparatesollten nicht gegeben werden, da sie zu irreversiblen Schäden der Na-senschleimhaut und Anosmie führen können.

& KUPFERKupfer ist ein integraler Bestandteil zahlreicher Enzymsysteme, da-runter Aminooxidasen, Ferrooxidasen (Coeruloplasmin), Cytochrom-c-Oxidase, Superoxiddismutase und Dopaminhydroxylase. Kupfer istebenfalls ein Bestandteil des Ferroproteins, eines Transportproteins,welches am basolateralen Transport des Eisens während der Resorpti-on durch den Enterozyten beteiligt ist. Als solches spielt Kupfer eineRolle im Eisenstoffwechsel, in der Melaninsynthese, in der Energie-bereitstellung, in der Neurotransmittersynthese und bei der Funktiondes Zentralnervensystems sowie der Synthese und dem Cross-linkingvon Elastin und Kollagen sowie beim Abfangen von Superoxidradika-len. Nahrungsquellen des Kupfers sind Meeresfrüchte, Leber, Nüsse,Hülsenfrüchte, Kleie und Organfleisch.

MangelEin ernährungsbedingter Kupfermangel ist relativ selten, beobachtetwurde er allerdings bei Frühgeborenen, die mit Milchnahrungen ge-füttert wurden, und bei Säuglingen mit Malabsorption (Tab. 96e-2).Eine Kupfermangelanämie (die refraktär gegenüber der therapeuti-schen Gabe von Eisen ist) wurde bei Patienten mit malabsorptivenKrankheiten und bei nephrotischem Syndrom gesehen. Auch kann sieauftreten bei Patienten mit Wilson-Krankheit, die dauerhaft oral mithohen Zinkdosen behandelt wurden, was die Kupferabsorption be-hindert. Menkes Kraushaarsyndrom ist eine X-chromosomal vererbteStörung des Kupfermetabolismus, die mit geistiger Retardierung, Hy-pocuprämie und einer verminderten Zirkulation von Coeruloplasmineinhergeht (Kap. 427). Die Krankheit wird durch Mutationen im amKupfertransport beteiligten ATP7A-Gen verursacht. Kinder mit dieserKrankheit versterben oft an einem dissezierenden Aneurysma odereinem Herzriss im Alter bis zu 5 Jahren. Die Acoeruloplasminämie isteine seltene autosomal rezessiv vererbte Erkrankung, die durch eineEisenüberladung des Gewebes, mentalen Verfall, mikrozytäre Anämieund niedrige Serumspiegel für Eisen und Kupfer charakterisiert wird.Die Diagnose eines Kupfermangels wird normalerweise anhand er-

niedrigter Serumwerte von Kupfer (< 65 μg/dl) und Coeruloplasmin

ErnährungTeil 6

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(< 20 mg/dl) erhoben. Der Kupferserumwert kann sich in derSchwangerschaft oder während einer Stresssituation erhöhen, da Coe-ruloplasmin zu den Akutphaseproteinen gehört und 90 % des zirku-lierenden Kupfers an Coeruloplasmin gebunden sind.

ToxizitätZu einer Kupfervergiftung kommt es normalerweise nur versehentlich(Tab. 96e-2). In schweren Fällen kann Nierenversagen, Leberausfallund Koma auftreten. Bei der Wilson-Krankheit führen Mutationen imkupfertransportierenden Gen ATP7B zu einer Kupferanhäufung inLeber und Gehirn, die aufgrund eines verminderten Coeruloplasmin-spiegels mit niedrigen oder niedrig normalen Blutwerten einhergeht(Kap. 429).

& SELEN Selen, in der Form von Selenocystein, ist ein Bestandteil des

Enzyms Glutathionperoxidase, das dazu dient, Protein, Zell-membranen, Lipide und Nukleinsäuren vor oxidativen Mole-

külen zu schützen. In diesem Zusammenhang wird Selen derzeit in-tensiv als chemopräventives Agens gegen bestimmte Krebserkrankun-gen wie das Prostatakarzinom untersucht. Selenocystein kommt auchin Deiodinaseenzymen vor, die die Deiodierung von Thyroxin zu Tri-iodthyronin vermitteln (Kap. 405). Nahrungsselen findet sich reich-lich in Meeresfrüchten, Muskelfleisch und Getreide, obwohl der Se-lengehalt des Getreides von der Bodenkonzentration bestimmt wird.Länder mit niedrigen Selen-Bodenkonzentrationen sind Teile vonSkandinavien, China und Neuseeland. Die Keshan-Krankheit ist eineendemische Kardiomyopathie, die bei Kindern und jungen Frauen inRegionen von China beobachtet wurde, wo die Selenaufnahme über

die Nahrung sehr niedrig ist (< 20 µg/d). Das gemeinsame Vorkom-men eines Iod- und Selenmangels kann die klinischen Manifestatio-nen des Kretinismus verstärken. Eine anhaltende Zufuhr von hohenDosen Selens führt zur so genannten Selenose, die durch brüchigeund ausfallende Haare und Nägel charakterisiert wird sowie durchknoblauchartigen Mundgeruch, Hautausschlag, Myopathie, Reizbar-keit und andere Veränderungen des Nervensystems.

& CHROMChrom potenziert die Wirkung von Insulin bei Patienten mit beein-trächtigter Glukosetoleranz, vermutlich durch eine Steigerung von in-sulinrezeptorvermittelten Signalen, wenngleich sein Nutzen bei derBehandlung des Typ-2-Diabetes noch unsicher ist. Außerdem wurdebei einigen Patienten über eine Verbesserung der Blutfettprofile be-richtet. Der Nutzen von Chrom-Supplementen für die Muskelbildungist nicht belegt. Reiche Nahrungsquellen für Chrom sind Hefe, Fleischund Getreideprodukte. Chrom im dreiwertigen Zustand findet sich inNahrungsergänzungsmitteln und ist im Wesentlichen nicht toxisch.Sechswertiges Chrom, ein beim Schweißen von Edelstahl anfallendesProdukt, gilt allerdings als ein bekanntes Lungenkarzinogen, das auchLeber, Niere und das Zentralenervensystem schädigen kann.

& MAGNESIUMSiehe Kapitel 423.

& FLUORID, MANGAN UND ULTRA-SPURENELEMENTEEine essenzielle Funktion von Fluor wurde für den Menschen bislangnicht beschrieben, obwohl es der Strukturerhaltung von Zähnen undKnochen dient. Eine Fluorose beim Erwachsenen äußert sich in fle-

Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss 96e

TABELLE 96e-2 Mangel und Toxizität von Mineralstoffen

Element Mangel Toxizität Tolerierbare Obergrenze der Auf-nahme mit der Nahrung

Bor Keine biologische Funktion bekannt Entwicklungsstörungen, Sterilität des Mannes, Hodenatrophie 20 mg/d (extrapoliert aus Tierver-suchen)

Kalzium Reduzierte Knochenmasse, Osteoporose Niereninsuffizienz (Milch-Alkali-Syndrom), Nierensteine, he-rabgesetzte Eisenresorption, Thiaziddiuretika

2500 mg/d (Milch-Alkali-Syndrom)

Kupfer Anämie, Wachstumsverzögerung, gestörte Keratini-sierung und Pigmentierung der Haare, Hypothermie,degenerative Veränderungen im Elastin der Aorta,Osteopenie, geistiger Abbau

Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Leberinsuffizienz, Tremor,geistiger Abbau, hämolytische Anämie, Nierenfunktionsstö-rungen

10 mg/d (Lebertoxizität)

Chrom Verminderte Glukosetoleranz Berufliche Exposition: Niereninsuffizienz, Dermatitis, Lungen-krebs

Nicht bekannt

Fluorid Erhöhtes Kariesrisiko Fluorose der Zähne und Knochen, Osteosklerose 10 mg/d (Fluorose)

Iod Vergrößerte Schilddrüse, herabgesetzter T4-Spiegel Schilddrüsenfunktionsstörung, Akne-ähnlicher Ausschlag 1100 µg/d (Schilddrüsenfunktions-störung)

Eisen Abnormalitäten im Muskel, Koilonychie, Pica, Anämie,verminderte Leistungsfähigkeit, verminderte geistigeEntwicklung, vorzeitige Wehen, erhöhte perinatalemütterliche Mortalität

Gastrointestinale Störungen (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö,Verstopfung), Eisenüberladung mit Organschäden, akutesystemische Toxizität, erhöhte Suszeptibilität für Malaria,erhöhtes Risiko bei bestimmten chronischen Krankheiten(z. B. Diabetes)

45 mg/d elementaren Eisens(gastrointestinale Störungen)

Mangan Störung von Wachstum, Skelettentwicklung, Repro-duktion, Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel; Aus-schlag am Oberkörper

Generalisiert: Neurotoxizität, Parkinson-ähnliche Symptome

Berufliche Exposition: Enzephalitis-ähnliches Syndrom, Par-kinson-ähnliches Syndrom, Psychose, Pneumokoniose

11 mg/d (Neurotoxizität)

Molybdän Schwere neurologische Störungen Störung der Reproduktion und der fötalen Entwicklung 2 mg/d (extrapoliert aus Tierver-suchen)

Selen Kardiomyopathie, dekompensierte Herzinsuffizienz,Degeneration der quer gestreiften Muskulatur

Generalisiert: Alopezie, Übelkeit, Erbrechen, anomale Nägel,emotionale Labilität, periphere Neuropathie, Mattigkeit,Knoblauchgeruch im Atem, Dermatitis

Berufliche Exposition: Karzinome in Lunge und Nase,Lebernekrosen, Lungenentzündung

400 μg/d (Veränderungen an Haarund Nägeln)

Phosphor Rachitis (Osteomalazie), proximale Muskelschwäche,Rhabdomyolyse, Parästhesie, Ataxie, Anfälle, Ver-wirrtheit, Herzinsuffizienz, Hämolyse, Azidose

Hyperphosphatämie 4000 mg/d Phosphat

Zink Wachstumsverzögerung, verminderter Geschmackund Geruch, Alopezie, Dermatitis, Diarrhö, immuno-logische Funktionsstörung, Gedeihstörungen, Gona-denatrophie, angeborene Fehlbildungen

Generalisiert: verminderte Kupferresorption, Gastritis,Schweißausbruch, Fieber, Übelkeit, Erbrechen

Berufliche Exposition: Atemstörungen, Lungenfibrose

40 mg/d (gestörter Kupfermetabolis-mus)

96e-11Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

Page 12: Robert M. Russell, Paolo M. Suter 96e Mangel und Überschuss · einer verlängerten Hyperemesis gravidarum, anorektische Patienten mit einem allgemein schlechten Ernährungsstatus,

ckigen und enthärteten Defekten in Zahnschmelz und in sprödenKnochen (Skelettfluorose).Auch ein Mangan- und Molybdänmangel wurden bei Patienten mit

seltenen genetischen Abnormitäten sowie bei einigen Patienten, dieüber einen längeren Zeitraum parenteral ernährt wurden, beschrieben.Mehrere manganspezifische Enzyme ließen sich identifizieren (z. B.Mangansuperoxiddismutase). Manganmangel kann den Knochen de-mineralisieren, das Wachstum verlangsamen und zu Ataxie, zu Stö-rungen im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel und Krämpfen führen.Als Ultra-Spurenelemente werden die Elemente bezeichnet, deren

täglicher Bedarf unterhalb von 1 mg liegt. Die für Deutschland ver-bindlichen DACH-Empfehlungen nehmen eine andere Einteilung vor.Hiernach sind Spurenelemente solche, deren Gehalt im Gewebe unter50 ppm (also unter 50 μg/g Feuchtgewicht) liegt und deren Bedarfbeim Menschen die Menge von 50 mg am Tag unterschreitet. Als Ul-tra-Spurenelemente werden alle anderen Elemente bezeichnet, derenEssenzialität tierexperimentell geprüft wurde, ohne dass allerdings ih-re Funktionen im Körper bekannt sind. Zu den Ultra-Spurenelemen-ten rechnet man Aluminium, Antimon, Arsen, Barium, Blei, Bor,Brom, Cadmium, Caesium, Germanium, Lithium, Quecksilber, Rubi-dium, Samarium, Silizium, Strontium, Thallium, Titan, Vanadium,Wismut und Wolfram. Dass sie essenziell sein könnten, ist für die

meisten dieser Elemente nicht belegt, obwohl Selen, Chrom und Iodzum Beispiel eindeutig lebensnotwendig sind (Kap. 405). Molybdänist für die Aktivität der Sulfit- und Xanthinoxidase erforderlich, undein Molybdänmangel kann zu Skelett- und Hirndefekten führen.

WEITERFÜHRENDE LITERATURBIESALSKI HK et al: Water, electrolytes, vitamins and trace elements –Guidelines on Parenteral Nutrition, Chapter 7. GMS German Me-dical Science 7:Doc 21, 2009

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNG, ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT

FÜR ERNÄHRUNG, SCHWEIZERISCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNGSFOR-

SCHUNG, SCHWEIZERISCHE VEREINIGUNG FÜR ERNÄHRUNG (Hrsg.): Refe-renzwerte für die Nährstoffzufuhr, 2. Aufl., 1. Ausgabe. Umschau-Verlag, Frankfurt a. M., 2015

HESEKER H et al: Vitaminversorgung Erwachsener in der Bundesrepu-blik Deutschland. In: Kübler W et al (Hrsg.): Vera Schriftenreihe,Bd. IV, Wissenschaftlicher Fachverlag Dr. Fleck, Niederkleen, 1992

MAX RUBNER-INSTITUT (MRI): Nationale Verzehrsstudie II, Ergebnis-bericht, Teil 2. 2008

MENSINK G et al: Was essen wir heute? Ernährungsverhalten inDeutschland. Robert Koch-Institut Berlin, 2002

ErnährungTeil 6

96e-12Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin (ISBN 978-3-940615-50-3), © 2016 ABW Wissenschaftsverlag Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.