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Robert Spaemann Nach uns die Kernschmelze Hybris im atomaren Zeitalter Klett-Cotta

Robert Spaemann Nach uns die Kernschmelze8 Man sagt uns, diese Technologie sei im Augenblick ohne Alternative. Wäre dem so, hieße das, eine unsicht-bare, intelligente Hand würde

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Robert Spaemann

Nach uns dieKernschmelzeHybris im atomaren Zeitalter

Klett-Cotta

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Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2011 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Einbandgestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Gesetzt aus der Minion von Dörlemann Satz, Lemförde

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-94754-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1. Technische Eingriffe in die Natur als Problemder politischen Ethik (1979) . . . . . . . . . . . 13

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13II – Zumutbarkeit von Nebenwirkungen . . . . . . 14II – Gesichtspunkte zur Beurteilung . . . . . . . . . 28

2. Ethische Aspekte der Energiepolitik (1980) . . . 49

Der Ideologieverdacht der Christen . . . . . . . . . 52Das Spezifikum des Moralischen . . . . . . . . . . 53Die Moral in der Energiepolitik . . . . . . . . . . . 59Ethische Schlussfolgerungen für die Energiepolitik 63

3. »Ich plädiere für die Rückkehr zu einemFortschritt im Plural« (1988) . . . . . . . . . . . 70

4. Nach uns die Kernschmelze (2006) . . . . . . . 86

5. »Wo war Gott in Japan?« (2011) . . . . . . . . . 91

6. »Die Vernunft, das Atom und der Glaube« (2011) 101

Über entfesselte Wissenschaft, frivole Wachstums-politik und das verdrängte Restrisiko

Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

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Vorwort

Recht behalten zu haben ist eine kümmerliche Befrie-digung. Der Warner vor einem großen Unglück würdees ja vorziehen, ganz und gar widerlegt zu werden. ThreeMiles Island – Tschernobyl – Fukushima: Immer waren esunglückliche Zufälle, aus denen man, zum Beispiel inRussland, offenbar nichts lernen kann und zu lernenbraucht - jedenfalls nicht zu lernen, dass man aus dieserTechnologie aussteigen muss.Stattdessen planen wir einzelne zusätzliche Sicherheits-maßnahmen, die die Wahrscheinlichkeit einer Katastro-phe vermindern sollen. Die Katastrophe – auch für denschlimmsten Fall – gänzlich und definitiv auszuschlie-ßen hieße, auf die Technik der Kernspaltung zu verzich-ten. Wir gehen in unserem Leben ständig Risiken ein,manchmal riskieren wir sogar unser Leben. Wir stei-gen in Flugzeuge, obwohl die Wahrscheinlichkeit ab-zustürzen nicht gleich Null ist. Es kommt darauf an,einzusehen, dass die Sache hier anders liegt: Keine nochso weitgehende Minimierung des Risikos kann uns be-rechtigen, sukzessiv ganze Regionen unseres kleinenPlaneten in No-Go-Areas oder in Todeszonen zu ver-wandeln.

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Man sagt uns, diese Technologie sei im Augenblickohne Alternative. Wäre dem so, hieße das, eine unsicht-bare, intelligente Hand würde die Entwicklung von Wis-senschaft und Technik so steuern, dass immer dann,wenn die Menschheit mit ihrem Überleben und ihremmateriellen Fortschritt in einen Engpass gerät, plötzlichgenau die Entdeckung bei der Hand wäre, die allein er-mögliche, dass es weitergeht mit dem Menschen. KeinVertreter des Intelligent Design in der Evolutionstheoriewagt eine vergleichbar fantastische Annahme. RettendeLösungen existentiell bedeutsamer Krisen werden aller-dings in der Regel nur dann gefunden, wenn die Mensch-heit mit dem Rücken zur Wand steht. Solange das Aus-weichen auf Atomenergie als Option zur Verfügungsteht, ist diese Dringlichkeit nicht gegeben, die uns zualternativen Lösungen führt. Dabei zeichnen sich in-zwischen ja schon die Alternativen ab, und man sprichtvon der Atomenergienutzung als »Brückentechnologie«.Aber diese Brücke muss man so schnell wie möglichüberqueren, und das auch unter einschneidenden Op-fern an Geld und Wohlstand. Wenn ein Mensch in einerexistenzbedrohenden Not das Leben seines Kindes ver-wettet, handelt er auch unverantwortlich, selbst wenndie Gewinnchancen bei dieser Wette für ihn 99:1 stehen.Niemand kann ja wissen, ob das Unwahrscheinliche ge-rade morgen geschieht.

Es ist nicht von ungefähr, dass die erste Nutzung derKernenergie ein Massenmord war, der Massenmord anden Bewohnern von Hiroshima und Nagasaki. »It was

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technologically so sweet«, gestand Robert Oppenheimer,um sein Engagement für die Herstellung der Bombe zuerklären, gegen die er sich später ausprach. Und CarlFriedrich von Weizsäcker erzählte, was er und mit ihmdas Forscherteam, das an der Bombe arbeitete, spontanäußerte, als die Nachricht von der Vernichtung Hiroshi-mas bekannt wurde: »Also, es klappt tatsächlich!« Sosind Wissenschaftler, wenn sie ausschließlich Wissen-schaftler sind. Aber als es dann später um die atomareBewaffnung der Bundeswehr ging, wussten wir – dieGegner dieser Bewaffnung – denselben Carl von Weiz-säcker auf unserer Seite. Auch damals hörten wir das Ar-gument, es gebe keine Alternative. Ohne diese Waffewäre der Westen angeblich gegenüber der sowjetischen –bis dahin noch nicht nuklearen – Bedrohung wehrlos,was natürlich nur dann zutraf, wenn man die Alterna-tive höherer Rüstungsausgaben und höherer Militär-stärken nicht in Betracht zu ziehen bereit war. Es warübrigens interessant, dass unsere fairsten Kritiker undGesprächspartner führende Militärs waren und dass esdie Zeitschrift Militärseelsorge war, die diese Kontro-verse veröffentlichte.

Viele Jahre später, als es dann um die Nachrüstungging, wurde ich zum Gegner der sogenannten Friedens-bewegung. (Ich habe das in einem Brief an Heinrich Böllerklärt, der jetzt in dem Band »Grenzen« dokumentiertist.) Hier ging es nämlich nicht mehr um die Frage einesJa oder Nein zur atomaren Bewaffnung. Diese Bewaff-nung hatte ja längst stattgefunden, sondern es ging

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darum, das Kriegsrisiko zu senken: Das Gleichgewichtdes Schreckens wollte der Westen immer wieder in demMaße sichern, in dem die Sowjetunion dieses Gleich-gewichts gefährdete. Ein amerikanisches Monopol aufAtomwaffen hielt ich damals für genauso gefährlich wieein sowjetisches. So sah es übrigens auch Sacharow.

Inzwischen ist die Zahl der Atomwaffen in der Weltins Absurde gestiegen, sie einzusetzen aber, das heißt deratomare Erstschlag, völkerrechtlich verboten, was im-mer das im Ernstfall bedeuten mag. Stattdessen habenwir nun also die »friedliche Nutzung«, die wiederumangeblich alternativlos ist. Ich will hier nicht die öffent-liche Debatte in Deutschland neu aufrollen, sondernnur dem bisher Geschriebenen und Gesagten einen Ge-danken hinzufügen: Dass die erste Nutzung dieser Tech-nologie die Atombombe war, ist kein Zufall. Die Entfes-selung dieser Art von Energie ist selbst schon der Anfangdes Unfriedlichen, wie wir zu lernen beginnen. Christ-liche Apologeten äußern gelegentlich, Gott habe dochdiese Energie dem Menschen zur Verfügung gestellt.Aber da stimmt etwas nicht. Diese Kraft dient in der Na-tur dem Zusammenhalt der materiellen Welt. Wenn wiran einem windstillen, sonnigen Maimorgen durch diefrühlingshafte Landschaft wandern, sind wir uns in derRegel nicht der ungeheuren Energie bewusst, die diesefriedliche Gestalt ermöglicht. Wer am Rheinfall vonSchaffhausen steht, kann beobachten, wie eine ruhige,fast unbewegte Wasserfläche dort, wo das Gefälle be-ginnt, sich im Herabstürzen in ein wildes Tosen verwan-

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delt, um, unten aufgeprallt, dann rasch wieder zur Ruhezu kommen, als wäre nichts gewesen. Zersprengte Atomekommen jedoch so schnell nicht wieder zur Ruhe. Ge-nauer gesagt, sie kommen vielleicht in etwa 25 000 Jah-ren zur Ruhe. Es grenzt schon an Frivolität zu behaup-ten, Gott habe gewollt, dass wir die Bewohnbarkeit vonTeilen unseres Planeten für Jahrtausende verwetten, umjetzt unseren Lebensstandard zu erhalten.

Vermutlich wird es schon in 10 000 Jahren keine Men-schen mehr geben, jedenfalls aber keine wissenschaft-lich-technische Zivilisation mehr, in der überhaupt nochbekannt ist, worum es sich bei diesen Gefahrenquellenhandelt. Die letzte große Völkerwanderung hat das Wis-sen der griechisch-römischen Kultur weitgehend in Ver-gessenheit geraten lassen. Wie es menschenmöglich war,die gewaltigen Steine in Stonehenge aufeinanderzutür-men, ist uns bis heute unbekannt. Man konnte diesesWissen nicht über so lange Zeiträume weitergeben. Undhier handelt es sich nur um wenige Jahrtausende. Wennes aber noch Menschen geben wird, dann tragen wirzwar für sie Verantwortung, aber keine positive Verant-wortung; für ihr Glück müssen sie schon selbst sorgen.Wir haben aber die Pflicht, ihnen die elementaren Res-sourcen des Lebens ungeschmälert zu übergeben. Wirmüssen nicht über einen verborgenen Ratschluss Gottesspekulieren – »Du hast mir die Wege des Lebens be-kanntgemacht«, heißt es im Psalm. Es genügt, unsereVernunft zu gebrauchen, um zu wissen, was gut und wasschlecht ist.

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1. Technische Eingriffe in die Natur als Problemder politischen Ethik (1979)*

Vorbemerkung

Moderne Technologien auf physikalischem und biolo-gischem Gebiet, insbesondere Atomspaltung und gene-tische Manipulation, werfen moralische Probleme auf,für deren Lösung traditionelle philosophische und theo-logische Argumentationen nur dann Hilfe bieten, wennwir sie in ihrer abstraktesten und allgemeinsten Formheranziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die mo-ralischen Probleme sich mit den politisch-rechtlichenüberschneiden, das heißt mit der Frage nach der Verant-wortlichkeit des Staates für die möglichen Folgen undNebenfolgen der Anwendung dieser Technologien. Umhier zu Ergebnissen zu gelangen, die allgemeine Ein-sichtigkeit beanspruchen können, ist es deshalb erfor-derlich, sich der Grundlagen der Argumentation Schrittfür Schritt zu versichern. Ich beginne daher mit einerErörterung des allgemeinen moralphilosophischen Pro-blems der Zumutbarkeit von Nebenwirkungen, um ineinem zweiten Teil Gesichtspunkte zur Beurteilung tech-

* Erschienen unter diesem Titel in: Scheidewege. Vierteljahres-schrift für skeptisches Denken, 9. Jahrgang 1979, Heft 4,S. 476–497.

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nischer Eingriffe in die natürliche Umwelt zu ent-wickeln.

I – Zumutbarkeit von Nebenwirkungen

Es liegt im Wesen menschlicher Handlungen, dass sieNebenwirkungen hervorbringen. Dieser Satz ist nur dieKehrseite des anderen, dass Handeln auf Zwecke gerich-tet ist. »Zweck« heißt jene Folge, die der Handelnde ausder Gesamtheit der Handlungsfolgen intentional her-aushebt und im Verhältnis zu welcher er alle anderenFolgen zu Nebenfolgen, zu Mitteln oder zu Kosten her-absetzt. Nur durch solche Selektion wird Handeln über-haupt möglich, und nur durch sie wird es von »blinden«Naturereignissen unterscheidbar. Der Unterschied zwi-schen »Mitteln« und »Nebenwirkungen« liegt darin,dass Mittel selbst als diese gewollt werden müssen, alsoUnterzwecke sind, während Nebenwirkungen nicht ge-wusst, gewollt und herbeigeführt, sondern nur »in Kaufgenommen« werden. So etwa ist die Zerstörung einerKaserne im Krieg ein Mittel zur Erreichung des Kriegs-zieles, die Zerstörung der benachbarten Wohnhäuseraber eine Nebenwirkung, die mangels ausreichender Be-grenzungsmöglichkeit der Sprengwirkung einer Bombe»in Kauf genommen« wird. Allerdings kann der Terror-effekt von Angriffen auf zivile Objekte auch selbst alsKriegsmittel beabsichtigt sein.

Dass der Handelnde in der Wahl der Mittel nicht freiist, dass also nicht »der Zweck jedes Mittel heiligt«, er-

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gibt sich aus einer einfachen Überlegung. Die Zweckeder Menschen sind verschieden. Die Mittelwahl des einenkann für den anderen Vereitelung seines Zweckes sein.Das Recht eines jeden, jeden anderen in seiner Zweck-verfolgung nach Maßgabe der eigenen Zwecke beliebigzu behindern, würde den Begriff des Rechts selbst un-mittelbar aufheben. Eine solche Befugnis wäre gleichbe-deutend mit dem Ende einer Rechtsordnung überhaupt.Andererseits heißt »Mittel anwenden«, oder »Kostenaufwenden« immer: die Möglichkeit der Verfolgung an-derer Zwecke einschränken. Diese anderen Zwecke kön-nen sowohl die des Handelnden selbst als auch die Zwe-cke anderer sein. Die Kosten einer Ferienreise könnenden Bau eines Hauses verzögern. Und in einem sehrallgemeinen Sinne behindert auch jede Zielverfolgungeines Menschen mögliche Zielerreichungen eines ande-ren. Wenn die Ressourcen knapp sind, steht das Ver-brauchte nicht mehr zur Verfügung, weder für den Ver-braucher selbst noch für einen anderen.

In beiden Fällen kann sich ein moralisches Problemstellen. Es gibt Pflichten des Menschen gegen sich selbst.Wer für einen Augenblicksgenuss seine Gesundheit rui-niert, verletzt eine solche Pflicht. Dies zu begründenwürde über unser Thema hinausführen. Den Pflichtengegen sich selbst korrespondieren nämlich keine ein-klagbaren Rechte. Das Verhältnis zu sich selbst ist keindurch Regeln der Gerechtigkeit normiertes Verhältnis.Volenti non fit iniuria. (Dem, der bekommt, was er will,geschieht kein Unrecht.) Wo es hingegen um das Ver-

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hältnis des Handelnden zu Betroffenen geht, die mitihm nicht identisch sind, da entsteht das Problem derGerechtigkeit, das heißt der Zumutbarkeit der Neben-folgen des Handelns, und zwar stellen sich in diesemZusammenhang vor allem zwei Fragen:1. Welches sind die Kriterien der Zumutbarkeit?2. Wer trägt die Verantwortung für die Zumutung von

Handlungsnebenfolgen?

Kriterien der Zumutbarkeit: Hinsichtlich der Frage derZumutbarkeit gibt es zwei extreme Auffassungen. Dieerste ist die anarchistische. Sie geht davon aus, dass eskein anderes Kriterium für Zumutbarkeit gibt als diewirkliche Zustimmung der Betroffenen. Dahinter stehtfolgende richtige Erkenntnis: Die Freiheit des Menschenbesteht gerade darin, dass nicht andere über den Wertund Rang seiner Wünsche und Interessen zu entschei-den haben. Zur Freiheit gehört, dass ich den Dingen fürmich die Bedeutung geben kann, die ich selbst ihnen zugeben wünsche. Der Bereich, in dem die individuellenPräferenzen ohne Bevormundung den Ausschlag geben,ist der freie Markt.

Als Lösung des Gerechtigkeitsproblems stößt derAnarchismus jedoch auf einige grundsätzliche Schwie-rigkeiten:

a) Da jedes Handeln Nebenfolgen zeitigt, durch welcheandere in Mitleidenschaft gezogen werden, würde jedesHandeln vereitelt werden können, wenn nur einer der

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auch noch so entfernt in Mitleidenschaft Gezogenen Wi-derspruch erhöbe. Niemand könnte mehr bauen, wennjeder die Beeinträchtigung seines subjektiven Wohlbe-findens durch den Bau des anderen geltend machenkönnte, ohne die Unzumutbarkeit dieser Beeinträchti-gung nach allgemeinen Kriterien für Zumutbarkeit auf-zeigen zu müssen. Unterlassung jeden Handelns aber isterst recht unzumutbar für ein freies Wesen.

b) Die anarchistische Forderung muss deshalb wenigs-tens eine von zwei Hilfsannahmen machen: Sie mussentweder voraussetzen, dass die menschlichen Wünsche»von Natur« mit den vorhandenen begrenzten Mittelnzu ihrer Befriedigung in prästabilierter Harmonie ste-hen. Oder sie muss voraussetzen, dass alle Menschenihre Ansprüche von sich aus auf ein »gerechtes Maß«zurückschrauben. Die eine Voraussetzung macht denMenschen zum Tier, die andere zum Heiligen. Die ersteAnnahme wird durch die Geschichte widerlegt. Gäbe esjene prästabilierte Bedürfnisstruktur, dann hätten dieMenschen nicht alles darangesetzt, durch Entfaltungder Produktivkräfte die Befriedigungsmöglichkeiten zuvermehren, und sie hätten nicht in Funktion dieser Ver-mehrung die Bedürfnisse selbst ausgeweitet. Die Wider-legung der zweiten Annahme folgt logisch aus der ers-ten. Mit der Bereitschaft zu einer »gerechten Lösung«von Interessenkonflikten könnte man nur dann mit Si-cherheit rechnen, wenn sie angeboren wäre. Sie würdedann eine Art von »natürlichem Bedürfnis« sein, was

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wiederum durch den Gang der Geschichte widerlegtwird. Die Bereitschaft, »gerechte Lösungen« zu akzep-tieren, setzt die Tugend der Gerechtigkeit voraus. FürTugenden aber gilt das Wort Spinozas: »Alles Vortreff-liche ist ebenso schwierig wie selten.«

Wegen der unter a) und b) genannten Schwierigkeitendes Anarchismus ist dieser historisch selten in Reinformaufgetreten, sondern öfter in einer sozialistischen Va-riante, die eine vorgängige Verschmelzung von Einzel-interessen und Kollektivinteressen ins Auge fasst. Sofordert zum Beispiel Proudhon, politisches Leben undprivate Existenz, gesellschaftliche und individuelle Inter-essen müssten zunächst miteinander identisch werden,dann werde deutlich, dass aller Zwang verschwunden seiund wir uns in der vollen Freiheit der Anarchie befän-den. Marx hat richtig gesehen, dass eine solche Identitätnur unter der Bedingung möglich ist, dass das Grund-phänomen allen bisherigen Wirtschaftens beseitigt ist,das Phänomen der Knappheit. Da indessen, wie wirheute wissen, Knappheit aus ökologischen, physikali-schen und anthropologischen Gründen prinzipiell un-aufhebbar ist, bleibt die definitive Aufhebung des Dua-lismus von Individualinteresse und Allgemeininteresseeine Fiktion, der nur durch Zwang allgemeine Geltungverschafft werden kann, sodass der Anarchismus sichselbst aufzuheben genötigt ist.

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c) Die dritte Schwierigkeit, die der anarchistischen Lö-sung im Wege steht, ist die folgende: Wirklich zustim-men können den jeweiligen Handlungsfolgen nur diezur Zeit der Handlung existierenden mündigen Mit-menschen. Betroffen sind aber auch Unmündige undunter Umständen auch noch gar nicht geborene Men-schen. Die Frage der Zumutbarkeit für diese muss alsovon anderen als von ihnen selbst entschieden werden.Die Kriterien für die Gerechtigkeit solcher Entscheidun-gen, also die Kriterien der Zumutbarkeit künftiger Zu-stimmung, müssen daher von der wirklichen Zustim-mung der Betroffenen verschieden sein, oder es gibt garkeine Kriterien der Gerechtigkeit.

Die zweite Lösung des Problems der Zumutbarkeit istdas konsensuelle Verfahren. Dabei wird die Frage auf eineabstraktere Ebene verlegt. Angesichts der Unmöglich-keit, in jedem Einzelfall die faktische Zustimmung derBetroffenen zu einer Handlung mitsamt ihren Folgenzu erreichen, werden Verfahren eingeführt, mittels de-rer die Frage nach der Zumutbarkeit im Einzelfall ent-schieden wird. Nicht die Einzelentscheidungen selbst,sondern diese Verfahren bedürfen nun der allgemeinenZustimmung. Im Unterschied zu der anarchistischenKonstruktion kann daher jederzeit ein Konflikt ausbre-chen zwischen der allgemeinen Zustimmung zum Ver-fahren und dem Widerstand eines Betroffenen gegeneine bestimmte, für ihn nachteilige Lösung, die auf-grund des vereinbarten Verfahrens zustande kam. Für

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diesen Fall muss eine Zwangsgewalt installiert sein, dieder auf legitime Weise zustandegekommenen Lösungzur Durchsetzung verhilft. In dieser, der rechtsstaat-lichen Konzeption, gilt also als zumutbar, was in einemkonsensuellen Verfahren für zumutbar erklärt wurde.

Auch diese Lösung stößt auf Schwierigkeiten, wenn-gleich nicht auf unüberwindliche. Es sind vor allem diebeiden folgenden. Erstens: Der einstimmige Konsensaller bei der Einrichtung von Verfahren – also bei der Ver-abschiedung einer Verfassung – ist zwar nicht so unmög-lich wie der Konsens bezüglich bestimmter Einzelent-scheidungen. Er ist aber ebenfalls normalerweise nicht zuerwarten. Eine Diskussion des Für und Wider kann nichtso lange dauern, bis der Letzte überzeugt ist. Es kannnicht für jeden neu Hinzukommenden die Verfassungs-debatte neu eröffnet werden. Zweitens: Es kann nichtausgeschlossen werden, dass Einzelne ungerecht sind, dasheißt solche Verfahren begünstigen, durch die sie auf-grund bestimmter natürlicher oder sozialer Startbedin-gungen begünstigt werden. Zumindest kann nicht ausge-schlossen werden, dass einzelne sich durch die von derMehrheit beschlossenen Verfahren benachteiligt fühlen.Damit der rechtsstaatliche Weg, Zumutbarkeit festzustel-len, seinerseits für jedermann zumutbar ist, müssen da-her bestimmte zusätzliche Bedingungen erfüllt sein:

a) Verfahren und Debatte über die Verfahren müsseninstitutionell getrennt sein. Die Verabschiedung vonGesetzen kann das Ende von Debatten nicht abwarten,

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sie darf dieses Ende aber auch nicht dekretieren. DerGrund ist der folgende: Es ist einleuchtend, dass Nicht-handeln oft ebenso weitreichende Konsequenzen hatwie Handeln, ja, dass es manchmal schlimmere Folgenhat als falsches Handeln. Es ist ferner einleuchtend, dassHandeln meistens unmöglich wäre, wenn dem abwä-genden Für und Wider nicht durch eine Entscheidungein Ende gesetzt würde. Es ist aber damit nicht gesagt,dass die Entscheidung stets richtig ist. Es gibt keineapriorische Identität von Machthabern und Rechtha-bern. Gehorsam gegenüber der Entscheidung des legiti-men Machthabers, also zum Beispiel auch der Mehrheit,ist also nur zumutbar, wenn es nicht mit der Zumutungverbunden ist, dem Machthaber auch in der Sache rechtzu geben. Dass der Machthaber sich bei seiner Entschei-dung von dem leiten ließ, was er für das Wohl der Ge-samtheit hält, kann aber nur dann unterstellt werden,wenn er sich nicht weigert, in der Sache selbst weitereBelehrung zu erhalten. Daraus folgt: Die Debatte überdie Richtigkeit einer Entscheidung muss weitergehendürfen. Jeder muss das Recht haben, frei über politischeGegenstände zu sprechen, und die fortgesetzte Debattemuss die Möglichkeit haben, die Verfahren zu einemspäteren Zeitpunkt zu beeinflussen: Rahmenentschei-dungen dürfen nicht irreversibel sein.

b) Das letzte Wort, die Ordnung der Entscheidungsver-fahren betreffend, muss bei der Mehrheit des Volkes lie-gen. Wo aber eine Minderheit die Entscheidung trifft, da

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muss die Mehrheit die Möglichkeit besitzen, über dieKriterien zu entscheiden, aufgrund derer jemand Mit-glied dieser Minderheit ist. Dieses Recht der Mehrheitberuht nicht auf der irrigen Annahme, die Mehrheithätte immer in der Sache recht. Sie beruht auch nichtauf der Annahme, es gäbe eine natürliche Autoritäteiner Gruppe von Menschen über eine andere, nur weildie erstere zahlreicher ist. Es beruht vielmehr umge-kehrt auf der Abwesenheit von so etwas wie einer hö-heren Ermächtigung, wie wir sie etwa in bestimmten In-stitutionen, vor allem in Stiftungen, vor uns haben. DieLegitimität qualitativer Differenzierung kann auf ver-schiedene Art begründet werden. Solche Begründungensollten normalerweise nicht voluntaristisch sein, son-dern aus inhaltlichen Gesichtspunkten folgen, also ausihrer »Vernünftigkeit«. Wo diese inhaltliche Begrün-dung allerdings nicht einleuchtet, wo sie bestritten undwo gefragt wird, wer denn die Vernünftigkeit derer ga-rantiere, die eine bestimmte Ordnung für vernünftighalten, da bedarf jede Legitimität letzten Endes der Ver-ankerung in der Zustimmung der Mehrheit. Freilichkann eine Mehrheit nur dann beanspruchen, Repräsen-tant der Gesamtheit zu sein, wenn die Gesamtheit durchein hohes Maß an Homogenität gekennzeichnet ist, so-dass jeder prinzipiell die Chance hat, seine Meinung alsMehrheitsmeinung zu erleben. Ethnische oder religiöseKonflikte, aber auch fundamentale Gewissensfragenkönnen nicht durch Mehrheitsentscheidungen legitimi-tätsstiftend gelöst werden.

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c) Wem die Ordnung des Verfahrens oder eine be-stimmte Entscheidung über Zumutbarkeit als für ihnselbst unzumutbar erscheint, der muss die Möglichkeithaben, sich den Auswirkungen dieser Entscheidungendurch Auswanderung zu entziehen. Der Grund hierfürliegt im Folgenden: Es gehört zwar zum Menschen, ineiner politischen Ordnung zu leben; aber jede bestimmtepolitische Ordnung und alle bestimmten Landesgren-zen bleiben deshalb doch »zufällig«. Der Aufenthalt ineinem Land kann nur dann als stillschweigende Loyali-tätserklärung interpretiert werden, wenn es jedem frei-steht, das Land, auch unter Mitnahme seines Eigen-tums, zu verlassen. Der Direktion eines Gefängnisses, indas man ohne eigene Schuld geraten ist, schuldet mankeine Loyalität.

Aber auch wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind,garantiert die Gründung der Entscheidungsprozesse aufkonsensuelle Verfahren noch nicht deren Gerechtigkeit,das heißt die Zumutbarkeit für jeden, ihre Ergebnisse zuakzeptieren. Die Nebenwirkungen menschlicher Hand-lungen können nämlich Menschen betreffen, die ander Statuierung der Verfahren, in welcher über derenZulässigkeit entschieden wird, prinzipiell nicht mitwir-ken können, weil sie zu diesem Zeitpunkt unmündigsind oder weil sie noch gar nicht existieren. Ihre Zu-stimmung muss also antizipiert werden. Dies kann nurgeschehen, wenn wir, unabhängig von der wirklichenoder mit Gründen präsumierten Zustimmung zu denEntscheidungen oder Verfahren, über inhaltliche Kri-

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terien verfügen, die die Grenzen des Zumutbaren mar-kieren.

Alle Theorien, die die Rechtsphilosophie aufstellt, grün-den auf dem Gedanken einer diskursiven Vermittlungvon Interessen; sie finden ihre Grenze erstens in demUmstand, dass wir es in der Gesellschaft auch mit Kin-dern und mit Geisteskranken zu tun haben, die an die-sem Diskurs nicht teilnehmen können. Auch über diesedürfen die Diskursteilnehmer jedoch nicht beliebig dis-ponieren. Warum nicht? Warum dürfen die Menschen-rechte nicht an das Vorliegen bestimmter Voraussetzun-gen geknüpft werden, zum Beispiel daran, dass jemandimstande ist, die Menschenrechte überhaupt zu verste-hen und geltend zu machen?

Deshalb nicht, weil jede inhaltliche Definition vonMenschen jene bestimmte Zahl von Menschen privile-gieren würde, welche die Befugnis hätte, die Definitionfestzulegen und über das Vorliegen der Merkmale zuentscheiden. Es gäbe gar keine Menschenrechte, wenn esin das Belieben bestimmter Menschen gestellt wäre, dar-über zu entscheiden, ob jemand Träger solcher Rechteist oder nicht. Daher bleibt als Kriterium nur die biolo-gische Zugehörigkeit zur Spezies Homo sapiens. SolangeMenschen nicht mit Affen gekreuzt werden können, istdie Frage, wer Träger von Menschenrechten ist, so, aberauch nur so zweifelsfrei entscheidbar.

Die zweite Grenze der Diskurstheorie der Gerech-tigkeit liegt in dem Umstand, dass die Nebenfolgen un-

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serer Handlungen und also auch unserer politischenEntscheidungen Menschen treffen, die zur Zeit unsererHandlungen und Entscheidungen noch gar nicht leben.Die menschliche Gemeinschaft übergreift die Genera-tionen. Aber kein Instinkt begrenzt unsere Handlungs-möglichkeiten auf das Maß, das durch die Lebensbe-dürfnisse der später Lebenden gesetzt ist. Wir müssendieses Maß selbst setzen. Wir haben unsere Handlun-gen vor künftigen Geschlechtern zu verantworten. An-dererseits freilich haben wir durch Erziehung, durch»Einstimmung« der folgenden Generation in unsereWertschätzungen dafür zu sorgen, dass die künftigenGeschlechter imstande sind, in der Vergangenheit, de-ren Folgen sie zu tragen haben, etwas anderes als bloßeFremdbestimmung zu sehen, nämlich ihre eigene Ge-schichte. Diese Verantwortung gegenüber den Späterenfolgt aus einer elementaren Billigkeitserwägung. JederHandelnde kann nur insoweit handeln, als andere zuvorihm nicht seinen Handlungsspielraum durch exzessiveAusdehnung des ihren genommen haben. Ohne dasssich jede Generation als Glied in einer solidarischen Ge-meinschaft der Generationen betrachtet – mit Schuldig-keiten nach hinten und nach vorn –, gibt es gar keinmenschliches Leben auf der Erde. Um zu bestimmen,was diese Schuldigkeiten im Einzelnen bedeuten, sindfreilich weitere Überlegungen erforderlich.

Das Subjekt der Verantwortung: Ehe wir uns der Fragenach den inhaltlichen Kriterien der Zumutbarkeit für

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Betroffene, die selbst nicht zu Wort kommen, zuwen-den, haben wir zunächst die Frage nach dem Subjekt derVerantwortung zu stellen. Es scheint, als trage von Naturjeder Handelnde die volle Verantwortung für die Ne-benfolgen seiner Handlungen. Eine einfache Überle-gung kann uns jedoch darüber belehren, dass das nichtmöglich ist, und zwar deshalb nicht, weil es Handelnüberhaupt unmöglich machen würde. Müssten wir stetsversuchen, uns die unendlich komplexe Gesamtheit derlangfristigen Folgen unseres Tuns vor Augen zu halten,ja darüber hinaus sogar die Folgen unserer Unterlassun-gen, das heißt die mutmaßlichen Folgen aller alternati-ven Handlungsmöglichkeiten, dann würde die selektiveFunktion der Zwecksetzung hinfällig und damit Han-deln selbst illusorisch. Darum gehören zu den Voraus-setzungen verantwortlichen Handelns Institutionen, dieden Bereich der Nebenfolgen genau umschreiben, dendas handelnde Individuum zu verantworten hat. Das»Erzeugerprinzip« bedarf der gesetzlichen Festsetzungund Definition. Nur durch eine solche Festsetzung einesbeschränkten Bereichs der Verantwortung kann dannauch Unterlassung definiert werden, ohne dass dazu derVergleich mit allen alternativen Handlungsmöglichkei-ten erforderlich wäre. Solche institutionellen Vorgabensind übrigens nicht nur bezüglich der Nebenfolgen er-forderlich, sondern auch bezüglich der Zielsetzungen desHandelns und seiner konkreten Gestalt. Nur wo durchkulturelle »Selbstverständlichkeiten« der größte Teil un-seres Handelns vorgezeichnet ist, findet jene Entlastung