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Jules Verne Robur der Sieger Mit 45 Illustrationen von Léon Benett

Robur der Sieger

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  • Jules Verne

    Robur der SiegerMit 45 Illustrationen von Lon Benett

  • Titel der Originalausgabe: Robur-le-Conqurrant (Paris 1886)

    Nach zeitgenssischen bersetzungen berarbeitet von Gnter Jrgensmeier

  • 1. KAPITELWorin die gelehrte Welt sich ebenso-wenig Rat wei wie die ungelehrte

    Paff ! . . . Paff !Zwei Pistolenschsse knallten zu gleicher Zeit. Eine Kuh,

    die eben in der Entfernung von 50 Schritten vorbertrabte, bekam eine Kugel ins Rckgrat . . . dabei ging sie die Sache doch gar nichts an.

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    Von den beiden Gegnern war keiner getroffen worden.Wer waren jene beiden Herren? Niemand wei es, und

    gerade hier wre ja Gelegenheit gewesen, ihre Namen der Nachwelt zu berliefern. Es lt sich ber sie nichts weiter sagen, als da der ltere ein Englnder, der jngere Duellant ein Amerikaner war. Desto leichter lt sich die rtlichkeit bestimmen, an der jener unschuldige Wiederkuer eben sein letztes Grasbndelchen abgeweidet hatte; sie ist nm-lich am rechten Ufer des Niagara und unweit der Hngebr-cke zu suchen, die 3 Meilen unterhalb der berhmten Flle das kanadische Ufer mit dem amerikanischen verbindet.

    Der Englnder schritt jetzt auf den Amerikaner zu.Ich bleibe nichtsdestoweniger dabei, da es die Melodie

    von Rule Britannia war, sagte er.Nein, der Yankee Doodle ! versetzte der andere.Der Streit schien aufs neue entbrennen zu sollen, als sich

    einer der Zeugen ohne Zweifel im Interesse des weiden-den Viehs mit den Worten einmischte:

    Nehmen wir an, es wre der Rule Doodle und der Yankee Britannia gewesen und begeben wir uns nun zum Frhstck.

    Dieser Kompromi zwischen den beiden Nationalgesn-gen Amerikas und Grobritanniens wurde zur allgemeinen Befriedigung angenommen. Lngs des linken Niagara-Ufers zurckwandelnd, beeilten sich Amerikaner und Englnder, an der einladenden Tafel des Hotels auf Goat Island ei-nem neutralen Gebiet zwischen den beiden Fllen Platz zu nehmen. Whrend ihrer Beschftigung mit gekochten

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    Eiern und dem landesblichen Schinken mit kaltem Roast-beef, einem Zwischengericht von im Mund fast brennen-den Pickles und mit Hochfluten von Tee, welche die welt-bekannten Wasserflle eiferschtig machen knnten, wollen wir sie nicht weiter stren, zumal kaum anzunehmen ist, da von ihnen im Laufe dieser Erzhlung noch ferner die Rede sein wird.

    Wer hatte nun recht der Englnder oder der Ameri-kaner? Es wre schwer gewesen, diese Frage zu entschei-den. Jedenfalls liefert jenes Duell den Beweis fr die leiden-schaftliche Erregung der Geister nicht allein in der Neuen, sondern auch in der Alten Welt, und zwar ber ein Ereignis oder eine unerklrliche Erscheinung, die seit etwa einem Monat alle Kpfe verwirrte.

    . . . Os sublime dedit coelumque tueri hat Ovid einst zu Ehren der Menschheit gesungen. In der Tat hatte man seit dem Erscheinen des ersten Menschen auf der Erdkugel noch niemals den Himmel so vielfach betrachtet.

    Gerade in der vorhergegangenen Nacht hatte nmlich eine Trompete aus der Luft ihre metallenen Tne herabge-schmettert ber denjenigen Teil von Kanada, der sich zwi-schen dem Ontario- und dem Eriesee ausdehnt. Die einen hatten daraus den Yankee Doodle, die anderen das Rule Britannia zu hren vermeint, daraus entstand auch obiger angelschsischer Zweikampf, der mit dem Frhstck auf Goat Island endete. Vielleicht war es weder der eine, noch der andere Nationalgesang gewesen; nur darber herrschte bei niemand ein Zweifel, da die betreffenden Tne die Ei-

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    gentmlichkeit gehabt hatten, als schienen sie vom Himmel zur Erde herniederzusteigen.

    Sollte man etwa gar an eine Himmelsposaune denken, die ein Engel oder ein Erzengel geblasen htten? . . . Wa-ren es nicht vielmehr lustige Luftschiffer gewesen, die sich des sonoren Instruments bedienten, von dem die Reklame so ausgebreiteten Gebrauch macht? Nein, von einem Bal-lon, von Luftschiffern konnte nicht die Rede sein. In hohen Himmelsregionen vollzog sich ein auergewhnliches Er-eignis, dessen Natur und Ursprung kein Mensch zu entrt-seln vermochte. Heute zeigte es sich ber Amerika, 24 Stun-den spter ber Europa, 8 Tage spter in Asien ber dem Himmlischen Reich. Wenn die Trompete, die das Vorber-ziehen jener Erscheinung ankndigte, nicht die des Jngs-ten Gerichts war, welche, ja, welche war es dann?

    In allen Landen der Erde, in Knigreichen wie in Repu-bliken, entstand deshalb eine gewisse Unruhe, die gestillt werden mute. Vernimmt einer in seinem Haus eigentm-liche und unerklrliche Gerusche, wrde er nicht schnells-tens deren Ursache zu ermitteln suchen, und wenn das ver-geblich wre, wrde er nicht sein Haus verlassen, um ein anderes zu bewohnen? Ganz sicherlich! Hier war das Haus freilich die Erdkugel, und es gab doch kein Mittel, diese zu verlassen und etwa mit dem Mond, Mars, Venus, Jupiter oder einem anderen Planeten des Sonnensystems zu ver-tauschen.

    Es galt demnach unbedingt, aufzuklren, was im unend-lichen leeren Raum, doch innerhalb der Erdatmosphre,

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    vorging. Ohne Luft ist ja ein Gerusch unmglich, und da man hier eines vernahm immer jene fast sagenhafte Trompete mute die Erscheinung auch in der Lufthlle stattfinden, deren Dichte sich nach oben zu immer mehr vermindert und die sich ber unserem Sphroid nur wenige Meilen hoch verbreitet.

    Natrlich bemchtigten sich die Tagesbltter der vorlie-genden Frage, behandelten sie unter allen Gesichtspunkten, beleuchteten oder verdunkelten sie, berichteten falsche oder wahre Tatsachen, erregten oder beruhigten die Leser im In-teresse der Hhe ihrer Auflage und wiegelten endlich die schon halb verwirrten Massen nicht wenig auf. Welch ein Wunder! Die Politik hatte den Laufpa erhalten und die Geschfte gingen deshalb doch nicht schlecht. Aber um was handelte es sich berhaupt?

    Man befragte alle groen Observatorien der ganzen Welt. Wenn diese keine Antwort gaben, wozu ntzten dann solche Observatorien eigentlich? Wenn die Astronomen, die selbst in der Entfernung von 100.000 Millionen Meilen noch einen Lichtpunkt zu zwei und drei Sternen aufzulsen vermgen, nicht imstande waren, den Ursprung einer kos-mischen Erscheinung zu ergrnden, die nur wenige Kilo-meter ber ihnen auftrat, wozu hatte man Astronomen?

    Man knnte auch in der Tat kaum schtzungsweise an-geben, wieviel Teleskope, Brillen, Fernrohre, Lorgnetten, Bi-nokel oder Monokel whrend der schnen Sommernacht nach dem Himmel gerichtet waren, noch wie viele Augen sich vor die Okulare und Instrumente von jeder Art und

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    Vergrerung hefteten. Vielleicht mehrere Hunderttau-send, und das ist nur gering angeschlagen. Zehnmal mehr, als man am Firmament mit unbewaffnetem Auge sichtbare Sterne zhlt. Nein, noch keiner, auf allen Punkten der Erd-kugel gleichzeitig beobachteten Sonnenfinsternis hatte man eine solche Ehre angetan!

    Die Observatorien antworteten, aber unzulnglich. Jedes gab seine Meinung ab, die stets von der aller anderen ab-wich, so da sich daraus whrend der letzten Wochen des April und der ersten des Mai ein wirklicher Brgerkrieg un-ter der Gelehrtenwelt entwickelte.

    Das Observatorium von Paris erwies sich sehr zurck-haltend. Keine seiner Abteilungen sprach sich entschieden aus. In der Abteilung fr mathematische Astronomie hatte man es fr unter seiner Wrde gehalten, Beobachtungen an-zustellen; in der fr die Meridianmessung hatte man nichts entdeckt; in der fr physikalische Beobachtungen hatte man nichts wahrgenommen; in der fr Geodsie nichts be-merkt; in der fr Meteorologie war niemand etwas aufgefal-len; in der fr die Berechnungen hatte man nichts gesehen. Das war wenigstens ein offenes Gestndnis. Dieselbe Offen-herzigkeit bekundete das Observatorium von Montsoucis, wie die magnetische Station im Park Saint-Maur. Dieselbe Achtung vor der Wahrheit bewies das Lngenbro. Nun ja, Frankreich heit ja das Land, wo man frank, d.h. offen spricht.

    Die Provinz war etwas entschiedener in ihrer uerung. Etwa in der Nacht zwischen dem 6. und 7. Mai hatte sich

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    ein Lichtschein elektrischen Ursprungs gezeigt, der 20 Se-kunden nicht berdauerte. Am Pic-du-Midi war er zwi-schen 9 und 10 Uhr abends beobachtet worden; im mete-orologischen Observatorium des Puy-de-Dme hatte man ihn zwischen 1 und 2 Uhr morgens bemerkt; auf dem Mont Ventoux in der Provence zwischen 2 und 3 Uhr; in Nizza zwischen 3 und 4 Uhr; auf den Semnoz-Alpen endlich zwi-schen Annecy, le Bourget und dem Genfer See im dem Au-genblick, als der Tagesschimmer sich eben bis zum Zenit erhob.

    Offenbar konnte man diese Beobachtungen unmglich in Bausch und Bogen verwerfen. Es unterlag keinem Zwei-fel, da der Lichtschein an verschiedenen Punkten, und zwar im Verlauf einiger Stunden, wahrgenommen worden war. Er ging also entweder von mehreren Herden aus, die sich durch die Erdatmosphre hinbewegten, oder, wenn er nur einem einzigen angehrte, so mute dieser sich mit ei-ner Schnelligkeit fortbewegen, die nahezu 200 Kilometer in der Stunde erreichte.

    Hatte man denn aber im Laufe des Tages niemals etwas besonderes in der Luft bemerkt?

    Nein, niemals.Erklang nicht wenigstens jene Trompete einmal durch

    die Luftschichten?Nein, zwischen Aufgang und Untergang der Sonne hatte

    man nicht den leisesten Ton gehrt.Im Vereinigten Knigreich Grobritannien wute man

    nicht mehr aus noch ein. Die Observatorien gelangten zu

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    keinerlei bereinstimmung. Greenwich konnte sich nicht mit Oxford verstndigen, obwohl beide die Behauptung aufstellten, an der ganzen Sache sei nichts.

    Eine Gesichtstuschung! meinte das eine.Eine Gehrstuschung! erwiderte das andere.Darber lagen sie im Streit; auf eine Tuschung lief es

    jedoch allemal hinaus. Die Verhandlungen zwischen den Sternwarten zu Berlin und der zu Wien drohten zu interna-tionalen Verwicklungen zu fhren. Ruland bewies ihnen in der Person des Vorstehers seiner Sternwarte zu Pulkowa, da sie beide recht htten, das hnge nur von den Stand-punkten ab, auf die sie sich bezglich Bestimmung der Na-tur jener Erscheinung stellten, die in der Theorie unmg-lich schien und in der Praxis mglich war.

    In der Schweiz, auf der Sternwarte zu Sntis, im Kanton Appenzell, auf dem Rigi, im Gbris, in den Beobachtungs-stationen des St. Gotthard, St. Bernhard, des Julier, des Sim-plon, in denen von Zrich und des Sonnblick in den Hohen Tauern, befleiigte man sich einer ganz besonderen Zu-rckhaltung gegenber einer Tatsache, die bisher niemand zu bekrftigen vermocht hatte was gewi recht vernnftig zu nennen ist.

    In Italien dagegen, auf den meteorologischen Stationen des Vesuvs und des tna, welch letzere sich in der alten Casa Inghlese befindet, wie auf dem Monte Cavo, zger-ten die Beobachter nicht im geringsten, die Wirklichkeit jener Erscheinung anzuerkennen, und das aufgrund des Umstands, da sie sie einmal am Tag in Form eines kleinen

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    Dampfwlkchens und einmal in der Nacht in Gestalt einer Sternschnuppe hatten wahrnehmen knnen. ber deren ei-gentliche Natur wuten sie freilich ebenfalls nichts.

    In der Tat begann dieses Geheimnis allmhlich die Ver-treter der Wissenschaft zu ermden, erregte dagegen und erschreckte desto mehr die Einfltigen und Unwissenden, die, dank einem hochweisen Naturgesetz, von jeher in die-ser Welt die ungeheure Mehrzahl gebildet haben, noch bil-den und in aller Zukunft bilden werden. Die Astronomen und Meteorologen hatten also schon darauf verzichtet, sich mit der Sache zu beschftigen, als in der Nacht vom 26. zum 27. auf der Sternwarte zu Cantokeino in Finnland, in Nor-wegen, in der Nacht vom 28. zum 29. auf der des Isfjord und auf Spitzbergen, die Norweger auf einer und die Schweden auf der anderen Seite in der Anschauung bereingestimmt hatten, da inmitten einer Art Nordlichtscheins etwas wie ein gewaltiger Vogel oder ein Luftungeheuer sichtbar ge-wesen sei. War es auch nicht gelungen, dessen Struktur ge-nauer zu bestimmen, so unterlag es doch keinem Zweifel, da er kleine Krper ausgeworfen habe, die gleich Bomben mit einem Knall zersprangen.

    In Europa neigte man wohl dazu, die Beobachtungen der Stationen von Finnmarken und Spitzbergen nicht anzu-zweifeln. Ganz besonders merkwrdig erschien freilich, da die Schweden und die Norweger doch einmal ber einen Punkt einig zu sein schienen.

    Man lachte und spottete ber die angebliche Entdeckung auf allen Sternwarten Sdamerikas, in Brasilien und Peru,

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    ebenso wie in La Plata, auf denen von Australien, in Sidney, Adelaide, wie in Melbourne, und das australische Lachen ist bekanntlich sehr ansteckend.

    Nur ein einziger Vorsteher einer meteorologischen Sta-tion verhielt sich zustimmend bei dieser Frage, trotz der Sptteleien, die seine Erklrung hervorrufen mochte. Das war ein Chinese, der Direktor der Sternwarte zu Zi-Ka-Wey, die sich inmitten einer ausgedehnten Ebene, mindestens 10 Lieues vom Meer, erhebt und die bei ungemeiner Klarheit der Luft ein grenzenlos weiter Horizont umschliet.

    Es knnte ja sein, sagte er, da der Gegenstand, um den es sich handelt, ein besonders konstruierter Apparat, eine fliegende Maschine wre.

    Welcher Scherz!Waren die vielfachen Widersprche nun schon in der Al-

    ten Welt sehr lebhaft, so begreift man leicht, wie sie sich in jenem Teil der Neuen Welt gestalten muten, von dem die Vereinigten Staaten das weitaus grte Gebiet einnehmen.

    Ein Yankee liebt bekanntlich keine Umwege er whlt gewhnlich den, der am schnellsten zum Ziel fhrt. So z-gerten auch die amerikanischen Bundesstaaten nicht im mindesten, ihre Ansichten gegenseitig auszusprechen. Wenn sie sich dabei nicht gleich die Objektive ihrer Fernrohre an den Kopf warfen, so kam das nur daher, da sie sie jetzt, wo sie gerade am meisten gebraucht wurden, erst htten wieder ersetzen mssen.

    In dieser so viel Staub aufwirbelnden Frage standen die Sternwarten von Washington D.C. und die von Cambridge

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    im Staat Duna denen des Darmouth College in Connecticut und von Ann-Arbor in Michigan feindlich gegenber. Ihr Streit betraf brigens nicht die Natur des beobachteten Kr-pers, sondern die genaue Zeit der Beobachtung, denn alle behaupteten, ihn in derselben Nacht, zu derselben Stunde, zur gleichen Minute und Sekunde wahrgenommen zu ha-ben, obwohl die Flugbahn des geheimnisvollen Wanderers der Lfte nur in miger Hhe ber dem Horizont liegen sollte. Von Connecticut bis Michigan, von Duna nach Co-lumbia ist aber die Entfernung so gro, da eine doppelte Beobachtung zu ein und demselben Zeitpunkt als unmg-lich angesehen werden konnte.

    Dudley in Albany, New York, und West-Point, die Mili-trakademie, gaben allen ihren Kollegen unrecht in einer Zuschrift, welche die gerade Aufsteigung und die Deklina-tion des bewuten Krpers bestimmte.

    Spter stellte sich jedoch heraus, da diese Beobach-ter einem Irrtum unterlegen waren und da der betref-fende Krper nur eine Feuerkugel gewesen war, die durch die mittleren Luftschichten hinblitzte. Um diese Feuerkugel handelte es sich aber offenbar nicht. Wie knnte auch eine solche Feuerkugel eine Trompete geblasen haben?

    Was nun die erwhnte Trompete anging, versuchte man vergeblich deren schmetternden Ton als eine einfache Ge-hrstuschung hinzustellen. Jedenfalls hatten sich bei die-ser Gelegenheit die Ohren der Leute ebensowenig getuscht wie deren Augen. Unzhlige Beobachter hatten vielmehr entschieden etwas gesehen und gleichzeitig gehrt. In der

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    sehr dunklen Nacht vom 12. zum 13. Mai war es den Be-obachtern des Yale College an der Hochschule von Sheffield sogar gelungen, einige Takte eines musikalischen Satzes in A-dur und im Viervierteltakt in Noten zu fixieren, die voll-kommen mit einem Teil der Melodie des bekannten Chant du dpart eines Soldatenlieds zum Auszug zum Kampf bereinstimmten.

    Sehr schn! riefen dazu die Witzbolde, da htten wir ja ein franzsisches Orchester, das seine Weisen mitten in der Luft ertnen lt!

    Scherzen heit aber nicht antworten. Diese Bemerkung machte auch das von der Atlantic Iron Works Company ge-grndete Observatorium zu Boston, dessen Anschauungen in Fragen der Astronomie und Meteorologie fr die ge-lehrte Welt allmhlich schon die Bedeutung von Gesetzen gewann.

    Ferner gab auch noch das, dank der Freigebigkeit des Mr. Kilgoor im Jahre 1870 auf dem Berg Lookout entstandene Observatorium von Cincinnati eine Erklrung ab, jenes In-stitut, das sich durch seine mikrometrischen Messungen der Doppelsterne so vorteilhaft bekanntgemacht hat. Sein Di-rektor sprach sich in vollem guten Glauben dahin aus, da den weitverbreiteten Gerchten unzweifelhaft etwas zu-grunde liege, da sich zu nahe aneinanderliegenden Zeiten an sehr verschiedenen Stellen in der Atmosphre ein in Be-wegung befindlicher Krper zeige, da ber dessen Natur, Grenverhltnisse, Geschwindigkeit und Flugbahn aber kein Urteil mglich sei.

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    Da erhielt ein Journal von allergrter Verbreitung, der New York Herald, von einem Abonnenten folgende ano-nyme Mitteilung:

    Noch drfte der Wettkampf unvergessen sein, der vor einigen Jahren herrschte zwischen den beiden Erben der Begum von Ragginahra, dem franzsischen Arzt Sarrasin in seiner Stadt Franceville und dem deutschen Ingenieur Herrn Schultze in seiner Stadt Stahlstadt, die beide im sd-lichen Teil von Oregon, Vereinigte Staaten, angelegt waren.

    Man kann auch nicht vergessen haben, da Herr Schultze in der Absicht, Franceville zu zerstren, ein ungeheures Ge-scho, schon mehr eine Maschine, auf diese Stadt schleu-derte, die sie mit einem Schlag vernichten sollte.

    Noch weniger kann der Vergessenheit verfallen sein, da dieses Gescho, dessen Ausgangsgeschwindigkeit beim Verlassen der Mndung der Monsterkanone falsch berech-net war, mit einer 16mal greren Geschwindigkeit, als ge-whnliche Geschosse nmlich 75 bis 80 geographische Meilen in der Stunde hinweggetragen wurde, da es auf die Erde nicht niedergefallen ist und nach seinem bergang in den Zustand etwa einer Feuerkugel noch jetzt um unse-ren Planeten kreist und in alle Ewigkeit kreisen mu.

    Warum sollte dieses Riesengescho, dessen Vorhan-densein nicht anzuzweifeln ist, nicht der in Frage stehende Krper sein?

    Das war recht scharfsinnig von dem Abonnenten des New York Herald . . . aber die Trompete . . . ? In dem Projek-

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    til des Herrn Schultze hatte sich bestimmt keine Trompete befunden.

    Alle bisherigen Erklrungen erklrten also nichts, alle Beobachter beobachteten einfach falsch.

    Es blieb sonach nur noch die von dem Direktor von Zi-Ka-Wey aufgestellte Hypothese. Aber, mein Gott, der Mann war ja Chinese!

    Man darf nicht etwa glauben, da sich der Bevlkerung der Alten und der Neuen Welt endlich ein gewisser ber-dru bemchtigt htte. Im Gegenteil, die Errterungen dau-erten in gleicher Lebhaftigkeit fort, ohne da irgendwo eine bereinstimmung erzielt wurde. Gleichwohl trat einmal eine Art Pause ein. Es vergingen nmlich einige Tage, ohne da etwas von dem fraglichen Gegenstand, von der Feuer-kugel oder was es sonst war, gemeldet wurde und ohne da sich der bekannte Trompetenton aus der Luft hren lie. War jener Krper also irgendwo auf die Erde niedergefal-len, vielleicht an einem Punkt, der sein Wiederauffinden be-sonders erschwerte etwa gar ins Meer? Lag er jetzt in der unendlichen Tiefe des Atlantischen, des Pazifischen oder des Indischen Ozeans? Wer htte das sagen knnen?

    Da vollzog sich aber zwischen dem 2. und dem 9. Juni eine neue Reihe von Tatsachen, deren Erklrung durch die Annahme eines rein kosmischen Phnomens schlechter-dings unmglich war.

    Im Laufe jener 8 Tage fand man nmlich auf den ent-legensten Punkten eine Fahne gerade an den schwerst zu-gnglichen Stellen von Kirchen usw. befestigt; so wurden

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    die Hamburger berrascht durch eine an der Spitze des Turms von St. Michael, die Trken auf dem hchsten Mi-narett der heiligen Sophien-Moschee, die Einwohner von Rouen an der Spitze des metallenen Pfeils ihrer Kathedrale, die Straburger am obersten Punkt des Mnsters, die Ame-rikaner auf dem Kopf ihrer Bildsule der Freiheit am Ein-gang des Hafens und am Gipfel des Washington-Denkmals in Boston, die Chinesen an der Spitze des Tempels der 500 Geister in Canton, die Hindus am 16. Stockwerk der Pyra-mide des Tempels zu Tanjur, die Rmer am Kreuz des St. Pe-ters-Doms, die Englnder am Kreuz der St. Pauls-Kirche in London, die gypter an der obersten Spitze der Pyramide von Gizeh, die Wiener an dem Reichsadler auf der Spitze des St. Stephansturms, die Pariser am Blitzableiter des 300 Meter hohen eisernen Turms der Ausstellung von 1889 und noch andere mehr.

    Diese Fahne aber zeigte ein schwarzes Flaggentuch, das in der Mitte eine goldene Sonne und ringsum verstreut ein-zelne Sterne enthielt.

    2. KAPITELWorin die Mitglieder des Weldon-Instituts miteinander streiten, ohne zu einer bereinstimmung zu gelangen

    Und der erste, der das Gegenteil behauptet . . .Oho, das wird man behaupten, wenn ein Grund dafr

    vorliegt!

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    Und auch trotz Ihrer Drohungen! . . .Achten Sie auf Ihre Worte, Bat Fyn!Und Sie auf die Ihren, Onkel Prudent!Ich bleibe dabei, da sich die Schraube nur am Heck

    befinden darf !Wir auch! Wir auch! erschallten 50 Stimmen wie aus

    einer Kehle.Sie mu am Bug sein! rief Phil Evans.Am Bug! brllten 50 andere Stimmen ebenso stark,

    wie jene frheren.Wir werden nie zu ein und derselben Ansicht kom-

    men!Niemals! . . . Niemals!Nun, warum streiten wir dann berhaupt noch?Das ist kein Streit . . . es ist nur eine Errterung!Das htte freilich kein Mensch geglaubt, der die scharfe

    Entgegnung, die Vorwrfe und das Geschrei hrte, die den Sitzungssaal seit einer guten Viertelstunde erfllten.

    Gedachter Saal war nmlich der grte des Weldon-Ins-tituts . . . und jenes vor allen berhmten Clubs in der Walnut Street zu Philadelphia, Pennsylvania, Vereinigte Staaten von Nordamerika.

    In genannter Stadt war es erst am Vortag bei Gelegen-heit der Wahl eines Gaslaternenanznders zu ffentlichen Kundgebungen, geruschvollen Versammlungen und zu reichlich ausgeteilten Schlgen gekommen. Daher rhrte eine noch nicht besnftigte Reizbarkeit und stammte wohl auch jene auergewhnliche Erregung, welche die Mitglie-

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    der des Weldon-Instituts eben zeigten. Und hierbei handelte es sich nur um eine einfache Vereinigung von Ballonisten, die ber die noch heutigentags brennende Frage der Lenk-barkeit der Ballons verhandelten.

    Der Vorgang aber spielte sich in einer Stadt der Verei-nigten Staaten ab, die an schneller Entwicklung selbst New York, Chicago, Cincinnati und San Francisco berholt hat einer Stadt, die weder ein Hafenplatz, noch der Mittelpunkt von Petroleum- oder Steinkohlenbergwerken, auch kein Brennpunkt der Industrie, so wenig wie der Kreuzungs-punkt eines vielstrahligen Bahnnetzes ist in einer Stadt, die an Gre schon Manchester, Edinburgh, Liverpool, Wien, Petersburg und Dublin bertrifft einer Stadt, die einen Park besitzt, in dem die sieben Parks der Hauptstadt von England zusammen Platz finden einer Stadt endlich, die jetzt nahezu 1.200.000 Einwohner zhlt und sich nach London, Paris, New York und Berlin als die fnftgre Stadt der Welt betrachtet.

    Philadelphia ist fast eine Stadt aus Marmor mit seinen vielen monumentalen Gebuden und ffentlichen Anstal-ten, die nirgends ihresgleichen finden. Das bedeutendste al-ler Colleges der Neuen Welt ist das College Girard, und das hat seinen Sitz in Philadelphia. Die grte Eisenbrcke der Erde ist die, die den Schuykill berspannt, und diese befin-det sich in Philadelphia. Der schnste Tempel der Freimau-rerei ist der Maurertempel in Philadelphia; endlich besteht der grte Club von Freunden und Befrderern der Luft-schiffahrt ebenfalls in Philadelphia, und wer Gelegenheit

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    gehabt htte, diesen am Abend des 12. Juni zu besuchen, der wrde sich dabei ausgezeichnet unterhalten haben.

    In dem erwhnten groen Saal bewegten, drngten sich, gestikulierten, sprachen, verhandelten und stritten alle den Hut auf dem Kopf wohl hundert Ballonisten unter dem hohen Vorsitz eines Prsidenten, dem ein Schriftfh-rer und ein Schatzmeister zur Seite standen. Es waren das keine Ingenieure vom Fach; nein, einfache Liebhaber alles dessen, was mit der Aerostatik zu tun hatte, aber begeisterte Liebhaber, und vor allem Feinde derjenigen, die den Aero-staten Apparate, schwerer als Luft, fliegende Maschinen, Luftschiffe und dergleichen entgegenzustellen beabsichti-gen. Da diese wackeren Leute nimmermehr die Lenkbar-keit des Ballons erfinden wrden, war gewi mehr als wahr-scheinlich. Auf jeden Fall hatte ihr Vorsitzender Not genug, um sie selbst gehrig zu lenken und zu leiten.

    Dieser in Philadelphia sattsam bekannte Prsident war der Onkel Prudent Prudent seinem Familiennamen nach. Was die weitere Bezeichnung Onkel betrifft, so braucht man sich in Amerika darber nicht zu wundern, wo je-der zum Onkel werden kann, ohne einen Neffen oder eine Nichte zu haben. Man sagt dort ebenso Onkel, wie ander-wrts Vater von Leuten, die auf eine Vaterschaft nicht den geringsten Anspruch haben.

    Onkel Prudent war eine gewichtige Persnlichkeit und trotz seines Namens oft genannt gerade wegen seiner Khn-heit, daneben sehr reich, was selbst in den Vereinigten Staa-ten nicht von Nachteil sein soll. Wie htte er das auch nicht

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    sein sollen, da er einen groen Teil der Niagarafall-Aktien sein eigen nannte? Jener Zeit hatte sich nmlich in Buffalo eine Gesellschaft von Ingenieuren zur Ausbeutung der be-rhmten Flle gegrndet. Die 7.500 Kubikmeter, die der Niagara jede Sekunde hinabwlzt, knnen 7 Millionen PS erzeugen. Diese ungeheure, in einem Umkreis von 500 Kilo-meter nach allen Fabriken und Werksttten verteilte Kraft-menge lieferte eine jhrliche Ersparnis von 1.200 Millionen Mark, von dem ein Teil in die Kassen der Gesellschaft spe-ziell in die Taschen von Onkel Prudent zurckflo. bri-gens war er Junggeselle, lebte hchst einfach und hatte als huslichen persnlichen Beistand niemand anderen, als sei-nen Diener Frycollin, der eigentlich am allerwenigsten ver-diente, im Dienst eines so khnen, unternehmenden Herrn zu stehen. Aber es gibt nun einmal Regelwidrigkeiten.

    Da der Onkel Prudent Freunde hatte, da er so reich war, versteht sich ja von selbst; aber er hatte auch Feinde, weil er Vorsitzender jenes Clubs war unter allen alle die, wel-che selbst nach diesem Amt strebten; und als der hitzigsten einer ist hier der Schriftfhrer des Weldon-Instituts zu er-whnen.

    Es war das der ebenfalls sehr reiche Phil Evans, der Di-rektor der Walton Watch Company, einer gewaltigen Uh-renfabrik, die tagtglich 500 Stck Zeitmesser erzeugt und Produkte liefert, die sich den besten der Schweiz an die Seite stellen knnen. Phil Evans htte also fr einen der glck-lichsten Menschen der Welt selbst in den Vereinigten Staa-ten gelten knnen, wenn man von jener Stellung des Onkel

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    Prudent absah. Wie letzterer, war auch er 45 Jahre alt, von scheinbar unerschtterlicher Gesundheit, wie jener von un-zweifelhafter Khnheit, und sorgte er sich wenig darum, die sicheren Vorzge des Junggesellenstands gegen die oft zweifelhaften Vorteile der Ehe zu vertauschen. Wahrlich, das waren zwei Mnner, wie geschaffen, einander zu verste-hen, die sich doch nicht verstanden, und beide, was wohl zu bemerken ist, von ungemein stark entwickeltem Charakter, der eine, Onkel Prudent, hitzig, der andere, Phil Evans, eis-kalt bis zum berma.

    Und woher kam es, da Phil Evans nicht zum Vorsit-zenden des Clubs ernannt worden war? Die Stimmenzahl fr Onkel Prudent und fr ihn war genau gleich gewesen. Wohl zwanzigmal wurde die Abstimmung wiederholt, aber auch zwanzigmal ergab sich eine Majoritt weder fr den einen, noch fr den anderen. Das war eine peinliche Lage, die wahrscheinlich die Lebenszeit der beiden Kandidaten htte berdauern knnen.

    Da schlug ein Mitglied des Clubs ein Mittel vor, die Stim-mengleichheit aufzuheben. Es war Jem Cip, der Schatzmeis-ter des Weldon-Instituts. Jem Cip war eingefleischter Vege-tarier, mit anderen Worten, ausschlielicher Gemseesser, einer der Leute, die jede Fleischnahrung wie alle gegorenen Getrnke verwarfen halb Brahmanen und halb Musel-mnner der Rivale eines Nievmann, Pitmann, Ward und Davie, die der Sekte dieser unschuldigen Toren einen gewis-sen Namen gemacht haben.

    Bei vorliegender Gelegenheit wurde Jem Cip von ei-

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    nem anderen Mitglied des Clubs untersttzt, von William T. Forbes, dem Direktor einer groen Anstalt, in der Glukose durch Behandlung von Lumpen mit Schwefelsure herge-stellt wurde ein Verfahren, nach dem man also Zucker aus alter Wsche zu erzeugen vermag. Es war ein gut situier-ter Mann, dieser William T. Forbes, und Vater von zwei rei-zenden, bejahrteren Tchtern, der Miss Dorothee, genannt Doll, und der Miss Martha, genannt Mat, die in der besten Gesellschaft von Philadelphia den Ton angaben.

    Der von William T. Forbes nebst einigen anderen unter-sttzte Vorschlag Jem Cips ging nun dahin, den Vorsitzen-den des Clubs durch den Mittelpunkt zu bestimmen.

    Wahrlich, dieser Wahlmodus knnte in allen Fllen ange-wendet werden, wo es darum geht, den Wrdigsten zu wh-len, und sehr viele, hchst vernnftige Amerikaner dachten auch schon daran, ihn bei der Ernennung des Prsidenten der Vereinigten Staaten zur Anwendung zu bringen.

    Auf zwei tadellos weie Tafeln wurde hierzu je eine schwarze Linie gezogen. Die Lnge beider war mathema-tisch genau die gleiche, denn man hatte sie mit ebenso-viel Sorgfalt abgemessen, als handelte es sich dabei um die Grundlinien des ersten Dreiecks einer Triangulationsarbeit. Hierauf wurden beide Tafeln am selben Tag inmitten des Sitzungssaals der Gesellschaft aufgestellt; die beiden Wett-bewerber versahen sich jeder mit einer sehr feinspitzigen Nadel und gingen wieder gleichzeitig auf die, jedem durch das Los zugefallene Tafel zu. Derjenige der beiden Rivalen aber, der seine Nadel am nchsten dem Mittelpunkt der Li-

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    nie einstechen wrde, sollte damit zum Vorsitzenden des Weldon-Instituts gewhlt sein.

    Es versteht sich von selbst, da hierbei jedes Hilfsmit-tel, jedes Umhertappen verboten und nur die Sicherheit des Blicks entscheidend war. Es galt, nach volkstmlichem Aus-druck, den Zirkel im Auge zu haben.

    Onkel Prudent stach seine Nadel ein und zu gleicher Zeit Phil Evans. Darauf wurde nachgemessen, welcher der bei-den Konkurrenten sich dem Mittelpunkt am meisten gen-hert hatte.

    Welches Wunder! Die beiden Mnner hatten so vortreff-liches Augenma entwickelt, da die Messungen keinen mebaren Unterschied ergaben. War von ihnen auch nicht genau der mathematische Mittelpunkt getroffen worden, so erwies sich der Raum zwischen diesem und den beiden Na-deln kaum merkbar und schien bei beiden obendrein noch gleich gro zu sein.

    Die Versammlung befand sich nun in neuer Verlegen-heit.

    Zum Glck bestand eines der Mitglieder, Truk Milnor, darauf, die Messungen mit Hilfe eines mit Perreaux mikro-metischer Maschine geteilten Lineals noch einmal vorzu-nehmen, welche die Mglichkeit gewhrt, noch ein 15/100 ei-nes Millimeters abzulesen. Auf dem Lineal waren in der Tat 1.500 Abteilungen auf einem solchen kleinen Raum mittels Diamant eingeritzt, und bei Abmessung der Entfernung der Stiche von den betreffenden Mittelpunkten erhielt man fol-gendes Resultat:

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  • 27

    Onkel Prudent hatte sich dem Mittelpunkt auf weni-ger als 6 15/100 Millimeter genhert, Phil Evans auf nahezu 9 15/100.

    Daher kam es, da Phil Evans nur Schriftfhrer des Wel-don-Instituts wurde, whrend Onkel Prudent die Prsiden-tenwrde erhielt.

    Einer Entfernung von 3 15/100, mehr hatte es nicht be-durft, um Phil Evans mit Ha gegen Onkel Prudent zu er-fllen, mit einem Ha, der, wenn er ihn auch in sich ver-schlo, doch nicht minder grimmig war.

    Jener Zeit, und zwar seit dem letzten Viertel dieses 19. Jahrhunderts, hatte die Frage der lenkbaren Ballons immer-hin schon einige Fortschritte zu verzeichnen, die mit An-triebsschraube ausgersteten Gondeln, die Henry Giffard 1852 an seinem verlngerten Ballon anbrachte, ferner Du-puy de Lme, 1872, die Gebrder Tissandier 1883 und die Kapitne Krebs und Renard im Jahre 1884 hatten mindes-tens einige Ergebnisse erzielt, denen man Rechnung tragen mute.

    Doch wenn diese Apparate in einem schwereren Me-dium als sie selbst, unter dem Druck einer Schraube man-vrierend, eine schrge Richtung gegen den Wind einhielten, sogar gegen einen widrigen Luftzug aufkamen, um nach ih-rem Ausgangspunkt zurckzukehren, also wirklich gelenkt worden waren, so konnte das doch nur unter ganz beson-ders gnstigen Umstnden erreicht werden. In groen, ge-schlossenen ausgedehnten Hallen allerdings! In recht ruhi-ger Atmosphre das ging auch noch recht gut. Bei einem

  • 28

    leichten Wind von 5 bis 6 Meter in der Sekunde war es viel-leicht eben noch zu erzwingen alles in allem hatte man eigentlich praktisch verwendbare Resultate aber noch nicht erzielt. Gegen einen Windmhlenwind von 8 Meter in der Sekunde wrden jene Apparate nahezu stationr geblie-ben sein; vor einer frischen Brise von 10 Meter in der Se-kunde htten sie in Gefahr geschwebt, zerrissen zu werden; und bei einem jener Zyklone, die 100 Meter in der Sekunde berschreiten, wrde man von ihnen kein Stckchen wie-dergefunden haben.

    Selbst nach den scheinbar glnzend gelungenen Versu-chen der Kapitne Krebs und Renard drfte als bewiesen angesehen werden, da die Aerostaten, wenn sie an Bewe-gungsfhigkeit auch ein wenig gewonnen hatten, mit dieser doch gerade nur gegen eine schwache Brise aufzukommen vermochten. Es war also nach wie vor als unmglich zu be-trachten, diese Art der Fortbewegung durch die Luft prak-tisch zu verwenden.

    Whrend man sich aber so eifrig mit dem Problem der Lenkbarkeit der Aerostaten, das heit mit den Mitteln be-schftigte, diesen eine eigene Geschwindigkeit zu verleihen, hatte die Frage der Motoren unzweifelhaft weit schnellere Fortschritte gemacht. Anstelle der Dampfmaschinen und der Verwendung der bloen Muskelkraft waren allmhlich die elektrischen Motore getreten. Die Batterien mit doppelt-chromsaurem Natron, deren Elemente auf hohe Spannung angeordnet waren, wie sie die Gebrder Tissandier bentz-ten, erzielten eine Schnelligkeit von etwa 4 Meter in der Se-

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    kunde. Die 12 PS entwickelnden dynamo-elektrischen Ma-schinen der Kapitne Krebs und Renard gestatteten, eine Geschwindigkeit von im Mittel 6 Meter in der Sekunde zu erreichen.

    Bei ihren Versuchen waren Mechaniker und Elektriker bestrebt gewesen, sich dem frommen Wunsch zu nhern, ein PS in einem Taschenuhrgehuse zu erzeugen. Die Effekte der Sule, deren Zusammensetzung die Kapitne Krebs und Renard geheimgehalten hatten, wurden ebenfalls bald bertroffen, und nach ihnen fanden die Aeronauten Gelegenheit, Motore zu verwenden, deren Leichtigkeit im gleichen Verhltnis mit ihrer Kraftentwicklung wuchs.

    Die Anhnger der Mglichkeit einer Lenkbarkeit der Ballons hatten also gewi Ursache, ihren Mut aufrechtzuer-halten, und doch, wie viele klare Kpfe haben es verworfen, an deren Bentzung zu glauben. In der Tat, wenn der Aero-stat einen Angriffspunkt der ihm innewohnenden Kraft in der Luft findet, so ist er doch mit seiner groen Masse in diese eingetaucht. Und wie knnte er, da er wieder den Str-mungen der Atmosphre eine so breite Angriffsflche bie-tet, jemals, und wenn sein Triebwerk noch so mchtig wre, direkt gegen einen widrigen Wind aufkommen?

    Diese Frage lag noch immer vor, man hoffte sie jedoch durch Anwendung sehr groer Apparate zu lsen.

    Es ergab sich brigens, da bei diesem Wettstreit der Er-finder in der Herstellung eines sehr krftigen und dennoch leichten Motors die Amerikaner sich dem gewnschten Ziel am meisten genhert hatten. Ein auf der Anwendung einer

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    neuen Sule beruhender dynamo-elektrischer Apparat, des-sen Konstruktion vorlufig noch Geheimnis blieb, war sei-nem Erfinder, einem bisher unbekannten Chemiker in Bos-ton, abgekauft worden. Mit grter Sorgfalt durchgefhrte Berechnungen und mit uerster Genauigkeit entworfene Diagramme ergaben, da dieser Apparat, wenn er auf eine Schraube von angepater Gre wirkte, eine Fortbewegung von 18 bis 20 Meter in der Sekunde gewhrleisten mute.

    Wahrlich, das wre groartig gewesen!Und das Ding ist nicht teuer! hatte Onkel Prudent

    hinzugefgt, als er dem Erfinder gegen regelrecht ausge-stellte Quittung das letzte Pckchen von 100.000 Papierdol-lar bergab, mit dem man ihm seine Erfindung bezahlte.

    Unverzglich ging das Weldon-Institut ans Werk. Han-delt es sich um ein Versuchsunternehmen, das irgendeinen praktischen Nutzen verspricht, so wird das Geld in ame-rikanischen Taschen stets leicht locker. Die ntigen Mittel strmten zusammen, so da selbst die Grndung einer Ak-tiengesellschaft umgangen werden konnte. 300.000 Dollar (also 600.000 fl. = 1 1/5 Millionen Mark) fllten gleich nach dem ersten Aufruf die Kassen des Clubs. Die Arbeiten be-gannen unter Leitung des hervorragendsten Luftschiffers der Vereinigten Staaten, Harry W. Tinders, der sich unter tausend anderen besonders durch drei khne Fahrten be-rhmt gemacht hat: die eine, bei der ersich bis 1.200 Me-ter erhob, d.h. hher aufstieg, als Gay-Lussac, Coxwell, Sivel, Croc-Spinelli, Tissandier, Glaisher ; die zweite, wh-rend der er ganz Amerika von New York bis San Francisco

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    berflog und um mehrere hundert Lieues die lngste Reise Nadars, Godards und vieler anderen hinter sich lie, ohne John Wise zu rechnen, der von St. Louis bis nach der Graf-schaft Jefferson 1.150 Meilen zurckgelegt hatte; die dritte endlich, die mit einem furchtbaren Sturz aus der Hhe von 1.500 Fu endete, bei dem er sich doch nur den rechten Daumen verstauchte, whrend der weniger vom Glck be-gnstigte Piltre de Rozier bei einem Sturz von nur 700 Fu augenblicklich den Tod fand.

    Zur Zeit, mit der diese Erzhlung beginnt, konnte man schon beurteilen, da das Weldon-Institut die Angelegen-heit krftig gefrdert hatte. In den Turner-Werften zu Phi-ladelphia erhob sich schon ein ungeheurer Aerostat, dessen Haltbarkeit durch Fllung mit stark komprimierter Luft ge-prft werden sollte. Vor allem wrde dieser den Namen ei-nes Monsterballons verdienen.

    Wieviel fate der Gant Nadars? 6.000 Kubikmeter. Wieviel der Ballon John Wises? 20.000 Kubikmeter. Wel-chen Fassungsraum hatte der Ballon Giffard auf der Aus-stellung von 1878? 25.000 Kubikmeter bei 18 Meter Radius. Vergleicht man diese drei Aerostaten mit dem des Weldon-Instituts, dessen Volumen 40.000 Kubikmeter betrug, so be-greift man leicht, da Onkel Prudent und seine Clubgenos-sen einigermaen recht hatten, sich vor Stolz aufzublhen.

    Dieser Ballon, der nicht dazu bestimmt war, die hchsten Schichten der Atmosphre zu erreichen, nannte sich nicht Excelsior, eine Bezeichnung, die sonst bei den Amerika-nern sehr beliebt ist, nein, er war einfach Go ahead, d.h.

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    Vorwrts getauft, und es erbrigte also nur noch, da er seinen Namen rechtfertigte, indem er der Leitung seines Kapitns allenthalben entsprach.

    Jener Zeit war die dynamo-elektrische Maschine nach dem vom Weldon-Institut angekauften Patent fast vollendet und man durfte darauf rechnen, da der Go ahead seinen Flug durch das Luftmeer begonnen haben werde.

    Immerhin waren bekanntlich noch nicht alle mechani-schen Schwierigkeiten berwunden.

    Sehr viele Sitzungen waren zu diesem Zweck abgehalten worden, nicht etwa die Form der Schraube oder deren Gr-enverhltnisse festzustellen, sondern um die Frage zu ent-scheiden, ob sie am Heck des groen Apparats angebracht werden sollte, wie die Gebrder Tissandier wollten, oder am Bug, wie es die Kapitne Krebs und Renard schon getan hatten. Es bedarf kaum der Erwhnung, da die Vertreter dieser beiden Ansichten bei den entsprechenden Verhand-lungen darber fast handgemein wurden. Die Gruppe der Bugmnner glich an Zahl genau der der Heckmnner. Onkel Prudent, dessen Stimme bei sonstiger Stimmen-gleichheit die entscheidende gewesen wre, Onkel Prudent, der unzweifelhaft aus der Schule des Professors Buridan hervorgegangen war, vermied es klglich, sich zu uern.

    Bei der Unmglichkeit, ein Einverstndnis herbeizufh-ren, war es natrlich auch unmglich, die Schraube an Ort und Stelle zu setzen. Das konnte demnach lange dauern, wenn sich nicht etwa die Regierung ins Mittel legte. In den Vereinigten Staaten liebt es die Regierung aber bekanntlich

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    nicht, sich in Privatangelegenheiten einzumischen oder um das zu kmmern, was sie nicht direkt angeht. Damit hat sie gewi ganz recht.

    So war die Sachlage, und die Sitzung vom 13. Juni schien gar nicht enden oder vielmehr nur in einen ungeheuren Tu-mult auslaufen zu wollen der wie gewhnlich mit Injurien begann, sich mit Faustschlgen fortsetzte, dann zu Stock-schlgen berging und mit dem Knallen der Revolver ab-schlo als ein Zwischenfall um 8 Uhr 37 diesen beliebten Verlauf strte.

    Kalt und gemessen, wie ein Polizist inmitten der str-mischen Wogen einer Volksversammlung, hatte sich der Trsteher des Weldon-Instituts genhert und dem Vorsit-zenden eine Karte bergeben. Er erwartete eben noch die Befehle, die Onkel Prudent ihm zu erteilen haben knnte.

    Onkel Prudent lie die Dampftrompete ertnen, die ihm als Prsidentenglocke diente, denn hier htte, um durchzu-dringen, nicht einmal die groe Glocke des Kremls gereicht. Nichtsdestoweniger nahm der Lrm nur noch zu. Da ent-blte der Prsident den Kopf und dank diesem allerletz-ten Hilfsmittel entstand wenigstens eine leidliche Ruhe.

    Eine Mitteilung an den Club! rief Onkel Prudent, nachdem er sich eine Prise aus der ungeheuren Dose, die ihn niemals verlie, zugelangt.

    Reden Sie! Reden Sie! antworteten 99 Stimmen, die hierber zufllig einer Meinung waren.

    Ein Fremdling, geehrte Kollegen, wnscht in unseren Sitzungssaal Eintritt zu erhalten.

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    Nimmermehr! widersetzten sich alle Stimmen.Er wnscht uns, fuhr Onkel Prudent fort, allem An-

    schein nach den Beweis zu liefern, da es der greulichste Wahnwitz sei, an die Lenkbarkeit von Ballons zu glauben.

    Allgemeines Murren beantwortete diese Erklrung.Herein, herein mit ihm!Wie nennt sich denn diese merkwrdige Persnlich-

    keit? fragte der Schriftfhrer Phil Evans.Robur, antwortete Onkel Prudent.Robur! . . . Robur! . . . Robur! heulte die ganze Ver-

    sammlung.Und wenn bei Nennung dieses eigentmlichen Namens

    dessen Trger so schnell Zulassung fand, geschah es eigent-lich nur, weil das ganze Weldon-Institut sich Hoffnung machte, auf den Mann den berschu seiner Erbitterung abzuschtteln.

    Der Sturm hatte sich also einen Augenblick gelegt wenigstens scheinbar. Wie knnte brigens ein Sturm so schnell vorbergehen bei einem Volk, das jeden Monat zwei bis drei davon in Form von Wirbelwinden nach Europa ent-sendet?

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    3. KAPITELWorin eine neue Persnlichkeit nicht besonders

    vorgestellt zu werden braucht, da sie das selbst besorgt

    Brger der Vereinigten Staaten, ich heie Robur* und bin dieses Namens wrdig. Trotz meiner 40 Jahre sehe ich aus wie 30, habe eine eiserne Konstitution, eine unerschtter-liche Gesundheit, hervorragende Muskelkraft und einen Magen, der selbst in der Welt der Straue als vorzglich gel-ten wrde.

    Die Versammlung lauschte. Jedes Gerusch hatte vorlu-fig aufgehrt, als man diese unerwartete Vorrede pro facie sua vernahm. War es ein Narr oder ein Sptter, diese Per-snlichkeit? Wie dem auch sein mochte, er machte Ein-druck und wute sich diesen zu erzwingen. Jetzt ging kein Lufthauch durch diese Menge, in der doch kurz vorher ein Orkan wtete. Die Windstille nach der hohen See.

    berdies schien Robur wirklich der Mann zu sein, fr den er sich ausgab. Von mittlerer Gre mit geometrischer Gestalt, ein regelmiges Trapez bildend, deren grte Pa-rallelseite von der Schulterbreite ausgefllt wurde; auf die-ser Linie sa wieder auf einem krftigen Hals ein gewaltiger sphroidaler Kopf. Welchem Dickkopf mochte der zu ver-gleichen sein? Dem eines Stiers, aber eines Stiers mit hoch-intelligentem Gesicht. Darin funkelten ein paar Augen, die der geringste Widerspruch sicherlich in volle Glut versetzte,

    * Zu Deutsch: Die Kraft

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    und darber waren die Augenbrauenmuskeln ein Zeichen entwickelter Energie fortwhrend zusammengezogen. Die Haare des Mannes waren kurz, etwas kraus und von metal-lischem Glanz, als trge er ein Toupet von eisernem Stroh; seine breite Brust hob und senkte sich mit Bewegungen gleich einem Schmiedeblasebalg. Arme und Hnde, Beine und Fe erwiesen sich des Rumpfs vllig wrdig.

    Schnurr- und Backenbart sah man bei ihm nicht, nur einen starken Seemanns-Kinnbart nach amerikanischer Mode, der die Anhaftepunkte der Kinnlade frei lie, de-ren Kaumuskeln eine furchtbare Kraft entwickeln muten. Man hat berechnet was berechnet man denn nicht? da der Druck der Kinnlade des Krokodils unter gewhnlichen Umstnden dem von 400 Atmosphren entspricht, whrend der eines Jagdhundes von mittlerer Gre 100 erreichen soll. Daraus hat man auch folgende merkwrdige Formel abgeleitet: Wenn ein Kilogramm Hund 8 Kilogramm Mus-kelkraft entwickelt, so entwickelt ein Kilogramm Krokodil 12. Nun, ein Kilogramm des genannten Robur htte gewi 10 entwickelt. Er hielt also zwischen Hund und Krokodil in dieser Beziehung die Mitte.

    Aus welchem Land dieses merkwrdige Menschenkind stammte, htte man nur schwer erraten knnen. Jedenfalls drckte sich der Mann ganz gelufig englisch aus und ohne jenen schleppenden Tonfall, der den Yankee von Neu-Eng-land unterscheidet.

    Er fuhr folgendermaen fort:Nun lassen Sie mich auch von meinen anderen Eigen-

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    schaften sprechen, ehrenwerte Brger. Sie sehen vor sich einen Ingenieur, dessen geistige Natur seiner krperlichen nicht nachsteht. Ich frchte mich vor nichts und vor nie-mand; besitze eine Willenskraft, die noch nie vor einem anderen gewichen ist. Hab ich mir einmal ein Ziel gesetzt, so wrde ganz Amerika, ja die ganze Welt sich vergeblich verbnden, mich von dessen Erreichung abzuhalten. Hab ich einen Gedanken, so erwarte ich, da andere ihn teilen, und vertrage keinen Widerspruch. Ich betone diese Einzel-heiten, ehrenwerte Brger, weil Sie mich grndlich kennen-lernen mssen. Sie finden vielleicht, da ich zuviel von mir selbst spreche? Macht nichts! Jetzt aber berlegen Sie sich alles, ehe Sie mich unterbrechen, denn ich bin hierherge-kommen, Ihnen Dinge zu sagen, die Ihnen vielleicht nicht recht gefallen drften.

    Ein Grollen wie das der Brandung lief lngs der ersten Bnke des Saals hin, ein Zeichen, da das Meer bald wieder hoch aufwogen werde.

    Reden Sie, ehrenwerter Fremdling, begngte sich On-kel Prudent, der Mhe hatte, seine Ruhe zu bewahren, auf diese Ansprache zu antworten.

    Und Robur sprach wie vorher, ohne sich irgendwie um Beifall oder Mifallen seiner Zuhrer zu kmmern.

    Jawohl, ich wei alles! Nach einem Jahrhundert andau-ernder Experimente, die zu nichts gefhrt, nach Versuchen, die ergebnislos verliefen, gibt es noch immer verkehrt ver-anlagte Geister, die hartnckig an die Lenkbarkeit von Bal-lons glauben. Sie erdenken irgendeinen Motor, einen elek-

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    trischen oder einen anderen, der an ihre anspruchsvollen, dnnen Hllen angebracht wurde, die den atmosphrischen Strmungen so breite Angriffsflchen bieten. Sie bildeten sich ein, Beherrscher eines Aerostaten werden zu knnen, wie man etwa ein Schiff auf der Oberflche des Meeres be-herrscht. Weil einige Erfinder bei ganz oder doch fast ganz stiller Witterung den Erfolg gehabt haben, entweder schief durch den Wind oder einer ganz leichten Brise entgegen zu fahren, deshalb sollte die Lenkbarkeit von Apparaten, die leichter sind als Luft, zu praktischen Erfolgen fhren? O ge-hen Sie! Sie sind hier an die hundert Mnner, die an die Ver-wirklichung ihrer Trume glauben und viele Tausende von Dollars nicht ins Wasser, aber in die Luft werfen. Ich sage Ihnen, das heit gegen eine Unmglichkeit kmpfen!

    Wunderbar, die Mitglieder des Weldon-Instituts sagten gegenber dieser Behauptung jetzt kein Wort, als wren sie ebenso taub wie langmtig geworden, oder hielten sie nur an sich, um zu sehen, wie weit dieser khne Widersacher zu gehen wagen wrde?

    Robur fuhr fort:Nehmen wir einen Ballon. Um ein Kilogramm an Ge-

    wicht zu verlieren, mu er ein Kubikmeter Gas aufnehmen. Ein Ballon, der den Anspruch macht, mit Hilfe seines Me-chanismus dem Wind zu widerstehen, wenn der Druck ei-ner steifen Brise auf das Grosegel eines Schiffs der Kraft von 400 PS entspricht, wenn man bei dem Unglcksfall mit der Taybrcke gesehen hat, da ein Orkan einen Druck von 444 Kilogramm auf den Quadratmeter auszuben imstande

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    ist! Ein Ballon, wo die Natur doch niemals ein fliegendes Geschpf nach diesem System geschaffen hat, ob es nun mit Flgeln, wie die Vgel, oder mit Membranen, wie gewisse Fische und Sugetiere, ausgerstet wurden . . .

    Sugetiere? rief eines der Mitglieder des Clubs.Gewi, die Fledermaus, die ja auch fliegt, wenn ich

    nicht irre. Sollte der Herr, der mich unterbrach, wirklich nicht wissen, da die Fledermaus ein Sugetier ist, oder hat er jemals eine Omelette aus Fledermauseiern bereiten se-hen?

    Darauf hielt der Heimgeschickte seine Unterbrechun-gen ferner fr sich, Robur dagegen fuhr mit demselben Ei-fer fort:

    Wre damit aber gesagt, da der Mensch darauf ver-zichten msse, das Luftmeer zu beherrschen und durch Nutzbarmachung dieses wunderbaren Befrderungsmit-tels die Zustnde der alternden Welt umzuwandeln? Gewi nicht! So wie er der Herr der Meere geworden ist durch das Schiff mit Ruder, Segel, Rad oder Schraube, so wird er auch zum Herrn der Luft werden durch Apparate, die schwerer sind als diese, denn unbedingt mssen jene schwerer sein, um mchtiger sein zu knnen.

    Jetzt war in der Versammlung aber kein Halten mehr. Welche Breitseite von Zurufen donnerte aus jedem Mund, die alle auf Robur zielten, wie ebenso viele Gewehrlufe oder Kanonenrohre! Sollten sie nicht antworten auf solch offenbare, ins Lager der Ballonisten geschleuderte Kriegs-erklrung? Wurde hiermit nicht der Kampf zwischen dem

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    leichter und schwerer als Luft ausgesprochenermaen wiederaufgenommen?

    Robur verzog keine Miene. Die Arme ber der Brust ge-kreuzt, wartete er es regungslos ab, bis wieder Ruhe einge-treten war.

    Onkel Prudent befahl durch eine Handbewegung, das Feuer einzustellen.

    Ja, fuhr Robur fort, die Zukunft gehrt den Flugma-schinen. Die Luft bietet den hinreichenden soliden Sttz-punkt. Man verleihe einer Sule dieses Mediums eine auf-steigende Bewegung von 45 Meter in der Sekunde, und ein Mensch wrde sich schon oberhalb derselben erhalten, wenn die Sohlen seiner Schuhe nur 1/8 Quadratmeter Ober-flche bten. Wrde die Geschwindigkeit der Luftsule auf 90 Meter gesteigert, so knnte er mit bloen Fen darauf gehen. Treibt man nun durch die Flgel einer archimedi-schen Schraube eine Luftmasse mit derselben Schnelligkeit fort, so erzielt man dasselbe Resultat.

    Was Robur hier sagte, hatten vor ihm alle Anhnger der sogenannten Aviation ausgesprochen, deren Arbeiten lang-sam, aber sicher zur Lsung des vorliegenden Problems zu fhren versprechen.

    Die Ehre, diese einfachen Gedanken verbreitet zu haben, kommt Ponton dAnncourt, La Landelle, Nadar, Luzi, Lou-vrie, Liais, Blgnic, Moreau, den beiden Richard, Babinet, Jobert, Du Temple, Salives, Penaud, De Villeneuve, Gauchol und Tatin, Michel Loup, Edison, Planavergue und noch ei-ner Menge anderer Mnner zu. Mehrmals aufgegeben und

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    wiederaufgenommen, mute ihnen doch eines Tages der Sieg zuteil werden. Und hatten von dieser Seite die Feinde der Aviation, die behaupteten, da der Vogel nur durch Er-wrmung der Luft, mit der er sich aufblht, fliege, auf Ant-wort warten mssen? Hatten die Erstgenannten nicht viel-mehr nachgewiesen, da ein 5 Kilogramm wiegender Adler sich htte mit 50 Kubikmetern jenes erwrmten Fluidums anfllen mssen, um sich dadurch allein frei schwebend zu erhalten?

    Genau dasselbe wies auch hier Robur mit unerbittlicher Logik nach, aber inmitten eines Heidenlrms, der sich von allen Seiten erhob. Zum Schlu warf er den Ballonisten noch folgende Worte ins Gesicht:

    Mit Ihren Aerostaten knnen Sie nichts ausrichten, werden Sie zu nichts kommen und niemals etwas wagen drfen. Der khnste Ihrer Aeronauten, John Wise, mute, obwohl er schon eine Luftreise von 1.200 Meilen ber das Festland Amerikas zurckgelegt hatte, doch auf die Absicht, ber den Atlantischen Ozean zu fahren, verzichten. Und seit jener Zeit sind Sie um keinen Schritt, um keinen einzigen auf diesem Weg vorwrts gekommen.

    Mein Herr, begann da der Vorsitzende, der sich ver-geblich bemhte, ruhig zu bleiben, Sie vergessen offenbar, was unser unsterblicher Franklin ausgesprochen hat, als die erste Montgolfiere aufstieg, also zur Zeit der Geburt des Ballons. Jetzt ist das nur ein Kind, aber es wird wachsen! lautete seine Prophezeiung, und es ist gewachsen!

    Nein, Herr Prsident, nein, es ist nicht gewachsen . . . es

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    ist nur grer und dicker geworden, und das ist nicht das-selbe.*

    Das war ein direkter Angriff gegen die Plne des Wel-don-Instituts, das die Herstellung eines Monsterballons be-schlossen, untersttzt und betrieben hatte. Sofort kreuzten sich denn auch ziemlich bedrohliche Ausrufe in dem geru-migen Saal, wie:

    Nieder mit dem Eindringling!Werft ihn von der Tribne herunter!Um ihm zu beweisen, da er schwerer ist als Luft !Und hnliches mehr.Man begngte sich indessen noch mit Worten, ohne zu

    Ttlichkeiten berzugehen. Robur konnte also noch einmal seine Stimme erheben und laut hinausrufen:

    Fortschritte, Brger Ballonisten, sind nicht mit dem Ae-rostaten, sondern nur mit fliegenden Maschinen zu erwar-ten. Der Vogel fliegt auch, und der ist kein Ballon, sondern ein Mechanismus! . . .

    Ja er fliegt wohl, schrie der vor Zorn keuchende Bat. T. Fyn, aber er fliegt gegen alle Regeln der Mechanik.

    Ach so! erwiderte Robur achselzuckend.Dann fuhr er fort:Seit man den Flug der greren und kleineren fliegen-

    * Wegen des Doppelsinns des franzsischen grandir, was so-wohl krperlich wachsen, als auch an Bedeutung und Ansehen zunehmen ausdrckt, nicht ganz wiederzugebendes Wortspiel. D. b.

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    den Tiere genau beobachtet hat, ist folgender sehr einfache Gedanke in den Vordergrund getreten: Es gilt auch hier die Natur nachzuahmen, denn diese tuscht sich niemals. Zwi-schen dem Albatros, der kaum 10 Flgelschlge in der Mi-nute macht, und dem Pelikan, der 70 macht . . .

    71! rief eine schnarrende Stimme.Und der Biene, bei der man 192 in der Sekunde zhl-

    te . . .193! rief ein anderer aus Scherz.Und der Stubenfliege, die 330 fertigbringt . . . 330 1/2 ! Und dem Moskito, der Millionen macht . . .Nein . . . Milliarden!Robur lie sich durch alle diese Einwrfe nicht aus der

    Fassung bringen.Zwischen diesen verschiedenen Zahlen . . . nahm er

    wieder das Wort.Ist ein groer Unterschied! lie sich eine Stimme h-

    ren.. . . wird man die richtige whlen mssen, um eine prak-

    tische Lsung der Aufgabe zu finden. Schon an dem Tag, wo De Lucy nachweisen konnte, da der Hirschkfer, jenes In-sekt, das nur 2 Gramm wiegt, ein Gewicht von 400 Gramm, d.h. 200mal so viel wie sein eigenes Gewicht, aufzuheben vermochte, war eigentlich das Problem der Aviation gelst. Auerdem wurde nachgewiesen, da die Flchenausdeh-nung der Flgel in gleichem Verhltnis abnimmt, wie die Gre und das Gewicht des Tieres zunehmen. Seitdem hat

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    man schon mehr als 60 verschiedene Apparate erdacht oder auch ausgefhrt . . .

    Die noch niemals haben fliegen knnen! rief der Schriftfhrer Phil Evans.

    Die geflogen sind oder noch fliegen werden, antwor-tete Robur, ohne sich irremachen zu lassen. Ob man sie nun Streophoren, Helikopteren, Orthoptheren nennt, oder ihren Namen nach dem lateinischen navis die Silbe nef anhngt, meinetwegen auch nach dem Wort avis die Silbe efs jedenfalls kommt man zu dem Apparat, dessen end-liche Herstellung den Menschen zum Herren des Luftmeers machen mu.

    Aha, die Schraube! warf Phil Evans ein. Der Vogel hat aber keine Schraube . . . soweit man das wei!

    Zugegeben, erwiderte Robur, wie Penaud gezeigt hat, arbeitet eigentlich der Vogel selbst als solche und ist seinem Flug nach Helikoptere, darum ist auch die Schraube der Motor der Zukunft . . .

    . . . Vor solchem bel,Heilige Helice,* behte uns! . . .

    trllerte einer der Zuhrer, der zufllig dieses Motiv aus H-rolds Zampa im Kopf behalten hatte.

    Alle wiederholten den Refrain im Chor und mit Intona-tionen, bei denen sich der Komponist sicher im Grabe he-rumdrehte.

    * Der Name Helice in der Bedeutung Schraube gebraucht. D. b.

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    Dann, als die letzten Tne in einem entsetzlichen Durch-einander verhallten, glaubte Onkel Prudent unter Bent-zung eines augenblicklichen Schweigens sagen zu mssen:

    Brger Fremdling, bis hierher haben wir Sie reden las-sen, ohne Sie zu unterbrechen . . .

    Es scheint demnach, als ob der Vorsitzende des Weldon-Instituts die frheren Einwrfe, die Zwischenrufe, das tolle Durcheinander nicht fr Unterbrechungen, sondern nur fr einfachen Meinungsaustausch hielt.

    Jedenfalls, fuhr er fort, mu ich Sie daran erinnern, da die Theorie der Aviation schon im voraus durch die meisten amerikanischen und fremden Ingenieure verurteilt und vllig verworfen worden ist. Ein System, auf dessen De-betseite der Tod Sarasin Volants in Konstantinopel, der des Mnches Voador in Lissabon, der Letuos im Jahre 1852 und der Groofs 1864 steht, ohne die Opfer zu zhlen, die ich au-genblicklich vergessen habe, und wre es nur der mytholo-gische Ikarus . . .

    Dieses System, nahm Robur den Satz auf, ist nicht verdammenswerter, als das, dessen Opferliste die Namen eines Piltre de Rozier in Calais, der Madame Blanchard in Paris, eines Donaldson und Grimwood, die in den Michi-gan-See fielen, eines Swel, Croce-Spinelli, Eloy und so vieler anderer enthlt, die gewi nicht so leicht der Vergessenheit anheimfallen.

    Das hie mit einem Hieb pariert, wie man in der Fechtkunst sagen wrde.

    Mit Ihren Ballons, fuhr Robur fort, werden Sie bri-

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    gens, sie mgen auch noch so vervollkommnet sein, niemals eine praktisch wertvolle Geschwindigkeit erzielen, 10 Jahre brauchen, um eine Reise um die Erde zu vollenden was eine Maschine in etwa 8 Tagen erledigen drfte.

    Neue wtende Proteste und Verneinungen, die 3 ganze Minuten anhielten, bevor dann Phil Evans das Wort ergrei-fen konnte.

    Mein Herr Aviator, Sie, der Sie uns so viel von der Herr-lichkeit der Aviation vorreden, sind Sie denn jemals in die-ser Weise geflogen?

    Ja sicher!Und Sie htten also den Kampf mit der Luft siegreich

    bestanden?Vielleicht, mein Herr.Hurra, Robur, der Sieger! rief eine Stimme spottend.Nun ja, Robur, der Sieger ich nehme diesen Namen an

    und werde ihn fhren, denn ich habe das Recht dazu.Wir erlauben uns indes daran zu zweifeln! rief Jem

    Cip.Meine Herren, erklrte Robur, dessen Augenbrauen

    sich runzelten, wenn ich eine ernsthafte Sache ernsthaft behandle, duld ich es nicht, da mir jemand eine Unzuver-lssigkeit meiner Worte vorwirft, und ich wrde gern den Namen des Herrn kennenlernen, der mich in dieser Weise unterbrach.

    Ich heie Jem Cip . . . und bin Vegetarier.Brger Jem Cip, antwortete Robur, ich wei, da die

    Pflanzenesser gewhnlich lngere Eingeweide haben, als an-

  • 50

    dere Menschen mindestens um einen Fu lnger. Das ist schon viel . . . Nun verleiten Sie mich nicht, die Ihrigen noch mehr zu verlngern, indem ich bei den Ohren anfange . . .

    Durch die Tr!Hinaus auf die Strae!Man vierteile ihn!Lynchen, lyncht den Kerl !Verdrehen wir ihn zu einer Schraube! . . .Die Wut der Ballonisten hatte ihren Gipfel erreicht.

    Schon sprangen sie von den Sthlen auf und umdrngten die Tribne. Robur verschwand unter einer Unmasse von Armen, die sich, wie von einem Sturm getrieben, auf- und abbewegten. Vergebens lie die Dampftrompete ihren heu-lenden Ton durch die Versammlung brausen. An jenem Abend konnte Philadelphia wohl glauben, eine Feuers-brunst verzehre eines seiner Stadtteile, und das ganze Was-ser des Schuylkill River werde zum Lschen nicht ausrei-chen.

    Pltzlich entstand in der lrmenden Masse eine Bewe-gung nach rckwrts. Robur hatte eben die Hnde wieder aus den Taschen gezogen und streckte sie gegen die vor-derste Reihe der wtenden Gegner aus.

    Seine beiden Hnde zeigten jetzt zwei sogenannte ame-rikanische Fuste, die gleichzeitig Revolver bilden und die schon ein Druck des Daumens ihre berall verstndliche Sprache reden lassen zwei kleine Taschen-Mitrailleusen.

    Dann rief er, das Zurckgehen der Angreifer und die vo-rbergehende Stille, die dabei eintrat, schnell benutzend:

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    Entschieden war es nicht Amerigo Vespucci, der die Neue Welt entdeckt hat, sondern Sebastian Cabot. Sie sind keine Amerikaner, Brger Ballonisten! Sie sind nur Cabo. . .

    In diesem Augenblick krachten auch schon vier oder fnf Schsse in die Luft, die niemand verwundeten. Inmit-ten des Pulverdampfs verschwand der Ingenieur, und als jener sich zerstreute, entdeckte man von ihm keine Spur mehr. Robur der Sieger war davongeflogen, als ob irgendein Aviationsapparat ihn in die Lfte entfhrt htte.

    4. KAPITELWorin der Verfasser infolge einer Bemerkung des Dieners Frycollin den Mond wieder zu Ehren zu bringen versucht

    Sicherlich schon mehr als einmal hatten die Mitglieder des Weldon-Instituts, wenn sie nach strmischen Verhandlun-gen aus den Sitzungen kamen, Walnut Street und die Nach-barstraen noch streitend und lrmend durchzogen. Wie-derholt waren von den Bewohnern dieses Stadtteils Klagen eingegangen ber die geruschvollen Auslufer solcher Ver-handlungen, die bis in ihre Wohnungen eindrangen, und mehr als einmal hatten Polizisten einschreiten mssen, um wenigstens Verkehrsstrungen zu beseitigen, da doch die meisten Leute sehr wenig oder gar kein Interesse an sol-chen, die Luftschiffahrt betreffenden Fragen nehmen. Doch vor diesem heutigen Abend hatte der Tumult noch nie so

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    groe Ausmae angenommen, niemals wren jene Klagen mehr begrndet und niemals die Einmischung der Police-men notwendiger gewesen.

    Immerhin konnte man den Mitgliedern des Weldon-Instituts mildernde Umstnde zubilligen, da sie sich eines berfalls in den eigenen vier Pfhlen, wie sie eben erlitten, gewi nicht versehen hatten. Den bereifrigen Verfechtern des Grundgesetzes leichter als Luft hatte ein nicht minder energischer Vertreter des schwerer als Luft hchst unan-genehme Dinge ins Gesicht gesagt; und als ihm dafr die Behandlung zuteil werden sollte, die er verdiente, war der Mann spurlos verschwunden.

    Das schrie nach Rache! Um derartige Beleidigungen un-gestraft zu lassen, htten sie nicht amerikanisches Blut in ihren Adern haben mssen. Die Nachkommen Amerigos als solche eines Cabot zu behandeln! War das nicht eine Be-schimpfung, die um so unverzeihlicher schien, weil sie ei-gentlich richtig, wenigstens historisch berechtigt war?

    Die Mitglieder des Clubs strzen sich also truppweise erst in die Walnut Street, hierauf in die Nachbarstraen und dann in das ganze Stadtviertel, wo alle Bewohner auf-gescheucht werden.

    Sie zwingen diese, eine Durchsuchung ihrer Huser vor-nehmen zu lassen, um sich spter wegen des gewaltttigen Angriffs in das Privatleben ihrer Mitbrger zu entschul-digen, was gerade bei den Vlkern von angelschsischem Stamm sonst ganz besonders respektiert wird. Vergebliches Aufgebot von Belstigungen und Nachforschungen. Robur

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    wurde nirgends gefunden; er hatte nicht die leiseste Spur hinterlassen. Und wenn er mit dem Go ahead, dem Ballon des Weldon-Instituts, davongefahren wre, htte er nicht mehr unauffindlich gewesen sein knnen. Nach einstn-digen Haussuchungen muten sie darauf verzichten, und die Kollegen trennten sich, aber nicht ohne die eidliche Zu-sicherung, ihre Nachforschungen ber das ganze Gebiet Nord- und Sdamerikas, das die Neue Welt bildet, auszu-dehnen.

    Gegen 11 Uhr war die Ruhe im Stadtviertel nahezu wie-derhergestellt. Philadelphia konnte sich wieder in sanften Schlummer versenken, wozu die Stdte, die weniger Indus-trie haben, das beneidenswerte Privileg besitzen. Die ver-schiedenen Mitglieder des Clubs dachten jetzt an nichts an-deres, als an die Heimkehr an den eigenen huslichen Herd. Um nur einige der hervorragendsten zu nennen, so begab sich William T. Forbes eiligst nach dem Tisch, auf dem Miss Doll und Miss Mat ihm den Abendtee zubereitet und mit der selbstzubereiteten Glukose verst hatten; Truk Milnor schlug den Weg nach seiner Fabrik ein, deren Ventilator die ganze Nacht hindurch in einer der entferntesten Vorstdte sauste. Der Schatzmeister Jem Cip, dem ffentlich nachge-sagt worden war, einen um einen Fu lngeren Darmkanal zu haben, als der Mensch ihn sonst mit sich herumtrgt, be-gab sich nach seinem Ezimmer, wo ihn ein vegetarisches Abendbrot erwartete.

    Zwei der bedeutendsten Ballonisten aber nur zwei schienen nicht daran zu denken, ihr Heim sogleich aufzu-

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    suchen. Sie hatten die Gelegenheit wahrgenommen, in hit-zigster Weise weiterzuplaudern. Es waren das die beiden Unvershnlichen, Onkel Prudent und Phil Evans, der Vor-sitzende und der Schriftfhrer des Weldon-Instituts.

    An der Tr des Clubhauses erwartete Frycollin, der Die-ner von Onkel Prudent, wie gewhnlich seinen Herrn.

    Er folgte diesem auf Schritt und Tritt, ohne sich um den Gegenstand des Gesprchs zu kmmern, der die beiden Kollegen schon in die Hitze gebracht hatte.

    Wir gebrauchten auch nur euphemistisch das Zeitwort plaudern fr die Ttigkeit, welcher der Vorsitzende und der Schriftfhrer des Clubs sich mit gleichem Eifer hinga-ben. In der Tat stritten und zankten sie sich mit einer Ener-gie, deren Ursprung in ihrer alten Rivalitt zu suchen war.

    Nein, und dreimal nein! wiederholte Phil Evans, htte ich die Ehre gehabt, dem Weldon-Institut bei der heutigen Sitzung zu prsidieren, es wre niemals zu einem solchen Skandal gekommen!

    Und was wrden Sie getan haben, wenn Sie diese Ehre gehabt htten? fragte Onkel Prudent.

    Ich htte jenem ffentlichen Beleidiger das Wort abge-schnitten, noch ehe er den Mund ffnete.

    Mir scheint, um jemand das Wort abzuschneiden, msse man ihn wenigstens erst eines aussprechen lassen.

    Nicht in Amerika, mein Herr, nicht in Amerika!Und whrend sie sich so mehr bittere als angenehme Re-

    densarten ins Gesicht warfen, schlenderten die beiden Mn-ner mehrere Straen dahin, die sie immer weiter von ihren

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    Wohnungen entfernten; sie durchschritten Viertel, deren Lage sie spter zu groen Umwegen zwingen mute.

    Frycollin folgte noch immer nach, fhlte sich aber doch etwas beunruhigt, seinen Herrn sich nach so menschen-leeren rtlichkeiten hin verirren zu sehen. Er liebte diese Gegenden nicht, besonders nicht so kurz vor Mitternacht. Dazu herrschte tiefe Dunkelheit, denn der zunehmende Mond war eben nur dabei, seine 28tgige Rundreise zu beginnen.

    Frycollin sah sich scheu nach rechts und links um, ob sie nicht von verdchtigen Schatten belauscht wrden, und wirklich, er glaubte fnf oder sechs groe Teufel zu erken-nen, die sie nicht aus den Augen zu verlieren schienen.

    Instinktiv nherte sich Frycollin seinem Herrn, um nichts in der Welt htte er jedoch gewagt, ihn inmitten eines Gesprchs zu unterbrechen, von dem er zuweilen einzelne Brocken aufschnappte.

    Der Zufall fgte es, da der Vorsitzende und der Schrift-fhrer des Weldon-Instituts sich, ohne darauf zu achten, bis nach dem Fairmont Park verirrten. Hier berschritten sie, in lebhaftem Wortwechsel begriffen, den Schuylkill River auf der berhmten Eisenbrcke; sie begegneten nur sehr wenig Leuten und befanden sich endlich mitten in jenen weiten Terrains, die sich auf der einen Seite als ungeheure Wiesen ausdehnen, auf der anderen von herrlichem Baumbestand beschattet sind und in ihrer Gesamtheit eine vielleicht in der ganzen Welt einzig dastehende Anlage bilden.

    Hier nahm der Schreck des Dieners Frycollin pltzlich

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    noch mehr zu, und das mit um so grerer Berechtigung, da fnf bis sechs jener Schatten ihnen auch ber die Strombr-cke nachgefolgt waren. Die Pupillen seiner Augen hatte sich dabei so erweitert, da sie bis an den Rand der Iris reichten. Und gleichzeitig schrumpfte sein ganzer Krper zusammen und zog sich zurck, als bese er jene eigentmliche Zu-sammenziehbarkeit, die den Mollusken und auch gewissen Wirbeltieren eigen ist.

    Der Diener Frycollin war nmlich ein vollstndiger Ha-senfu.

    Ein richtiger Neger und Sdcaroliner, mit vierschrti-gem Kopf auf einem mageren Rumpf. Er zhlte jetzt gerade 21 Jahre, war also nicht einmal mehr zur Zeit seiner Geburt Sklave gewesen, taugte deshalb aber nicht viel mehr, als ein solcher. Ein Grimassenschneider, Leckermaul und Faulpelz, aber vor allem ein Prahlhans sondergleichen, stand er seit 3 Jahren bei Onkel Prudent im Dienst. Hundertmal war er schon nahe daran gewesen, vor die Tr gesetzt zu werden, doch hatte man ihn behalten um nicht aus dem Regen in die Traufe zu kommen. Und doch lief er hier bei einem Herrn, der jeden Augenblick zu den tollkhnsten Unter-nehmungen bereit war, so oft Gefahr, in Lagen zu kommen, in denen sein Hasenherz auf die hrtesten Proben gestellt werden mute. Dafr fand er auch gewisse Entschuldigun-gen. Niemand machte ihm besondere Vorwrfe wegen sei-ner Leckerhaftigkeit und noch weniger wegen seiner Trg-heit. Ach, armer Frycollin, httest du in der Zukunft lesen knnen!

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    Warum war Frycollin auch nicht in Boston im Dienst ei-ner gewissen Familie Sneffel geblieben, die im Begriff, eine Reise nach der Schweiz anzutreten, darauf verzichtet hatte, weil dort Schneelawinen auftraten? War fr Frycollin nicht dieses Haus das geeignete, aber nicht das des Onkel Pru-dent, wo das khne Wagen in Permanenz erklrt war?

    Nun, er befand sich einmal hier und sein Herr hatte sich mit der Zeit an seine Fehler gewhnt, brigens besa er doch eine gute Eigenschaft. Obwohl Neger von Abstam-mung, sprach er doch nicht so, wie diese es gewhnlich tun und das hat einigen Wert, denn nichts ist so wider-lich, wie der abscheuliche Jargon, in dem die Anwendung des besitzanzeigenden Frworts und des Infinitivs bis zum Mibrauch getrieben wird.

    Es steht also fest, da der Diener Frycollin ein feiger Prahlhans war, und zwar nannte man ihn einen Prahlhans gleich dem Mond.

    Es erscheint brigens nur gerecht, gegen diesen fr die blonde Phbe beleidigenden Vergleich Einspruch zu er-heben; warum sollte man die sanfte Selene, die keusche Schwester des strahlenden Apollo, der Prahlerei zeihen, das Gestirn, das, so lange die Welt steht, stets der Erde gerade ins Gesicht geblickt hat, ohne ihr jemals den Rcken zuzu-wenden?

    Doch wie dem auch sei, zu dieser Stunde es war jetzt bald Mitternacht begann die blasse, verdchtige Scheibe schon im Westen hinter den hohen Baumkronen des Parks zu verschwinden. Ihre durch das Gezweig hereindringen-

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    den Strahlen erhellten nur noch da und dort den Erdboden, so da es unter den Bumen noch etwas finsterer war.

    Das gestattete Frycollin, einen forschenden Blick umher-schweifen zu lassen.

    Brr, machte er, die Schurken sind wahrlich noch da! Offenbar kommen sie nher heran.

    Da hielt es ihn nicht mehr und er schritt auf seinen Herrn zu.

    Master Onkel! redete er ihn an.So nannte er ihn gewhnlich und so wollte der Vorsit-

    zende des Weldon-Instituts auch genannt werden.Eben jetzt war der Streit der beiden Rivalen auf das hit-

    zigste entbrannt; und da sie einander spazierenfhrten, wurde Frycollin sehr grob angewiesen, diesen Spaziergang mitzumachen, wie es seine Pflicht und Schuldigkeit sei.

    Und whrend die beiden ohne Unterbrechung weiter-stritten, geriet Onkel Prudent immer weiter hinaus nach den verdeten Grasgrnden des Fairmont Parks und ent-fernte sich immer mehr vom Schuylkill und der Brcke, die sie zur Rckkehr nach der Stadt unbedingt berschreiten muten.

    Alle drei befanden sich jetzt inmitten einer Gruppe ho-her Bume, in deren Gipfeln noch das letzte Licht des Monds spielte. An deren Saum schlo sich eine grere Lichtung an, ein weiter, ovaler Wiesenplan, wie geschaffen fr Wett-rennen. Hier htte nicht die kleinste Unebenheit des Bo-dens den Galopp eines Pferdes gestrt und kein Busch oder

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    Baum die Blicke der Zuschauer bei der Verfolgung der meh-rere englische Meilen langen Bahnlinie gehindert.

    Und doch, wren Onkel Prudent und Phil Evans in ihre Streitigkeiten nicht gar so sehr vertieft gewesen, htten sie sich nur einigermaen aufmerksam umgesehen, so htte ih-nen nicht entgehen knnen, da der weite freie Platz heute einen ganz anderen Anblick darbot. War das ein Zauber-spuk, der hier seit gestern entstanden war? Wahrlich, man htte das Ganze mit seinen vielen Windmhlen fr ein Zau-berwerk erklren knnen, wenn man die Mhlenflgel sah, die, jetzt unbeweglich, im Halbdunkel Grimassen zu ma-chen schienen.

    Doch weder der Prsident, noch der Schriftfhrer des Weldon-Instituts bemerkte diese auffllige Vernderung der Ansicht des Fairmont Parks; Frycollin sah sie ebensowenig. Es schien ihm, als ob die unheimlichen Gestalten sich n-herten und zusammenduckten, als rsteten sie sich zu ei-nem ruberischen berfall. Er zitterte aus Angst an allen Gliedern und war doch gleichzeitig wie gelhmt, so hatte ihn die Furcht vor den nchsten Minuten ergriffen.

    Obwohl ihm die Knie frmlich schlotterten, gewann er doch noch die Kraft, einmal zu rufen:

    Master Onkel! . . . Master Onkel!Nun, was gibt es denn? antwortete Onkel Prudent.Vielleicht wren er und Phil Evans nicht bse darber

    gewesen, ihren Zorn dadurch abzukhlen, da sie dem un-glcklichen Diener eine tchtige Tracht Prgel erteilten;

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    dazu fanden sie aber ebensowenig Zeit, wie letzterer, ihnen eine weitere Antwort zu geben.

    Unter den Bumen gellte pltzlich ein lauter Pfiff. Gleich-zeitig flammte inmitten der Lichtung ein heller elektrischer Stern auf.

    Das war zweifelsohne ein Signal und im vorliegenden Fall die Mahnung, da der Augenblick zu irgendeiner Ge-waltttigkeit gekommen sei.

    Schneller, als man es ausdenken kann, strzten sich schon sechs Mnner durch das Unterholz, zwei auf Onkel Prudent, zwei auf Phil Evans und zwei auf den Diener Fry-collin. Die beiden letzten ganz berflssigerweise, denn der Neger wre ganz unfhig gewesen, sich zu wehren.

    Obgleich berrascht durch diesen berfall, wollten der Vorsitzende und der Schriftfhrer des Weldon-Instituts doch versuchen, Widerstand zu leisten, hatten dazu aber weder Zeit noch Kraft. Binnen wenigen Sekunden waren sie schon stumm gemacht durch einen Knebel im Mund, blind durch eine Binde ber die Augen, und wurden, berwltigt und gefesselt, schnell durch die Waldlichtung hin fortge-schleppt. Was konnten sie anders annehmen, als da sie ei-ner Rotte jener gewissenloser Herumlungerer in die Hnde gefallen seien, die jeden ausrauben, den sie noch zu sp-ter Stunde im Wald antrafen? Und doch tuschten sie sich. Man durchsuchte nicht einmal ihre Taschen, obwohl Onkel Prudent stets, seiner Gewohnheit nach und also auch heute, mehrere Tausend Dollar Papiergeld bei sich fhrte.

    Kurz, eine Minute nach diesem berfall fhlten Onkel

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    Prudent, Phil Evans und der Diener Frycollin, da sie, ohne da ein Wort zwischen den Angreifern gewechselt worden wre, nicht auf den Rasen der Waldble, sondern auf eine Art Fuboden niedergelegt wurden, der unter ihrem Ge-wicht knarrte. Hier lehnte man sie dann einen an den an-deren. Darauf hrte man das Klirren eines Riegels in seiner Klappe und dies belehrte die drei Mnner, da sie gefangen seien.

    Nachher entstand ein seltsames, anhaltendes Gerusch, wie ein Schnarren, ein frrr, dessen rrr sich ohne Ende fort-setzten, ohne da in der so ruhigen Nacht etwas anderes hrbar geworden wre.

    Welche Unruhe herrschte am folgenden Tag in Philadel-

    phia. Schon in den Morgenstunden erfuhr die ganze Stadt, was sich in der letzten Sitzung des Weldon-Instituts zugetra-gen: Die Erscheinung jenes rtselhaften Fremdlings, eines Ingenieurs, namens Robur Robur der Sieger! die Strei-tigkeiten, die er offenbar absichtlich unter den Ballonisten erregt hatte, und endlich sein unerklrliches Verschwinden.

    Es machte aber doch einen noch ganz anderen Eindruck, als man spter davon hrte, da auch der Vorsitzende und der Schriftfhrer des Clubs in der Nacht vom 12. zum 13. Juni verschwunden seien.

    Welche Nachsuchungen wurden da nicht in der Stadt und deren Umgebungen angestellt ! Vergeblich alle ver-geblich. Die Zeitungen von Philadelphia, nach ihnen die

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    Journale von Pennsylvania und endlich die von ganz Ame-rika bemchtigten sich eifrig dieses Vorfalls und erklrten ihn auf hunderterlei Weise, von denen keine die richtige war. Durch Annoncen und Plakate wurden betrchtliche Preise ausgesetzt nicht nur fr den, der die ehrenwerten Verschwundenen wiederfinden wrde, sondern auch fr je-den, der nur auf eine Fhrte hinweisen knnte, auf der man ihren Spuren folgen konnte. Nichts hatte Erfolg. Und htte sich die Erde aufgetan gehabt, um sie zu verschlingen, so konnten der Vorsitzende und der Schriftfhrer des Weldon-Instituts nicht vollstndiger von der Oberflche der Erdku-gel verschwunden sein.

    Die Regierungsbltter traten bei dieser Gelegenheit mit dem Verlangen hervor, das Personal der Polizei in betrcht-lichem Mastab zu vermehren, weil hnliche Attentate ge-gen die besten Brger der Vereinigten Staaten sich wieder-holen knnten und sie hatten damit recht.

    Freilich verlangten die Bltter der Opposition, da das Personal vollstndig, und zwar als unntz verabschiedet werde, da derartige Raubanflle sich doch wiederholen knnten, ohne da es mglich wrde, deren Urheber zu ent-decken und vielleicht hatten sie damit nicht unrecht.

    Alles in allem, die Polizei blieb, was sie war und immer sein wird in der besten der Welten, die nicht vollkommen ist und es niemals werden wird.

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    5. KAPITELWorin die Einstellung der Feindseligkeiten

    zwischen dem Vorsitzenden und dem Schriftfhrer des Weldon-Instituts beschlossen wird

    Eine Binde ber den Augen zu tragen, einen Knebel im Mund, einen Strick um die Handgelenke und einen um die Knchel zu haben, d.h. also jeder Mglichkeit, zu sehen, zu sprechen und sich zu bewegen, beraubt zu sein, das war fr Onkel Prudent keine Lage, in der er sich htte wohlfhlen knnen, und ebensowenig fr Phil Evans und den Diener Frycollin. Obendrein nicht einmal zu wissen, wer die Urhe-ber dieser Entfhrung waren, nicht zu wissen, wo man sich befand und welches Los man zu erwarten habe das mute gewi auch das allergeduldigste Lamm in Wut bringen, und bekanntlich gehrten die Mitglieder des Weldon-Instituts, was ihre Geduld betraf, nicht im geringsten zur Familie der Lmmer. Bercksichtigt man die natrliche Heftigkeit sei-nes Charakters, so kann man sich leicht vorstellen, in wel-cher Gemtsverfassung Onkel Prudent sich jetzt befinden mochte.

    Jedenfalls muten Phil Evans und er langsam einsehen, da es fr sie Schwierigkeiten haben werde, am nchsten Abend ihre Pltze im Bro des Clubs einzunehmen.

    Frycollin war es mit den verbundenen Augen und dem geschlossenen Mund berhaupt unmglich, irgend etwas zu denken; er war schon mehr tot als lebendig.

    Whrend einer Stunde trat in der Lage der Gefangenen

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    keine nderung ein. Kein Mensch lie sich blicken, sie zu besuchen oder ihnen wenigstens die Freiheit der Bewe-gung und der Sprache wiederzugeben, nach der sie doch so sehr verlangten. Jetzt sahen sie sich auf erstickte Seufzer, auf ein dumpfes Ach! angewiesen, das sich kaum durch ihre Knebel prete, und beschrnkt auf schwache Bewegun-gen, wie sie etwa ein seinem natrlichen Element entrisse-ner absterbender Karpfen ausfhrt, und man begreift leicht, welchen stummen Zorn, welch verhaltene oder vielmehr eingeschnrte Wut das in ihnen erzeugen mute. Nach wie-derholten vergeblichen Befreiungsversuchen verhielten sie sich eine Zeitlang ganz still. Da ihnen der Gesichtssinn au-genblicklich abging, bemhten sie sich, vielleicht durch den Gehrsinn einige Aufklrung ber diesen beunruhigenden Zustand der Dinge zu erlangen. Vergeblich aber strengten sie sich an, ein anderes Gerusch zu hren, als das ununter-brochene und unerklrliche frrr, das hier den ganzen Um-kreis zu beherrschen schien.

    Inzwischen gelang es Phil Evans, der hier mit mehr Ruhe ans Werk ging, den Strick zu lockern, der um seine Handge-lenke lag. Dann lste sich allmhlich der fesselnde Knoten, er schmiegte die Finger dicht aneinander, und endlich er-langten seine Hnde wieder die gewohnte Bewegungsfrei-heit.

    Durch krftiges Reiben stellte er den in ihnen halb un-terbrochenen Blutkreislauf wieder her, und in der nchs-ten Minute schon hatte Phil Evans die Binde abgerissen, die ihm die Augen bedeckte, den Knebel aus seinem Mund ge-

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    lst und alle Stricke mit der feinen Klinge seines Bowiemes-sers zerschnitten. Ein Amerikaner, der nicht stets sein Bo-wiemesser in der Tasche htte, wre eben kein Amerikaner mehr.

    Wenn Phil Evans aber dadurch die Mglichkeit, sich zu bewegen und zu sprechen wiedererlangte, so war das doch eben alles. Seine Augen fanden keine Gelegenheit zu ntz-licher Ttigkeit wenigstens jetzt nicht, denn in der Zelle, die sie einschlo, herrschte vollstndige Finsternis. Ein ganz schwacher Lichtschein drang nur durch eine Art Schie-scharte herein, die in 6 bis 7 Fu Hhe in der Wand ange-bracht war.

    Es versteht sich von selbst, da Phil Evans keinen Augen-blick zgerte, auch seinen Rivalen zu befreien. Einige Zge mit dem Bowiemesser gengten zum Durchschneiden der Stricke, die dessen Fe und Hnde fesselten. In heller Wut ri sich Onkel Prudent, als er sich kaum auf den Fen auf-richten konnte, die Binde herunter und den Knebel heraus und stammelte mit erstickter Stimme:

    Ich danke Ihnen!Nein! . . . Hier ist nichts zu danken, antwortete der an-

    dere.Phil Evans?Onkel Prudent?Hier gibt es keinen Vorsitzenden und keinen Schrift-

    fhrer des Weldon-Instituts, ich denke, auch keine Gegner mehr.

    Sie haben recht, besttigte Phil Evans. Hier sind wir

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    nur zwei Mnner, die sich zu rchen haben an einem drit-ten, dessen Gewaltstreich die strengste Wiedervergeltung herausfordert.

    Und dieser dritte . . .Ist jener Robur! . . .Ja, jener Robur!Hier fand sich also einmal ein Punkt, bezglich dessen

    die beiden Ex-Konkurrenten vllig bereinstimmten, ein Streit ber diesen Gegenstand schien demnach ganz aus-geschlossen.

    Und Ihr Diener? bemerkte da Phil Evans mit einem Fingerzeig auf Frycollin, der wie ein Seehund schnaufte, wir mssen auch ihn befreien.

    Noch nicht, erwiderte Onkel Prudent, er wrde uns mit seinen Klageliedern den Kopf warm machen, und wir haben jetzt anderes zu tun, als auf sein Jammern zu ach-ten.

    Und was denn, Onkel Prudent?Uns zu retten, wenn es mglich ist.Und selbst wenn es unmglich ist !Ein Zweifel daran, da diese Entfhrung jenem Fremd-

    ling, dem Robur, zuzuschreiben sei, konnte dem Prsiden-ten und seinem Kollegen gar nicht in den Sinn kommen. In der Tat htten ja einfache, ehrsame Ruber sie unzweifel-haft ihrer Uhren, Edelsteine, Brieftaschen und Portemon-naies entledigt und sie dann mit einem Schnitt durch den Hals in den Schuylkill River geworfen, statt sie einzuschlie-en in . . . Ja, in was? Das war eine ernste Frage, welche die

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    schleunigste Lsung verdiente, ehe sie mit einiger Aussicht auf Erfolg an irgendwelche Vorbereitungen zu ihrer Flucht denken konnten.

    Phil Evans, nahm Onkel Prudent wieder das Wort, wir htten wahrlich besser daran getan, wenn wir beim Weggehen aus der Sitzung, statt Liebenswrdigkeiten, auf die wir hier nicht zurckkommen wollen, auszutauschen, lieber etwas weniger zerstreut gewesen wren. Verlieen wir die Straen von Philadelphia nicht, so wre das alles nicht geschehen. Offenbar hatte jener Robur schon eine Ah-nung davon, was sein Auftreten im Club bewirken wrde, er mutmate die Wutausbrche, die seine Herausforderungen entfesseln muten, und hatte vor der Tr sicherlich einige seiner Banditen, ihm im schlimmsten Fall beizuspringen. Als wir dann die Walnut Street verlieen, sprten uns seine Schergen auf, folgten unseren Spuren und als sie sahen, da wir uns unklugerweise in den Alleen des Fairmont Parks verirrten, da hatten sie ja leichtes Spiel.

    Einverstanden, antwortete Phil Evans. Ja, wir haben sehr unrecht getan, nicht unmittelbar unsere Wohnungen aufzusuchen.

    Man hat immer unrecht, nicht recht zu haben, ver-setzte Onkel Prudent.

    Da ertnte ein langgezogener Seufzer aus dem finsteren Winkel der Zelle.

    Was war das? fragte Phil Evans.O nichts . . . Frycollin trumt nur.Und Onkel Prudent fuhr ungestrt fort:

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    Zwischen dem Zeitpunkt, wo wir wenige Schritte vom Anfang der Lichtung ergriffen wurden, und dem, wo man uns in diesen Winkel warf, sind kaum 2 Minuten verflossen. Es liegt also auf der Hand, da jene Leute uns nicht ber den Fairmont Park hinaus verschleppt haben.

    Denn wenn das geschehen wre, htten wir doch von der Fortschaffung etwas verspren mssen.

    Einverstanden, erklrte Onkel Prudent. Es unterliegt also keinem Zweifel, da wir in einer Abteilung irgendeines Wagens eingesperrt sind, vielleicht in einem jener langen Prrie-Reisewagen oder in dem Gefhrt von Seiltnzern.

    Ohne Zweifel. Befnden wir uns auf einem auf dem Schuylkill River vertuten Schiff, so mte sich das durch ein leichtes Schwanken von Bord zu Bord, veranlat durch die Strmung, zu erkennen geben.

    Einverstanden, stets, stets, wiederholte Onkel Prudent, und ich meine, es ist, wo wir uns noch in der Parklichtung befinden, jetzt oder nie der geeignete Moment zur Flucht, um spter jenen Robur wieder aufzuspren . . .

    Und ihn diesen Angriff auf die Freiheit zweier Brger der Vereinigten Staaten von Amerika teuer bezahlen zu las-sen!

    Teuer . . . sehr teuer!Doch, wer ist dieser Mann? . . . Woher kommt er? . . . Ist

    es ein Englnder, ein Deutscher, ein Franzose . . .Jedenfalls ein elender Wicht, das gengt, antwortete

    Onkel Prudent. Und nun ans Werk!Mit ausgestreckten Hnden und gespreizten Fingern tas-

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    teten beide an der Wand des kleinen Raums umher, um ei-nen Ri oder eine Spalte zu entdecken. Vergeblich. Es fand sich hier ebensowenig davon, wie an der Tr. Diese erwies sich fast hermetisch geschlossen, und es wre unmglich gewesen, ihr Schlo zu sprengen. Man mute also ein Loch herzustellen suchen, um durch es zu entkommen. Dabei trat nun die Frage auf, ob die Bowiemesser die Wand anzugrei-fen imstande seien, ob ihre Klingen sich nicht verbiegen oder bei dem Vorhaben gar zerbrechen wrden.

    Doch woher stammt jenes Zittern, das gar nicht auf-hrt? fragte Phil Evans, der sich ber das immer fortdau-ernde frrr nicht beruhigen konnte.

    Es ist ohne Zweifel der Wind, meinte Onkel Prudent.Der Wind? . . . Bis Mitternacht schien mir, als ob die Luft

    ganz ruhig gewesen wre . . .Gewi, Phil Evans, doch, wenn es der Wind nicht sein

    soll, was halten Sie denn fr die Ursache?Phil Evans versuchte, nachdem er die beste Klinge sei-

    nes Messers aufgeklappt hatte, in die Wand nahe der Tr einzuschneiden. Vielleicht gengte es hier, eine ffnung zu machen, um diese von auen zu ffnen, wenn sie nur durch einen Riegel versperrt oder der Schlssel im Schlo ste-ckengeblieben war.

    Wenige Minuten Arbeit reichten, die Klinge des Bowie-messers zu verderben, seine Spitze abzubrechen und es in eine tausendzhnige Sge zu verwandeln.

    Es greift wohl nicht, Phil Evans?Nein.

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    Sollten wir uns in einer Zelle aus Stahl befinden?Das nicht, Onkel Prudent; diese Wnde geben ange-

    schlagen keinen metallischen Ton.Also vielleicht aus Eisenholz?Nein, weder aus Eisen noch aus Holz.Aus was bestnde sie denn dann?Das ist unmglich zu entscheiden; unbedingt aber ist es

    eine Substanz, die der Stahl nicht angreift.Onkel Prudent loderte in hellem Zorn auf, er fluchte,

    stampfte den widerhallenden Boden mit den Fen und seine Hnde suchten einen eingebildeten Robur zu erwr-gen.

    Ruhig, Onkel Prudent, ermahnte ihn Phil Evans, ru-hig. Versuchen Sie einmal Ihr Glck.

    Onkel Prudent versuchte es, das Bowiemesser konnte aber nicht in eine Wand einschneiden, die selbst dessen beste Klingen nicht zu ritzen vermochten, als ob diese aus Kristall wre.

    Eine Flucht erschien also ganz unausfhrbar, denn ohne ffnung der Tr war daran doch gar nicht zu denken.

    Es galt demnach, fr jetzt darauf zu verzichten, was dem Yankee-Temperament nicht eben leicht zu werden pflegt, und alles vom Zufall zu erwarten, was hervorragenden prak-tischen Geistern allemal zuwider ist. Natrlich geschah das nicht ohne