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Preisträger 69 Gravitationswellen werden durch beschleunigte Massen im Universum erzeugt. Wenn wir erst in der Lage sind, sie zu empfangen, werden sie uns Unbekanntes über Supernova-Implosionen, den Aufbau von Neutronensternen und über Doppelsternsysteme berichten. Weltweit stehen mehrere Forscherteams kurz vor der Inbetrieb- nahme hochempfindlicher Gravitationswellen- detektoren. Einer dieser Detektoren ist das deutsch-britische Michelson-Interferometer GEO 600, welches südlich von Hannover durch Forscher des Max-Planck-Instituts für Quanten- optik und der Universität Hannover in Zusam- menarbeit mit den Universitäten Glasgow und Cardiff, dem Albert-Einstein-Institut Potsdam und dem Laser Zentrum Hannover erstellt wird (Abb. 1, [1]). Die geringe Größe der erwarteten Signale erfordert eine extrem hohe Empfind- lichkeit. GEO 600 soll bei einer Armlänge von je zweimal 600 m nur durch die grundlegenden physikalischen Grenzen der Interferometrie limitiert sein. Um dieses zu erreichen, müssen höchste Anforderungen an die Konstruktion des Interferometers und des Lasers, dessen Licht darin zur Interferenz gebracht wird, erfüllt wer- den. G ravitation ist allgegenwärtig. Sie zieht uns zur Erde, sie hält Planeten, Monde und Satelliten in ihrer Umlaufbahn, sie verursacht Ebbe und Flut, und sie ist sogar unerläßlich für den „Fusionsreaktor Sonne“ und damit den Sonnenschein. Und doch ist sie unter Laborbedingungen extrem schwach. Die elektri- sche Abstoßung zweier Protonen ist 10 39 mal stärker als ihre Massenanziehung. Auf astronomischen Dimensio- nen jedoch beherrscht die Gravitation das Geschehen. Große Körper sind typischerweise elektrisch neutral, und die starke sowie die schwache Wechselwirkung ha- ben nur eine geringe Reichweite. Das Labor der Gravi- tation ist daher der Kosmos. Mit der vonNewton im auslaufenden 17. Jahrhun- dert entwickelten Gravitationstheorie gelang es, unser Sonnensystem mit guter Genauigkeit zu beschreiben. Diese Beschreibung widerspricht jedoch der Speziellen Relativitätstheorie, nach welcher sich kein Feld schnel- ler als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten darf. Um diesen Widerspruch aufzulösen, führte Einstein 1915 die Allgemeine Relativitätstheorie ein. Aus dieser Theorie folgt direkt, daß jede beschleunigte Masse Gravitationswellen erzeugen muß. Ein indirekter Nachweis für die Abstrahlung von Energie durch Gravitationswellen gelang Russel A. Hulse und Joseph H. Taylor jr. durch die langjährige Beobachtung des Pulsars PSR 1913+16 und seines Doppelsternnachbarn [2]. Diese beiden umkreisen ein- ander in 7 1/4 Stunden auf einer exzentrischen Bahn mit Geschwindigkeiten von bis zu 400 km/s. Aus den empfangenen Radiopulsen kann man die Bewegung des Systems genauestens verfolgen und die Massen der Sterne bestimmen. Daraus wiederum läßt sich mit Hil- fe der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhersagen, in welchem Maße die Umlaufperiode durch die Abstrah- lung von Gravitationswellen abnimmt. Die Vorhersage stimmt mit den gemessenen Werten im Rahmen der Meßfehler, etwa 0,35%, überein – der bislang beste Test, den wir für die Allgemeine Relativitätstheorie haben. Hulse und Taylor wurden dafür 1993 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Gravitationswellen direkt zu beobachten würde jedoch weit mehr bedeuten als „nur“ die Allgemeine Relativitätstheorie zu bestätigen. Eine langandauernde Aufzeichnung der Signale mit einem einzelnen Detek- tor oder die Auswertung von Korrelationen mehrerer verteilter Detektoren würde es ermöglichen, vielfältige Informationen über die Quelle der Wellen zu gewin- nen. Rotationsgeschwindigkeit und Rotationsachse, Masse und Massenverteilung, Richtung und Abstand von entfernten kosmischen Systemen könnten mit Hil- fe der Gravitationswellen allein oder in Kombination Robert-Wichard-Pohl-Preis Der Gravitationswellendetektor GEO 600 Das hochempfindliche Michelson-Interferometer GEO 600 basiert auf modernster Lasertechnologie – im Jahr 2000 soll es die ersten Signale empfangen. Herbert Welling und Ivo Zawischa Prof. Dr. Herbert Welling und Dipl.- Phys. Ivo Zawischa, Laser Zentrum Hannover e. V., Hollerithallee 8, 30419 Hannover – Festvortrag von Prof. Welling anläß- lich der Verleihung des Robert-Wichard- Pohl-Preises 1999 auf der 63. Physiker- tagung in Heidelberg Physikalische Blätter 55 (1999) Nr. 7/8 0031-9279/99/0707-69 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 1999 Abb. 1: In Ruthe bei Han- nover steht der deutsch-britische Gravitationswel- lendetektor GEO 600. In zwei 600 Meter langen Va- kuumröhren befin- den sich die Spie- gel des Michelson- Interferometers. Am Berührungs- punkt der beiden Arme sind die La- serquellen und die Ansteuerelektronik untergebracht.

Robert-Wichard-Pohl-Preis: Der Gravitationswellendetektor GEO 600: Das hochempfindliche Michelson-Interferometer GEO 600 basiert auf modernster Lasertechnologie - im Jahr 2000 soll

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Preisträger

69

Gravitationswellen werden durch beschleunigteMassen im Universum erzeugt. Wenn wir erst inder Lage sind, sie zu empfangen, werden sieuns Unbekanntes über Supernova-Implosionen,den Aufbau von Neutronensternen und überDoppelsternsysteme berichten. Weltweit stehenmehrere Forscherteams kurz vor der Inbetrieb-nahme hochempfindlicher Gravitationswellen-detektoren. Einer dieser Detektoren ist dasdeutsch-britische Michelson-InterferometerGEO 600, welches südlich von Hannover durchForscher des Max-Planck-Instituts für Quanten-optik und der Universität Hannover in Zusam-menarbeit mit den Universitäten Glasgow undCardiff, dem Albert-Einstein-Institut Potsdamund dem Laser Zentrum Hannover erstellt wird(Abb. 1, [1]). Die geringe Größe der erwartetenSignale erfordert eine extrem hohe Empfind-lichkeit. GEO 600 soll bei einer Armlänge vonje zweimal 600 m nur durch die grundlegendenphysikalischen Grenzen der Interferometrielimitiert sein. Um dieses zu erreichen, müssenhöchste Anforderungen an die Konstruktion desInterferometers und des Lasers, dessen Lichtdarin zur Interferenz gebracht wird, erfüllt wer-den.

Gravitation ist allgegenwärtig. Sie zieht uns zurErde, sie hält Planeten, Monde und Satelliten inihrer Umlaufbahn, sie verursacht Ebbe und Flut,

und sie ist sogar unerläßlich für den „FusionsreaktorSonne“ und damit den Sonnenschein. Und doch ist sieunter Laborbedingungen extrem schwach. Die elektri-sche Abstoßung zweier Protonen ist 1039mal stärker alsihre Massenanziehung. Auf astronomischen Dimensio-nen jedoch beherrscht die Gravitation das Geschehen.Große Körper sind typischerweise elektrisch neutral,und die starke sowie die schwache Wechselwirkung ha-ben nur eine geringe Reichweite. Das Labor der Gravi-tation ist daher der Kosmos.

Mit der von Newton im auslaufenden 17. Jahrhun-dert entwickelten Gravitationstheorie gelang es, unserSonnensystem mit guter Genauigkeit zu beschreiben.Diese Beschreibung widerspricht jedoch der SpeziellenRelativitätstheorie, nach welcher sich kein Feld schnel-ler als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten darf. Umdiesen Widerspruch aufzulösen, führte Einstein 1915die Allgemeine Relativitätstheorie ein. Aus dieser

Theorie folgt direkt, daß jede beschleunigte MasseGravitationswellen erzeugen muß.

Ein indirekter Nachweis für die Abstrahlung vonEnergie durch Gravitationswellen gelang Russel A.Hulse und Joseph H. Taylor jr. durch die langjährigeBeobachtung des Pulsars PSR 1913+16 und seinesDoppelsternnachbarn [2]. Diese beiden umkreisen ein-ander in 7 1/4 Stunden auf einer exzentrischen Bahnmit Geschwindigkeiten von bis zu 400 km/s. Aus denempfangenen Radiopulsen kann man die Bewegung desSystems genauestens verfolgen und die Massen derSterne bestimmen. Daraus wiederum läßt sich mit Hil-fe der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhersagen, inwelchem Maße die Umlaufperiode durch die Abstrah-lung von Gravitationswellen abnimmt. Die Vorhersagestimmt mit den gemessenen Werten im Rahmen derMeßfehler, etwa 0,35%, überein – der bislang besteTest, den wir für die Allgemeine Relativitätstheoriehaben. Hulse und Taylor wurden dafür 1993 mit demNobelpreis ausgezeichnet.

Gravitationswellen direkt zu beobachten würdejedoch weit mehr bedeuten als „nur“ die AllgemeineRelativitätstheorie zu bestätigen. Eine langandauerndeAufzeichnung der Signale mit einem einzelnen Detek-tor oder die Auswertung von Korrelationen mehrererverteilter Detektoren würde es ermöglichen, vielfältigeInformationen über die Quelle der Wellen zu gewin-nen. Rotationsgeschwindigkeit und Rotationsachse,Masse und Massenverteilung, Richtung und Abstandvon entfernten kosmischen Systemen könnten mit Hil-fe der Gravitationswellen allein oder in Kombination

Robert-Wichard-Pohl-Preis

Der Gravitationswellendetektor GEO 600Das hochempfindliche Michelson-Interferometer GEO 600 basiert auf modernsterLasertechnologie – im Jahr 2000 soll es die ersten Signale empfangen.

Herbert Welling und Ivo Zawischa

Prof. Dr. HerbertWelling und Dipl.-Phys. Ivo Zawischa,Laser Zentrum Hannover e. V., Hollerithallee 8,30419 Hannover– Festvortrag vonProf. Welling anläß-lich der Verleihungdes Robert-Wichard-Pohl-Preises 1999auf der 63. Physiker-tagung in Heidelberg

Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 7/80031-9279/99/0707-69$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 1999

Abb. 1:In Ruthe bei Han-nover steht derdeutsch-britischeGravitationswel-lendetektor GEO600. In zwei 600Meter langen Va-kuumröhren befin-den sich die Spie-gel des Michelson-Interferometers.Am Berührungs-punkt der beidenArme sind die La-serquellen und dieAnsteuerelektronikuntergebracht.

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Preisträger

mit anderen astronomischen Methoden auch dannnoch erfaßt werden, wenn die elektromagnetischenBeobachtungsverfahren allein uns keinen Aufschlußgeben.

GravitationswellenDie Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt Gravi-

tation als die durch Massen verursachte Krümmungdes Raumes. Das Raum-Zeit-Intervall ds wird nunnicht mehr durch die Minkowski-Metrik hmn bestimmt,sondern hat die allgemeinere Form

wobei in der Metrik gmn die gesamte Information überdie Raum-Zeit-Krümmung liegt. Bei schwachen Gra-vitationsfeldern ist es sinnvoll, die Metrik in der Form

zu schreiben, wobei hmn die Abweichung von der Min-kowski-Metrik repräsentiert. In der sogenannten TT-Eichung (transverse traceless, transversal und spurfrei)wird die linearisierte Schwachfeldnäherung der Ein-steinschen Feldgleichung zu einer Wellengleichung1)

für hmn:

Weit entfernt von der Quelle nimmt hmn die Formebener Quadrupolwellen mit zwei voneinander unab-hängigen transversalen Polarisationen an, die durcheine 45°-Drehung ineinander übergehen und durch +oder } bezeichnet werden.

Die Veränderung der Metrik durch eine Gravitati-onswelle läßt sich experimentell als eine Veränderungder Lichtlaufzeit zwischen zwei frei fallenden Massenerfassen. Äquivalent kann man auch von einer Ände-rung ihres (durch die Lichtlaufzeit bestimmten) Ab-standes sprechen, wobei die relative Abstandsänderungdl/l bei geeigneter Ausrichtung der Massen der Ampli-tude der Gravitationswelle entspricht. Eine sich in z-Richtung ausbreitende, +-polarisierte Gravitationswelleerzeugt in x- und y-Richtung einander entgegengesetzterelative Längenänderungen mit der Amplitude

.

Durch einfache Überlegungen kann man die Stärkeeiner Gravitationswelle abschätzen, welche ein auszwei gleichartigen Partnern bestehendes Doppelstern-system emittieren würde. Die Amplitude der Welle imAbstand R ergibt sich zu

wobei r0 der halbe Abstand der Sterne ist und ri= 2GMi /c2 ihre jeweiligen Schwarzschild-Radien sind,d. h. die Radien, bei welchen die Fluchtgeschwindigkeitder Massen gleich der Lichtgeschwindigkeit wird. EinDoppelsternsystem aus zwei Neutronensternen derChandrasekhar-Masse, also etwa der 1,4-fachen Son-nenmasse M� = 3�1030 kg, die sich bis auf etwa 20 kmeinander angenähert haben, rotiert mit etwa 400 Hz.Befände sich ein solches System im uns nächsten Gala-xienhaufen, dem Virgo-Cluster, im Abstand von etwa50 Millionen Lichtjahren, so erwarteten wir auf derErde eine Gravitationswellenamplitude h � 1�10–21.

hr rr RS S≈ 1 2

0,

dll

h=

2

∇ − ∂∂

FHG

IKJ

=22

2

2

10

c thmn .

g hmn mn mnh= +

ds g dx dx2 = ∑ mnmn

m n ,

So klein diese erscheint – sie entspricht einer Längen-änderung von einem Tausendstel Protonenradius jeKilometer –, diese oder sogar geringere Amplitudenwerden für die erdgebundenen interferometrischenDetektoren in ihrer ersten Betriebsphase auflösbarsein.

Quellen der Gravitationswellen Zu den wichtigsten Quellen für Gravitationswellen

gehören jene Supernova-Explosionen (Typ II), diedurch den Kollaps eines überalterten Sterns hervorge-rufen werden [3]. Dabei entsteht entweder ein Neutro-nenstern oder ein Schwarzes Loch (eine „Schwarz-schild-Singularität“). Ein solcher Kollaps setzt gewal-tige Mengen an Energie frei, mindestens in der Größeder Bindungsenergie eines Neutronensterns, ungefähr0,15 M�c2. Wird nur ein knappes Prozent dieser Ener-gie im richtigen Frequenzband in Gravitationswellenabgestrahlt, so sollten die Detektoren der ersten Gene-ration dieses Signal auch noch aus der Entfernung desVirgo-Clusters empfangen können. Der Empfang einessolchen Signals wird uns in Zusammenhang mitzukünftigen numerischen Simulationen erstmals ver-läßliche Informationen über die Vorgänge im Innereneiner Supernova geben.

Eine wichtige Quelle von Gravitationswellen sindDoppelsternsysteme aus Neutronensternen oderSchwarzen Löchern. Da sich die spiralförmige Annähe-rung der beiden Partner relativ einfach berechnen läßt,ist es einfacher, die Gravitationswellenemission einesDoppelsternsystems zu finden als die einer Supernova.Bedeutende Emission von Gravitationswellen erwartetman von den letzten Phasen der Annäherung, wenn dieSterne die letzte stabile Umlaufbahn verlassen und mit-einander verschmelzen. Diese Phasen sind heute nochnicht genau berechenbar, so daß die Auffindung einesBinärsystems am Ende seiner Spiralphase uns neueastrophysikalische Erkenntnisse liefern wird.

Über die Häufigkeit solcher Zusammenstürze ist nurwenig bekannt. Astronomen gehen von einem Ereignispro Galaxie in 104 bis 106 Jahren aus (Der Virgo-Clu-ster besteht aus einigen tausend Galaxien). Die Emp-findlichkeit der ersten Generation von Detektoren wirdwahrscheinlich nur dann in der Lage sein, solche Dop-pelsternsysteme zu erfassen, wenn einer der Partnerein Schwarzes Loch ist und dadurch im Vergleich zuDoppelneutronensternen eine vierfach höhere Leistungemittiert wird. Man rechnet auch hier bestenfalls miteinigen Nachweisen pro Jahr. Gravitationswellendetek-torsysteme der zweiten Generation, voraussichtlichbasierend auf der GEO-600-Technologie, werden etwa2004 in den Vakuumsystemen der großen Observatori-en LIGO und VIRGO installiert werden. Diese Syste-me sollten dann in der Lage sein, hunderte bis tausen-de von Ereignissen pro Jahr zu erfassen und uns somitwichtige Informationen über die Strukturen entfernterGalaxien zu geben.

Doppelneutronensterne strahlen aufgrund ihrer Be-wegung umeinander. Auch einzelne Neutronensterne,isoliert oder im Orbit eines Doppelsterns, können Gra-vitationswellen abstrahlen, wenn sie rotieren, was diemeisten von ihnen tun, und wenn sie außerdem nichtaxialsymmetrisch sind. Abweichungen von der Axial-symmetrie könnten von Irregularitäten in der Krustestammen, die in den sich abkühlenden Stern eingefro-ren wurden, oder sie könnten dynamischer Natur sein.Es gibt zahlreiche Hinweise, daß ein beachtlicher An-

1) hier zur Vereinfa-chung ohne Quellenterm

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teil der Rotationsenergie von Neutronensternen ver-schiedener Konfigurationen in Gravitationswellen ab-gestrahlt wird.

Die GravitationswellendetektionZum Nachweis von Gravitationswellen werden heu-

te zwei unterschiedliche Ansätze verfolgt. Große zylin-der- oder neuerdings kugelförmige Massen, die mecha-nische Resonatoren höchster Güte bilden, könntendurch Gravitationswellen der passenden Frequenz zunachweisbaren Schwingungen angeregt werden [4].

Mit Michelson-Interferometern kann man nebeneiner abstimmbaren schmalbandigen Detektion auchbreitbandige Signale registrieren [5, 6]. Der Nachweisvon Gravitationswellen in diesen Systemen knüpftdirekt an die Raum-Zeit-Krümmung, also die relativeAbstandsänderung mehrerer Raumpunkte untereinan-der, an. Frühe Ideen hierzu sind bereits 1963 in einerVeröffentlichung von Gertsenshtein und Pustovoit zufinden. Erste experimentelle Untersuchungen wurden1970 durch Forward und Weiss durchgeführt.

Die beobachteten Raumpunkte werden durch diePositionen des Strahlteilers und der beiden Endspie-gel2) definiert. Durch die rechtwinklige Anordnung derArme wird eine passend einfallende Gravitationswelleentgegengesetzte Längenänderungen in den Armen ver-ursachen. Diese führen, wenn die Lichtlaufzeit imInterferometer, 2L/c, klein gegen die Periode der Gra-vitationwelle ist, zu einer relativen, zeitabhängigenPhasenverschiebung der interferierenden Teilstrahlen

wobei v0 die Kreisfrequenz des Lichtes ist. Man kannleicht zeigen, daß es bei gegebener Gravitationswellen-frequenz eine optimale Länge der Interferometerarmegibt. Für eine Frequenz von 1000 Hz liegt diese bei150 km. Eine Gravitationswellenamplitude von h =10–21 würde hier bei einer Lichtwellenlänge von 1 mmeine Phasendifferenz in der Größenordnung von 10–9

Radian erzeugen.

Das Interferometer GEO 600 In der Praxis müssen wir jedoch (mit einer Ausnah-

me, siehe unten) mit erheblich kürzeren Armlängenauskommen. Zur Zeit werden in den USA zwei Inter-ferometer mit je 4 km Armlänge (LIGO) und in Italienin einer italienisch-französischen Kooperation (VIR-GO) eines mit 3 km Armlänge erstellt. Auch für dasdeutsch-britische Gemeinschaftsprojekt GEO war ur-sprünglich eine Länge von 3 km geplant. Aus finanziel-len Gründen muß GEO 600 jedoch mit 600 m Armlän-ge auskommen, kann dieses Defizit aber zur Zeit nochdurch den Einsatz einer gegenüber LIGO und VIRGOfortschrittlicheren Interferometertechnologie wiederwett machen. Ein nennenswerter Prototyp ist der japa-nische 300-m-Detektor (TAMA 300) als Technologie-Studie für einen möglichen 3-km-Detektor [11].

Zur Messung der geringen Einflüsse von Gravitati-onswellen dürfen Strahlteiler und Spiegel in den Inter-ferometerarmen durch keinerlei störende Kräfte beein-flußt werden. Daher werden sie bei GEO 600 an aktivkontrollierten Dreifachpendel-Konstruktionen aufge-hängt, die ihrerseits speziell stabilisierte Verankerun-gen haben. Seismische und akustische Störungen mitFourier-Frequenzen oberhalb der Pendelresonanzen(1 – 10 Hz) werden um etwa neun Größenordnungen

df v( ) ( ) ,tLc

h t≅ 2 0

pro Frequenzdekade unterdrückt. Die Massen bewegensich bei hohen Frequenzen praktisch frei im Gravita-tionsfeld.

In den Interferometern machen sich jedoch weiterefundamentale Meßgrenzen bemerkbar. Das Schrotrau-schen des Lichts im Interferometer erzeugt Phasenfluk-tuationen df̃sn, die einen verrauschten Signalunter-grund h̃sn erzeugen

Zur Reduzierung des Schrotrauschenuntergrunds auf10–21/Hz1/2 müssen bei einer Armlänge von 600 m meh-rere Kilowatt Lichtleistung (P) in das Interferometereingebracht werden. Auch an die Amplituden- undPhasenstabilität des Lichtes werden erhebliche Anfor-derungen gestellt. Da diese zur Zeit mit einem Multi-kilowatt-Laser technisch noch nicht erfüllbar sind, be-

nutzt GEO 600 fortschrittliche Interferometer-Tech-niken, die in den letzten Jahren in Deutschland undSchottland entwickelt wurden. Auf diese Weise rücktder Nachweis von Gravitationswellen trotz der gerin-gen Baulänge und Laserleistung in greifbare Nähe.

Die Arme des Interferometers (Abb. 2) sind in sichgefaltet, so daß eine optische Länge L von 1200 m ent-steht. Die Armlängen des Interferometers werden soeingestellt, daß das Licht am Ausgang des Interfero-meters destruktiv interferiert, sämtliches Licht also inRichtung Lichtquelle zurückreflektiert wird (dark fringeoperation). Somit kann durch Einbringen eines geeigne-ten Spiegels vor den Interferometereingang ein Fabry-Perot-Resonator hoher Finesse (F = 6000) gebildet wer-den, der das gesamte Michelson-Interferometer alsEndspiegel hat. Die resonatorinterne Leistungsüber-höhung P ≅ (F/p) P0 generiert aus 5 W Laserleistung P0

etwa 10 kW Lichtleistung im Michelson-Interferometer– dies ist das sogenannte power recycling. Im Frequenz-raum betrachtet erzeugen Armlängenänderungen des

df v

v

~ ,

~.

sn

sn

=

=

2

2

0

0

P

hcL P

2) Bei gefalteten Armen(siehe Abb. 2) die Posi-tionen von Strahlteiler,Faltungsspiegel und End-spiegel.

Abb. 2: Der Gravitationswellendetektor GEO 600 besteht aus einemMichelson-Interferometer mit 600 m Armlänge. Durch den teil-reflektierenden Power-Recycling-Spiegel wird das Licht im In-terferometer resonant verstärkt und die Empfindlichkeit erhöht.Unter dem Einfluß einer passend einfallenden Gravitationswel-le ändern sich die Armlängen periodisch mit der Frequenz derGravitationswelle. Dadurch werden dem Signal Frequenz-Sei-tenbänder aufmoduliert, die man am Interferometer-Ausgangherausfiltern und detektieren kann.

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Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 7/872

Preisträger

Interferometers im zirkulierenden Licht Seitenbänder,die durch den Interferometerausgang zum Detektor ge-langen können. Wird ein zusätzlicher teildurchlässigerSpiegel im Signalausgang positioniert, kann man Sei-tenbänder, die durch Gravitationswellen einer wählba-ren Frequenz erzeugt werden, resonant überhöhen.Durch die Überhöhung G(f) läßt sich die Empfindlich-keit des Detektors in wählbaren Frequenzintervallennochmals vergrößern (signal recycling). Der effektive

Rauschuntergrund beträgt nun:

Eine weitere für GEO 600 be-deutsame und nicht weniger funda-mentale Begrenzung der Detektor-empfindlichkeit liegt in der thermi-schen Anregung der Massen undihrer Aufhängungen, die sich imthermischen Gleichgewicht mit derUmgebung befinden. Das thermi-

sche Rauschen wird bei GEO durch ein spezielles dis-sipationsarmes Design mit monolithischen Spiegelauf-hängungen aus synthetischem Quarzglas reduziert, in-dem die Anregungsenergie zu Resonanzen außerhalbdes Meßfensters verschoben wird. Die erwartete fre-quenzabhängige Gesamtempfindlichkeit ist in Abb. 3dargestellt.

Es ist naheliegend, daß die Empfindlichkeit ent-scheidend von der technischen Qualität aller Kompo-nenten des Detektors abhängt. Im folgenden soll je-doch nur auf die Lichtquelle als Schlüsselkomponenteder Interferometrie eingegangen werden.

Das Lasersystem für GEO 600In einem idealen, einfachen

Michelson-Interferometer mitexakt gleich langen Armen undunendlich schweren und starrenSpiegeln sowie verschwindenderStreuung und Absorption sind anden Laser neben der gefordertenGrundmodeleistung, Strahlform-und Strahllagestabilität praktischkeine Anforderungen gestellt. DieFluktuationen im Intensitätsprofildes Laserstrahls werden bei GEO600 durch zwei 8 m lange, hochsta-bile Ringresonatoren in Transmis-sion (mode cleaner, Modenfilter)reduziert.

Es sind überwiegend die techni-schen Grenzen beim Bau eines In-terferometers, die sich in weiterenStabilitätsanforderungen an dieLichtquelle niederschlagen. So ver-wandelt eine geringe Längendiffe-renz der beiden Arme (die zurgleichzeitigen aktiven Stabilisie-rung des Interferometers und dessignal-recycling-Resonators ge-braucht wird) sowie Streuung inden optischen Komponenten (we-nige 10–6) eine Frequenzfluktuationsofort in ein Störsignal. WinzigeAbweichungen vom Arbeitspunkt

~( )

( ).h f

G fcL FP

≅ 12 0 0

� pv

des Interferometers und Strahlungsdruckvariationenauf den Spiegeln endlicher Masse machen das Systemauf Leistungsfluktuationen empfindlich.

Der Power-Recycling-Resonator reduziert hier dieAnforderungen an die Lichtquelle wieder etwas, indemer für Lichtfluktuationen wie ein 10-Hz-Tiefpaß wirkt.Trotzdem dürfen im Arbeitsbereich von 50 Hz bis1000 Hz vor dem Power-Recycling-Resonator Fre-quenzfluktuationen (dn) von 2�10–4 Hz/Hz1/2 bei 50 Hzbis 4�10–4 Hz/Hz1/2 bei 1000 Hz und relative Inten-sitätsfluktuationen (RIN) von 5�10–8/Hz1/2 bis 2�10–7/Hz1/2 nicht überschritten werden. Dieses Ziel läßt sicherreichen, indem ein Lasersystem mit hoher Grundsta-bilität dn (10 mHz/Hz1/2 und RIN ≅ 1�10–6/Hz1/2 bei 50 – 1000 Hz) an die Frequenz des Power-Recycling-Resonators angekoppelt und aktiv intensitätsstabilisiertwird.

Zum Aufbau eines solchen hochstabilen Laser-systems bieten sich diodengepumpte Festkörperlaseran. Aufgrund ihrer hohen Effizienz und Ausgangs-leistung sowie ihrer großen Lebensdauer und War-tungsfreiheit haben sich diodengepumpte Neodym:Yttrium-Aluminium-Granat (Nd:YAG)-Laser bereits invielen Variationen in Forschung und Industrie eta-bliert. Gerade Systeme höherer Leistung sind jedochaus vielen diskreten Komponenten aufgebaut undschließen gasgefüllte Hohlräume ein. Häufig bestehtzudem die Notwendigkeit einer direkten, turbulentenWasserkühlung des Laserstabes (Abb. 4a). All diesführt zu einer Einkopplung erheblicher, teils breitban-diger, teils resonant überhöhter Störungen. Hier bietenkleine monolithische Laser, die Resonator und Verstär-kungsmedium in einem kleinen Einkristall vereinen,

Abb. 3: Spektrale Rausch-dichte des GEO600-Detektors.Verschiedene Pro-zesse im Interfero-meter führen zueinem Signalrau-schen, das einemrelativen Längen-rauschen ent-spricht. Das limi-tiert die Auflösbar-keit von durchGravitationswellenerzeugten Län-genänderungen.

Abb. 4: � a) Laserkopf eines mit fasergekoppel-ten Dioden transversal gepumpten Hoch-leistungslasers. Der Laserstab mit 4 mmDurchmesser (im Bild rötlich) ist voneinem kühlwasserführenden Glasrohrumgeben. An der Seite befinden sichGlasfasern, durch die das Pumplicht her-angeführt wird, und Reflektoren für einebessere Ausnutzung des Pumplichtes. � b) Der monolithische Nd:YAG-Minia-tur-Ringlaser. Der aplanare Ringresona-

tor und das Verstärkungsmedium sind ineinem Einkristall kombiniert.� c) Laserkopf des GEO 600-Leistungs-lasers. Der Laserstab wird ausschließlichkonduktiv gekühlt. � d) Aluminium-Prototyp für den Reso-natorblock des GEO 600 Leistungslasers.Die Spiegel werden von außen festste-hend aufgebracht. Ausfräsungen erlaubendie Lichtpropagation und das Einbringender Laserkristalle.

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einen Ausweg. Sie sind durch ihr Design sehr unemp-findlich gegen akustische Einflüsse und schließengleichzeitig strömungsbedingte Störungen im Resona-tor aus.

Der monolithische Nd:YAG-Miniatur-Ringlaser [7, 8] (Abb. 4b), dessen Prinzip in allen Gravitations-welleninterferometern genutzt wird, besticht hierbeidurch sein ausgefeiltes Konzept und doch einfachenAufbau. Der aplanare Ringresonator wird durch dreiinnere Totalreflexionen an den geschliffenen End-flächen des Kristalls und eine spezielle dielektrischeBeschichtung an der Kristallstirnfläche erzeugt. DerLaser emittiert in nur einer einzigen longitudinalenund transversalen Mode mit höchster passiver Fre-quenzstabilität. Durch Aufbringen kleiner Piezokristal-le und Peltier-Elemente läßt sich der Laser zusätzlichhervorragend aktiv frequenzstabilisieren.

Für GEO 600 wird ein solcher Ringlaser mit 800 mWAusgangsleistung auf einen im Vakuum aufgehängtenund elektronisch positionsstabilisierten ULE-Referenz-resonator3) stabilisiert (Abb. 5). Zur Erhöhung derSystemausgangsleistung auf über 10 W wird ein plana-rer Ringlaser höherer Leistung als „Slave-Laser“ an denMonolith-Laser („Master-Laser“) angekoppelt (injec-tion locking). Der Leistungslaser verliert seine Eigen-schaften als eigenständiger Oszillator und übernimmtteilweise die Eigenschaften des Monolithen; so werdenseine Frequenzfluktuationen im Vergleich zum freilau-

fenden Betrieb bei niedrigen Frequenzen um vieleGrößenordnungen reduziert und die Relaxationsoszilla-tionen unterdrückt [9, 10]. Um die Anforderungen fürdie Gravitationswellendetektion zu erfüllen, muß je-doch schon vorher eine möglichst hohe Eigenstabilitätdes Leistungslasers gewährleistet sein. Daher wurdeein endgepumptes System gewählt, das wegen seinerhohen Effizienz (12 W bei 34 W Pumpleistung) unddem Einsatz fasergekoppelter Diodenlaser ohne aktiveKühlung in Resonatornähe (Abb. 4c) auskommt. DerEinsatz von nur zwei Diodenarrays mit moderater Lei-stungsaufnahme ermöglicht eine gute aktive Kontrolleder Leistung. Um eine hohe passive Stabilität zu errei-chen, wird ein quasimonolithischer Resonatorblock(Abb. 4d) eingesetzt, auf dem drei von vier Spiegelnfest montiert sind, wodurch die Störempfindlichkeitdrastisch reduziert wird. Der vierte Spiegel ist auf einerschnellen Piezomechanik befestigt, so daß eine aktiveFrequenzregelung möglich wird.

Nach Plan wird der GEO 600-Detektor zur Weltaus-stellung EXPO 2000 in Hannover in Betrieb gehen, umuns in der darauffolgenden Zeit den weltweit ersten di-rekten Nachweis von Gravitationswellen zu ermögli-chen. Für das Jahr 2009 planen ESA und NASA denStart eines weltraumgestützen Interferometers (LISA)mit über 5 Mio. km Armlänge zur Beobachtung vonniederfrequenten Gravitationswellen (10–4 Hz bis 1 Hz)[11]. Das GEO-Team wird dabei sein.

Literatur[1] K. Danzmann et al. in: E. Coccia, G. Pizzella, F. Ronga

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3) ULE ist eine Marken-name von Corning Glass

Abb. 5: Das GEO 600-Lasersystem muß Laserlicht mit höchster Fre-quenzstabilität und möglichst hoher Leistung zur Verfügungstellen. Als „Master-Laser“ dient ein monolithischer Ringlaser(Abb. 4b), dessen hohe Frequenzstabilität durch „injection-locking“ auf den „Slave-Laser“ übertragen wird. Der Slave-Laser verstärkt die Leistung um mehr als das zehnfache.